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XII.

Professor Arvidson trat schnell ans Fenster. Ganz richtig, dort unten auf der Straße hielt das graue Sportauto. Im Augenblick saß niemand darin. Einige Kinder standen daneben und betrachteten neugierig den hübschen Wagen. Es regnete nicht mehr, die Straße lag in blendendem Sonnenschein.

Arvidson sah den jungen Polizeibeamten, der mit einem triumphierenden und spöttischen Schimmer im Auge neben ihm stand, fassungslos an.

»Bleiben Sie dabei,« fragte Rist, »daß der Mann, der heute nacht auf dem Küstenweg in dem grauen Automobil zur Stadt zurückfuhr, derselbe ist, der gestern abend den Einbruch verübt hat?«

»Die Dame war ja dieselbe,« antwortete der Professor unsicher. »Die Dame mit dem Lederhut ... Und der Mann kann sich schnell umgezogen haben. Was sagt der Chauffeur Sörensen?«

»Die Dame hat er bestimmt wiedererkannt, des Herrn ist er nicht ganz sicher.«

»Und woher wissen Sie, daß das Auto dort unten dasselbe ist?« fragte Arvidson.

»So etwas ist sehr leicht festzustellen, wie ich Ihnen bereits erklärt habe; ein Schutzmann hat es in der östlichen Vorstadt zuerst beobachtet; auf dem Rathausplatz aber erregte es fast Sensation. In seiner wilden Fahrt rennt es gegen ein Droschkenpferd an, ein Schutzmann will es stoppen, der Chauffeur aber kümmert sich den Teufel darum, fährt nur noch schneller und rast in der Richtung der westlichen Vorstadt davon. Bei dem starken Licht des Rathausplatzes aber glückt es dem Schutzmann, die Nummer zu lesen und sie zu notieren. Und Sie werden zugeben, daß es nicht schwer ist, ein Auto aufzuspüren, dessen Nummer bekannt ist. Um 8.15 traf ich es vor dem Hotel Angleterre, wo es beim Eingang wartete. Zehn Minuten später kam der Besitzer heraus.«

»Der Mann von heute nacht?«

Rist zuckte die Achseln.

»Was weiß ich. Da trug er jedenfalls keine Sportkleidung mehr. Er sah wie ein Engländer aus und befand sich in Gesellschaft eines Herrn, den ich von früher kannte, des jungen Torben Milde.«

Der Professor fuhr zusammen.

»Wie Sie sehen, haben wir trotz allem einen gewissen Zusammenhang in der Affäre gefunden, eine Verbindung zwischen verschiedenen Gliedern. Der englisch aussehende Herr lenkte selbst den Wagen, und Torben Milde nahm neben ihm Platz. Beide schienen bei bester Laune zu sein. Sie unterhielten sich lebhaft. An der Sicherheit, mit der unser Mann den Wagen lenkte, sah ich, daß er ein ausgezeichneter Chauffeur sein muß. Ich folgte ihnen in einer offenen Autodroschke. Da es Torben Milde war, den ich vor mir hatte, zweifelte ich keinen Augenblick, daß die Herren hierherfahren wollten. Anfangs glaubte ich, daß die Herren Ihnen, Herr Professor, einen Besuch machen wollten. Aber ich irrte mich.«

Sune Arvidson grübelte.

»Torben,« murmelte er ratlos, »Torben Milde ...« Er sah auf seine Uhr und fügte hinzu: »Um diese Zeit wollte er schon weitergereist sein –«

»Wenn wir nun annehmen,« sagte Rist, »daß der Mann im Sportauto und der Dieb von gestern abend identisch sind, und wenn wir voraussetzen, daß der Dieb hier gewesen ist, um die Spuren eines größeren Verbrechens zu entfernen, dann kommen wir zu der sensationellen Schlußfolgerung, daß Baron Mildes Mörder sich in diesem Augenblick hier unter uns in Mildes Zimmern befindet, in freundschaftlichem Gespräch mit dem Sohn des Ermordeten.«

»Das ist ja unmöglich,« sagte der Professor, »das wäre eine unerhörte Frechheit!«

Rist schwang seine Monokelschnur hin und her; seine Miene hatte etwas Schelmisches, was darauf deuten konnte, daß er mehr wußte, als er sagen wollte. Offenbar amüsierte er sich über die Ratlosigkeit des Professors.

»Hat er Aehnlichkeit mit dem Freund des Verhafteten,« fragte der Professor, »dem mystischen Amerikaner, der seit dem Mord verschwunden gewesen ist?«

»Dem Mann mit der Narbe? Nein, dieser hat keine Narbe im Gesicht. Aber er sieht wie ein Ausländer aus, doch mehr wie ein Engländer als wie ein Amerikaner. Soll unsere Hypothese stimmen, müssen wir wohl von dem Amerikaner absehen.«

»Alle Wahrscheinlichkeit aber hat sich doch um diesen Amerikaner gesammelt!«

»Gut, dann aber müssen wir den Mann dort unten fahren lassen.«

»Es ist aber durchaus nicht unmöglich, daß der Dieb heute nacht der Amerikaner war,« behauptete der Professor eigensinnig, »sein Gesicht konnte ich in der Dunkelheit nicht sehen. Und der Mann in dem Maf-Auto braucht nicht derselbe gewesen sein, der mit der Dame aus der Stadt herausfuhr.«

»Sehr richtig. Dann aber wäre es ein merkwürdiger Zufall, daß das graue Auto geradeswegs in die Maschen unserer geheimnisvollen Sache fährt.«

»Was meinen Sie denn selbst?« fragte der Professor ungeduldig.

