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Zehntes Kapitel.

                                            Ich führe dich
An Kummers Arm das Elend zu begrüßen.

Heywood's Herzogin von Suffolk.

Wer ist hier außerm wilden Wetter noch?

Shakspeare's Lear.

Die Sonne war so glänzend und der Himmel so heiter und rein während dieser Wanderung der Waisen, wie bei ihrer früheren. Sie mieden, wie damals, die Hauptstraßen, und ihr Weg führte sie durch Landschaften, welche das Auge eines Gainsborough bezaubert haben würden; der Herbst schüttete seine letzte goldnen Farben über das bunte Laub aus, und der Mohn glühte über den Hecken, und die wilde Winde glänzte noch da und dort mit einem Abschiedslächeln am Wege.

Zu Zeiten hörte man über den Stoppelfeldern den Knall vom Gewehr eines Jagdliebhabers; und dann und wann störten sie am Bach und Schilf die scheuen wilden Hühner auf, die eben aus fernen Landen gekommen, sich noch nicht recht angesiedelt hatten in der neuen Heimath, die nur zu bald beunruhigt werden sollte.

Aber die Wanderer selbst hatten nicht mehr dasselbe Herz,das Mühsal und Anstrengung leicht genommen hatte. Sidney, floh jetzt nicht mehr vor einem rauhen Herrn, und sein Schritt ward nicht beflügelt durch die Schnellkraft der Furcht, die ihm von hinten drohte, noch die der Hoffnung, die ihm entgegen lächelte. Er war begriffen auf einer mühseligen, ermüdenden Wanderung, er wußte nicht warum, und nicht wohin; und das gerade, als er einen Freund gefunden, dessen liebreiche Worte seine kindische Phantasie schmeichelnd beschäftigten. Er war mißvergnügt über Philipp, und trabte in mürrischem, schweigsamen Nachdenken hinter ihm her; und Morton selbst war finster und wußte nicht, wo in der Welt er eine Zukunft suchen sollte.

Sie kamen mit der Dämmerung in einer kleinen Herberge an, nicht so entfernt von der Stadt, die sie verlassen, als Morton gewünscht hätte; aber die Tage waren auch schon kürzer als während ihrer ersten Flucht.

Man wies sie in ein kleines mit Sand bestreutes Zimmer, welches Sidney mit großem Unmuth beaugenscheinigte; nicht besser zufrieden schien er mit dem gehackten und gezackten kalten Hammelsschlegel, der Alles war, was die Wirthin ihnen zum Nachtessen vorsetzte. Philipp bemühte sich vergebens, ihn aufzuheitern, und aß, um ihm ein Beispiel zu geben. Er fühlte sich erleichtert, als unter der Beihülfe einer gutaussehenden, gutmüthigen Zimmermagd Sidney sich zur Ruhe begab, und er in dem Wirthszimmer mit seinen Betrachtungen allein zurückblieb.

Bisher war es ein Glück für Morton gewesen, daß er Jemand gehabt, der auf ihn angewiesen war; dies Bewußtseyn hatte ihm Beharrlichkeit, Geduld, Stärke und Hoffnung gegeben. Aber jetzt, niedergeschlagen und traurig, fühlte er eher Entsetzen bei dem Gedanken, für ein menschliches Leben verantwortlich zu seyn, ohne Mittel vor sich zu sehen, seiner Aufgabe sich zu entledigen. Es war ihm, selbst bei seiner geringen Erfahrung, klar, daß er wohl nicht leicht wieder einen so gefälligen Brodherrn finden würde, wie Mr. Stubmore, und wohin er auch ging, es war ihm immer, als ob sein Verhängniß hinter ihm herschritte.

Er zog sein kleines Vermögen heraus und breitete es auf dem Tisch aus und zählte und rechnete; es war so ziemlich im gleichen Bestand geblieben, seit er bei Mr. Stubmore Dienste genommen, denn Sidney hatte seinen Lohn aufgezehrt. Während er so beschäftigt war, ging die Thüre auf, und die Zimmermagd, einen Gentleman hereinweisend, sagte: »Wir haben kein andres Zimmer, Sir.«

»Nun, ganz gut – ich bin nicht verwöhnt; ein Glas Branntwein und Wasser, so frostig, kalt draußen – die Zeitung – und eine Cigarre; Ihr habt Nichts gegen das Rauchen, Sir?«

Philipp sah von seinem Tisch auf, und Kapitän de Burgh Smith stand vor ihm.

