Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erster Gesang.

Ueber das steile Gebirg gen Süden den sonnigen Fußweg
Wanderten Zwei mit einander und prüften sich oft mit den Augen,
Wie wohl Reisende thun, die ein Zufall kürzlich gesellt hat.
Einer an Wuchs ansehnlich, in griechischem Kleide, die Locken
Glänzend von Oel und den wehenden Bart sorgfältig gekräuselt;
Schlicht wie ein Handwerksmann sein Wandergenoß, der ein Bündel
Trug, vielfältig geschnürt, und schwer von der Bürde geplagt schien.
Denn oft keucht' er und wischte den Schweiß, so erfrischend der Herbstwind
Stöberte zwischen den Fichten. Er hielt sich immer ein wenig
Hinter dem rüstigen Fremden und schien unfroh der Begleitung.
Rings auf Stunden begegnete nichts als weidende Ziegen,
Oder ein Trupp Waldesel, versprengt in der steinigen Wildniß,
Die mit Sprüngen entflohn, sobald sich die Wanderer nahten.

Jetzt zu dem stummen Gefährten begann der gesellige Grieche:
Wie armselig und rauh liegt weit in der Runde das Bergland,
Offen dem Wechsel des Sturms! Kaum mag auf den Klippen die Föhre
Dürftige Nahrung finden, und gelb wie am Feuer getrocknet
Raschelt das spärliche Gras und die hungrige Ziege verschmäht es.
Da wird freilich das Herz nicht heiter gestimmt. Ich versprach mir
Bessern Gewinn vom Tage, zumal da gestern die Reise
Mich durch lachende Thäler und üppige Wiesen geführt hat.
Stets noch denk' ich daran, wie ich fröhlichen Muthes dahinritt
Heerden und Hirten vorbei und der Unzahl fetter Gehöfte.
Vor mir wandelte pfeifend ein Mann, der ein scheckiges Milchkalb
Führte. Das Thier war kaum zehn Wochen zur Welt, wie er sagte,
Und doch schien's halbjährig, dem Wuchs nach. Siehe, auf einmal
Stürmt uns hoch von der Matte zu Thal mit freudigem Brüllen
Eine gewaltige Kuh wie toll und thörig entgegen.
Fest auf das Thierlein war ihr glänzendes Auge geheftet,
Denn sie glaubt' es das ihre. Da war's nun herrlich zu schauen,
Wie aus dem strotzenden Euter, gewaltsam schwankend im Laufe,
In vier Strahlen die Milch, ein lebendiger Brunnen, herausschoß
Ueber die Blumen und Gräser, ein Bild kraftsprühenden Reichthums.
Doch schnell hielt ihr der Hirt den beschlagenen Stecken entgegen,
Und nun stand sie bestürzt, und den Irrthum selber erkennend,
Stierte sie traurig uns an und wandte sich wieder zur Heerde.

Aber der Andere sprach mit verdrossenem Tone: Was ist so
Herrlich daran? Mich dauert die Milch, die sündlich verspritzt ward.
Wem, das sage mir, kam der verschleuderte Segen zu Gute?
Wären wir dort, ich wollte des Reichthums besser genießen,
Denn mir lechzet der Gaumen. Das schlechteste Wasser vergnügte,
Hätt' ich es heut, mich mehr, als Milch von siebenzig Kühen,
Die du gestern gesehn, und wären es Helios' Rinder.

Sprach's und zuckte die Achseln. Der Bärtige ließ ihn geduldig
Schelten und schwieg. So waren sie lang untraulich geschritten,
Da ward lichter der Wald und es bog sich der Weg, und auf einmal
Standen sie über der Ebne, die fruchtbar unten sich aufthat,
Rechts vom Joch des Isaurer Gebirgs wie mit Wänden geschlossen,
Links weit offen und flach. In dämmernder Ferne des Südens
Wölkte des Taurus Kette sich ein in herbstliche Nebel.
Aber hinab vom Saume des Walds, bis wo sich im Grunde
Häuser und Tempel erhoben, und drüber hinaus zu dem Landsee
Drängte sich Reb' an Reben und Fruchtbaumhalden und Aecker
Und in gelichteten Reihen der niedrige Stamm der Olive.
Still war's. Eben verglühte der Tag, und über den Häusern
Wirbelte bläulicher Rauch in die Luft.

