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Am folgenden Morgen hatte Mouret nichts anderes zu tun, als seinen Mieter zu beobachten. Dieses Spionieren sollte künftig seine müßigen Stunden ausfüllen, die er zu Hause damit zubrachte, die herumliegenden Gegenstände zu ordnen, mit Frau und Kindern Händel zu suchen. Jetzt hatte er doch eine Unterhaltung, eine Beschäftigung, die ihm in sein tägliches Leben eine Abwechslung brachte. Er konnte die Priester nicht leiden, und doch interessierte ihn der erste Priester, der in sein Haus kam, außerordentlich, weil er etwas Geheimnisvolles, Unbekanntes, sogar Beunruhigendes an sich hatte. Obgleich sich Mouret auf den Freigeist aufspielte und gern ein Anhänger Voltaires sein wollte, flößte ihm doch dieser Abbé ein gewisses Erstaunen, eine gewisse spießbürgerliche Achtung ein, in die ein Zug von Neugierde sich mengte.
Da in dem zweiten Stocke nicht das geringste Geräusch zu vernehmen war, horchte Mouret aufmerksam auf der Treppe und wagte sich sogar auf den Dachboden hinauf. Als er langsam den Korridor entlang ging, glaubte er hinter der Türe ein Schlürfen von Pantoffeln zu hören, was ihn ungemein aufregte; er konnte aber nichts Sicheres sehen und hören und ging in den Garten hinunter und hielt sich in der Nähe der Laube auf, von wo er vergebens durch die Fenster erkennen wollte, was in den Zimmern vorging. Er bemerkte nicht einmal den Schatten des Abbés, denn seine Mutter hatte in Ermanglung von Vorhängen die Leintücher vor die Fenster gespannt.
Bei dem Frühstück schien Mouret sehr beunruhigt.
Sind denn die da oben tot? fragte er, während er den Kindern Brot abschnitt. Hast du sie nicht herumgehen hören, Martha?
Nein, ich habe nicht darauf geachtet.
Rosa rief aus der Küche:
Die sind schon lange fort; wenn sie immer noch gehen, müssen sie schon weit sein.
Mouret rief die Köchin und fragte sie nach allem aus.
Sie sind ausgegangen, gnädiger Herr. Zuerst die Mutter, dann der Pfarrer. Ich hätte sie nicht einmal gehört, so leise kamen sie die Treppe herunter; aber ich sah ihre Schatten an den Küchenwänden, als sie die Türe öffneten ... Ich sah auf die Straße hinaus ... Aber sie sind ungemein schnell gegangen.
Das ist eigentümlich ... Aber wo war ich denn zu der Zeit?
Ich glaube, der gnädige Herr war hinten im Garten bei der Laube.
Jetzt kam Mouret in eine schreckliche Laune. Er schimpfte auf die Priester, nannte sie alle Duckmäuser mit allerlei Machenschaften, in denen sich der Teufel nicht auskenne; und dabei zeigten sie eine solche lächerliche Schamhaftigkeit, daß noch niemand einen Priester sich habe waschen sehen. Schließlich bedauerte er, daß er dem Abbé, den er gar nicht kenne, die Wohnung vermietet habe.
Daran bist nur du schuld, sagte er zu seiner Frau, als er vom Tische aufstand.
Martha wollte Einwendungen erheben und ihn an ihr gestriges Gespräch erinnern, doch sie sah ihn nur an und schwieg. Aber er ging heute nicht aus, wie sonst seine Gewohnheit war, sondern begab sich in den Garten, kam nach kurzer Zeit wieder in das Speisezimmer und zog in heftigen Worten gegen die Unordnung los, die in dem ganzen Hause herrsche. Dann tadelte er Serge und Octave, die eine halbe Stunde zu früh in das Kolleg gegangen seien.
Geht Papa nicht fort? fragte Desirée leise ihre Mutter. Er ärgert uns nur, wenn er zu Hause bleibt.
