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Der Abbé Faujas legte seine Hand auf die Schulter Marthas.
Was machen Sie da? fragte er. Warum haben Sie sich nicht schlafen gelegt? ... Ich hatte Ihnen verboten, auf mich zu warten.
Sie erwachte wie aufgeschreckt.
Ich glaubte, stotterte sie, daß Sie früher heimkommen würden. Ich bin eingeschlafen ... Rosa hat Tee kochen müssen.
Aber der Priester rief die Köchin und schalt sie, weil sie nicht ihre Herrin genötigt habe, zu Bett zu gehen. Er sprach zu ihr in gebietendem Tone und duldete keine Erwiderung.
Rosa, sagte Martha, geben Sie dem Herrn Pfarrer den Tee.
Ich brauche keinen Tee, rief er ärgerlich. Gehen Sie sofort schlafen! Es ist lächerlich. Ich bin nicht mehr mein eigener Herr ... Rosa, leuchten Sie mir!
Die Köchin begleitete ihn bis zum Fuße der Treppe.
Herr Pfarrer wissen wohl, daß es nicht meine Schuld ist, sagte sie. Die gnädige Frau ist sehr launenhaft. So krank sie ist, kann sie nicht eine Stunde in ihrem Zimmer bleiben. Sie muß hin und her gehen, bis sie außer Atem kommt, sich drehen und wenden, rein nur zum Vergnügen, ohne etwas zu machen ... Sehen Sie, ich leide zumeist darunter; sie ist mir immer im Wege ... Wenn sie auf einen Stuhl sinkt, ist es für lange Zeit. Sie bleibt dort ruhig, starrt mit erschreckender Miene vor sich hin, als ob sie fürchterliche Dinge sehe ... Ich habe es ihr heute abend mehr denn zehnmal gesagt, Sie würden ärgerlich sein, wenn sie nicht hinaufgeht. Sie hat nicht einmal getan, als wenn sie mich hörte.
Der Priester ging hinauf, ohne zu antworten. Oben vor dem Zimmer der Trouche streckte er den Arm aus, als wolle er mit der Faust an die Türe schlagen. Aber das Singen hatte aufgehört; er entnahm aus dem Stühlerücken, daß die Gäste sich anschickten fortzugehen; er ging daher schnell in sein Zimmer. Trouche ging wirklich fast gleich nachher mit zwei Freunden hinunter, die er unter den Tischen eines berüchtigten Kaffeehauses aufgelesen hatte; er rief auf der Treppe, daß er Anstand kenne und sie nach Hause begleite. Olympia neigte sich über das Geländer hinab.
Sie können zuriegeln, sagte sie zu Rosa. Er kommt doch erst morgen früh nach Hause.
Rosa, der sie die schlechte Aufführung ihres Mannes nicht hatte verbergen können, bedauerte sie sehr. Sie riegelte zu und brummte:
Heiratet nur! Entweder prügeln euch die Männer oder sie treiben sich herum. Da ist es mir doch lieber, ledig zu bleiben.
Als sie zurückkam, fand sie ihre Herrin wieder auf dem Stuhle, in eine Art schmerzlicher Starrheit versunken, die Blicke auf die Lampe gerichtet. Sie rüttelte sie und hieß sie, sich niederlegen. Martha fürchtete sich jetzt sehr. In der Nacht, sagte sie, sehe sie große Lichter an den Wänden ihres Zimmers und höre heftige Schläge am Kopfende des Bettes. Jetzt schlief Rosa neben ihr in einem Kabinett und eilte bei dem geringsten Stöhnen herbei, um sie zu beruhigen. Diese Nacht entkleidete sie sich noch, als sie Martha röcheln hörte; sie fand sie inmitten der zerrissenen Decken liegen mit schreckensstarren Augen, die Hände auf den Mund gedrückt, um nicht zu schreien. Sie mußte ihr wie einem Kinde zureden, die Vorhänge auseinander tun, unter die Möbel schauen und ihr versichern, daß sie sich getäuscht habe, daß niemand da sei. Diese Furchtanfälle endeten mit einem Starrkrämpfe; sie lag dann wie tot da mit dem Kopfe auf den Kissen und offenen Augen.
Der gnädige Herr quält sie, sagte die Köchin leise, als sie sich endlich zu Bette begab.
Am nächsten Tage kam Doktor Porquier, der zweimal die Woche sie besuchte. Er schlug freundschaftlich auf ihre Hände und sagte ihr in seiner liebenswürdigen Redeweise:
Liebe Frau, es ist nichts ... Sie husten noch immer ein wenig, nicht wahr? Ein vernachlässigter Schnupfen, nichts weiter; wir kurieren ihn mit einem Säftchen.
Dann beklagte sie sich über unerträgliche Schmerzen im Rücken und in der Brust, ohne einen Blick von ihm zu wenden und suchte auf seinem Gesichte, auf seiner ganzen Person, was er nicht sagte.
Ich fürchte mich, wahnsinnig zu werden, bemerkte sie mit einem Seufzer.
Er beruhigte sie lächelnd. Der Anblick des Doktors verursachte ihr immer eine große Angst; sie fürchtete sich vor dem höflichen, freundlichen Manne. Oft verbot sie Rosa, ihn einzulassen; sie erklärte, sie sei nicht krank, sie habe es nicht notwendig, immerfort einen Arzt um sich zu haben. Rosa zuckte mit den Achseln und führte den Doktor doch hinein. Übrigens sprach er schließlich von ihrem Leiden gar nicht mehr und schien einfache Anstandsbesuche zu machen. Beim Fortgehen begegnete er dem Abbé Faujas, der sich nach der Kirche Saint-Saturnin begab. Als ihn der Priester über den Zustand der Frau Mouret befragte, erwiderte er ernst:
Die Wissenschaft ist manchmal ohnmächtig; aber die Vorsehung bleibt in ihrer Güte unerschöpflich ... Die arme Frau ist sehr erschüttert. Ich gebe sie nicht unbedingt auf. Die Brust ist nur schwach angegriffen, und das Klima ist hier gut.
Er hielt hierauf einen Vortrag über die Behandlung der Brustkranken in dem Bezirke Plassans. Er verfasse über diesen Gegenstand eine kleine Schrift, nicht um sie zu veröffentlichen, denn er sei klug genug, sich nicht auf den Gelehrten aufzuspielen, sondern um sie einigen guten Freunden vorzulesen.
Das sind die Gründe, schloß er, die mich glauben lassen, daß die stets gleichmäßige Temperatur, die stärkende Luft, die guten Gewässer unserer Hügel ausgezeichnet auf die Heilung der Brustkranken wirken.
Der Priester hatte ihm schweigend und ernst zugehört.
Sie sind im Unrecht, erwiderte er langsam. Frau Mouret befindet sieh in Plassans sehr unwohl ... Warum schicken Sie sie über den Winter nicht nach Nizza?
Nach Nizza? wiederholte der Doktor unruhig.
Er sah den Priester einen Augenblick an, dann sagte er mit seiner zuvorkommenden Stimme:
Sie wäre in der Tat in Nizza gut aufgehoben. In dem Zustande nervöser Überreizung, in dem sie sich befindet, würde ein Wechsel des Aufenthaltes sehr gut tun. Ich werde ihr diese Reise anraten müssen ... Sie haben da einen ausgezeichneten Gedanken gehabt, Herr Pfarrer.
Er grüßte und trat bei Frau von Condamin ein, deren geringste Kopfschmerzen ihm außerordentliche Sorgen bereiteten. Am folgenden Tage sprach beim Essen Martha von dem Doktor in fast heftigen Ausdrücken. Sie wollte ihn durchaus nicht mehr empfangen.
Er macht mich erst krank, sagte sie. Heute hat er mir gar geraten, eine Reise zu unternehmen.
Ich billige es vollkommen, erklärte der Abbé Faujas, und faltete seine Serviette zusammen.
Sie sah ihn starr und ganz blaß an und murmelte leise:
So schicken auch Sie mich von Plassans fort? Aber ich sterbe in einem unbekannten Lande, fern von meinen Gewohnheiten, fern von denen, die ich liebe!