»Ah!« sagte der Letztere, »eine glückliche Begegnung!«

Und die Thüre schließend, nahm er seinen Oberrock ab, setzte sich neben Philipp, und heftete beide Augen mit nicht geringer Aufmerksamkeit auf die hübschen Häuschen, in welche Philipp seine Banknoten, Souverains und Schillinge geordnet hatte.

»Hübsche kleine Summe zu einem Taschengeld: Baar Geld in der Hand fördert Einen gut, richtig angelegt. Ihr müßt sehr glücklich gewesen seyn. Nun, ich bilde mir ein, Ihr seyd erstaunt, mich hier zu sehen ohne meinen Phaëton.«

»Ich wollte, ich hätte Euch gar nie gesehen,« erwiederte Philipp unhöflich und steckte sein Geld wieder in die Tasche; »Euer Betrug an Mr. Stubmore und Eure Versicherung, mich zu kennen, haben mich in die weite Welt hinausgestoßen.«

»Was dem Einen Stärkung, ist dem Andern Gift,« sagte der Kapitän philosophisch. »Was hilfts sich ereifern? Kummer und Sorgen bringen eine Katze um. Ich bin so übel dran wie Ihr; denn ich will gehängt werden, wenn nicht ein Spürhund von Bow-Street in der Stadt war. Ich sah ihn just sein Auge auf Euch heften wie einen Bohrer; so packte ich auf – ging nach N***, ließ dort für den Augenblick meinen Phaëton und Reitknecht, und eilte zurück, um die Verfolger zu täuschen, und durchschnitt quer das Land. Ihr erinnert Euch des hübschen Mädchens, das wir in der Kutsche sahen; bei Gott, ich bediente ihren Bräutigam, daß es ein prächtiger Streich ist! Entlehnte sein Geld unter dem Verwand, es in der neuen großen Anti-Dry-Rot-Compagnie anzulegen; blanke hundert – eben erst hinaus, Sir!«

Hier trat die Zimmermagd ein mit dem Branntwein und Wasser, der Zeitung und der Cigarre! – der Kapitän steckte die letztere an, nahm einen herzhaften Schluck von dem Getränke, und sagte munter:

»Nun gut jetzt, laßt uns unser Schicksal vermählen; wir sind Beide, wie Ihr sagt, in die Welt hinausgestoßen. Das – beste Mittel, dem Sturm Stand zu halten, ist, die Taue zusammenzubinden.«

Philipp schüttelte den Kopf, und suchte, seines Gesellschafters überdrüssig, sein Kissen. Er legte sorgfältig sein Geld unter den Kopf und riegelte die Thüre.

 

Die Brüder machten sich mit Tagesanbruch auf den Weg; Sidney war noch mißvergnügter als am vorigen Tag. Das Wetter war heiß und schwül; sie rasteten um Mittag einige Stunden und setzten in der Kühle des Abends ihren Weg fort. Philipp hatte beschlossen, einer Stadt mitten in einem für die Jagd günstig gelegenen Bezirk zuzusteuern, wo er hoffte, seine ritterlichen Künste und Fertigkeiten würden ihm wieder nützlich und empfehlend seyn; und ihr Weg ging jetzt, durch eine Reihe großer, trauriger Gemeindeanger, was ihnen wenigstens den Vortheil gewährte, unbeobachtet die Landstraße umgehen zu können.

Aber wie dieß nun kommen mochte, sey es, daß Philipp nicht recht berichtet worden war hinsichtlich der Herberge, wo er die Nacht zuzubringen gedacht, oder daß er sie verfehlt hatte: die Wolken dunkelten und die Sonne senkte sich unter den Horizont, und noch war keine Spur von einer menschlichen Wohnung sichtbar. Sidney, mit wunden Füßen und mißvergnügt, fing an zu weinen und zu erklären, er könne nicht weiter gehen; und während Philipp, dessen eiserner Körper jeder Anstrengung spottete, mitleidig stehen blieb, um seinen Bruder ausruhen zu lassen, ertönte in der schwülen Luft ein leises Rollen fernen Donners.

»Es ist ein Gewitter im Anzug,« sagte er ängstlich; »komm weiter, Sidney, ich bitte Dich, komm weiter!«

»Es ist so grausam von Dir, Bruder Philipp,« versetzte Sidney schluchzend. »Ich wollte, ich wäre nie, gar nie mit Dir gegangen.«

Ein zuckender Blitzstrahl, der den ganzen Himmel erleuchtete, schwebte um Sidneys bleiches Antlitz, während er sprach; und Philipp warf sich instinktmäßig auf das Kind, als wollte er es selbst gegen den Zorn des unabwendbaren Feuers schützen. Sidney, durch den Schrecken zum Schweigen gebracht, hing sich an seines Bruders Brust; nach einer Weile willigte er schweigend in die Fortsetzung des Marsches.

