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Sechstes Kapitel

An einem Herbstnachmittag kam Gervaise von einer Kundin aus der Weißtorstraße, wo sie ihre Wäsche abgeliefert hatte, zurück, und war bis an das Ende der Fischerstraße gelangt, als es Abend zu werden anfing. Da es morgens geregnet hatte und die Luft sehr warm war, verdampfte die Feuchtigkeit auf dem Straßenpflaster. Der Wäscherin war ihr großer Korb lästig und sie stieg mit langsamen Schritten und etwas außer Atem die Straße hinauf; sie empfand das Bedürfnis, für eine unbestimmte Lüsternheit, die das lässige Dahinschlendern in ihr erzeugt hatte, Befriedigung zu suchen. Sie hätte gern etwas Gutes gegessen. Als sie suchend umherblickte, fiel ihr Auge auf das Straßenschild der Mercadet-Straße, und ihr kam der Gedanke, Goujet in seiner Schmiede zu besuchen. Wohl zwanzigmal hatte er ihr gesagt, sie möge doch einmal einen Augenblick herangucken, wenn sie Lust habe, zu sehen, wie das Eisen bearbeitet werde. Übrigens beschloß sie, vor den anderen Arbeitern nach Etienne zu fragen, damit es so aussehe, als ob sie nur wegen des Kleinen gekommen sei.

Die Bolzen- und Nagelfabrik mußte dort unten am Ende der Mercadet-Straße sein, sie wußte nicht genau wo, besonders da dort oft die Nummern fehlten, wo zwischen den Häusern lange, alte Mauern und unbebaute Strecken lagen. Für alles Gold der Welt hätte sie da nicht wohnen mögen; die Straße war breit, schmutzig durch den Kohlenstaub der benachbarten Fabriken, und in den Fahrgeleisen auf dem holprigen Pflaster standen Wasserpfützen. An beiden Seiten zogen sich lange Schuppen hin, geräumige Werkstätten mit großen Fenstern; es waren meist graue Fachwerkbauten, deren leichte, mit Mauersteinen ausgefüllte Holzwände sichtbar wurden, wo stellenweise der dünne Kalkputz abgefallen war; es war ein Gewirre baufälliger Baracken, durch deren offene Türen man auf weite, ländliche Höfe sah; hin und wieder stand da auch ein düsteres Haus, wo man möbliert vermietete, und in dem unten eine schmutzige Garküche sich befand. Sie entsann sich nur, daß die Fabrik neben dem Laden eines Eisenkrämers lag, in dessen Räumen sich für Hunderttausende von Franken Waren aufgespeichert befanden, wie Goujet erzählte. Umgeben von all dem Lärm der Fabriken, suchte sie sich zurechtzufinden: auf den Dächern stießen schmale Rohre mit pfeifendem Ton weißen Dampf in die Luft; aus einer Schneidemühle kam ein regelmäßiger, schreiender Ton, der so klang, als ob man mit heftigen Rucken ein Stück baumwollenes Zeug aufreiße. Knopffabriken machten den Boden erbeben unter dem Rollen und gleichmäßigen Stoßen ihrer Maschinen. Als sie unschlüssig nach dem Montmartre hinaufsah und überlegte, ob sie sich noch weiter vorwagen solle, schlug ein Windstoß rußigen Rauch aus einem hohen Schornstein herunter und hüllte die Straße ein; als sie halb erstickt die Augen schloß, hörte sie das taktmäßige Schlagen von Hämmern: sie befand sich, ohne es zu wissen, gerade der Fabrik gegenüber; sie erkannte es an dem dunklen Loch daneben, das ganz mit altem Gerümpel angefüllt war.

Sie zögerte noch, da sie nicht recht wußte, wo sie eintreten sollte. Ein schadhafter Lattenzaun ließ einen Weg frei, der zwischen Schutthaufen hindurch auf einen Platz zu führen schien, wo alte Gebäude niedergerissen wurden. Eine schlammige Pfütze, die den Zugang versperrte, hatte man mit ein paar Brettern überbrückt. Sie entschloß sich endlich, diese Bretter zu betreten, wandte sich nach links und befand sich inmitten einer unzählbaren Menge von alten Karren und Wagen, deren Deichseln in die Luft hineinragten; die Baulichkeiten, die diesen Ort einschlossen, waren im Abbruch begriffene Fachwerkhäuser, deren Balkengerippe allein noch dastanden. Ganz hinten glomm durch die Schatten des Abends ein rotes Feuer. Sie ging vorsichtig auf das Feuer zu, als ein Arbeiter mit rußgeschwärztem, ziegenbärtigem Gesicht an ihr vorbeikam und sie aus seinen matten Augen von der Seite anglotzte.

»Mein Herr,« fragte sie, »arbeitet hier nicht ein kleiner Junge, der Etienne heißt? ... er ist mein Sohn.«

»Etienne, Etienne«, wiederholte der Arbeiter mit rauher Stimme, sich hin und her wiegend; »Etienne, nein, den kenne ich nicht.«

Wie er den Mund öffnete, entströmte ihm ein starker Alkoholgeruch, wie er von Branntweinfässern ausgeht, denen man die Reifen abschlägt. Das Zusammentreffen mit einer Frau in dieser dunklen Ecke machte den Mann zu schlechten Späßen aufgelegt, so daß Gervaise zurückwich und murmelte: »Aber Herr Goujet arbeitet doch hier?«

»Ah! Goujet! ja!« sagte der Arbeiter, »Goujet kenne ich! ... Wenn Ihr Goujet sprechen wollt, geht nur nach hinten.«

Er wandte sich um und rief mit einer Stimme, die wie der Ton eines gesprungenen Kupferkessels klang:

»Heda! Löwenmaul! eine Dame will dich sprechen!«

Ein starkes Getöse herunterrollender Eisenstangen übertönte diesen Ruf. Gervaise kam an eine Tür und streckte den Kopf vor. Sie sah in einen großen Saal hinein, in dem sie vorerst nichts unterscheiden konnte. Das fast erloschene Schmiedefeuer sah in der Ecke wie ein bleicher Stern aus und verdüsterte die tiefen Schatten noch mehr, in die der ganze Raum gehüllt war. Hin und wieder schoben sich schwarze Körper vor das Feuer und verdeckten so mit ihren Massen diesen letzten Funken von Helligkeit. Die Männer erschienen unverhältnismäßig groß, man ahnte ihre mächtigen Glieder. Gervaise, die sich nicht weiter vorwagte, rief von der Tür aus mit schwacher Stimme:

»Herr Goujet! Herr Goujet! ...«

Da wurde plötzlich alles hell. Von dem Windzug des Blasebalges hervorgerufen, leuchtete eine helle Flamme auf. Der Schuppen schien ein Bretterverschlag zu sein, dessen Ecken man durch etwas Mauerwerk dauerhafter gemacht hatte. Der schwarze Kohlenstaub erfüllte die ganze Halle mit einem schmutzigen Dunst. An dem Gebälk der Decke hingen Spinngewebe, als ob es zum Trocknen aufgehängte Lumpen seien, in denen sich seit Jahren Staub und Schmutz verfangen hatten. Längs der Wände, auf Gestellen oder an Nägeln und in den düstern Ecken hingen und lagen in wirrem Durcheinander alte Eisenstücke, worunter Werkzeuge von ungeheurer Größe ihre harten, seltsamen Formen zeigten. Die weiße Flamme wurde immer größer, wie die aufgehende Sonne erleuchtete sie den unebenen Boden, auf dem die Stahlkörper von vier Ambossen in silbrigen und goldigen Lichtern schimmerten.

Da erkannte Gervaise Goujet vor dem Schmiedefeuer an seinem schönen blonden Bart; Etienne zog den Blasebalg. Es waren noch zwei andere Arbeiter da, doch sie sah nur Goujet und ging gerade auf ihn zu.

»Sieh da! Madame Gervaise!« rief er mit freudigem Gesicht, »das ist einmal eine Überraschung!«

Als er sah, was die Kameraden für schnurrige Gesichter machten, nahm er Etienne und brachte ihn zu seiner Mutter, indem er fortfuhr:

»Ihr kamt her, um den Kleinen zu sehen? ... Er ist gut und fleißig und bekommt auch schon eine kräftige Faust.«

»Das ist ja schön,« sagte sie, »es war nicht leicht hierherzufinden ... Ich glaubte, hier sei die Welt mit Brettern vernagelt ...«

Sie erzählte, wie sie dorthin gekommen war. Dann fragte sie, wie es denn komme, daß man in der Werkstätte nicht Etiennes Namen kenne. Goujet erklärte ihr lachend, daß ihn hier jedermann Zouzou Anmerk. des Übersetzers: Zouzou ist der Spitzname für einen Zuaven. nenne, weil seine Haare so ganz kahl abgeschoren seien und er deshalb wie ein Zuave aussehe. Während sie miteinander sprachen, zog Etienne nicht den Blasebalg, deshalb wurde die Flamme immer kleiner, das rosige Licht verschwand und der Schuppen wurde wieder dunkel. Der Schmied betrachtete ganz gerührt die lächelnde junge Frau, die bei dem ersterbenden Licht ganz frisch und rosig aussah. Als die beiden in der steigenden Dunkelheit zu sprechen aufgehört hatten, schien er sich plötzlich auf etwas zu besinnen und brach das Schweigen:

»Ihr erlaubt wohl, Madame Gervaise, ich habe da noch etwas fertigzumachen. Ihr bleibt doch ruhig noch ein bißchen hier, nicht wahr? Ihr stört hier niemand.«

So blieb sie. Etienne hatte sich wieder an den Blasebalg gehängt. Das Schmiedefeuer flammte mit einem Sprühregen von Funken empor, und das um so mehr, als der Kleine, der seiner Mutter seine Kraft zeigen wollte, einen wahren Orkan mit dem Blasebalg entfesselte. Goujet stand beim Schmiedefeuer und überwachte eine Eisenstange, die er glühend machte; er hatte seine Zange in der Hand. Die große Helligkeit fiel ganz auf ihn ohne einen Schatten.

Sein Hemd, dessen Ärmel zurückgeschlagen waren und dessen Kragen offen stand, ließ seine nackten Arme und die nackte Brust sehen, deren rosige Haut mit kleinen, blonden Haaren bedeckt war. Wie er so dastand, den Kopf zwischen den mächtigen Schultern, deren Muskel sich wölbten, ein wenig gesenkt, mit dem hellen Auge, ohne ein einziges Zucken aufmerksam in die Flamme sehend, glich er einem ruhenden Koloß, einem Bilde selbstbewußter Kraft. Als die Eisenstange weißglühend war, ergriff er sie mit der Zange und schlug auf einem Amboß mit dem Hammer regelmäßige Stücke davon ab, mit so leichten Schlägen, als ob die Stange von Glas sei. Dann legte er die Stückchen wieder ins Feuer und nahm sie eines nach dem andern, um sie zu formen. Er schmiedete Nietnägel mit sechseckigen Köpfen. Zuerst steckte er das Stückchen Eisen in ein Loch des Ambosses, zerschmetterte das darüber hinausstehende Ende, das den Kopf bilden sollte, und formte die sechs Seiten; den fertigen Nagel, dessen Rotglut langsam erlosch, warf er auf den schwarzen Fußboden. Alles tat er mit gleichmäßigen Schlägen, mit solcher Leichtigkeit schwang sein rechter Arm den fünf Pfund schweren Hammer und formte mit jedem Schlage irgendeine Einzelheit mit solcher Geschicklichkeit, daß er ruhig dabei sprechen und jedermann ansehen konnte. Es schien ihm sehr wohl zu sein, kein Schweißtropfen zeigte sich, und er schlug mit so gutmütiger, harmloser Miene, daß er sich ebensowenig dabei anzustrengen schien, als wenn er abends bei sich zu Hause Bilder ausschnitt.