Martha hieß sie schweigen. Endlich sprach Mouret von einem Geschäft, das er im Laufe des Tages abschließen wolle. Nicht einen Augenblick habe er Zeit! Nie könne er sich einen Tag zu Hause ausruhen, wenn er es gerade notwendig habe. Voll Unmut darüber, daß er fortgehen müsse und nicht weiter auf der Lauer bleiben könne, verließ er das Haus. Als er abends zurückkehrte, war er von einer fieberhaften Neugierde geplagt.
Nun, was ist mit dem Abbé? fragte er, noch ehe er den Hut abnahm.
Martha arbeitete wieder an ihrem Tischchen auf der Terrasse.
Der Abbé? wiederholte sie mit einiger Überraschung. Ach so, der Abbé ... Ich habe ihn nicht gesehen ... ich glaube, er hat sich schon eingerichtet. Rosa sagte mir, daß Möbel gekommen seien.
Das befürchtete ich eben, rief Mouret aus. Ich wäre gern da gewesen; – denn schließlich sind die Möbel meine Sicherstellung. Ich wußte ja, daß du dich nicht von deinem Sessel rühren werdest. Du bist eben nicht recht gescheit ... Rosa! Rosa!
Die Köchin kam heraus.
Man hat für die neuen Mieter Möbel gebracht?
Ja, gnädiger Herr, auf einem kleinen Wagen. Es war der Wagen des Möbelhändlers Bergasse. Schwer war er nicht. Frau Faujas ging hinter dem Wagen, und als sie die Balande-Straße herauffuhren, legte sie mit Hand an, um den Karren zu schieben.
Sie haben doch die Möbel gesehen? Haben Sie sie gezählt?
Gewiß, gnädiger Herr. Ich habe mich vor die Türe gestellt. Sie mußten jedes Stück an mir vorübertragen, was freilich Madame Faujas nicht recht war. Also hören Sie!... Zuerst trugen sie ein eisernes Bett hinauf, dann eine Kommode, zwei Tische, vier Stühle ... Das ist alles ... Aber ganz neu waren die Möbel nicht. Ich würde keine dreißig Taler dafür geben.
Aber sie hätten die Frau verständigen sollen, daß wir unter solchen Bedingungen die Wohnung nicht vermieten können ... Ich werde darüber sofort mit dem Abbé Bourrette sprechen.
Ärgerlich wollte er hinausgehen, als ihn Martha zurückhielt und ihm sagte:
Richtig, das habe ich ganz vergessen ... Sie haben die Miete für ein halbes Jahr vorausbezahlt.
Was? Sie haben gezahlt? stotterte er.
Ja, die alte Frau kam herunter und übergab mir dies hier.
Mit diesen Worten nahm sie aus der Lade ihres Arbeitstisches fünfundsiebzig Franken in lauter Fünffrankenstücken, die sorgfältig in Zeitungspapier eingewickelt waren. Mouret zählte das Geld und brummte:
Wenn sie zahlen, können sie tun, was sie wollen ... Sonderbare Leute bleiben sie doch! Jeder Mensch kann nicht reich sein, das ist gewiß; aber wenn man ein armer Teufel ist, muß man sich nicht gar so verdächtig benehmen.
Ich wollte dir auch sagen, erwiderte Martha, als sie ihren Mann wieder beruhigt sah, daß die alte Frau mich fragte, ob wir ihr nicht das Gurtbett überlassen möchten. Ich habe ihr daraufhin gesagt, daß wir es nicht brauchen und daß sie es behalten könne, solange sie wolle.
Das war ganz gut; man muß sie sich verpflichten ... Ich habe dir schon gesagt: mich ärgert es am meisten an diesen Priestern, daß man nie weiß, was sie denken und was sie tun. Indes gibt es auch sehr ehrenwerte Leute unter ihnen.