Der Priester war aufgestanden, um das Speisezimmer zu verlassen. Er näherte sich ihr und erwiderte lächelnd:
Ihre Freunde wünschen nur Ihre Gesundheit. Warum lehnen Sie sich auf?
Nein, ich will nicht, ich will nicht! rief sie, indem sie zurückwich.
Es war ein kurzer Kampf. Das Blut war dem Abbe ins Gesicht gestiegen; er hatte die Arme gekreuzt, wie um der Versuchung zu widerstehen, sie zu schlagen. Sie lehnte an der Mauer in voller Verzweiflung über ihre Schwäche. Dann streckte sie besiegt die Hände aus und stöhnte:
Ich flehe Sie an, lassen Sie mich hier ... Ich werde Ihnen gehorchen.
Da sie in Schluchzen ausbrach, ging er achselzuckend hinaus wie ein Gatte, der die Tränen fürchtet. Frau Faujas, die ruhig ihr Essen beendete, hatte diesem Auftritte mit vollem Munde beigewohnt. Sie ließ Martha ruhig weinen.
Sie sind nicht bei Vernunft, mein liebes Kind, sagte sie endlich, indem sie noch einmal Eingemachtes nahm. Sie machen sich schließlich bei Ovid verhaßt. Sie wissen ihn nicht zu gewinnen ... Warum weigern Sie sich zu reisen, wenn es Ihnen wohltun muß? Wir hüten Ihr Haus. Sie finden alles an seinem Platze wieder.
Martha weinte noch immer und schien nicht zu hören.
Ovid hat so viele Sorgen, fuhr die alte Frau fort. Wissen Sie, daß er oft bis vier Uhr früh arbeitet ... Wenn Sie in der Nacht husten, regt ihn das auf und bringt seine Gedanken aus dem Geleise. Er kann nicht mehr arbeiten, er leidet mehr als Sie ... Tun Sie es um Ovids willen, mein liebes Kind. Gehen Sie fort und kommen Sie gesund wieder.
Doch Martha erhob ihr tränengerötetes Gesicht und rief in verzweifeltem Schmerze aus:
Ach, der Himmel lügt!
Die folgenden Tage wurde nicht mehr von der Reise nach Nizza gesprochen. Frau Mouret geriet bei der geringsten Anspielung in Zorn. Sie weigerte sich mit verzweifelter Kraft, Plassans zu verlassen, so daß der Priester selbst die Gefahr einsah, auf diesem Plane zu bestehen. Sie begann ihm ein arges Hindernis in seinem Triumphe zu werden. Wie Trouche höhnisch sagte, hätte man sie zuerst ins Irrenhaus schicken sollen. Seit der Entfernung Mourets gab sie sich den strengsten religiösen Übungen hin, vermied es, den Namen ihres Gatten auszusprechen, und wollte in dem Gebete ihr ganzes Wesen auflösen. Aber sie blieb, wenn sie aus der Kirche Saint-Saturnin kam, in Unruhe und fühlte ein noch größeres Bedürfnis nach Vergessenheit.
Die Hausfrau verdreht ordentlich die Augen, erzählte jeden Abend Olympia ihrem Gatten. Heute habe ich sie in die Kirche begleitet; ich habe sie von der Erde aufheben müssen ... Du würdest lachen, wenn ich dir alles erzählen wollte, was sie gegen Ovid schimpft; sie ist wütend, sie sagt, daß er kein Herz habe, daß er sie getäuscht habe, indem er ihr eine Menge Tröstungen versprochen. Und erst gegen den lieben Gott! Man muß sie hören! Nur eine Betschwester kann so schlecht von der Religion sprechen. Man möchte glauben, der hebe Gott habe sie um eine große Summe Geldes betrogen. Soll ich es dir sagen? Ich glaube, ihr Gatte kommt alle Nacht und zerrt sie an den Beinen.
Trouche hatte eine Freude an allen diesen Geschichten.
Um so schlimmer für sie, erwiderte er. Wenn dieser Possenreißer von einem Mouret unschädlich gemacht ist, so hat sie es gewollt. Ich wüßte schon an Stelle Fauja's die Sachen einzurichten; ich würde sie zufrieden und geschmeidig wie ein Lamm machen. Aber Faujas ist dumm; er wird seine Haut dabei einbüßen, sollst du sehen ... Dein Bruder ist gegen uns nicht so gut, daß man ihm aus der Verlegenheit helfen soll. Ich werde lachen an dem Tage, wo die Hausfrau ihn untertaucht. Zum Teufel, wenn man so geschaffen ist wie er, läßt man die Weiber aus dem Spiel.
Ja, Ovid verachtet uns sehr, murmelte Olympia.
Dann fuhr Trouche mit leiser Stimme fort:
Wenn die Hausfrau sich eines Tages mit deinem dummen Bruder in einen Brunnen stürzt, sind wir die Herren; das Haus gehört dann uns. Es wäre ein fetter Brocken, und alle Not hat dann ein Ende.
Übrigens hatten die Trouche seit der Entfernung Mourets sich des Erdgeschosses bemächtigt. Olympia hatte sich zuerst darüber beklagt, daß die Kamine oben rauchten; dann hatte sie Madame Mouret überredet, daß der Salon, der bisher fast verlassen war, das gesündeste Zimmer des Hauses sei. Rosa hatte den Befehl erhalten, dort ein großes Feuer zu unterhalten, und die beiden Frauen brachten dort vor den großen brennenden Holzstößen in endlosem Geplauder die Tage zu. Einer der liebsten Träume Olympias war es, so zu leben, schön gekleidet auf einem Kanapee liegend, umgeben von dem Luxus eines schönen Zimmers. Sie bestimmte Martha, den Salon neu tapezieren zu lassen, Möbel und einen Teppich anzuschaffen. Dann war sie die gnädige Frau. Sie ging in Pantoffeln und Schlafrock hinunter und redete, als sei sie die Hausfrau.
Die arme Frau Mouret, sagte sie, hat soviel Verdrießlichkeiten, daß sie mich flehentlich gebeten hat, sie zu unterstützen. Ich beschäftige mich ein wenig mit ihren Angelegenheiten. Was wollen Sie? Es ist ein gutes Werk.
Sie hatte in der Tat das Vertrauen Marthas zu gewinnen gewußt, die aus Lässigkeit alle kleinen Sorgen des Haushaltes ihr überließ. Sie hatte die Schlüssel des Kellers und der Schränke; außerdem bezahlte sie die Lieferanten. Lange dachte sie nach, ein Mittel zu finden, wie sie sich auch des Speisezimmers bemächtigen könne. Aber Trouche riet ihr davon ab; sie würden nicht mehr so frei und nach ihrem Belieben essen und trinken können; sie könnten es kaum mehr wagen, reinen Wein zu trinken noch einen Freund zum Kaffee einzuladen. Doch versprach Olympia ihrem Manne, ihm seinen Anteil an dem Nachtisch hinaufzubringen. Sie füllte sich die Taschen mit Zucker und nahm sogar Kerzenstümpfe mit hinauf. Zu diesem Zweck hatte sie sich große Leinwandtaschen genäht, die sie unter ihrem Rocke befestigte, und zu deren Entleerung sie jeden Tag eine gute Viertelstunde brauchte.
Siehst du, das ist eine Birne für den Durst, sagte sie leise, indem sie die Vorräte durcheinander in einen Koffer tat, den sie unter das Bett schob. Wenn wir uns mit der Hausfrau überwerfen, haben wir genug für einige Zeit. Ich muß auch Töpfe Eingemachtes und Pökelfleisch heraufschaffen.
Du bist zu gut, daß du noch Heimlichkeiten machst, erwiderte Trouche. An deiner Stelle würde ich mir alles durch Rosa heraufbringen lassen; du bist die Herrin.