»Es sind nur kleine Nägel von zwanzig Millimeter«, sagte er, um auf Gervaises Fragen zu antworten. »Man kann davon bis zu dreihundert Stück täglich machen ... Aber es gehört Übung dazu, sonst erlahmt der Arm bald.«

Als sie fragte, ob nicht doch gegen Abend die Faust ermüdete, lachte er gutmütig. Glaube sie denn, daß er ein Fräulein sei? Seine Faust habe in den letzten fünfzehn Jahren genug graues Eisen geschlagen und sich soviel an den Werkzeugen gerieben, daß sie selber fast wie Eisen geworden sei. Übrigens habe sie recht: ein Herr, der nie einen Nagel oder Haken geschmiedet habe und mit seinem Fünfpfundhammer spielen wolle, der werde sich nach zwei Stunden keine schlechten Muskelschmerzen zuziehen. Das sehe so aus, als ob es gar nichts sei, aber es bringe manchmal die strammsten Burschen schon in ein paar Jahren auf den Hund. Indessen schlugen auch die anderen Arbeiter alle darauf los. Die großen Schatten der Männer schwankten bei der Helligkeit hin und her, die rotleuchtenden Blitze, die von dem Eisen ausgingen, fuhren in die dunklen Tiefen, und ganze Strahlenbündel von Funken, die unter den Hammerschlägen den Eisenstücken auf den Ambossen entsprühten, ließen diese wie Sonnen erscheinen. Gervaise fühlte sich so traulich angemutet von diesem besonderen Schauspiel, daß sie nicht fortging. Sie wollte sich eben, um sich nicht die Hände zu verbrennen, auf einem großen Umweg Etienne nähern, als sie den schmutzigen, bärtigen Arbeiter eintreten sah, an den sie sich vorher im Hofe gewendet hatte.

»Nun, Madame, haben Sie gefunden?« sagte er mit seiner Miene eines schelmischen Trunkenboldes. »Du weißt doch, Löwenmaul, daß ich Madame zu dir geschickt habe? ...«

Er hieß Salzschnabel, genannt Sauf-aus-ohne-Durst, der Forscheste unter den Forschen, der Nagelschmied, wie er sein soll, der seine Eisen jeden Tag mit einem Liter Fusel begießt. Er war nur weggegangen, um einen Schluck zu trinken, denn er fühlte sich nicht mehr fest genug, um noch bis sechs Uhr auszuhalten. Als er hörte, daß Zouzou Etienne hieß, fand er es zu komisch und lachte, daß man alle seine schwarzen Zähne sah. Dann entsann er sich auf Gervaise. Erst gestern abend hatte er mit Coupeau einen Schoppen getrunken. Ja, ja, man konnte Coupeau nach dem Salzschnabel, genannt Sauf-aus-ohne-Durst, fragen, da werde er gleich sagen: Das ist ein famoser Junge! Aha! dieses Vieh, der Coupeau! er ist sehr splendid und gibt öfter mal einen Satz, ehe die Reihe an ihn kommt.

»Es freut mich, zu erfahren, daß Ihr seine Frau seid«, sagte er. »Er verdient eine so hübsche Frau ... Nicht wahr, Löwenmaul, Madame ist eine hübsche Frau?«

Er war von so zudringlicher Artigkeit, und rührte die Wäscherin fortwährend an, so daß diese ihren Korb wieder aufnahm, um ihn sich vom Leibe zu halten. Goujet ärgerte sich, denn er verstand wohl, daß der Kamerad ihn wegen seiner Freundschaft für Gervaise aufzog und rief ihm zu:

»Sage mal, du Flausenmacher, wie wird es denn mit den vierzig Millimetern? ... Hast du Lust, daran zu gehen, jetzt, wo du die Hucke voll hast, du Süffel?«

Der Schmied wollte von einer Bestellung auf sehr große Nägel sprechen, zu denen zwei Schläger am Amboß nötig waren.

»Wenn du willst, jetzt gleich, du große Schreipuppe!« antwortete Salzschnabel, genannt Sauf-aus-ohne-Durst. »So einer lutscht sich am Daumen und tut, als ob er ein Mann ist! Wenn du auch noch länger wärest, ich bin schon mit ganz anderen fertig geworden!«

»So ist es recht, gleich! Komm nur her!«

»Hier bin ich, mein Bursche!«

Sie trauten einander nicht, die Gegenwart von Gervaise hatte sie entflammt. Goujet legte im voraus geschnittene Stücke Eisen ins Feuer, dann befestigte er auf dem Amboß ein sehr starkes Nageleisen. Mittlerweile hatte der Kamerad zwei Zwanzigpfundhämmer von der Wand genommen, die beiden großen Schwestern der Werkstatt, die von den Arbeitern Fifine und Dédèle genannt wurden. Er fuhr noch immer fort zu prahlen und sprach von einem halben Gros Bolzen, die er für den Leuchtturm von Dünkirchen geschmiedet hatte; das seien solche Meisterwerke gewesen, daß man sie habe in einem Museum aufstellen können, so vollendet seien sie gewesen. Den Teufel auch! er fürchte keinen Nebenbuhler; ehe man einen Bengel wie ihn finde, da müsse man schon alle Buden von Paris auf den Kopf stellen. Das werde was zu lachen geben, man werde schon sehen, was man da zu sehen bekomme!

»Madame wird selbst urteilen«, sagte er, zur jungen Frau gewandt.

»Genug geschwatzt!« rief Goujet. »Zieh' fest, Zouzou! Das hitzt nicht genug, mein Junge!«

Aber Salzschnabel, genannt Sauf-aus-ohne-Durst, fragte noch:

»Also wir schlagen zusammen?«

»Im Gegenteil! Jeder seinen Bolzen für sich, mein Bursche!«

Dieser Vorschlag wirkte wie eine kalte Dusche, und dem Kameraden wurde trotz seiner Prahlerei der Mund trocken. Bolzen von vierzig Millimeter von einem einzigen Mann hergestellt, das hatte man bisher noch nicht gesehen, um so mehr, als diese Bolzen runde Köpfe haben mußten. Das war eine Arbeit, die ihre verdammten Schwierigkeiten hatte, es war ein Meisterstück, so etwas zu machen. Die drei anderen Arbeiter der Werkstatt hatten ihre Arbeit verlassen, um zuzusehen; ein großer, magerer Kerl wettete einen Liter, daß Goujet unterliegen werde. Da ergriff jeder der beiden Schmiede mit geschlossenen Augen einen Hammer, denn Fifine wog ein halbes Pfund mehr als Dédèle. Salzschnabel, genannt Sauf-aus-ohne-Durst, hatte das Glück, die Hand auf Dédèle zu legen, Löwenmaul erfaßte Fifine. Während sie auf das Weißglühen des Eisens warteten, fing der erste vor dem Amboß wieder zu prahlen an, seine Zuversicht war ihm wiedergekommen und er warf zärtliche Blicke auf die Wäscherin; er stellte sich in Positur, machte Ausfälle nach vorn wie ein Herr, der sich schlagen will, und machte schon die Armbewegungen, mit denen er Dédèle in vollem Schwunge durch die Luft führen werde. Ah! ein heiliges Donnerwetter! er fühlte sich; wie er da war, hätte er aus der Vendômesäule einen Musbrei gemacht!

»Vorwärts! fange an!« sagte Goujet und legte dabei selbst ein Stück Eisen von der Größe einer Mädchenfaust in das Nagelloch.

Salzschnabel, genannt Sauf-aus-ohne-Durst, stürzte sich vorwärts und brachte Dédèle mit beiden Händen in den Schwung. Klein und ausgemergelt wie er war, mit seinem Bocksbart und seinen glitzernden Wolfsaugen, die zwischen den Strähnen seines schlecht gekämmten Haares hervorleuchteten, beugte er sich fast bei jedem Schwunge, den er dem Hammer gab, und sprang in die Höhe, als ob der geführte Hieb ihn vom Boden aufhebe. Er war ein Wüterich, der ärgerlich auf sein Eisen losschlug, weil er es so hart fand; er stieß sogar ein wohlgefälliges Grunzen aus, wenn er ihm einen recht tüchtigen Hieb versetzt zu haben glaubte. Bei anderen, da mache der Branntwein wohl die Muskeln schlaff, aber er gebrauche den feurigen Saft, der ihm statt des Blutes durch die Adern laufen müsse; der Schluck, den er da eben genommen, der wärme ihm den Leib wie eine Wärmflasche; er fühle eine verdammte Kraft in sich, wie eine Dampfmaschine. Dann fürchte sich auch das Eisen vor ihm, heut abend werde er es schlagen, daß es weicher wie Blei werden solle. Und wie tanzte Dédèle, man mußte das sehen! Sie führte die großen Sprünge aus immer mit den Hacken in der Luft, als ob sie ein Stammgast im Elysée-Montmartre wäre, die ihre Höschen zeigt; hier handelte es sich darum, nicht die Zeit zu vertrödeln; das Eisen ist so hinterlistig, daß es gleich kalt wird, nur um sich über den Hammer lustig zu machen. Mit dreißig Schlägen hatte Salzschnabel, genannt Sauf-aus-ohne-Durst, den Kopf seines Nagels geformt. Aber er atmete schwer, seine Augen waren weit aus ihren Höhlen getreten und eine unsinnige Wut erfaßte ihn, als er seine Arme knacken hörte. Außer sich, wie er war, versetzte er tanzend und heulend dem Nagel noch ein paar Schläge, nur um sich an ihm für die Mühe zu rächen, die er ihm gemacht hatte. Als er ihn aus dem Loche zog, hatte der unförmige Bolzen einen schief aufgesetzten Kopf wie ein Buckliger.

»Nun, wie ist das gemacht?« sagte er nichtsdestoweniger mit seiner unverschämten Sicherheit, indem er Gervaise seine Arbeit zeigte.

»Ich verstehe nichts davon, mein Herr«, antwortete die Wäscherin mit Zurückhaltung.

In Wirklichkeit bemerkte sie sehr wohl auf dem Kopf des Bolzens die beiden letzten Fußtritte Dédèles, und sie war sehr erfreut darüber; sie biß die Lippen zusammen, um nicht zu lachen, denn jetzt hatte Goujet alles für sich.

Jetzt war das Löwenmaul daran. Ehe er anfing, warf er der Wäscherin einen Blick zu, der voll von vertrauender Zärtlichkeit war. Er beeilte sich nicht, nahm seinen Abstand und ließ seinen Hammer von oben herab in großen, regelmäßigen Schwingungen niederfallen. Er hatte den wahrhaft klassischen Hammerschlag, der ebenso berechnet wie gewandt war. Fifine tanzte, von seinen beiden Händen geführt, nicht eine tolle Tanzbodenquadrille, bei der man die Röcke mit den Füßen in die Höhe wirft; sie hob sich empor und fiel im Takte nieder wie eine Edelfrau, die mit ernster Miene die Touren eines alten Menuetts ausführt. Die Hacken Fifines schlugen ernst und gewichtig den Takt; mit durchdachter Kunst drangen sie in das rote Eisen ein, das den Kopf des Bolzens bilden sollte; zuerst platteten sie das Eisen in der Mitte ab und dann rundeten sie es mit einer Reihe Schläge von gleichmäßiger Sicherheit. Das war nicht Branntwein, was das Löwenmaul da in den Adern hatte, das war Blut, reines Blut, das mächtig schlug, bis in seinen Hammer hinein, und so seine Schaffenskraft betätigte. Dieser Kerl! was bot er bei der Arbeit für einen prachtvollen Anblick! Die große Flamme des Schmiedefeuers beleuchtete ihn gerade von vorn. Seine kurzen Haare, die auf der niedrigen Stirn sich kräuselten, und sein schöner, goldgelber Bart, der in Wellen herniederfiel, schienen zu brennen und das ganze Gesicht mit den goldigen Fäden zu erleuchten, so daß es in Wahrheit aussah, als sei sein Kopf von Gold. Dabei hatte er einen Nacken, der einer Säule glich und dabei weiß wie ein Kinderhals war; seine Brust war so weit und mächtig, daß ein Weib genug Platz gehabt hätte, sich in der Quere darauf zur Ruhe niederzulegen; Schultern und Arme waren von so mächtiger Bildung, als ob irgendein Riese im Museum für sie zum Modell gedient hätte. Wenn er zum Schlage ausholte, sah man seine Muskeln schwellen, wahre Berge von Fleisch rollten und verhärteten sich da unter seiner Haut; seine Schultern, seine Brust und sein Nacken erweiterten sich, und eine Helligkeit umfloß ihn; er war in dem Augenblick schön und mächtig wie ein Gott. Schon zwanzigmal hatte er Fifine niederfallen lassen; die Augen fest auf das Eisen gerichtet, atmete er bei jedem Schlage hoch auf, nur an seinen beiden Schläfen rannen zwei dicke Schweißtropfen nieder. Er zählte: einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig. Immer wieder verbeugte sich Fifine mit der Würde einer Hofdame.

»Dieser Geck!« murmelte hohnlachend Salzschnabel, genannt Sauf-aus-ohne-Durst.

