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Dritter Gesang.

Als aus nebliger Frühe der Herbsttag glänzend heraufstieg,
Wie in der Mitte des Jahrs in Glut eintauchend die Landschaft,
Stand im Saal bei den Mägden die Hausfrau; und sie vertheilte
Einer das Garn zum Weben und Einer die flockige Wolle,
Aber den Uebrigen gab sie die mancherlei Werke der Nadel,
Jeder vollauf für den Tag, und schickte sie an zu der Arbeit.
Kühl war's hier in der Halle; sie lag nach Norden gewendet,
Denn sie hatte zum Speisen gedient, solange der Hausherr
Lebte. Des Tags auch fand man ihn hier in seinen Gedanken,
Oder in ernstem Gespräch mit dem und jenem Clienten,
Dem vor Gericht er ein Anwalt war; denn er konnte des Forums
Nicht sich entwöhnen, obwohl er im Rath saß unter den Vätern.
Aber sobald sie des Mahls sich ersättiget hatten am Abend,
War's ihm Freude gewesen, im Saal mit der Tochter zu wandeln
Hand in Hand. Dann sprachen sie viel und das Auge des Vaters
Strahlte von heimlichem Stolz bei den sinnigen Worten des Lieblings.
Glückliche Zeit, nun war sie dahin! Statt kluger Gespräche
Klang nun Mägdegeschwätz und das schnurrende Klappern des Webstuhls,
Aber die Hausfrau warf rings über die fleißigen Reihen
Einen zufriedenen Blick. Dann sagte sie: Richtet es Alles
Hurtig und sorgsam her, und gedenkt, euch Ehre zu machen.
Daß mir Thamyris' Mutter den Kopf nicht schüttelt am Ende,
Wenn sie den Brautschatz mustert und findet ein ärgerlich Wesen,
Flüchtig genäht, saumselig gebleicht, ungleich in der Webe.
Denn nicht hab' ich am Stoffe gegeizt. Ihr also befleißt euch!

Solches befahl dem Gesinde die Frau. Leichtblütig und arglos
Dachte sie längst nicht mehr an die heftigen Reden des Abends.
Pflegt ja der Groll auf ein liebliches Kind nicht tiefer zu nisten,
Als im Garten die Nessel dem jätenden Manne die Haut rührt.
Und sie durcheilte den Saal und freute sich heimlich, mit Küssen
Ihr schlafseliges Kind in der Helle des Tags zu ermuntern,
Als von draußen ein Lärmen den Fuß ihr hemmt' an der Schwelle,
Ein vielstimmig Geschrei. Was ist in die Leute gefahren?
Sagte die Frau. Beim Himmel, es war doch, mein' ich, des Unfugs
Gestern genug. Nie weiß das Gesindel ein Ende zu machen. –
Lautlos horchten sie Alle. Da sprach von den Mägden die Eine:

Herrin, es ist an des Nachbars Haus. Schon da ich am Morgen
Ausging, Narde zu kaufen, umgab ein Gedränge die Pforte,
Und mir begegnet der Knecht des Nathanael und ich befrag' ihn:
Warum öffnet ihr heute das Haus? Von Juden und Andern
Strömt's ja hinein. Ist drinnen ein Fest? Er aber: Die Thür ist
Offen für All' und Jeden. Du magst nur kommen, Amykle.
Denn ein Prediger, sagt' er, ist bei uns, welcher Gewalt hat,
Scharf an die Herzen zu rühren und Freund' aus Feinden zu machen.
Darum sollen ihn hören, so Viele der Saal und der Hofraum
Faßt; und Abends gedenkt er auf offenem Markte zu reden.
Willst du hinein? – Ich aber entwich, denn es stünde mir übel,
Zu Gottlosen zu gehn und die Arbeit drum zu versäumen.

