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11. Adele verliert ihr Ideal und findet es wieder.

Am zweiten Weihnachtsfeiertage machten die Fräulein Karlings einen Besuch in großer Feiertagstoilette; die Pelzgarnitur von Nerz war nicht vergessen.

»Ach, wie gemütlich sieht's bei Ihnen aus!« rief Rosamunde beim Eintreten. »Sie haben gewiß ein sehr hübsches Weihnachten gefeiert?«

Drei fröhliche Stimmen antworteten, daß es ein herrlicher Abend gewesen sei, und daß sie ihn ihrer Minna verdankten; dann beeiferten sich Adele, Bruno und Ella, Rosamunde ihre Gaben zu zeigen.

Aurora bewies keine Neugierde, sondern nahm mit Minna auf dem Sofa Platz. »Ich kann mir keine Weihnachtssachen mehr ansehen,« erklärte Aurora. »Wenn man so furchtbar viel Sachen ansehen muß, die fast alle ganz unnütz sind, bekommt man es gründlich satt; finden Sie nicht auch Weihnachten schrecklich langweilig?«

»Das kann ich nicht sagen,« meinte Minna mit einem zufriedenen Lächeln. »Es ist doch eine große Freude, lauter glückliche, strahlende Gesichter zu sehen.«

»Ich finde die Freude sehr, mäßig. Mama hat wieder schrecklichen Ärger mit den Dienstleuten. Sie sind alle nicht zufrieden. Es ist furchtbar, was diese Menschen jetzt für Ansprüche machen. Und Mama ist schrecklich angegriffen. Wenn man über tausend Mark für Geschenke ausgibt, greift das die Nerven furchtbar an. Papa zankt auch noch über das viele Geld, aber Mama sagt, er sei es seiner Stellung schuldig, soviel Geld auszugeben. Nun können Sie denken, ob das angenehm ist! Und dann der Ärger mit den Jungen; die Hälfte des Spielzeugs haben sie schon ruiniert.«

»Aber Herr Steube hat Mama ja gebeten, daß sie den Jungen nicht soviel unnütze Spielsachen kaufen sollte,« mischte sich Rosamunde ein.

»Du bewunderst immer alles, was der Kandidat tut, erwiderte Aurora spöttisch, wobei Rosamunde tief errötete. »Es war aber ganz unnötig, daß er Mama Vorstellungen machte; Mama hört ja nie auf Vorstellungen. Jedes Jahr haben die Jungen einen verdorbenen Magen, aber Mama kauft doch immer wieder Unmassen Konfekt; sie denkt, das gehöre nun einmal zum Weihnachtsfest. Und was soll man auch machen? Wir langweilen uns alle, und dann essen wir so viel Marzipan und Schokolade, bis wir nicht mehr an Süßigkeiten denken können. – Haben Sie heute etwas vor? Nein? Ach, da könnten Sie ein bißchen zu uns herüberkommen. Ich weiß wirklich nicht, warum man sich zu Weihnachten so ganz besonders langweilt! Aber ich will Sie nur vorbereiten, Mama hat schreckliche Laune.«

»Ach, bitte, kommen Sie,« bat Rosamunde herzlich. »Ich würde glücklich sein, wenn Sie uns das Vergnügen machten.«

Adele warf ihrer Schwester einen bittenden Blick zu; sie empfand durchaus keine Lust, der Einladung zu folgen, obgleich ihr Rosamunde besser gefiel, als sie erwartet hatte. Aber Minna erinnerte sich, daß ihr Vater gewünscht hatte, sie möchten gegen die Familie seines Direktors rücksichtsvoll sein, und nahm an. Rosamunde schien sehr vergnügt darüber, Aurora aber betrachtete die Annahme der Einladung als selbstverständlich.

»Sie haben ja auch, wie wir hörten, am Weihnachtsabend anonyme Geschenke bekommen,« fing Aurora forschend an. »Hat Ihnen denn der Herr Verwalter erlaubt, sie anzunehmen?

»Ja freilich, denn der Geber war auf und davon, ehe wir die Geschenke zurückgeben konnten,« meinte Minna lächelnd.