Gervaise, die dem Löwenmaul gerade gegenüber saß, betrachtete ihn mit gerührtem Lächeln. Mein Gott, was waren diese Männer doch dumm! Schlugen die beiden da nicht auf ihre Bolzen los, nur um ihr den Hof zu machen? Sie fühlte das sehr wohl, man kämpfte um sie mit Hammerschlägen, wie ein paar große, rote Hähne sich einer kleinen, weißen Henne wegen in die Kämme fahren. Auf was für Gedanken man kommt, nicht wahr? Das Herz findet oft seltsame Mittel, sich zu erklären. Ja, ja, es war ihretwegen, dieses Donnern von Dédèle und Fifine auf den Ambossen. Es war ihretwegen, all das zerschmetterte Eisen, ihretwegen zitterte die Schmiede, flammte dieser Brand und flogen diese leuchtenden Funken. Aus Liebe für sie schmiedeten die beiden und stritten miteinander, wer am besten schmiede. Es bereitete ihr wirklich eine tiefinnere Freude; denn alle Frauen lieben es, wenn man ihnen Schmeicheleien sagt. Besonders die Hammerschläge Löwenmauls tönten in ihrem Herzen ebenso wieder, wie auf dem Amboß, sie klangen ihr wie helle Musik, die das starke Wallen ihres Blutes begleitete. Es scheint eine Torheit, aber sie empfand, daß da etwas auf sie eindrang, das so mächtig, so fest war wie das Eisen des Bolzens. Als sie in der Dämmerstunde, ehe sie hierhergekommen war, auf dem feuchten Fußweg dahinging, empfand sie ein unbestimmtes Verlangen, die Lust, irgend etwas Gutes zu essen; jetzt war sie befriedigt, als ob die Hammerschläge Löwenmauls sie genährt hätten. Sie zweifelte nicht an seinem Siege. Ihm mußte er gehören. Salzschnabel, genannt Sauf-aus-ohne-Durst, war zu häßlich, wie er da mit seinem schmutzigen Rock und seiner zerrissenen Bluse wie ein weggelaufener Affe umhersprang. Sie war sehr rot und doch glücklich in der großen Hitze; ein wollüstiger Schauer überlief sie, als die letzten mächtigen Schläge von Fifine sie vom Kopf bis zu den Füßen erschütterten.

Goujet zählte noch immer.

»Und achtundzwanzig!« rief er endlich, indem er den Hammer an die Erde legte. »Es ist getan, Ihr könnt es ansehen!«

Der Kopf des Bolzens war glatt und sauber, ohne eine Erhöhung oder Vertiefung, eine wahre Goldschmiedsarbeit, als ob der Kopf auf dem Schleifstein abgeschliffen sei. Die Arbeiter betrachteten es und nickten zustimmend mit den Köpfen; es war nichts dagegen zu sagen, es war gemacht, um sich davor auf die Knie zu legen. Salzschnabel, genannt Sauf-aus-ohne-Durst, versuchte wohl ein bißchen zu lästern, aber er stotterte und kehrte schließlich mit gekniffener Miene zu seinem Amboß zurück. Unterdes drängte sich Gervaise dichter an Goujet heran, angeblich, um besser sehen zu können. Etienne hatte den Blasebalgzug losgelassen und die Schmiede fiel schnell wieder ins Dunkel zurück, als ob ein großer roter Stern am Himmel untergegangen sei und die schwarze Nacht sich plötzlich herabsenke. Als der Schmied und die Wäscherin sich von dieser Nacht umhüllt sahen, empfanden sie es wie eine Wonne; in diesem von Ruß und Feilspänen geschwärzten Schuppen, wo die Gerüche alten Eisens aufstiegen, fühlten sich die beiden so ganz allein, als ob sie sich im Vincenner Gehölz befänden oder sich an irgendeinem im Laub versteckten Winkel ein Stelldichein gegeben hätten. Er ergriff ihre Hand, als ob er sie erobert habe.

Als sie draußen waren, sprachen sie nichts miteinander. Er suchte nach Worten und sagte endlich, daß sie Etienne hätte mit nach Hause nehmen können, wenn nicht noch eine halbe Stunde gearbeitet würde. Endlich ging sie; doch er rief sie zurück, und da er sie gern noch etwas dabehalten hätte, sagte er:

»Kommt doch her, Ihr habt noch nicht alles gesehen ... Wirklich, es ist sehr merkwürdig!«

Er führte sie nach rechts in einen andern Schuppen, wo sein Fabriksherr eine Maschinenfabrikation eingerichtet hatte. Auf der Schwelle zögerte sie, weil eine unbestimmte Furcht sie erfaßte. Der weite Saal wurde durch das Stoßen der Maschinen erschüttert, und große Schatten flogen darüber hin, zwischen denen rote Feuerflecke auftauchten. Er beruhigte sie mit lächelnder Miene und versicherte ihr, daß sie nichts zu fürchten habe, sie solle nur sorgfältig darauf achten, daß sie mit ihren Röcken keinem der Zahnräder zu nahe komme. Er ging voraus, und sie folgte ihm in diesem betäubenden Lärm, wo alle möglichen Geräusche ertönten, es pfiff und schnarchte inmitten der weißen Dämpfe, die von schattenhaften Wesen belebt schienen; es waren bei den Maschinen beschäftigte schwarze Männer, die ihre Arme hin und her bewegten, und die sie nicht voneinander unterscheiden konnte. Die Gänge waren sehr eng, man mußte über Hindernisse hinwegsteigen, Löcher vermeiden und sich winden, um einem laufenden Karren auszuweichen. Man hörte nicht, was man sprach. Bis jetzt sah sie noch gar nichts, alles tanzte vor ihren Augen. Als sie über ihrem Kopfe eine Zugluft wie von einem mächtigen Flügelschlage empfand, stand sie still und blickte nach den Treibriemen, deren lange Bänder wie ungeheure Spinngewebe an der Decke hingen, von denen jeder Faden sich fortwährend abhaspelt, ohne je zu enden. Die Dampfmaschine versteckte sich in einer Ecke hinter einer kleinen Mauer von Backsteinen, die Treibriemen schienen daher ganz von selbst zu laufen, als ob sie ihren Schwung aus der Tiefe des Schattens herschöpften, durch den sie unaufhörlich mit dem leisen Fluge eines Nachtvogels dahinglitten. Beinahe wäre sie gefallen, als sie über eine der Röhren des Ventilators stolperte, die sich über den ganzen Tonschlagfußboden verzweigten und ihren scharfen Luftzug nach den verschiedenen kleinen Schmieden führten, die nahe bei den Maschinen standen. Er mußte es ihr zeigen und richtete den Luftzug auf einen der Öfen; mächtige Flammen lohten nach vier Seiten fächerartig empor wie ein Halskragen von feurigen Spitzen; das Licht war blendend und zeigte kaum einen rötlichen Schimmer; es war so hell, daß die kleinen Lampen der Arbeiter wie ganz trübe Lichterchen bei Sonnenschein aussahen. Er mußte sehr laut sprechen, um ihr das alles zu erklären, und ging dann zu den Maschinen über: da waren mechanische Schneidemaschinen, die eine Eisenstange nach der andern verschlangen, indem sie bei jedem Griff Stücke Eisen abzwackten, die sie eines nach dem andern auf der Rückseite ausspien. Da waren hohe, künstlich gebaute Riegel- und Bolzenpressen, die mit einem einzigen Niedergehen ihres mächtigen Gewichts die Köpfe schmiedeten; Poliermaschinen mit gußeisernen Flügeln und eine Gußstahlwalze, die bei jedem Stück, das sie von seinen Unebenheiten befreite, ein wütendes Geräusch ertönen ließ; und schließlich Schraubenschneidemaschinen, die von Frauen bedient wurden und Schraubengewinde auf den Bolzen und in den dazugehörigen Schraubenmuttern hervorbrachten, deren Stahlräder durch das Fett des Maschinenöles hindurchleuchteten. Sie konnte so den ganzen Verlauf der Bearbeitung verfolgen, von der Eisenbarre, die an der Mauer lehnte, bis zu den fertigen Bolzen und Schrauben, von denen ganze Kisten voll in allen Ecken umherstanden. Sie hatte jetzt alles begriffen und nickte mit dem Kopfe; trotzdem war ihr recht unbehaglich zumute, sie kam sich so klein und gebrechlich zwischen diesen rauhen Eisenarbeitern vor; erschreckt sah sie sich um, wenn eine der Poliermaschinen einen besonders heftigen Laut ertönen ließ. Nach und nach gewöhnte sie sich an die Dunkelheit; wenn von einem der Öfen plötzlich die hellen Flammengarben emporstiegen, sah sie in den Vertiefungen unbewegliche Männer, die den atemlosen Tanz der Maschinen beobachteten. Ohne es zu wollen, mußte sie immer wieder ihre Blicke zur Decke erheben, von der das Leben ausging, das sich in den Maschinen betätigte; zu diesem sanften Flug der Treibriemen, an denen sie die ungeheure stumme Kraft bewunderte, erhob sie ihre Augen und sah sie durch die dunkle Nacht unter dem Gebälk dahingehen.

Mittlerweile war Goujet vor einer Bolzenpresse stehengeblieben. Er blieb da mit nachdenklicher Miene und gesenktem Kopfe, ohne die Blicke abzuwenden. Die Maschine preßte Vierzigmillimeterbolzen mit der ruhigen Leichtigkeit eines Riesen. Es gibt wirklich nichts Einfacheres. Ein Arbeiter nimmt ein Stück Eisen vom Schmiedefeuer, ein anderer legt es in das Nagelloch, das ein fortwährender Wasserstrahl netzt, um das Weichwerden des Stahls zu verhindern; damit war es gemacht, der Stempel senkt sich nieder, und der fertige Bolzen fällt auf den Boden, mit einem so runden Kopf, als ob er von der Schleifmühle komme. In zwölf Stunden verarbeitete diese verdammte Maschine mehrere hundert Kilo. Goujet war kein böser Mensch, aber manchmal hätte er am liebsten Fifine genommen, um diesen ganzen Kram in Stücke zu schlagen, aus Zorn darüber, daß die Dinger denn doch noch kräftigere Arme hatten als er. Das verursachte ihm einen tiefen Kummer, selbst wenn er bedachte, daß doch Fleisch nicht gegen Eisen aufkommen könne. Eines Tages drückte die Maschine gewiß den Arbeiter zu Boden; schon jetzt war der Tageslohn von zwölf Franken auf neun heruntergegangen, und man sprach davon, ihn noch zu verringern; übrigens sahen diese großen Bestien durchaus nicht lustig aus, die da Schrauben und Bolzen machten, als ob es Leberwürstchen seien. Drei Minuten betrachtete er alles, ohne zu sprechen; seine Brauen zogen sich zusammen, und sein schöner blonder Bart sträubte sich dräuend empor. Bald aber flog eine Miene von Sanftmut und Ergebung über sein Gesicht und wischte den harten Ausdruck hinweg. Er wandte sich zu Gervaise, die sich an ihn lehnte, und sagte mit traurigem Lächeln:

»Seht nur! Das setzt uns hübsch aufs Trockene! Vielleicht macht es später einmal alle glücklich!«

Gervaise kümmerte sich nicht viel um das Glück aller. Sie fand, daß die Maschinenbolzen schlecht gemacht seien.

»Versteht mich recht!« rief sie in lebhafter Erregung, »sie sind zu gut gemacht ... Mir sind Eure lieber, da merkt man wenigstens die Hand des Künstlers.«

Sie bereitete ihm eine große Befriedigung, da sie so sprach, denn er hatte schon einen Augenblick gefürchtet, daß sie ihn geringschätzen werde, nachdem sie die Maschinen gesehen. Den Teufel auch, wenn er stärker sei als der Salzschnabel, genannt Sauf-aus-ohne-Durst, so waren die Maschinen wieder stärker als er. Als er sie auf dem Hofe endlich verließ, drückte er ihr die Hände, als ob er sie zerbrechen wollte, eine so große Freude hatte sie ihm bereitet.