Da standen die Wandrer.
Aber der Mann mit dem Bündel, beschaulichem Staunen auch sonst wohl
Abhold, nutzte die Frist, die belastete Schulter zu wechseln,
Fest an die Fichte gelehnt. Und er murmelte: Wär' es gefällig
Weiterzugehn? Da steht er und gafft, als wollt' er vor Freuden
Wurzeln im Erdreich schlagen. Aus Müßigen machen die Götter
Narren. Ich soll wahrhaftig den Tag mit Augen vergehn sehn,
Und noch sind's zwei Stunden hinab!

So murrt' er und blickte
Gegen den westlichen Himmel, den Stab schon fertig in Händen.
Aber er zögerte noch. Denn wenige Schritte zur Seite
Stand in Reisegewändern ein Betender. Gegen der Lüfte
Klarheit zeichnete streng sich die Stirn und die bärtige Wange
Und die erhobenen Arme. Da frug der Hellene den Andern:
Ist dir Jener bekannt, der dort wie ein Perser der Sonne
Betend das Haupt zuwendet? – Der Andere prüfte noch einmal;
Dann: Der ist kein Perser, erwiedert' er, sondern ein Jud' ist's.
Dafür hab' ich die Witterung, Freund, wie ein Hund für das Wildpret;
Denn ich hasse sie herzlich. Ein gottlos wimmelnd Geziefer
Sind sie, und das zum Erschrecken sich mehrt. Noch weiß ich die Zeiten,
Daß sie bei Hunderten erst unscheinbar nisteten. Jetzo
Sind's viel Tausende schon und in Ansehn. Wäre die Brut nur
Fauler, ich ließe sie gelten. Allein jedweder Hantierung
Müssen das Brod sie beschneiden und ehrliche Leute verkürzen.

Während er sprach, schien endlich der Betende inne zu werden,
Daß sich Menschen genaht. Er wandte sich. Edel erschien er,
Männlich, gedrungenen Wuchses und frei. Stark wölbten die Brauen
Ueber den leuchtenden Augen sich hin, ineinander gewachsen
Dicht an der kräftigen Nase, das Antlitz bräunte der Sommer.
Und so trat er bescheiden sie an und sprach, sie begrüßend:
Heil und Friede mit euch! Und habt ihr keinen vertrauten
Handel im Gehn zu berathen, so laßt mich diese Begegnung
Nutzen und eures Gesprächs mich erfreun, bis unten im Städtchen
Jeder den Gastfreund sucht.

Schnell rief der Beladene zornig:
Höre mir einer! Ein Städtchen! Ikonium, welches die Hauptstadt
Ganz Lykaoniens ist! Man sah doch wahrlich bis heut nicht
Für Kleinstädter uns an. Und komm nur hinunter. Von oben
Freilich, da rückt es zusammen, und Stadt, Vorstädte, die vielen
Villen am See, das Alles umfaßt Ein Auge mit einmal.
Unten verirrst du dich, Bester, in hundert Straßen und Gassen.
Und heut feiern sie grade das Weinfest, führen die hehre
Kybele, Bacchus' Mutter, die Fluren entlang, und die Priester
Tanzen vorauf, so viele, wie nicht drei Städtchen ernährten.
Augenverblendend ist alle die Pracht, das sollst du erleben;
Und in Asien nirgend und nicht in den Städten von Hellas
Feiern sie reichere Feste, und schönere schwerlich auf Erden.
Auch dein Volk, wie verstockt es das Herz und die Thür vor den Göttern
Zuschließt, blinzelt es doch mit Staunen hinaus in die Fackeln,
Hört die Musik und schauert, erschreckt vom Bilde der Göttin.
Laßt uns eilen und sehet es selbst. Dann sagt, ob ich prahlte.

