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Fünfter Gesang.

Als nun unten im Haus kein Laut mehr wachte des Lebens,
Ging sie auf schwebenden Sohlen hinab. Da fand sie den Sklaven
Neben die Pforte gestreckt, laut athmend im Schlaf. Von dem Hof her
Weht' es erquicklich herein von der Kühle des rauschenden Brunnens.
Sanft an der Schulter ergriff sie den lycischen Mann und erweckt' ihn,
Bückte sich nieder zu ihm und schloß ihm den Mund mit der Linken.
»Still, mein braver Olympas, und hör' erst, ehe du Lärm machst.
Siehe doch, Thekla bin ich und komme zu dir, denn ich weiß ja,
Daß du verschwiegen und treu und gern mir zu dienen bereit bist.
Oeffne das Haus! Mich ruft ein Geschäft. Nur wenige Straßen
Geh' ich und kehre zurück und poche dir leise von außen.«

Stumm sah Jener sie an, schlaftrunkenen Auges. Da sprach sie
Dringender: Hier die Perle, mein Freund, ich will sie dir schenken.
Lang wohl trug ich sie selber; sie ist mir jetzo verleidet.
Nimm sie, verkaufe sie, Lieber, und tausche dir anderen Schmuck ein,
Den du der Glauke schenkest, dem Schwesterchen, das du so lieb hast.

Und sie ließ in die Hand des Ermunterten gleiten die Perle.
Aber der Sklav sprang auf und rieb sich die Augen und sagte:
Herrin, ich will nichts nehmen, und wahrlich, es stünde mir übel,
Doch dir thät' ich das Schwerste zu Lieb. So hab ich's geschworen
Damals, als ich den Herrn um die neunzig Drachmen betrogen,
Ich nichtswürdiger Tropf, und du batest mich los von der Peitsche;
Da bei Kybele schwor ich, dir stets wie ein Hund zu gehorchen,
Heischtest du auch, ich sollte mein eigenes Fleisch vom Gebein mir
Schneiden und wieder verschlingen, und was noch Aergeres denkbar.
Also nimm nur die Perle zurück. Laß aber Olympas
Erst dich warnen, obwohl er ein Sklav, du aber die Herrschaft.
Denn sie sagten mir heut, du seist vom Zauber befallen,
Und ich lachte dazu und schalt sie Narren und Lügner,
Weil du geweiht mir immer erschienst, wie der Himmlischen eine.
Doch nun willst du hinaus so spät und meidest das Lager,
Wie wohl Fiebernde sonst im Mondschein irren und umgehn?
Hätten sie wahr mir erzählt? O kehre zurück in die Kammer,
Eh du der Nacht dich vertraust, die mit Dämonen im Bund ist!

Freund, sprach leise das Mädchen, es täuscht sie ein Wahn, die von Thekla
Solches gesagt. Fürwahr, ich gehe mit ruhiger Seele,
Nicht vom Fieber gejagt und nicht durch Zauber verleitet.
Glaubst du, ich wagte zu gehn, wenn noch so heimlich ein Vorwurf
Mich abmahnt' in der Brust? Nein, öffne mir ohne Bedenken.

Nicht mehr säumte der Sklav; und die Nachtluft drang in die Pforte.
Eilig verhüllte das Mädchen ihr Haupt und den Korb mit den Früchten,
Und nun schritt sie hinaus in die schlafenden Gassen und hielt sich
Immer im Schatten der Häuser. Es klopfte das Herz in der Brust ihr
Stürmisch und zwang sie, stille zu stehn, um Athem zu schöpfen,
Bis ihr fester Entschluß von neuem den Fuß ihr beflügelt.
Rings umgab sie der Duft, der über den säuselnden Gärten
Aufstieg, würzig und schwül, und nicht durchfeuchtet vom Nachtthau.
Nirgend ein Ton in der Runde. Nur manchmal wimmert' ein Kindlein,
Und sanft tönte die Stimme der Wärterin, die es in Schlaf sang
Mit eintönigem Lied. Doch als schon über den Häusern
Schwarz der Gefängnißthurm aufragte mit hoher Bekrönung,
Sieh, was wälzt sich heran? was kommt ihr dunkel entgegen?
Viele Gestalten, ein hastiger Zug. Rasch birgt sich die Jungfrau
Hinter dem nächsten Portal und horcht mit schwindelndem Haupte.
Denn es durchfährt ihr den Sinn: Wie? wenn es der Henker des Midas
Wäre, mit seinen Gesellen, und er – zu heimlichem Tode
Würd' er geschleppt in der Nacht und Rettung wäre vergebens! –
Doch es betrog sie die Angst. Jetzt nahen sie, Männer und Weiber,
Ueber die Breite der Straße zerstreut; ein Schluchzen vernimmt sie
Unter den Schleiern der Weiber und traurige flüsternde Stimmen;
Doch still wandeln die Männer mit hoffnungslosen Gesichtern.
Einen erkennt sie alsbald, Nathanael. Neben dem Vater
Geht sein Knab'. Sie erkennt auch ihn und die Mutter des Marcus,
Doch sie selber gewahrt, die Umschattete, Keiner von Allen,
Und bald sind in der Ferne die fliehenden Schritte verklungen.