Kaum war dieses gesagt, da klang ein erneuertes Toben
Laut von draußen herein, wie wenn ein wüthender Zuchtstier
Gegen die Pforte des Stalls anrennt mit den mächtigen Hörnern.
Gehe doch Eine von Euch, sprach eifrig die Frau, zu erforschen,
Was sie nur treiben. Es ist, als stünde der Feind in den Gassen.
Möchten die Götter es nur an den Neuerern ahnden, den Aufruhr,
Hader und Lärmen, womit sie die friedlichen Bürger erschrecken! –
Da sprang jede der Mägde vom Sitz auf. Aber die Herrin
Schalt: Ihr bleibt, und Amykle geht! Neugierige Dirnen,
Gilt es im Haus ein Geschäft, so habt ihr Blei in den Sohlen,
Doch gleich wachsen euch Flügel, sobald es hinaus in die Stadt geht. –
Still auf die Arbeit sahn die Gescholtenen, während die Hausfrau
Ueber die schallenden Fliesen dahinschritt ernsten Gesichtes.
Draußen indeß schwieg Alles. Die Thür am eigenen Hause
Hörten sie gehn, dann Stimmen im Flur, und jetzt in die Halle
Trat mit verwildertem Blick eilfertig ein alter Bekannter.
Doch sie erkannten ihn kaum, so waren des ehrlichen Goldschmieds
Züge verstört und das Haar umsträubt' ihm finster die Schläfen.
Grußlos legt' er ein Päckchen, in saubere Linnen gewickelt,
Auf den geglätteten Tisch; dann schleppt' er sich schwer zu dem Sessel,
Seufzt' und vergrub tiefsinnig die Stirn in die nervigen Hände.
Aber die Herrin trat mitleidig herzu, und legt' ihm
Leicht auf die Schulter die Hand. Nun, Meister Hermogenes, sprach sie,
Stürmst du uns hier in den Saal, um vor dich nieder zu brüten,
Wie ein geschlagener Mann? Du kommst von der Gasse. So sag' uns,
Welches Entsetzliche dort sich begab. Wir hörten den Lärmen.
Mühsam hältst du das Haupt. Fast denk' ich, ein gestriges Räuschlein
Dröhnet darin, und die Zunge bequemt sich schwierig zur Antwort.

