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Vierzehntes Kapitel

Die Hochzeit sollte in den ersten Tagen des März stattfinden. Aber Angelika blieb schwach trotz der ihr ganzes Wesen durchwärmenden Freude. Sie hatte gleich in der ersten Woche ihrer Genesung sich die Fertigstellung der Stickerei für den Sessel Hochwürdens im Arbeitszimmer in den Kopf gesetzt; es sollte das ihre letzte Verrichtung als Stickerin sein, meinte sie lächelnd, man lasse nicht eine Arbeit halbfertig liegen. Der Versuch hatte sie indessen bald so erschöpft, daß sie von neuem das Zimmer hüten mußte. Hier lebte sie vergnügt und heiter, ihre ehemalige vollständige Gesundheit aber fand sie nicht wieder. Nach der Salbung mit den heiligen Ölen erschien sie noch immer blaß und durchsichtig, und wenn sie kam und ging, geschah es mit kleinen, schwebenden Schritten; stundenlang ruhte sie träumend im Sessel, wenn sie vorher den weiten Weg vom Tische zum Fenster zurückgelegt hatte. Aus diesem Grunde schob man die Hochzeit noch weiter auf, und man entschied sich, erst ihre volle Genesung abzuwarten, die bei solch ausgezeichneter Pflege bald eintreten mußte.

Felix besuchte sie jeden Nachmittag. Hubert und Hubertine waren auch zugegen, und es waren schöne Stunden, die sie so verbrachten, indem sie immer wieder dieselben Pläne für die Zukunft schmiedeten. Angelika saß zwar, doch war sie die fröhlichste von allen; sie war die erste, die von den Tagen der nächsten Zukunft sprach, von den Reisen, die sie machen wollten, von dem Ausbau des Schlosses Hautecoeur, kurz von allen Glückseligkeiten, die ihrer harrten. Man konnte sie für gerettet halten, ihre Kräfte wuchsen angesichts des zeitigen Frühlings, dessen von Tag zu Tag lauere Lüfte durch das geöffnete Fenster drangen, zusehends. Ihren ernsten Träumereien überließ sie sich nur, wenn sie sich allein befand und von niemandem gesehen werden konnte. Des Nachts entzückten sie überirdische Stimmen, dann wieder traf ein irdischer Ruf ihr Ohr; in ihr selbst wurde es heller; denn sie erkannte in der Verwirklichung ihres Traumes das Fortbestehen des Wunders. Eigentlich, so meinte sie, sei sie schon tot; sie lebe sichtbar nur dank der Gnade der unbekannten Dinge. Diese Einbildung wiegte sie in den Stunden der Einsamkeit in ein endloses Wohlgefühl; selbst der Gedanke, eines Tages alle irdischen Freuden verlassen zu müssen, ließ kein Bedauern in ihr wach werden, sie war eben fest überzeugt, daß sie das Glück bis zur Neige werde auskosten dürfen. Ihr Übel müsse warten. Ihre große Schwäche rief doch große Bedenken wach, denn sie nahm ihr mitunter jede Verfügung über ihre Glieder; sie fühlte ihren Leib kaum noch und schwelgte in reiner Seligkeit; erst ein irdisches Ereignis, wenn sie die Hubert die Tür öffnen hörte oder Felix kommen sah, machte es ihr möglich, sich aufzurichten und wiederkehrende Gesundheit zu erheucheln. Dann plauderte sie mit heiterm Lachen von den Jahren ihrer Ehe und der fernsten Zukunft.