Jetzt tritt Thekla hervor, kaum tragen sie fürder die Kniee.
Denn kein Zweifel, sie kamen von ihm, sie hatten die letzten
Abschiedsgrüße getauscht und gingen nun, ihn zu beweinen.
Fliegend erreicht sie den Thurm, der halb in die Breite der Gasse
Vortritt und sie verengt mit dunkler gewaltiger Rundung.
Die umging sie und stand am Ziel. Denn es breitete vor ihr
Weit sich der Marktplatz aus, im Geviert von Hallen umgeben,
Drüben des Prätors Haus und der Tempel des Zeus; an den Säulen
Spielten die Strahlen des Monds und es schimmerten silbern die Giebel.
Aber am Thurm ganz nahe gewahrte sie unter dem Vordach
Einen in Waffen und Wehr, das Haupt auf die Schwelle gebettet,
Ueber die Stufen im Schlaf ausstreckend die riesigen Glieder.
Und sein wacher Gesell, wie ein beißiger Hund an der Kette
Hin und her in der Nacht mit lebendigen Ohren herumhorcht,
Ging er das steinerne Pflaster hinab und hinauf an der Pforte;
Halblaut summt' er ein Liedchen und pochte den Takt mit der Lanze,
Gähnte dazwischen und kraute den Bart. Noch zauderte Thekla,
Stand im Schatten des Thurms und hörte den grimmigen Wächter
Klirren und den an der Schwelle, den Schlafenden, lachen im Traume.
Doch jetzt faßt sie sich Muth und die Bahn des Gefürchteten kreuzend
Tritt sie ihn an. Er stutzt, und streckt die gewichtige Lanze
Lang ihr entgegen und ruft: Zurück, du besessene Dirne!
Kommt sie mir wieder daher und will hier winseln und betteln?
Wie die Bremsen ein Pferd, umlagern mich diese Hebräer.
Fort von dem Thurme! Du weißt, hier sind nur Schläge zu holen,
Wenn du auch noch so lang mir den Rock zerrst! Schickt dich der Vater,
Ob ich geschmeidiger wäre, sobald sein Mädel allein kommt?
Nein, wir kennen den Dienst. Und ich sage dir, weckst du den Andern,
Der ist schlimmer als ich und schleppte dich gleich vor den Prätor,
Und dir würde geschehn, Nachtläuferin, wie dir gebührte.

Drohend erhob er den Speer. Da sprach das Mädchen: Du irrst dich;
Nicht zu Jenen gehör' ich, die kaum erst von dir gegangen,
Und nicht siehst du mich weinen; doch wag' ich es freilich zu bitten.
Gern mit Früchten erquickt' ich den Mann dort oben im Thurme,
Ach, mit den letzten vielleicht, denn niemals wird er begnadigt.
Und mich jammert er herzlich; er hat mir Gutes erwiesen,
Ob ich auch fremd ihm war. Ungerne versäumt' ich zu danken.
Dir, Freund, will ich den Dienst, so gut ich es habe, vergelten.
Siehe den silbernen Spiegel; er ist von gediegener Arbeit.
Nimm ihn, Guter, und laß mich hinein zu dem armen Gefangnen,
Wär' es ein Stündlein nur; ich schwöre dir, ewig zu schweigen.