Edle Theoklia, sprach, sie betrübt anblickend, der Meister,
Schilt nur, daß ich vergaß, was schicklich, und hier wie ein Bauer
Vor dir sitze. So sehr du mich stets mit Güte verwöhnt hast,
Hab' ich doch immer vor Augen den Abstand, immer die schuld'ge
Hochachtung. Denn es ehrt sich ein Jeglicher, bleibt er im Kreise
Seiner Geburt. Jetzt aber – und käm' auch selber der Prätor –
Könnt' ich um nichts in der Welt aufraffen den Leib aus der Ohnmacht.
Denn ein Grauen erlebt' ich, und oh! kein gestriges Räuschlein
Dröhnt mir im Haupt; fast wollt' ich es selbst, dann dürft' ich mir sagen:
Was du gesehn war Spuk, und der Wein warf Blasen im Hirne.
Nein, ich trollte des Wegs bei klarem Verstand, und im Gehen
Dacht' ich in mir, wie lahm jetzt Handel und Wandel dahinschleicht,
Wie sich die Menge vermehrt und immer die Güte vermindert
So an Waaren wie Menschen. Ich hatt' ein silbergetriebnes
Lämpchen im Arm. Ein ionischer Sklav, mein bester Geselle,
War erst gestern am Tag mit dem Prunkstück fertig geworden,
Und ich dachte, das Kind der Theoklia geht in die Ehe;
Sicher gebricht in der Kammer ein Ampelchen, wie es dem Brautbett
Ziemt. So komm' ich die Straße daher und sehe von fern schon
Drüben am Nachbarshause, dem jüdischen, dichtes Gedränge
Um die verschlossene Thür. Mich wundert es. Und so befrag' ich
Einen im Schwarm: Was stehet ihr hier so müßig am Werktag?
Aber es maß mich der Mann mit trutzigem Blick und versetzte:
Possen! es wird jetzt nimmer ein Werktag sein. Sie bereden
Drinnen das Ende der Welt. Bis dahin reichet der Vorrath
Von vorjährigem Korn und Wein und die Kleider am Leibe.
Ich will heim und den Webstuhl gleich zu Spähnen zerschlagen,
Daß man ein Süpplein koche. Denn unnütz wird das Gerümpel. –
Und da trat mich ein Anderer an. Hermogenes! ruft er,
Willst du dir auch, mein Bester, den Schaden besehen? Warum auch
Kommst du so spät? Du hätt'st hier löbliche Dinge vernommen.
Jetzt ward leider die Pforte der Störung wegen verschlossen.
Aber getröste dich, sagt er. Ich war im Haus und die Stickluft
Trieb mich zurück in die Gasse; den Hauptpunkt aber behielt ich:
Daß nicht Silber und Gold zu der Menschen Beseligung nutz sei,
Wein nicht oder ein Liebchen und andere Wonne der Menschheit;
Einzig ein sicherer Jesus, ein nazarenischer Halbgott.
Hast du von dem kein Bild in der Werkstatt, Meister, so wett' ich
Keinen Obolen daran, daß dir dein Handel in Flor bleibt. –
All das hör' ich erstaunt und es drehen sich mir die Gedanken,
Gleich als würd' ein Traum mir erzählt und ich hätt' ihn zu deuten.
Und es gesellt sich ein Dritter dazu und schnaubt vor Entrüstung.
Was, ihr Männer? beginnt er, ist's wahr, er bedräuet die Jungfraun,
Daß sie die Ehe verschmähn? Wer ist er, der sich herausnimmt,
Uns zu entvölkern die Stadt und die mächtigen Götter zu höhnen?
Stäupt ihn hinaus, der also das Gastrecht schändet. Er kam erst
Gestern, und heut schon will er das Unterste kehren zu oberst? –
Und mir stieg's in den Kopf; ich besann mich, daß ich den Juden
Gestern am Weg auflas; da schien er ein stiller Geselle,
Der kein Wässerlein trübt. Doch nahm mich's Wunder, am Stadtthor
Warteten sein an zwanzig der Jüdischen, Männer und Weiber,
Und ein gewaltiger Jubel erhob sich, als er daherkam.
War ich selber der Pest in die Stadt ein Führer gewesen?
Jetzo ergriff mich der Zorn. Ihr Bürger, ikonische Männer!
Rief ich, ihr steht hier müßig, indeß ein tückischer Fremdling
Weiber und Narren beschwatzt und die Jugend verführt und die Götter
Lästert? Ein Einzelner soll Macht haben die Stadt zu verheeren?
Schmach euch! Auf und hinein und die giftige Natter zertreten,
Eh sie das Gift noch weiter herumspritzt unter die Menge!
Also rief ich, ich kannte mich nicht. Da glotzten sie furchtsam,
Wichen zurück und getraute sich Keins. Doch Einer versetzte:
Meister, es ist nicht richtig. Ein Zauberer ist er, ein Dämon!
Mehrmals saß er gefangen, erzählen sie, wegen Bezaubrung
Und ist immer entwischt, und Niemand weiß, wie es zuging.
Aber ein stämmiger Bursch schrie laut und ballte die Fäuste:
Memmengeschwätz! gebt Raum! Und säß' ein Dutzend Dämonen
Unter dem Schädel des Schurken, ich schlüg' ein Loch in die Zelle,
Daß sie sich eilten, wo anders und ruhiger unterzukommen! –
Rief's, und ein Stein flog wider die Thür, ein zweiter und dritter,
Jetzt ein Hagel – ich selbst, ich warf was mir in die Hand kam.
Stets noch schwieg es im Hause. Da rannte der Wüthende selber
Gegen das Holz mit den Schultern und tobt' am Klopfer und brüllte:
Liefert den Zauberer aus! Ans Licht mit dem Judenpropheten!
Und nach riefen es Alle. Da öffnet die Thür sich auf einmal,
Und im Flur, von den Seinen umsonst am Mantel gehalten,
Zeigt sich ruhig der Fremde. Der trotzige Bursch, wie er kaum ihn
Sieht, wird weiß wie ein Tuch, schlägt zuckend umher mit den Armen,
Schreit wie ein Thier und stürzt, ein Gräuel zu schaun, in die Gasse.
Da war Jedem die Zunge gelähmt, mir aber vor Allen
Schauderte Mark und Gebein – ich stiftet' es an. Und die Augen
Senkt' ich. Allein wohl fühlt' ich die brennenden Blicke des Fremden,
Die mich suchten im Volk; mir war's, sie verkohlten das Herz mir.
Doch er sprach: Tragt diesen hinweg; Gott hat ihn geschlagen!
Also hob man ihn auf, den Bezauberten. Aber wir Andern
Schlichen uns bebend davon. Kaum schleppt' ich mich her in die Halle.
Und nun will ich nach Haus, denn ein Weniges bin ich erkräftigt;
Doch du laß dich warnen, o Frau, und mach dir mit Opfern
Sämmtliche Götter geneigt. Du wohnst der Gefahr und dem Unheil
Nah. Wo ein Dämon haus't, sind schon die Lüfte vergiftet.

