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Am folgenden Tage besuchte Madame Rougon ihre Tochter Martha; es war ein großes Ereignis, denn zwischen dem Schwiegersohn und den Eltern seiner Frau war seit der Wahl des Marquis de Lagrifoul eine kleine Spannung eingetreten, da Mouret auf dem Lande sehr für ihn sollte eingetreten sein. Martha besuchte daher immer allein ihre Eltern. Ihre Mutter, die »schwarze Felicité«, wie man sie nannte, war trotz ihrer Sechsundsechzig Jahre mager und lebhaft wie ein junges Mädchen. Sie ging nur in Seidenkleidern aus, die mit Falbeln stark besetzt waren. Gelb und kastanienbraun waren ihre Lieblingsfarben.
Als sie an diesem Tage ihren Besuch machte, waren nur Martha und Mouret in dem Speisezimmer.
Was! Die Mutter! rief dieser überrascht aus. Was will denn die hier? Seit einem Monat hat sie uns nicht besucht! ... Gewiß steckt wieder etwas Schlimmes dahinter!
Die Rougons, bei denen er vor seiner Verheiratung Handlungsgehilfe gewesen war, flößten ihm, seitdem ihr Geschäft in dem alten Viertel dem Untergang nahe war, immer Mißtrauen ein. Übrigens konnten sie ihn auch nicht leiden, weil er ein Geschäftsmann war, der es viel zu schnell zu etwas gebracht hatte. Wenn daher ihr Schwiegersohn sagte: Ich verdanke mein Vermögen nur meiner Arbeit, so bissen sie sich in die Lippen; sie verstanden wohl, daß er ihnen damit vorwarf, sie hätten das ihrige durch unsaubere Geschäfte erworben. Felicité beneidete trotz ihres schönen Hauses auf dem Präfekturplatze die Mourets um ihren ruhigen Wohnsitz mit der Eifersucht einer ehemaligen Geschäftsfrau, die ihre Wohlhabenheit nicht der Sparsamkeit verdankt.
Felicité küßte Martha auf die Stirn, als wenn sie noch immer sechzehn Jahre alt sei; dann reichte sie Mouret die Hand, und beide sprachen in einem ziemlich höhnischen Tone miteinander.
Nun, fragte sie lächelnd, haben Sie, Revolutionär, die Gendarmen noch nicht geholt?
Nein, bis jetzt noch nicht, erwiderte dieser ebenfalls lachend. Sie warten nur erst auf die Befehle Ihres Mannes.
Ah, sehr schön, was Sie da sagen, versetzte Felicité, deren Augen zornig aufleuchteten.
Martha warf ihrem Gatten einen flehentlichen Blick zu; er war wirklich zu weit gegangen. Aber er war nun einmal im Zuge und sagte:
Wir denken doch an gar nichts! Wir empfangen Sie da im Speisezimmer! Bitte doch in den Salon zu kommen!
Es war einer seiner gewöhnlichen Spaße. Er ahmte das vornehm sein sollende Auftreten Felicités nach, wenn er ihren Besuch empfing. Martha erklärte vergebens, daß es doch hier ganz schön sei, sie und ihre Mutter mußten ihm in den Salon folgen. Dort machte er sich sehr viel zu schaffen: er öffnete die Fenster und schob die Stühle zurecht. Der Salon, den man nie betrat und dessen Fenster selten geöffnet wurden, war ein großer, ziemlich vernachlässigter Raum; die Möbelstücke waren mit einem Leinenüberzug verhüllt und ganz gelb von der Feuchtigkeit des Gartens.
Es ist schrecklich, sagte Mouret und wischte von einem Kasten den Staub ab, Rosa läßt alles zugrunde gehen.
Dann wandte er sich an seine Schwiegermutter und sagte in einem deutlich spöttischen Tone:
Sie entschuldigen, daß wir Sie in unserem armseligen Zimmer empfangen ... Es kann nicht jeder reich sein.