Er selbst hatte sich des Gartens bemächtigt. Schon lange hatte er Mouret beneidet, wenn er ihn sah, wie er die Bäume beschnitt, die Alleen mit Sand bestreute und den Salat begoß; er wiegte sich in dem Traum, auch einen Winkel Erde zu besitzen, wo er nach Herzenslust graben und pflanzen könne. Als Mouret nicht mehr da war, machte er sich über den Garten her mit seinen Plänen zu vollständigem Umsturz. Er begann damit, die Gemüse zu verbannen. Er gab sich für eine zart angelegte Natur und einen Blumenfreund. Aber die Arbeit mit dem Spaten ermüdete ihn schon am zweiten Tage; es wurde ein Gärtner gerufen, der die Beete nach seinen Anordnungen umgrub, den Salat in die Düngergrube warf und den Boden für das Frühjahr vorbereitete zur Aufnahme von Päonien, Rosen, Lilien, Samen von Lerchensporn und Geisblatt, Nelken und Geranien. Da erfaßte ihn ein neuer Gedanke: Er wollte beobachtet haben, daß das düstere Aussehen der Beete von den großen dunklen Gebüschen herrühre, die sie umgaben, und überlegte lange, ob er sie nicht solle umhauen lassen.
Du hast ganz recht, erklärte Olympia, die er um Rat fragte. Es sieht wie ein Friedhof aus. Ich möchte am liebsten als Einzäunung gußeiserne Zweige in Gestalt von Laubwerk haben ... Ich bestimme die Hausfrau dazu. Laß nur immerhin die Sträucher herausreißen.
Das Strauchwerk wurde herausgerissen. Acht Tage später stellte der Gärtner die gußeiserne Einfriedung auf. Trouche versetzte noch mehrere Obstbäume, welche die Aussicht versperrten, ließ die Lauben hellgrün anstreichen und schmückte den Springbrunnen mit Gestein. Der Wasserfall des Herrn Rastoil stach ihm sehr ins Auge; aber er begnügte sich damit, einen Platz auszuwählen, wo er einen ähnlichen errichten könne, »wenn die Geschäfte gut gehen«.
Die Nachbarn sollen Augen machen! sagte er abends zu seiner Frau. Sie sehen wohl, daß ein Mann von Geschmack jetzt da wohnt ... Wenigstens macht es sich im Sommer gut, wenn wir uns an das Fenster stellen, und wir haben eine schöne Aussicht.
Martha ließ sie gewähren und billigte alle Pläne, die man ihr vorlegte; übrigens fragte man sie schließlich gar nicht mehr. Die Trouche hatte nur mehr gegen Frau Faujas zu kämpfen, die ihnen Schritt für Schritt das Haus streitig machte. Als Olympia sich des Salons bemächtigte, mußte sie der Mutter« eine regelrechte Schlacht liefern. Wenig hätte gefehlt, so hätte diese gesiegt. Der Priester vereitelte es.
Deine nichtsnutzige Schwester sagt über uns die schlimmsten Sachen vor der Hausfrau, beklagte sich fortwährend Frau Faujas. Ich durchschaue sie; sie will uns verdrängen und jede Bequemlichkeit für sich haben ... Richtet sich diese Tagediebin nicht in dem Salon ein wie eine Dame!
Der Priester hörte nicht zu und machte nur barsche Gebärden der Ungeduld. Eines Tages geriet er in Zorn und rief:
Ich bitte dich, Mutter, laß mich in Frieden. Sprich mir nicht mehr von Olympia, noch von Trouche ... Sie sollen sich hängen lassen, wenn sie wollen.
Sie nehmen das Haus in Besitz, Ovid, sie haben wahre Rattenzähne. Wenn du deinen Anteil haben willst, haben sie alles aufgezehrt ... Nur du kannst sie zurückweisen.
Er sah seine Mutter lächelnd an.
Mutter, sagte er leise, du liebst mich; ich verzeihe dir ... Sei versichert, ich will etwas anderes als das Haus; es gehört nicht mir, und ich behalte nur, was ich erwerbe. Du wirst erfreut sein, wenn du meinen Anteil siehst. Trouche ist mir von Nutzen gewesen. Ich muß ein wenig die Augen zudrücken.
Frau Faujas mußte den Rückzug antreten. Sie tat es sehr ungern und ärgerte sich über das triumphierende Gelächter, womit Olympia sie verfolgte. Diese vollständige Uneigennützigkeit ihres Sohnes brachte sie bei ihren rohen Begierden und ihrer vorsichtigen Sparsamkeit einer Bäuerin zur Verzweiflung. Sie hätte gern das Haus leer und rein in Sicherheit bringen mögen, damit es Ovid eines Tages finde, wenn er seiner bedürfe. Die Trouche mit ihren langen Zähnen brachten sie in Verzweiflung wie einen Geizigen, der von Fremden bestohlen wird; es war ihr, als würden sie ihren Besitz aufzehren, ihr das Fleisch vom Leibe essen, sie und ihr Lieblingskind an den Bettelstab bringen. Als der Abbé ihr verboten hatte, sich dem langsamen Vordringen der Trouche entgegenzustellen, beschloß sie, wenigstens vor der Plünderung zu retten, was noch zu retten sei. So begann sie ebenfalls aus den Schränken zu stehlen wie Olympia; sie befestigte sich ebenfalls große Taschen unter den Röcken; sie hatte einen Koffer, den sie bald mit allem füllte, was sie zusammenscharren konnte, mit Vorräten, Wäsche und kleineren Sachen.
Aber was versteckst du denn da, Mutter? fragte sie eines Tages der Abbé, als er, durch das Geräusch mit dem Koffer aufmerksam geworden, in das Zimmer trat.
Sie stotterte. Aber er begriff und geriet in einen fürchterlichen Zorn.
Welche Schande! rief er. Jetzt stiehlst du auch! Was soll denn aus dir werden, wenn man dich erwischt? Ich würde zum Gespött der Stadt.
Es ist ja für dich, Ovid, sagte sie leise.
Eine Diebin, meine Mutter, eine Diebin! Glaubst du vielleicht, daß ich auch stehle, daß ich hierhergekommen bin, um zu stehlen, daß es mein einziger Ehrgeiz ist, die Hände auszustrecken und zu stehlen! Mein Gott, was denkst du von mir? ... Wir müssen uns trennen, Mutter, wenn wir uns nicht mehr verstehen.
Dieses Wort erfüllte die alte Frau mit Entsetzen. Sie kniete noch vor dem Koffer; blaß, dem Ersticken nahe und mit ausgestreckten Händen saß sie auf dem Boden. Als sie endlich sprechen konnte, sagte sie:
Es ist für dich mein Kind, für dich allein, ich schwöre es ... Ich habe es dir gesagt, sie nehmen alles; sie trägt alles in ihren Taschen fort Du bekommst nicht ein Stück Zucker ... Nein, ich nehme nichts mehr, weil es dich kränkt; aber du behältst mich bei dir, nicht wahr? Du wirst mich bei dir behalten?
Der Abbé wollte ihr nichts versprechen, solange sie nicht alles wieder an den Platz gebracht habe, von wo sie es genommen. Er selbst beaufsichtigte sie während einer Woche, wie sie heimlich alles aus dem Koffer fortschaffte, um es zurückzubringen; er sah ihr zu, wie sie die Taschen füllte, und wartete, bis sie heraufkam, um einen neuen Weg zu machen. Aus Vorsicht ließ er sie diesen Weg jeden Abend nur zweimal machen. Der alten Frau drohte bei jedem Gegenstande, den sie wieder hinuntertrug, das Herz zu brechen, Sie wagte nicht zu weinen, aber die Tränen hingen ihr an den Augenwimpern, ihre Hände zitterten ihr mehr als damals, da sie die Schränke geleert hatte. Vollends drückte es sie nieder, als sie am zweiten Abend bemerkte, ihre Tochter Olympia nehme alles, was sie zurückgab, hinter ihrem Rücken weg und bemächtige sich desselben. Die Wäsche, die Vorräte, die Kerzenstümpfe wanderten aus der einen Tasche in die andere.