Alle Sonnabende ging Gervaise zu den Goujets, um ihnen ihre Wäsche zu bringen. Sie wohnten immer noch in dem kleinen Hause in der Neuen Goldtropfengasse. Während des ersten Jahres hatte sie ihnen regelmäßig monatlich zwanzig Franken auf die fünfhundert Franken zurückgezahlt; um keine Verwirrung in die Rechnung zu bringen, wurde ihr Wäschebuch nur am Ende des Monats zusammengerechnet, und sie setzte dann hinzu, was fehlte, um die zwanzig Franken vollzumachen, denn die Wäsche der Goujets stellte sich monatlich selten höher als sieben oder acht Franken. So hatte sie ungefähr die Hälfte der schuldigen Summe abgetragen, als sie an einem Quartalsersten, wo sie weder ein noch aus wußte, weil ihr ihre Kundschaft nicht Wort gehalten hatte, zu den Goujets laufen mußte, um sich von ihnen ihre Miete zu borgen. Zu zwei anderen Malen hatte sie sich ebenfalls an sie gewandt, um ihre Arbeiterinnen zu bezahlen, so daß ihre Schuld dadurch wieder auf vierhundertfünfundzwanzig Franken angewachsen war. Jetzt gab sie keinen Sou mehr, sondern brachte nur ihre Wäscherechnungen in Abzug. Das kam nicht daher, daß sie weniger arbeitete oder ihre Geschäfte schlechter gingen. Im Gegenteil; aber das Gold glitt ihr zwischen den Fingern durch, als ob es Wasser sei, und sie war schon zufrieden, wenn sie sich nur so durchschlug. Mein Gott! wenn man nur lebte, nicht wahr? da darf man schon nicht klagen. Sie wurde fett und gab sich willig allen Bequemlichkeiten hin, welche ihre zunehmende Leibesstärke ihr wünschenswert machten, weil sie nicht mehr die Kraft hatte, sich zu dem erschreckenden Gedanken an ihre ungewisse Zukunft aufzuraffen. Was war da auch weiter! Geld werde ja immer einkommen, das werde ja rostig, wenn man es beiseite lege. Trotz alledem blieb Madame Goujet für Gervaise eine mütterliche Freundin. Sie las ihr hin und wieder mit Milde den Text nicht etwa wegen des Geldes, sondern weil sie sie lieb hatte und fürchtete, daß sie zugrunde gehen könne. Sie sprach nicht einmal von ihrem Gelde. In jeder Beziehung war sie voll rücksichtsvoller Feinheit.

Am Tage nach dem Abend, wo Gervaise den Besuch in der Schmiede gemacht hatte, war gerade der letzte Sonnabend im Monat. Als sie bei den Goujets ankam, zu denen sie stets selber ging, hatte ihr der Korb dermaßen den Arm gedrückt, daß sie volle zwei Minuten nach Atem ringen mußte. Man sollte nicht meinen, wie schwer solche Wäsche ist, besonders wenn Bettücher dabei sind.

»Sie bringen doch alles?« fragte Madame Goujet.

Sie war in solchen Dingen sehr streng. Sie wollte, daß, wenn ihr die Wäsche gebracht wurde, auch nicht ein Stückchen fehlte, der guten Ordnung wegen, wie sie sagte. Eine andere ihrer Bedingungen war, daß die Wäscherin pünktlich an dem festgesetzten Tage und jedesmal zur selben Stunde komme; so verliere niemand seine Zeit.

»Es ist alles da!« antwortete Gervaise lächelnd. »Ihr wißt ja, daß ich nie etwas zurücklasse!«

»Das ist schon wahr!« bekannte Madame Goujet. »Ihr laßt Euch in manchen Dingen gehen, aber in diesem Punkte seid Ihr noch sorgsam.«

Während die Wäscherin ihren Korb auspackte und die Wäsche auf das Bett legte, sang die alte Frau ihr Lob: sie verbrannte kein Stück beim Plätten, zerriß nicht die Wäsche, wie so viele andere, sie riß auch mit dem Eisen keine Knöpfe ab; nur bei den Vorderblättern der Oberhemden nahm sie zuviel Blau und zuviel Stärke.

»Seht nur her, das ist ja so steif wie Pappe!« sagte sie, indem sie einen Hemdeneinsatz bog, daß er krachte. »Mein Sohn beklagt sich ja darüber nicht, aber das muß ihm ja im Nacken drücken ... Wenn wir morgen von Vincennes zurückkommen, wird er wohl einen blutigen Hals haben.«

»Nein, nein, sagt doch das nicht!« rief Gervaise trostlos. »Die Hemden für den Sonntag müssen ein bißchen steif sein, sonst hat man bald einen Lappen auf dem Leibe. Seht Euch nur die Herren an ... Ich mache alle Eure Wäsche selbst. Nie lasse ich eine Arbeiterin daran rühren, und ich nehme sie in acht, versichere ich Euch, ich würde sie am liebsten zehnmal wieder von vorn anfangen, weil es für Euch ist, nicht wahr?«

Sie hatte das Ende ihres Satzes unter leichtem Erröten hervorgestottert. Sie fürchtete, daß man ihr anmerken könne, was es ihr für Vergnügen bereite, Goujets Hemden selbst zu plätten. Sicherlich dachte sie ja dabei an nichts Böses, aber sie schämte sich doch ein wenig.

»Oh, ich sage ja nichts gegen Eure Arbeit, Ihr macht es so gut wie möglich, ich weiß es wohl«, sagte Madame Goujet. »Da ist eine Haube, die ist wie gefallener Schnee. Keine kann wie Ihr die Stickereien so zur Geltung bringen! Und diese Rüschen sind getollt! Laßt nur gut sein, da erkennt man gleich Eure Hand. Wenn Ihr auch nur ein kleines Stückchen einer Arbeiterin gebt, sieht man es gleich ... Nicht wahr? Ihr nehmt nicht mehr soviel Stärke, das ist alles, was ich auszusetzen habe! Goujet liegt gar nichts daran, für einen Herrn gehalten zu werden.«

Unterdessen hatte sie das Buch genommen und strich mit einer Feder die Stücke durch. Alles war in Ordnung. Als sie die Rechnung durchsah, fand sie, daß Gervaise ihr eine Haube mit sechs Sous berechnete; das schien ihr zu teuer, aber sie mußte zugeben, daß die übrigen Sachen nicht teuer waren, nein, die Männerhemden fünf Sous, die Frauenbeinkleider vier Sous, die Kopfkissenüberzüge einundeinhalb Sous, die Schürzen einen Sous, das war nicht teuer, besonders wenn man bedachte, daß viele Wäscherinnen zwei Liard und selbst einen Sous mehr für alle Stücke nahmen.

Als Gervaise die schmutzige Wäsche angesagt hatte, die die alte Frau in das Buch einschrieb, steckte sie sie in ihren Korb; sie ging noch nicht fort, sondern blieb verlegen stehen, weil sie eine Bitte auf den Lippen hatte, die sie nur mit schwerem Herzen aussprach.

»Madame Goujet,« sagte sie schließlich, »wenn es Euch gleich ist, möchte ich diesen Monat das Geld für die Wäsche nehmen.«

Gerade dieser Monat war sehr stark; die Rechnung, die sie eben zusammengezogen hatte, belief sich auf zehn Franken und sieben Sous. Madame Goujet sah sie einen Augenblick mit strenger Miene an, dann antwortete sie:

»Mein Kind, wir wollen es machen, wie es Euch paßt. Ich will Euch das Geld nicht vorenthalten, wo Ihr es gerade nötig braucht ... Nur scheint es mir nicht der Weg zu sein, auf dem Ihr Eure Schuld abtragt. Ich sage es Euretwegen, versteht mich recht. Nein, wahrlich, Ihr solltet vorsichtig sein!«

Gervaise nahm mit gesenktem Kopf und stotternd den Verweis hin. Die zehn Franken sollten das Geld für einen Wechsel vollmachen, den sie ihrem Kohlenhändler gegeben hatte. Bei dem Worte Wechsel wurde Madame Goujet noch strenger. Sie führte sich selbst als Beispiel an: sie schränkte ihre Ausgaben ein, seit man Goujets Lohn von zwölf Franken auf neun herabgesetzt hatte. Wenn man in der Jugend nicht sorgt, so stirbt man im Alter Hungers. Bei alledem hielt sie noch an sich und sagte Gervaise nicht, daß sie ihr nur ihre Wäsche überließ, um ihr eine Gelegenheit zu geben, die Schuld zu tilgen; früher wusch sie alles selbst, und sie würde auch wieder zu waschen anfangen, wenn die Wäsche ihr starke Summen aus der Tasche zöge. Als Gervaise die zehn Franken und sieben Sous hatte, bedankte sie sich und machte schnell, daß sie fortkam. Erst auf dem Treppenflur fühlte sie sich wieder ganz wohl, sie hätte tanzen mögen, denn sie gewöhnte sich jetzt schon an Geldverlegenheiten und schmutzige Geschäfte, von denen ihr nur die Erinnerung an das glückliche Entwischen blieb, bis sie das nächstemal wieder festsaß.

Gerade an diesem Sonnabend hatte Gervaise eine merkwürdige Begegnung, als sie von Goujets die Treppe hinabstieg. Sie mußte sich mit ihrem Korbe gegen das Geländer drücken, um eine große Frau mit bloßem Kopfe durchzulassen, die heraufstieg und in der Hand, in ein Stück Papier gewickelt, eine sehr frische Makrele trug, deren Kiemen blutrot waren. In dieser Person erkannte sie Virginie, das Mädchen, dem sie im Waschhaus die Röcke lose gemacht hatte. Beide sahen sich überrascht an. Gervaise schloß die Augen, denn sie glaubte einen Augenblick, daß ihr die Makrele ins Gesicht fliegen werde. Aber nein, Virginie lächelte leicht. Da wollte sich die Wäscherin, deren Korb die Treppe versperrte, artig zeigen.

»Ich bitte vielmal um Verzeihung!« sagte sie.

»Ich habe Euch längst verziehen!« antwortete die große Brünette.

So blieben sie mitten auf den Treppenstufen und plauderten; sie waren plötzlich ausgesöhnt, ohne auch nur eine Andeutung an die Vergangenheit gewagt zu haben. Virginie, die neunundzwanzig Jahre zählte, war eine wundervolle Frau geworden; sie war voll, obwohl ihr Gesicht zwischen den beiden rabenschwarzen Haarlocken noch immer ein wenig länglich war. Sie erzählte gleich ihre Geschichte, um sich ein Ansehen zu geben: sie war jetzt Ehefrau, hatte im Frühjahr einen früheren Kunsttischler geheiratet, der seine Dienstzeit abgemacht hatte und sich jetzt um ein Amt als Stadtsergeant bewarb, denn ein Amt, das ist doch sicherer und anständiger. Gerade hatte sie für ihn die Makrele gekauft.

»Er ißt Makrelen für sein Leben gern«, sagte sie. Man muß diese bösen Männer ein bißchen pflegen, nicht wahr? ... Aber kommt doch mit nach oben, Ihr müßt Euch unsere Wohnung ansehen ... Es zieht hier auf der Treppe!«

Als Gervaise, die auch ihrerseits von ihrer Ehe berichtet hatte, noch mitteilte, daß sie in der Wohnung gewohnt habe und dort sogar von einem kleinen Mädchen entbunden sei, drängte Virginie sie noch lebhafter, mit hinaufzukommen. Das mache ja immer Freude, Orte wiederzusehen, an denen man glücklich gewesen sei. Volle fünf Jahre habe sie jenseits des Flusses gewohnt. Dort habe sie ihren Mann kennengelernt, als er noch diente. Aber sie langweilte sich drüben und es sei ihr steter Traum gewesen, in das Goldtropfenquartier zurückzukehren, wo sie jeden Menschen kenne. Seit vierzehn Tagen bewohne sie das Zimmer gegenüber von den Goujets. Es sei alles bei ihr noch sehr in Unordnung, aber das werde sich nach und nach schon machen.

Endlich auf dem Treppenflur nannten sie sich ihre Namen.

»Madame Coupeau!«

»Madame Poisson!«

Von da an nannten sie sich immer mit besonderer Betonung Madame Poisson und Madame Coupeau einzig um des Vergnügens willen, sich jetzt als ehrbare Frauen dastehen zu sehen, während sie, als sie sich in ihrer Mädchenzeit kannten, Beziehungen unterhielten, die wenig erbaulich waren. Trotz alledem hegte Gervaise noch einen Schatten von Mißtrauen. Es war wohl möglich, daß die große Brünette an sich hielt und, um sich für die Schläge im Waschhause besser zu rächen, irgendeinen hinterlistigen Plan aushecke. Gervaise nahm sich vor, auf ihrer Hut zu sein. Für den Augenblick zeigte sich Virginie so liebenswürdig, daß sie es wohl oder übel auch sein mußte.

