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Viertes Buch.

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Hin zu einem großen Meere
   Trieb mich seiner Wellen Spiel;
Vor mir liegt's in weiter Leere,
   Näher bin ich nicht dem Ziel.

Schiller. Der Pilgrim.

 

Erstes Kapitel.

Oh! welcher holde Sonnglanz auf dem See!

Wilson's Peststadt.

Wenn Du Leser, je durch ein Sonnenmikroskop die Ungeheuer in einem Tropfen Wassers gesehen hast, hast Du Dich vielleicht bei Dir selbst verwundert, daß so gräßliche Wesen Dir bisher unbekannt geblieben – Du hast einen Ekel empfunden vor dem klaren Element, das Du bisher so rein geglaubt, Du hast Dir halb und halb vorgenommen, gar kein Wasser mehr zu trinken; aber am andern Tage hast Du das unheimliche Leben vergessen, das vor Dir zuckte in diesem schwangern Tropfen mit seinen zahllosen Gebilden; und durch Deinen Durst verleitet, bist Du nicht zurückgebebt vor dem lügenden Krystall, obgleich Myriaden von den schrecklichen Unsichtbaren sich drängen, stoßen, verschlingen und sättigen in der Flüssigkeit, die Du so ruhig einschlürfst; so geht es auch mit dem alten Urelement, dem Leben.

In Deine glatte Behaglichkeit eingehüllt und auf dem Sopha Deines offenen Bewußstseyns Dich dehnend – wenn Du vielleicht zum erstenmal durch das Glas der Erkenntniß Ein schauerliches Kügelchen anschaust in den Wassern, welche ringsum andrängen – die mit ihrer Feuchtigkeit die Poren der Erde anfüllen, die jeden unserem Auge sichtbaren; für unsere Berührung greifbaren Atom benetzen – bist Du erstaunt und erschrocken; Du sagst im Geiste:

»Kann es dergleichen Dinge geben? Ich habe mir dergleichen nie im Traume gedacht! Ich glaubte, was für mich unsichtbar, das sey gar nicht in der Wirklichkeit vorhanden – ich will mich dieses furchtbaren Experiments erinnern.«

Am andern Tage ist das Experiment vergessen. – Der Chemiker kann das Wasserkügelchen filtriren – kann das Wissen die Welt reinigen?

Wenden wir uns jetzt zu der gefälligen Oberfläche, im Ganzen betrachtet, die dem gewöhnlichen Auge offen und freundlich sich darbietet. Wer würde Gottes große Absichten richtig fassen, wenn er keinen Wassertropfen, der am Rosenstrauch zittert, oder in der Sonne funkelt, ohne sein Sonnenmikrosop ansehen könnte?

 

Es sind zehn Jahre verflossen seit der Nacht, in welcher William Gawtrey umkam: ich versetze Dich, Leser, in die lieblichsten Gegenden Englands – Scenen, die durch die einzige ächte Pastoralpoesie, die uns bekannt ist, der Betrachtung und dem Frieden geweiht sind.

Der Herbst hatte angefangen, das Laub auf den Höhen von Winandermere zu verfärben. Es war ein Sommer von seltner Wärme und Schönheit gewesen, und Wer in diesem Jahre die englischen Seen besuchte, der konnte von Zeit zu Zeit unter den Gruppen von glücklichen Müssiggängern, denen man begegnete, zwei Personen besonders ins Auge fassen, als Gegenstände des Interesses oder vielleicht des Neides; zwei, die einem als ganz besonders harmonirend mit diesen stillen, zurückgezogenen, friedlichen Plätzen erscheinen konnten, Beide jung – Beide schön. Liebende hätte man in ihnen vermuthen mögen; aber solche Liebende, wie Fletcher etwa sie unter die Obhut seiner »Heiligen Schäferin« hätte stellen können – Gestalten, die sich hätten niederlassen können bei

Dem güt'gen Quell, um dessen Blumenhöhe
Die nebelfüß'gen Elfen ihren Reigen
Im blassen Mondschein tanzen.