Das Geld schien ihn ganz getröstet zu haben, denn er scherzte und machte sich über Serge lustig, der eben wieder in dem Buche »Missionen in China« las. Während des Essens schien er an die Leute im zweiten Stock nicht mehr zu denken. Als aber Octave erzählte, daß er den Abbé Faujas habe aus der Bischofresidenz kommen sehen, da konnte sich Mouret nicht mehr halten und nahm beim Nachtisch das gestrige Gespräch wieder auf. Aber er schämte sich doch ein wenig. Unter seiner Schwerfälligkeit eines ehemaligen Kaufmannes barg sich ein feiner Verstand; er hatte einen nüchternen Sinn und ein richtiges Urteil, das ihn oft bei allen Klatschereien der Stadt das passende Wort finden ließ.
Schließlich ist es nicht gut, die Nase in die Angelegenheiten anderer zu stecken, sagte er, als er schlafen ging ... Der Abbé kann machen, was er will. Es ist überhaupt langweilig, immer von diesen Leuten zu sprechen. Ich wasche meine Hände in Unschuld.
Acht Tage gingen dahin. Mouret hatte seine gewohnte Beschäftigung wieder aufgenommen. Er schlenderte im Hause herum, sprach mit den Kindern, ging nachmittags zum Zeitvertreib Geschäften nach, von denen er nie sprach, aß und schlief wie ein Mann, für den das Leben eine glatte Bahn ist, ohne Erschütterungen und ohne Überraschungen. In das Haus schien die alte Ruhe wieder eingezogen zu sein. Martha saß an ihrem gewöhnlichen Platze auf der Terrasse vor dem Nähtischchen; Desiree spielte neben ihr; die beiden Knaben brachten zu denselben Stunden dasselbe geräuschvolle Leben ins Haus; Rosa brummte jeden an, während der Garten und das Speisezimmer in Frieden lagen.
Du sieht, sagte Mouret zu seiner Frau, daß du im Irrtum warst, als du glaubtest, die neue Partei werde uns stören. Wir haben eigentlich jetzt eine größere Ruhe als früher, denn das Haus ist kleiner und daher noch friedlicher.
Manchmal sah er zu den Fenstern des zweiten Stockes hinauf, vor denen vom zweiten Tage an Vorhänge von grobem Kattun angebracht waren, deren Falten sich nie rührten. Ihr Aussehen war so keusch, steif und kühl wie das Linnenzeug einer Sakristei. Hinter ihnen schien das Schweigen und die Ruhe des Klosterlebens zu herrschen. Nur zeitweilig waren die Fenster halb offen und ließen durch die weißen Vorhänge den Schatten der hohen Decken erkennen. Aber vergebens lauerte Mouret, nie konnte er die Hand bemerken, die das Fenster öffnete und schloß; er hörte nicht einmal das Knarren der Fensterflügel. Kein menschlicher Laut kam aus dieser Wohnung. Im Verlaufe von acht Tagen hatte Mouret noch nicht ein einziges Mal den Abbé wiedergesehen, so daß dieser Mensch, der neben ihm wohnte, und dessen Schatten er nicht einmal bemerkte, ihm schließlich eine nervöse Unruhe einflößte. Trotz seiner Bemühungen, gleichgültig zu bleiben, fing er doch wieder an zu fragen, und begann eine förmliche Untersuchung.
Du bekommst ihn also nicht zu Gesicht? erkundigte er sich bei seiner Frau.
Ich glaube, daß ich ihn gestern sah, als er heimkehrte. Aber ich weiß es nicht genau ... Da seine Mutter immer schwarz gekleidet geht, kann auch sie es gewesen sein.
Auf seine weiteren Fragen erzählte sie ihm alles, was sie wußte:
Rosa behauptet, daß er jeden Tag ausgeht und sehr lange außen bleibt ... Die Mutter ist regelmäßig wie eine Uhr. Täglich kommt sie um sieben Uhr herunter, um ihre Einkäufe zu machen. Ihren Handkorb hat sie immer geschlossen und bringt in ihm alles, was sie braucht: Kohlen, Brot, Wein und andere Lebensmittel; denn man sieht nie, daß jemand ihnen etwas herbrächte ... Übrigens sind sie die Höflichkeit selbst. Rosa sagte, daß sie immer grüßen, sooft sie ihr begegnen. Aber zumeist hört Rosa sie gar nicht die Treppe herunterkommen.
