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Zweiter Gesang.

Längst in Ikonium wogte das Fest. Ein buntes Gewimmel
Trieb sich gehend und kommend die breiteren Gassen hinunter.
Hier mit Gesang ein Haufe von Fischern des Sees, die dem Abend
Fröhlich entgegengezecht in bescheidener Schenke der Vorstadt,
Dort ein lärmender Trupp Feldbauern, vom Weine begeistert
Und vom Glanze der Stadt, zu der viel Meilen im Umkreis
Immer das Landvolk strömte, gelockt von Kybele's Feier.
Freunde begegneten sich und tauschten, mit winkenden Händen
Grüßend, ein eiliges Wort. Dann trennte sie wieder die Woge,
Oder es schob unsanft sie ein Römersoldat an die Seite,
Oder ein Fackelträger, voran der geschlossenen Sänfte,
Drin von Sklaven getragen sich wiegt' ein behaglicher Geldmann.
Nur die geringeren Bürger verschmähten es nicht, in des Volkes
Rauschendem Strome zu schwimmen. Die Reicheren blieben zu Hause,
Und vom Söller des Dachs, auf Polstern und Teppichen ruhend,
Sahn sie hinab. Doch Sklaven und Schaffnerinnen und Mägde
Standen, die jüngeren Kinder im Arm, an den offenen Thüren,
Die sie am Tage bekränzt, und sie warteten alle des Aufzugs.
Hell wie um Mittag war's. Denn es flackerten auf den Gesimsen,
Neben die Pfosten gesteckt, an die Dächer befestiget, zahllos
Lampen und harzige Fackeln, und hoch aus Kupfergeschirren
Prasselte Pechglut auf, daß über den schimmernden Häusern
Dampf hinzog und ein röthlicher Qualm die Gestirne verhüllte.
Dunkel und schmucklos standen die jüdischen Häuser, die Pforten
Lagen im Schloß. Doch hielt nur selten ein eifriger Frommer
Ferne dem heidnischen Gräu'l sein Weib und Kind und Gesinde.

Aber am Hauptweg dorten das stattliche Haus an des Gäßleins
Ecke – warum so düster und lautlos bleibt es geschlossen?
Wohnt auch hier, wie im Nachbarhaus, ein strenger Hebräer?
Nein, an der Thür ein leichtes Gewind und ein zierlicher Rebkranz
Ehren die festliche Nacht. Doch wenige Monden zuvor erst
Ward hier Klagegesang an des Hausherrn Bahre vernommen,
Und jetzt stand in Gedanken an ihn sein Kind auf des Daches
Fläche, den Nachbardächern versteckt durch blühende Zweige,
Welche den luftigen Platz wie ein Wäldchen umschatteten. Ruhig
Hielt sie die Arme gekreuzt. Ihr war die Blüte des Busens
Eben entfaltet, die Stirn schon länger gereift von Gedanken;
Aber die herrlichste Fülle des Haars fiel über die Schläfen
Dunkel herab. So stand sie, den Mund von Schmerzen geschlossen.
Denn in der Mitte des Dachs, auf niedrige Polster gebettet
Lag vom Schlafe bezwungen ein Jüngling. Aus dem verworrnen
Haar war niedergeglitten der Kranz, schwerfälliges Athmen
Kam von den brennenden Lippen, und ihm zu Häupten die Ampel
Zeigte, vom Nachtwind schwankend, die Spuren verschütteten Weines
Auf dem gelös'ten Gewand.

