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XXXIX.

»Das seltsamste Frühstück, das ich je mitgemacht habe,« sagte der Förster zu Arvidson. Die beiden Herren hatten sich zu einem schattigen Platz im Garten zurückgezogen, um in Ruhe ihre Zigarre zu genießen, – »das Essen war vorzüglich, und die Weine exzellent, und dennoch ...«

Arvidson drückte seine Zigarre nervös zwischen den Fingern und antwortete nicht.

»Der Gedanke an diese Mahlzeit macht mich krank,« fuhr der Förster fort. »Zum Schlusse wurde mir die Situation geradezu unheimlich. Spielst du Hasard?«

»Gelegentlich,« antwortete Arvidson.

»Gibt es etwas Irritierenderes, als wenn einer der Spieler plötzlich, wenn das Spiel am spannendsten ist, anfängt, Anekdoten zu erzählen? Nichts kann die Mitspieler mehr aus der Fassung bringen. Siehst du, denselben Eindruck hatte ich gegen Schluß der Mahlzeit. In aller Nerven bebte Hasard. Jeder war von seinen eigenen Gedanken bewegt, von seinen Karten, sozusagen. Du auch. Ich merkte dir an, daß du am liebsten auf den Tisch geschlagen und gerufen hättest: Zum Donnerwetter, laßt uns doch von den Dingen reden, die drohend über unseren Köpfen schweben!«

»Anfangs ging alles gut,« antwortete der Professor, »die Gegensätze aber waren zu groß, und die Nerven hielten nicht stand. Aller Gedanken waren ja nur mit dem einen beschäftigt – und dabei sollten wir die ganze Zeit von etwas anderem reden.«

»Dieser Torben muß draußen in der großen Welt viel gelernt haben,« bemerkte der Förster nachdenklich, »wenn ich bedenke, diese glatte, nichtssagende, lächelnde Konversation, und dabei hat er vielleicht am meisten darunter gelitten.«

»Das ist nicht gesagt,« antwortete der Professor, »er weiß am meisten, wir anderen schweben ja noch in Ungewißheit. Vielleicht ist seine Ruhe auch dadurch zu erklären, daß er einen unwiderruflichen Entschluß gefaßt hat, den er durchführen will. Um uns an das Gleichnis des Kartenspieles zu halten: Er kennt den Wert seiner Karten und weiß, wie er sie spielen will.«

»Was war es für eine Erleichterung, als das Frühstück endlich zu Ende war,« sagte der Förster, »das Beisammensein wurde unerträglich, es war, als ob die innere Spannung uns auseinandersprengte. Sieh, dort geht der große Finanzmann allein und gibt sich den Anschein, als ob er die Blumen betrachtete. Niemand kann mir einreden, daß Guggenheim das geringste Interesse für dergleichen besitzt. Sieh, jetzt beugt er sich mit einem ironischen Lächeln über die Rosen, als ob er an schlechten Börsenpapieren riecht. Und dort steht Torben im Gespräch mit dem Kunsthändler. Bei Gott, er scheint noch immer den Ton zu halten und ihm etwas über Zigarren zu erzählen. Ebenso wie bei Tische, als er weitläufig über die Champagnerkellereien in Epernay sprach. Der Kunsthändler sieht aus, als ob er ihm jeden Augenblick wütend ins Wort fallen könnte ...«

Es war, als ob Torben ahnte, daß sie von ihm sprachen, denn plötzlich drehte er sich um und winkte dem Professor.

»Nicht wahr,« sagte er, »Sie finden doch auch, daß dieses Zusammentreffen so einzigartig und der Tag so schön ist, daß man ihn ausschließlich der Sorglosigkeit widmen muß? Mein Freund Dr. Hengler aber will immer von Geschäften sprechen. Er strebt fort von Gottes freier Natur und will sich in dumpfen Zimmern einschließen. Was aber ist alle Kunst der Welt gegen diesen strahlenden Sommertag? Ich sage Ihnen, Herr Doktor, morgen stehe ich Ihnen zur Verfügung, morgen. Heute aber will ich mich noch meinen Freunden widmen, heute will ich ausschließlich Wirt sein.«

Damit schlug Torben ihm freundschaftlich auf die Schulter. Dr. Hengler aber fuhr zusammen und zog sich einen Schritt zurück, als ob ihn etwas Widerwärtiges berührt hätte.