Damit schritt er voran in dem Hohlweg, welcher den Blicken
Wieder die Ebne verbarg. Da wandte zu ihm sich der Grieche:
Freund, da du seßhaft bist in Ikonium, sprach er, das Eine
Sag mir, ob dir ein Name bekannt, der einst mir geläufig,
Thamyris, Kallias' Sohn. Er kam in des Vaters Geschäften,
Noch nicht völlig gereift, an die Küsten hinab und verweilte
Lang in Milet. Dort wohnt' ich und lehrte die griechische Jugend
Philosophie und übte, so gut wir sie wissen, die Heilkunst.
Jener, ein feuriges Blut und die üppigen Kräfte vergeudend,
Fiel in ein hitziges Leiden und mühsam gab ich den Jüngling
Wieder der Jugend zurück. Seitdem sind Jahre vergangen,
Aber er denkt wohl meiner, und weil kein anderer Gastfreund
Mir in Ikonium lebt, gern fänd' ich die gastliche Schwelle.
Diener und Maulthier folgen mir nach den bequemeren Saumpfad,
Und ich treffe sie unten am Thor. Mich aber gereut nicht
Ueber die Klippen der Weg, der manchen Genuß mir eintrug,
Droben den Blick in das herrliche Land und werthe Bekanntschaft.

Stehn blieb der mit dem Bündel. Ihm zuckten die struppigen Brauen
Unter der niedrigen Stirn und in polterndem Eifer begann er:
Bist du auch so ein Jugendverderb, so ein Götterverläugner?
Thamyris findest du wohl. Denn erst seit Kurzem ein Bräut'gam
Wird er die Stadt nicht meiden, am Fest, wo Alles verliebt ist.
Aber dafern du gedenkst, in Ikonium länger zu weilen,
Wisse, genug schon treiben im Land dein schlimmes Gewerbe;
Möchten sie Alle verhungern! Den Zorn der olympischen Götter
Riefen sie über die Bürger herein, seitdem sie die Jugend
Lästern gelehrt. Nie haus'ten zuvor so schmählich die Römer,
Reichlicher mästete nie sich den Bauch und den Seckel der Prätor,
Daß nun Jeder das Kupfer vergräbt und das Silber vermauert.
Spür' ich es nicht am schwersten am eignen Verdienst? Denn ein Goldschmied
Bin ich, des Charikles Sohn, der übergesiedelt von Lystra,
Und vom Vater ererbt' ich die Kunst und ein Häuschen am Markte,
Aber am Segen gebricht's. Im Anfang freilich, da ging mir
Keiner vorbei, und besucht war stets mein Laden. Da hieß es:
Zeig mir, was du an Ringen vermagst! – he Meister, ein Dutzend
Spangen mit gelbem Topas, Hermogenes! Neue Gewänder
Sollen die Sklaven bekommen. – Ein Reitzeug, Meister, ein goldnes,
Und mit Gemmen und reich! – So drängten sie. Jetzo? das Elend!
»Putze das Ringlein auf; 's kommt noch von der Ahne. Die Fassung
Sollst du mir ändern, und hier die verbogene Schale zurecht ziehn; –
Hast du nicht silberne Ketten, vergoldete? Aber du hältst mir
Sauberen Mund. Denn goldne versprach ich gestern der Persis.«
Meint ihr, daß ich es fable? Ich könnt' euch nennen die Namen,
Die viel gelten im Volk. Und gar – wie steht's mit den Göttern?
Sonst – weit schickt' ich umher die gegossenen Silberidole,
Selber gediegne Figuren, und ringsum fanden sie Absatz.
Doch – das will ich beschwören – allein die Schandphilosophen
Haben die Kunst und das edle Gewerk auf ihrem Gewissen.
Kaum noch wendet ein Reicher das Geld an den eigenen Schutzgott;
Reicht ja ein Wachsbild aus und ein hölzernes Püppchen. Und kauft noch
Einer ein werthvoll Stück – wann zahlt er es? Komm' ich doch heut erst
Leer, mit Schaden und Aerger, zurück von Kunden und Schuldnern;
Die zwei Worte bedeuten mir Eins. Zu Laodicea
Hatt' ich ein Lager und kam und dacht': ein richtiges Sümmchen
Wird dir der Mann hinzählen, und ist's nur mäßig, die Reise
Schlägst du heraus! – Was fand ich? Ein zehn windbrüchige Drachmen,
Kupfer so viel am Abend ein Bettlerskittel beherbergt.
Aber mich faßte die Wuth. Den Laden verschloß ich, den Hüter
Jagt' ich davon – nun hab' ich den leidigen Kram auf dem Halse.