Gegen Ende des Monats März erschien Angelika noch heiter und vergnügt; doch hatte sie bereits zweimal Ohnmachtsanfälle, während sie sich allein in ihrem Zimmer befand. Eines Morgens, gerade als ihr Hubert eine Tasse Milch brachte, fiel sie vor dem Bette nieder; um ihn zu täuschen, tat sie, als habe sie sich absichtlich auf den Fußboden niedergelassen; sie suche eine Nadel, meinte sie. Am nächsten Tage war sie wieder sehr aufgeräumt, sie sprach davon, Hals über Kopf heiraten zu wollen, und zwar bereits Mitte April. Man versuchte es ihr auszureden, hielt ihr ihre Schwäche vor und fragte sie, warum sie nicht warten wolle. Aber sie bestand auf ihrem Willen und wollte, wenn möglich gleich, auf der Stelle heiraten. Hubertine kam diese Eile verdächtig vor; betroffen blickte sie die Tochter an und erschrak vor dem von jener ausgehenden kühlen Atem. Doch schon beruhigte sich die teure Kranke; lief doch ihr zartfühliges Bestreben stets darauf hinaus, den anderen etwas vorzuspiegeln, während sie selbst nur zu gut wußte, daß sie verloren sei. Hubert und Felix hatten bei ihrer beständigen Anbetung Angelikas bisher weder etwas gesehen noch gefühlt. Auch jetzt wieder schritt sie dank der Festigkeit ihres Willens mit ihren wiegenden Schritten von ehemals auf und nieder, und wenn sie behauptete, die Hochzeitsfeier werde ihre Genesung vollenden, und sie freue sich so sehr darauf, war sie entzückend. Im übrigen stand die Entscheidung Hochwürden zu. Als dieser eines Abends in Person erschien, setzte sie ihm ihren Wunsch auseinander. Ihre Augen tauchten dabei unentwegt in die seinen, und ihre Stimme erklang so süß, daß er wohl fühlte, welche unausgesprochene heiße Bitte ihren Worten zugrunde lag. Der Bischof begriff; er setzte die Hochzeit auf Mitte April fest. Jetzt lebte man in beständiger Aufregung, denn es mußten große Vorbereitungen getroffen werden. Hubert mußte, trotzdem er gesetzlicher Vormund war, die Einwilligung des Direktors der Armenpflege einholen, der noch immer den Familienrat vorstellte, weil Angelika noch nicht großjährig war; Herr Grandsire, der Friedensrichter, hatte die Erledigung aller dieser Einzelheiten übernommen, um Felix und dem jungen Mädchen die damit verbundenen Unbequemlichkeiten zu ersparen. Angelika sah wohl, was man vor ihr verbarg, und so ließ sie sich eines Tages ihr Zöglingsbuch heraufbringen, um es ihrem Bräutigam zu übergeben. Sie befand sich jetzt immer in einem Zustande tiefster Demut; sie wollte, daß er wisse, aus welcher Tiefe er sie auf die Ruhmeshöhe seines alten Namens und großen Vermögens hebe. Dieses amtliche Zeugnis, diese Aufführungsliste mit einem Datum und einer Nummer war ihr Adelsbrief. Noch einmal durchblätterte sie es, dann überreichte sie es ihm ohne jegliche Verwirrung; sie freute sich, daß sie so gar nichts sei, und daß er erst etwas aus ihr mache. Felix war tief gerührt von dem, was er erblickte; er ließ sich vor ihr auf die Knie nieder und küßte mit Tränen in den Augen ihre Hände, als habe sie ihm ein herrliches Geschenk, das königliche Geschenk ihres Herzens gemacht.

Die Vorbereitungen beschäftigten vierzehn Tage hindurch ganz Bearmont und stellten die obere und untere Stadt vollständig auf den Kopf. Man erzählte sich, daß zwanzig Arbeiterinnen Tag und Nacht mit der Fertigstellung der Ausstattung beschäftigt seien. Am Hochzeitstage allein waren drei Näherinnen tätig. Die Morgengabe sollte, so sagte man, einen Wert von einer Million betragen, es sollte sich eine wahre Hochflut von Spitzen, Samt, Atlas und Seide, Edelsteinen und königlichen Diamanten über die Braut ergießen. Ganz besonders aber erhielten die beträchtlichen Almosen die Bevölkerung Beaumonts in Atem. Die Braut hatte verlangt, daß man den Armen ebensoviel zuwende wie ihr selbst, eine zweite Million also, die sich wie ein Goldregen auf die Stadt senken sollte. Endlich konnte sie ihren einstigen Durst nach Wohltun vollkommen stillen. Die Freigebigkeit ihres Traumes erlaubte es ihr, mit offenen Händen eine Flut des Reichtums über die Armen ausströmen zu lassen. Aus dem kleinen, kahlen Zimmer und dem alten Sessel heraus, an den Angelika gefesselt war, tönte das Lachen hellster Freude, als Abt Cornille ihr die Verteilungslisten brachte. Mehr, immer mehr, man konnte gar nicht genug geben! Sie hätte gar zu gern gesehen, wie der Vater Mascart sich an fürstlichen Mahlzeiten gütlich tue, wie die Chouteau inmitten eines palastartigen Luxus sich anstellten, und wie jung und gesund die Mutter Gabet mit Hilfe des Geldes geworden, wie die Lemballeuse, Mutter und Tochter, schöne Kleider und Schmucksachen zu tragen verständen! Wie ein Märchen verdoppelte sich der Goldregen über die Stadt; er kam nicht nur den täglichen Bedürfnissen, sondern auch der Annehmlichkeit und dem Vergnügen zugute. Im siegreichen Glanze des Ruhmes senkte sich das Gold auf das Straßenpflaster hernieder und schimmerte dort in den Strahlen der allumfassenden Sonne der Barmherzigkeit.