Hiermit rafft' er sich auf, tiefseufzend, und neigte sich eilig
Vor der betroffenen Herrin. Es hätte die Gütige sonst wohl
Erst vom stärkenden Wein dem erschütterten Manne geboten;
Doch unheimliche Sorge befällt ihr ahnend die Seele,
Und klar taucht in ihr auf ihr spätes Gespräch mit der Tochter,
Jede Geberde des Kinds und das ängstliche Feuer der Augen.
Als nun die Hausthür klang und der Unglücksbote hinaus war,
Hörten die bangenden Mägd' in der Todtenstille des Saales,
Wie sie ein Sprüchlein sagte zur Abwehr feindlichen Zaubers;
Also gewann sie sich Muth. Und hinauf zur Kammer der Jungfrau
Ging sie die Marmorstiegen und stand an der Schwelle zu horchen.
Lautlos blieb es im Innern. Sie schläft noch!, sprach sie getröstet,
Oeffnete sacht und trat in die Thür. Am Fenstergesimse
Lehnte die liebe Gestalt, weit vor in die Gasse gebogen,
Daß sie der Pforte Geräusch nicht hört und die Schritte der Mutter.
Erst als diese den Arm ihr faßt mit bittenden Händen,
Kehrt sie sich um und erschrickt, die geängsteten Züge zu schauen
Und die Worte des Grams aus zitterndem Munde zu hören:

Kind, vom Fenster zurück! Was hast du gethan? der Bezaubrung
Botst du dich dar, unwissend, wie finstrer Gewalt du anheimfällst!
Laß dich, Aermste, bedeuten: ein Dämon redet herüber.
Weh, er wendet den Göttern das Herz ab, daß es Gespenstern
Dienstbar wird, den Lemuren und ärgeren, die es verderben.
Sieh, nun starrst du mich an. Ach, kennst du mich nicht, du geliebtes
Einziges Kind, mein Licht im schleichenden Dunkel des Alters?
O nun fühl' ich zuerst, wie viel mit dem Gatten dahinstarb,
Weil ein Weiberverstand nicht immer vermag, die erwachsnen
Kinder zum Guten zu lenken und ach, zu erretten aus Irrsal.
Aber wofern du den Vater geliebt und je von der Mutter
Liebes erfuhrst, o Kind, willfahre mir, rette dich selber,
Und wir wollen mit Opfern die hohen Olympier anflehn,
Dein unschuldig Gemüth vom heimlichen Fieber zu heilen.

Mutter, ich bin nicht krank, sprach ernsthaft lächelnd die Jungfrau;
Mutter, ich kann's nicht sagen, wie wohl mir ward. Die Gedanken
Schweben so leicht; mir ist, ich sei vom Tode genesen.
Wenn er ein Dämon wäre, so wär' er der freundlichen einer,
Die wohlwollen den Menschen. Doch sagt er, er sei ein Gesandter
Gottes, des himmlischen Herrn. Ach, wenn du selber ihn hörtest,
Dir auch würde das Herz durchzuckt von seligem Frieden,
Daß du ihn nicht mehr schmähtest und zu ihm gingst, wie die Andern,
Und ich ginge mit dir, zu des Predigers Füßen zu sitzen,
Und sein Auge zu sehn. In ihm ist Fülle der Wahrheit.