Und sie hielt mit der Hand ihm das Kleinod bittend entgegen.
Schmunzelnd beschaut' es der Mann, dann nickt' er vertraulich und winkt' ihr,
Ihm in den Schatten zu folgen. Man sieht uns, sagt' er, im Mondschein.
Jetzt erst nahm er den Spiegel und wog ihn schlau und versteckt' ihn
Unter dem ledernen Panzer. Er rieb sich die Fäuste zufrieden,
Klopfte dem Mädchen den Arm und brummt': Ein wenig Geduld nur,
Kind! du weißt was schicklich und fängst mir die Sache gescheit an.
Aber das Judengesindel, das alberne! daß ich ein Narr wär',
Dreißigen oder darüber so kitzliche Dienste zu leisten;
Denn ich wage den Hals. Doch sei's drum, dir zu Gefallen.
Freilich, sie boten mir mehr, und es war ein Reicher darunter,
Ein Bithynier schien's, denn er gurgelte tief in der Kehle.
Schätze verhieß mir der Narr. Was helfen sie, wenn es herauskommt,
Und ich werde gehenkt? Da jagt' ich sie Alle von dannen.
Du wirst schweigen, mein Hühnchen. Es plaudert ein Jüngferchen schwerlich,
Das bei heimlicher Nacht in eignen Geschäften von Haus war.
Komm, ich schließe dir auf; dann steige mir über den Andern
Achtsam weg; der schläft und erwacht nicht eher, verhoff' ich,
Als du wieder gegangen. Doch halt, noch Eines bedenk' ich.
Sieh, im vorigen Herbst, da hieb mir ein Lyder im Trunke
Ueber die Hand mit dem Dolch; hui! flog mein Daumen zum Kukkuk.
Da er ein Zauberer ist, dein Liebster, so magst du ihm sagen,
Daß er gelegentlich, hörst du, die Hand mir wieder zurecht hext;
Denn ein Dienst ist des anderen werth. Nun sachte! Da sind wir!
So! jetzt gehe nur dreist! hier hast du den Schlüssel; du findst dich
Selber das Treppchen hinauf und zweimal schließest du oben.
Seid fein stille zusammen, das bitt' ich mir aus, und sobald ich
Dreimal gegen das Pflaster den Speer aufstoße, so kommst du,
Wo dein Leben dir lieb; vor Tag wird Posten gewechselt.

Damit drängt' er das Mädchen hinein, nachdem er den Riegel
Sacht bei Seite geschoben, und klirrend die Thür sich geöffnet.
Unwirsch zuckte der Schläfer und schlug in die Luft mit der Rechten,
Fluchend, und schlief von Neuem. Der Andere lacht' in die Zähne,
Winkte noch einmal hinein in die finstere Thür und verschloß sie.
Auf und ab nun wieder erklang auf den Platten der Fußtritt,
Und sie hörte von drinnen den Sang und die Stöße der Lanze.
Da umschauderte sie unheimliche Kühle; den Mantel
Schlägt sie vom Haupte zurück und faltet ihn fest um den Busen
Und hebt spähend die Augen. Herab die verfallenen Stufen
Gleitet ein Schimmer des Monds und verglimmt in der Tiefe der Mauern.
Langsam steigt sie hinauf, mit tastenden Händen der Krümmung
Folgend, und ruht an der Lücke der Wand, durch die sie den Marktplatz
Sieht und die freiere Luft einsaugt, die spärlich hereindringt.
Ihm so nah – wie schlägt ihr das Herz! Von allen Gedanken,
Welche sie zu ihm geführt, entsinnt sie sich keines, und der nur
Regt sich in ihr: Nun wirst du ihn sehn! Was sollst du ihm sagen?
Und so erreicht sie glühend die oberste Stufe, das Schloß nur
Scheidet sie noch von dem Freund, schon dreht sie den rostigen Schlüssel,
Und auf thut sich die Thür und sie steht an der Schwelle des Kerkers.

Hell war's drinnen. Ein Fenster, verwahrt mit eisernem Gitter,
Ließ in das enge Gemach einströmen die Welle des Mondlichts.
Hier auf niedriger Schütte von Stroh lag Tryphon. Verwundert
Stützt er sich auf, da plötzlich die fremde Gestalt in die Pforte
Tritt mit scheuer Geberde, das Haupt entschleiert, die Stirne
Tief von den Locken verhängt. Ein Traumbild meint er zu schauen.
Und sie steht und betrachtet ihn lang, in Zweifeln verstummend,
Ob er es sei. Das war ihr Helios nimmer, der Lichtgott,
Welcher auf flammendem Wagen dahinfuhr und mit den Locken
Weit durchstrahlte den Aether. Und doch, da jetzt sie die Augen
Trafen mit stiller Gewalt und staunend die ihrigen grüßten,
Wußte sie, daß er es war, noch eh er die Lippen geöffnet,
Und die Stimme sie traf, die dem horchenden Ohr vertraut war:

Kommt mir ein Bote des Himmels in Nacht und Kerker gesendet,
Mich zu mahnen, zu retten, hinaus ins Freie zu führen,
Oder ein anderes Werk mir aufzuerlegen zur Ehre
Und im Dienste des Herrn? O holdes Gesicht, wer bist du?
Sprich, auf daß ich den Saum des Gewands dir küssend berühre,
Wenn du aus himmlischen Höhen herabstiegst. Aber dafern du
Sterblichen Eltern entsprangst, was führte dich her, dem Gefangnen
Freundlich zu nahn in der Nacht? Nie bin ich zuvor dir begegnet.