Am Vorabende des schönen Tages waren sämtliche Vorbereitungen fertig. Felix hatte in der Magloire-Straße hinter dem Bischofshause ein Haus erworben und es prächtig eingerichtet. Die mächtigen Räume waren mit herrlichen Tapeten geschmückt und mit den kostbarsten Möbeln ausgestattet; sie bestanden aus einem Salon mit altertümlichen Gobelins, einem Damenzimmer von himmelblauer Zartheit und vor allem einem Schlafzimmer, das einem aus weißer Seide und weißen Spitzen gefertigten Neste glich. Hier schimmerte alles weiß verhüllt und duftig, selbst das Licht erzitterte in weißer Flamme. Angelika hatte einen Wagen nehmen sollen, um zur Besichtigung dieser Kostbarkeiten zu fahren, doch sie wollte nicht. Sie hörte dem Bericht über dieses Wunder mit entzücktem Lächeln zu, traf aber selbst keine Verfügungen, weil sie sich in die Anordnung des Ganzen nicht hineinmischen wollte. Was sie vernommen, lag ihr vollständig fern; es gehörte zu jener unbekannten Welt, die ihr noch fremd war. Genug, daß ihre Lieben ihr Glück so zartfühlend schufen; wie eine Prinzessin aus dem Feenreiche wollte sie in ihr wirklich vorhandenes Königreich, woselbst sie von jetzt an herrschen sollte, ihren Einzug halten. Im übrigen schickte es sich nicht, daß sie die Morgengabe, die sich bereits in ihrer neuen Behausung vorfand, jetzt schon kennen lernte; dort waren das mit ihrem adeligen Namenszuge gestickte Leinenzeug, die mit Stickereien überladenen Galakleider, die altertümlichen – ein vollständiger, gewichtiger Kirchenschatz – und auch die modernen Schmucksachen ausgestellt, deren Fassung einen wunderbar zarten Geschmack verriet, und deren Brillanten im klarsten Wasser spielten. Angelika begnügte sich mit dem Siege ihres Traumes, mit der Gewißheit, daß sie ein solches Glück erwarte, strahlend in der Wirklichkeit des Lebens. Nur ihr Traukleid ließ sie sich am Hochzeitsmorgen bringen.

Als Angelika an diesem Morgen in ihrem großen Bett die Augen aufschlug, fühlte sie sich einen Augenblick fast der Verzweiflung nahe; sie fürchtete, sich nicht aufrecht halten zu können. Sie versuchte, sich zu erheben, doch kraftlos knickten ihre Beine zusammen. Die tapfere Heiterkeit der letzten Woche schwand vor diesem furchtbaren Angstgefühl, das ihr aus allen Poren drang. Als sie Hubertine mit fröhlicher Miene eintreten sah, war sie überrascht, daß sie mit einmal gehen konnte; sie fühlte aber, daß es nicht ihre eigene Kraft war, die sie aufrecht hielt, sondern daß ein Helfer des Unsichtbaren ihr zur Seite stand, und daß befreundete Hände sie trugen. Man kleidete sie an. Sie war federleicht und wog fast gar nichts mehr; zur Mutter, die darob erstaunte, meinte sie scherzend, sie solle den Atem anhalten, sonst fliege sie vielleicht davon. Während man sie ankleidete, erbebte das kühle Häuschen an der Seite der Kathedrale bereits von dem mächtigen Atem der Riesin. Denn in ihr summte es schon von den Vorbereitungen zur Feierlichkeit. Die Geistlichkeit befand sich in fieberhafter Tätigkeit, und die beständig tönenden Glocken der Stadt verbreiteten solch fröhliches Leben, daß selbst die alten Steine erzitterten.

