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XXIII.

Das Försterhaus lag ungefähr eine halbe Stunde vom Herrenhaus Marienburg entfernt. Das hübsche kleine Haus mit dem gutgehaltenen Garten war nach allen Seiten von Wald umgeben. Eine Allee, die so dicht war, daß das Laub ein Dach über den Weg bildete, verband die Försterei mit der Landstraße. Diese Lauballee war ein beliebter Spaziergang für die Bewohner der Umgebung, denn Baron Milde hielt seine Wälder für alle und jeden offen. An sonnigen Tagen war die Allee von einem wunderbaren Farbenspiel durchstrahlt und hallte von Vogelgezwitscher wider.

In dieser Allee war der Förster Södring denn auch von Baron und Baronin Milde und allen Gutsangestellten festlich empfangen worden, als er vor einiger Zeit seine junge Braut heimgeführt hatte. Sie waren gegen Abend mit dem Wagen angekommen; längs der ganzen Allee hatten die Leute mit Fackeln gestanden, deren Flammen in dem dunklen, sommerlichen Wald phantastische Bilder hervorriefen. Und in der blumengeschmückten Försterei hatte der Baron das junge Paar selbst empfangen und willkommen geheißen. Auf diese Weise hatte der Baron beständig versucht, die Traditionen in Ehren zu halten; er besaß echten, patriarchalischen Stil. Und da seine Bestrebungen einem guten, wohlmeinenden Herzen entsprangen, verziehen die Bewohner der Gegend ihm gern den etwas altmodischen, übertriebenen Pomp. Baron Mildes trauriges Ende hatte einen starken Eindruck auf die Bevölkerung gemacht. Die Nachricht war wie eine vollkommene Ueberraschung gekommen, und es war bezeichnend für Baron Mildes regelmäßige Lebensführung, daß sich auch nicht die geringste Mythe über diesen plötzlichen Todesfall gebildet hatte. Mord oder Selbstmord, beides erschien gleich unfaßbar.

... Es war am Nachmittage eines stillen, warmen Tages. Die Sonne hatte unbarmherzig von einem wolkenlosen Himmel herabgebrannt, jetzt aber wurden die Schatten schon lang, und die Sonnenstrahlen fielen schräg durch das Laub. Eine schwache, aber erfrischende Brise strich durch die Baumkronen. Im Garten saßen Professor Sune Arvidson und die Frau des Försters am Kaffeetisch und genossen die Kühle, die durch die lange Lauballee kam. Die Allee sog Kälte an sich wie ein Tunnel.

Sie warteten auf den Förster, der um diese Zeit von seinem täglichen Besuch auf dem Gut zurückzukehren pflegte. Heute aber ließ er auf sich warten. Die Frau des Hauses versuchte dem Gast die Zeit zu vertreiben, indem sie von dem täglichen Leben auf Marienburg erzählte, als der Baron noch lebte. Es war nicht anders zugegangen, als auf anderen großen Rittergütern. Nur war Baron Milde nicht sehr für Geselligkeit und Lärm gewesen und hatte Gästen gegenüber immer große Zurückhaltung beobachtet. Das alles wußte Professor Arvidson schon im voraus. Darum nahm er nur zerstreut an der Unterhaltung teil. Ein paarmal erhob er sich und blickte über den Weg, ob der Förster nicht bald auftauchen würde. Der Professor schien sehr ernst und ungeduldig, ganz von seinen eigenen Gedanken in Anspruch genommen. Hin und wieder zog er ein Telegramm aus seiner Brieftasche, das er las. Es war nur ein ganz kurzes Telegramm, aber er studierte es sehr sorgfältig und es schien ihm nicht wenig Kopfzerbrechen zu machen. Besonders schien die Zeit der Absendung ihn zu interessieren und Gegenstand seiner Berechnungen zu sein. Die junge Frau beobachtete ihn genau, aber sie fragte nicht. Sie wußte, daß Professor Arvidson hergekommen war, um wichtige Dinge mit dem Förster, seinem Jugendfreund, zu besprechen. Doch äußerte sie keine Neugierde, denn sie mischte sich nie in die geschäftlichen Angelegenheiten ihres Mannes.

Der Förster und Professor Arvidson waren, wie bereits gesagt, alte Freunde, zwischen denen ein erprobtes Vertrauensverhältnis bestand. Der Professor hatte dem Förster allerdings keinen Einblick in die Geheimnisse der Mordaffäre gegeben, hatte ihm aber zu verstehen gegeben, daß es sich um gewisse mysteriöse Umstände handelte, die sich möglicherweise hier auf dem Gute klären ließen. Der Professor hatte den Wunsch geäußert, daß sein Aufenthalt auf Marienburg ein Geheimnis bleiben sollte, oder jedenfalls der Zweck desselben. Er wollte nicht, daß der junge Torben den Eindruck bekommen sollte, daß der Professor sich auf ungehörige und zudringliche Weise in seine Angelegenheiten mischte. Der Professor beabsichtigte ungefähr eine Woche hierzubleiben und wieder in Kopenhagen zu sein, wenn Torben Milde von seiner Reise aus Schweden zurückkam.