Felicité kochte. Sie sah einen Augenblick Mouret scharf an und wollte losbrechen; dann aber nahm sie sich zusammen und schlug die Augen nieder. Als sie sich beruhigt hatte, sagte sie in liebenswürdigem Tone:
Ich habe soeben der Frau von Gondamin einen guten Tag gewünscht und komme zu euch, um zu sehen, was die Kinder machen ... Sie sind doch wohlauf? Sie auch, Herr Mouret?
Ja, es geht jedem von uns gut, erwiderte dieser, über diese große Güte ganz überrascht.
Aber die alte Frau ließ ihm keine Zeit, dem Gespräch wieder eine feindselige Wendung zu geben; sie fragte Martha nach hunderterlei unnützen Dingen, spielte sich auf die gute Großmama hinaus und zankte mit dem Schwiegersohn, weil er ihr nicht öfter »die Kleinen und die Kleine« ins Haus schicke, die sie doch so gern sehe!
Jetzt haben wir Oktober, meinte sie gleichgültig, und da empfange ich wieder jeden Donnerstag Gesellschaft wie früher ... Ich kann doch auf dich rechnen, liebe Martha? Und Sie wird man doch auch manchmal bei uns sehen, Mouret? Oder sind Sie noch immer böse?
Mouret, den das zärtliche Geplauder seiner Schwiegermutter schließlich verwirrte, war um die Antwort verlegen. Er war auf diesen Streich nicht gefaßt, fand nichts Boshaftes und begnügte sich, ihr zu erwidern:
Sie wissen ja, daß ich nicht zu Ihnen kommen kann ... Sie empfangen eine Menge Leute, die mir gern unangenehm werden möchten. Außerdem will ich mich auch nicht in die Politik mischen.
Da sind Sie im Irrtum, erwiderte Felicité. Ist denn mein Salon ein Klub? Das will ich durchaus nicht. Die ganze Stadt weiß, daß ich bestrebt bin, mein Haus angenehm zu machen. Wenn man bei mir politisiert, so geschieht es nur in den Winkeln. Die Politik, versichere ich Ihnen, ist mir ehemals sehr langweilig geworden ... Warum sagen Sie es überhaupt?
Sie empfangen die ganze Bande von der Unterpräfektur, erwiderte Mouret in wegwerfendem Tone.
Die Bande von der Unterpräfektur? Die Bande von der Unterpräfektur? Ganz richtig, ich empfange diese Herren, aber ich glaube nicht, daß man diesen Winter oft Herrn Péqueur des Saulaies bei mir sehen wird, denn mein Mann hat ihm anläßlich der Wahlen seine Meinung gesagt. Er hat sich foppen lassen wie ein Tölpel. Seine Freunde aber sind Herren aus der guten Gesellschaft ... Herr Delangre, Herr de Condamin sind sehr liebenswürdig, der biedere Paloque ist die Güte selbst, und gegen den Doktor Porquier haben Sie auch nichts einzuwenden.
Mouret zuckte mit den Achseln.
Übrigens, fuhr sie nachdrücklich fort, empfange ich auch die Bande des Herrn Rastoil, so den würdigen Herrn Maffre und unseren gelehrten Freund, den Herrn von Bourdeu, den ehemaligen Präfekten ... Sie sehen, wir sind nicht einseitig; alle Meinungen sind bei uns vertreten. Es käme niemand zu mir, wenn ich meine Gäste nur aus einer Partei wählen würde. Wir wollen in unserem Salon alle hervorragenden Persönlichkeiten von Plassans sehen ... Mein Salon ist neutrales Gebiet. Ja, Mouret, merken Sie sich das wohl, neutrales Gebiet, das ist das richtige Wort.
Sie war bei diesen Worten in Erregung geraten, wie es überhaupt ihre Gewohnheit war, wenn sie auf diesen Gegenstand zu sprechen kam. Sie war stolz auf ihren Salon, in dem sie nicht als Haupt einer Partei, sondern als Frau der vornehmen Gesellschaft glänzen wollte. Freilich sagten die intimen Freunde ihr nach, daß sie mehr eine Versöhnung der Parteien zugunsten des Kaiserreichs anbahnen wolle und daß hinter dieser Taktik ihr Sohn Eugen, der Minister stecke, von dem sie den Auftrag hatte, in Plassans die Milde und Güte des Kaiserreichs zu vertreten.