Seit einer Stunde schon erklangen die Glocken wie an den Tagen der großen Feste in der oberen Stadt. Die Sonne war strahlend über einem lauen Apriltag aufgegangen, eine Woge von Frühlingslicht, die ihr Leben von den hellen Klängen der Glocken zu empfangen schien, hatte alle Einwohner auf die Straße gelockt. Ganz Beaumont nahm freudigen Anteil an der Hochzeit der kleinen Stickerin, die aller Herzen gewonnen hatte. Der schöne Sonnenschein in den Straßen glich dem Goldregen, der in den Märchen den zarten Händen der Feen als Almosen entquillt. Durch dieses Freude erweckende Licht strömte die Menge nach der Kathedrale hin, deren Schiff und Chöre sie bald füllte. Selbst den Klosterplatz bedeckte die Menschenmenge vollständig. Hier stieg die Hauptseite der Kirche wie ein blühendes Steinbukett empor, aus dem strengen romanischen Unterbau wuchs der vielgezackte gotische Oberbau heraus. In den Türmen schallten die Glocken unaufhörlich. Die Seite des Gebäudes selbst schien sich dieser Hochzeit zu rühmen; denn alles, was an ihr aufflammte und emporstrebte, das durchbrochene, steinerne Spitzenwerk, das lilienhafte Erblühen der Säulchen, der Geländer und Bogenwölbungen, die Nischen mit den überdachten Heiligen, die geißblattförmig auslaufenden, mit kleinen Kreuzen und Blumenwerk verzierten Giebel, die mächtigen Rosen, alles das hatte das arme Mädchen auf seinem Gange durch das Wunder seines Lebens begleitet.

Um zehn Uhr erbrauste die Orgel, Angelika und Felix betraten in diesem Augenblick die Kirche und näherten sich langsamen Sehrittes durch die dichtgedrängt stehende Reihe der Zuschauer dem Hauptaltar. Ein Flüstern der Rührung und Bewunderung ließ die Köpfe der Menschen auf und nieder wogen. Felix, zwar sehr bewegt, schritt stolz und würdig einher. Das Gestrenge der schwarzen Kleidung ließ seine Schönheit eines jungen Gottes noch deutlicher hervortreten. Aber sie vor allem erschien so anbetungswürdig, so göttlich, mit einem so geheimnisvollen, überirdischen Reize ausgestattet, daß alle Herzen lauter schlugen. Ihr Kleid war aus weißer Moirée gefertigt; es war ganz einfach mit weißen Mechelner Spitzen besetzt, die von Perlen zusammengehalten wurden; zierliche Perlenschnüre hoben sich aus dem Besatz der Taille und von den Spitzen des Unterkleides ab. Ein Schleier aus alten englischen Spitzen war auf dem Kopfe mit einer dreifachen Perlenkrone befestigt, er hüllte Angelika vollständig ein und wallte bis auf die Füße hernieder. Sonst trug sie nichts, keine Blume, keinen Schmuck. In dieser schimmernden Flut, in dieser leise knisternden Wolke weißen Stoffes schien ihre kleine Heiligenfigur mit den veilchenblauen Augen und goldblonden Haaren wie von einem Flügelpaar bewegt dahinzugleiten.