Nachdem der Professor seinem alten Freunde den Zweck seiner Reise auf diese Weise klargemacht hatte, wurde er gleich von einem merkwürdigen Zusammentreffen verschiedener Umstände überrascht. Der Förster zeigte ihm einen Brief, den er tags zuvor von Torben bekommen hatte. Bevor er aber Arvidson den Brief zeigte, stellte er einige Fragen an ihn.

Zunächst: Ob der Aufenthalt des Professors irgendwie gegen Torbens Interesse sein könne?

Hierauf antwortete Arvidson mit Nein.

Ob er Torben etwas von seiner bevorstehenden Reise gesagt habe?

Wieder ein Nein.

Ahnte Torben denn, daß Arvidson diese Reise vorhabe?

Nein, auch das nicht. Torben hatte Kopenhagen bereits verlassen, als der Professor seinen Entschluß faßte.

Darauf hatten der Professor und der Förster Torbens Brief zusammen gelesen. Sune Arvidson war höchlichst erstaunt, denn aus dem Brief ging hervor, daß der junge Baron einen Besuch, wie den seinen, vorausgesehen hatte. Allerdings nannte er nicht den Namen des Professors. Er schrieb nur ganz kurz und meldete seine bevorstehende Ankunft an. »Bevor ich aber selbst eintreffe, wünsche ich, daß das Schloß unter beständiger Aufsicht bleibt. Ich bitte Sie, Herr Södring, sich so viel wie möglich im Schlosse selbst oder in seiner unmittelbaren Nähe aufzuhalten. Ich möchte daran erinnern, daß sich Kunstgegenstände von ganz bedeutendem Wert im Schlosse befinden. Schärfen Sie der Dienerschaft ein, daß sie keine Unbefugten in das Schloß hereinläßt. Besonders lege ich Wert darauf, daß unter gar keinen Umständen zufällige Sommergäste das Schloß betreten. Ferner rufe ich Ihnen noch einmal in die Erinnerung, daß mein Vater mit Rücksicht auf einige besonders wertvolle Kunstgegenstände gewisse Zimmer abgeschlossen hielt. Ich brauche wohl nicht besonders zu betonen, daß dieses Verbot aufrechterhalten bleibt, und daß niemand ohne meine ausdrückliche Erlaubnis diese Zimmer betreten darf.«

Dem Förster war der Ausdruck »zufällige Sommergäste« aufgefallen, und er hatte gedacht, daß er sich möglicherweise auf das Eintreffen des Professors bezöge, vor dem er ihn hatte warnen wollen. Der Professor aber blieb dabei, daß Torben unmöglich etwas von seiner Reise geahnt hatte.

»Er scheint aber doch zu erwarten, daß jemand eintreffen wird.«

»Das sieht fast so aus,« räumte der Professor ein.

»Und er scheint diesen Menschen zu fürchten, sonst würde er wohl nicht so eindringlich schreiben.«

Auch das mußte der Professor zugeben.

Darauf hatte der Förster Arvidson noch gefragt, ob er die Absicht habe, das Schloß zu besehen, das müsse er ihm jedenfalls auf das bestimmteste verweigern.

Sune Arvidson aber hatte geantwortet, daß das vorerst nicht zu seinen Plänen gehörte. Im Gegenteil, er wolle vorläufig hier in der Försterei bleiben und sich so wenig wie möglich in der Umgebung sehen lassen. Dagegen riet er seinem alten Freund, Torbens Anweisungen genau zu befolgen und durch häufige Besuche auf dem Schlosse dafür Sorge zu tragen, daß den Wünschen des jungen Barons Rechnung getragen wurde.

Das war auch die Ansicht des Försters. Dieser »zufällige Sommergast« aber, von dem Torben geschrieben hatte, beschäftigte ihn sehr und machte ihn nachdenklich.

»Wenn er dich nicht damit gemeint hat,« sagte er zu Sune Arvidson, »muß es noch ein anderer sein.«

Ueberhaupt waren diese geheimnisvollen Veranstaltungen, sowohl Arvidsons Besuch, wie der Brief des jungen Gutsbesitzers, dazu geeignet, den Förster zu beunruhigen. Die unheimliche Stimmung nach dem Tode des Gutsbesitzers war noch nicht verflogen. Noch ruhte die Mystik über dem großen und verlassenen Rittergut. Was wollte Professor Arvidson beobachten? Wer war der Sommergast? Was bedeutete Torbens Besorgnis?

In diese Stimmung von schicksalsschwangerer Unsicherheit platzte Rists Telegramm: Hengler kommt!


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