Und mit schüchternem Ton antwortete zögernd die Jungfrau:
Nicht ein Bote des Himmels in Nacht und Kerker gesendet
Bin ich. Du sahst mich nie, ich habe dich nimmer gesehen;
Aber ich hörte dich wohl; kein Wort von allen verlor ich,
Und ich dank' es dem Herrn, daß mir zu lauschen vergönnt war.
Denn nah wohn' ich dem Haus des Nathanael. Ueber die Gasse
Drang dein Wort mir ins Fenster und traf mich im innersten Herzen.
Ach, gern wär' ich gekommen; es hielt mich leider die Mutter
Und vor den Leuten die Scheu, die längst mich bitter gereut hat.
Hätt' ich dich früher gewarnt, du wärst nicht hier im Gefängniß,
Nicht mit Tode bedroht; denn ich kenne sie, deine Verfolger,
Weiß, wie mächtig sie sind, wie erbarmungslos sie dich hassen.
Aber sobald ich erfuhr, du liegest gefangen, beschloß ich,
Mein unseliges Zagen, so gut ich vermöchte, zu sühnen.
Und nun sieh, hier bin ich, und der so weit mich geführt hat
Frei durch Wachen und Riegel, der Heiland hilft es vollenden.
Nur Ein Hüter des Thurms ist wach. Ihn hab' ich gewonnen.
Kehr' ich zurück, so schließt er mir auf. Du aber im Dunkeln
Folgst mir die Stufen hinab, und sobald er den Riegel hinweg schiebt,
Bist du zur Hand, trittst vor, und die Thür aufstoßend, entspringst du
Flüchtig hinaus in die Nacht, die mit rettendem Schatten dich aufnimmt.
Oder wir tauschen den Mantel, und dicht ums Haupt ihn gefaltet
Gehst du allein von dannen und fliehst in den sicheren Bergwald.
Sprich, was wähltest du lieber? – Du scheinst unschlüssig – du lächelst?
Weigre mir's nicht und verachte die nahende Todesgefahr nicht!
Sieh hier hab' ich im Körbchen des Weins ein wenig, zur Flucht dich
Und zur Reise zu stärken, und weil's an Gelde mir mangelt,
Findest du zwischen den Früchten Geschmeid' und Perlen verborgen,
Daß nicht irgend die Noth dich ereilt auf flüchtiger Wandrung.
Glückliche, denen du nahst, in deren umnachtetes Leben
Du, wie in meines, die Sterne der hohen Verkündigung aussä'st!
Mir, mir leuchten sie fort, wohl fühl' ich es. Dennoch verzagend
Seh' ich dich von mir ziehen und weiß nicht, wie ich es trage.
Aber ein selbstischer Trieb ist Frevel; es drängt uns die Stunde,
Und was sonst mir im Innern zu dir hinbangte, bedürftig,
Daß du mit heiligen Worten es schlichtetest, Alles verstummt nun
Vor dem Einen: entflieh und rette dich, eh es zu spät ist!

Sprach's, und näher zu ihm, von den eigenen Worten ermuthigt,
Trat sie heran und stellte den Korb ihm bittend zu Füßen.
Immer noch schwieg der Gefangne; doch jetzt vom niedrigen Lager
Richtet' er halb sich empor – da klirrt' am Steine die Kette.
Hörst du sie? sprach er mit Lächeln. Sie giebt statt meiner dir Antwort.
Alles bedachtest du klug, hochherziges Mädchen, die Wege
Bahntest du, aber der Fuß ist unfrei, sie zu betreten.
Doch was sag' ich, der Fuß! Und streiftest du leicht mit den Händen
Mir vom Knöchel den Ring, wie die vielgegliederte Spange,
Welche den Arm dir schmückt, doch bliebe der Fuß mir gefesselt.
Wohin sollt' ich ihn tragen, dahin nicht immer der Vorwurf
Mir nachfolgte: du gingst, und die dich rettete, leidet!
Nein, gönnt ferner der Herr mir der Freiheit Lüfte zu athmen,
Wird er mich anders erlösen. Und ziemt mir's, seinem Gesandten,
So wie ein Räuber zu Nacht ausbricht, den ein blutig Gewissen
Jagt und ein Traum vom Henker, zu fliehn vor menschlichen Richtern?
Sieh, hier schlief ich getrost, da du kamst. So schlummere du auch,
Wenn du nach Hause gekehrt, und Gott wird wachen und retten.
Doch erst höre den Dank, den dein großmüthig Erbieten,
Deiner Erscheinung Trost aus Tiefen der Brust mir emportreibt.
Nicht von den Unseren bist du und wagtest das Haupt für den Fremden,
Muthiges Kind? Wer bist du und wer die gesegneten Eltern,
Denen der Herr dich gab? und wissen sie, daß du hieher gingst?
Aber ich muß mich schelten; ich halte dich, während daheim sie
Um dich sorgen vielleicht. Geh eilig zurück und verharre
Nicht umsonst in Gefahr. Mir brachtest du her in den Kerker
Unvergeßliche Freude; so geh in Freuden auch du nun.