Herzlich ergriff sie die Hände der sprachlos lauschenden Mutter.
Doch mit Geberden der Angst stößt diese sie fort; aus den Augen
Stürzen ihr plötzliche Thränen, sie strebt zur Thür und es hält sie
Wieder das Mitleid fest, und Zorn und Jammer bestürmt sie.
Nahe mir nicht, Unsel'ge! bedroht sie die staunende Tochter.
Thust du die Scham schon ab und bekennst dich frei zu dem Fremden,
Trachtest sogar, mich rechtliche Frau zu verlocken ins Elend?
Weh, weh über mein Haupt, weh über die thörichte Liebe,
Die vom eigenen Blut so schmählichen Undank erntet!
Darum zog ich dich auf in der heiligen Stille des Hauses,
Lehrte dich opfern und beten und fromm sein, daß du auf einmal
Jegliche Wurzel der Zucht vom Grunde der Brust ausjätest?
Höret es nicht, ihr Götter; vergieb ihr, Mutter der Dinge;
Lehrt auch mich, es vergessen! – Und wieder in Hast zu der Tochter
Tretend, noch einmal bat sie mit rastlos strömenden Thränen:
Komm vom Fenster zurück, o komm in den Garten hinunter:
Daß dich heile die Luft und das irre Geblüt sich verkühle!
Was wird Thamyris sagen, erfährt er es, welche Verblendung
Dich dir selber entreißt, und ganz uns Allen entfremdet?!

Also beschwor sie die Frau. Da sagte das traurige Mädchen:
Mutter, mein Herzblut gäb' ich dahin, dir Kummer zu sparen,
Und doch muß ich es sagen, ich muß, so hart es mich ankommt:
Nie als Tochter begrüßt mich Thamyris' Mutter in Zukunft.
Denn was Leib und Leben an mir, das eignet den Eltern,
Und gern opfr' ich es auf. Doch mein ist ewig die Seele,
Mir von höheren Mächten vertraut, sie nicht zu entehren
Mit unwürdiger Lüge, dem Ungeliebten zur Seite,
Sondern in Wohl und Wehe der inneren Stimme gehorch' ich,
Die nur schlief in der Brust, bis drüben der Ruf sie erweckte.
Ja, längst wußt' ich es auch: was nicht aus ganzem Vertrauen,
Nicht hingebend geschieht, ist Frevel an uns und der Gottheit.
Ach was haben wir mehr als unsere Seele zu eigen?
Was in Tagen des Schreckens verknüpft uns noch mit dem Leben,
Als ein entschlossenes Herz, das nie sich selber im Stich ließ?
Und so wär' es Verrath am meinigen, wollt' ich es liefern
In des Mannes Gewalt, der nie sein eignes beherrschte.
Siehe, du darfst nicht weinen. Ich will dein bleiben. Du hättst mich
Doch an den Gatten verloren, und liebst du mich irgend, du segnest
Einst dies Wundergeschick, vor dem du jetzo zurückbebst.

Doch mit zärtlicher Worte Gewalt und trauter Umarmung
Hielt sie die Sträubende nicht. Die wandte das Haupt wie in Abscheu,
Wie man Hauch der Verpesteten flieht, und laut aufweinend
Winkt sie die Tochter zurück und reißt sich hinweg und verläßt sie.