Sprach's und wandte sich rasch und hastete murrend und fluchend
Jenen voran. Da, während der Weg ihn häufig den Augen
Seiner Gefährten entzog, sprach heiteren Mundes der Grieche:
Sieh, nun dank' ich dem ahnenden Geist, der gleich sich dawider
Auflehnt', daß ich im Winter Ikoniums Lüfte genösse,
Sondern das Ziel mir in Tarsos wies. Wie könnt' ich da unten
Irgend mit ruhigem Herzen das Haupt hinbetten zur Nachtzeit,
Wenn ich den Schlaf vom Kissen der wackersten Bürger verscheuche.
Treues Gemüth! Ihm bauten am Markt ein Häuschen die Götter,
Und nun ehrt sie der Brave, wie sehr ungnädig sie jetzt auch
Fremdes Vergehn heimsuchen an ihm, und schleppt sich geduldig
Lahm an den eignen Tyrannen.

Er lächelte sicher, und stattlich
Warf er die Locken zurück. Da sprach sein ernster Begleiter:
Warum spottest du sein, dem noch ein Heiliges heilig,
Der noch Treue bewahrt in der schwankenden Lüge der herzlos
Irrenden Welt? Wohl irret auch er und das Irdische zwingt ihn.
Schätzebegierig vergrub er sich selbst in Höhlen und Schachte
Blinder Begier. Doch blickt er hinauf und sucht, die den Weg ihm
Zeigten, die Stern' am Himmel, und findet sie nicht und bedenkt nicht,
Daß er sie selber verscherzt. Jetzt fühlt er es dunkel im Herzen,
Daß wir Sterne bedürfen, und klagt: Was hat sie verfinstert?
Dränge zu dem nur ein Strahl des unendlichen Lichts in die Tiefe,
Willig ließ' er an ihm sich hinaufziehn. Wahrlich es dünkt mich
Besser ein Dunkel wie seins, als jene betrügliche Dämmrung,
Welche den Stolzen umgraut, der im eigenen Lichte zu wandeln
Wähnt und dem eigenen Irrlicht folgt und der Sonne sich abkehrt.

Fest klang jegliches Wort, wie aus ehernem Busen; und wieder
Lächelte ruhig der Grieche, und redete: Freund, ich erkenne,
Daß du ein jüdischer Mann, und ich ehre die offene Sprache.
Doch ich bin nur ein Grieche. Da hilft mir wenig der Juden
Sonne, die nur ihr Volk, das erkorene, freundlich erleuchtet,
Doch nie tagt für die Fremden. Und käm' ein andrer Prometheus,
Der nur ein Fünklein gern sich entwendete, – euer Jehovah
Würd' ihm glimpflicher nicht, als Zeus dem Titanen begegnen.
Drum mit dem Irrlicht immer begnüge sich unseresgleichen,
Froh, bei dem wankenden Schein nicht allzu kläglich zu straucheln,
Oder in Sümpfe sich gar bis über den Hals zu vertiefen.