Ich trage nichts mehr hinunter, sagte sie zu ihrem Sohne und lehnte sich gegen diesen unvorhergesehenen Streich auf. Es ist unnütz, deine Schwester rafft alles hinter meinem Rücken zusammen. Ach, die Schurkin! Da hätte ich ihr gleich den Koffer geben können. Sie muß oben einen hübschen Schatz beisammen haben ... Ich flehe dich an, Ovid, laß mich behalten, was mir noch bleibt. Die Hausfrau hat dadurch keinen Schaden, es ist doch für sie ohnehin verloren.
Meine Schwester ist, was sie ist, erwiderte der Priester ruhig; aber meine Mutter soll eine ehrliche Frau bleiben. Du nützest mir mehr, wenn du so etwas nicht mehr begehst.
Sie mußte alles zurückgeben und hatte seitdem einen furchtbaren Haß auf die Trouche, Martha und das ganze Haus. Sie sagte, der Tag werde kommen, wo sie Ovid gegen alle diese Leute verteidigen müsse.
Jetzt herrschten die Trouche als Gebieter. Sie vollendeten die Eroberung des Hauses und drangen in die engsten Winkel ein. Nur die Wohnung des Abbé wurde geachtet. Sie zitterten nur vor ihm; das hinderte sie aber nicht. Freunde einzuladen und Gelage zu halten, die nicht selten bis zwei Uhr früh dauerten. Wilhelm Porquier kam mit einer ganzen Schar junger Leute hin. Olympia zierte sich trotz ihrer siebenunddreißig Jahre, und mehr als ein Student rückte ihr nahe an den Leib, worüber sie als kitzlige Frau überglücklich lachte.
Das Haus wurde für sie ein Paradies. Trouche höhnte und scherzte, wenn er mit ihr allein war; er behauptete, unter ihren Röcken eine Schultasche gefunden zu haben.
Nun, sagte sie, ohne sich zu ärgern, unterhältst du dich nicht? ... Du weißt doch, daß wir frei sind.
Dieses lustige Leben hätten die Trouche durch einen gar zu argen Streich beinahe aufs Spiel gesetzt.
Eine Nonne hatte ihn in Gesellschaft der Tochter eines Gerbers, der großen, dicken Blondine, überrascht, die er seit langem mit den Augen verschlang. Die Kleine erzählte, daß sie nicht die einzige sei, daß auch andere Zuckerwerk erhalten hätten. Die Nonne, die wußte, daß Trouche mit dem Pfarrer von Saint-Saturnin verwandt war, hatte die Klugheit, von diesem Vorfalle nichts zu erzählen, bis sie letzteren gesprochen. Er dankte ihr und bemerkte, daß die Religion in erster Linie unter einem solchen Skandale leide. Die Geschichte wurde vertuscht, und die Damen hatten keinen Verdacht. Aber der Abbé Faujas hatte mit seinem Schwager eine fürchterliche Auseinandersetzung, die er in Anwesenheit Olympias herbeiführte, damit die Frau eine Waffe gegen den Gatten habe und ihn in Respekt halten könne. Seit jener Geschichte sagte Olympia jedesmal, wenn Trouche sie ärgerte, in trockenem Tone:
Geh, gib doch den kleinen Mädchen Zuckerwerk.
Lange Zeit litten sie unter anderen Sorgen.
Trotz des üppigen Lebens, das sie führten, und obwohl sie mit allem aus den Schränken der Hausfrau versehen waren, waren sie doch bei aller Welt im Viertel verschuldet. Trouche verbrauchte sein Gehalt im Kaffeehause; Olympia verwendete das Geld, das sie durch Erdichtung von außerordentlichen Geschichten Martha aus der Tasche lockte, für eitlen Putztrödel. Die zum Leben notwendigen Sachen wurden auf Borg genommen. Eine Rechnung, die sie besonders beunruhigte, war die von dem Pastetenbäcker der Banne-Straße – sie betrug mehr als hundert Franken; – denn dieser Bäcker, ein gar grober Mann, drohte, alles dem Abbe Faujas zu sagen. Die Trouche lebten in großer Angst und fürchteten einen schrecklichen Auftritt; aber als die Rechnung dem Abbé zugeschickt wurde, zahlte dieser ohne Umstände und vergaß sogar, ihnen Vorwürfe zu machen. Der Priester schien über diese Erbärmlichkeiten erhaben zu sein; er lebte einsam und ruhig weiter in diesem Hause, das der Verwüstung preisgegeben war, ohne die wilden Gebisse zu sehen, die an den Mauern fraßen, noch den langsamen Ruin, der allmählich die Decken zum Bersten brachte. Alles versank um ihn, während er geradeaus seinen ehrgeizigen Träumen folgte. Er hauste noch immer wie ein Soldat in seinem kahlen Zimmer, gönnte sich nichts und ärgerte sich, wenn man ihn verhätscheln wollte. Seitdem er der Herr von Plassans war, wurde er wieder schäbig; sein Hut war abgeschossen, seine Strümpfe schmutzig; sein Talar, der jeden Morgen von seiner Mutter geflickt wurde, ähnelte wieder dem elenden, abgenützten, abgeschossenen Fetzen, den er in der ersten Zeit getragen hatte.
Bah, er ist noch ganz gut, erwiderte er, wenn man einige schüchterne Bemerkungen darüber zu machen wagte.
Er zeigte ihn mit erhobenem Kopfe auf seinem Spaziergange durch die Straßen, ohne sich von den sonderbaren Blicken beunruhigen zu lassen, die man ihm zuwarf. Es. war kein Trotz, sondern ein natürlicher Rückfall. Jetzt fand er es nicht mehr notwendig zu gefallen und kehrte zu seiner Verachtung alles Äußerlichen zurück. Sein Triumph war, sich so, wie er war, mit seinem ungeschlachten Körper, seinem rohen Benehmen und seinen zerrissenen Kleidern mitten in dem eroberten Plassans niederzulassen.
Frau von Condamin, die von dem scharfen Soldatengeruche, der seinem schäbigen Talar entstieg, sich verletzt fühlte, wollte ihn eines Tages in mütterlichem Tone auszanken:
Wissen Sie, daß die Damen anfangen, Sie zu verabscheuen, sagte sie lächelnd. Sie werfen Ihnen vor, daß Sie gar nichts mehr auf die Toilette halten ... Wenn Sie früher Ihr Taschentuch zogen, schien es, als ob ein Chorknabe ein Weihrauchfäßchen hinter Ihnen schwinge.
Er schien sehr erstaunt. Er habe sich nicht geändert, meinte er. Aber sie näherte sich ihm wieder und sagte in freundlichem Tone:
Mein lieber Pfarrer, gestatten Sie mir, offen mit Ihnen zu sprechen ... Sie tun unrecht, sich zu vernachlässigen. Ihr Bart ist kaum rasiert, Sie kämmen sich nicht mehr. Ihre Haare sind so wild durcheinander, als wenn Sie soeben mit jemandem gerauft hätten. Ich versichere Ihnen, das macht einen sehr üblen Eindruck ... Frau Rastoil und Frau Delangre sagten mir gestern, sie erkennen Sie kaum mehr. Sie schädigen Ihre Erfolge.
Er begann, höhnisch zu lachen, und schüttelte seinen ungepflegten, mächtigen Kopf.
Jetzt ist es geschehen, begnügte er sich zu antworten; sie werden mich wohl auch schlecht gekämmt nehmen müssen.
Plassans mußte ihn in der Tat schlecht gekämmt hinnehmen. Aus dem geschmeidigen Priester entwickelte sich eine düstere, herrische Gestalt, die jeden Willen beugte. Sein Gesicht, das wieder erdfahl geworden, schleuderte furchtbare Adlerblicke; seine plumpen Hände erhoben sich zu Drohungen und Züchtigungen. Die Stadt fürchtete sich wirklich, wenn sie den Gebieter, den sie sich gegeben, so maßlos heranwachsen sah mit den schäbigen Kleidern, dem scharfen Gerüche und dem rötlichen Haare. Die stumme Furcht der Frauen befestigte seine Macht noch mehr. Er war grausam gegen seine Beichtkinder, und doch wagte nicht eines ihn zu verlassen; mit einem süßen Schauder kamen sie immer wieder zu ihm.
