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Letztes Kapitel.

A lubore reclinat otium.

Hor.

Ich fühle, daß die Vorliebe, welche der Leser im Allgemeinen für die altväterische und jetzt etwas abgekommene Gewohnheit hegt, ihm am Schluß eines Werkes die neuesten Nachrichten von den Personen zu geben, welche im Verlauf desselben seine Bekanntschaft in Anspruch nahmen, eine gewisse Berechtigung hat.

Der schwache, aber wohlmeinende Smith, nicht mehr gedrängt durch den schlimmen Einfluß seines Bruders, hat seine Tage fortwährend behaglich und ehrenhaft verlebt mit dem Einkommen, das ihm Philipp Beaufort ausgesetzt.

Mr. und Mrs. Roger Morton leben noch, und haben so eben ihr Geschäft ihrem ältesten Sohn abgetreten, und sich auf ein kleines Landhaus in der Nähe der Stadt, wo sie ihr Vermögen erworben, zurückgezogen. Mrs. Morton ist sehr geneigt, wenn sie um Thee in ein anderes Haus geht, von ihrer geliebten verstorbenen Schwägerin, der weiland Mrs. Beaufort, zu sprechen, und von ihrer eigenen ausnehmenden Güte gegen ihren Neffen als kleinen Knaben. Sie bemerkte, daß in der That die jungen Männer Alles ihr und Mr. Roger verdankten; und wirklich, wenn schon Sidney nie eine dankbare Gemüthsart zeigte und nie in ihre Nähe gekommen ist, so legt doch der ältere Bruder, der Mr. Beaufort seine Hochachtung gegen sie durch das jährliche Geschenk eines fetten Rehbocks an den Tag. Dann stellt sie ihre Betrachtungen an über das Steigen und Sinken im Leben, und bemerkt, es sey sehr Schade, daß ihr Sohn Tom den ärztlichen Beruf der Kirche vorgezogen. – Ihr Vetter, Mr. Beaufort, hat zwei Pfründen. Zu all diesem sagt Mr. Roger Nichts, als gelegentlich: »Dank dem Himmel, ich brauche keines Menschen Hülfe! Es geht mir so gut wie Andern. Aber das liegt weder hier noch dort! Siehe oben: »Aber das gehört hier nicht zur Sache!««

Einige Leser – solche, welche die Wahrheiten dieses Lebens nicht ganz richtig erwägen – werden noch fragen: »Aber wie ist Lord Lilburne gestraft?« Gestraft, ja, und wie? Die Welt und nicht der Dichter, hat diese Frage zu beantworten. Verbrechen werden von Außen bestraft. Wenn das Laster bestraft wird, so muß die Strafe eine innere seyn. Die Lilburnes dieser hohlen Welt dürfen nicht mit den weichen Rosen der poetischen Gerechtigkeit beworfen werden. Diejenigen, die fragen, warum er nicht gestraft ist, dürften die Ersten seyn, die den Hut abziehen vor der Equipage, in der er durch die Straßen rollt! Das einzige von ihm gewohnheitsmäßig geübte Vergehen, das, bei einer Entdeckung, ihm Strafe zuziehen konnte, gab er im Augenblick auf, wo er die Gefahr der Entdeckung wahrnahm; er spielte nach Philipps Anspielung nicht mehr. Er war einige Jahre nachher Einer von denen, die am bittersten schalten über einen Edelmann, dem man falsches Spielen Schuld gab, von denen, die die Anklage als erwiesen annahmen, und deren Autorität allen Streit hierüber entschied.

Aber wenn kein Donnerkeil auf Lord Lilburnes Haupt fällt – wenn ihm bestimmt ist, noch fort zu essen und zu trinken und in seinem Bette zu sterben, so kann er doch noch die Asche der Frucht des todten Meeres Von Josephus Josephus (Bellum Judaicum, IV, 8, 4) wird diese Frucht vom roten Meere erwähnt: »Diese Früchte haben eine Farbe, als wären sie zum Verzehr geeignet. aber wenn man sie pflückt, lösen sie sich in Rauch und Asche auf.« Was genau diese Frucht ist, bleibt ungewiss. – Anm.d.Hrsg. zu kosten bekommen, die seine Hand gepflückt. Er ist alt geworden. Seine körperlichen Leiden nehmen zu; seine einzigen Quellen des Genusses – die Sinne – sind versiegt. Für ihn haben köstliche Gerichte keinen Wohlgeschmack – ihm funkelt der Wein nicht mehr; er hat kein Gefallen mehr am Mann, noch am Weibe. Er ist allein mit dem Alter, im Angesicht des Todes.