Aber jetzt kam das Gewitter den Wanderern näher und näher, die Dunkelheit nahm sehr rasch zu, außer wenn der Blitz Himmel und Erde zugleich mit einem für das Auge unerträglichen Glanz erhellte, und als endlich der Regen in ersäufenden Strömen unbarmherzig zu fallen anfing, da verzagte selbst Philipps tapferes Herz. Wie konnte er Sidney auffordern weiter zu gehen, wenn sie kaum einen Zoll breit den Weg vor sich sahen? Alles, was sie jetzt thun konnten, war; die Landstraße zu gewinnen und auf ein vorbeikommendes Fuhrwerk zu hoffen.

Mit abwechselnden Schritten, bald hastig, bald zögernd, bei dem grellen Licht der Blitze, erreichten sie ihr Ziel, und standen endlich auf der großen breiten Straße, auf welcher, seit die Römer damit das Blachfeld durchschnitten, das Elend sich hinschleppte und die Ueppigkeit dahinrollte – auf gemeinsamem Wege.

Philipp hatte Halstuch, Rock, Weste ausgezogen, Alles um Sidney zu schützen, und er empfand eine Art seltsamer Freude, wenn er in dem Dunkel Sidney's Stimme auch nur ächzen und wimmern hörte. Aber diese Stimme wurde immer matter und schwächer, sie verstummte ganz – Sidneys Last hing schwer, immer schwerer an seinem stützenden Arme.

»Ums Himmelswillen, sprich! – sprich, Sidney! – nur ein Wort! – Ich will Dich auf meinen Armen tragen!«

»Ich glaube, ich sterbe,« versetzte Sidney leise murmelnd; »ich bin so müde und erschöpft; ich kann nicht weiter – ich muß hier hinliegen.«

Und er sank plötzlich auf das dampfende Gras an der Straße nieder. In dieser Zeit ließ der Regen allmälig nach – die Wolken zertheilten sich – ein gräuliches Licht trat an die Stelle der Finsterniß – die Blitze waren entfernter, und der Donner rollte fort auf seiner unheimlichen Bahn. Auf dem Boden knieend, hielt Philipp seinen Bruder in seinen Armen, und richtete seinen flehenden Blick empor zu den nachlassenden Schrecknissen des Himmels.

Ein Stern, ein einsamer Stern, trat einen Augenblick hervor, wie um ihm Trost zuzulächeln, und verschwand dann wieder. Aber siehe! in der Ferne flimmerte plötzlich ein rothes, stetiges Licht, wie in einem einsamen Fenster; es war kein Irrlicht, es blieb so an einem Ort – ein Obdach von Menschen war also näher, als er gedacht hatte. Er deutete auf das Licht und flüsterte:

»Raffe Dich auf! nur noch eine Anstrengung! Es kann nicht entfernt seyn!«

»Es ist unmöglich – ich kann nicht weiter!« antwortete Sidney und ein plötzlicher Blitzstrahl zeigte sein Angesichts geisterhaft entstellt, als ruhte der Schweiß und Nebel des Todes darauf.

Was konnte der Bruder thun? Hier stehen bleiben und den Knaben vor seinen Augen sterben sehen? ihn auf der Straße allein lassen, und dem freundlichen Licht zueilen? Der letztere Plan war der einzige, der ihm übrig blieb, aber er bebte davor mit größerer Furcht zurück als vor dem erstern. War das ein Schritt, was er auf der Straße hörte? Er hielt den Athem an, um zu lauschen – eine Gestalt zeigte sich in dämmernden Umrissen – sie kam näher.

Philipp schrie mit lauter Stimme.

»Was gibts da?« erwiederte die Stimme, und sie schien Mortons Ohr bekannt. Er sprang vor und indem er dem Wanderer ganz nahe ins Gesicht schaute, glaubte er die Züge – von Kapitän de Burgh Smith zu erkennen. Der Kapitän, dessen Augen noch mehr ans Dunkel gewöhnt waren, redete ihn zuerst an.