Oben im Zimmer arbeitete Virginies Ehegatte, Poisson. Er war ein Mann von etwa fünfunddreißig Jahren mit erdfahlem Gesicht, das mit einem roten Schnurr- und Knebelbart geziert war. Er saß an einem Tisch nahe beim Fenster. Dort baute er kleine Schachteln. Als einziges Handwerkszeug diente ihm ein Messer, eine Säge, die so klein wie eine Nagelfeile war, und ein Topf mit flüssigem Leim. Das Holz, das er verarbeitete, kam von alten Zigarrenkisten her, es waren ganz dünne Brettchen rohen Mahagoniholzes, aus denen er mancherlei Schnitzwerk und allerlei Zierrate herstellte, die von außerordentlicher Zartheit waren. Tag für Tag, jahraus, jahrein, machte er dieselbe Schachtel, acht Zentimeter zu sechs. Nur daß er das Schnitzwerk veränderte, neue Formen für die Deckel erfand und im Innern neue Fächereinteilungen machte. Er tat es nur zu seiner Unterhaltung und um sich die Zeit zu vertreiben, bis seine Ernennung zum Stadtsergeanten erfolgt sei. Von seinem früheren Handwerk, der Kunsttischlerei, war ihm nur diese Leidenschaft für die kleinen Schachteln geblieben. Er verkaufte seine Arbeit nicht, sondern machte damit Geschenke an Personen seiner Bekanntschaft.

Poisson erhob sich und begrüßte Gervaise sehr artig, da sie ihm von seiner Frau als eine alte Freundin vorgestellt wurde. Aber er war nicht sehr gesprächig, sondern griff bald wieder zu seiner kleinen Säge. Von Zeit zu Zeit warf er einen Blick auf die Makrele, welche auf dem Rande der Kommode lag. Gervaise sah mit vieler Freude ihre frühere Wohnung wieder; sie sagte, wie ihre Möbel gestanden hätten und zeigte die Stelle, wo sie auf der Erde ihr Kind geboren hatte. Wie merkwürdig sich das traf! Als sie sich damals aus den Augen verloren, hätten sie niemals gedacht, sich so wiederzufinden, daß eine nach der andern dasselbe Quartier bewohnte. Virginie berichtete noch näheres über sich und ihren Mann: er hatte von einer Tante ein kleines Vermögen geerbt. Später werde er sie sicherlich einrichten, für den Augenblick beschäftige sie sich noch immer mit der Schneiderei und nähe hie und da ein Kleid zusammen. Nach einer reichlichen halben Stunde wollte die Wäscherin endlich fortgehen. Poisson drehte sich kaum nach ihr um. Virginie, die sie hinausbegleitete, versprach, ihren Besuch zu erwidern; übrigens werde sie ihre Kundin, das sei eine abgemachte Sache. Als sie sie auch auf dem Treppenflur noch festhielt, bildete sich Gervaise ein, daß sie ihr von Lantier und ihrer Schwester, der Plätterin Adele, sprechen wolle. Dieser Gedanke brachte ihr ganzes Innere in Aufruhr. Aber diese heiklen Dinge wurden mit keinem Worte erwähnt, sie trennten sich in liebenswürdigster Weise, indem sie sich versprochen, sich wiederzusehen.

»Auf Wiedersehen! Madame Coupeau.«

»Auf Wiedersehen! Madame Poisson.«

Diese Begegnung wurde der Ausgangspunkt einer großen Freundschaft. Acht Tage später konnte Virginie nicht an Gervaises Laden vorübergehen, ohne einzutreten; sie schwatzte sich dann jedesmal so fest, daß sie unter zwei bis drei Stunden nicht leicht wegkam, so daß Poisson, der unruhig wurde und glaubte, sie sei unter die Räder gekommen, sie mit seinem stillen, erdfarbigen Gesicht abholte. Da Gervaise die Näherin so täglich um sich sah, konnte sie sich eines sonderbaren Gefühls nicht erwehren: sie konnte nicht hören, daß Virginie einen Satz anfing, ohne zu glauben, daß sie jetzt von Lantier sprechen werde; unwillkürlich mußte sie immer an Lantier denken, solange Virginie bei ihr war. Das war gewiß recht albern von ihr, denn niemand war ihr gleichgültiger als Lantier und Adele, und sie fragte den Teufel danach, was aus ihnen geworden sei; nie richtete sie eine darauf bezügliche Frage an Virginie, sie war nicht neugierig genug, von ihnen hören zu wollen. Nein, es packte sie ganz gegen ihren Willen. Dieser Gedanke steckte ihr im Kopfe wie eine Melodie, die man nicht los werden kann und immer wieder trällern muß, wenn man sich auch darüber ärgert. Übrigens ließ sie es Virginie nicht entgelten, denn diese konnte doch nichts dafür. Sie gefiel ihr ganz ausnehmend, und sie hielt sie wohl zehnmal zurück, ehe sie sie fortgehen ließ.

Mittlerweile war der Winter herangekommen, es war das der vierte, den die Coupeaus in der Goldtropfengasse zubrachten. In diesem Jahre war der Dezember und Januar ganz besonders streng, es fror Stein und Bein. Nach dem Neujahrstage blieb der Schnee drei Wochen auf den Straßen liegen, ohne zu schmelzen. Das tat der Arbeit keinen Schaden, im Gegenteil, denn der Winter ist die schöne Jahreszeit der Plätterinnen. Im Laden war es sehr behaglich. Dort sah man niemals Eis an den Fensterscheiben wie bei dem Krämer und dem Hutmacher gegenüber; der mit Koks vollgepfropfte Plättofen unterhielt stets eine Backofenhitze, die Wäsche dampfte, so daß man glauben konnte, man sei mitten im Sommer. Da die Türen stets geschlossen waren, so blieb es überall warm, ja selbst so warm, daß man schließlich mit offenen Augen einschlief. Gervaise versicherte lachend, daß sie sich einbilde, auf dem Lande zu sein. Und wirklich konnte man es glauben, denn die Wagen machten auf dem Schnee keinen Lärm mehr, und selbst die Schritte der Fußgänger hörte man kaum; in der tiefen, winterlichen Stille erhoben sich allein einige Kinderstimmen; sie kamen von einer Bande von Straßenjungen, die in dem Rinnstein vor der Hufschmiede eine Schlittenbahn angelegt hatten. Hin und wieder ging Gervaise an die Scheiben der Glastüre und wischte sie mit der Hand ab, um nachzusehen, was eigentlich bei dem verdammten Wetter aus der Nachbarschaft geworden sei; aber keine Nasenspitze ließ sich vor den Ladentüren sehen; das in den Schnee gehüllte Quartier schien im Winterschlaf zu liegen; nur mit der Kohlenhändlerin von nebenan konnte sie einen kleinen Gruß austauschen, weil diese, seit es so kalt geworden war, mit bloßem Kopf und vergnügt grinsendem Munde vor ihrem Laden auf und ab ging.

Am besten bekam es, wenn man bei diesem Hundewetter mittags seinen Kaffee recht heiß nahm. Die Arbeiterinnen hatten sich nicht zu beklagen, die Ladenbesitzerin machte ihn sehr stark, und es kamen kaum vier Körner Zichorie hinein; er hatte gar keine Ähnlichkeit mit dem Kaffee bei Madame Fauconnier, der ein reines Abspülwasser war. Nur wenn sich Mama Coupeau mit dem Kaffeekochen beschäftigte, kam die Sache nie zu Ende, weil sie vor dem Kessel einschlief. So warteten denn die Arbeiterinnen nach dem Frühstück auf den Kaffee und machten nur so hin und wieder einen Strich mit dem Plätteisen.

Gerade an dem Vormittage des Dreikönigstages hatte es schon halb eins geschlagen, und der Kaffee war noch nicht fertig; an diesem Tage wollte er durchaus nicht durchlaufen. Obgleich Mama Coupeau mit einem kleinen Löffel beständig an den Trichter klopfte, so hörte man doch die einzelnen Tropfen langsam niederfallen, das Klopfen änderte an der Sache nichts.

»Laßt es doch!« sagte die große Clemence. »Davon wird er trübe ... Heute hat man sicher bei dem Kaffee ebensoviel zu essen wie zu trinken.«

Die große Clemence war dabei, ein Männerhemd aufs neue zu plätten und sie machte die Falten des Einsatzes mit dem Fingernagel lose. Sie war schrecklich erkältet, ihre Augen waren verquollen, und die Hustenanfälle, die sie hin und wieder packten, waren so heftig, daß sie sich am Rande des Arbeitstisches ordentlich zusammenbog. Trotzdem trug sie auch nicht den kleinsten Schal um den Hals, sondern hatte nur eine leichte Flanelljacke zu achtzehn Sous an, in der sie vor Frost klapperte. Neben ihr stand Madame Putois, die bis über die Ohren in Flanell gewickelt war, sie plättete einen Unterrock, den sie über ein Plättbrett gezogen hatte, dessen eines Ende auf eine Stuhllehne gelegt war; auf der Erde war ein Laken ausgebreitet, um zu verhindern, daß der Unterrock, wenn er den Boden berühre, schmutzig werde. Gervaise nahm für sich allein mehr als die Hälfte des Arbeitstisches in Anspruch, auf dem sie gestickte Musselinegardinen ausgebreitet hatte, über die sie ihr Eisen ganz gerade hinwegführte und dabei mit dem weitausgestreckten linken Arm den Stoff glatt anzog, um Falten zu vermeiden. Sie erhob plötzlich den Kopf, weil der Kaffee mit großem Geräusch anfing zu laufen. Das kam daher, daß die schielende Augustine vermittelst eines Löffels ein großes Loch in das Filtrierpapier gestoßen hatte.

»Willst du dich wohl ruhig halten?« rief Gervaise. »Was ist dir denn schon wieder eingefallen? Jetzt können wir lauter Schlamm trinken!«

Mama Coupeau hatte fünf Gläser an einer freien Ecke des Arbeitstisches nebeneinander aufgestellt. Jetzt legten die Arbeiterinnen ihre Arbeit beiseite. Gervaise schenkte immer selbst den Kaffee ein, nachdem sie in jedes Glas zwei Stücke Zucker getan hatte. Auf diese Stunde hatten alle sehnlichst gewartet. Als an diesem Tage jede sich auf einer kleinen Fußbank in der Nähe des Plättofens niedergelassen hatte, ging die Türe auf und Virginie trat, vor Frost klappernd, ein.

»Ah, Kinder,« sagte sie, »das schneidet einen ordentlich in Stücke! Ich fühle meine Ohren gar nicht mehr. Ist das eine Hundekälte!«

»Ei, sieh da, Madame Poisson!« rief Gervaise. »Ihr kommt gerade zur rechten Zeit ... Ihr müßt mit uns Kaffee trinken!«

»Meiner Treu! Da will ich Euch keinen Korb geben ... Wenn man nur über die Straße geht, hat man den ganzen Winter in den Gliedern!«

Zum Glück war noch Kaffee da. Mama Coupeau holte ein sechstes Glas, und Gervaise ließ aus Höflichkeit Virginie sich selbst mit Zucker bedienen. Die Arbeiterinnen rückten auseinander und machten nahe am Ofen einen kleinen Platz für den Gast zurecht. Einen Augenblick zitterte sie noch, ihre Nase war rot, und sie preßte ihre steif gefrorenen Finger an das Glas, um sie zu erwärmen. Sie kam von dem Krämer, wo man erfrieren konnte, ehe einem ein Viertel Schweizerkäse verabfolgt wurde. Sie konnte sich nicht genug über die große Hitze in dem Laden wundern, es sei ja, als ob man in einen Backofen eintrete, und es sei hinreichend, um einen Toten aufzuwecken, so mollig kitzele es die Haut. Als ihre Glieder wieder geschmeidig geworden waren, streckte sie ihre langen Beine aus. Jetzt schlürften alle Sechse langsam ihren Kaffee inmitten der überall umherliegenden Wäsche, deren Bearbeitung unterbrochen war und die zum Teil noch feucht in der Hitze dampfte. Nur Mama Coupeau und Virginie saßen auf Stühlen, die anderen auf so niedrigen Fußbänken, daß es aussah, als ob sie auf der Erde säßen, was bei der schielenden Augustine auch wirklich der Fall war, die sich auf einer Ecke des Lakens niedergelassen hatte, das unter dem Unterrock zum Schutze lag. Es wurde noch nicht gleich gesprochen, sondern alle steckten die Nasen in ihre Gläser und letzten sich an ihrem Kaffee.

