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Sechster Gesang.

Lampen erglänzten im Saal, und es spiegelten goldne Geschirre
Blitzend die Flammen zurück in des Prätors Hause. Die Sklaven
Trugen die Speisen hinweg und reichten gehenkelte Schalen
Jeglichem Gast, denn das Trinken begann. Man sah von den Polstern
Tief in den Garten hinein, wo herrliche Rosen des Spätjahrs
Dufteten, und um den Nacken der ehernen Aphrodite
Zwischen den Palmen der Mond sein unstät silbernes Netz warf.
Doch schwül war's in der Halle. Im Winkel der griechische Sklave,
Der auf mimische Kunst sich verstand und lange gewartet,
Daß ihm der Hausherr winke, wie sonst nach Tische zu spielen,
Schlummerte nun, halb stehend und halb auf den Sockel gekauert,
Dem seit Nero's Tode das Bild des Cäsaren entrückt war.
Ihm zur Seite, bekränzt, im Florkleid lehnte die Sklavin,
Müde von Tanz und Gesang. Sie that ihr Bestes am Abend
Vor dem milesischen Gast, den heut zum Essen der Prätor
Einlud, da er als Zeuge dem Thamyris dient' im Gerichtshaus;
Und nicht weigert' es Demas; er war kein Freudenverächter.
Aber die Freude gebrach beim köstlichen Mahle. Der Scherz nicht
Wollte dem Becher entsprühn und nicht ein trauliches Lachen.
Denn es verlangte der Wirth, von Dem und Jenem zu hören,
Was sich in Rom zutrug, und das Neueste von den Provinzen.
Reichlich erhielt er Bescheid von des Galba Tode, des Otho
Raschem Ergreifen der Macht und der schwankenden Lage des Weltreichs.
Doch Freund Thamyris schwieg; fast schien er zu schlafen; die Schale
Lockte mit Duft und Feuer umsonst im Strahle der Ampeln.
Nur ein Vierter beschloß den erlesenen Kreis, der Cohorten
Oberster, welcher den Mund nur öffnete, Wein zu begehren.
Hochroth blühte die Wange dem bärtigen Paphlagonen,
Zwinkernd bewegt' er die Augen, die sanft und feierlich blickten,
Während das weiße Gebiß vorstand gleich Fängen des Ebers.
Neben dem Krieger erschien fast wie ein Knabe der Hausherr,
Schmächtig, die Wangen verwelkt, das Haupthaar früh an der Scheitel
Angegraut, und die Lippe, die häufig lächelte, blutlos.
Denn er hatte studirt in Athen und in Rom mit der reichen
Adligen Jugend gelebt, Philosophen und Weiber genossen,
Amt und Ehren erkauft. Er ruhete neben dem Fremden,
Schwer vom Trinken, und jetzt, auf Thamyris heftend die Augen,
Hob er den Arm nachlässig und gab ein Zeichen. Die Sklaven
Folgten dem Wink und verließen den Saal. Ein Einziger blieb nur
Am Schenktische zurück, ein mürrisch blickender Graukopf.
Schweigsam that er den Dienst. Denn er hatte die Zunge verloren,
Weil er des Prätors Mutter im Bade belauscht, da sie alt war
Und vielfältige Kunst aufwendete, noch zu gefallen,
Falsche gekräuselte Locken und mancherlei Farben und Schminken.
Da ergrimmte die Frau, und der wissende Sklave verstummte.
Und jetzt hört' er die Mähr, gleichgültigen Blicks, die der Hausherr
Gern auftischte den Gästen. Sie fand heut mäßigen Beifall;
Demas schwieg. Nur der Kriegsmann strich sich den Bart mit der Zunge,
Wieherte dumpf vor sich hin und schlug mit der Schale den Alten.

Doch Castelius sprach und stützte sich auf in den Kissen:
Thamyris, ist's nicht Sünde, die Nacht zu vergrollen, den süßen
Cyprier dir zu vergiften mit heimlich kochender Galle?
Sprachst du denn irgend ein Wort? Und zechtest du noch, wie der edle
Skyron dort, andächtig vertieft, so möcht' es dir hingehn.
Doch kaum nippst du einmal wie ein Jüngferchen. Schäme dich, Bester!
Nicht dein Mädchen verstört dir den Sinn. Wohl weißt du, der Weiber
Launen verfliegen geschwind, wie der Schaum am perlenden Weine.
Sondern es nagt an dir die Erbitterung, daß ich den Christen
Nur in Gewahrsam erst, nicht gleich ans Messer geliefert.
Denkst du, es koste mich viel, noch einen von diesen Hebräern
Bluten zu sehen, und gar, wenn dir ein Gefallen geschehn kann?
Aber ich wollte fürwahr, du stecktest einmal in des Prätors
Haut und erlebtest, wie sehr Staatsklugheit immer den Staatsmann
Knechtet, die Händ' ihm bindet, ihn lenkt an eisernen Zügeln.
Heut gilt dieses in Rom, und morgen beliebt man ein Andres,
Ja, was gestern gewaltig verpönt war, heute vielleicht schon
Ist's in die Mode gekommen und weh dem, der es geringschätzt.
Deutlich entsinn' ich mich noch aus früherer Zeit, wie der Kaiser
Selber die Laune bekam, den gekreuzigten Judenmessias
Unter die Götter zu reihen. Tiber war's, welchem der eine
Gott nicht mehr als der andere galt; denn er höhnte sie Alle.
Damals sprach der Senat, nicht dünk' es ihn billig und weise,
Den, von welchem sie rühmen, er sei der alleinige wahre,
Beizugesellen den andern, bescheidenen, die sich vertragen.
Stünd' er indeß bei den andern im Pantheon, wahrlich es wäre
Jeder besonnene Mann jetzt sicherer, wie er daran ist.
Freilich zu Nero's Zeiten, da wußte man, immer das Beste
Sei es, das Schlimmste zu thun und gegen die Christen zu wüthen,
Wie man Fallen dem Maulwurf stellt in Aeckern und Gärten.
Aber so lange der Sockel der Statue dort mir leer bleibt,
Weil viel schneller ein Kaiser aus Fleisch und Bein sich erhöh'n läßt,
Als aus Marmor und Erz – was bleibt dem Politiker übrig,
Als vorsichtig zu warten am Tag, wie Abends der Wind steht?