Sie können sagen, was Sie wollen, versetzte Mouret ruhig, Ihr Maffre ist ein Betbruder, Ihr Bourdeu ein Tölpel und die anderen zum großen Teile Halunken. So denke ich darüber ... Übrigens danke ich Ihnen für Ihre Einladung. Es würde mich aber in meiner Lebensordnung stören. Ich bin gewohnt, mich zeitig niederzulegen. Ich bleibe zu Hause.
Felicité erhob sich und drehte Mouret den Rücken.
Ich rechne immerhin auf dich, sagte sie zu ihrer Tochter.
Gewiß, erwiderte Martha, die die schroffe Behandlung ihres Mannes dadurch mildern wollte.
Die alte Frau ging fort, besann sich aber eines anderen. Sie wünschte Desirée, die sie im Garten bemerkte, einen Kuß zu geben. Da sie nicht wollte, daß man das Kind hole, stieg sie selbst auf die Terrasse hinunter, die von einem leichten Morgenregen noch naß war. Hier liebkoste sie ihre Enkelin, die ein wenig scheu vor ihr stehen blieb. Dann sah sie wie zufällig zu den verhängten Fenstern des zweiten Stockes empor und rief erstaunt aus:
Ja, habt ihr denn da oben vermietet? ... Richtig, ich erinnere mich, an einen Priester ... Was ist denn das für ein Mann?
Mouret sah sie scharf an, denn er argwöhnte, sie sei nur wegen des Abbé Faujas gekommen.
Mein Wort, sagte er, ohne den Blick von ihr zu wenden, ich weiß gar nichts. Oder können Sie mir vielleicht etwas über ihn sagen?
Ich? rief sie überrascht aus. Ich habe ihn noch gar nicht gesehen ... Warten Sie, ich weiß nur, daß er Vikar in der Kirche zu Saint-Saturnin ist, wie mir Abbé Bourrette gesagt hat. Richtig, den könnte ich mir zu meinen Donnerstagen einladen, denn der Direktor des Seminars und der Sekretär des Bischofs kommen ebenfalls.
Wenn du den Herrn siehst, sagte sie zu Martha, so kannst du ihn ausholen, ob ihm eine Einladung angenehm ist.
Wir sehen ihn fast gar nicht, beeilte sich Mouret zu erwidern. Er kommt und geht, ohne ein Wort zu sprechen ... Außerdem geht es uns nichts an.
Dabei warf er ihr wieder einen mißtrauischen Blick zu, denn gewiß wußte sie mehr über den Abbé, als sie sagen wollte. Doch hielt sie seinen Blick ruhig aus.
Es bleibt sich mir ganz gleich, sagte sie ohne jede Aufregung, wenn er ein Mann von passendem Benehmen ist, werde ich immer noch Gelegenheit haben, ihn einzuladen ... Auf Wiedersehen, Kinder!
Sie ging die Treppe wieder hinauf, als eben ein großer, bejahrter Mann in der Haustüre erschien. Rock und Hosen waren von blauem Tuche; den Kopf bedeckte eine Pelzmütze, die er bis zu den Augen herabgezogen hatte; in der Hand hielt er eine Peitsche.
Ei, das ist ja Onkel Macquart, rief Mouret aus und sah seine Schwiegermutter neugierig an.
Felicité machte eine verdrießliche Bewegung. Macquart, ein natürlicher Bruder Rougons, war dank den Bemühungen des letzteren nach Frankreich zurückgekehrt, nachdem er sich in der Bewegung vom Jahre 1851 kompromittiert hatte. Seit seiner Rückkehr aus Piemont lebte er als behäbiger Spießbürger. Er hatte, man wußte nicht mit welchem Gelde, ein kleines Haus in dem Dorfe Tulettes, drei Meilen von Plassans, gekauft. Daselbst richtete er sich allmählich recht behaglich ein und kaufte sich schließlich sogar ein Pferd und einen Karren, so daß er immer auf der Straße gesehen wurde, die Pfeife im Munde, im Sonnenlichte sich badend und mit der zufriedenen Miene eines Wolfes, der seine Beute in Sicherheit gebracht hat, die Zähne fletschend. Die Feinde der Rougons flüsterten einander zu, daß die beiden Brüder irgendein Verbrechen zusammen begangen hätten und daß Pierre Rougon den Antoine Macquart aushalte.