»Er ist aber doch recht gut!« erklärte Clemence. Da überkam sie ein solcher Hustenanfall, daß es aussah, als ob sie ersticken müsse. Sie mußte den Kopf gegen die Wand stützen, um das starke Husten aushalten zu können.

»Ihr habt's Euch ordentlich geholt!« sagte Virginie. »Wo habt Ihr denn das her?«

»Kann man es wissen?« antwortete Clemence und wischte sich dabei das Gesicht mit ihrem Ärmel ab. Das muß von neulich Abend sein. Da waren zwei, die sich an der Tür des Großen Ballsaales das Fell über die Ohren zogen. Ich habe es mit ansehen wollen und bin da beim Schneetreiben draußen stehen geblieben. War das eine Schlägerei! Man konnte sterben vor Lachen! Der einen war die Nase aufgerissen, das Blut floß bis auf die Erde. Wie die andere das Blut gesehen hat, es war eine lange Latte wie ich, da hat sie Reißaus genommen ... In der Nacht habe ich angefangen zu husten. Übrigens muß ich auch sagen, daß die Männer zu dumm sind; wenn sie mit einer Frau zusammen sind, decken sie einen fortwährend auf ...«

»Das ist ja eine recht hübsche Aufführung!« murmelte Madame Putois. »Ihr werdet es nicht mehr lange machen, Kleine.«

»Wenn es mir Spaß macht, darauf loszutollen! ... Das Leben ist wohl so besonders spaßhaft! Den ganzen lieben langen Tag sich plagen und sich von morgens bis zum Abend hin bei dem heißen Ofen die Haut versengen für fünfzig Sous, nein, wißt Ihr, ich habe es satt bis an den Hals! ... Laßt es nur gut sein, die Erkältung tut mir den Gefallen nicht, mich zum Teufel zu schicken; die geht fort, wie sie gekommen ist.«

Nun entstand ein Stillschweigen. Diese Dirne, die Clemence, die auf den Tanzböden den Ton angab und dort die Ausgelassenste von allen war, stimmte bei der Arbeit alle Welt mit ihren ewigen Grabesgedanken traurig. Gervaise, die sie recht gut kannte, begnügte sich, ihr zu sagen:

»Ihr seid des Morgens nicht gerade in guter Laune, wenn Ihr die Nacht durchgeschwärmt habt!«

Im Grunde genommen hätte Gervaise es lieber gesehen, wenn man nicht von Schlägereien zwischen Frauenzimmern gesprochen hätte. Das ärgerte sie wegen der Tracht Prügel im Waschhause, wenn man in Virginies Gegenwart von Fußtritten an die Beine oder fünfblättrigen Kleeblättern sprach, die man einander ins Gesicht geklebt habe. Gerade jetzt sah Virginie lächelnd zu ihr hinüber.

»Oh,« sagte sie, »ich habe gestern ein Zopfherunterreißen gesehen, die haben sich gut zugerichtet!«

»Wo denn?« fragte Madame Putois.

»Es war die Hebamme, die am Ende der Straße wohnt, mit ihrem Dienstmädchen, Ihr wißt ja, die kleine Blonde ... Ein Ekel von einem Mädchen! Sie rief der andern zu: ›Ja, ja, ich werde auf die Polizei gehen und anzeigen, daß du der Krämerin ein Kind abgetrieben hast, wenn du mich nicht bezahlst!‹ Man mußte nur hören, was die alles auspackte! Da hat ihr die Hebamme eine Knallschote mitten ins Gesicht gegeben. Aber das verdammte Geschöpf ist ihr an die Kehle gefahren und hat sie zerkratzt und zerfetzt, als ob sie Frikassee aus ihr machen wollte. Der Wursthändler mußte sie ihr aus den Klauen reißen.«

Die Arbeiterinnen lächelten wohlgefällig. Alle tranken einen kleinen Schluck Kaffee, und man sah ihnen an, wie wohlig sie sich dem Gaumenkitzel hingaben.

»Glaubt Ihr denn das, was die da von der Krämerin und der Hebamme gesagt hat?« fragte Clemence.

»Je nun! Das Gerücht war im Quartier verbreitet«, sagte Virginie. »Versteht mich recht, ich war nicht dabei ... Übrigens schlägt es ins Handwerk, sie tun es ja alle.«

»Ach ja,« sagte Madame Putois; »man ist dumm genug, sich ihnen anzuvertrauen. Danke schön, um struppiert zu werden! ... Seht, es gibt ein unfehlbares Mittel: alle Abende trinkt man ein Glas Weihwasser und macht sich dabei mit dem Daumen drei Kreuze auf den Bauch. Da geht es weg wie der Wind.«

Mama Coupeau, die man eingeschlafen glaubte, schüttelte mit dem Kopf, um dagegen zu protestieren. Sie kannte ein anderes Mittel, das war wirklich unfehlbar: man mußte alle zwei Stunden ein hartes Ei essen und sich Senfblätter auf die Lenden legen. Die anderen vier Frauen blieben ernst. Aber die schielende Augustine, deren Anfälle von Heiterkeit immer kamen, ohne daß man einen Grund dafür entdecken konnte, schlug eine Lache auf, die wie das Gackern einer Henne anzuhören war. Man hatte sie ganz vergessen. Gervaise hob den Unterrock hoch und fand sie dahinter auf dem Laken liegen, wo sie sich wie ein Ferkel herumsielte. Sie zog sie dort hervor und setzte sie mit einer tüchtigen Ohrfeige auf die Füße. Was hat sie denn da zu lachen, die dumme Pute? Hat sie denn überhaupt zuzuhören, wenn erwachsene Personen sich etwas erzählen? Sofort solle sie gehen und ein Paket Wäsche nach Batignolles tragen, zu einer Freundin der Madame Lerat. Während des Sprechens schob sie ihr schon den Korb auf den Arm und stieß sie zur Tür. Maulend und schluchzend ging Augustine davon und schleppte ihre Füße durch den Schnee.

Unterdessen besprachen Mama Coupeau, Madame Putois und Clemence die Wirksamkeit der harten Eier und der Senfblätter. Virginie, die mit ihrem Kaffeeglase in der Hand träumerisch vor sich hingeblickt hatte, sagte plötzlich ganz leise:

»Mein Gott! Man schlägt sich und verträgt sich, das geht ja immer, wenn man nur ein gutes Herz hat ...«

Lächelnd wandte sie sich zu Gervaise:

»Nein, gewiß, ich trage Euch nichts nach ... Die Geschichte aus der Waschanstalt, Ihr wißt doch noch?«

Die Wäscherin wurde ganz verlegen. Da war es, was sie immer gefürchtet hatte. Jetzt ahnte sie, daß auf Lantier und Adele das Gespräch gebracht werde.

Der Plättofen pustete, und das rotglühende Ofenrohr verdoppelte die Hitze. In schlaftrunkener Betäubung verlängerten die Arbeiterinnen ihre Kaffeestunde, um nur so spät wie möglich wieder an die Arbeit zu gehen. Sie betrachteten den Schnee draußen auf der Straße mit beschaulicher Befriedigung. Man war jetzt bei den vertraulichen Mitteilungen. Sie sagten, was sie tun würden, wenn sie zehntausend Franken jährliche Rente hätten; sie würden gar nichts tun, ganze Nachmittage würden sie damit zubringen, sich am Feuer zu wärmen und von weitem auf die Arbeit zu spucken. Virginie hatte sich Gervaise genähert, um von den anderen nicht gehört zu werden. Gervaise fühlte sich so schwach, ohne Zweifel von der großen Hitze, so weich und erschlafft, daß sie nicht den Mut fand, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, ja, sie erwartete sogar die Worte der großen Brünette mit einer Art freudiger Erregung, die ihr förmlich das Herz schwellen machte, wenn sie es sich selbst auch nicht eingestehen wollte.

»Es wird Euch doch nicht allzu nahe gehen?« hub die Näherin an. »Wohl zwanzigmal ist es mir auf die Zunge gekommen. Nun, da wir einmal angefangen haben ... Es ist ja doch nur, um zu plaudern, nicht wahr? ... Nein, wahrlich, ich trage es Euch nicht nach, was da geschehen ist. Mein Ehrenwort! Ich habe auch nicht so viel Haß gegen Euch zurückbehalten!«

Sie schwenkte den Rest ihres Kaffees im Glase um, damit der letzte Zucker mit herauskomme, und trank drei kleine Schlucke mit einem leisen Schmatzen der Lippen. Gervaise wartete mit gepreßter Kehle; innerlich fragte sie sich, ob ihr Virginie die Tracht Prügel wirklich so ganz verziehen haben könne, denn sie sah, wie in ihren schwarzen Augen gelbe Funken aufblitzten. Diese große Dirne mußte ihre Rache in die Tasche gesteckt und ihr Taschentuch obendrauf gelegt haben.

»Ihr hattet eine Entschuldigung«, fuhr sie fort. »Man hatte schlecht, abscheulich an Euch gehandelt ... Ich bin nicht ungerecht, laßt es gut sein. Ich hätte damals ein Messer genommen!«

Sie trank noch drei kleine Schluck und schnalzte mit der Zunge am Rande des Glases; dann gab sie ihre langsame Redeweise auf, fügte schnell und ohne anzuhalten hinzu:

»Es hat ihnen auch kein Glück gebracht, mein Gott! Nein, gar kein Glück! ... Sie waren da ans Ende der Welt gezogen, in die Gegend des Eiskellers, in eine schmutzige Straße, in der der Schmutz immer kniehoch liegt. Zwei Tage nachher habe ich mich eines Morgens aufgemacht, um mit ihnen zu frühstücken. Es war eine lange Omnibusfahrt, das versichere ich Euch, meine Liebe! Ich fand sie schon damals in voller Zänkerei. Wahrhaftig, wie ich eintrete, traktieren sie sich mit Kopfstücken. Das muß ich sagen, ein nettes Liebespaar! ... Ihr wißt, daß Adele nicht den Strick wert ist, um sie dran aufzuhängen. Sie ist zwar meine Schwester, aber ich kann nicht anders sagen, als daß sie in der Haut einer richtigen Schlampe steckt. Sie hat mir eine Menge von Schweinereien gemacht. Das wäre zu lang, alles zu erzählen, es geht auch am Ende nur uns beide an ... Was nun Lantier anbetrifft, ei der Tausend! Ihr kennt ihn, der ist auch nicht der beste. Ein pratschiger Kerl, nicht wahr? Der für ein Ja und für ein Nein gleich loshaut! Er ist einer der die Faust zumacht, wenn er schlägt ... So haben sie sich allen Ernstes beinahe totgeschlagen. Wenn man die Treppe hinaufstieg, hörte man schon von draußen, was da vorging. Eines Tages ist sogar die Polizei gekommen. Lantier wollte durchaus eine Ölsuppe haben, einen Gräuel, den sie im Süden essen. Als Adele es abscheulich fand, haben sie sich gegenseitig die Ölflasche, die Schüssel, die Suppenterrine, kurz die ganze Wirtschaft an den Kopf geworfen; es war eine Szene, die das ganze Quartier in Aufruhr versetzte.

Sie erzählte noch von anderen Schlägereien und konnte mit ihrem Bericht über die Wirtschaft der beiden kein Ende finden; sie wußte Sachen, die einem die Haare zu Berge trieben. Gervaise hörte alle diese Geschichten mit an, ohne ein Wort von sich zu geben, ihr Gesicht war blaß und es zuckte um ihre Lippen, als ob sie lächle. Es waren bald sieben Jahre her, daß sie nicht mehr von Lantier hatte sprechen hören. Nie hätte sie geglaubt, daß, wenn der Name Lantier so an ihre Ohren schlug, es ihr eine so heftige Erregung verursachen könne. Nein, sie hätte nie geglaubt, daß das Schicksal eines Menschen, der sich ihr gegenüber so abscheulich benommen hatte, sie so erregen könne. Sie konnte jetzt auf Adele nicht mehr eifersüchtig sein, aber innerlich lachte sie doch über das wüste Treiben der beiden, sie sah den Körper dieses Mädchens voll blauer Flecke; das rächte sie, das belustigte sie. Bis zum nächsten Morgen hätte sie so dasitzen können und sich von Virginie erzählen lassen. Sie tat keine Fragen, weil sie nicht durchblicken lassen wollte, einen wie lebhaften Anteil sie an diesen Dingen nahm. Es war ihr, als ob man plötzlich in der Geschichte ihres Lebens eine Lücke ausfülle; erst von dieser Stunde an schloß sich ihr jetziges Leben ihrer Vergangenheit an.