Da horch, da klangen von ferne
Dunkel die Pauken heran, und ein Summen herauf von der Straße
Kündete, daß nun endlich der Zug zu den Thoren genaht sei.
Deutlicher tönten die Flöten. Und jetzt, unwillig ermuntert,
Hob sich der Schläfer vom Pfühl und dehnte sich, strich sich die letzten
Nebel des Traums von der Stirn und sah mit umdämmerten Augen
Auf in die funkelnde Nacht. Dann rief er träge: Wo bist du,
Thekla, holdeste Thörin? Umarme mich! Wahrlich da steht sie,
Stumm, als hörte sie nicht, und spielt die Gekränkte. Was ist's denn,
Daß ich ein Stündchen geschlummert? Es that mir noth. Denn ich will nicht
Thamyris heißen, wofern ich weiß, wie ich aus des Amyntas
Schenke den Weg her fand. Dort schlendert' ich aber vorüber
Nachmittags, und ich wollte zu dir. Auf einmal gewaltsam
Werd' ich von hinten gepackt, als hätten mich Mörder beschlichen.
Und schon ruf' ich: Verrath! und rüttle mich los, da schallt mir
Tolles Gelächter ins Ohr, und ich finde mich unter Bekannten.
Einspruch that ich. Was half's? Sie schleppten mich fort an den Zechtisch;
Und wer einmal dort bei dem Samier sitzt, wo es kühl ist,
Und ein Lüftchen vom See sich heraufstiehlt, feucht und gelinde,
Den lockt Eros selber so bald nicht wieder von dannen.
Komm! Was stehst du und schweigst? Ich versprach dir einmal, mit den Freunden
Nicht mehr Tags zum Weine zu gehn. Heut aber ist Festtag;
Sieh und ich wurde gezwungen, und dein Wohl klang in die Runde.
Und wie soll ich es machen, den Spott zu ertragen, die Lauge
Dieser verwünschten Gesellen, die stets mit der Zunge voran sind?

Jetzt umschlang er das Mädchen und küßte sie. Und sie erlitt es
Kalt wie ein Bild; sein Kuß entsiegelte nicht ihr die Lippen.
Doch er hielt sie im Arm und zürnte: Du bist nicht freundlich!
Wahrlich ein schicklicher Tag, so schwer mit dem Liebsten zu grollen,
Weil er den Spender der Freude, den Gott, nicht lässig geehrt hat.
Hörst du den Hall der Musik? Schon biegt in die Straße der Festzug.
Komm und laß uns die Fackeln beschaun.

So führt' er die Jungfrau
Vorn ans Marmorgeländer des Dachs, und hinübergebogen
Blickt' er hinaus in die Stadt. Sie stand in den Armen des Jünglings;
Ueber die Dächer hinweg in die nächtlichen Wolken versenkt sie
Sinnend das Auge, das Herz war fern beim Vater im Hades.

Und so gewahrte sie kaum, wie der Zug herschwoll und die Funken
Schwärmten, hinauf zu den Dächern. Betäubend verfing sich der Festlärm
Zwischen den Häusern; es bebte der Grund und die rasselnden Pauken
Schütterten droben im Garten das Laub der Granaten und Myrten.
Da sah Thekla hinab. Und die Tanzenden ließen die Blicke
Umgehn, frech an den Pforten vorbei und empor zu den Söllern.
Allen voran schritt taumelnd der oberste Kybelepriester,
Schlotternd im Purpurgewand. Ihm troff von den nackenden Armen
Blut auf der Göttin Pfad. Sein stechendes Auge begegnet
Thekla's schlanker Gestalt und dem blassen Gesicht in dem Lichtschein;
Und mit üppigem Grinsen hinauf zum Geländer sie grüßend
Schwingt er das Krummschwert hoch und jauchzt in bacchantischem Zuruf.
Da mit dringendem Ton zum Bräutigam sagte das Mädchen:

Thamyris, führe mich fort! Mich ängstet der Lärm und die Blicke.
Schwindel ergreift mein Haupt und der Dampf von den Fackeln beklemmt mich.
Siehst du den Priester? du weißt, wie sehr mir dieser verhaßt ist,
Seit er die Mutter besuchte, die kaum verwittwete. Da schon
Stellte der schändliche Mann mir nach. Nun blickt er so schamlos,
Daß mir das Blut in den Adern gerinnt. O wenn du mich lieb hast,
Komm zu der Mutter hinab!