Mit Ausnahme Simons, der wenige Tage nach Sidneys Vermählung in seinem Stuhle starb, ist Robert Beaufort der Einzige unter den wichtigeren, bei der letzten Scene unserer Geschichte noch übrigen Personen, der unsere irdische Bühne verlassen hat. Nach der Hochzeit seiner Tochter siechte und verkam er. Er pflegte zu sagen – denn, was er sagte, klang immer gefühlvoll – er vermisse sein theures Kind, zumal da er keinen Sohn habe. Aber was ihm fehlte, war das Erbe von Beaufort-Court. Der letzte Strohhalm, an den er sich geklammert, die Hoffnung, daß Camilla den ältern Bruder heirathen, und daß so seine Enkel herrschen und schalten würden an seiner Statt, ihm entrissen, – versank er immer tiefer und tiefer in das trostlose Gefühl seines Nichts. Obgleich er noch das Haus und das Hauptvermögen für seine Lebenszeit inne hatte – er war hier doch nur ein geduldeter Gast. Wo war das achtunggebietende, tröstliche, selbstgefällige Bewußtseyn von Rechten in se – von Besitz – von Eigenthum? Er wandelte freudlos im Park, ritt gedankenlos auf den Pachtgütern herum; und saß schweigend in den Sälen; er war nur der Stellvertreter eines Andern. So siechte er allmälig unvermerkt dahin aus Armuth – moralischer Armuth – inmitten von wirklichem Reichthum, Luxus, Ueberfluß! Keine sichtbare Krankheit war vorhanden, mit der die Aerzte hätten ringen können. Sie konnten die Hufen Landes nicht in Pillen verwandeln, die er hätte verschlingen, die Wälder nicht in Dekokte Pharmazeutische Absude, Aufgüsse. – Anm.d.Hrsg. auflösen, die er hätte trinken und genesen können. Camilla, auf die Kunde, daß er leidend sey, und ihre Gegenwart ihm vielleicht wohlthätig wäre, flog zu ihm. Aber jetzt ward sichtbar, daß sie in seinen Gedanken Nichts galt; und selbst als ihr erster Sohn geboren wurde, und in seinen Armen schrie, sah er ihn leer und interesselos an: »Mein Enkel! Ja, und sein Oheim hat für ihn, und auch für Dich, schön gesorgt – ich läugne es nicht; aber mein Enkel wird nie Parlamentsmitglied für die Grafschaft werden!« Dennoch beklagte er sich nicht, und haschte immer noch nach Gefühlen, die ihm Ehre machten; ›Er habe nie etwas Anderes verlangt, als was gerecht sey; er hätte dem Prozeß Widerstand leisten können, aber er habe nie daran gedacht. Mr. Philipp sey ein ganz feiner, junger Mann, und wisse, er schätze sich glücklich, dies sagen zu können, seine Motive zu würdigen. Er habe nie zu viel sich um Geld bekümmert. Er danke dem Himmel – Habgier sey sein Fehler nicht.‹ Und so starb er.

Mrs. Beaufort nahm nach seinem Tod ihren Wohnsitz in London, und ließ sich nie bereden, Beaufort-Court zu besuchen. Sie nahm eine Gesellschafterin zu sich, die in ihren Augen Camilla's Entfernung mehr als ersetzte.

Und Camilla – Spencer – Sidney. Die leben noch an dem milden See, glücklich in ihren harmlosen Freuden und ihrer reizenden Muße; fliehend den Ehrgeiz mit seinen Prüfungen, das thätige Handeln mit seinen Wechseln; Niemand beneidend, Nichts begehrend – in der geschäftigen Welt gleichsam den alten pastoralischen und goldnen Festtag um sich her verbreitend. Wenn Camilla einmal in ihrer Anhänglichkeit an Sidney geschwankt hatte, so ist ihr gutes, einfaches Herz längst durch seine Hingebung wieder gewonnen worden; und wie sich bei ihrer Gemüthsart erwarten ließ, sie liebte ihn inniger nach der Vermählung als vorher.