... Je mehr die Nachmittagsstunden vorwärtsschritten und der Abend sich näherte, desto drückender wurde die Luft. Es war ein beständiger Wechsel im Wetter. Bald nahm der Wind ab und legte sich ganz, bald begann er von neuem. Die Sonne schien durch Nebeldunst. Ueber den Himmel zogen gewaltige Wolkenmassen, tiefblau, gewitterschwanger. In den Pausen zwischen den Windstößen machte sich die Hitze erstickend bemerkbar. Aber selbst der Wind wirkte nicht sonderlich erquickend, er war feucht und warm wie ein Föhn. Arvidson war müde geworden und saß in einem Korbstuhl auf der Veranda, drauf und dran einzuschlafen, als sich plötzlich eine schwere Gestalt neben ihn setzte. Es war Guggenheim. Der Bankier war, wie gewöhnlich, in unerschütterlicher Ruhe, doch meinte Arvidson plötzlich etwas Menschliches, Vertrauliches in seinen Zügen zu sehen.

»Ich fahre morgen früh,« sagte er, »ich muß wieder an meine Geschäfte.«

»Erwarten Sie, daß vorher etwas geschieht?«

»Ich erwarte nichts Bestimmtes. Ich kann mir die Dinge nicht mehr erklären. Ich bin hergekommen, um Torben beizustehen, weil sein Vater mein einziger und bester Jugendfreund war. Heute bot ich Torben eine große Summe Geldes. Aber wissen Sie, was er mir antwortete? Geld kann mir nicht mehr helfen.«

»Ich denke, Torben ist reich genug, daß er ein solches Angebot ablehnen kann?«

»Ich habe Ihnen ja schon gesagt, daß seine pekuniäre Lage nicht günstig ist,« antwortete der Bankier. »Der alte Milde hat während der letzten Jahre seines Lebens weit mehr Geld verbraucht, als die meisten ahnen. Die hunderttausend englischen Pfund, die ihm den Tod brachten, waren die letzte Summe aus einer langen Reihe von Auszahlungen.«

»Haben Sie Torbens Vertrauen gesucht?«

»Mit Bezug auf Dr. Hengler habe ich sein Vertrauen gesucht. Ich wollte feststellen, welche Rolle dieser geheimnisvolle Mann in der Tragödie spielt. Doch ist es mir nicht geglückt. Torben antwortete mir nur: ›Er ist ein Fanatiker, ein törichter Kunstfanatiker, wie es deren heute so viele gibt.‹ Morgen reise ich ab, ich habe hier nichts mehr zu tun. Ist Ihnen nicht auch Torbens merkwürdige Stimmung aufgefallen, diese nervöse Heiterkeit? Finden Sie sie nicht beunruhigend?«

»Allerdings.«

»Bleiben Sie heute nacht auf dem Schloß?«

»Ich glaube wohl.«

»Sie bleiben hier, um ihn zu beschützen?«

»Mag sein.«

»Sie meinen, daß er Schutz nötig hat?«

»Er ist stärker beschützt, als Sie ahnen,« antwortete Arvidson.

»So, so,« sagte der Bankdirektor mißtrauisch, »sind mehr als Sie zu seinem Schutz da?«

»Ja.«

Guggenheim trocknete sein feistes, graubleiches Gesicht mit dem Taschentuch.

»Ich habe so ein unerklärliches Gefühl, als ob Gefahr im Verzuge sei,« sagte er, »vielleicht ist es aber nur die drückende Luft, die sich auf die Nerven schlägt.«

Guggenheim lehnte sich in den Stuhl zurück und ließ seinen Blick über den Wald schweifen. Ueber den Baumkronen war der Himmel gewitterblau, die Bäume bogen sich im Winde und kehrten das Weiße ihrer Blätter nach außen.

Sune Arvidson erhob sich und ging ins Haus. Zu einer langen Reihe von Zimmern standen die Türen offen. In dem großen Eßsaal stieß er auf Rist.

»Ich habe auf Sie gewartet,« sagte er, »warum sind Sie so spät gekommen?«

»Weil ich erst ein Telegramm in Händen haben mußte, ein Telegramm aus Berlin.«

Der Professor machte eine Bewegung mit dem Kopf.

»Wegen dem da drinnen?«

»Ja, wegen Hengler. Ich durchschaue ihn jetzt ganz.«

»Wie ist es Ihnen gelungen, in dieser Verkleidung hierherzukommen?«

»Ganz einfach, es kostete mich nur hundert Kronen, die ich dem Kellner im Wirtshaus gab.«

»Wissen Sie, daß Hengler und der Amerikaner ein und dieselbe Person sind?«

»Ja.«

»Es war also Hengler, der Ihnen in jener Nacht draußen in Ihrer Villa gegenübersaß?«

»Ja.«

»Wissen Sie auch, daß Hengler in derselben Verkleidung hier heute einen Einbruch versucht hat?«

»Davon habe ich gehört. Vielleicht aber ist es doch ein anderer gewesen.«

Plötzlich packte Rist Arvidson am Arm. »Werfen Sie einen Blick in den großen Spiegel dort drüben,« sagte er, »dort sehen wir Torben, keinen anderen als ihn. Er steht im Rauchzimmer, und er sieht jemanden an. Ich bin überzeugt, daß aus seinem Blick Mord spricht.«


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