Pest! fuhr Thamyris auf, nicht länger ertrag' ich es ruhig
Dies hochweise Geschwätz, das zitternden Weibern geziemte.
Hörst du, ich rede nun auch, Castelius, wie mir ums Herz ist,
Mag es auch staatsklug nicht und vielleicht nicht höflich gerathen.
Was Politik? Was hat sie mit unserem Handel zu schaffen?
Hab' ich den Christen verklagt? Den Gauner und Gaukler verklagt' ich,
Weil er die Braut mir verführt. Was schiert mich's, ob sich der Schurke
Nazarener benennt und einen gekreuzigten Gott hat.
Soll der Name fortan die verwegensten Schelme beschützen,
Jeglichen Frevel bemänteln und alle verstohlene Bosheit?
Saubere Religion, die den Mädchen die Männer verleidet!
Wann ward Solches erhört? Und sind nicht lange genug schon
Christen im Land, und keiner verschmähte die Freuden der Ehe?
Möchten sie doch! Um so besser! So würd' in wenigen Lustren
Dies hirnwunde Geschlecht sich selbst von der Erde vertilgen.
Doch was kümmern sie mich! Ich hab' es allein mit dem Einen.

Freund, fiel spöttischen Tons Castelius ihm in die Rede,
Mäßige dich! leicht schießet ein Hitziger über das Ziel weg.
Käm' und klagte mir einer, der Nachbar habe sein Mädchen
Ihm abwendig gemacht mit listiger Rede, so sagt' ich:
Nun, mein Bester, verschmerz' es, und willst du es nicht, so erhäng' dich,
Oder getröste dich sonst; doch such' nicht Hülfe beim Prätor.
So auch sag' ich zu dir, mein Thamyris. Anders verhält sich's,
Wenn du mir klagst, er habe die Staatsgottheiten gelästert,
Aufruhr hier in der Stadt und Tumult böswillig gestiftet
Und in Schaaren die Weiber verführt. Dies ziemt den Behörden
Freilich mit Macht zu ersticken; allein mit nichten zu sorgen,
Ob sich ein Pärchen entzweit, und wie ein armer Verlobter
Ohne Beschwer in das Ehbett kommt. Das, denk' ich, begreifst du.

Sprach's und begehrte zu trinken. Der Kriegsmann nickte bedeutsam,
Schnalzte vergnügt mit der Zunge und brummt' im Basse: So ist es!
Aber den Stachel empfand der Getroffene; Zorn und Beschämung
Färbt' ihm dunkel die Stirn. Wem, rief er, gab ich ein Wort je,
Mir dienstfertig zu sein, um irgend ein Weib zu gewinnen,
Außer dem Pförtner vielleicht, mir die Hausthür offen zu halten?
Und nun vollends um diese, nach der schon lange die Lust mir
Völlig verraucht! Beim Zeus, ich schliefe so gern bei den Fischen,
Als mit solch eisblütigem Ding das Lager zu theilen.
Schleppt' ich den Schuft vor Gericht, der mich mit dieser entzweite,
Nun so geschah es allein der Theoklia wegen, der Mutter,
Daß nicht sühnungslos sie der Schimpf zu den Schatten verfolge.
Ja mich wurmt's, von der Närrin den hämischen Mäulern im Lande
Ueberliefert zu sein, nicht hehl' ich es. Aber ich hoffte
Beistand von den Gesetzen, der Dirne das Spiel zu verderben
Und es zu Tage zu bringen, um Wen sie den Thamyris wegwarf.
Und nun komm' ich zum Richter und traun, ich kam an den Rechten.
Denn um ein Haar nicht besser, als alle ikonischen Ammen,
Neigte der Prätor selbst sein Ohr den Gespenstergeschichtlein.
Läugne mir's, wenn du es kannst: du hättst ihn ruhig verurtheilt,
Hätte den Unfug nicht mit den Krämpfen des Pausias leider
Einer der Zeugen erzählt. Da sah ich es, wie du im Sessel
Rücktest, verstörten Gesichts, und den trotzigen Augen des Juden
Auswichst, welche dich suchten. Nicht wahr, staatskluge Gedanken
Stiegen dir plötzlich zu Kopf? Ein politisches Fieber befiel dich?
Mir auch fieberte Wuth im Gehirn, und hättst du das Urtheil
Nicht auf Morgen vertagt, wer weiß, ich hätte geredet,
Wie es ein Prätor selten zu hören bekam, der im Amt war.
Jetzt auch hätt' ich geschwiegen; allein du reiztest zuerst mich.
Und so denke davon, wie du willst; ich denke das Meine!

