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Der Einbruch in die Hürde

Es rispt das Waldweidenröschen. Auf den Bergen brennt das heilige Sonnwendfeuer, das Feuer von tausend Hirtenseelen, tausend Hirtenherzen, die jenseits der fichtenen Wälder, wo auf einsamen Almen verlassene Hirtenkreuze zum ewigen Gott der Berge beten, in der Feier der höchsten Urkraft des Feuers, der Gipfelsonne, dem Allschöpfer entgegenlodern. Hohe Zeit des Kuckucks, da die Wälder widerhallen von seinem Verlorenenruf, das rotaufsonnende Faltern des Mauerläufers an der pilzfleckigen Wand, des Bergpiepers piepsendes Rütteln über dem blutroten Duft der Alpenrosenmatte – Sonnenwende.

Sonnenwende, die kürzeste Nacht, da der Raubzug des Bären halbe Zeit nur hat und doppelte Kraft braucht. Zeit schwerster Nachtarbeit.

Es sind nun schon dreimal sieben Tage, daß der Schafhirt, vom Pelz umschlagen, in den gärenden Höhennebeln, kinnstützig auf seinen Knüttel gespreitet oder in der Sonnengluthitze auf dem träumenden Bauche liegend, über die wehleidig blökenden Lämmer und Jährigen wacht, und es sind ebenso viele Nächte, daß unter den noch uneingewohnten Hunden Aufregung und unablässiges Gekläff vor Raub und Dieb in der wiederkäuenden Lagerherde warnen – zweckwidrig warnen bis in den Frühsonnentag hinein. Denn einmal ist es ein Fernhall aus der weiten Runde vielzähliger Hirtenfeuer, ein andermal ein klatschender Ziegenmelker, dann der Schnarchatem ihres eigenen Gebieters und wieder der Diebsschlich eines Hundegefährten, worauf sie jedesmal belfernd hineinfallen.

»Der Teufel soll sie!« schimpft der eine Hirt. »Paß nur auf! Ist einmal wirklich Ruhe, dann ist der Bär sicher unter uns, ohne daß wir es wissen.«

Ihm selbst macht das allerdings weiter keine Sorgen, weder in der Nacht noch jetzt bei Tage. Lässig dreht er aus dem letzten Tabakvorrat einen Glimmstengel in den grünen Lappenrest der Einpackung, schlägt aus dem Stein den Funken und pafft so den Rauchqualm urfaul in die gesegneten Lüfte, die hoch über hindernden Fichtenwipfeln vom Retesat oder Negoi ihm schußgrad und frei in die geblähten Nüstern blasen. Am liebsten möchte er jetzt, wenn er nur könnte, von oben über all die fichtenen, tannenen und buchenen Fernen bis hinunter zu den verschwommenen Feldern und verschwindenden Dörfern auf den Popa und Stuhlrichter spucken. So aber spuckt er nur auf den Hund, schluckt den Mißmut geringschätzig wieder hinunter – was soll er sich hier um Nichtigkeiten viel kümmern, und nimmt, da er seinen Maispams erst abends beim Feuer ins Maul bekommt, die Flöte aus dem zerschundenen Ledergürtel, steckt sie zwischen die Zähne und pfeift mit glucksendem Unterton seinem schlafenden Hund einen Kreiseltanz, den Torturoiu, vor. Dann läßt er einen erschütternden Sprengjucher fahren, dreht sich beim Geleitgeblaff des geehrten Hundes schafs- und schlafgemütlich hundertachtzig Grad um die Achse und schnarcht ein. Wenn er abends aufwacht, werden ja die Lämmer in Schwarmlinie gerade unten am Waldrand angekommen sein, wo ihr himmelüberwölbter Schlafplatz ist. Dann braucht er sich und seinem Kameraden nur noch den goldigen Maispams zu rühren, und auch dieser längste Tag der Tage ist mit Gottes Hilfe in die kürzeste Nacht der Nächte hinuntergesunken.

 

Es wird ernst. Die goldenen Taler der Bergnelkenwurz bezahlen zwar die schönste Zeit, aber sie wecken wohl im Hirten, doch nicht in einer Bärin mit drei Jungen ein einlullendes Gelüste zu faulem Nichtstun und unverantwortlicher Sorglosigkeit. Ihre Jungen sind nun so groß wie der stichelhaarige Schäferhund. Sie hat erwägend zur Messung der Kraft den Vergleich gezogen und ist zum Schluß gekommen, daß, wenn auch Rauhbautz mit seinen flinken Branten gewiß einen mittleren Hund niederringen könnte, so doch alle drei, von einer Hundemeute umstellt, elend verloren wären. Darum muß sie auf steter Hut sein und die Vorsicht nicht außer acht lassen.