Guten Tag, Onkel! rief Mouret mit besonderer Betonung aus. Sie besuchen uns auch einmal?
Freilich, erwiderte Macquart in gemütlichem Tone. Du weißt, jedesmal wenn ich nach Plassans komme ... Ei, ei, wenn ich gewußt hätte, daß Felicité da ist ... Ich wollte Rougon besuchen, dem ich eine Mitteilung zu machen habe.
Gewiß war er zu Hause, unterbrach sie lebhaft. Nicht wahr? Es ist gut, Macquart.
Freilich, er war zu Hause, versetzte ruhig der Onkel. Ich habe ihn angetroffen und wir haben zusammen geplaudert. Er ist wirklich ein guter Mensch.
Er lachte dabei. Während Felicité nicht wußte, was sie aus Besorgnis um ihren Mann vorbringen sollte, sagte Macquart in einem Tone, der deutlich erkennen ließ, daß er sich über jeden lustig mache:
Mouret, mein Junge, ich habe dir in einem Korbe zwei Kaninchen mitgebracht und sie vorhin Rosa gegeben ... Ich hatte auch zwei für Rougon in dem Korbe; Felicité, Sie finden sie zu Hause und können gelegentlich sagen, wie sie Ihnen gefallen. Sind die fett! Ich habe sie besonders für Sie gemästet ... Ja, liebe Kinder, es macht mir immer ein Vergnügen, wenn ich euch etwas schenken kann.
Felicité stand da mit bleichen Wangen und eingekniffenen Lippen, während Mouret sie fortwährend lächelnd ansah. Sie wäre gerne fortgegangen, aber sie fürchtete, daß man über sie reden werde, wenn sie Macquart hier ließ.
Ich danke, Onkel, sagte Mouret. Ihre letzten Pflaumen waren sehr gut ... Wollen Sie ein Glas Wein trinken?
Warum denn nicht?
Als Rosa ihm ein Glas Wein brachte, setzte er sich auf das Geländer der Terrasse und schlürfte den Wein, nachdem er ihn gegen das Licht gehalten hatte.
Der kommt aus dem Viertel Saint-Eutrope, meinte er leise. Mich täuscht man nicht, ich kenne mein Land. Und er schüttelte grinsend den Kopf.
Mouret fragte ihn plötzlich, wobei er auf seine Worte eine besondere Betonung legte:
Wie geht es denn in Tulettes?
Er blickte auf, sah jeden an, schnalzte noch einmal mit der Zunge, stellte das Glas auf den Stein und erwiderte nachlässig:
Nicht schlecht ... Ich habe erst vorgestern Nachricht von ihr erhalten; es geht immer gleich.
Felicité hatte den Kopf abgewendet, und es trat Stillschweigen ein. Mouret hatte eine empfindliche Wunde berührt, indem er auf die Mutter Rougons und Macquarts anspielte, die seit einigen Jahren im Irrenhause zu Tulettes eingesperrt war. Der kleine Besitz Macquarts lag in der Nachbarschaft und es schien, als habe Rougon den alten Halunken als Aufseher über die Mutter bestellt.
Es wird spät, meinte Macquart schließlich und stand auf. Ich muß vor Einbruch der Nacht zu Hause sein ... Also, Mouret, du besuchst mich bestimmt an einem der nächsten Tage. Du hast es mir versprochen.
Ich komme, Onkel, ich komme!
Nein, nicht du allein. Alle müssen kommen, hörst du, alle! ... Mir ist es draußen gar so langweilig. Ich will für euch fein kochen.
Dann wandte er sich an Felicité:
Wollen Sie Rougon sagen, ich rechne auf ihn und auf Sie. Daß die Mutter dort ist, soll euch nicht abhalten zu kommen, man wird sich doch noch ein wenig zerstreuen dürfen. Sie befindet sich wohl und ist in guten Händen. Sie können sich darauf verlassen ... Ich trage Ihnen einen Wein auf, einen Wein vom Abhang des Seille-Gebirges, der euch schmecken soll!