Er aber entgegnete, lachend:
Närrchen, ich lasse dich nicht. Wie bist du so kindisch und blöde!
Weil dort einer im Zuge dich angafft, dem du gefallen,
Willst du mir auf und davon? Das wär' auch Noth, vor dem Unmann
Fliehn, der gewiß kein Jüngferchen kränkt. Nein, lache du herzhaft
Ihm in das welke Gesicht, drauf nimmer ein Bart mehr blühn will.

Sprach's und umschlang nur enger die Sträubende, Schulter an Schulter
Lehnend, und kaum mehr dämpft sie im wallenden Herzen den Aufruhr.
Fest ihr Gemüth und fester die glühenden Augen verschließend,
Hört sie von Thamyris' Worten den Schall nur. Seht mir den Hämmling!
Flüstert er, wie er den Nacken verdreht und immer heraufstiert.
Möchtest du tauschen mit mir, armseliger Buhler? Es ist nicht
Uebel, nicht wahr, so ein Schätzchen am klopfenden Busen zu halten.
Jetzt, du Betrogener, magst du vor Neid und Aerger ersticken,
Während ein Mann sein Leben genießt.

Und die spottenden Lippen
Neigte der Uebermüth'ge zum Kuß auf die Wange der Jungfrau.
Aber das Maß war voll. Aus brach der verhaltnen Empörung
Ganze Gewalt und heftig entreißt sie sich seiner Umarmung.
Und noch ahndet er nichts und verfolgt und erreicht sie von Neuem,
Wild in der Laune des Weins. Da erschallt ein Gelächter. Auf einmal
Ist ihr, als stünde sie droben für tausend Augen ein Schauspiel.
Laß mich! ruft sie entschlossen und ringt mit ihm und die Augen
Flammen ihr. Laß mich hinweg! Sie weisen auf mich mit den Fingern.
Doch ihm schäumt ein unseliger Trotz im Herzen, und herrisch
Hält er sie: Bleib! Ich befehl' es! – Da lösen sich unter dem Ringen
Ihr von der Schulter die Spangen, es fällt das Gewand und der weiße
Busen erglänzt. Auflodernd, die Brust mit den Händen bedeckend,
Stößt sie den Jüngling zurück. Er steht, wie zaubergeblendet,
Plötzlich ernüchtert und schweigt. Da nutzt sie die jähe Verwirrung,
Und vom Söller herab in die Kammer geflüchtet, verschließt sie
Hastig die Thür und bricht mit stürzenden Thränen zusammen.

Draußen verrauschte das Tosen. Sie lag auf dem steinernen Estrich
Neben den Kissen des Lagers; die kühlenden Flechten umfingen
Weich ihr Gesicht und die Stille beschwichtigte leise die Thränen.
Nur ein schluchzendes Weh durchzuckte sie. Jetzt von dem Söller
Kommt es die Stufen herab. Da bebt sie empor. Und ein Finger
Pocht, und es ruft sie ein Mund. Wohl kennt sie den Ton, und den Athem
Hält sie zurück. Und die Stimme beschwört sie: Oeffne mir, Thekla!
Laß es genug sein, Liebste! Verdien' ich es, ernstlich zu büßen,
Was ich im Scherze verbrach? Sei gut! Was dächte die Mutter,
Fände sie mich hier außen! – Er schwieg und wartete. Endlich
Rief er von Neuem: Mir reißt die Geduld, und ich rathe dir, öffne,
Oder es wird dich gereuen. Besinne dich, eh es zu spät ist! – –
Wie? Noch immer verstockt? Wahnsinnige! Wahrlich der Thor nicht
Bin ich, die Zeit zu vergeuden und hier wie ein Knabe zu winseln.
Schlimmer als Weinrausch dünkt mich der Rausch so kindischen Trotzes.
Schlaf ihn säuberlich aus und zeige dich morgen vernünftig,
Sonst – beim Zeus! – nicht soll mir hinfort ein albernes Mädchen,
Das ich leider verwöhnt, mein fröhliches Leben verbittern!