Philipp hatte härtere Prüfungen durchgemacht als Sidney; aber wäre ihr Schicksal umgekehrt gewesen, und der in der Jugend so hochmüthige und eigenwillige Geist in Behagen und Luxus großgezogen worden: wäre dann wohl Philipp ein besserer und glücklicherer Mensch? Vielleicht ist auch Philipp jetzt noch zu einem minder ruhigen Daseyn bestimmt, als sein Bruder; aber im Verhältniß zu den Fügungen unsers Geschicks steht auch unsere Ruhe und unser Ringen; wer nie Leiden gekannt, empfindet auch die Freuden nur halb, das Loos des Edelsten auf der Erde fällt nicht in die Rosengärten des Epikuräers. Wir mögen den Mann beneiden, der genießt und ruht; aber das Lächeln des Himmels senkt sich wohl eher auf den, der arbeitet und strebt.

Und bedauerte Philipp je die Fügungen, die ihm Fanny zur Genossin seines Lebens gaben? Manchen, die ihre Begriffe vom Idealen mehr von den konventionellen Regeln des Romans, als ihren eignen Beobachtungen der Wahrheit entlehnen, würde diese Erzählung wohl besser gefallen, wenn Philipp nie eine Andere geliebt hätte. Aber Alles, was am Ende zu dieser Liebe geführt, hatte nur gedient, sie dauernder und inniger zu machen. Die stärkste und würdigste Neigung des Mannes ist seine letzte – ist diejenige, die alle seine frühern Träume von Trefflichkeit zusammenfaßt und verkörpert – diejenige, der die Hoffnung, durch frühere Täuschungen nur geläuterter und glänzender, entspringt – diejenige, in welcher die Erinnerungen am zartesten und reichsten sind, – diejenige, die, alle andere verdrängend, selbst von Nichts mehr verdrängt werden kann.

 

Und jetzt, ehe der Vorhang fällt, und das Publikum, welches die aufgetretenen Personen vielleicht eine Weile interessirt haben, sich zerstreut, um unter den Bestrebungen des wirklichen Lebens die Schatten zu vergessen, die sie eine Stunde unterhalten, sie eine Sorge vergessen gemacht, möge noch ein Gemälde von Glück ihrem Auge sich darbieten.

Einige Jahre seit der Vermählung von Philipp und Fanny sind verstrichen – Jahre, die sie meist auf Reisen zugebracht. – Es ist ein Sommermorgen. In einem kleinen, altmodischen Zimmer in Beaufort-Court, die Fenster gegen den Garten offen, stand Philipp, der eben eingetreten; und am Fenster saß Fanny, ihren Knaben neben sich. Sie war an der härtesten Arbeit der Mutter – dem ersten Unterricht des erstgebornen Kindes; und wenn der Knabe in ihr holdes, ernstes Angesicht schaute, mit einem intelligenten Lächeln in dem seinigen, so sah man auf Einen Blick, wie gut die Lehrerin und der Schüler sich verstanden. Ja, was der Jungfrau gefehlt haben mochte zur vollen Entwicklung des Geistes, das hatten die Sorgen der Mutter ergänzt. Als sie ein Wesen geboren, das sich an sie anlehnen, dessen Leben von ihrer Vorsehung abhängen sollte – da war Stunde um Stunde, Schritt für Schritt, beim Vorschreiten der Bestimmung des Kindes, die Vernunft der Mutter mit dem Wachsthum des Kindes herangewachsen, sich nach jedem Bedürfniß richtend, für das sie sorgen mußte, und ihre Vollkommenheit und Vollendung schöpfend aus dem Lebenshauch der neuen Liebe!

Das Kind sah Philipp eintreten, und rannte auf ihn zu, ihn zu umarmen.

»Sieh!« flüsterte Fanny, die sich auch an ihn geschmiegt, und seltsame Erinnerungen an ihre eigne räthselhafte Kindheit stürmten auf sie ein, »sieh!« flüsterte sie mit einem Erröthen, halb beschämt, halb stolz: »das arme, blöde Mädchen ist die Lehrerin Deines Kindes!«

»Und,« versetzte Philipp, »für Kinder oder Mutter, welcher Lehrmeister geht der Liebe vor?«

Damit nahm er das Kind in seine Arme; und wie er sich über diese Rosenwangen beugte, sah Fanny an der Bewegung seiner Lippen und seinem feuchten Auge, daß er Gott dankte und pries. Er blickte in der Mutter Antlitz, schaute auf die Blumen und das Laub des üppigen Sommers, und pries wieder Gott; und Außen und im Innern war es Licht und Morgen!

* * *

 


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