»Wie, mein Junge, seyd Ihr es wirklich! Bei Gott, Ihr habt mich erschreckt!«

So verhaßt dieser Mann bisher Philipp gewesen, war er ihm doch jetzt so willkommen wie das Licht des Tages; er faßte seine Hand – »Mein Bruder, – ein Kind – liegt da, sterbend, so fürchte ich, vor Kälte und Erschöpfung, und kann nicht weiter. Wollt Ihr bei ihm bleiben – ihn unterstützen – nur ein paar Augenblicke, während ich jenem Licht zueile? Seht, ich habe Geld – Geld genug!«

»Mein guter Bursche, es ist häßliche Arbeit, zu dieser Zeit auf der Straße stehen zu bleiben – jedoch, wo ist das Kind?«

»Hier! hier! macht schnell, hebt ihn auf! so ists recht! Gott segne Euch! Ich werde zurück seyn, ehe Ihr meint, daß ich fort sey.«

Er sprang von der Landstraße weg und stürzte dahin durch die Haide, das Gestrüppe, die faulen, glänzenden Sümpfe, gerade auf das Licht zu – wie der Schwimmer nach dem Ufer.

Der Kapitän, obgleich ein Schuft, war menschlich, und wenn ein Leben, ein unschuldiges Leben, auf dem Spiele steht, erhebt sich selbst das Herz eines Spitzbuben von seinem stillen Bette von Unkraut. Er murmelte zwar einige Flüche, aber er hielt das Kind in seinen Armen, und eine kleine, zinnerne Flasche herausziehend, träufelte er Sidney ein wenig Branntwein in den Hals, und dann, der Gesellschaft wegen, in seinen eigenen. Die Herzstärkung belebte den Knaben wieder; er schlug die Augen auf und sagte:

»Ich glaube, ich kann jetzt weiter gehen, Philipp.«

 

Wir müssen nun zu Arthur Beaufort zurückkehren. Er war, obgleich sanft und mild, von Natur doch ein Mensch von empfindlichem Geist und nicht ohne Stolz. Er stand vom Boden auf mit bittern, grollenden Gefühlen und glühender Wange, und ging in den Gasthof. Hier fand er den Mr. Spencer, der eben von seinem Besuch bei Sidney zurückgekommen. Bezaubert von dem sanften, anschmeichelnden Wesen des Sohnes seiner verlorenen Katharine, und tief gerührt von der Aehnlichkeit, die das Kind mit der Mutter hatte, wie er sie zuletzt gesehen im fröhlichen, rosigen Alter von sechszehn Lenzen, zog er durch seine Schilderung des jüngern Bruders Beauforts zürnende Gedanken von dem ältern ab. Er vereinigte sich von ganzem Herzen mit Mr. Spencer in dem Wunsch, ein so sanftes Wesen dem Einfluß und der Herrschaft eines so trotzigen Menschen zu entziehen, und eigentlich war es ja auch dies Kind, welches ihm von Katharinen so lebhaft war empfohlen worden. Von dem Aeltern hatte sie wenig gesagt; vielleicht hatte sie seine unliebenswürdige, unbändige Natur, und seinen Hang, wie es Beaufort vorkam, für ein rohes und niedriges Leben, gekannt.

»Ja,« sagte er, »so soll mich denn dieser Knabe trösten über die verkehrte und verstockte Brutalität des andern. Er soll aus meinem Becher trinken, von meinem Brod essen und mir wie ein Bruder seyn.«

»Was?« sagte Mr. Spencer und sein Gesicht wechselte den Ausdruck, »Ihr gedenkt doch nicht Sidney ganz zu Euch zu nehmen? Ich gedachte ihn als meinen Sohn anzunehmen – an Kindesstatt!«

»Nein; so großmüthig Ihr seyd,« versetzte Arthur und drückte ihm die Hand, »diese Pflicht fällt mir zu, sie ist mein Recht. Ich bin der Verwandte des Waisen – seine Mutter hat ihn mir übergeben. Aber er soll Euch darum nicht weniger lieben lernen.«

Mr. Spencer schwieg. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, Sidney als Bewohner seines freudlosen Hauses, als zarte Reliquie seiner frühen Liebe, zu verlieren. Von diesem Augenblick an begann er die Möglichkeit zu erwägen, ohne Vorwissen der Beauforts, Sidney für sich selbst zu gewinnen.

Die Plane Arthurs und Spencers wurden unterbrochen durch die plötzliche Flucht der Brüder. Sie beschloßen, auf verschiednen Wegen ihnen nachzuforschen. Spencer, als der Unbehülflichere von Beiden, erhielt zu seinem Beistand den Mr. Sharp; Beaufort reiste mit dem Advokaten ab.

Zwei Reisende in einer Miethkutsche wurden von einem Paar abgetriebener Postpferde langsam durch die oben beschriebenen Gemeindeanger fortgeschleppt.