Damit sprang er empor, sein Obergewand von dem Sklaven
Heischend und Fackelträger, sofort ihn heimzugeleiten.
Aber es winkte der Wirth dem verständigen Alten am Schenktisch,
Nicht zu gehorchen dem Gast; dann sprach er gelassenen Tones:

Demas, siehst du es nun, wie ich Ursach hatte, zu klagen,
Daß sich Philosophie und ein Staatsamt häufig im Weg sind,
Und wie ein denkender Kopf zum Prätor übel sich eignet?
Denn wenn lang unschlüssig das Zünglein schwankt an der Wage,
Weil ein gewichtiger Handel Bedenkzeit fordert, und oftmals
Sich die Entscheidung dreht um die tiefsten Probleme des Wissens,
Gleich sind feurige Köpfe, wie unser vortrefflicher Freund dort,
Mit dem Verruf bei der Hand, und mindestens heißt der Bedächt'ge
Weibisch und feig. Nun vollends ein Skeptiker, dem es das Herz ja
Abstößt, sich zu entscheiden und nicht zu enthalten des Urtheils.
Wahrlich es sollte die Welt mir's hoch anrechnen, so oft ich
Selbst mich opfre dem Amt und in pflichtschuldigem Gleichmuth
Schlichte verworrenen Streit, trotz meines pyrrhonischen Tiefblicks.
Aber die eigene Haut, wer trüge sie gerne zu Markte,
Wo es dem Staat nicht dient, noch Pflicht es erheischet und Vortheil?
Denn wer weiß so genau, was von Dämonen zu halten?
Wer kann sagen: sie sind? und wer mir beweisen: sie sind nicht?
Ist nun dieser Hebräer ein Zauberer oder ein Dämon,
Was der Frage doch werth, denn mehr als Menschliches wirkt er:
Nun so erscheint mir's klug, anstatt durch rasche Gewaltthat
Ihn zu reizen, gelind ihn sich vom Halse zu schaffen.
Ist er ein Dämon nicht, was schadet es, reiflich zu prüfen,
Welches Gelichters er sei, und erst ihn fest zu verwahren?
Daß kein Christ vom gewöhnlichen Schlag in dem Reisenden stecke,
Wußt' ich, sobald ich ihn sah, und das Auge mich traf und die Stimme.
Denn zwar regt sich in Allen ein Wahnsinn, aber ein sanfter,
Macht sie in Winkeln beredt und öffentlich stumm; ihr Trotz ist
Dulden, und all ihr Rachegelüst, den Henker zu segnen.
Dieser erschien mir zuerst wie ein Mann, wie ein Löwe des Berges,
Welcher sich Schafen gesellt, dem Schlächter die Zähne zu weisen.

Als er geendet, erhob er die Schale mit Wein, und im Trinken
Späht' er umher. In der Thür stand Thamyris, wandte verächtlich
Kurz auflachend sich ab und trat in die Kühle des Gartens.
Da zu dem Hausherrn sprach der milesische Gast: Du bedenkst nicht,
Daß, wie du selbst auch immer gesinnt bist, muthiges Handeln
Wahrlich dem Staatswohl dient und Pflicht es erheischet und Vortheil.
Denn wenn Jener ein Dämon ist, wenn wirklich Dämonen
Zwischen den Göttern und Menschen in Dämmerung walten, so wird nur
Eine Gewalt sie entkräften, der Staat, wo Alle für Einen
Einstehn, Einer für Alle mit Muth und Treue sich hingiebt.
Sind sie jedoch nur Wesen des Wahns, dann wehe der Schonung,
Weil sie die Saat des Betrugs im Land läßt wuchern und selber
Hilft das Wasser zu trüben, darin die Verschlagenen fischen.
Nicht als wäre der Christ, den heut du verhört im Gerichtssaal,
Mir wie ein Gaukler erschienen. Denn Aergeres ist er: ein Schwärmer,
Um so gefährlicher nur, je reiner er selbst an Gemüth ist.
Grade den Bessern im Volke zerrüttet er thöricht die letzte
Männliche Kraft der Gedanken mit dunkelsinnigen Träumen.
Kein Irrwahn, so viel in Mysterien spuken und Tempeln,
Dünkt mich tiefer dem Staat in Mark und Leben zu fressen,
Frecher die wankenden Säulen der alternden Welt zu umwühlen.
Tilgt man den Eigennutz, wo nützt noch Einer dem Andern?
Nimmt man die Liebe zum Leben hinweg, wer schonet des fremden
Lebens? Wir lernen an uns, was Andere freut und verwundet.
Wer uns wider uns selbst abstumpft, der raubt uns dem Ganzen;
Denn es beruhet der Staat auf wechselsweisem Bedürfniß.
Und nun dieses Geschlecht, dem unter den Füßen der Boden
Schwindet, des Lebens Genuß sich in Hoffen und Harren verflüchtigt!
Kümmert es sie, ob künftig die nahrungsprossende Erde
Blüht wie ein lachender Garten, bestellt von fröhlichen Händen,
Oder ob Krieg sie verheert und Wasser und Pest sie verwüstet?
Ihnen gehört ein gesichertes Land, so ein anderes Wolken-
Kukuksheim, wo ewig der Friede regiert, und in ihrem
Gotte vergnügt sie dereinst von aller Bekümmerniß ausruhn.
Wie? das dulden wir länger, die heiligen Pflichten versäumend,
Die, sich selbst zu erhalten, den Staat wie den Einzelnen mahnen?
Fort mit dem Irren, der Irrsinn lehrt, und wär' er am Willen
Auch unsträflich und rein. Denn wer zum Arzte sich aufwirft,
Büß' es, sobald er ein Gift statt Balsams träuft in die Wunden.

Sprach's, das offne Gesicht von heftigem Eifer geröthet.
Aber der Kriegsmann gähnt' und der Hausherr lächelte vornehm,
Griff in das silberne Becken und haschte, die Zunge zu kühlen,
Schimmernde Stücke von Eis, die zwischen den Fingern entglitten.
Da auf einmal entschwand von seinem Gesicht das Behagen;
Denn von draußen erhob sich verworrener Schall, wie am Meerstrand
Sich von fern ankündet mit grollendem Brausen die Hochflut,
Kreischen der Vögel dazwischen und Warnungsrufe der Schiffer.
Auch der milesische Weise vernahm's. Schwerfällig vom Polster
Raffte sich Skyron auf, und der Schwelle des Gartens genähert
Horcht' er hinaus. Da sprach Castelius – nicht so geläufig
Floß ihm die Rede wie sonst: Geh, Alter, hinaus, zu erkunden,
Was uns dieses bedeute. Mir ahnt nichts Gutes. Und ruht nicht
Heute das Kybele-Fest? Vom Thurm her kommt es. Vielleicht gar
Hat der gefangene Mann sich ein Heer von Dämonen beschworen,
Ihm von hinnen zu helfen. So wären wir seiner entledigt,
Und ich denk', er vergißt mir's nicht, wie gelind' ich verfahren.
Skyron, siehst du am Himmel Gewölk?