Es fährt in der Abendkühle flammig dahin. Abendgewitter zucken im Runde des Himmelsstrichs. Nebel ballen sich zu dicken Wolken zusammen und nehmen den Wanderzug über den schartigen Felsenfirst. Dunkel verdeckt sinkt die Nacht, die Feuer brüten. Ein Windquirl kehrt den Brandrauch der Sennhütte im Wege um, und die Luft zieht von unten nach oben. Eben als die Bärinmutter mit den Jungen am Waldrand steht, schlägt der Wind um. Kaum ist es geschehen, geht bei der Hürde der Spektakel los. Es ist das erstemal, daß die Hunde die Bärin wittern, doch die Hirten glauben es nicht, denn solch angestrengtes Geblaff hat sie schon oft genug genarrt. Der Rosca jedoch, der mit dem alten Baß, der Erfahrenste von allen, hat noch nie getäuscht, und jetzt hallt sein tiefer, heiserer Boll beängstigend getreu aus dem schwer aufgeregten Wald. Nun löst sich auch die erste Hirten-Kehle, und mit johlendem Gebrüll taumelt alles aus dem Schlaf empor. Sennhütte, Hürde alles ist lebendig geworden. Das Feuer flackt funkenstiebend auf. Unten im Wald aber steht, vom Platze gewichen, die Alte inmitten ihrer Sprossen und schätzt Toben und Stieben gebührlich ein. Nur der alte Hund über ihr ist gefährlich; doch alt und schwerhörig, wie er ist, wagt er sich nicht nahe heran, wenngleich er nun an den Ort gebunden ist und alle übrigen hier festhält. Das ist gut! Bald spukt der ganze Waldrand vor lauter verwarnendem Hundegejammer. Die Front der Verteidigung ist also meisterhaft festgerammt. Die Alte weiß, was sie weiß. Weit hinab führt sie, ohne daß die Hunde es merken, schlägt einen hohlen Bogen und nimmt es dann am aufgesteilten Berghang pfeilgrad aufwärts. Als sie oben auf die Alm tritt, verhofft sie und horcht äußerst eingenommen nach den Bellern, die den Feind noch immer unten vermuten.

Ein Windstoß braust auf, verrauscht, ein anderer schwillt nach, wellt ab. Die Bäume sträuben sich vor dem Wetter. Um den Kreis zu vollenden, muß die Alte den Sennhang queren und kommt so gerade über die Hürde. Was soll sie sich noch viel bedenken? Jetzt schon hat sie den Aufhauch des halben Getriebes in der Nase. Regen schüttet aus den Ästen. Im Schauerbraus des Wetters verlischt jeder Tritt. In der schwindelnden Schwarztiefe versackt jedes Menschen- und Hundeauge. Innerlich glühend, äußerlich steinern kalt vollendet sie ihre Bahn. Hoch steht sie über der Hürde, hoch über allem Leben, das ihr verfallen ist. Brennenden Tod in den Sehern, fliegt sie, eh daß ein Wesen es gemerkt, über den Hürdenpferch. Verknäuelung, Gewühl in weißer Wollfülle, Brantenschlag in das gestaute Fleisch, durstiges Eingraben der Fänge in das blutende Opfer und Sprung mit dem Schaf quer im Fang über den ästigen Pferch ins Freie vor ihre Jungen hin. Im Drang des Getiers nach außen birst das Hürdentor, und mit Gedröhn quellen die Schafe heraus vor das schlafende Hirtenfeuer. Die Hirten fahren auf. Jetzt erst merken sie, was geschehen ist. Entsetzen, Gebrüll, Gejohl. Schwarz kocht die Nacht. Keiner sieht etwas. Doch nun meldet unten als erster der alte Hund. Da ist schon alles vorüber. Die drei Jungen aber haben zum erstenmal die Hunde gesehen und haben sie mißachten gelernt; und nun schmatzen sie reißend und fetzend, nicht weit unter der Sennhütte in der mißstimmigen Musik von Unglück und Angst, am allerersten Herdentier, dem dummsten Getier, das sie kennen. Und sie beginnen zu begreifen, warum man am besten in der Sturmnacht gegen den Wind anlaufen und von oben einbrechen soll. Dann kann man immer noch wegen des überhöhten Hinterbaues die Vorderbranten am leichtesten von unten gebrauchen.

Mamachen weiß doch alles am besten!


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