»Durch die Luft geflogen!« rief Bruno.

»Ich weiß auch, von wem die Schneebälle kommen,« sagte Ella weise, »ich hab's ja gleich erraten.«

»Schneebälle?« riefen die Karlings eifrig. »Da ist wohl kein Zweifel, von wem,« sagte Aurora. »Aber von einem solchen Manne ließe ich mir nichts schenken – ich hätte sie ihm nachgeworfen oder zurückgeschickt; erzählen Sie nur hier niemand, daß Sie von diesem Baron Geschenke angenommen haben, man würde Ihnen das sehr verdenken.«

Hier wurde Auroras lange Rede durch ein Klopfen unterbrochen, das im ersten Augenblick die junge Gesellschaft fast erschreckte: sie erwarteten Baron Neitung in eigner Person eintreten zu sehen. Aber es war Ottel, der, nachdem er kühn hereingeschritten war, plötzlich mit äußerst verlegener Miene stehen blieb. »Bringt ihn der Anblick der Fräulein Karlings so aus der Fassung?« dachte Minna und erhob sich, um ihm entgegenzugehen.

Ottel würgte offenbar an der Erkundigung, wie Fräulein Minna die Gesellschaft bekommen wäre, und zwischen jedem hervorgestotterten Worte machte er einen Bückling, aber von der Stelle rührte er sich nicht.

Aurora bekam, hinter ihrem Schnupftuch Erstickungszufälle; auch Rosamunde mußte sich abwenden, um ihr Lachen zu verbergen. Natürlich war den Uslarschen Kindern das Lachen ebenfalls näher als das Weinen, aber selbst Ella wußte es zu unterdrücken, denn von Kindheit an hatte sie gelernt, rücksichtsvoll gegen andre zu sein.

»Ich weiß nicht,« sagte Minna zu dem verzweifelten Ottel, »ob Sie den Fräulein Karlings schon vorgestellt sind.«

Da aber rief Aurora unter lautem Lachen: »Ach, Sie werden sich doch nicht erst die Mühe geben, uns Otto Grimmel vorzustellen? Den jungen Herrn kennen wir, solange er überhaupt auf der Welt ist.«

Ottel machte ein bejahendes Kompliment, rührte sich aber nicht vom Fleck, und jetzt erkannte Minna die Ursache seiner Verlegenheit. Frau Rosine hatte ihm des Vaters Gummischuhe aufgeschwatzt, Ottel aber, anstatt diese in der Hausflur abzustreifen, war damit eingetreten: er erkannte an zwei großen Schmutzflecken die Folgen dieser Vergeßlichkeit und wußte nicht, sollte er vor- oder rückwärts gehen.

Da kam ihm Minna zu Hilfe: »Ach, machen Sie sich nur keine Sorge wegen des getauten Schnees; die Nässe ist schnell zu beseitigen.«

Ottel bat nun um die Erlaubnis, seine Galoschen vor der Tür zu lassen, und als er zurückkam und sah, daß sich die Fräulein Karlings empfahlen, da war er auf einmal ein ganz andrer Mensch, und besonders Bruno fand seine Unterhaltung sehr interessant.

Bruno und Ella waren gleichfalls mit eingeladen, und so begaben sich die vier Uslars in der Nachmittagsstunde, als die Dämmerung begann, nach dem großen Hause.

Zur Ehre des Feiertags brannte im Salon der von Anuscha bewunderte Kronleuchter mit ›Glasbummeln‹, aber der Christbaum sah schon ganz abgerupft und zerzaust aus, die Papierketten hingen zerrissen zwischen den Zweigen, und von den Süßigkeiten waren nur noch die Fäden vorhanden, an denen sie aufgehängt waren.

»Ich glaube, der Christbaum schämt sich,« sagte Ella leise zu Bruno. »Sieh nur, wie kläglich er aussieht.«

Und wie sah erst der Salon aus! Tische und Stühle, die mit grellem Blau überzogenen Sofas und Sessel, ja selbst der Fußboden – alles bedeckt mit den mannigfaltigsten Gegenständen, aber bunt durcheinander: kostbare Stoffe, Bücher, Nippes, Hüte, Handschuhkästchen, Stiefeletten, Bilderbogen, Baukasten, Soldaten, Trommeln, und wie die Sachen alle heißen mochten.