Meine Liebe, gestand Frau von Condamin Martha, ich hatte unrecht zu wünschen, daß er sich parfümiere; ich gewöhne mich daran und finde sogar, daß er so vorteilhafter aussieht. Das ist ein Mann!
Der Abbé Faujas regierte besonders in der bischöflichen Residenz. Seit den Wahlen hatte er dem Bischof Rousselot das Leben eines nichtstuenden Prälaten eingeräumt. Der Bischof lebte seinen lieben Büchern in seinem Arbeitszimmer, wo der Abbé, der aus dem Nebenzimmer den Amtsbezirk leitete, ihn tatsächlich eingeschlossen hielt und ihn nur den Personen zeigte, denen er nicht mißtraute. Der Klerus zitterte vor diesem unumschränkten Herrn; die alten Priester mit weißen Haaren beugten sich in ihrer kirchlichen Demut und gaben jeden Willen auf. Oft weinte Bischof Rousselot, wenn er mit dem Abbé Surin eingeschlossen war, und vergoß schweigend bittere Tränen; er bedauerte die trockene Hand des Abbé Fenil, der doch manche Stunde freundlich war, während er sich jetzt unter einem unversöhnlichen, fortwährenden Drucke niedergehalten fühlte. Dann lächelte er, ergab sich in sein Schicksal und murmelte mit seinem liebenswürdigen Egoismus:
Nun, liebes Kind, machen wir uns an die Arbeit ... Ich sollte mich nicht beklagen; ich habe das Leben, das ich mir immer erträumt: Ganz allein, nur mit meinen Büchern.
Er seufzte und setzte leise hinzu:
Ich wäre glücklich, wenn ich nicht fürchtete, Sie zu verlieren, mein lieber Surin ... Er wird Sie schließlich hier nicht mehr dulden. Gestern schien es mir, als wenn er Sie mit verdächtigen Blicken ansehe. Ich beschwöre Sie darum, reden Sie immer wie er, stellen Sie sich auf seine Seite, schonen Sie mich nicht. Ach, ich habe nur Sie mehr.
Zwei Monate nach den Wahlen übersiedelte der Abbé Vial, einer der Großvikare des Bischofs, nach Rom. Natürlich setzte sich der Abbé Faujas an seine Stelle, obwohl sie schon seit langem Abbé Bourette versprochen war. Er verlieh letzterem auch nicht die Pfarre von Saint-Saturnin, die er aufgab; er setzte daselbst einen jungen, ehrgeizigen Priester ein, der sein Geschöpf war.
Se. bischöfliche Gnaden hat von Ihnen nichts hören wollen, sagte er trocken zu dem Abbé Bourette, als er ihm begegnete.
Als der alte Priester stotterte, daß er den Bischof besuchen und um eine Erklärung bitten wolle, fuhr er in sanfterem Tone fort:
Se. bischöfliche Gnaden ist zu leidend, um Sie zu empfangen. Verlassen Sie sich auf mich, ich vertrete Ihre Sache.
Sobald Herr Delangre in die Kammer eintrat, stimmte er mit der Majorität. Plassans war offen für das Kaisertum erobert. Es schien sogar, als führe der Abbé eine gewisse Rache aus, diese vorsichtigen Bürger vor den Kopf zu stoßen, indem er von neuem die kleinen Türen in der Sackgasse Chevillottes verrammeln ließ und so Herrn Rastoil und seine Freunde zwang, zu dem Unterpräfekten über den Platz durch die offizielle Türe sich zu begeben. Wenn er sich bei den vertraulichen Zusammenkünften zeigte, blieben diese Herren sehr unterwürfig vor ihm. So groß war die zauberische Macht, der stumme Schrecken, den seine große, vernachlässigte Gestalt verbreitete, daß in seiner Abwesenheit niemand wagte, über ihn ein zweideutiges Wort zu sprechen.
Es ist ein Mann von dem größten Verdienste, erklärte Herr Péqueur des Saulaies, der auf eine Präfektur rechnete.
Ein ganz hervorragender Mann, erklärte Doktor Porquier.
Alle nickten mit dem Kopfe. Herr von Condamin, den dieses übereinstimmende Lob schließlich ärgerte, machte sich manchmal das Vergnügen, die Leute in Verlegenheit zu bringen.
In jedem Falle hat er einen schlimmen Charakter, sagte er leise.
Diese Bemerkung machte die Gesellschaft schaudern. Jeder der Herren hatte seinen Nachbar im Verdachte, ein Spion des Abbé zu sein.
Der Großvikar hat ein ausgezeichnetes Herz, meinte Herr Rastoil vorsichtig, nur ist er wie alle großen Geister ein wenig zu streng.
Ganz so wie ich; mit mir ist sehr leicht auszukommen, und doch habe ich immer für einen hartherzigen Mann gegolten, rief Herr von Bourdeu aus, der sich mit der Gesellschaft wieder ausgesöhnt, nachdem er eine lange Unterredung unter vier Augen mit der Abbé Faujas gehabt hatte.
Der Präsident, der sich jedermann geneigt machen wollte, fragte:
Wissen Sie, daß man davon spricht, dem Großvikar ein Bistum zu verleihen?
Alle waren entzückt. Herr Maffre rechnete darauf, daß der Abbé Faujas in Plassans selbst Bischof werde, da Rousselot aus Gesundheitsrücksichten zurücktreten wolle.
Jeder werde dabei gewinnen, sagte in seiner Einfalt der Abbé Bourrette. Die Krankheit hat den Bischof erbittert, und ich weiß, daß unser ausgezeichneter Faujas die größten Anstrengungen macht, um in seinem Kopfe gewisse ungerechte Vorurteile zu zerstören.
Er hat Sie sehr gern, versicherte der Richter Paloque, der soeben einen Orden erhalten hatte; meine Frau hat ihn gehört, als er sich beklagte, daß man Sie ganz vergißt.
Wenn der Abbé Surin anwesend war, schloß er sich diesen Ansichten in; aber obwohl er nach der Redeweise der Priester des Amtsbezirkes den Bischofshut in der Tasche hatte, beunruhigte ihn doch der Erfolg des Abbé Faujas. Er sah ihn mit seinem hübschen Gesichte an und suchte, verletzt durch sein barsches Wesen, indem er sich an die Voraussage des Bischofs erinnerte, den Riß, der den Koloß zu Fall bringe.
Indes waren diese Herren befriedigt, ausgenommen Herr von Bourdeu und Herr Péqueur des Saulaies, die noch immer auf die Gnaden der Regierung warteten. Darum waren sie die eifrigsten Anhänger des Abbé Faujas. Die anderen hätten sich wirklich gern empört, wenn sie es gewagt hätten; sie waren der fortwährenden Dankbarkeit müde, die der Gebieter forderte, und wünschten eifrigst, daß eine mutige Hand sie befreie. Darum wechselten sie auch sonderbare Blicke, die sich sogleich wegwandten, als eines Tages Frau Paloque mit erheuchelter Gleichgültigkeit fragte:
Was wird denn aus dem Abbé Fenil? Ich habe seit einem Jahrhundert von ihm nicht reden hören.
Eine tiefe Stille trat ein. Herr von Condamin war allein imstande, sich auf ein so heikles Gebiet zu wagen; man sah auf ihn.
Ich glaube, erwiderte er ruhig, daß er sich auf seine Besitzungen in Tulettes zurückgezogen hat.
Frau von Condamin fügte mit spöttischem Lächeln hinzu:
Man kann ruhig schlafen. Er ist abgetan und mischt sich nie mehr in die Angelegenheiten von Hassans.