Während er dies sagte, ging er zur Türe, und Felicité folgte ihm so dicht, daß es schien, als ob sie ihn hinausdränge. Alle begleiteten ihn auf die Straße. Er band eben sein Pferd von dem Gitter los, als der Abbé Faujas heimkehrte und mit einem Gruße durch die Gruppe schritt. Wie ein schwarzer Schatten eilte er geräuschlos in das Haus. Felicité sah ihm erstaunt nach, ohne imstande zu sein, sein Gesicht zu erblicken, während Macquart verwundert den Kopf schüttelte.
Was, rief er aus, du hast jetzt Priester bei dir wohnen? Mein Junge, der hat einen sonderbaren Blick. Nimm dich in acht: Kutten bringen kein Glück ins Haus!
Er schwang sich auf den kleinen Wagen, schnalzte mit der Zunge und fuhr im Trab die Balande-Straße hinunter, so daß sein breiter Rücken bald hinter der Ecke der Taravelle-Straße verschwand. Als Mouret sich umdrehte, sagte eben seine Schwiegermutter zu Martha:
Es wäre mir lieber, du würdest es übernehmen, damit die Einladung nicht gar so feierlich wird. Wenn du mit ihm darüber sprechen könntest, würdest du mir eine besondere Freude machen.
Sie schwieg plötzlich, weil sie merkte, daß sie belauscht wurde. Sie küßte Desirée sehr zärtlich und brach dann auf, nachdem sie sich noch durch einen Blick versichert hatte, daß Macquart nicht zurückkehre, um sich auf ihre Kosten lustig zu machen.
Ich will nicht, daß du dich in die Angelegenheiten deiner Mutter mischest, sagte Mouret zu seiner Frau, als sie wieder in das Haus gingen. Sie hat immer eine Menge Geschäfte, in denen sich kein Mensch auskennt. Was sie nur mit dem Abbé anfangen will? Sie muß einen besonderen Grund haben, ihn einzuladen. Und dieser Abbé ist auch nicht umsonst von Besançon nach Plassans gekommen. Dahinter steckt etwas.
Martha begann wieder die Hauswäsche auszubessern, was sie oft den ganzen Tag in Anspruch nahm. Mouret ging eine Weile hin und her und sagte dann leise:
Der alte Macquart und deine Mutter gefallen mir wirklich; sie können einander nicht ausstehen. Hast du bemerkt, wie sie aufgeregt ward, als sie ihn erblickte? Mir kommt es vor, als fürchte sie jeden Augenblick, daß er etwas sage, was man nicht wissen soll ... Er kann vielleicht saubere Dinge erzählen. Aber mich sieht man nicht in seinem Hause, das habe ich geschworen ... Mein Vater hatte recht, als er meinte, die Familie meiner Mutter, diese Rougons und Macquarts seien nicht einen Strick wert, um sie aufzuhängen. Ich stamme von ihnen ab wie du, es können daher meine Worte dich nicht verletzen. Ich sage es dir nur, weil es wahr ist. Sie haben heute ein Vermögen, aber das hat sie nicht reingewaschen, im Gegenteil!
Er ging dann auf die Promenade Sauvaire, wo er seine Freunde traf, mit denen er von dem Wetter, der Ernte und den Stadtneuigkeiten sprach. Da er am folgenden Tage einen bedeutenden Geschäftsabschluß in Mandeln zu machen hatte, war er mehr als eine Woche so beschäftigt, daß er fast gar nicht an den Abbé Faujas dachte. Übrigens fand er diesen schon zu langweilig, weil er gar so wenig sprach. Er ging ihm zweimal absichtlich aus dem Wege, weil er glaubte, daß der andere gern alles über die Gäste der Unterpräfektur und der Rastoils wissen möchte. Rosa hatte ihm erzählt, daß Madame Faujas versucht hatte, mit ihr zu plaudern; darum war er fest entschlossen, kein Wort mehr zu sagen.