Zwei Sessel aus rotem Samt erwarteten das Brautpaar vor dem Altar; hinter ihnen knieten Hubert und Hubertine auf dem für die Familienmitglieder bestimmten Betkissen nieder, während die Orgel ihre Begrüßungsklänge zu Ende führte. Am Abend vorher hatten sie eine unerwartete Freude erlebt; sie wußten jetzt noch nicht, was sie dazu sagen sollten, und fanden nicht genug Worte des Dankes gegen Gott, der auch ihnen ein ihrem Kinde ähnliches Glück beschert hatte. Hubertine hatte abermals den Kirchhof besucht, der Gedanke quälte sie, daß sie nun nach der Verheiratung ihrer Tochter wieder einsam in dem kleinen Hause leben würden. Sie hatte deshalb lange zur Mutter gebetet. Plötzlich war sie mit einem Ruck zitternd in die Höhe gefahren. Sie fühlte sich erhört. Nach dreißig Jahren schickte aus der Tiefe des Grabes herauf die hartnäckige Tote ihr die Verzeihung, das so heiß begehrte und erwartete Kind der Versöhnung. War diese Erhörung der Lohn für ihre Barmherzigkeit, dafür, daß sie ein armes Geschöpf des Elends an jenem Wintertage unter der Tür der Kathedrale aufgelesen und in ihr Haus geführt hatte, dasselbe, welches heute mit dem größten Pomp der Kirche einem Fürsten angetraut wurde? Daher lagen sie jetzt ohne ein Gebet, ohne Worte zu finden, vor dem Altar auf den Knien. Ihr ganzes Wesen war ein einziger Ausdruck des Dankes und unendlichen Entzückens. Ihnen gegenüber thronte Hochwürden auf seinem Bischofssitze, auch er gehörte ja zur Familie. Voll und ganz veranschaulichte er die Majestät Gottes: in der Pracht seiner geheiligten Kleider schien sein Gesicht göttliche Erhabenheit an Stelle weltlicher Leidenschaften auszustrahlen. Über seinem Haupte schwebte, von den beiden Engeln der Stickerei gehalten, das schimmernde Wappen von Hautecoeur.

Jetzt begann die Feier. Die gesamte Geistlichkeit war zur Stelle, selbst die Pfarrer aus den zur Kirche gehörigen Sprengein waren gekommen, um ihren Bischof zu ehren. In diese weiße Flut der Chorhemden leuchteten die goldigen Chorröcke der Sänger und die roten der Chorknaben hinein. Selbst die ewige Nacht unterhalb der tief gelegenen romanischen Kapellen erhellte an jenem Vormittage die wohlige Aprilsonne, die auch in den Kirchenfenstern ihre Lichter spielen ließ, wo selbst das Steinwerk wie in eine Kohlenglut getaucht schien. Im Schiffe der Kirche aber flammte ein Kerzenmeer auf; so zahlreich wie Sterne am Sommerhimmel flimmerten hier die Lichter. Auch der Hauptaltar in der Mitte strahlte von Licht, der sinnbildliche brennende Busch erglühte wie vom Feuer der Seelen. In den Wandarmen, in den Kronleuchtern brannten die Kerzen; vor dem jungen Ehepaar verbreiteten zwei große Leuchter mit geschwungenen Armen ein sonnengleiches Licht. Ein ganzer Wald von Pflanzen verwandelte den Chor in einen Hain; dort blühten in mächtigen Büscheln weiße Azaleen, weiße Kamelien und Lilien. Bis tief in die Apsis hinein blitzten die goldenen und silbernen Streiflichter auf, hier und dort sah man Eckchen von Samt und Seide, kurz, durch die Pflanzenwand drang es blendend wie ein Schein des Tabernakels. Oberhalb des Geflimmers verjüngte sich das Schiff, die vier mächtigen Pfeiler des Transepts stützten die Kuppel. Wie von unsichtbarem Hauche bewegt, erzitterten die Tausende von kleinen Kerzen und beugten ihr Licht vor dem voll durch die hohen, gotischen Fenster dringenden Sonnenlicht. Angelika hatte verlangt, daß der gute Abt Cornille sie traue. Als sie ihn jetzt im Chorhemd und weißer Stola, von zwei Gehilfen gefolgt, nach vorn kommen sah, lächelte sie ihm entgegen. Endlich verwirklichte sich ihr Traum, sie heiratete weit über alles Hoffen hinaus Reichtum, Schönheit und Macht. Die Kirche sang ihre Hymnen und erstrahlte in einem Meere von Kerzen, die Menge der Gottesfürchtigen und Priester drängte sich Kopf an Kopf. Noch nie hatte das alte Schiff von einer so königlichen Pracht widergestrahlt; in seinem geheiligten Reichtum schienen sich seine Wände vor lauter Glück geweitet zu haben. Angelika lächelte; sie fühlte den Tod in sich, fühlte, wie er inmitten dieser allgemeinen Freude seinen Sieg feierte. Als sie die Kirche betrat, hatte sie ihren Blick der Kapelle Hautecoeur zugewandt, wo Laurette und Balbine, die glücklichen Toten, schlummerten, die in voller Jugend im Augenblick des höchsten Lebensglückes dahingerafft wurden. In dieser Stunde fühlte sie sich vollkommen siegreich über sich selbst, geläutert, neugeboren; erstorben waren in ihr die Leidenschaft und der Hochmut über den Triumph. Sie war entschlossen zu dem überirdischen Fluge ihres Wesens und stimmte in das Hosianna ihrer großen Freundin, der Kathedrale, reinen Herzens ein. Als sie niederkniete, tat sie es als unterwürfige und demütige Dienerin, die von der Erbsünde völlig reingewaschen ist. Ihre Entsagung beglückte sie.