Doch sie schüttelt das Haupt und spricht: Wie kann ich in Freuden
Gehn, wenn du, o Meister, in drückenden Ketten zurückbleibst?
Wenn dich der Herr auch schirmt und es siegt dein Wort vor dem Richter,
Kann je wieder ein Herz sich erfreun, je lachen ein Auge,
Das dich Edelsten sah in Haft und Bande geschlagen?
Ach, was ist doch die Welt, wie soll sie mich locken zur Rückkehr,
Haben die Bösen in ihr die Gewalt zum Schaden der Guten!
Meister, mir graut, je wieder den Fuß in die Gasse zu setzen!
Heiße noch nicht mich gehn; ach hier in der Enge der Mauern
Athm' ich frei, wie nimmer zuvor; und draußen – wie oft schon
Dacht' ich, es müsse das Herz in der Brust vor Sorgen ersticken.
Und sie fragten mich dann: Was fehlt dir? Wollt' ich es sagen,
Spotteten meine Gedanken des Worts. Was hätt' es geholfen?
Hätt' ich mich ihnen erklärt, die nicht zu reden gelernt hat,
Ihnen erklärt, zu denen ein Mund, wie deiner, umsonst spricht?
Wär' mein Vater am Leben, ich weiß, in seinem Gemüthe
Hätt' ein jegliches Wort der Verkündigung Wurzel geschlagen.
Doch er ist mir gestorben, es blieb mir einzig die Mutter,
Und fern sei es von mir, die Liebende je zu verklagen.
Denn sie sorgte so treu und erwählte mir einen der ersten
Jünglinge, den wohl Manche mir neidete; ach sie empfing ihn
Leider als meinen Verlobten, obwohl mich Ahnungen warnten,
Denn ich war zu gehorchen gewöhnt. Doch fühlt' ich, das Leben
War mir getrübt, das sonst wie ein Baum in der Sonne gestanden.
Laß mich schweigen, wie viel ich gelitten am Tag, und die Nächte
Mit mir selber allein in trauriger Finsterniß aufsaß.
Sehnlich erwünscht' ich den Tod. Vom Bräutigam, welcher mich liebte,
Trennte mich feindliche Scheu, und ich klagte sie endlich der Mutter.
Doch sie erzürnte sich sehr; da schwieg ich lieber und duldet'.
Und fast glaubt' ich, wie sie, es sei nur der Gram um den Vater,
Der, was Andere freut, mir froh zu genießen verwehrte.
Aber ein Anderes war's. Am Kybelefest, da erfuhr ich's.
Wie es sich zutrug, Meister, und wie sich plötzlich der Abgrund
Aufthat zwischen uns beiden, vergieb, nicht mag ich es sagen.
Da, als Alles in mir von Erschütterung bitterster Schmerzen
Bebte, vernahm ich das Wort, das tausendmal benedeite,
Das von drüben zu mir auf Flügeln der Nacht sich hereinstahl:
Selig die Jungfraun! sprachst du. Und dann: Wer frei sich bewahrt hat,
Will er sich Knechten vermählen? Er rette die eigene Seele.
Da, da schwor ich mir zu, dem Ruf zu gehorchen, und darum
Hab' ich die Mutter betrübt und schwer den Verlobten beleidigt.
Kann nun Gott das wollen? und will doch, daß wir die Nächsten
Lieben, so wie uns selbst? Ich aber errettete mich nur.
Sieh, der Zweifel zerwühlt mir den Geist und zerrüttet den Frieden,
Und doch sprachst du: Es ruhe der Streit in gläubigen Herzen.
Hilf nun du der Gequälten, erbarme dich du der Verirrten,
Die auf der Hälfte des Wegs stehn bleibt und die Hände des Führers
Sucht, die ans Ziel sie geleiten und sicher die Wankende stützen.

