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2. Im Coupé erster Klasse.

Durch Sturm und Regen rollten Herrn Uslars Kinder ihrem Bestimmungsort entgegen. Wohlverwahrt in Mänteln und Pelzdecken merkten sie in dem durchwärmten Coupé erster Klasse nichts von der Unbill des Wetters. Die Gesellschafterin der Generalin von Cronitz hatte den Schaffner durch ein hohes Trinkgeld dazu vermocht, keine fremden Personen zu dieser jungen Gesellschaft zu lassen. Mit Speise und Trank waren sie gleichfalls aufs beste versehen; alle vier schienen sich auch sehr behaglich zu fühlen.

Ella, ein liebliches Kind von acht Jahren, spielte mit einer Wachspuppe. Aus einem niedlichen Köfferchen packte sie ein Kleid nach dem andern, das sie der Puppe anprobierte.

Bruno, ein zehnjähriger bleicher Knabe, konnte wegen eines Hüftleidens das Sitzen nicht lange vertragen; darum hatte ihm die älteste Schwester ein weiches Lager bereitet. Er schien mit seinen eignen Gedanken beschäftigt.

Der Backfisch Adele, sehr hübsch, aber auch ein bißchen eitel, schaute bald in einen eleganten Handspiegel, bald vertrieb er sich die Langeweile durch Naschen aus einer Bonbonniere.

Minna, die älteste, ein schlankes, blühendes Mädchen von achtzehn Jahren, studierte mit großem Eifer ein Brevier für Hausfrauen in Prachteinband. Es war das Abschiedsgeschenk ihrer gütigen Großtante, der Generalin von Cronitz.

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Im Coupé erster Klasse.

Als sich Adele hinlänglich in dem Spiegel beguckt und ihren Magen mit Süßigkeiten gestopft hatte, fing sie an, sich zu langweilen. »Wenn wir in Tarnowitz angekommen sind, wirst du dich wohl als praktische Hausfrau ausgebildet haben?« fragte sie spöttisch die Schwester.

Minna strafte sie nur mit einem Blick und fuhr zu lesen fort; Adele ärgerte sich. »Fräulein von Isselstein hat uns verboten, auf der Eisenbahn zu lesen; es ist sehr gefährlich, denn man kann davon blind werden.«

Minna ließ das Buch sinken und seufzte: »Es ist gewiß recht schwer, ein Haus zu führen. Ich habe Angst; ich weiß ja gar nicht, wie ich es anfangen soll.«

»Ach, das muß man sich nicht schwer machen,« rief Adele lustig. »Am Morgen kommt die Köchin in dein Zimmer, und dann sagst du: ›Schlagen Sie mir Gerichte vor‹. Und dann suchst du dir aus, was du gern ißt, und wenn's nicht gut schmeckt, dann zankst du die Köchin aus.«

»Du hast wohl ganz vergessen, Adele, daß Papa nicht mehr Direktor ist; mir müssen uns sehr einschränken, und das Wirtschaften wird nicht gerade bequem sein.«

»Ihr habt mir zwar nie etwas über unsre Verhältnisse geschrieben, aber ich habe recht gut gemerkt, daß wir nicht mehr reich sind,« sagte Adele. »Ich habe auch nicht von einer Wirtschafterin und von Bedienten und Kutscher gesprochen, Minna; aber eine Köchin muß uns Papa doch halten – und,« setzte sie zögernd hinzu, »auch eine Jungfer.«

»Du hast gar keine Vorstellung von Papas Stellung,« erwiderte die ältere Schwester. »Du mußt dir von jetzt an dein Haar selbst kämmen; ich kann dir nicht helfen, weil ich sehr viel zu tun haben werde; du wirst auch Ella ankleiden müssen.«

»Ich danke für die Hilfe,« entschied die Kleine. »Ich habe keine Lust so lange im Bett zu bleiben, bis es dem gnädigen Fräulein, gefällig ist aufzustehen.«

»Es ist für Kinder sehr vorteilhaft, wenn sie selbständig werden,« bemerkte der Backfisch trocken und wandte sich zu der älteren Schwester. »Hat Papa Amtswohnung?«

»Ja, wir werden ein Haus allein bewohnen.«

»Nun, ich dachte mir's ja; Papa konnte keine ganz untergeordnete Stellung annehmen. Gott sei Dank, wenigstens ein ganzes Haus für uns! – Schade, daß unsre schönen Sachen verkauft worden sind. In Tarnowitz ist gewiß nichts Gescheites zu haben. Hat Papa die Einrichtung aus Breslau oder aus Berlin kommen lassen? – Ach, Minna, sieh mich nur nicht gleich so strafend an; du wirst sehen, ich füge mich in alles. Aber wenn wir ein ganzes Haus bewohnen, da wird sich doch irgend ein Winkelchen finden, das ich mir als Boudoir einrichten kann?«