Abt Cornille war vom Altar herniedergestiegen und sprach die Ermahnung mit Worten eines Freundes. Er führte als Beispiel die Ehe an, die Jesus mit der Kirche eingegangen war, er sprach von der Zukunft, davon, daß sie die Tage im Glauben verbringen und ihre Kinder als Christen erziehen sollten. Wiederum lächelte Angelika zu dieser Hoffnung, während Felix neben ihr im Gedanken an dieses nunmehr gesichert scheinende Glück erschauerte. Dann kamen die vorgeschriebenen Fragen, die Antworten, die für das ganze Leben binden, und das entscheidende Ja, das bei ihr aus der Tiefe ihres bewegten Herzens heraufklang, während er es lauter mit einem sanften Ernste aussprach. Das Unlösbare war geschehen, der Priester legte ihre rechten Hände ineinander und sprach die Formel: Ego conjungo vos in matrimonium in nomine Patri, et Filii, et Spiritus sancti. Jetzt folgte die Segnung des Ringes, des Sinnbildes unverletzlicher Treue und der Unlösbarkeit des Bundes, der ewig dauert. Der Priester bewegte den Weihwedel über dem goldenen Ring in der silbernen Schale in der Form des Kreuzes: Benedic, Domine, anulum hunc ... Dann reichte er ihn dem Gatten als Zeugnis, daß die Kirche sein Herz siegle und verschließe, auf daß keine andere Frau dort Einzug halten könne. Der Gatte steckte ihn der Gattin an den Finger, um ihr seinerseits zu versichern, daß er allein unter allen Männern ihr angehöre für alle Zukunft. Die Vereinigung war jetzt geschlossen ohne Ziel, ohne Ende; sie trug jetzt das Zeichen, das ihm beständig seinen beschworenen Eid vor Augen halten sollte. Es drückte auch zugleich die Verheißung auf eine lange Reihe gemeinsam zu verlebender Jahre aus, gerade als ob der kleine Goldreif sie bis über das Grab hinaus aneinander ketten werde. Während der Priester nach dem Schlußgebet sie noch einmal ermahnte, zeigten Angelikas Züge abermals das klare Lächeln der Entsagung. Sie wußte ja, was kam.

Wieder erbrauste die Orgel im Jubelklang hinter dem Abt her, der sich mit seinen Gehilfen zurückzog. Hochwürden senkte trotz seiner starren Majestät seine zwei sanft blickenden Adleraugen auf das junge Paar hernieder. Die immer noch knienden Hubert erhoben die Köpfe, ihre Augen waren fast geblendet vor Freudentränen. Weiter grollte die Orgel in endlosen Tonreihen, um sich in einen Schauer von kleinen, hellen Noten zu verlieren, die dem Morgengesang der Lerche gleich von dem Gewölbe herabregneten. Ein lang anhaltendes Aufseufzen und eine allgemeine Bewegung lief durch die Reihen der in der Kirche und in den Seitengängen sich stauenden Menge. Die blumengeschmückte, vom Lichtglanze widerstrahlende Kirche erglänzte vor Freude über die heilige Handlung.