Sprach's; er aber indeß war längst vom Boden erstanden,
Näher den Augen zu sein, die unter den schüchternen Wimpern
Schimmerten, feucht und tief, wie im Wasser gespiegelte Sterne.
Und jetzt faßt er die Hand, die still sie ihm reicht, und erwiedert:
Freundin! ich nenne dich so; denn es führt' ein hohes Vertrauen
Dich hieher zu dem Fremden und schloß die Gemüther zusammen.
Dieß auch danken wir ihm, dem ewigen Sohne des Vaters,
Daß sich suchen und finden die Händ' und Herzen und Geister
Ueber die Schranken der Welt. Einst werden die Länder und Meere,
Ström' und hohen Gebirge, die jetzt weit trennen die Völker,
Nur noch sein wie die Gasse, darüber die selige Botschaft
Zu dir drang; denn die Stimme des Herrn durchschallet den Weltkreis,
Dringt durch Mauer und Wall und eiserne Riegel der Herzen.
Aber sie waltet darinnen, so wie im Forste der Sturmwind
Unsanft haus't; denn morsches Geäst an den Bäumen zerbricht er,
Und entwurzelt den Stolz und knickt, was krank in der Blüte.
Kehrt dann Ruhe zurück, wie herrlich verjüngt sich die Waldung;
Jeder gesundere Trieb, wie wächs't im gelichteten Raum er
Freier empor! So wirst auch du, o Mädchen, den Sturm einst
Segnen, erbangst du auch jetzt. Nicht hab' ich den himmlischen Frieden
Ohne den Kampf dir verheißen, Gewinnst nicht ohne Verluste.
Denn das Herz, wie ein Kind, nach mancherlei Süße begehrt es,
Aber ein weiser Erzieher gewöhnt sein Kind, zu entsagen.
Was ist Süßeres nun, als seinen Geliebtesten immer
Alles zu Liebe zu thun? Was Härteres, als sie betrüben?
Wenn uns Gott mit den Unsern entzweit, wenn Herz und Gewissen
Schwer sich befeinden und trennen, da darf der Tapferste zagen.
Doch auch den Streit schlichtet ein hohes Gesetz. Wie dich selber
Sollst du die Deinigen lieben, allein Gott über die Menschen.
Opfre den deinen, was dein, doch nicht was Gottes. Und wär's denn
Ihnen zu Liebe gethan, was dir zum Schaden gereichte?
Denn dafern sie dich lieben, begehren sie, daß du beglückt seist.
Also harre du aus, bis fernere Tage sie lehren,
Daß sie mit deinem zugleich ihr eigenes Unheil suchten.

Und sie entgegnete drauf und neigte das Haupt nachdenklich,
Daß ihr die Fülle des Haars vorwallt' um Schläfen und Wangen:
Meister, du mußt nicht zürnen, bestürm' ich dich weiter mit Fragen,
Denn wer weiß, wie lang mir zu fragen vergönnt und zu lernen.
Gott vor Allem zu lieben – es dünkt mich leicht. In der Welt nichts
Ist so gütig wie er, so liebentzündend und heilig.
Doch wo find' ich ihn stets? wer sagt mir, daß ich ihn habe?
Manchmal wohl, da empfind' ich: er ist's, er spricht dir vernehmlich,
Ruft dich, du darfst dein Haupt an die Brust ihm lehnen und ausruhn.
Aber zu anderer Zeit, da klingen verschiedene Stimmen
Mir im Innern und locken und überbieten einander.
Dann mit dem armen Verstand wie soll ich die streitenden schlichten,
Wie das Eine, was Gott mir befiehlt, durchhören und merken?
Gutes und Arges zu scheiden, ist leicht; doch Gutes und Bessres
Abzuwägen, ist schwer. Ach, lernen wir das mit den Jahren?
Oder empfahn wir es mit der Geburt, und wenn wir es missen,
Läßt sich's nimmer erwerben, wie Schönheit, Kraft und Gesundheit,
Welche den Einen beglückt und dem Anderen immer versagt bleibt?
Seh' ich auf dich, o Meister, so scheint, was immer du thun magst,
Dir wie Feuer dem Felsen auf Einen Schlag zu entspringen;
So dein selber gewiß und Gottes in dir und des Heilands
Gehst du dahin. Nun sprachst du ein Wort, das dunkel und hart ist
Für uns Andre, die nicht sich erfreun so hoher Gewißheit.
Seit ich es heute vernahm, ist mir's ein Räthsel gewesen:
Was nicht ganz aus Fülle der Ueberzeugung gethan sei,
Das sei Sünde. Vergieb, nicht ziemte mir irgend zu zweifeln,
Wo du sagtest: es ist! doch größeren Schaden erlitt' ich,
Undurchdrungen ein Wort von dir in der Seele bewahrend.
Geht im wechselnden Leben so viel nicht täglich vorüber,
Was wir lassen und thun, nachdem wir eben gelaunt sind,
Weil es das Herz nicht tiefer bewegt? Das wäre nun Sünde?
Wir, die kaum mit erleuchtetem Geist in entscheidender Stunde
Hören die Stimme des Herrn, wir sollten sie immer zu Rath ziehn
Bei gleichgültiger Wahl? – Du schweigst, und ich sehe, du zürnst mir;
Dann – o zürne mir laut und schlage mit strafenden Worten
An den verschlossenen Sinn, auf daß er dem Licht sich eröffne!