Martha allein blieb ein Hindernis. Der Abbé Faujas fühlte, wie sie mit jedem Tage mehr seinem Einfluß entschlüpfte; er festigte seinen Willen, nahm seine Kräfte als Priester und Mann zu Hilfe, um sie zu beugen, ohne daß es ihm gelang, in ihr die Glut zu dämpfen, die er in ihr entfacht hatte. Sie ging auf das natürliche Ziel jeder Leidenschaft zu und verlangte zu jeder Stunde mehr den Frieden, die Verzückung, das vollkommene Aufgehen in die göttliche Glückseligkeit. Sie hatte eine tödliche Angst, eine Gefangene ihres Fleisches zu sein, sich nicht zu jener Schwelle des Lichtes erheben zu können, die sie immer weiter, immer höher zu sehen glaubte. Jetzt fröstelte sie in der Kirche Saint-Saturnin, in diesem kalten Schatten, wo sie eine Vorahnung glühender Wonnen gekostet hatte; die rauschenden Orgeltöne gingen über ihr gebeugtes Haupt hinweg, ohne ihre krausen Haare in einem wollüstigen Schauer aufzurichten; die weißen Rauchwolken des Räucherfasses versenkten sie nicht mehr in ein geheimnisvolles Träumen; die leuchtenden Kapellen, die heiligen Kelche, die wie Sterne strahlten, die goldenen und silbernen Meßgewänder erblichen und versanken unter ihren tränenfeuchten Blicken. Dann hob sie wie eine ewig Verdammte, die von dem Feuer des Paradieses verzehrt wird, verzweiflungsvoll die Arme, begehrte nach dem Geliebten; der sich ihr entzog, und rief stammelnd:
Mein Gott! Mein Gott! Warum hast du dich von mir abgewendet?
Beschämt, gleichsam beleidigt durch die dumpfe Kälte der Gewölbe verließ Martha die Kirche mit dem Zorne einer verachteten Frau. Sie träumte von Martern, um ihr Blut hinzugeben; sie wand sich wütend in dieser Ohnmacht, weiter zu gehen als bis zum Gebet, sich nicht mit einem Sprunge in die Arme Gottes werfen zu können. Wenn sie dann heimkehrte, setzte sie ihre Hoffnung nur auf den Abbé Faujas. Er allein konnte ihr Gott geben; er hatte ihr die Freuden des Anfanges erschlossen, er mußte jetzt den Schleier ganz zerreißen. Sie bildete sich eine Reihe von frommen Übungen ein, die zur völligen Befriedigung ihres Wesens führen sollten. Aber der Priester geriet in Zorn und vergaß sich soweit, daß er sie grob behandelte, sich weigerte, sie anzuhören, bis sie nicht demütig und machtlos wie ein Leichnam auf den Knien lag. Sie hörte ihn stehend an, ihr ganzer Körper lehnte sich auf, und in ihren getäuschten Begierden grollte sie ihm und warf ihm den feigen Verrat vor, an dem sie hinsiechte.
Oft glaubte die alte Frau Rougon zwischen dem Abbé und ihrer Tochter vermitteln zu müssen, wie sie es früher zwischen dieser und Mouret getan. Martha hatte ihr ihren Kummer geklagt, und sie sprach mit dem Priester wie eine Schwiegermutter, die das Glück ihrer Kinder wünscht und die Zeit damit verbringt, in ihrem Hause Frieden zu stiften.
Hören Sie, sagte sie lächelnd zu ihm, können Sie denn nicht ruhig leben? Martha beklagt sich immer, und Sie scheinen fortwährend mit ihr zu schmollen ... Ich weiß wohl, daß die Frauen anspruchsvoll sind, aber gestehen Sie Ihrerseits, daß es Ihnen an Zuvorkommenheit fehlt ... Es macht mir wirklich Kummer; es wäre doch so leicht, sich zu verständigen! Ich bitte Sie, mein lieber Pfarrer, seien Sie gütiger!
Sie zankte ihn auch in dem gleich freundschaftlichen Tone wegen seines nachlässigen Äußeren aus. Sie fühlte als kluge Frau, daß er seinen Sieg mißbrauche. Dann entschuldigte sie ihre Tochter; das liebe Kind habe viel gelitten, ihre nervöse Empfindlichkeit verlange große Schonung; übrigens habe sie einen ausgezeichneten Charakter, ein liebebedürftiges Wesen, mit dem ein geschickter Mann alles machen könne, was er wollte. Doch als sie ihm eines Tages abermals riet, mit Martha zu tun, was er wolle, hatte der Abbe Faujas diese ewigen Ratschläge satt.
Nein, rief er in barschem Tone, Ihre Tochter ist verrückt, sie martert mich, ich will von ihr nichts mehr wissen: ... Ich würde den Burschen gut entlohnen, der mich von ihr befreit.
Frau Rougon sah ihn mit gespitzten Lippen scharf an.
Hören Sie, mein Lieber, erwiderte sie nach einer Pause, es fehlt Ihnen an Takt, und das wird Sie verderben. Richten Sie sich zugrunde, wenn es Sie freut. Ich wasche meine Hände in Unschuld. Ich habe Sie unterstützt nicht wegen Ihrer schönen Augen, sondern um unseren Freunden in Paris gefällig zu sein. Man schrieb mir, ich solle Sie führen; ich führte Sie ... Nur merken Sie sich wohl: Ich werde nicht dulden, daß Sie in meinem Hause als Herr auftreten. Mögen der kleine Péqueur und der Simpel Rastoil bei dem Anblicke Ihres Talars zittern, meinetwegen. Wir haben keine Furcht, wir wollen die Herren bleiben. Mein Mann hat Plassans vor Ihnen erobert, und wir behalten Plassans, das sage ich Ihnen im voraus.
Von diesem Tage an herrschte eine große Kühle zwischen den Rougon und dem Abbé Faujas. Als Martha sich wieder bei ihrer Mutter beklagte, sagte diese kurz:
Dein Abbé hält dich zum besten. Du findest bei diesem Manne nie die geringste Befriedigung. An deiner Stelle würde ich mich gar nicht scheuen, ihm meine Meinung ins Gesicht zu sagen. Dazu ist er seit einiger Zeit schmutzig wie ein Kamm; ich begreife nicht, wie du neben ihm essen kannst.
Frau Rougon hatte ihrem Gatten einen sehr pfiffigen Plan eingegeben. Es handelte sich darum, den Abbé zu stürzen und seine Erfolge auszunützen. Jetzt, wo die Stadt entsprechend stimmte, mußte Rougon, der nie einen offenen Feldzug hatte wagen wollen, allein genügen, sie auf dem guten Wege zu erhalten. Der grüne Salon würde dadurch nur noch mächtiger werden. Felicité wartete seit dieser Zeit mit jener ausdauernden List, der sie ihr Glück verdankte.
An dem Tage, wo ihre Mutter ihr erklärte, daß der Abbé sie zum besten halte, begab sich Martha nach der Kirche Saint-Saturnin mit blutendem Herzen, zu dem Äußersten entschlossen. Sie blieb zwei Stunden in der öden Kirche, indem sie sich in Gebeten erschöpfte, die Verzückung erwartete, und sich marterte, Erleichterung zu finden. Die Demut drückte sie zu Boden, die Empörung richtete sie wieder auf mit geschlossenen Zähnen, während ihr bis zum Wahnsinn gespanntes Wesen sich darin erschöpfte, nach dem Nichts zu haschen, nur das Leere ihrer Leidenschaft zu küssen. Als sie sich erhob und fortging, schien ihr der Himmel schwarz zu sein; sie fühlte nicht das Pflaster unter ihren Füßen, und die engen Straßen machten auf sie den Eindruck ungeheurer Einsamkeit. Sie warf Hut und Schal im Speisezimmer auf den Tisch und ging geradeswegs nach dem Zimmer des Abbé Faujas hinauf. Der Abbé saß nachdenklich vor seinem kleinen Tische; die Feder war ihm aus der Hand gefallen. Er öffnete ihr schnell; aber als er sie erblickte, ganz blaß und mit jenem glühendem Entschlüsse in ihren Augen, machte er eine zornige Gebärde.