Aber die Botschaft sandte Theoklia eilends dem Jüngling:
Komm, denn deiner bedarf ich! – Er kam leichtherzig und dachte:
Eilt es der Frau mit der Hochzeit jetzt? Wohl wär' es das Klügste.
Doch sie schluchzt' ihm entgegen und rief: Ach, kommst du Getreuer?
Kommst du zu mir, mitleidiges Herz? Ist irgend zu helfen,
Du nur kannst es allein! – Und dem Staunenden sagte sie Alles,
Oft vom Weinen gehemmt, soviel sie wußte vom Goldschmied.
Alter Geschichten besann sich die Frau von der Magier Tücken,
Von thessalischen Hexen und Lamien und wie der Vampyr
Erst im vergangenen Jahre zu Nacht ein Knäblein erwürgte.
Wenig geduldig vernahm dies Thamyris. Als sie nun endlich,
Scheu am Gesicht ihm hangend, das Aergste bekennt und die Tochter
Schaudernd verklagt, da brauset er auf und zernagt sich die Lippe,
Und roth läuft in den Augen das Weiß ihm an vor Erbittrung.
Hätt' ich den Hund zur Stelle, so schäumt er heraus, ich bedient' ihn,
Daß er es ewig gedächte. Ein Magier wäre der Gaudieb?
Mußt du dem Volk auch gleich nachplappern die helle Verrücktheit?
Wahrlich, es braucht viel magische Kunst, um ein Mädchen zu fangen,
Wenn man ein Maulheld ist, und gelernt hat, Worte zu drechseln.
Doch das hab' ich verschmäht – nun rümpft sie die Nase, die Jungfer
Weisheit. Freilich, es war mir die staubige Schule zuwider,
Wo engbrüstigen Schwätzern das Mark im Leibe vertrocknet.
Niemals hatt' ich es Grund zu bereu'n, auch heute fürwahr nicht.
Ist's nicht diese, so sind zehn Andere, die sich die Augen
Längst ausschmachten nach mir. Nun will ich hinauf zu der Närrin;
Nicht als dächt' ich daran, was heillos wurde, zu heilen;
Nein, ich gönne sie herzlich dem nazarenischen Gaukler,
Welcher des Kleinods werth, das wir nicht wußten zu schätzen!

Hiermit stürmt' er hinaus. Da brach die verlassene Mutter
Bitterlich stöhnend zusammen; es warteten ihrer die Mägde.
Aber die Jungfrau hörte den Wüthenden nah'n und erhob sich
Ihm entgegen, gefaßt; und wie er herein in die Thür trat,
Stutzt' er und fand nicht Worte, den kochenden Grimm zu entladen.
Doch sie sprach aufblickend zu ihm mit sicherer Hoheit:
Thamyris, gehn wir nicht in gehässigem Zank auseinander.
Leidvoll lös' ich das Band, das ich nicht knüpfte; vergieb mir!
Wir sind nicht für einander, auch du wärst's inne geworden.
Laß mich deiner hinfort in freundlicher Stille gedenken,
Wie man gütiger Menschen gedenkt, die großes Geschenk uns
Boten, allein wir wehrten es ab; denn freie Gemüther
Drückt es, ein Gut zu empfangen und nicht vollauf zu vergelten.
Fahre du wohl, und mögen dich glückliche Sterne geleiten!

Mache das Maß nur voll und verhöhne mich! ras'te der Jüngling.
Meinst du, ich sei wie ein Knabe mit glimpflichen Reden zu kirren,
Wenn mich ein Unglimpf traf? dein heuchlerisch Wesen veracht' ich.
Du hochmüthige Thörin, wie gar armselig versteckst du
Hinter gelassene Worte die zügellosen Begierden.
Dir galt immer für schlecht und gemein, was Andern erwünscht war.
Freue dich nun, denn es fand sich ein Unerhörtes und Neues,
Ein Landstreicher für dich, ein nazarenischer Bettler.
Aber ein Glück, daß Thamyris nie nach deinem Geschmack war,
Denn jetzt wär' es ein Schimpf; ich will nicht länger im Weg sein.
Eins nur wisse zuvor: Nicht ohn' ein Zeichen des Dankes
Geht von hinnen der Mann, der so mir die Augen geöffnet;
Nein, zum letzten Obolen bezahl' ich es, was ich ihm schulde.