Ihr antwortete Tryphon, bewegt im tiefen Gemüthe:
Kind, dir sollt' ich zürnen? Ich schwieg, in Freude versunken;
Denn ich sage dir, Mädchen, es gehn zur Höhe der Wahrheit
Viel' und mancherlei Wege, gewundene, welche gemachsam
Steigen, und andere, steil abhängende, welche mit Mühen,
Doch gradauf zu den Füßen des himmlischen Heilands führen.
Solchen erwähltest du dir. Geh muthig hinan und veracht' es,
Wenn die Sohle vom Dorn und scharfem Gestein dir blutet.
Süßer ist oben die Rast, je härter der Pfad. Kein Saumthier
Trägt dich hinauf. Du selbst mußt gehn. Doch kennen die Boten
Gottes die Quellen am Weg, die verschmachtenden Geister zu tränken.
Und so neige dich her, und was ich hab' an Erquickung,
Soll dich stärken und trösten, bevor wir scheiden, Geliebte.
Wie du die Stimme des Herrn im Geräusch vielfacher Gedanken
Hören, beherzigen lernst vor eigenen nichtigen Wünschen,
Fragst du von mir? O Kind, ich sage dir: Lerne zu hören!
Horch' andächt'ger hinein ins eigene Herz. In der Tiefe
Redet der Herr. So viel du dich selbst im Tiefsten verstehn lernst,
So viel weißt du von ihm. Denn was ist dein und gehört dir
Eigen, das Gott nicht wäre? Erkenne dich, und du erkennest
Ihn! Thu immer das Deine, das Eigene, und du vollbringst nur
Seinen erhabenen Willen. Denn sieh, ein heiliges Urbild
Senkte der ewige Schöpfer in jegliche sterbliche Hülle.
Und was heißt nun leben? Es regt und bewegt sich ein jedes
Menschengebild nach eignem Gesetz, das, so wie es vielfach
Sich von den anderen scheidet, doch eins nur ist und dasselbe,
Weil es dem Einen entsprang, der in jeder Gestalt Er selbst ist.
Aber der Herr gab Allen die Kraft zur Sünde. Was ist nun
Sünde? Wir sagen das Böse, das Gottes Gesetz in den Weg tritt.
Gottes Gesetz! Nun siehe, wir fanden es eines und vielfach.
Und so wird auch Sünde den Creaturen hienieden
Eines und vielfach sein. Wer wider das eigene Urbild
Sündiget, fehlt an Gottes Gesetz. Denn sich zu vollenden,
Sich zu erschaffen, wie Gott das Bild von Jedem im Geiste
Trug, ist Ziel und Ende für alle lebendigen Geister.
Doch nun kommen die Menschen und machen einander Gesetze,
Nennen sie heilig und hängen daran und knechten sich selber,
Weil es den Trägen behagt, ein Allgemeines und Leeres
Hinzunehmen, das Joch der Gewohnheit lieber zu tragen
Als ein eignes Gebild mit innigem Eifer zu schaffen
Rastlos, wie es das Herz eingiebt in jedem Momente.
Wer nun Diesem zu Lieb' und Jenem und Hunderten handelt,
Kennt er den Herrn, der nur in der Tiefe des innersten Wesens
Ihm sich enthüllt? Er lebt in den Tag hin, glauben- und gottlos.
Doch wer einmal entschlossen die läßliche Weise der Menschen
Von sich thut und dem eignen Gesetz unerschütterlich nachlebt,
Rüst' er sich aus mit Geduld und standhaft ernstem Verzichten.
Denn je mehr er sich selber die Welt im Innern erstehn fühlt,
Nämlich die Fülle des Herrn in ihm, je heftiger wird ihn
Von sich stoßen die Welt: sie haßt ein jegliches Ganze,
Das im Stillen sich rundet und ausreift, weil sie sich selbst nicht
Stets im Zwiste behagt und uns den Frieden beneidet.