Denn in der Liebe dieser Personen schien eine Reinheit und Unschuld zu liegen, die wohl zu ihrer Jugend und zum Charakter ihrer Schönheit paßte. Vielleicht entsprang bei dem Mädchen die Liebe mehr aus jenen Gefühlen, die der Lenz des Lebens nach Oben emporhebt, wie der Frühling der Erde seine Blumen, als aus jener innigen und tiefen gänzlichen Versenkung von Seele in Seele, welche allein ewige Dauer und Hingebung verheißt, und deren die erste Liebe, oder vielmehr die erste phantastische Neigung oft weniger empfänglich ist, als diejenige, welche aus der besonneneren Zärtlichkeit reiferer Jahre erwächst. Und doch war er, der Liebende, von so seltner und eigenthümlicher Schönheit, daß er wohl geeignet scheinen konnte, im höchsten Grade die Liebe zu erregen, die das Herz durch das Auge gewinnt.

Doch um mit dem Anfang anzufangen – Eine Dame von feinem Ton hatte im Herbst vor dem Jahre, in welchem unsere Erzählung wieder beginnt, mit ihrer Tochter, einem Mädchen damals von etwa achtzehn Jahren, die Reise an die englischen Seen gemacht. Entzückt von der Schönheit von Winandermere war sie, da sie eines der bequemsten Landhäuser auf seinen Ufern zum Vermiethen ausgesetzt fand, den ganzen Winter über dort geblieben. Im Anfang des Frühjahrs hatte eine ernstliche Krankheit die ältere Dame befallen, und da sie sich nach langsamer Erholung nicht fähig fühlte, die Lustbarkeiten einer Londoner Saison mitzumachen, und vielleicht auch nicht ungeneigt war, – da sie selbst ihrer Zeit eine Schönheit gewesen – den début ihrer Tochter noch um ein Jahr hinauszuschieben, hatte sie mit kurzen Unterbrechungen, wo sie abwesend war, ihren Aufenthalt auf ein ganzes Jahr ausgedehnt. Ihr Gemahl, ein vielbeschäftigter Mann der Welt, mit vielfacher Thätigkeit in London und schönen Gütern auf dem Lande, besuchte sie nur gelegentlich, und war froh, der stillen Schönheit von Landschaften bald wieder entfliehen zu können, die ihm keine Renten einbrachten, und daher in seinen Augen keinen Reiz hatten.

Im ersten Monat ihrer Ankunft in Winandermere hatten Mutter und Tochter eine folgenreiche Bekanntschaft in folgender Weise gemacht.

Eines Abends, als sie lustwandelten auf ihrem Rasenplatze, der sich gegen den See hinzog, hörten sie den Ton einer Flöte, die mit so ausgezeichneter Kunstfertigkeit geblasen wurde, daß sie sich, überrascht und bezaubert, an das Ufer hingezogen fühlten. Der Musiker war ein junger Mann in einem Boote, das er unter den Bäumen ihres Wohnsitzes angebunden hatte. Er war allein, oder vielmehr er hatte Einen Gesellschafter, einen großen neufoundländer Hund, der wachsam am Steuer des Bootes saß, und so viel Gefallen an der Musik zu finden schien, als sein Herr.

Als sich die Damen dem Orte näherten, heulte der Hund, und der junge Mann hörte auf zu blasen, doch ohne noch die schönen Gegenstände des Mißfallens seines Gesellschafters zu sehen. Die eben untergehende Sonne schien voll auf sein Angesicht, als er sich umsah, und dies Antlitz war eines, wie es den Nymphen von Delos mochte erschienen seyn – das Antlitz Apollos nicht als Held, sondern als Hirte – des Apollo, nicht mit dem Bogen, sondern mit der Lyra – nicht des Pythontödters, sondern des jungen Träumers an schattigen Plätzen – dessen, den der Bildhauer gemeißelt, wie er sich müßig an den Baum lehnt – des Götterknaben, dessen Heimath noch auf Erden ist, und dem das Orakel und die Sphären noch unbekannt sind.

