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4. Aller Anfang ist schwer.

Herrn Uslar war es sehr schwer gefallen, Minna nicht einzulassen. Er war kein strenger, harter Mann; er warf sich vor, gegen seine Kinder stets zu nachsichtig gewesen zu sein. Jetzt wagten sie rücksichtslose Ansprüche, die er nicht erfüllen konnte. Sollte ihm das eigne Haus nicht zur Hölle werden, mußte er ihnen schon am ersten Abend zeigen, wohin ihr Benehmen führte.

Als er sich am andern Morgen zu gewohnter Stunde erhob, schien das ganze Haus noch zu schlafen.

»Wie zu erwarten war; solche vornehme junge Damen sind an zeitiges Aufstehen nicht gewöhnt,« dachte er bitter. Er klingelte, und Maruschka erschien.

»Mein Frühstück!« befahl er.

Maruschka wurde ungeheuer verlegen; ein Frühstück war nicht vorhanden.

Herr Uslar entschloß sich, nüchtern nach seinem Bureau zu gehen. In der Hausflur stand Bruno im Nachthemd, auf seine Krücken gelehnt, und klapperte vor Kälte. Herr Uslar erschrak. »Sorgt deine Schwester so schlecht für dich, mein armer Junge?« rief er empört, nahm den zarten Knaben und legte ihn in sein eignes Bett.

»Minni hat ja nicht gemerkt, daß ich aufstand,« erklärte Bruno, »sie hat so viel geweint; darum kann sie jetzt noch nicht aufwachen.«

»Die junge Dame fühlt sich in dem engen Hause natürlich sehr unglücklich.«

»Nein, du warst schuld, lieber Papa. Minni weinte, weil du nicht wieder gut warst. Du mußt wieder gut sein, Papa. Minni ist sehr gut – du wirst sie auch wieder lieb haben. – Aber sieh doch – da steht sie ja.«

»Darf ich eintreten, Papa?« fragte Minna schüchtern.

»Nun, komm nur herein; dein Bruder hat für dich gebeten.«

Sie fiel dem Vater um den Hals. »O, Papa, du sollst mich nie wieder anspruchsvoll und unzufrieden sehen!«

»Versprich nicht zu viel; aber wir wollen das Beste hoffen. Macht ihr Ansprüche, die nicht zu erfüllen sind, dann werdet ihr euch selbst sehr unglücklich fühlen.«

Minna war herzlich froh, daß der Vater vergeben hatte, aber sie ahnte nicht, daß er das Haus verließ, ohne gefrühstückt zu haben.

Maruschka, hoffend, daß ihre jungen Damen noch schliefen, probierte indes in der Wohnstube vor dem Spiegel deren Hüte auf, bald den einen bald den andern; schwer war's ihr zu entscheiden, welcher ihr besser stand. Minnas Eintritt verursachte ihr einen furchtbaren Schreck; nach ihrer Erfahrung erwartete sie von ihrer erzürnten Herrin eine schallende Ohrfeige und war sehr erstaunt, daß ihr das Fräulein – die erschreckte Magd erschien Minna mehr komisch – nur einen Verweis erteilte; aber von diesem Augenblick an war sie ihrer jungen Herrin treu ergeben, denn im Grunde war Maruschka ein gutes Geschöpf, doch einfältig und ohne Erziehung.

Das Frühstück, von Maruschka bereitet, kam spät und schmeckte den Kindern schlecht. Das Mittagbrot, aus dem nächsten Gasthof geholt, weil die Wirtschaft noch ohne Vorräte war, zeigte sich fast ungenießbar.

.

»Fassen Sie nur Mut, mein liebes Herz ...«

Minna fühlte sich elend, obwohl der Vater nichts tadelte, aber das Schwerste stand ihr an diesem Tage noch bevor – ein Besuch bei Frau Rosine.