Darauf schwieg er ein wenig. Sie sah beim Scheine des Mondes,
Wie ihm dunkel die Wange sich röthete, und zu den Augen
Schlug ihr empor vom Herzen die lodernde Flamme der Andacht.
Und so stand sie und schwieg. Er aber redete weiter:
Wenige wissen es, Kind, und fassen es, was ich dir jetzo
Sage. Der Gläubigen selbst, die Christi Namen bekennen,
Tappen so viel in der Dämmerung fort und suchen das Nächste
Fern, auf daß sie es höher bewunderten. Warum befreit' uns
Unseres Heilands Tod, und wie erlös't' er die Menschheit?
Höre mich, was ich dir sage. Er kam, uns dessen zu mahnen,
Daß das Unendliche Raum im Endlichen habe, der Vater
In dem erzeugten Geschöpf, im sterblichen Leibe das Ew'ge.
Und was heißt, daß er sündlos war? Er that nur das Seine,
Und so that er das Göttliche stets. Mensch war er geworden,
Und so sollen auch wir Mensch werden, in Fülle des Daseins
Von uns streifen die Bande des dumpfhinwesenden Fleisches,
In uns selbst uns Gottes bemächtigen. Hätte der Heiland
Andere Stimmen geehrt, als jene des ewigen Vaters,
Klugheit, Menschengesetz und Gewohnheit, oder wie sonst sie
Heißen, die Mächte der Welt, nicht hätt' er am Kreuze geendigt.
Und so bringen es Viele zu hohen Jahren und sagen,
Daß sie in Ehren gealtert, die lang sich fügten und schmiegten,
Während die kämpfenden Geister, die sich zu vollenden erglüht sind,
Früh an Wunden vergehn, um ewig in Gott zu bestehen.

Darum hassen sie euch, sprach Thekla, ernst mit dem Haupte
Vor sich nickend, die Herren in Rom und die Mächtigen alle,
Weil euch Christus befreit und unüberwindliche Stärke
Euch in die Seelen ergießt, nur das zu bekennen, woran ihr
Glaubt, und jedes Gesetz, das Menschen erdacht, zu verachten,
Wenn es den Willen des Herrn im eigenen Busen bestreitet.
Nun wird Alles mir klar und entzückt mich. Freudig wie niemals
Hüpft mir das Herz in der Brust, als wär' es gelös't und beflügelt.
Sprich, was soll ich vollbringen, den Muth zu beweisen, den Glauben,
Der mir die Adern belebt, und die Sehnsucht, mich zu vollenden?
Lege das Schwerste mir auf, o Meister!

So geh zu der Mutter
Heim, antwortete Tryphon, und suche mit herzlicher Liebe
Wieder dem Herzen zu nahn, das dir im Wahn sich entfremdet.
Denn nicht Thaten zu thun, ist Jedem vergönnt. Nicht frevelnd
Sollst du Gefahr aufsuchen. Zu sein das, was du geworden,
Täglich es wahrer zu sein, ein Wesen in Gott, ein besondres
Bild, selbsteigen und doch an die Fülle des Ew'gen verloren,
Danach trachte. Denn das in der Enge des täglichen Lebens
Rein zu vollbringen, fürwahr, braucht Heldenstärke nicht minder,
Als auf offenen Markt hintreten und Busen und Stirne
Heiter der Steinigung bieten. Es schleicht die Gefahr in der Stille
Rastlos um, und schwerer begegnest du ihr im verborgnen
Kreise bescheidener Pflicht, als wo dich das Auge der Welt sieht,
Und den ermattenden Muth dir Scham anfeuert und Ehrgeiz.
Geh, du Theure! der Segen des Herrn sei über dem Haupt dir,
Und er erleuchte dir immer die Wege zu ihm, wie er liebend
Dir von ferne gewinkt und dich zur Jüngerin wählte.

Und er bot ihr die Hand; sie ergriff sie zagend und hielt sie;
Aber sie ging noch nicht. So standen sie stumm bei einander,
Richteten beide zugleich in die Höhe den Blick, wo der Himmel
Hinter den Stäben des Gitters verklärt in der Mondnacht blaute.
Lautlos schlummerte draußen die Luft. Nicht mahnte des Wächters
Zeichen das Mädchen zu gehn. Er aber vergaß der Gefahren
Ueber dem trauten Gespräch, in dem sich die Seele der Jungfrau
Rein hingebend ergoß, und Ort und Stunde verschwand ihm.


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