Jetzt vergingen noch zwei Stunden königlichen Pompes. Es wurde die hohe Messe gehalten. Der Geistliche erschien im weißen Meßgewande in der Begleitung des Festordners, die beiden Rauchfaßträger hielten Rauchgefäß und Weihkessel, die zwei Gehilfen trugen die großen, angezündeten goldenen Leuchter. Die Anwesenheit Hochwürdens gestaltete den Gottesdienst, die Begrüßungen und Kußspenden umständlicher. Jeden Augenblick rauschte es wie Flügelschlag durch die Reihen der Chorröcke, wenn die Priester sich verneigten und die Knie beugten. Aus den alten, reichgeschnitzten Chorstühlen fuhr das ganze Kapitel in die Höhe. Dann wiederum schien ein Hauch vom Himmel die ganze Menge der die Apsis füllenden Geistlichkeit zu Boden zu strecken. Der Messehaltende sang vor dem Altar. Wenn er schwieg und sich setzte, fiel der Chor mit feierlichen, langverhallenden Tönen ein, während helle, Kinderstimmen den Flöten der Erzengel ähnliche himmlische Weisen anstimmten. Eine einzige schöne, klare Stimme, die eines jungen Mädchens, tönte ganz besonders zum Entzücken. Man erzählte sich, daß sie dem Fräulein Claire von Voincourt angehörte, die es sich nicht hatte nehmen lassen wollen, bei dieser Wunderhochzeit mitzusingen. Die begleitende Orgel atmete lange und zärtlich, es klang, als freue sich eine gütige und glückliche Seele. Mitunter trat ein plötzliches Schweigen ein, dann aber rollte von neuem der Donner der Orgel an den Wölbungen entlang, während der Festordner die Gehilfen mit ihren Leuchtern und die Rauchfaßträger zum Messehaltenden führte, um von diesem den den Kesseln entströmenden Weihrauch segnen zu lassen. Klar und silbern erklang das Geklirr der Kettchen an den Gefäßen, während die Weihrauchwölkchen emporschwebten. Eine wohlriechende Wolke schwamm bläulich in der Luft. Dreimal, erst zur Rechten, dann zur Linken und schließlich in der Mitte wurde gegen den Bischof, die Geistlichkeit, den Altar, das Evangelium und gegen die tiefen Reihen der Gläubigen der Weihrauch geschwenkt.

Angelika und Felix lagen auf den Knien und lauschten demütig der Messe, welche die geheimnisvolle Vollziehung der Ehe von Jesus mit der Kirche bedeutet. Man hatte jedem von ihnen eine brennende Kerze in. die Hand gegeben, das Sinnbild der seit der Taufe bewahrten Unschuld. Noch nach dem Vaterunser blieben sie unter dem Sehleier, als dem Zeichen der Unterwürfigkeit, der Scham und der Bescheidenheit, während der Priester stehend die vorgeschriebenen Gebete las. In ihren Händen schimmerten noch immer die Kerzen, ein Hinweis, daß man selbst während der rechtlichen Freuden der Hochzeit an den Tod denken soll. Der Gottesdienst war zu Ende, die Opferung vorüber, der Messehaltende entfernte sich mit dem Festordner, den Rauchkesselträgern und den Gehilfen, nachdem er Gott gebeten, die Gatten zu segnen, auf daß sie ihre Kinder wachsen und sich vermehren sähen bis in das dritte und vierte Glied.

