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Unter weidenden Schafen

Dreimal, jede zweite schwarze Unnacht, solange Wetter und Windrichtung halten, schlägt sich Bärinmutter ein Schaf aus der Hürde. Die Jungen triefen satt von Blut und werden nur noch durstiger. Kein Schlaf kommt mehr über die müden Augen der heimgesuchten Hirten. Sie schlafen während der Tagesarbeit, um bei Nacht unter den kalten Güssen wachen zu können. Dauernd bellen die Hunde, schreckhaft weichen die Schafe mitten aus dem Frieden hervor, wenn nur ein Schwanz aufzuckt; furchtzermürbt starren die Hirten aus dem schattenwerfenden Lichtkreis in die undurchdringliche Nacht.

Die Alte kennt jeden Hund und jeden Hirten und weiß, was sie von ihnen zu halten hat.

Als sie nach dem letzten Einbruch wiederkommt, lodern vier hohe Feuer um die Hürde, und viele fremde Gestalten stehen um die Brände. Es ist Käseheimsung und Werkabrechnung der Gebieter. Wenn solch ein Anlauf ist, da kommt auch manchmal ein Knallzeug mit, das weiß die Alte aus Erfahrung, und bis sie jedes einzelne Eck ausgründet, verfließen darüber Nächte. Aber Beutefleisch will sie haben, muß sie haben, und so wird sie sich, bis der Auflauf vorüber, einmal zur Abwechslung den Tagesraub erküren. Die Jungen folgen durch dick und dünn, wann immer es ums Rauben und Reißen gehen soll.

Ein Wolkenwall ist auf dem Bergfirst aufgebaut. Trüb sinkt der Nebelabend. Dumpf ankt der Wald. Ein Feuersalamander zappelt durch das Gras. Rauhbautz tapst ihn mutwillig zu Brei. Die Wacholderdrossel warnt unaufhörlich, als der Vierertrupp, sich im Bachschlamm verwatend, in Farn und Zinnkraut, dann über Heidelbeergestaude in hainlichem Fichtenjungwald, zur Quellmulde emporpirscht. Hier, wo die Fichten aufhören und die Legföhre beginnt, wo die verrenkten Glieder der Zirbelkiefer über die Verschanzung des Schlangenholzes schatten und aus längst geheilten Brandwunden des Gehölzes Grüntriften in die Breite gewachsen sind, weidet auf schlingernden Grasbändern die Lämmerherde der Alm bis hoch zu den Berggipfeln hinauf. Abgerissen klöppelt hier und dort ein buntes Glockenspiel. Mutterchen ist seltsam verhalten.