Was wollen Sie? fragte er. Warum sind Sie heraufgekommen? ... Gehen Sie wieder hinunter und erwarten Sie mich, wenn Sie mir etwas zu sagen haben.
Sie schob ihn beiseite und trat ein, ohne ein Wort zu sagen.
Er zögerte einen Augenblick und kämpfte gegen die Roheit, die ihn schon die Hand erheben ließ. Er stand vor ihr, Auge in Auge, ohne die weit offenstehende Türe zu schließen.
Was wollen Sie? fragte er wieder; ich bin beschäftigt.
Dann schloß sie die Türe. Hierauf trat sie, da sie mit ihm allein war, näher. Endlich sagte sie:
Ich habe mit Ihnen zu sprechen.
Sie hatte sich gesetzt und blickte in dem Zimmer umher. Sie sah das schmale Bett, die armselige Kommode, das große Kruzifix aus schwarzem Holze, dessen plötzlicher Anblick an der kahlen Wand sie einen Augenblick schaudern machte. Ein eisiger Friede senkte sich von der Decke herab. Der Kamin war leer, nicht ein Stückchen Asche lag dort.
Sie werden sich eine Erkältung zuziehen, sagte der Priester ruhig. Ich bitte Sie, lassen Sie uns hinuntergehen.
Nein, ich habe mit Ihnen zu sprechen, wiederholte sie.
Mit gefalteten Händen wie eine Beichtende sagte sie:
Ich verdanke Ihnen vieles ... Vor Ihrer Ankunft war ich ohne Seele. Sie haben mein Heil gewollt. Durch Sie habe ich die einzigen Freuden meines Daseins kennen gelernt. Sie sind mein Retter und mein Vater. Seit fünf Jahren lebe ich nur durch Sie und für Sie.
Ihre Stimme brach, sie sank auf die Knie. Er hielt sie mit einer Gebärde aufrecht.
Nun denn, rief sie, heute leide ich; ich bedarf Ihrer Hilfe ... Hören Sie mich, mein Vater. Ziehen Sie sich nicht von mir zurück. Sie können mich nicht so verlassen ... Gott hört mich nicht mehr. Ich fühle ihn nicht mehr ... Haben Sie Mitleid, ich bitte Sie. Raten Sie mir, führen Sie mich zu diesen göttlichen Gnaden, deren erste Wonnen Sie mich erkennen ließen. Sagen Sie mir, was ich tun muß, um zu gesunden, um der Liebe Gottes näher zu kommen.
Sie müssen beten, sagte der Priester ernst.
Ich habe gebetet, ich habe stundenlang gebetet, den Kopf in die Hände vergraben, habe versucht, mich ganz in jedes Wort des Gebetes zu versenken, und ich war nicht erleichtert, ich fühlte Gott nicht.
Sie müssen beten, noch mehr beten, immer beten, bis Gott gerührt ist und zu Ihnen herabsteigt.
Sie sah ihn ängstlich an.
So gibt es denn nur das Gebet? fragte sie. Sie können nichts für mich tun?
Nein, nichts, erklärte er barsch.
Sie hob in einem Anfalle von Verzweiflung ihre Hunde empor, und der Zorn schnürte ihr die Kehle zu. Aber sie hielt an sich und stotterte:
Ihr Himmel ist geschlossen ... Sie habe mich bis hierher geführt, wo ich auf die Wand stoße. Ich lebte sehr ruhig, Sie erinnern sich, als Sie zu uns kamen. Ich wohnte in meinem Winkel ohne Wunsch, ohne Neugierde. Sie haben mich mit Worten geweckt, die mein Herz umwandten. Sie haben mir eine zweite Jugend erschlossen ... Ach, Sie wissen nicht, welche Freuden Sie mir im Anfange bereiteten! Eine milde Wärme durchdrang mein Innerstes. Ich hörte mein Herz. Ich hatte eine unermeßliche Hoffnung. Mit vierzig Jahren kam es mir manchmal lächerlich vor, und ich lächelte; dann verzieh ich mir, so glücklich fühlte ich mich ... Aber jetzt will ich den Rest des versprochenen Glückes. Es kann nicht alles sein. Es gibt noch etwas, nicht wahr? Verstehen Sie wohl, daß ich dieses fortwährenden Begehrens müde bin, daß dieses Begehren mich verzehrt, mich ins Grab bringt! Ich muß mich beeilen, denn ich bin nicht mehr gesund; ich will nicht betrogen sein ... Es gibt noch etwas; sagen Sie mir, daß es noch etwas gibt.
Der Abbé Faujas blieb unerbittlich, diese Flut von glühenden Worten ging spurlos an ihm vorüber.
Es gibt nichts! Es gibt nichts! fuhr sie erregt fort; dann haben Sie mich getäuscht ... Sie haben mir den Himmel versprochen da unten auf der Terrasse in den sternenhellen Nächten. Ich habe es hingenommen. Ich habe mich verkauft, ich habe mich überliefert. Ich war wahnsinnig in dieser ersten Inbrunst des Gebetes ... Heute gilt der Handel nicht mehr. Ich will in meinen Winkel zurückkehren, mein ruhiges Leben wiederfinden. Ich werde alle zur Türe hinausjagen, mein Haus in Ordnung bringen und auf meinem gewohnten Platze auf der Terrasse wieder Wäsche ausbessern ... Ja, ich besserte so gern Wäsche aus. Das Nähen ermüdete mich nicht... Ich will, daß Desirée bei mir ist auf ihrer kleinen Bank; sie lachte, sie machte Puppen, die liebe Unschuld ...
Sie schluchzte.
Ich will meine Kinder! ... Sie beschützten mich. Als sie nicht mehr da waren, verlor ich den Kopf; ich habe ein schlechtes Leben begonnen ... Warum haben Sie sie mir genommen? ... Sie sind eines nach dem anderen fort, und das Haus ist mir wie fremd geworden. Ich hatte daselbst kein Herz mehr. Ich war froh, wenn ich es des Nachmittags verlassen konnte; wenn ich dann abends heimkehrte, war es mir, als wenn ich zu Fremden ginge ... Selbst die Möbel schienen mir fremd und kalt ... Ich haßte das Haus ... Aber ich werde mir die armen Kleinen wieder holen. Sie werden durch ihre Rückkehr hier alles verändern ... Ach, wenn ich wieder in meinen guten Schlaf sinken könnte!
Sie wurde immer erregter. Der Priester versuchte sie durch ein Mittel zu beruhigen, das ihm oft gelungen war.
Seien Sie doch vernünftig, liebe Frau, sagte er, indem er sich ihrer Hände zu bemächtigen suchte, um sie zwischen den seinigen zu halten.
Rühren Sie mich nicht an! rief sie und wich zurück. Ich will nicht ... Wenn Sie mich halten, bin ich schwach wie ein Kind. Die Wärme Ihrer Hände erfüllt mich mit Feigheit ... Ich würde morgen wieder anfangen; ich kann nicht mehr leben, und Sie beruhigen mich nur für eine Stunde.
Sie war wieder tief traurig geworden.
Nein, sagte sie leise, ich bin nunmehr verdammt. Nimmermehr gewinne ich mein Haus lieb. Und wenn die Kinder kämen, würden sie nach ihrem Vater fragen ... Das erstickt mich! ... Mir wird nicht eher verziehen sein, als bis ich mein Verbrechen einem Priester gebeichtet habe.
Sie fiel auf die Knie.
Ich bin strafbar, deshalb wendet sich das Antlitz Gottes von mir.
Doch der Abbé wollte sie aufheben.
Schweigen Sie! rief er ihr heftig zu. Ich kann Ihr Geständnis hier nicht entgegennehmen. Kommen Sie morgen in die Kirche Saint-Saturnin.
Mein Vater, begann sie wieder in flehentlichem Tone, haben Sie Mitleid! Morgen habe ich nicht mehr die Kraft!
Ich verbiete Ihnen zu sprechen, rief er noch heftiger, ich will nichts wissen, ich werde mich wegwenden und die Ohren verschließen.