Rief's mit funkelnden Augen und stieß an den Boden die Sohle,
Wie man ein widrig Gewürm sich eilt mit dem Fuß zu vernichten.
Und so rannt' er hinaus und hinab und trat in die Gasse.
Draußen, genüber dem Haus des Nathanael, standen die Leute,
Unter einander vertieft in die Wundergerüchte des Morgens.
Und sie wiesen sich bange den Jüngling, der wie ein Irrer
An der verschlossenen Pforte den schallenden Klopfer bewegte.
Auf ging endlich die Thür. Und ein Fremder erschien an der Schwelle,
Stattlich, in griechischem Kleid. Blind wollte der glühende Jüngling
Ihm vorüber ins Haus, da hielt ihn Jener am Arme.
Thamyris, rief er ihn an, du hier? – Nun sah ihn der Andre,
Und er erkannte den Freund, den Milesier, welcher ihn gestern,
Als er im Zorn heimkehrte, zu Haus bei den Eltern erwartet.
Rasch zog dieser die Thür ins Schloß und sagte mit Lächeln:
Hab' ich umsonst doch einst in Milet in die Schule der Weisheit
Oft dich geladen, und heut in die Schule der Thorheit stürmst du,
Solcher Begeisterung voll, mein Thamyris, daß du den Gastfreund
Lässest und sagst, dich rufe die Braut? da nutzt' ich die Muße,
Ging, mir die Stadt zu besehn, und gerieth hieher, und im Volke
Hört' ich erstaunliche Dinge von Spuk und Zauber verlauten.
Neugier sitzt Philosophen im Blut. Ich schaffe mir Einlaß –
Und wen find' ich im Haus? Wer spukt in den ehrlichen Köpfen
Dieses vergnüglichen Volks? Mein gestriger Reisegefährte,
Jener, von dem ich dir sagte. Fürwahr, nicht völlig geheuer
Schien mir's unter dem Schädel des Trefflichen. Aber ich ahnte
Nicht die verderbliche Macht, die hundert verworrene Geister
Fortreißt. Laß uns dieses an anderem Orte bedenken,
Denn es vertreibt mich die Glut, die den Athem beklemmt in der Halle,
Während den Geist unheimlich die Predigt des Eiferers einschnürt.

Halte mich Keiner zurück! rief Thamyris. Wenn du ein Freund bist,
Demas, kehre mit um, und hilf mir, jenen Verruchten
Züchtigen, der mir das Mädchen berückt und die Ehe zerstört hat.
Oh, es erwürgt mich die Wuth! Was willst du mich halten? Ein Hund ist's,
Dem Fußtritte gebühren! –

Besinne dich! warnte der Grieche.
Freund, du schäumst wie im Fieber. Und krümmtest du Jenem ein Haar nur,
Traun, in Stücke gerissen verblutetest du in der Gasse.
Denn wie am Quell ein Verdurstender hängt, so hängen sie an ihm.
Komm! – und er zog ihn hinweg – dies ist wahrhaftig der Ort nicht,
Daß du den Grimm austobst und die Luft mit Flüchen erschütterst.
Sage mir Alles im Geh'n, und hast du irgend gewicht'ge
Ursach wider den Fremden, – ich helfe dir, ihn zu verklagen;
Denn böswillig eracht' ich ihn nicht, wohl aber gefährlich.
Mir auch wallte das Herz von heftigem Unmuth über
Während der finsteren Rede des nazarenischen Schwärmers.
Was, seit Menschen gelebt, noch einzig der Mühe des Lebens
Werth schien, edler Genuß und die herzliche Freude der Sinne,
Das zu verachten, ist toll, sich deß zu schämen, ein Wahnsinn.
Blas't nur wacker den Staub von den luftigen Schwingen der Seele,
Bis sie, ein Wurm wie die andern, mit nackenden Flügeln am Boden
Hinkriecht, frierend und grau und der Demuth freilich beflissen.
Wahrlich, ein frommes Geschäft, den Menschen die wenige Freude
An sich selbst zu verderben, den Ursprung jeglicher Gutthat.
Doch nur zu, und das Leben versäumt in blöder Erwartung
Künftiger himmlischer Tage, die euch ein Träumer verbriefte,
Statt von Herzen die Frucht der beweglichen Stunde zu kosten,
Die in den Schooß euch fällt, und das Künftige nicht zu bedenken!
Und was heißt ihm, erstehn vom Tod? Als würden wir Alle
Nicht, wir Lebenden schon, in blühenden Kindern erneuert.
Zwar das ist zu gemein, alltägliche Wonne verführt nicht.
Nein, ein Mährchen gesponnen und tapfer geglaubt und im Nothfall
Sich drauf kreuzigen lassen. Sie dünken sich wunder wie edel,
Wenn sie gen Himmel gestarrt und drüber die Hälse gebrochen.

Während er so mit dem eigenen Zorn den Knirschenden zähmte,
Führt' er ihn fort vom Haus des Nathanael, und sie verschwanden
Bald in entlegenen Straßen dem scheu nachblickenden Volke.


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