Mouret hatte jetzt in seinen Mußestunden eine andere Unterhaltung. Wenn er die Fenster des zweiten Stockes so dicht verhängt sah, brummte er:
Versteck' dich nur, mein Bester! ... Ich weiß doch, daß du mich hinter den Vorhängen belauerst. Aber das nutzt dir wenig. Wenn du durch mich die Nachbarn kennen lernen willst, kannst du lange warten.
Der Gedanke, daß der Abbé Faujas auf der Lauer lag, machte ihm eine außerordentliche Freude, und er gab sich viel Mühe, in keine Falle zu gehen.
Als er eines Abends heimkehrte, sah er in einer Entfernung von fünfzig Schritten den Abbé Bourrette und den Abbé Faujas vor der Türe des Herrn Rastoil stehen. Er versteckte sich hinter einem Hause. Die beiden Priester sprachen länger als eine Viertelstunde miteinander, trennten sich und gingen wieder aufeinander zu. Mouret glaubte zu verstehen, daß der Abbé Bourrette den Abbé Faujas bat, ihn zu dem Präsidenten zu begleiten. Dieser entschuldigte sich zuerst und lehnte schließlich ungeduldig ab. Es war Dienstag und Herr Rastoil hatte seine Gesellschaft. Endlich ging der Abbé Bourrette hinein, während Faujas in seinem demütigen Gange seiner Wohnung zuschritt. Mouret war nachdenklich. Warum ging der Abbé nicht mit zu Herrn Rastoil, wo doch heute Gesellschaft war? Befand sich doch die ganze Pfarre von Saint-Saturin dort, so der Abbé Fenil, der Abbé Surin und andere mehr; es gab keinen Schwarzrock in Plassans, der sich nicht bei dem Wasserfalle des Herrn Rastoil einfand, um da frische Luft zu schöpfen. Daß der neue Vikar nicht hingehen wollte, war sehr auffallend.
Als Mouret nach Hause kam, begab er sich sofort in den Garten, von wo aus er die Fenster des zweiten Stockes beobachtete. Richtig bewegte sich nach einigen Augenblicken der Vorhang des einen Fensters; sicherlich war der Abbé da, um die Gesellschaft bei Rastoil zu beobachten. Aus gewissen Bewegungen des Vorhangs schloß Mouret, daß der Priester gleicherweise nach dem Garten der Unterpräfektur schaute.
Als Mouret am folgenden Tage – es war ein Mittwoch – das Haus verließ, meldete ihm Rosa, daß der Abbé Bourrette schon seit einer Stunde bei den Mietern oben sei. Daraufhin eilte er in das Speisezimmer und suchte wie rasend; als ihn Martha fragte, was er denn vergessen habe, erklärte er, er könne ein Papier nicht finden, ohne das er nicht ausgehen werde. Er stieg dann in den ersten Stock hinauf, als wolle er es dort suchen; als er nun nach ziemlich langem Warten oben endlich Stühle rücken hörte, stieg er langsam hinunter und wartete einen Augenblick in dem Vorhause, um da mit dem Abbé Bourrette zusammenzutreffen.
Ei, ei, Sie sind es, Herr Abbé? Welch seltene Begegnung! Gehen Sie jetzt nach dem Pfarrhause? Das trifft sich vortrefflich, denn ich habe denselben Weg. Ich begleite Sie, wenn es Ihnen angenehm ist.
Der Abbé Bourrette erklärte, daß es ihm ein Vergnügen sei, und beide gingen langsam die Balande-Straße hinan, worauf sie sich dem Präfekturplatze zuwandten. Der Abbé war ein dicker Mann von gutmütigem Aussehen und mit blauen Augen. Sein breiter seidener Gürtel spannte über dem dicken Bauche; wenn er ging, so hielt er den Kopf ein wenig nach vorwärts und ließ die kurzen Arme lässig herabhängen. Seine Beine fingen an, schwer zu werden.
Sie kommen von dem ehrenwerten Herrn Faujas, sagte Mouret, der gleich mit der Türe ins Haus fiel ... Ich muß mich noch bei Ihnen bedanken; so gute Mieter gibt es nicht viele.
Ja, ja, murmelte der Priester, er ist ein würdiger Mann.