Ihm entgegnete Jener: Du irrst! Wohl bin ich ein Jude.
Aber die Zeit ist hin, da Volk von Völkern ein Vorrecht
Schied. Denn es kam in die Welt ein Gewaltiger, und mit dem Finger
Rührt' er den Baum des Gesetzes, daran nur Früchte den Juden
Reiften. Und sieh, er wuchs, und die Wurzeln hinab in die Hölle
Senkend, das Erdrund wird er mit schwellenden Zweigen beschatten.
Aber ein Gleichniß red' ich und will nun offen bezeugen,
Daß ich den ewigen Sohn des ewigen Vaters zu künden
Wandere, ihn, der ins Fleisch, das sie kreuzigten, Gottes Natur barg
Aus unsäglicher Liebe, der Welt ein Opfer zu werden,
Juden und Heiden zumal; denn nicht sei fürder ein Zwiespalt.
Hält Ein Gott nicht Himmel und Welt, und wär' er der Juden
Gott nur allein, weil sie nur allein ihn kannten und suchten?

Da fiel freudig erstaunt der Milesier ihm in die Rede:
Sei der Tag mir gelobt, der noch am Abend so freundlich
Mir ein altes Verlangen erfüllt! Denn ich trachtete lange
Einem von euch zu begegnen; und doch wie die eigenen Wünsche
Häufig zurückstehn müssen im täglichen Drang der Geschäfte,
War mir der Weg zu den Weisen von Nazareth immer ein Umweg.
Sieh, nun fügt es sich so und erfreulicher als in Miletos;
Denn dort wohnt nur ein Häuflein erst christianischer Juden,
Armes, verachtetes Volk, unwissendes. Aber in dir, Freund,
Ist mir ein Meister erschienen, von dem zu lernen Gewinn ist.
Wahrlich es trat wie ein Wunder in diese begehrlichen Zeiten
Euer entsagender Bund, zu jeglichem Opfer der Liebe
Einer dem Andern bereit. Ich sagte: Pythagoras' Schatten
Wandelt die Völker entlang, nur zärtlicher! Auch die Legenden
Jenes vergötterten Manns, der die heimliche Schule gestiftet,
Klangen mir traulich ins Ohr, und der Sitten Milde gefiel mir.
Aber warum, ihr Kinder des Lichts, die belebende Flamme
Wieder in Rauch einhüllen? Warum zu dem thätigen Guten
Wieder des Aberglaubens erklügeltes Uebel gesellen?
Zwar ihr Meister, ihr wißt: dem Volk in die Seele zu dringen
Ist der geradeste Weg nur selten der kürzeste. Der nur
Hoffe, den Willen zu lenken, der erst mit Mährchen die Geister
Aengstiget oder ergötzt. Denn stets ist kindisch die Menge.
Aber es sollte der Sturz der Olympier, sollte das Ende
Alles Mysterienlugs, samothrakischen, orphischen Wahnsinns
Reiferem Blick doch zeigen, wie bald sich der kindische Leichtsinn
Satt am mystischen Spielzeug sieht, und immer ein neues,
Immer ein hübscheres will und das alte zerbricht und hinwegwirft.
Wollt ihr Männer erziehn, so übt sie im Kampf des Gedankens,
Daß sie das Tändeln verschmähn und die fabelnden Träume der Dichter.
Oder erfuhrt auch ihr, wie feig sich der Haufe davonstiehlt,
Gilt's ein muthiges Denken, so sammelt den Rest der Beherzten
Lieber um euch, als selber vom Trosse verführt zu verzagen.