»Ich glaube,« sagte der Eine, »das Gewitter hat sich so ziemlich gelegt; ach! ach! welch eine unangenehme Nacht!«

»Ganz abscheulich häßlich, Sir,« versetzte der Andere; »und eine grausam lange Station, achtzehn Meilen. Diese abgelegenen Gegenden bleiben ganz hinter der Zeit zurück, Sir, – ganz. Aber ich glaube, wir werden sie jetzt fassen.«

»Ich fürchte mich sehr vor dem ältern Knaben, Sharp. Es scheint ein gräßlicher Vagabund.«

»Ja, seht Ihr, Sir, ganz wie Hand und Handschuh mit Dashing Jerry; trafen sich in derselben Herberge vorige Nacht, – vorher verabredet, verlaßt Euch drauf. Es wäre die beste Arbeit, die ich in langer Zeit geliefert, wenn es mir glückte, den jungen Burschen zu retten, daß er nicht verderbt würde. Ihr seht, er ist gerade von der Natur, daß er diesen schlimmen Personnagen nützlich seyn kann. Wenn sie einen Einbruch machten, wäre er ein Schatz für sie – könnte durch eine Fensterscheibe schlupfen wie ein Spürhund.«

»Sprecht nicht davon, Sharp,« sagte Mr. Spencer mit Aechzen; »und vergeßt nicht, wenn wir ihn bekommen, daß Ihr Mr. Beaufort kein Wort sagen dürft.«

»Ich verstehe, Sir; und ich bin immer auf der Seite des Gentleman, der sich am meisten wie ein Gentleman beträgt.«

Hier hörte man ein lautes Holla dicht vor den Pferden.

»Guter Himmel, wenn das ein Straßenräuber zu Fuß ist!« sagte Mr. Spencer, heftig zitternd.

»Oh was, Sir, ich habe meine Puffer bei mir. Wer ist da?«

Das Fuhrwerk hielt – ein Mann kam an den Schlag.

»Entschuldigt mich, Sir,« sagte der Fremde, »aber da ist ein armer Knabe, so ermüdet und krank, daß er, fürchte ich, die nächste Stadt nicht mehr erreicht, wenn Ihr nicht so freundlich seyd und ihn mitnehmt.«

»Ein armer Knabe!« sagte Mr. Spencer, seinen Kopf über den des Mr. Sharp hinausstreckend.»Wo?«

»Wenn Ihr ihn nur in Königs Wappen absetzen wolltet, wäre es ein Werk der Barmherzigkeit,« sagte der Mann.

Sharp zwickte Mr. Spencer in die Schulter.

»Das ist Dashing Jerry; ich will hinaus.«

Mit diesen Worten öffnete er den Schlag, sprang auf die Straße zu, erschien sogleich wieder mit dem verlornen, hoch willkommenen Sidney in seinen Armen.

»Ist das nicht der Knabe?« flüsterte er dem Mr. Spencer zu, und die Laterne vom Wagen nehmend, leuchtete er dem Kind ins Gesicht. »Er ist es! er ist es! Gott sey Dank!« rief der Ehrenmann.

»Wollt Ihr ihn in Königs Wappen absetzen? – Wir werden in ein paar Stunden dort seyn!« rief der Kapitän.

»Wir! Welche Wir?« sagte Sharp griffig.

»Nun, ich und des Kinds Bruder.«

»Ha!« sagte Sharp und leuchtete ihm mit der Laterne ins Gesicht; »Ihr kennt mich, glaube ich. Laßt mich Euch nur einmal fassen, das ist Alles! Und bringt meine Komplimente Eurem Spießgesellen, und sagt ihm, wenn er den kleinen Balg da weiter verfolge, wollen wir ihm selbst seinen Handel einbrocken; und so nehmt meine Warnung an, und macht Euch aus dem Staub, alter Junge!«

Damit sprang Mr. Sharp in die Kalesche und hieß den Postknecht fortfahren, so schnell er konnte.

 

Zehn Minuten nach dieser Entführung kehrte Philipp, gefolgt von zwei Bauern, mit einer Tragbahre, einer Laterne und zwei Decken von dem gastlichen Pächterhause zurück, in welches das Licht ihn geführt hatte. Der Platz, wo er Sidney verlassen hatte, und den er an einem nahen Meilenstein wieder erkannte, war leer; er schrie laut in großer Unruhe und der Kapitän antwortete aus einer Entfernung von ein paar hundert Schritten. Philipp eilte zu ihm.

»Wo ist mein Bruder?«

»Fortgefahren in einer Kalesche mit zwei Pferden. Hole mich der Teufel; wenn ich es verstehe.«

Und sofort stattete der Kapitän einen verworrenen Bericht von dem Vorgefallenen ab.

»Mein Bruder!Mein Bruder! so haben sie Dich doch von meiner Seite gerissen!« schrie Philipp und sank bewußtlos zu Boden.



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