Damit hörte sie draußen den Schritt sich entfernen, die Hausthür
Gehn, und erhob nun erst vom Boden die zitternden Glieder.
Nicht mehr Zorn, noch Scham, noch Liebe gewandelt in Abscheu
Ras't' ihr feurig im Herzen. Sie stand wie gelähmt von Erinn'rung
Finsterer Todesgefahr. Mit irrender Hand wie im Traume
Strich sie das Haar von den Wangen, bewegt vom schmerzlichsten Mitleid
Mit sich selbst. Da erleichterte sich in Worten ihr Busen:

Hab' ich Ruhe für heut? Sie ist theuer erkauft! Und ein Morgen
Kommt, und endlich ein Tag, da verläßt mich die Ruhe für immer.
Sind denn Alle wie er? War nicht mein Vater ein Andrer?
Ach, und wüßt' ich das Einzige nur, ob, wenn er noch lebte,
Er mir diesen gewählt, so fügt' ich mich, dächte, verwöhnt nur
Bist du, und willst, daß Alles geschieht nach deinen Gedanken.
Doch jetzt bin ich verlassen von Einsicht, der ich vertraute;
Nur mein klagendes Herz will immer gehört und befolgt sein,
Das vor ihm sich sogleich beim ersten Begegnen zurückzog.
Und da war er doch gut und gelind und schien doch gesittet.
Aber es ahnte mir gleich, er verstelle sich nur. Nun weiß ich's.
Muß denn ich mich bezwingen, und ihm soll Alles erlaubt sein,
Mich zu beschimpfen im Volk und vor mir selbst zu erniedern?
Mutter, es bringt mich um!

Das stieß sie heraus in des Kummers
Einsam redendem Fieber. Sie trat zum Fenster. Das Gäßlein,
Das schmal unter dem Hause vorbeilief, dunkelte lautlos.
Aber vom Nachbarshaus drang hell in die Kammer herüber
Aus dem erhöhteren Fenster ein Lichtglanz und ein Gemurmel
Vieler versammelter Stimmen. Sie kannte die jüdischen Leute,
Die dort wohnten, von längst, obwohl sie keine Vertrautheit
Pflog mit ihnen. Die Mutter verbot's. Denn sie standen im Rufe
Nazarener zu sein. Oft aber am sinkenden Abend
Horchte das heidnische Mädchen, erfüllt von kindlicher Neugier,
Wenn mit ruhiger Stimme der Hausherr Wundergeschichten
Vorlas, sanft und geheimnißvoll. Ihr waren es Fabeln
Fremder und freundlicher Götter, und oftmals pries sie den Zufall,
Welcher das Haus so nah ihr gerückt und die Fenster benachbart.
Denn hier war ihr Lager zu Nacht, seitdem ihr der Vater
Starb und sie nicht mehr schlief mit beruhigten Sinnen und traumlos,
Sondern ihr Sprechen und Stöhnen im Traum vielfältig die Mutter
Aengstete. Heute vergaß sie es ganz, hinüberzulauschen;
Ach, inbrünstige Sorge verschloß ihr Sinn und Gedanken.
Da in den Streit des Gemüths, den zerrüttenden, mischt sich auf einmal
Einer erhobenen Stimme Gewalt, die, während das Murmeln
Schweigt, von drüben erklingt. Und die schmerzlichen Worte vernimmt sie:

Wovon red' ich, Geliebte? Ich kam in Freuden und bin nun
Traurig; ich kam zu Menschen und fand in Menschengewändern
Horden von Thieren und Teufeln in blinder Verworfenheit taumelnd.
Nun umstehet ihr mich und begehrt zu hören. Vermögt ihr's,
Da euch das Ohr noch bebt vom Schalle besessenen Jauchzens,
Da noch kürzlich mit Schaudern das Herz vom Gelächter Gehenna's
Wiederhallte? Und o, wie soll ich reden, und Seufzer
Drängen die Worte zurück? Ich blick' umher, und mein Auge
Sucht hier Manchen umsonst, der einst vom Quell der Erlösung
Mit uns trank. Wo sind sie? Wo ist mein Bruder Nikanor,
Den ich vor Allen geliebt, den hier vor Allen ich taufte,
Als – nun sind's vier Jahr – ich zuerst, von dem hohen Apostel
Paulus zu euch gesandt, euch stärkte den wankenden Glauben?
War's Nikanor, o sagt, den draußen ich traf in der Gasse
Unter dem Schwarme der Heiden? Sein Blick, vom Weine verwildert,
Kannte den Freund nicht mehr, und der Arm, der einst mich umfangen,
Schlang sich in heißer Begier um den üppigen Leib der Mänade.
Wart ihr Alle zu schwach, mit heiligen Banden der Liebe
Mir den Einen zu fesseln, und nimmt mich's Wunder, wie Andre
Gott abfielen, da er in die Schlinge der Götzen zurücksank?
Ist's denn möglich? Ein Stein, von Menschen geformt, er vermochte
Christi Bild zu verdrängen aus einer erkorenen Seele?
Blut von Priestern der Lüge verspritzt in erheucheltem Wahnsinn,
Wäscht es die Tropfen am Kreuz hinweg, und der Becher der Wollust
Ekelt er nicht dem Mund, der den Kelch des Lebens gekostet?
Nein, sie vergaßen ihn nicht, den Gott, an den sie geglaubet.
Wer ihn einmal erkannt, wie vergäß' er ihn je? Er vergäße
Eher die leiblichen Eltern, die ihn im Fleische gezeuget.
Aber sie wurden dem Geist abtrünnig. Des himmlischen Vaters
Denken sie jetzt mit Beben, und gleich halsstarrigen Söhnen
Flüchten sie tiefer in Schuld, hinweg vorm Auge der Wahrheit.
Und wie steht es um euch? Ihr prunkt in Feiergewändern
An Festtagen der Götzen, wo jeglichem Wiedergebornen
Trauern und Fasten geziemt und Gebet und Heiligung? Wehe!
Besser ihr ächztet annoch in Mosis Gesetz, und die Botschaft
Hätt' euch nimmer befreit, als euch zu Lüsten entzügelt.
Aber ich hör' euch reden: Wir thun nach der Sitte des Landes;
Was ist Uebles daran? – O treffliche Jünger des Heilands!
Wie? Nach der Sitte des Lands? Seid ihr nicht Bürger der neuen
Zion, des ewigen Reichs, mit dessen Krone der Heiland
Ward vom Vater gekrönt? Was schlägt euch nieder die Wimpern?
Herr, Herr, wende dich nicht von den Irrenden, die es vergaßen,
Daß du die Bande des Todes zerbrachst, nur weil du in Unschuld
Hingingst. Höret auf mich, ihr ikonischen Männer! Vernehmt mich
Frauen und Jungfraun alle! Das Wort vom Herrn ist ein Feuer,
Wie es die Hirten entzünden, die dürftigen, die an den Sümpfen
Hüten, auf daß sie die Luft im Schlaf nicht tückisch vergifte.
Denn dies Land ist ein heidnischer Sumpf und die Nebel der Sünde
Dampfen herauf und verdorren der Unschuld Mark in der Wurzel.
Ward euch nicht die Verheißung des Herrn, ihr würdet am Tage
Seines Gerichts gleich ihm von den Todten erstehn, und versammeln
Bein zu Gebein? Nun: Geist und Leib sind Eines in Zweien.
Wenn ihr den einen befleckt, so ist's ein Makel dem andern;
Wenn sich der eine vergeht, so wird's am andern gerochen.
Aber es herrsche der Geist! Weh ihm, wenn ihm zum Tyrannen
Frech sich das Fleisch aufwirft; denn was zum dienen geschaffen,
Ras't in verderblichem Grimm, sobald es der Zucht sich entledigt.
Dann im geschändeten Leib, wie wird vorm Stuhle des Richters
Kläglich die Seele bestehn! Was frommt dann Prahlen und Hoffahrt?
Nehmt ihr Purpur hinüber, die frierende Blöße zu decken?
Und wo blieb euch die Lust, die den Geist mit betrüglicher Süße
Half in die schnöde Gewalt selbstherrischer Glieder verlocken?
Sieh, es ist Alles verstiebt, wie ein Schatten verweht, wie ein Vogel
Oder ein Pfeil, und dahinter die Luft fällt eilig zusammen.
Und dann wird sich erfüllen das klagende Wort Jesaias:
»Rühme dich, Unfruchtbare, die nie geboren! Frohlocke,
Die nie Kinder empfangen!« Die Jungfrauen werden der Keuschheit
Früchte genießen und ruhen dem Herrn zu Füßen für immer.
Selig die Jungfraun, selig in unentweiheter Hülle
Ein jungfräulicher Geist! Wie ein Stern, wie ein Engel auf Erden
Wandelt er strahlend dahin und besiegt im Leben den Tod schon.
Aber es knirschen die Geister des Abgrunds, wenn sie die Nähe
Wittern der Kinder des Lichts und spritzen den Schlamm der Versuchung
Gegen die Fittige Jener, auf daß sie beschwert sie hinabziehn.
Doch die schütteln sich schaudernd und baden sich rein in der Höhe.
Also thuet auch ihr; denn die Zeit naht ihrer Erfüllung.
Sterbet der Zeit nun ab und lebt im Ewigen. Wahrlich,
Das sei ferne von mir, zu schelten die irdische Satzung
Welche den Mann zum Weibe gesellt in heiliger Ehe.
Aber die Pest ging um und die Mannheit faulte; das Laster
Herrscht und die weibliche Tugend verdarb. Wer frei sich bewahrt hat,
Will er sich Knechten vermählen? Er rette mit fester Entsagung
Seel' und Leib und weihe sie ein zur Stätte des Lebens?