Die friedlich raunende Flöte führt zwar nichts Böses im Sinn, doch noch hat sich kein Hund gespürt; und bevor nicht das bellende Gebiest erforscht ist, ist jeder Angriff und Eingriff ungeboten. Auch kreuzt der Wind den Paß, so kann man mit einmal vor unliebsame Tatsachen gestellt werden. Behutsam spürt sie, den Wind in dem einen Nasenflügel, weiter. Sie weiß, daß sie über eine Lichtung zu wechseln hat, um Genaueres von der oben weidenden Herde zu erfassen. Wacholder und Fichtenäste weichen, sie sieht sich am Rand der Blöße. Abenddunst steigt aus dem Boden, und gleich ist sie von Tauhauch verschlungen. Langsam nimmt sie den Wechsel bis in die Mitte der latschenumränderten Hochmatte. Da schlägt ihr Schafwitterung schief in die Nase, und da eräugt sie das erste ruhig weidende Stück, breit im Nebel verschwommen. Hinter ihr protzt Rauhbautz begehrlich auf, so daß jenes Stück überrascht aufwirft, blöd herüberglotzt und, in dummen Fluchtsätzen in den Nebel preschend, die Gruppe mit sich nimmt. Wohl oder übel, nun heißt es handeln! Die Mutter bricht vor und packt im Getrampel das letzte Stück. Plötzlich reißt sie ein giftiger Aufboll zusammen, und heran stürmt ein schneidiges Hundebiest, schwenkt in blitzscharfem Bogen um sie und fährt ihr in den Rücken. Sofort wird die ganze Blöße laut. Von überall hetzt es aufjaulend herbei. In der Wehr springt die Alte zur Seite, wirft das Schaf wutfauchend dem einen vor den Kopf. Schon ist sie von allen Seiten umringt und wird noch gewahr, daß die Jungen, in den Schutz der Mutter trachtend, auf einen bissigen Kerl prallen und sich zurückwerfen. Im verflatternden Nebel läuft ein Hirt mit langem Knüttel hinter den Jungen her in den Wald hinein. Dies und nicht mehr. – Sinnlos kreiselt die Alte, und da sitzt ihr der Hund an der Keule. Die Wolle stäubt von der abflockenden Winterfarbe. Beim Rückschwung saust die Pranke in die Luft und schlägt vorbei. In der Wende spürt sie ein Gebiß an der Flanke. Wie der Wirbel quirlt sie herum und greift mit furchtbaren Sätzen an. Doch wie Spreu spritzen die beiden Hunde auseinander, und sie rennt ins Leere. Sie fällt grob brummend auf die Keule, ergreift ein dürres Holz und wirft es blind nach den Hunden. Flirrenden Blicks betrachtet sie sich die kläffenden Gegner. Im Kreise hoppen die Kerle, wer weiß wie viele. Kieniger, juchtiger Ruch vom nahen Lämmerstand trifft ihre Nase. Ohne daß sie es gewußt, ist sie ans Herz der Lämmerweide geraten. Dort brüllt ein Hirte wie ungescheit. Die Jungen sind im Wald verschwunden. Lauernd macht sie tiefgrollend eine Drehung, den Kamm gesträubt, die Lippen gestülpt, zum Sprung geduckt. Ein Aufprasseln in jäher Wucht, und im Knall eines Schusses überrennt sie mit ausholender Brante zwei Köter. Lautlos sinkt wie unter Hammerschlag der eine Getroffene in das Heidegrab. Der Schreckschuß aus dem Revolver hat doppelt gezündet. Mit ein paar Sätzen stiebt sie in den Wald; heiß aufgerissen hetzt die Meute über Bruch, Moor, durch Krummholz nach. Tief im Grunde verhält die Bärinmutter. Was machen? Auf ihrer Spur hecheln die Hunde, und oben krachen noch ein paar Schüsse ... Die Jungen sind zum erstenmal im Leben von ihr abgerissen, allein, auf sich selbst gestellt ... Sie kann ihnen nicht zu Hilfe, sie weiß nicht, wo sie sind. Und sie steht überlegend, wie gemauert. Mit einmal prallen die Racker auf sie, verstummen eine Sprungweile, dann geben sie Standlaut, doch nicht aufgeheizt, nicht zündend. Zerbröckelt, dumpf versinkt Boll hinter Boll. Keiner kommt mehr nahe, denn die drohend schwarze Masse vor ihnen hat Rückendeckung, da ist nicht zu spaßen. Der Lagerplatz ist fern, und kein Hirte hilft.

Es lichtet sich. Rosenrotes Flittergewölk zeigt den klaren Abend an, die kurze Nacht. Was wird sie bringen?

 