Rein blicken die Sterne,
Sprach kaltblütig der Krieger. Es ist kein Wetter im Anzug,
Noch Erdbeben und Sturm. Ein Schwarm von betrunkenen Winzern,
Mein' ich, bedient sich des Markts bei nächtlicher Weile zum Tanzplatz,
Oder es sind wohl gar die Cohorten aus Lycien, Prätor,
Die schon lang um den Sold aufrührerisch murren und munkeln.
Wart', die will ich bedeuten. Sie kennen mich.

Und von der Erde
Hob er den Helm und das Schwert am Gehenk vom Pfosten herunter;
Waffnete sich und wiegte die nervigen Arme, dem Bären
Gleich, der am Honigbaum, dem verlassenen, ruhig geschmaus't hat
Und nun hört, wie der Schwarm zum Stock heimkehrend dahersummt,
Drohend dem Räuber entgegen; da wiegt er die zottigen Tatzen,
Schlecht von der Störung erbaut. So ließ der gewaltige Skyron
Einen bekümmerten Blick zu dem bauchigen Mischkrug gleiten,
Eh er den Thürvorhang zum Nebengemache zurückschob;
Aber es stärkte geheim ihn die Hoffnung, wiederzukehren.
Und nun blieben die Zwei in der Halle zurück, des Gespräches
Völlig vergessend, der Wirth von wachsender Sorge geängstigt,
Während der Gast an den Wänden den Schmuck der Gemälde betrachtet
Mit abwesendem Sinn; denn Unmuth trug er im Herzen.
Horch! da legt sich der Lärm, der heranschwoll. Aber von Stimmen
Wird es im Hofe lebendig, ein herrisches Dräu'n und Gebieten,
Weinen und Weibergestöhn und heftiges Bellen der Hunde.
Schon vom Lager erhebt Castelius zaudernd die Glieder,
Als sich der Vorhang theilt, und neben dem scheltenden Skyron
Wild mit fliegendem Haare Theoklia sich in die Thür drängt.
Herr, nicht läßt sie sich halten, die Rasende. Siehe nun selber,
Wie du sie zähmst, ruft Jener. Ich geh' indessen und sorge,
Daß nicht draußen am Markte das Volk uns über den Kopf wächst.
Sprach's und verschwand. Sie aber, die mitleidswertheste Mutter,
Stürzt zu des Prätors Knieen, umklammert sie schluchzend und fleht ihn:
Gieb mein Kind mir zurück, mein Kind! Eh werd' ich die Kniee
Dir nicht lassen, o Herr, eh du mir Hülfe gewährt hast!

Staunend erhob sich das Auge des Prätors, ob von den Andern
Keiner das Räthsel entwirre; da steht ihm dunkel genüber
Hinter der Schwelle der Thür die Gestalt des Kybelepriesters.
Und jetzt tritt er hervor, und die Hand ausreckend beginnt er:
Gieb ihr die Tochter zurück, doch gieb auch Sühne der Göttin,
Sühne dem zagenden Volk, Castelius! Kannst du noch schwelgen,
Während die Stadt ein Verderben bedroht, das dich mit den Andern,
Schuld'ge zusammt mit der Unschuld würgt? Auf, sag' ich noch einmal,
Wenn der Nemesis Nahn nicht schon das Gebein dir gelähmt hat!

Jener vernahm's, stirnrunzelnd. Er maß feindselig den Priester,
Dann die Matrone, die bang sein Knie mit den Armen umfaßt hielt.
Und in tiefem Verdruß der Theoklia streng sich entziehend,
Sprach er gebieterisch jetzt: Was habt ihr Beide zu klagen,
Du und das stürmische Weib? Mich dünkt, Freund Midas, genugsam
Kennen wir uns, um klug Auftritte, wie den, zu vermeiden.
Tanzt schon wieder einmal nach deiner Pfeife der Pöbel?
Und doch solltest du wissen, wie schlecht dies Mittel gewählt ist,
Mir was abzugewinnen. So sprich! Du aber indessen
Stille die Thränen, o Frau, denn widerlich ist mir das Heulen.

Nun denn, höre, begann zornfunkelnden Auges der Priester,
Höre, verblendeter Römer, und beuge die Stirn vor der Göttin.
Denn als heut' ich im Tempel das Haupt kaum hatte gebettet
Auf dem bescheidenen Lager zu Füßen des Kybelebildes,
Wie es dem Priester geziemt, da geschah urplötzlich ein Tosen,
Und auffahrend erblick' ich die Himmlische, die mit dem Fuße
Dreimal stampft, daß Säul' und Gebälk träg über mir wanken.
Furchtbar stob aus den Augen und rings um die steinerne Krone
Wetterleuchtender Schein, und zuckende Flammen entfuhren,
Da sie die Lippen erschloß, ihr roth wie der Esse des Schmiedes.
Schläfst du? braust sie mich an. Elender, du schläfst, und ein Frevler
Weilt im Ringe der Stadt, an die ich Segen verschwende?
Lästerung spricht er und jagt mir den Rauch von meinen Altären,
Weh, weh ihm! Weh euch, die den Meuterer dulden! Den Boden,
Der euch nährte so lang, ich spalt' ihn hinab in den Hades,
Daß er das schnöde Gezücht in den Abgrund schlinge, zur Warnung
Jeglichem, der sich hinfort an der großen Mutter versündigt. –
Darauf schwieg's, und die Flammen verflackerten. Wieder beruhigt
Stand der erschütterte Tempel. Auf einmal, ehe mein Herz noch
Mäßiger schlug, mit erneuertem Graun vom Zwinger der Löwen
Hört' ich Gebrüll hertönen und klagenden Ruf. Wie bewußtlos
Tast' ich mich fort an den Säulen, und sieh, kaum nah' ich der Pforte,
Als mir ein Priester begegnet, das Antlitz blutig, die Hände
Gräßlich verstümmelt und schreit: Zurück! errette dein Leben!
Denn sie wüthen umher an den Priestergemächern, sie schnauben,
Herr, nach Blut, von der Kette befreit. Wer weiß wie die alte
Wuth ausbrach; mich selber verschonten sie nicht, der sie zähmte! –
Und da blickt' ich hinaus und erschrak. Denn ich sah in des Mondes
Dämmer die heiligen Thiere in mächtigen Sprüngen das Saatland
Wild durchrennen und fern in der Ebene Schatten verschwinden!