So klang drüben die Rede. Der horchenden Jungfrau wallte
Stürmisch das Herz. Noch stand sie verhaltenen Athems. Da schrecken
Hastige Schritte sie auf, und es klopft an der Thür und gebietet:
Oeffne mir, Kind! Ein Lichtstrahl fällt in die Spalte des Riegels.
Seufzend verschließt sie den Laden und geht nachdenklich zu öffnen,
Denn schon hört sie von Neuem den Prediger. Doch mit der Ampel
Steht an der Schwelle die Mutter und spricht unwillig die Worte:
Sag, was soll es bedeuten, du Thörichte, daß du im Dunkeln
Sitzest, die Thüre verwahrst und gar mir den Thamyris fortschickst?
Denn mir sagt' es die Lyce. Die stand im Hof, und auf einmal
Hört sie den Bräutigam reden im Gang und bitten und schelten.
Hast du mit ihm dich erzürnt? Hier ist nicht Alles in Ordnung,
Immer verdrossener wirst du zu ihm; das wollte mir lang schon
Wenig gefallen. Du sollst was auf dich halten, ich lob' es;
Aber mit Art, daß mehr du ihn anlockst, als ihn zurückschreckst.
Zuviel Feuer und zuviel Eis ist beides vom Uebel.
Wirst du es niemals lernen? Und der – ein Mann, wie ein Tauber
Arglos, zahm und verliebt – bis der zornmüthig davonstürmt,
Muß ein Großes geschehn, ein Gefährliches. Streckt er nicht immer,
Eh er nach Haus geht Abends, den Kopf in die Thür und verschwört sich,
Daß du sein Abgott seist, ich aber die seligste Mutter?
Warum ließ er es heute? Du glühst und es zeigen die Wangen,
Daß du geweint. Was war's? Nun will ich es wissen, du Angstkind.