Adalbert, der älteste, zwölf Jahre alt, lag auf dem Sofa, die Beine über der Lehne, um ihn herum Nußschalen; er las in einem Buche, und da sich sein Held gerade in einem interessanten Kampf mit Indianern befand, verließ er ihn nur nach einem Puffe, womit ihn Aurora auf die Gäste aufmerksam machte.

Artur, der zehnjährige, lag platt auf der Erde und zerschoß mit einer Erbsenkanone eine Pappfestung. Dieses Kriegsspiel interessierte Bruno und Ella, und sie beteiligten sich bald lebhaft daran.

Indes nahmen die jungen Mädchen in der Nebenstube Platz, wo Frau Direktor breit auf dem Sofa saß und Kaffee einschenkte. Sie nötigte dabei die beiden Uslars so dringend, von der Stolle zuzulangen, als wolle sie ihnen Gelegenheit geben, auch einmal an Kaffee und Kuchen satt zu werden.

Minna konnte die Furcht nicht unterdrücken, daß Frau Direktor bei ihrer Taktlosigkeit und ihrem Hochmut eine Anspielung auf die gekauften Weihnachtsgeschenke machen würde. Damit das Gespräch nicht diese gefährliche Wendung nehmen möchte, sprach Minna gegen ihre Art so viel, daß sie manchmal ein staunender Blick aus Adelens Augen streifte. Aber der Mensch kann seinem Schicksal nicht entgehen, und wer mit Karlings verkehren wollte, mußte sich auf Rücksichtslosigkeiten gefaßt machen. Frau Direktor konnte ihren Gästen nicht ersparen, gelegentlich auf den Unterschied ihrer gesellschaftlichen Stellung hinzuweisen. Zum unaussprechlichen Schreck Minnas sagte sie plötzlich: »Aber hören Sie, eine praktische Frau ist Ihre Tante in Berlin nicht. Da sie nach Ihren Verhältnissen gar nicht in Gesellschaft gehen, was sollen Ihnen dann solche Atlaskapotten nützen und alle der Schnickschnack, den sie Ihnen geschickt hat? Es war wirklich das Gescheiteste, was Sie tun konnten, daß Sie die Sachen zu Gelde machten.«

Adele fuhr zusammen, als wäre sie mit einem scharfen Messer verwundet worden. Angstvoll und fragend richtete sie die großen Augen auf Minna; als Frau Direktor aber auch nicht den geringsten Zweifel ließ, wie sich diese Angelegenheit zugetragen habe, wurde sie totenbleich.

»Ich glaube, meiner Schwester ist nicht ganz wohl,« rief Minna, ebenfalls erblassend, und stand schnell auf.

»Wir wollen hinübergehen, mein Herz,« sagte sie leise, bat um Entschuldigung, daß sie die Gesellschaft so plötzlich verließen, und eilte mit den andern Geschwistern Adele nach.

»Laß mich allein nach Hause gehen,« sagte Adele leise, aber mit einer Kälte im Tone, die Minna ins Herz traf. Das zärtliche Kind, das noch vor einer Stunde Minna umarmt und geküßt hatte, weil sie sie ja bei Kartings lange Zeit nicht küssen dürfte, war plötzlich verwandelt – in eisige Kälte erstarrt; die Kluft, die das Weihnachtsfest überbrückt hatte, war durch unverständige, lieblose Hände wieder aufgetan, das Geheimnis von Minnas Reichtum war enthüllt und über die Festfreude ein tiefer Schatten gefallen.

Minna fühlte, daß jedes Wort, jede Erklärung in diesem Augenblick vergeblich wäre; nur ein Brief der Tante, den sie mit Sehnsucht erwartete, konnte eine versöhnende Wirkung ausüben.

Adele ging, ohne zu sprechen, sofort in ihre Schlafstube und schloß hinter sich zu. Dann warf sie sich auf das Bett, wühlte den Kopf in die Kissen und überließ sich ihrem Schmerze.