Sprach's und verhüllte das Haupt. Kalt zuckte Castelius' Lippe.
Und er erwiederte rasch: Schon gut, wir reden ein Weitres,
Sind wir allein. Jetzt wünsch' ich die Klage der Frau zu vernehmen,
Wenn sie nicht gar, wie ich fürchte, bei dir in die Schule gegangen.

Nun erst sah sie empor die verzweifelnde Frau. Da erkennt sie
Thamyris, der vom Garten hereinkam, all des Gescheh'nen
Noch unkundig und nur vom Lärm den Gedanken entrissen.
Du hier? ruft aufstöhnend Theoklia. Sei mir ein Zeuge,
Daß ich nichts von dem Jammer verschuldete, welcher mich heimsucht.
Denn du weißt, wie ich immer mein Kind in Ehren heranzog,
Nie mein Leben verwünscht' in traurig verwittweten Tagen,
Nur um Thekla, und nun – seit er, der Verruchte, der Zaubrer
Kam und das Kind mir verdarb, wie reut' es mich, daß ich sogleich nicht
Hand an mich selber gelegt und meinem Kallimachos nachstarb!
Wir unselige Wittwen, an Wen uns halten? Das Unglück
Weiß, wie verlassen wir sind, und die Schande, wie waffen- und wehrlos,
Und sie lauern uns auf, uns Aermsten, und fallen uns endlich
Grausam an!

Zur Sache, gemahnte sie heftig der Prätor.
Kurz ist unsre Geduld, drum rede das Nöthige schleunig.
Wie dein Kind mit dem Fremden Verkehr pflog, ward mir berichtet,
Und ich warf ihn in Ketten, um ärgere Schmach zu verhüten.
Was ist Neues geschehn, was Dringendes, daß du das Haus mir
Stürmst bei nächtlicher Zeit? Wo trafst du den würdigen Priester?
Rede die Wahrheit, Frau!

Sie sprach: Wer kann dir berichten,
Wie mir war, da die Tochter sich von mir wendete? Tages
Ging ich umher, wie ein Schatten, und wand mich zu Nacht in den Kissen,
Wie ein getretener Wurm. Mein Kind zu heilen gedacht' ich,
Wenn ich sie fern und allein zur Beute den reuigen Qualen
Ließe, getrennt von Allen, die sonst sie geliebt. Wie betrog mich
Mein rathloser Verstand! ich selbst nur litt in der Trennung.
Und mir kam's, wie ich wach da lag in Kummer und Sehnsucht:
Wenn du nun aufstündst, sacht, und schlichst in die Kammer, sie schläft ja –
Ach, da könntest du recht im Verstohlenen wieder dich satt sehn!
Und so raff' ich mich auf und im Dunkeln hinan zu des Mädchens
Kammer und heimlich hinein und ans Bett, wie ein Dieb zu dem Schatze –
Herr, da schlug mich der Schreck wie mit bleiernen Fäusten zu Boden!
Leer ihr Bett und die Kammer verwaist. Kaum halt' ich in Händen
Mein ausbrechendes Herz. Wie ich Fassung gewann und hinunter
Flog, das Gesinde zusammenzuschrei'n, nicht weiß ich es selber.
Doch da wußt' auch Keines mir Rath, da betheuerten Alle,
Nichts von Thekla zu wissen, der Pförtner zumeist. Und bedarf's auch
Offener Thüren? Es trug sie der Dämon fort in die Lüfte.
Doch ich schwur, und müss' ich die Welt durchsuchen vom Aufgang
Bis an das Meer, mein Lamm dem Rachen des Wolfs zu entreißen,
Und so stürz' ich hinaus mit dem ganzen Gesinde. Da find' ich
Draußen das Menschengewühl, an der Spitze den heiligen Priester,
Wie sie dem Thurm zuströmen, darein du den Magier legtest,
Und von Kybele's Zorn und den wüthenden Löwen vernehm' ich
Schaudernd. Ich fasse dem Priester das Kleid und sag' ihm mein Elend.
Ach, er erbarmte sich mein und verhieß mir Sühne. Die Rohsten
Drängten sich klagend herzu. So kamen wir an bei dem Kerker.
Aber die Wächter beschworen, es sei kein lebendes Wesen
Bei dem Gefangnen im Thurm, und weigerten Jedem den Einlaß.
Hilf nun du es ergründen, erhabener Herr! das Gefängniß
Oeffne du uns, und ist es geleert, so hat er der Eule
Flügel mit magischer Kunst an die Schultern und Fersen geheftet,
Sich von hinnen zu schwingen und mir mein Kind zu entführen!

Da trat Demas heran; denn es lag in Gedanken der Prätor
Regungslos. Stumm harrten die Uebrigen, daß er entscheide.
Und der Milesier sprach, mit der Hand ihm die Schulter berührend:
Zaudern wir länger und hören ein abergläubisches Klagen?
Kannst du die Frau hier sehn in dem tödtlichen Zweifel und eilst nicht,
O Castelius, rasch das Gewebe des Wahns zu zerreißen?
Komm, ich beschwöre dich, Mann; sei, was sie dich heißen, der Herrscher
Dieser verworrenen Menge, die ausschweift ohne Besinnung.