Er wich mit ausgestreckten Armen zurück, als wenn er das Geständnis auf ihren Lippen aufhalten wolle. Beide sahen sich einen Augenblick schweigend an mit dem stummen Zorne ihrer gemeinsamen Schuld.
Nicht ein Priester würde Sie hören, fügte er mit erstickter Stimme hinzu. Nur ein Mann ist hier, um Sie zu richten und zu verurteilen.
Ein Mann! wiederholte sie verwirrt. Gut, um so besser. Ich ziehe einen Mann vor.
Sie erhob sich und fuhr mit fieberhafter Hast fort:
Ich beichte nicht, ich gestehe Ihnen meine Schuld. Nach den Kindern habe ich den Vater ziehen lassen. Der Unglückliche hat mich nie geschlagen! Ich war wahnsinnig! Ich fühlte durch meinen ganzen Körper ein Brennen, ich zerkratzte mich, ich verlangte nach den kalten Steinen des Fußbodens, um mich zu beruhigen. Dann schämte ich mich, weil mich die Leute ganz nackt sahen, so sehr, daß ich nicht zu sprechen wagte. Wenn Sie wüßten, welch fürchterliche Schreckbilder mich niederwarfen! Die Hölle drehte sich mir im Kopfe! Der arme Mann tat mir leid, wenn er so mit den Zähnen klapperte. Er fürchtete sich vor mir. Wenn Sie nicht mehr da waren, wagte er nicht, sich mir zu nähern; er verbrachte die Nacht auf einem Stuhle.
Der Abbé Faujas suchte sie zu unterbrechen.
Sie töten sich, sagte er. Erwecken Sie nicht diese Erinnerungen. Gott wird Ihnen diese Leiden anrechnen.
Ich habe ihn in das Irrenhaus geschickt, fuhr sie fort, indem sie mit einer energischen Bewegung dem anderen Schweigen gebot. Ihr alle sagtet mir, daß er irrsinnig sei ... Ach, welch ein unerträgliches Leben! Immer fürchte ich, wahnsinnig zu werden. Als ich jung war, schien es mir, als hebe man mir die Schädeldecke weg und nehme mir das Gehirn. Ich hatte es wie einen Eisblock auf meiner Stirn. Dieses Gefühl der Totenkälte habe ich wieder; ich fürchte immer, wahnsinnig zu werden ... Ihn hat man fortgeschafft. Ich habe es geschehen lassen. Ich wußte es nicht mehr. Aber seit jener Zeit kann ich die Augen nicht mehr schließen, ohne ihn zu sehen. Es verwandelte mich so ganz eigentümlich; es hält mich stundenlang auf demselben Platz mit offenen Augen fest ... Ich kenne das Haus, ich sehe es. Der Onkel Macquart hat es mir gezeigt. Es ist ganz grau wie ein Gefängnis und hat düstere Fenster.
Sie stöhnte. Sie führte ein Taschentuch an die Lippen, das sich mit einigen Blutstropfen färbte. Der Priester wartete mit gekreuzten Armen ruhig das Ende der Erregung ab.
Sie wissen alles, nicht wahr? vollendete sie stammelnd. Ich bin eine Elende, ich habe um Ihretwillen gesündigt ... Aber geben Sie mir das Leben, geben Sie mir die Freude, und ich gehe ohne Gewissensbisse in dieses überirdische Glück ein, das Sie mir versprochen haben.
Sie lügen, sagte der Priester langsam, ich weiß nichts, mir ist es unbekannt, daß Sie dieses Verbrechen begangen haben.
Sie wich zurück, die Hände gefaltet, zitternd und sah ihn mit schrecklichen Blicken an. Dann geriet sie außer sich, verlor schier das Bewußtsein und sagte in vertraulichem Tone:
Hören Sie, Ovid, ich liebe Sie, und Sie wissen es, nicht wahr? Ich habe Sie geliebt, Ovid, von dem Tage an, da Sie hierherkamen ... Ich sagte es Ihnen nicht. Ich sah, daß es Ihnen mißfiel. Aber ich fühlte wohl, daß Sie mein Herz errieten. Ich war zufrieden; ich hoffte, daß wir eines Tages in einer göttlichen Vereinigung glücklich sein könnten ... Dann habe ich um Ihretwillen das Haus geleert. Ich habe mich auf den Knien fortgeschleppt, ich bin Ihre Magd gewesen ... Sie können doch nicht bis zu Ende grausam sein. Sie haben in alles eingewilligt, Sie haben mir erlaubt, Ihnen allein anzugehören, die Hindernisse zu beseitigen, die uns trennten. Erinnern Sie sich dessen, ich flehe Sie darum an. Jetzt bin ich krank, verlassen, mein Herz ist gebrochen, mein Kopf leer, Sie können mich unmöglich zurückstoßen ... Wir haben nichts laut gesagt, nicht wahr? Aber meine Liebe sprach, und Ihr Schweigen antwortete. An den Mann wende ich mich, nicht an den Priester. Sie haben mir gesagt, daß nur ein Mann da sei. Der Mann wird mich hören ... Ich liebe Sie, Ovid, ich liebe Sie, und ich sterbe daran.
Sie schluchzte. Der Abbé Faujas hatte sich aufgerichtet. Er trat auf Martha zu und ließ seine Verachtung gegen das Weib auf sie niederfahren.
Ha, elendes Fleisch! sagte er. Ich glaubte, daß Sie Vernunft annehmen würden, daß Sie es nicht zu dieser Schande würden kommen lassen, mir diese Gemeinheiten zu sagen ... Ja, das ist der ewige Kampf des Bösen gegen den starken Willen. Sie sind die Versuchung der Hölle, die Feigheit, der schließliche Sturz. Der Priester hat nur euch zum Feinde, und man sollte euch aus den Kirchen jagen wie unreine und verfluchte Wesen.
Ich liebe Sie, Ovid, stotterte sie wieder. Ich liebe Sie, helfen Sie mir!
Ich habe mich Ihnen schon zu viel genähert, fuhr er fort. Wenn ich falle, hast du, Weib, mir durch deine Begierde meine Kraft genommen. Geh' von hinnen, du bist der Satan! Ich schlage dich sonst, um den bösen Geist aus deinem Körper zu treiben.
Sie sank an die Mauer, stumm vor Schreck angesichts der Faust, mit der sie der Priester bedrohte. Ihre Haare lösten sich, eine große weiße Locke hing ihr über die Stirn. Als sie in dem kahlen Zimmer Hilfe suchend das hölzerne Kruzifix erblickte, hatte sie noch die Kraft, mit einer leidenschaftlichen Bewegung die Hände nach ihm auszustrecken.
Flehen Sie nicht das Kreuz an, rief der Priester zornig. Jesus hat keusch gelebt und deshalb zu sterben gewußt.
Frau Faujas kehrte heim am Arm einen großen Korb mit Vorräten. Sie setzte ihn schnell ab, als sie ihren Sohn in diesem schrecklichen Zorne sah. Sie erfaßte ihn bei den Armen und sagte zärtlich zu ihm:
Ovid, beruhige dich, mein Kind.
Dann wandte sie sich mit einem wütenden Blicke gegen die niedergeschmetterte Martha:
Sie können ihn nicht in Ruhe lassen! ... Er will von Ihnen nichts wissen, machen Sie ihn wenigstens nicht krank. Gehen Sie hinunter; Sie dürfen nicht da bleiben!
Martha rührte sich nicht. Frau Faujas mußte sie aufheben und zur Tür drängen; sie zankte, warf ihr vor, daß sie nur gewartet habe, bis sie ausgegangen sei und nahm ihr das Versprechen ab, nicht mehr heraufzukommen, um das Haus durch solche Auftritte in Aufruhr zu bringen. Dann schloß sie heftig die Tür hinter ihr.
Martha ging wankend hinunter. Sie weinte nicht. Sie sagte wiederholt:
François wird zurückkehren; François jagt alle hinaus.