Diese wußte, daß die unerfahrenen jungen Mädchen ohne ihren Rat und ihre Hilfe nicht auskommen würden, und hatte den Besuch erwartet. Sie wollte nicht hartherzig sein, aber sie wollte sich auch nichts vergeben. Mit der hochmütigen Gesellschaft mochte sie nichts mehr zu tun haben. »Sie werden sich ohnehin zu Direktor Karlings halten,« hatte sie zu ihrem Manne gesagt. »Unsereins ist ihnen nicht vornehm genug.«

Bescheiden klopfte Minna. Frau Rosine zog die Haubenschleife zurecht, rückte die Tischdecke gerade und nahm eine würdevolle Miene an. Es kostete sie aber ordentlich Mühe, das junge reizende Mädchen nicht herzlich zu begrüßen. Ein wenig verwirrt und doch vertraulich trat Minna herein, durchaus nicht mit herablassender Freundlichkeit wie am Abend zuvor.

»Sie werden sich nicht wundern, mich hier zu sehen, Frau Rendant,« begann sie. »Sie müssen ja wissen, wie viel mir daran liegt, Ihre Verzeihung zu erhalten. Erst heute habe ich gesehen, wie großen Dank wir Ihnen schulden. Ich muß Sie tief beleidigt haben und weiß nicht, wie ich mich entschuldigen soll; ich kann Sie nur herzlich um Verzeihung bitten, liebe Frau Rendant.«

Frau Rosine war nahe daran, das liebe Mädchen gerührt in ihre Arme zu schließen, aber sie panzerte ihr Herz, stieß den Kater unsanft vom Sofa und sagte kühl: »Bitte nur Platz zu nehmen, Fräulein Uslar.«

Minna war ein bißchen enttäuscht, aber sie hatte sich vorgenommen, die gute Frau, die ihr jetzt viel besser gefiel als bei der Ankunft, nur versöhnt zu verlassen.

»Für meine Schwestern müssen Sie mir gestatten, noch ein gutes Wort einzulegen; Ella ist wirklich noch ein Kind, und Adele ist nicht viel besser. Erst vor acht Tagen ist sie aus einer Pension zurückgekehrt, in der sie leider nur mit reichen und vornehmen jungen Mädchen verkehrte; sie hatte gar keine Vorstellung von Papas Verhältnissen. Denken Sie nur, daß sie sich einbildete, wir würden in einer Villa wohnen; sie wollte sich sogar ein niedliches Boudoir einrichten. Da werden Sie verstehen, daß sie ein bißchen enttäuscht war. Und nun fehlt ihr gerade jetzt unsre gute Mama. Ich kann sie ihr nicht ersetzen, ich bin ja selbst noch zu unwissend und unerfahren. Wir sind wirklich alle in einer recht übeln Lage« – Minna fuhr sich schnell über die Augen und seufzte. »Es wird ja auch wieder besser werden; aber der Anfang ist nicht leicht.«

Das gute Herz Frau Rosinens hatte Minna bei den ersten Worten schon gewonnen, jetzt schloß sie das betrübte Mädchen in ihre Arme.

»Fassen Sie nur Mut, mein liebes Herz,« tröstete sie. »Es ist ja ganz natürlich, daß Ihnen das Wirtschaften schwer fällt. Dazu sind Sie eben nicht erzogen worden. Aber wenn Sie einen guten Rat brauchen – der Weg über den Hof ist nicht weit; ich stehe allezeit gern zu Diensten mit der Erfahrung einer einfachen Frau.«

Nachdem Minna auch noch die Bekanntschaft des Herrn Rendanten gemacht, dem sie von Berlin erzählen mußte, und beide Eheleute durch ihre Liebenswürdigkeit bezaubert hatte, kehrte sie recht befriedigt zu den Geschwistern zurück.

Am Abend aber mußte sie doch wieder eine Enttäuschung erleben; ihr Vater beschied sie in sein Zimmer und zählte ihr dreißig Mark auf – das Wirtschaftsgeld.