Sprach's. Da stand vom Tische der Prätor auf. Wie bewußtlos
Schweift sein ängstlicher Blick; ihm folgten die Anderen alle,
Thamyris aber zuletzt, mit verfärbtem Gesicht, und ein Murmeln
Zwischen den bebenden Lippen. Sie kamen hinaus vor die Pforte.
Da war Kopf an Kopf unabsehlich ergossene Volksflut,
Hell vom Monde beschienen. Es gährte Gespräch und gedämpftes
Toben der Ungeduld ward hörbar. Unter den Winzern,
Deren die Mehrzahl war, und den Handwerksleuten und Fischern
Stand auch mancher der Reichen und Weiber sogar mit den Kindern,
Die wehklagend und schreiend das dumpfe Geräusch übertönten.
Doch als jetzt an der Pforte des hochvorragenden Hauses,
Sichtbar Allen, der Prätor erschien, ward plötzliche Stille
Unter dem Volk, und sie spähten in athemloser Erwartung.
Dessen gewahrte der Prätor. Es hob ihm den Muth. Um die Schultern
Zog er den Mantel in Falten und legt' ins Gesicht die gewohnten
Züge der Herrschergewalt, die der Wein wegspülte; nach Fackeln
Rief er, obwohl ihm der Mond die strahlende Leuchte vorantrug,
Und quer durch das Gewoge die Schritte beschleunigend blickt' er
Ueber die Häupter des Volks, wie ein Landmann, der auf dem Raine
Zwischen dem Korn hin wandelnd die nickenden Aehren betrachtet.

Jetzt zum Kerker gelangt, als eben in rasselndem Eilschritt
Skyron mit der Cohorte sich Bahn brach unter der Menge,
Hielt er, vertheilte zuerst in kleineren Haufen die Krieger,
Daß sie dem Andrang wehrten und steuerten jeder Gewaltthat,
Und trat dann zu den Wachen am Thurm, die mit drohenden Speeren
Unter dem Vordach lehnten und jetzt ehrfürchtig sie senkten.
Hinter dem Herrscher der Stadt, unfern, stand Midas, der Jüngling
Thamyris und mit der Mutter der hülfreich sorgende Demas.
Barsch zu den Wächtern begann Castelius: Redet die Wahrheit,
Fuscus, lycischer Hund, und du Macarius, hört ihr?
Nicht was irgend ein Dritter euch einblies: Habt ihr geschlafen,
Oder gewacht, wie ihr sollt? Was sahet ihr, wenn ihr gewacht habt?
Ließt ihr ein Mädchen hinein und nahmt zum Lohne Geschenk an,
Oder beschwatzt' euch gar der Gefangene? Wahrlich, geschmolzen
Sollt ihr das Gold mir trinken, den Durst für immer zu löschen.

Aber der Schuldige sprach mit dreistem Gesicht – denn im Panzer
Barg er den Spiegel zuvor: Thu uns noch Aergeres, Prätor,
Hielten wir strafbar uns und eidesvergessen. Und schmölzest
Du im Tiegel uns aus, du fändst nur ehrliches Eisen.
Frage die Juden, o Herr, die kamen bei Nacht zu dem Thurm her,
Boten uns handvoll Gold und verlangten hinein, und am Ende
Nahm ich die Lanze verkehrt und ließ nicht faul sie herumgehn.
Da erst hatten wir Ruhe. Doch weiter ereignete gar nichts.
Hättst du, Fuscus, ein Mädchen gesehn? Ei frage die Frau dort,
Ob wir die Leute danach, o Herr, um Weibergewinsel
Dienst und Pflicht zu versäumen. Sogar den erhabenen Priester
Ließen wir nicht in den Thurm. Eins aber vergaß ich. Wir sahen
Freilich ein schnurriges Ding und hörten es spuken. Auf einmal
Kam's wie ein Wirbelwind und warf uns recht wie mit Händen
Staub in die Augen. Wir standen und hatten zu thun, sie zu reiben,
Doch wir rührten uns nicht von der Thür. Da war mir, als hört' ich
Drinnen ein Tappen und Tasten und sage noch: Hörst du es, Fuscus?
's ist nicht richtig im Thurm; bleib hier, und laß mich hineinschaun,
Ob er ein Mausloch wittert und durch will, sag' ich. Indessen
Fand ich die Mauer noch fest, dann schwieg's und rührte sich nichts mehr.

Während der Schelm treuherzig sein listiges Mährchen erzählte –
Gar nicht war's ihm geheuer, er fühlt' an der Kehle den Strick schon –
Stieß er den Anderen an, der offenen Mundes dabei stand,
Nun auffuhr und Alles bekräftigte, hoch sich verschwörend.
Aber die Beiden im Kerker, der Jünger des Herrn und die Jungfrau,
Längst schon inne geworden der Volksflut unten am Thurme,
Hörten nun auch, wie der Prätor gebot, die Pforte zu öffnen,
Die in den Angeln erklang. Nun kommen sie! sagte das Mädchen,
Finden mich hier, mein Freund, und du nur wirst es entgelten.
Hörst du das Waffengeräusch und die Stimmen der Tausende draußen?
Mußt' ich darum allein durch alle Gefahr dich erreichen,
Um dein Loos zu verschlimmern! Sie morden dich, sehn sie mich bei dir.
Sprich, was sag' ich zu ihnen?

Da sah in den Ketten der Jünger
Ruhig sie an und sprach: Was ziemt dir, außer der Wahrheit?
Sieh, du verlangtest zuvor, dein heilig erneuertes Leben
Offen und laut zu bezeugen. Wohlan! dein Wille geschieht dir.
Mag dich schmähen die Welt und mit argem Blicke dich lästern,
Weil du gethan, was ihnen ein Trotz scheint wider die Sitte,
Trag' auch das, du Geliebte, zur Ehre des Herrn, und gedenke,
Daß du ein andres Gesetz, als ihres, im Busen erkannt hast.