Minna, ihr Ideal war wieder in den Staub gesunken! Schon als Kind hatte sie zu dieser Schwester bewundernd aufgeblickt; in letzter Zeit zweifelte sie freilich an ihr, aber seit dem Weihnachtsabend war mit dem alten Vertrauen und der alten Liebe zu dieser Schwester auch wieder Sonnenschein in ihr Herz eingezogen. Und nun erfuhr das arme Kind aus dem Munde dieser hochmütigen und rücksichtslosen Frau, daß Minna alle die reichen Gaben durch eine ›unehrenhafte‹ Handlung erlangt hatte. »Sind wir denn so tief gesunken, daß wir Geschenke der Tante verkaufen müssen?« dachte Adele. Gewiß waren der reizende Fensterplatz und der Kanarienvogel viel, viel hübscher und brauchbarer als eine Atlaskapotte und dergleichen Sachen, die unbenutzt im Schube lagen; aber war es nicht tausendmal besser, keinen Fensterplatz und keinen Kanarienvogel zu besitzen, als Geschenke verkaufen und unehrenhaft handeln? Wie sollte Adele diesen Leuten je wieder in die Augen sehen, die von ihrer ›Schande‹ erfahren hatten? – Alles Glück war mit einem Male verlöscht wie die Lichter des Weihnachtsbaumes.

Nur eines stand fest: Weihnachtsgaben, von diesem Gelde gekauft, konnte Adele niemals benutzen. Sie wollte deshalb Minna keine Vorwürfe machen, sondern ohne Klagen ihr hartes Geschick ertragen. Minna war ein fleißiges, praktisches und braves Mädchen, aber die höheren Ehrbegriffe waren ihr fremd.

Am andern Morgen erhob sich Adele ungewöhnlich zeitig, und als sich die Familie um den Kaffeetisch versammelte, hatte sie alle ihr gehörenden Gegenstände aus dem Schreibtisch ausgeräumt und lag nun wieder mit Kopfschmerzen und starkem Hunger in ihrem Bette.

Den Fragen, ob Adele unwohl sei, begegnete Minna ausweichend; aber mit fieberhafter Ungeduld erwartete sie den Briefträger, und sie wartete nicht vergeblich. Sie erbrach den Brief der Tante mit klopfendem Herzen: ihre Augen füllten sich mit Tränen der Dankbarkeit: ja, die Tante hatte ihr Handeln verstanden und gebilligt.

Sogleich ging sie zu Adele, die ihr blasses Gesichtchen beim Eintreten der Schwester der Wand zukehrte; aber Minna hatte wieder Sicherheit gewonnen, als sie sich jetzt auf den Stuhl neben das Bett setzte.

»Du hast immer gesagt, Adele, daß du unsre Tante für eine wahrhaft vornehme Dame hieltest, und daß du ihrem Rat und Beispiel unbedingt folgen würdest. Nun sollst du hören, was Tante schreibt.«

Das Köpfchen wurde ein wenig gewendet, aber der Mund öffnete sich noch nicht.

.

»Was du getan hast, wird für Adele eine gute Lehre sein ...«

»Mein teures Kind, Gott segne Dich,« las Minna mit leiser, bewegter Stimme vor. »Mir ist, als könnte ich meinen Brief nur mit einem Segenswunsch für Dich beginnen. Die Meerkatz hatte mir schon gesagt, daß ich mich aufs Geschenkegeben nicht verstehe – sie nennt das eine zarte Anspielung machen. Da sende ich Dir nun nach meiner alten Angewohnheit lauter unnützen Kram; was aber tut mein praktisches Mädchen? Es verkauft das Zeug und macht mit dem Gelde eine schöne Weihnachtsbescherung zurecht. Ich hätte wohl dabei sein mögen! Die Meerkatz und ich spannen Trübsal am heiligen Abend; ich mochte nirgends hingehen und niemand zu mir bitten, sondern zog's vor, der armen Meerkatz den Abend mit schlechter Laune zu verbittern. Ich war neidisch wie eine alte Katze auf den Uslar, der alle seine Kinder um sich sah – und mir keines – keines gelassen hatte. Mache Dir nur keine Sorgen wegen« – Minna schluckte ›der einfältigen‹ hinunter – »Adele; sie hat ein gutes Herz und einen klaren Verstand, und die brechen sich einmal Bahn durch alle eingeimpften Vorurteile. Was Du getan hast, mein Herz, wird gerade für sie eine gute Lehre sein.« Weiter kam Minna nicht, ein paar Arme schlangen sich zärtlich um ihren Hals, und ein tränenüberströmtes Gesichtchen schmiegte sich an das ihre.