Virginie hielt inne und steckte noch einmal ihre Nase ins Glas; sie sog mit halbgeschlossenen Augen den Zucker auf. Gervaise begriff, daß sie irgend etwas sagen müsse, sie nahm daher eine gleichgültige Miene an und fragte:

»Wohnen sie immer noch beim Eiskeller?«

»I bewahre!« antwortete die andere, »habe ich Euch denn nicht erzählt? Es sind jetzt gerade acht Tage her, daß sie nicht mehr zusammen sind. Adele hat eines schönen Tages ihre sieben Sachen aufgepackt und ist davongegangen; daß Lantier ihr nicht nachgelaufen ist, könnt Ihr mir glauben!«

Der Wäscherin entfuhr ein leichter Schrei, und sie wiederholte ganz laut:

»Sie sind nicht mehr zusammen?«

»Wer denn?« fragte Clemence, die ihre Unterhaltung mit Mama Coupeau und Madame Putois unterbrach.

»Niemand!« sagte Virginie; »Leute, die Ihr nicht kennt!«

Sie beobachtete Gervaise und fand sie sonderbar bewegt. Sie näherte sich ihr wieder und schien schadenfroh genug zu sein, ihre Geschichten wieder anzufangen. Plötzlich fragte sie sie, was sie denn zu machen gedenke, wenn Lantier plötzlich wieder in ihrer Nähe auftauchen sollte. Denn die Männer seien doch nun einmal so seltsam; Lantier sei wohl imstande, seine erste Liebe wieder aufzusuchen. Gervaise richtete sich empor und benahm sich korrekt, sehr würdig. Sie sei verheiratet und würde Lantier die Wege weisen. Damit basta! Zwischen ihnen sei alles aus, nicht einmal einen Händedruck könne sie mit ihm wechseln. Wahrlich, sie müsse kein Herz haben, wenn sie noch einmal diesem Manne ins Gesicht sehe!

»Ich weiß wohl,« sagte sie, »daß es ein Band zwischen uns gibt, das ich nicht brechen kann: Etienne ist sein Kind. Wenn Lantier seinen Sohn umarmen will, schicke ich Etienne zu ihm, denn es ist unmöglich, daß man einen Vater hindern kann, sein Kind zu lieben ... Aber was mich anbetrifft, seht Ihr, Madame Poisson, ich ließe mich eher in kleine Stücke zerhacken, als daß ich ihm erlaubte, mich mit einer Fingerspitze zu berühren. Es ist aus!«

Als sie die letzten Worte sprach, machte sie in der Luft das Zeichen des Kreuzes, wie um damit für alle Zeiten ihren Eid zu besiegeln. Von dem Wunsche beseelt, die Unterhaltung abzubrechen, schien sie plötzlich zu erwachen und rief den Arbeiterinnen zu:

»Sagt mal, ihr da! Glaubt ihr vielleicht, daß die Wäsche sich von selber plättet? ... Das ist ja ein schöner Arbeitseifer! ... Auf! An die Arbeit!«

Die Arbeiterinnen übereilten sich nicht, sie waren so erschlafft vor Faulheit, daß sie noch immer mit den Armen auf ihren Knien dasaßen und in der einen Hand die leeren Kaffeegläser hielten, auf deren Boden sich ein wenig Kaffeegrund abgesetzt hatte. Sie plauderten noch weiter.

»Da war die kleine Celestine«, sagte Clemence. »Ich habe sie gut gekannt. Die hatte die Verrücktheit mit den Katzenhaaren ... Ihr wißt wohl, sie sah überall Katzenhaare; sie würgte fortwährend mit der Zunge herum, weil sie den Mund voller Katzenhaare zu haben glaubte.«

»Ich war mit einer Frau befreundet,« sagte Madame Putois, »die hatte einen Bandwurm ... Ei der Tausend! Diese Tiere haben Gelüste! ... Der kniff ihr in den Bauch, wenn sie ihm kein gebratenes Huhn zu essen gab! Nun müßt Ihr wissen, der Mann verdiente sieben Franken. Da ging alles in Leckerbissen für den Wurm drauf ...«

»Ich hätte sie gleich gesund gemacht!« unterbrach sie Mama Coupeau. »Mein Gott! Man ißt eine gebratene Maus runter. Das vergiftet den Wurm mit einemmal.«

Gervaise hatte sich aufs neue einem behaglichen Träumen hingegeben. Aber sie schüttelte die Schlaffheit ab und erhob sich. »Das ist ja hübsch, da hätte man sich ja wieder einmal einen Nachmittag um die Ohren geschlagen! Davon wird die Börse auch nicht voll!« Sie war die erste, die zu ihren Gardinen zurückkehrte; da sie einen Kaffeefleck darauf fand, mußte sie die Stelle erst wiederholt mit einem feuchten Läppchen anfeuchten, ehe sie wieder zum Eisen greifen konnte. Die Arbeiterinnen machten sich noch um den Ofen herum zu tun und suchten maulend und brummend ihre Handleder. Sowie Clemence sich in Bewegung setzte, bekam sie einen Hustenanfall von solcher Stärke, daß man glauben mußte, sie werde ihre Zunge ausspucken. Danach machte sie ihre Oberhemden fertig, indem sie die Manschetten und den Kragen mit Stecknadeln zusammensteckte. Madame Putois hatte sich wieder an ihren Unterrock gemacht.

»Nun denn, auf Wiedersehen!« sagte Virginie. »Ich war nur runtergegangen, um ein Viertel Schweizerkäse zu holen. Poisson muß glauben, daß ich unterwegs erfroren bin.«

Als sie schon drei Schritte auf der Straße gemacht hatte. kehrte sie um, öffnete die Tür und rief hinein, daß sie am Ende der Straße Augustine mit ein paar Straßenjungen schliddern sähe. Diese Range war vor zwei vollen Stunden fortgegangen. Nun kam sie rot und außer Atem herein, ihren Korb auf dem Arm und ihren Haarzopf mit einem Schneeball verziert. Sie ließ sich mit heimtückischer Miene ausschelten und erzählte, daß man wegen des Glatteises nicht gehen könne. Ein paar Taugenichtse mußten ihr aus Mutwillen Stückchen Eis in die Taschen gesteckt haben, denn nach einer Viertelstunde tropfte sie und bewässerte den Laden wie ein Sprengwagen.

So verflossen jetzt gewöhnlich die Nachmittage. Der Laden war für das ganze Quartier der Zufluchtsort der frostigen Leute. In der ganzen Goldtropfengasse wußte man, daß es da warm war. Da fanden sich immer schwatzhafte Weiber ein, die vor dem warmen Ofen Plauderstunde hielten, wobei sie ihre Röcke bis ans Knie in die Höhe zogen. Gervaise war auf diese schöne Wärme stolz, sie lud alle ein, sie empfing, wie boshafterweise die Lorilleux' und die Boches sagten. Das Wahre daran war, daß sie liebenswürdig und hilfsbereit blieb und sogar die Armen herbeirief, wenn sie sie draußen frieren sah. Eine besondere Vorliebe hatte sie für einen alten Anstreicher, einen Greis von siebzig Jahren, gefaßt, der im Hause einen Hängeboden bewohnte, wo er vor Hunger und Kälte umkam. Er hatte seine drei Söhne in der Krim verloren und lebte seit den zwei Jahren, wo er keinen Pinsel mehr halten konnte, vom Zufall. Sowie Gervaise den Vater Bru bemerkte, wenn er, um sich zu erwärmen, im Schnee hin- und herlief, rief sie ihn herein und hielt ihm seinen Platz neben dem Ofen frei. Oft mußte er auch ein Stück Brot und Käse essen. Dort saß der alte Mann oft stundenlang, ohne zu sprechen. Sein Rücken war gekrümmt, sein Bart weiß und sein faltiges Gesicht sah wie ein alter Apfel aus. Er horchte auf das Knistern des Kokses; vielleicht zogen an seinem Geiste die fünfzig Jahre vorüber, die er arbeitend auf den Leitern zugebracht hatte, dieses halbe Jahrhundert, in dem er an allen vier Ecken von Paris Türen angestrichen und Decken geweißt hatte.

»Nun, Papa Bru,« fragte ihn manchmal die Wäscherin, »woran denkt Ihr denn?«

»Oh, an gar nichts, an allerlei!« antwortete er dann mit stumpfsinniger Miene.

Die Arbeiterinnen machten sich über ihn lustig und erzählten, daß er Liebeskummer habe. Aber er fiel, ohne sie zu hören, in sein Schweigen und sein dumpfes Hinbrüten zurück.

Nach dieser Zeit sprach Virginie zu Gervaise sehr oft von Lantier. Es schien ihr Spaß zu machen, sie mit ihrem früheren Liebhaber zu beschäftigen, um sie durch Vermutungen und Voraussetzungen in Verwirrung zu stürzen. Eines Tages erzählte sie, daß sie ihn getroffen habe; da die Wäscherin darauf nichts erwiderte, fügte sie nichts hinzu, nur am folgenden Tage gab sie zu verstehen, daß er lange mit ihr von Gervaise gesprochen habe und sehr viel Zärtlichkeit für sie hege. Gervaise war durch diese in einer Ladenecke mit halber Stimme geflüsterten Mitteilungen sehr verwirrt. Der Name Lantier wirkte immer auf sie, als ob ihr ein Brandmal auf die Herzgrube beigebracht würde, als ob dieser Mann etwas von sich in ihr zurückgelassen habe! Sicherlich glaubte sie an ihre Festigkeit, sie wollte als anständige Frau leben, denn der Anstand ist allein schon die Hälfte des Glückes. Sie dachte bei der ganzen Angelegenheit auch gar nicht an Coupeau, weil sie sich ihrem Manne gegenüber auch nicht einmal in Gedanken etwas vorzuwerfen hatte. Mit zagendem, gequältem Herzen dachte sie an den Schmied. Es schien ihr, als ob dieses Wiedererwachen der Erinnerung an Lantier, dieses langsame Wiederinbesitznehmen des Mannes, das sie in sich fühlte, eine Untreue gegen Goujet sei, gegen dessen unausgesprochene Liebe, welche die Süßigkeit der Freundschaft hatte. Sie brachte traurige Tage zu, denn sie glaubte sich ihrem besten Freunde gegenüber schuldig. Sie hätte außer ihrer Ehe nur für ihn Zuneigung empfinden mögen. Diese Gefühle lagen tief in ihrem Innern, erhaben über all den niedrigen Leidenschaften, deren verräterischen Abglanz Virginie auf ihrem Antlitz erspähen wollte.

Als das Frühjahr gekommen war, nahm sie ihre Zuflucht zu Goujet. Sobald sie sich niedersetzte, um über etwas nachzudenken, kam ihr ihr erster Liebhaber in den Sinn; sie sah, wie er Adele verließ, die Wäsche auf den Grund ihres alten Koffers packte und zu ihr kam, mit dem Koffer auf dem Wagen. An Tagen, wo sie ausging, überfiel sie oft eine plötzliche Furcht; sie glaubte Lantiers Schritte hinter sich zu hören, so daß sie sich nicht umzusehen wagte, sie zitterte und glaubte schon seine Hände zu fühlen, die ihre Taille umfaßten. Es war sicher, daß er um sie herumspionierte, eines schönen Tages werde er schon über sie herfallen. Dieser Gedanke trieb ihr den Angstschweiß auf die Stirn, denn sicherlich werde er ihr einen Kuß aufs Ohr geben, wie er es früher so oft aus Neckerei getan hatte. Vor diesem Kuß entsetzte sie sich schon im voraus, er betäubte sie und umgab sie mit einem so brausenden Geräusch, daß sie nichts mehr hörte als das gewaltige Schlagen ihres Herzens. Wenn diese Beängstigungen sie anwandelten, war die Schmiede ihre einzige Zuflucht; dort wurde sie wieder ruhig und heiter unter Goujets Schutz, dessen mächtiger Hammer ihre bösen Ahnungen in die Flucht schlug.