Und mit dem Schwachen wohin? antwortete milde der Jünger,
Und wohin mit den Feigen? In aller Gefahr sie verlassen?
Handelt ein Feldherr so, und läßt die verzagtere Mannschaft,
Ehe die Schlacht anhebt, mit verächtlicher Rede dahinten,
Daß sie der Feind abschneidet und leicht die Umzingelten mordet?
Nein, er reiht sie ins Herz des bewährteren Heers, und es läuft sein
Auge die Glieder entlang und entzündet den Muth, und den Glauben
An sein siegendes Glück in den Wankenden, daß sie ermannen.
So that Er, der Allen voran sein Leben dahingab.
Doch die in Kraft sich brüsten und einzelnen Kampfes begehren,
Sieh, es entlockt sie der Feind und fällt die Verzweifelten, einsam,
Wo ihr Ruf in der Oede verhallt. –

Und er redete weiter:
Ist das mystische Fabel und abergläubige Dichtung,
Freund, was Himmel und Erde gesehn, sein Leiden und Sterben,
Seine Geduld, sein Sieg und die Glorie seiner Verklärung?
Heißt das träumen, erstehn vom betäubenden Schlummer der Sünde?
Wie? und wär' es ein heimlicher Bund, der Allen sich aufthut,
Die nicht feindlich gesinnt ihm nahn? der ewig bestehn soll
Ueber die Schranke der Zeit, und brüderlich einigen alle
Völker der Welt? Dieß aber verhieß, der jede Verheißung
An ihm selber erfüllt, der Ewige, welchem vergänglich
Wort nicht ging von der Lippe, und der nicht wirkte was eitel.

Doch mitleidig zugleich und erstaunt antwortete Jener:
Lieber, du schwärmst, und dem Weltlauf fern in begeisterter Stille
Scheint dir, nicht von Stürmen zerrauft, vor inneren Gluten
Leise vergangen zu sein das Haar an der männlichen Scheitel.
Denn ein gültiges Wort, das daure, gedenkst du zu finden,
Hoffst in ewige Form die vergänglichen Geister zu prägen,
Wähnst, es könne bestehn, was herrscht. Und wär' es das Höchste,
Hinsinkt's, weil es geherrscht. Denn das Mächtige wechselt auf Erden,
Nur das Gemeine verwandelt sich nicht und das Niedre vergeht nicht.
Mit sich eins ist der Einzelne nur. Wie Blätter des Waldes
Sind die Gedanken der Völker. Die heut in Blüte gestanden,
Ueber ein Jahr am Boden verfaulen sie und der Geringste
Tritt sie mit bäurischem Fuß in den Staub, weil über dem Haupt ihm
Neues unendliches Laub um die Blüte der Zukunft gaukelt.
Also bescheide sich weise der Mann und des Wechsels gewärtig
Bleib' er sich selbst nur treu und rette den eigenen Gleichmuth;
Wie ein Schiffer im Meer am Bord die bewegliche Habe
Festiget, daß kein Sturm ihm das Schiff umrüttle von Grund aus.
Doch du gleichest dem Edlen, der einst am Fuße des Aetna
Mich herbergt in der Hütte, die frei auf Felsen gegründet
Ferne dem Dörflein lag, und ringsum grünten die Reben.
Aber auf einmal kam ein Getöse zu Nacht und erschreckt' uns,
Und es erbebte der Fels. Nur leicht; doch unter dem Dorf hin
Schüttert' ein gräulicher Stoß, und wir sahen im Grund die Gebäude
Wanken, und laut wehklagte der Wirth sammt alle den Seinen,
Denen in Hütten des Dorfs Blutsfreund' und Verschwägerte wohnten.
Da, noch seh' ich's wie heut, von der Seite der eigenen Kinder
Stürzte der Mann unsinnig hinaus in den donnernden Aufruhr,
Hülfe zu bringen entbrannt, wo helfen ein nichtiger Wunsch war.
Kinder und Gattin schrieen ihm nach; – er rannte den Abhang
Nieder und raffte sich auf, so oft er auf zuckender Erde
Taumelt' und fiel, und erreichte die schwankenden Mauern und stürzte.
Doch nicht hob er sich wieder – die vorderste Hütte begrub ihn.