Aber das Mägdlein hörte mit ganz abwesenden Sinnen,
Stand in der Schwelle der Thür und sah zu Boden. Die Stimme
Drüben erklang noch immer; da sorgte sie, daß es die Mutter
Hörte, was ihr wie Geheimniß war, ihr einzig eröffnet.
Und nun sprach sie in Hast: O Mutter, ich sage dir morgen
Alles genau. Heut bin ich verstört und des Schlafes bedürftig.
Was ich Thamyris that? Ich nichts. Nur daß ich hinabging,
Als er mich bitter gekränkt, und weigerte jede Versöhnung.
Sahst du denn nicht, wie er kam, vom Gelag noch trunken, die Augen
Gläsern, und gleich um den Hals der Musarion fiel und der Lyce,
Völlig der Sinne beraubt, und weil ihm Jegliche recht war?
Mutter, und dann – wohl sah ich, er liebt und achtet mich wenig.
Sonst – wie würd' es ihm leicht, mich stets von Neuem zu kränken?
Und ich bat ihn so sehr: Thu mir's zu Liebe! – Da lacht' er.
Doch nun ist es entschieden, und mag, was wolle, geschehen,
Niemals, –

Thue mir nicht ein Gelübd, rief heftig die Mutter.
Bist du im Haupte verwirrt, Leichtsinnige, daß du wie Spielzeug
Glück und Ehre zerbrichst? Ein weises Gelübd, ich errath' es.
Mädchen zu bleiben, nicht wahr? und die sämmtlichen Männer verachten,
Damit seid ihr im Nu bei der Hand. Ich sage dir aber,
Daß du Vernunft annimmst von Erfahrenen, weil du ein Kind bist.
Was? Nur weil er ein wenig gezecht, soll Alles vorbei sein?
Nähm' das Jede so übel, wo gäb's in Ikonium Hochzeit?
Doch das kenn' ich an dir: wo andere reden, verstummst du;
Wo sie schweigen, da sprichst du gewiß; das hast du vom Vater;
Aber es stand ihm besser. Denn Anderes ziemet den Männern,
Anderes uns; wir haben uns früh in die Männer zu schicken,
Beides mit Reden und Schweigen. Ich bin nicht schlechter gefahren,
Weil ich die Zeit mir ersah, wo ein Wörtlein nicht in den Wind fiel.
Sag, was träumst du dir vor? Nicht hat's dein leiblicher Vater
Zahmer als Alle getrieben in ledigen Jahren der Jugend.
Aber ich fuhr nicht gleich so heraus und machte den Liebsten
Stutzig. Es kommt schon, dacht' ich, die Zeit. Erst muß er im Netz sein.
Goldene Regel! Es lernte sie sonst von der Mutter die Tochter
Ganz stillschweigend. Doch jetzt – wo hört auf die Henne das Küchlein?
Wahrlich, es ist kein Segen, ein allzufrühes Verlöbniß,
Eh man gelernt, nachgiebig zu sein, um besser zu herrschen.
Aber ich sagte zu mir: Wo fänd' ich erwünschteren Eidam,
Bessere Stütze für mich und meine verwaisete Tochter?
Ist er nicht schön von Gestalt und reich und freundlichen Herzens?
Nur du, wähliges Ding, hast stets am Besten zu mäkeln.
Freilich, du bist für Jeden zu gut, und wenn dich der Götter
Einer zu freien begehrte, du sähst ihm sauer und danktest.
Aber ich mag nichts hören. Es steift sich Jeder auf Worte.
Schlaf' und stehe mir auf mit klügerem Sinn und Betragen,
Denn nicht sollen die Frauen Ikoniums spotten: Sie erntet
Wie sie gesäet; was ließ sie dem Trotzkopf immer den Willen?
Nun entging ihr der Freier! – Das wär' mir ein sauberer Leumund!