Wir hören ihn gar nicht. Wir wissen kaum, daß wir Mieter haben. Dazu ist er sehr höflich und sehr anständig ... Man hat mir gesagt, daß er ein hervorragender Mann sei, mit dem man das Kirchspiel auszeichnen wolle.
Sie waren jetzt auf dem Präfekturplatze angelangt. Mouret blieb stehen und sah Bourrette fest an:
Wirklich? sagte dieser erstaunt.
Ja, so hat man mir gesagt ... Unser Bischof habe ihn für etwas Großes bestimmt, doch müsse er jetzt noch im Hintergrunde bleiben, um keine Eifersucht zu erregen.
Bourrette war wieder weitergegangen; an der Ecke der Banne-Straße angekommen sagte er in ruhigem Tone:
Sie überraschen mich mit Ihren Mitteilungen außerordentlich ... Faujas ist ein einfacher Mann und viel zu bescheiden ... So verrichtet er in der Kirche Arbeiten, die wir gewöhnlich den Hausgeistlichen überlassen. Er ist ein Heiliger, aber er ist nicht geschickt. Ich habe ihn ein einziges Mal bei dem Bischof gesehen. Seit dem ersten Tag lebt er auf gespanntem Fuße mit dem Abbé Fenil. Und doch habe ich ihm erklärt, daß er sich die Freundschaft des Großvikars erwerben müsse, wenn er bei dem Bischöfe gut stehen wolle. Er verstand mich nicht, und ich fürchte, er ist ein wenig beschränkt ... Sehen Sie, dasselbe ist es mit seinen regelmäßigen Besuchen bei Compan, unserem armen Pfarrer, der seit vierzehn Tagen das Bett hütet, und den wir wohl verlieren werden. Das schadet ihm sehr, denn Compan hat sich nie mit dem Abbé Fenil vertragen können, und nur ein Mann, der von Besançon kam, konnte das nicht wissen, was dem ganzen Kirchspiel bekannt ist.
Er wurde lebhafter, blieb an der Ecke der Canquoin-Straße stehen und fuhr fort:
Nein, mein lieber Herr, da hat man Sie falsch berichtet. Faujas ist unschuldig wie ein neugeborenes Kind ... Nicht wahr, ich bin nicht ehrgeizig? Und Gott weiß, wie ich Compan, dieses goldene Herz, liebe! Das hindert mich aber nicht, ihm nur im stillen die Hand zu drücken. Und er selbst sagte zu mir: »Bourrette, ich lebe nicht mehr lange, lieber Freund. Doch willst du mein Nachfolger werden, so sieh nur zu, daß man dich nicht oft an meiner Tür treffe. Komm in der Nacht, klopfe dreimal, und meine Schwester wird dir öffnen.« Jetzt warte ich die Nacht ab; Sie verstehen! ... Es ist nicht nötig, sich das Leben zu verbittern; man hat so schon genug Ärger.
Seine Stimme zitterte bei diesen Worten. Er legte beide Hände auf den Bauch und ging weiter, gerührt in seiner naiven Selbstsucht, die ihm Tränen erpreßte.
Der arme Compan! Der arme Compan ... murmelte er.
Mouret war völlig verwirrt. Es schien, als solle er über den Abbé Faujas gar nichts erfahren.
Aber man hat mir doch ganz genaue Einzelheiten über ihn mitgeteilt, wagte er nochmals zu sagen. So war auch die Rede davon, daß man für ihn eine wichtige Stelle ausersehen habe.
Nein, nein, rief der Priester aus, Faujas hat keine Zukunft ... Ich will Ihnen noch einen anderen Zug von ihm erzählen. Sie wissen, daß ich jeden Dienstag bei dem Herrn Präsidenten esse. Vergangene Woche bat mich nun dieser, den Abbé Faujas mitzubringen, den er kennen lernen wollte ... Sie werden kaum erraten, was Faujas tat. Er schlug die Einladung aus, ja, lieber Herr, er lehnte rundweg ab. Vergebens machte ich ihn aufmerksam, daß er sich mit einem solchen Vorgehen in Plassans nicht halten könne und es mit Fenil vollends verderbe, wenn er sich dem Herrn Rastoil gegenüber so unhöflich benehme. Er war eigensinnig und wollte nichts hören ... Ich glaube sogar, Gott verzeih' es mir, er hat in einer plötzlichen Zornesaufwallung gesagt, daß er es nicht notwendig habe, sich verbindlich zu machen, indem er eine solche Einladung annehme.