Und sie sprach: O Meister, vergieb! schon fühl' ich den Muth mir
Kehren; ich bin bei dir und der Herr ist über uns Beiden.
Mögen sie kommen; die Welt mag sehn, dich hab' ich gefunden
Und mich selber in dir. Das raubt mir die Welt nicht wieder.

Siehe, da kam's. An der Mauer herauf schlug Helle der Fackeln,
Und die gewundenen Stufen erschollen von nahenden Schritten.
Roth in dem Schein auftauchend erschien aus der Tiefe des Thurmes
Midas hinter den Kriegern, und langsam folgte der Prätor.
Doch in Bestürzung hemmten die Vordersten hart an der Schwelle,
Thekla erkennend, den Schritt. Auflachte der Priester. Erblassend
Starrte der Prätor hinein. Sie ist bei ihm, lief es die Stufen
Flüsternd hinab und das Echo im Volk rief laut: Sie ist bei ihm!
Plötzlich ertönt ein Schrei, weit hörbar über den Markt hin,
Hörbar auch in dem Kerker, ein Angstruf, wie von der Hinde
Die ihr Junges erblickt in den blutigen Fängen des Adlers.
Mutter! hinunter zu ihr! ruft Thekla, und Alles vergessend
Stürzt sie hinweg von der Seite des Freunds. O Mutter, wo bist du?
Kommst du und suchst dein Kind? – Da schlagen die sprühenden Fackeln
Knisternd zusammen vor ihr. Es umqualmt sie die Lohe. – Zurück hier!
Herrschen die Krieger sie an. Sie steht und breitet beschwörend
Ihnen entgegen die Arme, den Ungerührten. Erschüttert
Kehrt sie sich ab und verhüllt mit den wallenden Locken ihr Antlitz.

Doch Castelius rief: Halt' ein mit dem müßigen Jammer,
Thörin, und denk' uns nicht mit der listigen Posse zu täuschen.
Hättst du die Mutter geliebt, beim Zeus, du hättest gezögert,
Ueber ihr alterndes Haupt unsäglichen Kummer zu häufen.
Doch nun sprich: Was suchtest du hier? Wer ließ in den Thurm dich
Ein zu dem Buhlen bei Nacht? Mit welcherlei Künsten bestrickt' er
Dir so tückisch den Sinn und verlockte dich her in die Schande?
Rede! doch jegliche Gnade verwirktest du, wenn du mit Lügen
Dich zu reinigen dächtest, und schimpflicher würdest du büßen.

Da entgegnete fest und hell aufblickend die Jungfrau:
Herr, mir magst du verhängen die unbarmherzigste Buße,
Aber verschone den Freund, denn schuldlos ist er an Allem.
Sieh, er kannte mich nicht und wußte von meinem Beginnen
Nichts, und ermahnte mich oft, ich sollt' ihn verlassen und heimgehn.
Doch ich blieb. Denn Worte des ewigen Lebens vernahm ich,
Werth, daß Jeder um sie den nächtlichen Schlummer sich abbricht,
Todesgefahren besteht und bitterem Tadel sich aussetzt.
Wenn ich gethan, was Jugend vielleicht und Geschlecht mir verwehrte,
Strafe mich, doch nicht kann ich bereu'n; denn es trieb mich die Stimme
Meines Erlösers zu ihm; da folgt' ich freudig und blindlings.
Ja, noch wißt ihr es nicht: zu den Seinigen darf ich gehören,
Christi Namen bekennen und all mein Leben ihm danken.
Daß ich ihn gerne befreit und der Banden entlediget hätte,
Läugn' ich nicht; er hätte die Rettung dennoch geweigert,
Wäre die Fessel ihm auch wie ein Kranz von Binsen zerrissen.
Wenn du nun willst, so strafe mich, Herr. Ich sagte die Wahrheit.

Und zu dem Priester gewandt sprach tiefnachdenklich der Prätor:
Klingt nun dies wie ersonnen? Was sagst du, Priester? Das Eine
Weiß ich, ein mächtiger Mann ist der in den Ketten, es sei nun
Daß dämonische Kraft, daß menschliche nur von ihm ausströmt.
Denn stark zieht er die Geister heran, wie der Mond die Gewässer,
Und ich scheue mich drum, vor ihm leichtsinnig zu schalten,
Wie dir's freilich erwünscht. Unseliger, daß du den Handel
Ungerufen verwirrt und den widrigen Lärmen gestiftet!
Nein, nicht reißest du weiter mich fort. In ein andres Gefängniß
Lass' ich die Jungfrau führen, und reiflicher schlicht' ich die Sache.

Laut antwortete Midas: Vergiß nicht, was ich dir sagte:
Kybele grollt, und vielleicht, derweil du reiflicher nachdenkst,
Wird sie die Rache vollziehn, und die morgende Sonne bescheint nur
Trümmer und dampfenden Schutt, wo heut sie Ikonium grüßte.
Keines Geringeren nämlich versehen sich unten die Tausend
Rings am Thurm, und säumst du mit deinem Gericht, so ereignet's
Leicht, daß nicht ein Stein auf dem anderen bleibt von dem Thurm hier,
Und – wer weiß – nicht minder vom Haus des erhabenen Prätors.