Zu dritt waren die Jungen, als sie zwischen sich und Mutterchen die reißende Hundemeute sahen, nach rückwärts ausgebrochen, um die Sicherheit des Waldes zu gewinnen. Mutterchen würde denen ja den Standpunkt klarmachen und nachkommen. Sie kam aber nicht, und hinter ihnen rannte einer der Kerle, breit und groß wie zwei Schafe neben- und übereinander, und schwang ein langes Holz. Rauhbautz, kurz entschlossen, sprang als erster in einen Baum und turnte prasselnd in die Krone empor. Stiebend ruckten die andern nach. Was hatten sie getan? Der Mensch wurde es in der Verfolgung gewahr, verhielt im Lauf und drohte mit tückischem Schimpf herauf. Dann, sich seitlich vergewissernd, stimmte er einen Freudentanz an, warf seine Pelzmütze knallend auf den Boden und riß einen unerhörten Brüller, langgezogen, jaulend, wie ein Hund, wenn er verloren sucht. Oben knallte ein Donner, ein Mordsgeheul antwortete, noch ein paar Knaller pafften auf, in stürmender Hatz verklang die Hundemeute zu Tal, und heran lärmte ein zweiter Kerl in zottelndem Schafspelz. Mutterchen aber kam noch immer nicht. Die zwei sahen in die Fichte, wieherten wie ein grasendes Pferd auf der Weide, murmelten verhalten wie der taube Bach, wenn er in der Flutkuhle sich staut, als ob dadurch die Abgesperrten in ihrem Argwohn beruhigt werden könnten, legten ihre zottigen Pelze ins Gras und gingen auseinander. Der eine verschwand unter den Ästen, der andre belastete sich mit schweren Steinen aus dem Quell unter der Fichte und stieg die kurze Bachböschung hinauf, bis er in einer Höhe mit dem Wipfel des Baumes war, in dem Rauhbautz saß. Der spähte funkelnden Blickes, erfüllt mit jugendlichem Grimm zu dem Kerl hinüber. Was der jetzt wohl wollte? Schmutzweiße Haut flatterte um ihn herum, darüber war er um die Augen nackt wie ein abgezogenes Schaf. Seine vorderen Füße trampelten in der Luft herum, und er selbst stand, wie man steht, wenn man auf den Baum kriechen will. Rauhbautz wäre ihm am liebsten stracks aufs Gerippe gesprungen, wie es Mutterchen getan. Da aber schwang jener aus, und dicht an Rauhbautzens Kopf vorbei flog ein dicker Stein. Rauhbautz bleckte mit zornersticktem Geknurr aufgebracht den Fang. Ein zweiter Stein traf Schwesterchen, daß es den Halt im Geäst verlor, überkippte und sich erst in der Baummitte in einer Astgabel verfing. Nun regnete es Stein auf Stein, daß die Kleine richtig aus dem Baum fiel. Brüderchen Mutz fürchtete dasselbe Schicksal und rasselte hinterher. Rauhbautz fand sich allein. Einen Augenblick überlegte er. Unter ihm war der Weg frei; schon sah er Mutz am Hang hinunterkullern und mit flüchtigen Sätzen sich über den Boden davonschwingen. Da rutschte auch er tönend herab, ließ sich aus dem drittobersten Ast zur Erde fallen, rappelte sich auf, schlüpfte, eh noch der Werfer zur Stelle war, durch die Kusseln und sprang im Bächlein hinab. Er sah nur noch, daß dicht unter dem Baum der zweite Mensch stand und mit dem Pelz zur Hälfte Schwesterchen niederdeckte.

Boden unter sich, Luft vor sich, hetzte Rauhbautz davon, was es nur hielt, durchmaß auf Brüderchens Spur die untere Blößenbucht und trollte in den deckenden Wald hinein. Und jetzt wußte er, warum man nicht gleich losschlagen darf.

Auf vermoorter Lichtung holte er Brüderchen ein. Dunkle Blänke im Moor schob sich vor ihren Wechsel. Sie standen still, sahen sich an, sahen suchend aneinander vorbei. Gerettet waren sie, aber sie waren allein, verlassen, zum erstenmal in ihrem Leben, und sie sahen eine Leere klaffen, über die es keinen Sprung wie über einen Bach ans andre Ufer gab; sie waren tief unglücklich. Mutz umging den verkrauteten Tümpel, Rauhbautz warf sich hinein, watete und kühlte seine Fieberglut. Drüben paddelte er sich ans Land, schüttelte das Wasser aus dem Pelz und setzte sich auf die Keulen; er fühlte sich krank und begann ein seltsam spitzes Klagen nach Mutterchen anzustimmen, ein bängliches Plärren; und Brüderchen fiel ein. Es war ein Heulen wie eines Wolfsjungen, das sich verloren hat. Zwischendurch streckten sie sich auf die Dünnungen und lutschten, eine rührend schmerzvolle Weise schnurrend, an ihren kleinen Pranken. Sie wußten es nun, wie auch elende Schwäche und Feigheit gefährlich werden, wenn sie sich rotten.

Es ging einer ungewissen, unsicheren Nacht entgegen.

Die beiden Hirten hatten einander wüst angestrudelt ob des andern Schuld, weil nun die beiden Bärchen für immer vertapert waren. Und es wäre zu herzhafter Tätlichkeit gekommen, hätte einer die Hände frei und Zeit zur Keilerei gehabt. So aber mußte der eine das fauchend beißende und krallende Bärchen im Pelz eingeschnürt rasch in Sicherheit an das Lagerfeuer bringen, denn die Tiergärten bezahlten viel für das Stück, und der andre mußte die zersprengte Herde zusammentreiben, die sie ganz vergessen hatten. Dabei war nicht ein einziger Hund zur Stelle, mit dem sie am liebsten die beiden ausgerissenen Bärchen verfolgt hätten.

Und sie rülpsten einen Ruf nach den Hunden und einen Schimpf auf die Schafe aus ...


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