»Aber eine kleine Ermahnung will ich ihr bei dieser Gelegenheit doch geben,« überlegte Minna.

»Ich bin dir gar nicht böse, Adele,« sagte sie herzlich und streichelte das schluchzende Kind. »Du hast dir nur leider eine Art Götzen errichtet, den du für die leibhaftige Ehre hältst, und bist nun bereit, deinem Götzen jedes Opfer zu bringen, mag's auch noch so groß sein. Stelle dir nun einmal vor, wie es in unserm Hause aussähe, wenn ich wie du dächte. Da ich in diesem Falle keine Hand anrühren würde, so wäre das ganze Hauswesen Maruschka überlassen; kannst du dir vorstellen, wie es in den Stuben aussehen und was für Essen wir bekommen würden? Anstatt die Kinder zu unterrichten, würde ich Papa vielleicht gar Vorwürfe machen, daß er die Stellung eines Verwalters angenommen hat, und anstatt mich glücklich unter euch zu fühlen, bereuen, nicht bei Tante, wie sie es so sehnlich wünschte, geblieben zu sein. Nun sieh mich an, Adele, und bekenne offen, ob es besser von mir gewesen wäre, wenn ich meine Ehre in Vornehmtuerei, im Nichtstun und in Unzufriedenheit gesucht hätte.«

Adele senkte die Augen. »Wir sind mit so ganz andern Ansprüchen erzogen worden,« sagte sie leise.

»Die guten Verhältnisse werden den Menschen nicht wie die Haut angeboren; jedes Menschenleben ist dem Wechsel unterworfen, darum muß man sich in die Verhältnisse schicken lernen. Wir sind noch jung, da fällt es uns lange nicht so schwer, als wenn wir schon alte Damen wären.«

»Bei mir geht alles ein bißchen langsam,« entschuldigte sich Adele. »Und wenn Fräulein von Isselstein einmal einen schwarzen Fleck an unsern Fingern sah, war sie gleich in › horror‹.«

»Natürlich; sie kann doch keine schmutzigen Finger dulden! – Also sei von jetzt an ein vernünftiges Mädchen, bekämpfe deinen Widerwillen gegen häusliche Arbeiten und hilf mir. Ich weiß manchmal nicht, wie ich fertig werden soll.«

»Ich will dir gern nähen helfen, liebe Minna.«

»Nein, ich brauche auch andre Hilfe. Früh gemeinschaftlich die Wirtschaft und nachmittags gemeinschaftlich die Näharbeit, so wollen wir's halten; und dann erst werden wir Zeit gewinnen, auch wieder an unsre Bildung zu denken. Es hat mich ordentlich erquickt, daß ich gestern ein paar Seiten in der Jungfrau von Orleans gelesen habe; meine Seele verlangt nach geistiger Speise, aber was ich brauche, kann erst daran kommen, wenn die Pflichten gegen Papa und die Kinder erfüllt sind.«

»Aber du mußt mich nicht auslachen, Minna, wenn ich noch manchmal eine Dummheit mache, und Bruno und Ella dürfen mich auch nicht verspotten.«

»Na, habe ich etwa keine Dummheiten in der Wirtschaft gemacht?« rief Minna lachend.

Da war's Adele auf einmal, als sei der letzte Reifen, der noch um ihr Herz lag, gesprengt, und sie atmete ordentlich erleichtert auf.

Bruno und Ella aber spotteten nicht einmal, als Adele mit Minnas Hilfe den eben erst ausgeräumten Schreibtisch wieder mit ihren Sächelchen anfüllte.


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