Minnas Augen strahlten; in ihren Gedanken traktierte sie die ganze Familie schon mit Wild- und Geflügelbraten, mit Puddings und Rheinwein. »Das ist viel mehr, als ich erwartet habe,« rief sie. »Du bist ja sehr generös, lieber Papa. Täglich dreißig Mark!«

»Was bildest du dir ein!« entgegnete der Vater betroffen. »Dreißig Mark sind dein Wochengeld. Bei einem Gehalt von dreitausend Mark mit freier Wohnung und Heizung kann ich doch unmöglich in einem Monat neunhundert Mark für die Wirtschaft ausgeben?«

Minna war niedergeschmettert, aber sie wollte es nicht zeigen. »Ich will mir recht Mühe geben, lieber Papa,« sagte sie, gab ihrem Vater einen Gutenachtkuß und schlich mit ihrem ersten Wirtschaftsgelde betrübt hinaus.

Noch lange lag sie wach, rechnete und rechnete; aber das Geld wollte nicht zureichen. Darüber wurde sie müde und tröstete sich endlich mit der Hoffnung, daß Frau Rosine ihr schon raten würde.

Zaghaft weckte Maruschka am andern Morgen ihre junge Herrin, und als sich Minna bei völliger Dunkelheit zum Aufstehen entschloß, kam sie sich wie eine Heldin vor. Zeitig aufstehen ist freilich keine Heldentat, aber Minna, die gewohnt war, sich erst spät in einem durchwärmten Zimmer zu erheben, fiel es sehr schwer. Doch die Notwendigkeit ist eine strenge Lehrmeisterin, und das Pflichtgefühl lehrte Minna ihr gehorchen.

Das Kapitel über das Aufräumen der Zimmer hatte Minna in dem Hausfrauenbrevier dreimal durchgelesen, nun wollte sie bei Maruschka ihre Kenntnisse anbringen. Aber die polnische Magd war diese Art der Belehrung nicht gewöhnt: ihre frühere Herrin schimpfte, und wenn Maruschka immer noch nicht begriff, so gab's wohl gar einen derben Puff; das war verständlich. Doch Minnas gewählte Sprache verstand sie nicht, und diese mußte endlich selbst zugreifen. »Morgen werde ich klüger sein,« tröstete Maruschka gutmütig.

Bei den Wirtschaftseinkäufen half Frau Rosine, gab auch beim Kochen gute Ratschläge. Minna kochte selbst, das aufgeschlagene Kochbuch neben sich.

Bruno wurde es nicht erlaubt, in der Küche zu helfen; Ella aber verstand sich nützlich zu machen. Adele war empört. »Es ist unerhört! Was nur Großtante sagen würde, wenn sie dich sähe, Minna! Hast du deshalb so viele Sprachen und Musik und Gott weiß was alles gelernt, um eine Köchin zu werden?«

Minna blieb ungerührt. Das Kochen machte ihr sogar Vergnügen. »Wenn es Papa nur schmecken wird,« sagte sie, »das ist mehre größte Sorge.«

Adele steckte immer nur den Kopf durch die Tür, dann verschwand sie wieder. »Sie wird sich nur einmal die Hände schwarz machen und die Finger verbrennen, dann wird sie's wohl lassen,« sagte sie zu Bruno.

»Ja, wenn Minna wäre wie du,« erwiderte er und guckte sie verächtlich an.

»Ich passe nicht mehr zu euch,« meinte Adele und ging in die Schlafstube; sie fing an ihren Koffer auszupacken. Aber wo sollte sie nur in wenig Schubladen die vielen verschiedenen Dinge unterbringen? Zuletzt saß sie weinend inmitten all des Krams. Da kam's ihr doch nicht so ungelegen, daß Ella zum Essen rief.

Mit geröteten Wangen teilte Minna die Suppe aus. In ihren Augen lag die Frage, wie sie mundete; doch wagte sie sie nicht auszusprechen. Als aber der Vater lobte und Bruno lebhaft einfiel, lächelte sie glückselig, und Adele ließ das Spotten.


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