»Ich halte auf den Amerikaner mit der Narbe. Wenn wir ihn gefunden haben, haben wir auch den Mörder.«

»Also braucht uns der Mann dort unten auch nicht mehr zu interessieren; offenbar ist er ein Freund von Torben.«

»Halt!« rief Rist und hob abwehrend die Hand. »Im Gegenteil, ich möchte gern etwas Näheres von dem Mann wissen. Ich kenne ihn nicht. Sie aber sollten sich nach Torben umsehen, Herr Professor, da er gerade hier ist. Bei der Gelegenheit werden Sie dann auch den anderen treffen.«

»Ich werde ihn gleich aufsuchen,« sagte Arvidson und ergriff seinen Hut. »Kommen Sie mit?«

»Sie wissen, daß ich fremden Menschen am liebsten aus dem Wege gehe, Herr Professor.«

»Heuchler,« sagte der Arzt mit sanftem Vorwurf. »Sie wollen sich nur nicht sehen lassen. Treffen wir uns später?«

»Ich werde in der Klinik anrufen,« antwortete Rist und ließ sich in einen der großen Lehnstühle sinken. »Ich werde Sie nicht aus dem Auge lassen, ist es mir doch, als ob dies ein wichtiger Tag für uns beide wird. Jetzt aber bin ich müde, ich will nach der durchwachten Nacht eine Weile in diesem herrlichen Stuhl ruhen.«

Sune Arvidson betrachtete ihn eine Weile. Der junge Mann schien schon zu schlafen. Da hörte er Stimmengeräusch im Treppenhaus und eilte hinaus, weil er annahm, daß die beiden Herren im Begriff seien, die Mildesche Wohnung zu verlassen. Unten auf der Straße holte er sie ein. Torben begrüßte den Arzt herzlich und stellte ihn vor. Arvidson fuhr unwillkürlich zusammen, als der Fremde sich zu ihm umwandte.

Es war Lorenzo Hengler, der Kunsthändler. Auch er stutzte, nicht weniger erstaunt über die Begegnung, dann aber ergriff er die Hand des Arztes und drückte sie mit auffallender Herzlichkeit. Der junge Torben sei so freundlich gewesen, ihm einige Kunstschätze seines Vaters zu zeigen, besonders einige Miniaturen von großem Wert. Und einige alte chinesische Schmuckstücke. Ob er diese auch kenne? Nein, Arvidson hatte sie noch nie gesehen. Sie befanden sich in dem großen Renaissanceschrank im Arbeitszimmer, erzählte Hengler.

»Im Arbeitszimmer,« murmelte der Professor geistesabwesend, »in dem Zimmer des Toten ...«

Ja, und heute abend würde er mit Torben im Hotel Phönix zu Abend speisen, wollte vielleicht auch Herr Professor ihnen die Ehre erweisen?

Der Professor sah Torben an, und dieser verstand die Frage in seinem Blick.

»Ich bleibe noch bis morgen hier,« sagte er, »ich habe mich überreden lassen.«

Professor Arvidson war verlegen. Etwas dämmerte in seinem Bewußtsein, eine Ahnung, ein furchtbarer Verdacht, aus der Luft gegriffen, der vorläufig nur ein grenzenloses Erstaunen in ihm auslöste: Wer war eigentlich dieser Hengler? Und plötzlich bekam er das desperate Verlangen, gegen diesen Fremden, der ihn in Verlegenheit setzte, einen Hieb zu führen. Er sah ihn mit einem durchdringenden Blick an, wie er seine Patienten anzusehen pflegte: »Sie haben da einen hübschen kleinen Wagen, Herr Hengler, aber Sie fahren ihn zu schnell.«

Der Kunsthändler stutzte: »Was meinen Sie?«

»Ich sah Sie heute nacht.«

»Wirklich?« Hengler lachte laut bei der Erinnerung. »Ja, es war eine tolle Fahrt, Sie sahen mich wahrscheinlich auf dem Rathausplatz?«

»Nein.«

»In den Straßen der Stadt?«

»Nein, ich sah Sie draußen auf dem Küstenweg. Und Sie waren nicht allein im Auto.«

Hengler starrte den Arzt an, ihn eine Sekunde gespannt beobachtend. Dann aber glitt ein ausgelassenes, fast frivoles Lächeln über sein Gesicht, und indem er den Arzt freundschaftlich und gemütlich auf die Schulter schlug, sagte er: »Ein netter Käfer, nicht? Also sehen wir Sie heute abend?«

»Sehr gern,« antwortete Arvidson, verlegen über sein hastiges und unüberlegtes Auftreten. Hengler stieg in sein Auto und fuhr winkend davon. Arvidson und Torben blieben allein.


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