Hiermit gab sie die Lampe dem schweigenden Mädchen, und halblaut
Scheltend verließ sie ihr Kind und ging hinab zu den Mägden.
Und sobald sie im Schatten verschwand, schloß Thekla die Kammer,
Trat zum Fenster zurück und öffnet' es. Aber die Nacht schwieg
Tief. Kaum dröhnte zuweilen ein Schritt in verödeter Gasse.
Denn jetzt schwärmte das Fest um die Hügel, am See, in den Häusern,
Und wer Freunden zu Nacht ein Gelag gab, erst mit dem Frühlicht
Ließ er nach Haus sie geleiten. Der Mond zog über den Dächern
Ruhig herauf und es wehte die letzten Lampen der Wind aus.
Wohl kam drüben vom Fenster der Schein, nicht aber die Stimme.
Und sie wartete bang, wie ein irrender Schiffer im Weltmeer,
Dem ein trauter Gesang landkündender Vögel erklungen,
Und dann wieder das Brausen der Flut. Nun lauscht er begierig,
Ob von Neuem der Klang ihn ermuthige; aber er schweigt ihm.
Dann wohl schilt er sein Ohr leichtgläubig, und wieder verzweifelnd
Sinkt am Steuer die Hand.

Und die Nacht bleibt still und das Mädchen
Sieht, wie der Lichtschein schwindet. Da schrickt sie zusammen und wandelt
Auf und ab in Gedanken:

Er schläft! O wer er nur sein mag?
So hat Keiner zuvor in dem jüdischen Hause geredet,
Keinen bisher verstand ich so gut. Oh! »Selig, die Jungfraun!«
Wer ihn das nur lehrte, den Mann? Wer weiß, in der Straße
Stand er und sah mich Aermste. Da jammert' ihn unseres Schicksals,
Das uns all' an die Männer verräth, und er warnte die Andern.
Warum warnt' er so spät? Was hab' ich Eignes zu retten?
Freiheit wo, sie zu hüten vor knechtischen Händen? Es ist mir
Nur untröstlicher jetzt. Man sagt mir: Geh! und die Füße
Sind mir gelähmt. –

Nun stand sie am Bett nachsinnend: Ich kann's nicht
Fassen, mich ihm zu ergeben. Ich gab ihm nie den geringsten
Theil von mir. Er aber, was hätt' er je mir gegeben?
Was denn schuldet' ich ihm? Wär's Undank, mich zu erlösen?
Vater, warum so frühe verließest du mich? Nun weilst du
Drunten im traurigen Nebel des Styx, und ich rufe vergebens.
Ach, was sagte die Stimme? die nazarenischen Todten
Sollen erstehn und die Reinen der Gottheit ruhen zu Füßen?
Wär' ich eine von ihnen! – Sie schüttelte leise die Locken:
Nein, ich will zum Vater und auf mich nehmen die lange
Nacht der unendlichen Oede, wie er that. Aber es soll mir
Nicht der arge Gedanke den Traum dort unten vergiften,
Daß ich oben im Lichte mich wegwarf! – Und an das Fenster
Trat sie noch einmal rasch und begann in die lauliche Stille:

Möge der Schlaf dich erquicken, du Edelster! Segne der Gott dich,
Dem du betest, und geb' in das Herz dir, länger zu weilen,
Nicht mir ganz zu verstummen. – Und ihr, allmächtige Götter,
Ist rein bleiben vor euch kein Frevel und wollt ihr ein Herz nicht
Strafen, das sich nur folgt und sich nur strebt zu behalten,
O so wendet der Mutter den Sinn, und lehrt sie erkennen,
Daß ich in Wahrheit muß, was ihr zu denken so hart ist.

Darauf trat sie zurück und bestieg ihr Lager. Die Lampe
Löschte sie. Schlummer und Traum umfingen mit schwebenden Flügeln
Ihr unschuldiges Haupt und kühlten die Schmerzen der Jugend.


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