In diesem Augenblick sprang der Hund aus dem Boote, und die ältere Dame stieß einen schwachen Angstschrei aus, welcher die Aufmerksamkeit des Musikers erregte und ihn auch ans Land zog. Er rief seinen Hund zurück, und entschuldigte sich mit einer nicht ungefälligen Mischung von Schüchternheit und Zuversicht wegen seines eigenmächtigen Besuchs. Er hatte nicht gewußt, daß der Landsitz bewohnt sey – es war ein Lieblingsplatz von ihm – er wohnte in der Nähe.

Der ältern Dame gefiel seine Ansprache, und seine Erscheinung setzte sie in ein angenehmes Erstaunen. Wirklich lag in seinem Wesen und Benehmen jener unbeschreibliche Reiz, der mehr Anziehendes hat, als die bloße vortheilhafte äußere Persönlichkeit, und der sich weder nachahmen noch erwerben läßt. Sie trennten sich jedoch, ohne eine förmliche Bekanntschaft zu schließen.

Einige Tage nachher trafen sie sich beim Essen in einem benachbarten Hause und wurden mit Nennung der Namen vorgestellt. Der des jungen Mannes schien den Damen fremd – nicht so ihm der ihrige. Er wurde blaß, als er ihn hörte, und blieb den übrigen Abend schweigsam und entfernt.

Sie trafen sich wieder– trafen sich oft; und einige Wochen – ja sogar Monate – schien er so viel als möglich die unter so günstigen Vorbedeutungen begonnene Bekanntschaft zu meiden; allmälig aber schien die Schönheit der jüngern Dame über sein Mißtrauen oder sein Widerstreben zu siegen. Ausflüge in die benachbarten Berge führten sie zusammen, und am Ende ergab er sich willig dem Zauber, dem er anfänglich zu widerstehen entschlossen gewesen war.

Dieser junge Mann wohnte auf der gegenüberliegenden Seite des Sees in einer ruhigen Familie, deren Abgott er war. Sein Leben war in beinahe mönchischer Reinheit und Ruhe verflossen; sein Geschmack war höchst gebildet, sein Charakter schien sanft und mild; aber unter dieser friedlichen Außenseite brachen manchmal Blitze der Leidenschaft hervor – eine glühende und reizbare Dichternatur. Er hatte kaum jemals seit seiner frühesten Kindheit, diese stillen Gegenden verlassen; er wußte Nichts von der Welt außer aus Büchern – Poesieen und Romanen.

Die, mit denen er zusammenlebte, seine Verwandten, ein alter Junggesell und dessen Schwestern, alte Jungfern – schienen ebenso unschuldig und unerfahren. Es war eine Familie, welche die Reichen achteten und die Armen liebten – harmlos, mildthätig und in guten Umständen. Er schien zum Erben ihres gesammten, vermuthlich nicht unansehnlichen Vermögens bestimmt. Der Name dieses jungen Mannes war Charles Spencer; die Damen waren Mrs. Beaufort und ihre Tochter Camilla.

Mrs. Beaufort bemerkte, obwohl eine feine Frau, anfänglich keine Gefahr in der wachsenden vertrauteren Bekanntschaft zwischen Camilla und dem jüngern Spencer. Ihre Tochter war nicht ihr Liebling – nicht der Gegenstand ihres beständigen Denkens und Ehrgeizes. Ihr Herz und ihre Seele waren ganz aufgegangen in ihrem Sohn Arthur, der meist im Ausland lebte. Gescheut genug, um, wenn er Lust hatte, für befähigt zu ausgezeichneten Erfolgen zu gelten, hübsch und wohlaussehend genug, um für schön zu gelten bei Allen, die begierig auf eine vortheilhafte Partie warteten, gutmüthig genug, um beliebt zu seyn bei der Gesellschaft, unter der er lebte, nach allen Seiten ohne Grenzen Geld ausstreuend, – hatte Arthur Beaufort mit dreißig Jahren sich auch jenen glänzenden und bald schwindenden Ruf erworben, wie er für einige wenige Jahre den Ehrgeiz des feinen Gentleman lohnt. Es war gerade die Art von Ruf, welchen die Mutter zu schätzen wußte, und den selbst der mehr auf Ersparen bedachte Vater insgeheim bewunderte, während Mr. Robert Beaufort, in seinen Redensarten immer auf das Solide haltend, gegen Andere sich anstellte, darüber mißvergnügt zu seyn.