Was für eine glückliche Zeit war das! Die Wäscherin verwendete besondere Sorgfalt auf die Wäsche ihrer Kunden aus der Weißtorstraße. Dorthin lieferte sie immer selbst die Wäsche ab, weil dieser Weg ihr jeden Freitag einen erwünschten Vorwand bot, durch die Mercadetstraße zu gehen und in die Schmiede einzutreten. Schon wenn sie um die Straßenecke bog, fühlte sie sich so leicht und frei, als ob sie eine Landpartie machte. Zwischen diesen spärlich bebauten Grundstücken, die von grauen Werkstätten eingefaßt waren, machte ihr der vom Kohlenstaub geschwärzte Straßendamm und die von weißen Dampf wölken umschwebten Dächer soviel Freude, als ob es ein moosiger Waldpfad in einem Gehölz der Umgegend gewesen sei, der sich in dichten Massen üppigen Grüns verliert; sie liebte selbst den bleichen Horizont, den die hohen Fabrikschornsteine überragten, und den Hügel des Montmartre, der den Himmel verdeckte mit seinen kreidigen Häusern, deren regelmäßige Fensterreihen zu ihr hinüberblickten. Je näher sie kam, desto langsamer wurden ihre Schritte, sie übersprang die Pfützen und durchstreifte mit Vergnügen die verlassenen Winkel des wüsten Bauplatzes. Ganz hinten leuchtet die Schmiede selbst am hellen Mittag. Ihr Herz hüpfte beim Taktschlag der Hämmer. Wenn sie eintrat, war sie ganz rot, die kleinen blonden Löckchen in ihrem Nacken flatterten aufgelöst im Winde, wie bei einer Frau, die zu einem Stelldichein kommt. Goujet erwartete sie, mit nackten Armen und nackter Brust schlug er an diesen Tagen noch stärker auf den Amboß, um sich schon von weitem hörbar zu machen. Er ahnte ihr Kommen und bewillkommnete sie mit einem freudigen Lächeln in seinem blonden Bart. Sie wollte ihn nicht bei der Arbeit stören und bat ihn, wieder zum Hammer zu greifen, denn sie liebte ihn noch mehr, wenn er mit seinen mächtigen Armen, an denen die Muskeln schwollen, den Hammer schwang. Sie gab Etienne, der seinen Blasebalg zog, einen leichten Klaps auf die Backe und blieb da wohl eine Stunde in der Betrachtung der Bolzen vertieft. Sie sprachen keine zehn Worte miteinander, und dennoch hätten sie in einem doppelt verschlossenen Zimmer ihrer Zärtlichkeit nicht mehr genugtun können. Die Stichelreden des Salzschnabels, genannt Sauf-aus-ohne-Durst, störten sie nicht, denn sie hörten sie nicht einmal. Nach einer Viertelstunde fing sie an, ein wenig von der Hitze zu leiden, die starken Gerüche und der Dampf betäubten sie, während die dumpfen Schläge sie von Kopf bis Fuß erzittern ließen. Weiter wünschte sie nichts, das war ihre ganze Freude; selbst wenn Goujet sie an seine Brust gedrückt hätte, wäre ihre Bewegung nicht größer gewesen. Sie ging nahe zu ihm heran, um den Wind seiner Hammerschläge an ihrer Backe zu spüren, um so mit teilzunehmen an dem Schlage, den er führte. Wenn die Funken auf ihre zarten Hände niederfielen, zog sie sie nicht zurück, im Gegenteil, sie fühlte diesen Feuerregen, der da auf ihre Haut niederprasselte, wie eine Lust. Sicherlich ahnte er, welches Glück sie dort empfand; er sparte für den Freitag besonders schwierige Arbeiten auf, um ihr mit all seiner Kraft und Geschicklichkeit seine Liebe zu erweisen. Er hielt jetzt nicht mehr an sich; auf die Gefahr hin, den Amboß zu zerschmettern, ließ er hochaufatmend in seinen Schlägen die Freude austönen, welche ihn durchdrang. Während des ganzen Frühjahrs erfüllte ihre Liebe die Schmiede mit dem Getöse eines Gewitters. Das war ein Traumleben in dem Werk eines Riesen, inmitten der flammenden Kohle, unter diesem wackelnden Schuppen, dessen rußige Balken krachten. All dieses zerschmetterte Eisen, das wie rotes Wachs gefügig sich formen mußte, trug den rauhen Stempel ihrer Zärtlichkeit. Wenn die Wäscherin Freitags das Löwenmaul verließ, stieg sie langsam die Fischerstraße hinauf; sie war befriedigt und ihr Geist sowie ihr Körper hatten ihr Gleichgewicht wiedergewonnen.

Nach und nach hörte sie auf, sich vor Lantier zu fürchten, und sie wurde wieder ruhig. Zu dieser Zeit hätte sie sehr glücklich leben können, wenn Coupeau nicht gewesen wäre, der jetzt entschieden anfing, ein schlechter Mensch zu werden. Als sie eines Tages gerade von der Schmiede zurückkam, glaubte sie Coupeau zu erkennen, der im »Totschläger« des Vater Colombe sich mit Mes-Bottes, Bibi-la-Grillade und Salzschnabel, genannt Sauf-aus-ohne-Durst, einen Satz Vitriol leistete. Sie ging schnell vorbei, weil sie nicht wollte, daß es so aussehe, als ob sie sein Tun und Treiben ausspioniere. Aber sie blickte doch noch einmal zurück; jawohl, es war Coupeau, der mit der geübten Handbewegung, die nur die häufige Gewohnheit gibt, sein kleines Glas Fusel hinunterstürzte. Er log also, er war doch schon beim Branntwein angekommen! Ganz verzweifelt kam sie nach Hause; der ganze Schrecken, den sie vor dem Schnaps hegte, erfaßte sie wieder. Den Wein verzieh sie, denn der Wein nährt den Arbeiter, aber der Alkohol war eine Schweinerei, ein Gift, das dem Manne das Brot verleidete. Ah! die Regierung hätte wohl die Herstellung solcher Schweinereien verhindern sollen!

Als sie in der Goldtropfenstraße ankam, fand sie das ganze Haus in Aufregung. Ihre Arbeiterinnen hatten den Werktisch verlassen und guckten auf dem Hofe in die Höhe. Sie fragte Clemence.

»Der Vater Bijard haut seine Frau durch!« antwortete die Plätterin. »Er war hier unter dem Haustor, betrunken wie ein Pole, und paßte auf, wenn sie vom Waschhaus käme... Er hat sie mit Faustschlägen die Treppe hinaufgejagt und jetzt schlägt er sie da oben in ihrem Zimmer zusammen... Hört doch, hört Ihr das Schreien?«

Gervaise ging schnell nach oben. Sie hegte eine große Freundschaft für Madame Bijard, ihre Wäscherin, die eine tüchtige, brave Frau war. Sie hoffte der Sache Einhalt zu tun. Oben im sechsten Stock war die Tür des Zimmers offen geblieben, ein paar Nachbarn jammerten auf dem Gange, während Madame Boche in der Türe schrie:

»Wollt Ihr wohl aufhören?... Ich hole die Polizei, versteht Ihr wohl?«

Niemand wagte sich in das Zimmer, denn man kannte Bijard, er war ein stumpfsinniges Tier, wenn er betrunken war. Er tobte übrigens seine Räusche nie anders aus. Die wenigen Tage, wo er arbeitete, setzte er einen Liter Branntwein neben seinen Schraubstock in der Schlosserei und trank in vollen Zügen alle halbe Stunde. Er konnte sich nicht anders mehr aufrechterhalten; er hätte wie eine Fackel angefangen zu brennen, wenn man ein angezündetes Streichholz seinem Munde nahe gebracht hätte.

»Aber man kann sie doch nicht in Stücke schlagen lassen!« sagte Gervaise, am ganzen Leibe zitternd.

Sie trat ein. Das Mansardenzimmer war sehr sauber, aber nackt und kalt, ausgeleert durch die Trunksucht des Mannes, der die Bettbezüge fortnahm, um sie zu vertrinken. Bei dem Kampfe war der Tisch umgefallen und bis zum Fenster gerollt, die beiden Stühle lagen mit den Beinen nach oben am Boden. Auf den Dielen, in der Mitte des Raumes, lag Madame Bijard, deren Röcke, noch naß vom Waschhause, an ihren Schenkeln klebten; ihre Haare waren zerzaust und blutig, sie röchelte mit schwerem Atem und stieß halb unterdrückte Schmerzenslaute aus bei jedem Fußtritt, den ihr Bijard versetzte. Er hatte sie erst mit beiden Fäusten zu Boden geschlagen und jetzt stieß er sie mit Füßen.

»Jawohl! Du Dirne!... Du Sau!...« heulte er mit erstickter Stimme und begleitete jedes seiner Worte mit einem Tritt, sich selbst anfeuernd und um so stärker stoßend, je mehr ihm der Atem verging.

Zuletzt versagte ihm die Stimme ganz und doch schlug er noch immer unsinnig und rasend; sein Rock und seine zerfetzte Bluse hingen an seinem steifen Körper, sein Gesicht war blau, soweit es der schmutzige Bart freiließ, und auf seiner Stirn zeigten sich große rote Flecke. Die Nachbarn auf dem Gange erzählten, er schlüge sie, weil sie ihm am Morgen zwanzig Sous verweigert habe. Man hörte Boches Stimme von der Treppe her. Er rief Madame Boche und schrie:

»Komm doch runter! Laß sie sich doch totschlagen, da gibt's ein paar Lumpen weniger!«

Der Papa Bru war Gervaise in das Zimmer gefolgt. Beide versuchten den Schlosser zur Vernunft zu bringen und ihn nach der Tür zuzustoßen. Aber er wandte sich, ohne ein Wort zu sprechen, ab, vor seinen Lippen stand Schaum, aus seinen öden Augen leuchtete der Alkohol mit der tückischen Flamme des Mordes. Der Wäscherin hatte er eine Hand zerquetscht, und der alte Arbeiter war über den Tisch gefallen. Am Boden stöhnte Madame Bijard mit weit offenem Munde und geschlossenen Augenlidern. Bijard traf sie jetzt nicht mehr, er versuchte wieder mit verdoppelter Wut, schlug blindlings zur Seite und traf sich schließlich selbst mit Hieben, die er ins Leere führte. Während dieser ganzen entsetzlichen Szene sah Gervaise in einer Ecke des Zimmers die kleine vierjährige Lalie, welche zusah, wie ihr Vater ihre Mutter zu Tode schlug. Das Kind hielt auf seinen Armen, wie um sie zu beschützen, ihre Schwester Henriette, die seit einem Tage entwöhnt war. Das Kind stand aufrecht, um seinen Kopf ein Kattuntaschentuch gebunden; es sah sehr bleich aus, und seine Miene war ernst. Aus seinen dunklen Augen strahlte ein Blick von gedankenvoller Festigkeit ohne eine Träne.

Als Bijard über einen Stuhl gestolpert war und auf dem Boden ausgestreckt lag, ließ man ihn schnarchen. Der Papa Bru half Gervaise Madame Bijard aufheben. Diese weinte jetzt mit heftigem Schluchzen. Lalie, welche herzugekommen war, sah sie weinen, aber sie war so gewöhnt an solche Auftritte, daß sie schon getröstet war. Während die Wäscherin hinabstieg und das Haus sich wieder beruhigt hatte, konnte sie den Blick dieses vierjährigen Kindes nicht vergessen, der so ernst und mutig war wie der Blick einer Frau.

»Herr Coupeau ist auf der andern Seite der Straße!« rief ihr Clemence entgegen, als sie sie bemerkte. »Er sieht verdammt angeheitert aus!«

Coupeau kam gerade über den Damm. Beinahe hätte er mit der Schulter eine Glasscheibe eingerannt, weil er die Tür verfehlte. Er war total betrunken; seine Zähne waren fest aufeinander gepreßt und seine Züge gespannt. Gervaise erkannte sogleich das Vitriol des »Assommoir« in dem vergifteten Blut, das seine Haut erbleichen machte. Sie wollte lachen und ihn zu Bette bringen, wie es gewöhnlich geschah, wenn er seinen gutmütigen Weinrausch hatte. Aber er stieß sie von sich, ohne ein Wort zu sprechen; im Vorbeigehen nach seinem Bett hin, das er selbst aufsuchte, drohte er ihr mit der Faust. Er glich dem andern, dem Trunkenbold, der da oben schnarchte, nachdem er sich müde geschlagen hatte. Da legte es sich ihr wie Eis aufs Herz, sie dachte an die Männer, an ihren Ehemann, an Goujet, an Lantier, und mit zerrissenem Herzen verzweifelte sie daran, jemals glücklich zu werden.


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