Als er das Letzte gesprochen, umfing ein Schweigen sie Beide.
Dunkler versank in die Gärten die Nacht; schon traten die Sterne
Einzeln hervor und der Wind zog leiseren Fluges vorüber.
Freund, sprach endlich der Christ, du ahnst nicht, wie du mich labtest.
Denn wohl gab mir der Herr viel köstliche Liebe zu schauen,
Aber es dünkt mich diese die heiligste, welche den Guten
Zwang, sein Schicksal blind dem Geschick zu gesellen der Freunde,
Ohne Gewinn für Beide, nur das unfähig zu tragen,
Daß er allein feststünde, wo so viel Theure versanken.
Denn das ist nicht Liebe, die wägt und klügelt, wie viel sie
Nutzt und das Mögliche thut und dann sich mit Thränen bescheidet.
Wie ein Feuer am Herd, dienstbar der besonnenen Hausfrau,
Die es erhält und schüret, so lang sie's nutzet am Tage,
Und es am Abend verlöscht und Wasser verspritzt in die Brände.
Nein, wem Liebe genaht, den faßt sie mit feurigen Armen,
Zehrt am innersten Mark und er jauchzt noch, wenn er verzehrt wird.
Denn sie ist stark wie der Tod und wühlt in die Tiefen des Lebens.
Soll sie den Tod nun fürchten? Sie liebt ihn, weil sie dem Tode
Gleicht, der das Starre verzehrt und das Einzelne wieder dem All giebt!

Sinnend, die Hand leicht spielend im Bart, vernahm's der Hellene.
Und schon schwebt' ihm ein herzliches Wort am Rande der Lippen,
Als sich verworrener Schall unfern von den Wanderern aufschwang
Ueber die felsigen Ränder des Hohlwegs. Flöten erklangen,
Menschliche Stimmen und Hörner. – Die Zwei, unwissend der Ursach,
Stiegen die Höhe des Weges hinan. Da breitete festlich
Drüben die Ebne sich aus in der Dämmerung. Funkender Qualm schlug
Ueber den Reben empor und sie sahn an den nächtigen Bergen
Einzelne Feuer vertheilt und die Stadt von Lichtern erglänzen.
Doch von wannen der Schall herkam, links ab, an der breiten
Straße, die ostwärts lief, stand leuchtend ein Tempelgebäude,
Säulen von Lampen umkränzt, und längs den Gesimsen und Giebeln
Liefen wie Perlenschnüre zu Hunderten zierliche Flammen.
Und dort sahn sie ein wogendes Volk aus den Pforten herausziehn,
Gegen die Stadt sich wälzen und hell in die Nacht sich ergießen.
Rings zu den Seiten heran auf den Pfaden der Ebene schwärmten
Viel nachzügelnde Fackeln, vereinzelte oder zu Haufen,
Welche dem Zug zuströmten und weit aus Gärten und Feldern
Hörte man Hörnergetön und gellende Pfeifen.

Die Männer
Staunten hinab. Da wurde des Goldschmieds Stimme vernehmbar
Unten im Weg, und sie wandten sich um. Sie kommen! sie kommen!
Keuchte der Athemlose, und winkte mit eifrigen Armen.
Ihr da, wenn ihr die Pracht ganz nah und in Muße beschaun wollt,
Kommt, denn es mündet sogleich in die breitere Straße der Hohlweg;
Aber ich weiß ein Treppchen, hinauf in den untersten Weinberg,
Welcher die Straße begrenzt; da stehn wir oben bequemlich,
Sehen den Zug ankommen und gehn, und besser als Mancher
Tief im Gewühle der Stadt, der kaum sich ein Plätzchen erobert.