Wie ein Aufjauchzen ging es durch die ganze Kathedrale. Die Orgel stimmte mit einem so mächtigen Donnerlaut den Triumphmarsch an, daß das alte Gebäude in seinen Grundfesten erzitterte. Rauschend erhob sich die Menge und drängte vor, um besser sehen zu können. Die Frauen erkletterten die Stühle, bis tief hinein in die dunklen Kapellen der Seitenchöre waren dichtgedrängte Reihen von Köpfen sichtbar. Aller Herzen klopften, aller Gesichter frohlockten. Die Tausende von Kerzen schienen während des Abschiednehmens noch heller zu brennen, die Flammen dehnten sich, und feurige Zungen schienen an den Gewölben emporzulecken. Ein letztes Hosianna der Geistlichkeit stieg aus der Mitte der Blumen und der grünen Wand inmitten des Glanzes der geheiligten Zierate und Kostbarkeiten auf. Plötzlich sprangen die beiden Flügel der Haupttür unterhalb der Orgel auf, und die dunkle Mauer umflutete eine Woge blendenden Tageslichts. Der klare Vormittag des April, die lebendige Frühlingssonne, der Klosterplatz mit seinen heiteren, weißen Häusern wurden sichtbar. Dort draußen wartete eine noch zahlreichere Menge auf die Neuvermählten mit noch ungeduldigerer Teilnahme, wie die Zurufe und das Hin- und Herwogen bekundeten. Die Kerzen erbleichten, und die Orgel überbrauste mit ihrem Donner den Lärm der Straße.

Langsamen Schrittes wandelten Angelika und Felix durch die doppelte Reihe der Getreuen zur Tür. Der Sieg war gefeiert, und aus dem Traume hervor schritt Angelika in die irdische Wirklichkeit hinüber. Dieser Vorhof voll grellen Lichtes eröffnete ihr die noch unbekannte Welt. Sie verlangsamte ihren Schritt und betrachtete die Häuser, die bewegte Menge, die ihr zurief und sie begrüßte. Ihre Schwäche war so groß, daß ihr Gatte sie fast tragen mußte. Trotzdem ruhte auf ihrem Antlitz ein Lächeln. Sie gedachte des fürstlichen Hauses mit seinen Kostbarkeiten und königlichen Gewändern, in dem sie das weißseidene hochzeitliche Gemach erwartete. Ein Erstickungsanfall hemmte ihren Fuß, dann tat sie noch mit Aufwendung aller Kräfte einige Schritte. Ihr Blick hatte den Bing an ihrem Finger getroffen, und sie lächelte diesem Bande für die Ewigkeit freundlich zu. Auf der Schwelle des Haupteinganges, auf der obersten der auf den Platz führenden Stufen schwankte sie. Hatte sie jetzt nicht das Glück bis zur Neige ausgekostet? Hatte hier nicht die Freude ein Ende? Sie raffte sich zu einer letzten Anstrengung auf und legte ihren Mund auf den ihres Gatten. Mit diesem Kusse entfloh ihr Geist.

Aber es war kein trauriger Tod. Hochwürden selbst half mit seiner üblichen Bewegung priesterlicher Segnung dieser armen, in sich beruhigten Seele, die zum göttlichen Nichts zurückkehrte, sich befreien. Die zum wirklichen Leben wiederkehrenden, begnadeten Hubert hatten die beglückende Empfindung, daß hier ein Traum endete. Die Kathedrale, die ganze Stadt schwamm in Festesfreude. Die Orgel erklang noch lauter, die Glocken tönten zusammen, und das Volk jauchzte dem Liebesbunde zu, der unter dem Glänze der Frühlingssonne auf der Schwelle der geheimnisvollen Kirche vor seinen Augen sichtbar ward. Angelika schwebte glücklich und in unschuldvoller Reine aus dem Dunkel der romanischen Kapellen zum Strahlenkranze der gotischen Wölbungen in die Verwirklichung ihres Traumes hinüber, von den Resten verblichenen Goldes und toter Malereien zum lebendigen Paradies der Legenden empor.

Felix hielt nur noch ein süßes, zartes Etwas in den Armen, das aus Spitzen und Perlen bestehende Hochzeitskleid, diese Handvoll leichten, noch warmen Gefieders. Schon längst wußte er, daß er nur einen Schatten noch sein Eigen nannte. Die vom Unsichtbaren gekommene Erscheinung kehrte zum Unsichtbaren zurück. Es war nur ein Lichtbild gewesen, das erlosch, nachdem es eine Einbildung geschaffen hatte. Alles war nur ein Traum. Auf dem Gipfel des Glückes angelangt, entschwand Angelika unter dem flüchtigen Hauche eines Kusses.


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