Der Abbé Bourrette lachte dazu. Sie standen jetzt vor der Kirche Saint-Saturin, und er hielt Mouret noch einen Augenblick vor ihrer kleinen Türe auf:
Er ist ein Kind, ein großes Kind, fuhr er fort. Ich frage Sie, wie kann ihn ein Essen bei Herrn Rastoil kompromittieren! ... Auch Ihre Schwiegermutter, die gute Frau Rougon hat mich gestern ersucht, Faujas einzuladen, doch habe ich ihr gleich meine Befürchtung ausgesprochen, daß ich nicht gut ankommen werde.
Mouret horchte auf.
So! Meine Schwiegermutter hat Sie ersucht, ihn einzuladen?
Ja, sie ist vorgestern zu mir in die Sakristei gekommen. Da ich ihr einen Gefallen erweisen wollte, habe ich heute dem Abbé wegen dieser Sache einen Besuch gemacht ... Ich glaubte bestimmt, daß er die Einladung nicht annehmen werde.
Er hat sie nicht angenommen?
Doch, zu meiner Überraschung hat er sie angenommen.
Mouret öffnete den Mund und schloß ihn wieder; der Priester zwinkerte zufrieden mit den Augen.
Ich muß gestehen, daß ich sehr geschickt vorgegangen bin ... ich habe dem Abbé länger als eine Stunde die Stellung Ihrer Schwiegermutter klargelegt. Er schüttelte mit dem Kopfe, wandte ein, daß er die Zurückgezogenheit liebe ... Schließlich erinnerte ich mich, daß die liebe Dame mir anempfohlen hatte, ihn aufmerksam zu machen, daß – wie die ganze Stadt wisse – ihr Salon ein neutrales Gebiet sei, worauf er wirklich nach einiger Anstrengung zusagte. Er sicherte seinen Besuch für morgen zu ... so will ich denn rasch der trefflichen Frau Rougon zwei Zeilen schreiben, um ihr unseren Sieg mitzuteilen.
Dann sprach er einen Augenblick mit sich und ließ seine großen blauen Augen umhergehen:
Herr Rastoil wird sich darüber ärgern, aber meine Schuld ist es nicht ... Auf Wiedersehen, Herr Mouret, auf baldiges Wiedersehen! Meine besten Empfehlungen an Ihre werte Familie!
Dann trat er in die Kirche und ließ leise die doppelte Türe hinter sich zufallen. Mouret sah achselzuckend auf die Türe.
Auch so ein Schwätzer, brummte er. Auch einer von jenen, die einen nicht zehn Worte reden lassen, weil sie selbst immer reden, ohne etwas zu sagen. Also der Faujas geht morgen zu der »Schwarzen«. Es ist wirklich unangenehm, daß ich mit dem dummen Rougon auf gespanntem Fuße stehe.
Er ging den ganzen Nachmittag seinen Geschäften nach. Als er abends nach Hause kam, sagte er vor dem Schlafengehen in gleichgültigem Tone zu seiner Frau:
Gehst du morgen abend zu deiner Mutter?
Nein, erwiderte Martha, ich habe zu viel zu tun. Ich behalte mir den Besuch für den nächsten Donnerstag vor.
Er schwieg. Doch als er die Kerze auslöschte, berührte er nochmals diesen Gegenstand:
Du solltest doch öfter ausgehen. Geh morgen abend zu deiner Mutter; du wirst dich dort ein wenig zerstreuen; ich will inzwischen die Kinder hüten.
Martha sah ihn erstaunt an; denn sonst behielt er sie gerne zu Hause, um sich fortwährend von ihr bedienen zu lassen, und zankte, wenn sie eine Stunde aus war.
Wenn du es willst, kann ich hingehen, erwiderte sie.
Er löschte das Licht aus und legte sich nieder, indem er sagte:
Gut, und du kannst uns dann alles erzählen. Die Kinder werden sich darüber freuen.