Flüsternder war das Gespräch, doch heftiger nur, die Geberden
Drohender, daß auf den Stufen die Fackelträger sich ansahn,
Während das Knattern und Knistern der harzigen Brände gehört ward.
Plötzlich ertönte die Stimme des Prätors: Laß uns zu Ende
Kommen! Ich will's, und zum letzten: Ich will's! Lös't Jenem die Ketten
Ohne Verzug und schließet das Mädchen darein, und dem Gaukler
Gebt mit der Staupe Geleit bis über Ikoniums Weichbild.
Schonet ihn nicht, doch nehmt ihn sicher und wohl in die Mitte,
Daß ihn das Volk nicht steinigt. Denn ich nur habe zu richten,
Niemand sonst! Ich wäge der Schuld und der Buße Gewicht ab! –

Rief's, doch ihm von der Seite verschwand im Fluge der Priester,
Trat in die Pforte des Thurms und redete schallend zum Volke:
Ihr ikonischen Männer, vernehmt mein Wort! Die erhabne
Kybele zürnet der Stadt, seitdem sich Weiber vermessen,
Sie zu verhöhnen und Nachts sich Lästerern beizugesellen.
Sprecht! Was sühnet die Göttin? –

Da taucht' ein Ruf in der Menge
Einzeln herauf: Ins Feuer die Lästerer! und in der Runde
Pflanzte die Stimme sich fort und brandete über den Markt hin.
Nun zu den Stufen empor rief Midas höhnend: Du hörst es,
Prätor. Das Volk ist fromm und brennt auf ein feierlich Schauspiel:
Gieb ihm, was es begehrt. – Castelius preßte die Lippen
Bebend. Er horcht' hinunter, er hört' entzügelt die Volkswuth
Toben und wog die Gefahr; und jetzt, da hämisch der Priester
Wieder die Stufen erstieg: Abscheulicher! knirscht' er, Verruchter!
Nun so thu an dem Mädchen das Gräßliche, aber den Christen
Will ich geschont, so wahr ich Richter und Herr in der Stadt bin.
Niemals lass' er hinfort in Ikoniums Mauern sich blicken,
Oder es peitscht auch ihn, statt glimpflicher Staupe, die Flamme.
Eilt und entfesselt den Mann, und führt ihn hinaus. Wir aber,
Midas, sprechen uns weiter und rechnen noch ab mit einander.

Kalt antwortete Jener: Es sei denn, wie du gesagt hast;
Ich bin immer zu finden. So möge die trutzige Dirne
Büßen; ich kühl' ein Müthchen an ihr, sie in Flammen zu stürzen,
Denn mich hat sie noch jüngst mit den Augen entflammt und der Stimme,
Daß mir die Haut loh brannte von wüthender Liebesbegierde,
Und mich dann wie ein unrein Thier von der Schwelle getrieben.
Aber dem Christen geschieht viel Aergeres, wenn er die Liebste
Hingehn sieht in den Tod, als litt' er ihn selbst. So erfüllt sich
Dir dein Wille, wie mir. Ich geh' und verkünde dem Volke,
Kybele hab' es gefallen, den Fremdling nur zu verbannen,
Aber die Tochter der Stadt in Flammen zu züchtigen heut noch.

Damit ging er hinab und sprach zu der horchenden Menge;
Und still war es im Thurm. Castelius schritt mit den Kriegern
Ueber die Schwelle der Thür und trat in das enge Gemach ein.
Bleich sah Tryphon ihn an; er aber, dem Blick sich entziehend,
Kam ihm zuvor und sprach: Fürwahr, ich schonte dich gerne,
Nazarener! Ich weiß: wie schwer du gefehlt – du verdienst nicht,
Eines gemeinen Verbrechers entehrende Strafe zu leiden.
Aber du hörst, wie sie rasen. Du hast dir die Priester verfeindet;
Sie sind stärker als ich.

Da fiel von dem Arme des Jüngers
Klirrend die Kette zu Boden und willig nahte sich Thekla,
Hob sie empor von den Steinen und küßte sie, legte den Ring sich
Selbst um das zarte Gelenk, und wartete, daß man ihn schließe.
Doch der Entfesselte sprach mit bebender Stimme: Geschehe,
Was da wolle, mit mir! Doch sprich, du Bild der Verzagtheit,
Was ward Thekla verhängt? Was harrt der verlassenen Jungfrau? –
Feuer! erbraust am Markte die tausendstimmige Antwort;
Werft sie in Flammen, die Dirne des Lästerers! Fort, in den Cirkus! –
Hörst du es? stammelt der Römer. Beim Zeus! Nicht kann ich es wenden,
Wie ich auch ungern wahrlich und nur gezwungen es dulde. –
Aber der Jünger erblaßt. Wie von plötzlichem Wahnsinn ergriffen
Flackert sein Blick und das Haar steht auf an den Schläfen. Gewaltig
Packt er mit zitternder Faust an der Brust den verstummenden Prätor,
Schüttelt ihn stark und ruft: Ohnmächtiger Wurm, an der Unschuld
Wagst du das Ungeheure zu thun? Du Mann der Verdammniß,
Widerrufe das Wort! Und braucht's ein Opfer, so schone,
Die dich nimmer gekränkt, und opfere mich, der ein Feind dir
Dünkt und die Pfade der Sünder mit offenem Wandel gekreuzt hat.

Kaum noch hat er geendet, da stürzen die wüthenden Krieger
Ueber ihn her und ergreifen die Faust, die den Prätor gefaßt hält.
Schleppt ihn hinweg! herrscht keuchend Castelius. – Schon zu den Stufen
Haben sie wild ihn gezerrt. Da sieht er sich um und das Mädchen
Trifft sein scheidender Blick. O Thekla, ruft er, so soll dir
Fülle des Lebens erblühn aus Flammen des Todes? Die Himmel
Oeffnen sich dir, und ich bleibe zurück in der Tiefe der Schmerzen?
Ewiger Gott, dein Arm ist schwer! Hilf, hilf! ich erlieg' ihm! –
Rief's; sie aber, die Hand an den Busen gedrückt mit der Kette,
Sprachlos sieht sie ihm nach, der hinter der Krümme der Mauer
Jetzt ihr entschwand, und im Abschiedsweh frohlockt ihr die Seele,
Daß sie um ihn soll dulden, für ihn in Marter und Tod gehn.


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