»Ein Boudoir im Rokokogeschmack würde dir wohl am besten passen?«

»Du brauchst mich nicht zu verspotten, Minna. Wenn mir Papa zu Weihnachten und zum Geburtstag einige hübsche Sachen schenkt, bin ich schon ganz zufrieden. Und jetzt behelfe ich mich an leeren Wänden einstweilen mit Blumen. – Ach, wenn ich nur einen Papagei bekäme! Vielleicht schenkt mir die Tante den Papagei. Karoline von Zedwitz hat einen Papagei gelehrt, ihren kleinen weißen Spitz zu rufen, und kommt der Spitz, dann lacht der Papagei und schimpft ihn: ›Dummkopf‹. – Das würde dich auch amüsieren, Bruno.«

»Nein,« entgegnete der Knabe sehr bestimmt. »Solche dumme abgerichtete Tiere amüsieren mich nicht.«

»Und Pensionsmädchen-Geschichten amüsieren mich nicht,« sagte Ella und schloß ihr Köfferchen; ihre Puppe sollte jetzt ruhen.

»Ich will auch nie wieder eine erzählen!« rief Adele schmollend. »Und wenn ihr mich in dem langweiligen Tarnowitz kniefällig bittet – ich erzähle nichts.«

Adele vertiefte sich wieder in ihre Bonbonniere und starrte dabei unverwandt durchs Fenster. Minna kniete neben dem Knaben nieder, ihn zärtlich mit ihren Armen umschlingend. »Soll ich deine Lage nicht einmal verändern?« fragte sie.

»Liebe, alte Minni!« sagte Bruno und klopfte ihre Wange. »Setze dich nah zu mir; dann will ich mich an dich lehnen.«

Indes hatte sich Adele überlegt, daß für die naseweise Ella und den altklugen Bruno ein strenger Hofmeister notwendig sei. »Ist für die Kinder ein Hauslehrer angenommen worden?« fragte sie.

»Minni wird uns unterrichten,« erklärte Bruno, als sei damit die Sache abgetan.

»Wer hat denn diesen Unsinn aufgebracht?« rief Adele. »Minna soll schulmeistern? Dann bitte den Himmel, Bruno, daß sie jeden Tag einen Eßlöffel Geduld einnimmt.«

»Ich ärgere sie nicht.«

»Ich auch nicht,« erklärte Ella.

»Bruno weiß, daß Papa viele Sorgen hat,« meinte Minna, »und wird sich darein fügen, und ich werde mir Mühe geben, und so wird's gehen.«

Adele lachte. »Nun weiß ich, warum du immer zuhörtest, wenn die Kinder Unterricht hatten. Ich dachte schon, du interessiertest dich für Herrn Lehmann! Herrgott, seid ihr alle tugendhaft!« Nach einer kleinen Weile fing sie wieder an. »Meine Bildung wird wohl als beendigt angesehen – oder wirst du mir auch Stunden geben?«

»Du hast genug gelernt, um dir selbst weiter zu helfen,« sagte die Älteste.

»Nicht einmal ein Hauslehrer, der uns an den langweiligen Abenden vorlesen kann, wenn du in Gesellschaft bist, Minna?«

»Ich werde keine Gesellschaften besuchen.«

»Aber ich weiß, daß es in Oberschlesien furchtbar reiche Leute gibt, und wenn du mit Papa eine Visitentournee machst ...«

»Ich bleibe lieber zu Hause bei meinen lieben Kindern,« sagte Minna, die Kleine und Bruno zärtlich an sich drückend.

»Wir lassen dich gar nicht fort,« rief Ella, und Bruno rief: »Du erzählst uns ein schönes Märchen oder liest uns vor, und Papa erklärt mir Maschinen, und wir brauchen die reichen Leute gar nicht. Adele kann allein ihre Visiten machen.«

Adele starrte beleidigt durch das angelaufene Fenster. Plötzlich zuckte Lichterschein darüber hin, der Zug rollte langsamer, und die Lokomotive pfiff.

»Kinder,« rief Minna, »schnell, schnell, helft mir die Plaids zusammenrollen, wir sind ja schon da!«

Adele ließ das Fenster herunter. »Papa! Papa!« rief sie, und kaum wartend, bis der Zug hielt, sprang sie hinaus und lag in den Armen des Vaters.


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