Sprach's und enteilte voran. Ihm folgten die Zwei, und sie kamen
Bald an das Ende des Wegs und erklommen die steinernen Stufen
Bis an des Weinbergs Thür. Dort öffnete kundig der Goldschmied
Leicht das gefügige Schloß und sie schritten entlang an der Mauer.
Und kaum standen sie jetzt am äußersten Rande des Gartens,
Nur so hoch von der Straße getrennt, wie ohne Gefahr wohl
Spräng' ein gelenkiger Knabe hinab, als plötzlich der Festzug
Unten erschien um die Krümme des Wegs. Wie ein helles Getümmel
Rasender Bienen sich drängt um den brennenden Korb in der Nachtluft,
So vielhäuptig umgab die entzügelte Menge der Göttin
Wandernden Thron. Kienfackeln, im Kreis umwirbelnd, versprühten
Blutigen Schein und die Cymbel erklang zu den Flöten und Hörnern,
Während die tobende Pauke die fiebernden Sinne verwirrte.
Aber dem Wagen vorauf und rings zu den Seiten erschienen
Priester in Weibergewändern, ums Haupt kurzschneidige Schwerter
Schwingend, das Antlitz roth und die Schläfe bekränzt mit den heil'gen
Binden und glänzendem Laub. Und sie tanzten einher. Doch es war kein
Tanz, wie er ruhigen Augen gefällt, sich wiegend in Anmuth.
Sondern ein trunkener Taumel bewegte die zuckenden Glieder
Graunvoll. Aber es jauchzte das Volk. Nun sahen die Männer
Endlich der Göttin Bild, mit der Mauerkrone bekrönet,
Bunt in seidnem Gewand. Aus Augen von glänzendem Jaspis
Starrte sie groß in die Nacht. Roth glühten die Lippen, am Halse
Schimmerte goldener Schmuck, und blankes Gestein an den Armen.
Und so fuhr sie dahin auf dem Fackelwagen, von Priestern
Langsam fürder gezogen. Ein Paar langmähnige Löwen
Schritten den Rädern voran, scheu um sich blickend. Die Wächter
Hielten sie kurz an der Kette, und schwangen den Stab mit dem Stachel
Drohend, so oft vom Lärmen gereizt der gefesselten einer
Wilder den Schweif aufwarf und ein heiseres Winseln hervorstieß.

Da schon fern sie vorübergewallt, nur immer die Lohe
Wandert' Ikonium zu, und der Wind die zerrissenen Klänge
Hintrug über das Feld, sahn noch von der Höhe die Männer
Schweigend dem Lichtschein nach, und dacht' ein Jeder das Seine.
Und der Ikonier sprach: Was dünkt euch? Saht ihr im Leben
Aehnliche Pracht, und hab' ich geprahlt? Wohl schrakt ihr zusammen,
Als die erhabene Mutter daherkam, ob ihr auch Beide
Unfromm seid und die Götter verlacht. Nun kommt und erlebt erst,
Wie die Begeisterung wächs't in der Stadt, bis endlich die Priester
Sich in heiliger Wuth mit den eigenen Schwertern verwunden,
Alle der Taumel ergreift, die Besonnensten, Männer und Weiber
Tanzen, Gewänder und Haar sie zerrissen umfliegt und die Jugend
Bis an den glimmenden Morgen das Leben genießt und die Liebe.
Mancherlei Unfug freilich geschieht. Hausmütter und Greise
Haben die Köpfe zu schütteln; allein so war es von Alters,
Und wie arg sie es treiben – ich lob' es mir, da es den alten
Göttern gefällt. Denn ein Uebriges thun ist immer das Klügste.
Aber so laßt uns eilen. Ich führ' euch kürzere Wege
Bis in die Stadt; dort findet ihr Wein und Mädchen die Fülle.

Damit bog er die Ranken zurück, im Gehn von den Stöcken
Naschend. Die Anderen folgten, versenkt in Sinnen und Schweigen.


 << zurück weiter >>