Dieser Sohn, sage ich, war ihnen Alles; um ihre Tochter kümmerten sie sich vergleichungsweise wenig. Wie konnte eine Tochter den stolzen Namen der Beauforts aufrecht erhalten? Wie vortheilhaft sie auch heirathen mochte, es war dann doch immer ein anderes Haus, nicht das ihrige, dem ihre Anmuth und Schönheit zur Zierde gereichte. Ueberdieß, je besser die Heirath die sie treffen konnte, desto größer mußte natürlich die Mitgift seyn – die Mitgift, die dann aus der Familie kam! Und Arthur, der arme Junge, hatte so kostspielige Neigungen, daß er in der That jeden halben Schilling wohl brauchen konnte! Das war das Raisonnement des Vaters.

Die Mutter dachte der Sache weniger nach. Mrs. Beaufort, verblichen und mager, mit Blonden und Cashmirshawls prangend, war eifersüchtig auf die Reize ihrer Tochter; und da sie selbst, wie bei einfältigen Frauen häufig, mit vorrückenden Jahren sentimental und weinerlich wurde, hatte sie sich überzeugt, daß Camilla ein Mädchen ohne Gefühl sey.

Miß Beaufort besaß wirklich eine ganz eigenthümlich ruhige und friedliche Gemüthsart; es war die Gemüthsart, die vielleicht die Männer in dem Verhältniß bezaubert, als sie selbst kräftig und leidenschaftlich sind. Sie war streng auferzogen worden – man hatte ihre Gefühle sehr frühe gedämpft und erkältet, daher bewegten sie sich jetzt leicht und gefällig auf der heitern Bahn ihrer Pflichten. Sie hegte vor ihren Eltern, besonders vor ihrem Vater eine ehrerbietige Scheue, und ließ sich nie von der Möglichkeit träumen, einem ihrer Wünsche, geschweige denn ihrer Befehle, Widerstand zu leisten. Fromm, freundlich, zart, von sanfter und nie verstörter Gemüthsart versprach Camilla, eine vortreffliche Tochter, auch eine nicht minder vortreffliche Gattin zu werden; man konnte sich auf ihre Grundsätze verlassen, wenn man auch je Grund haben sollte, an ihrer Herzensneigung zu zweifeln. Wenige Mädchen waren mehr geschaffen, Liebe einzuflößen. Man hätte sich kaum wundern dürfen über die größte Thorheit, den ärgsten Wahnsinn, den selbst ein vernünftiger Mann ihretwillen sich hätte zu Schulden kommen lassen mögen.

Dies beruhte nicht auf ihrer Schönheit allein, obgleich sie ausnehmend lieblich mehr noch als schön war, und jene Art Liebenswürdigkeit besaß, welche allgemein bezaubert; die Gestalt, besonders was Arme, Hals und Busen betraf, war ausgesucht; um den Mund hatte sie Grübchen, blendend weiße Zähne – Augen von jener Sammtweichheit, daß hineinschauen – lieben ist. Sondern ihr Zauber bestand in einer gewissen Holdseligkeit des Wesens, einer ausnehmenden Unschuld, gemischt mit der gewinnendsten, weil unbewußten Koketterie. Bei dem Allem war eine Frische, eine Freudigkeit, eine jungfräuliche und bezaubernde Offenheit in ihrer Stimme, ihrem Lachen – man konnte beinahe sagen: selbst in ihren Bewegungen.

So war Camilla Beaufort in diesem Alter. So erschien sie Andern. Ihren Eltern war sie nur ein großes Mädchen, ihnen halb und halb im Wege. Für Mrs. Beaufort war sie eine Nebenbuhlerin, für Mr. Beaufort eine das Vermögen belastende Zugabe.



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