Die müssen eine sonderbare Wirtschaft oben führen, erwiderte Mouret, den das Gehörte nicht befriedigte.
Als eines Abends Octave erzählte, daß er den Abbé in die Kirche Saint-Saturnin habe treten sehen, fragte der Vater, wie er gegangen sei, ob die Vorübergehenden ihm nachgeblickt hätten und was er in der Kirche zu tun gehabt hätte.
Du bist gar zu neugierig! rief der junge Mann lachend ... Schön nahm er sich mit seinem verschossenen, fast roten Talar am hellichten Tage nicht aus. Es entging mir nicht, daß er absichtlich an den Häusern entlang im Schatten ging, damit sein Talar ein bißchen schwarz aussehe ... Er geht sehr schnell, den Kopf hat er immer gesenkt ... Zwei Mädchen fingen an zu lachen, als er über den Platz ging. Er hob den Kopf und sah sie freundlich an; nicht wahr, Serge?
Dieser erzählte, daß er schon einigemal, als er aus dem Kolleg kam, den Abbé von weitem gesehen habe, wie er die Kirche verließ. Er geht durch die Straßen, meinte der junge Mann, ohne mit jemandem zu sprechen, scheint niemanden zu sehen und fühlt gewiß beschämt das höhnische Lächeln, das er allenthalben erregt.
Spricht man denn von ihm in der Stadt? fragte Mouret mit regem Interesse.
Mit mir hat niemand von dem Abbé gesprochen, erwiderte Octave.
O ja, sagte Serge, man spricht von ihm. Der Neffe des Abbé Bourrette erzählte mir, daß er nicht gern in der Kirche gesehen werden, denn man könne die fremden Priester nicht leiden. Dann sieht er auch gar so elend aus ... Wenn man sich an ihn gewöhnt hat, wird man von dem armen Manne nicht mehr sprechen. In der ersten Zeit will man aber doch wissen, welche Bewandtnis es mit ihm habe.
Martha riet dann ihren Söhnen, sich nicht ausfragen zu lassen, wenn man von ihnen etwas Näheres über den Abbé erfahren wolle.
Ach was! Das können sie ruhig sagen, rief Mouret aus. Was wir von ihm wissen, tut ihm nichts.
Von diesem Augenblicke an machte er seine Kinder, ohne etwas Schlechtes zu denken, zu Spionen, die er an die Fersen des Abbé heftete. Octave und Serge mußten ihm alles sagen, was in der Stadt von ihm gesprochen wurde; ja noch mehr, sie erhielten den Auftrag, dem Priester zu folgen, wenn sie im begegneten. Aber diese Quelle war schnell versiegt. Das Gerede, das durch die Ankunft des fremden Priesters veranlaßt wurde, verstummte bald. Die Stadt kümmerte sich um den »armen Mann mit dem schäbigen Talar« nicht mehr und beachtete ihn einfach nicht. Anderseits begab sich der Priester nur in die Kirche und aus ihr nach Hause, wobei er immer durch dieselben Gassen ging. Octave meinte lächelnd, er zähle die Pflastersteine.
Zu Hause suchte Mouret Desirée auf seine Seite zu ziehen, da sie nie ausging. Er führte sie deshalb abends in den Garten, fragte sie aus, was sie den Abend über getan und gesehen habe und suchte immer das Gespräch auf die Partei im zweiten Stock zu bringen.
Höre, sagte er eines Tages zu ihr, morgen wirst du, wenn das Fenster offen steht, deinen Ball in das Zimmer; dann gehst du hinauf und verlangst ihn.
Am folgenden Tage warf das Mädchen tatsächlich den Ball in das Zimmer; aber er wurde von unsichtbarer Hand sofort auf die Terrasse hinabgeworfen, noch ehe das Kind die Treppe erreicht hatte. Mouret, der auf die Anmut des Kindes gerechnet hatte, um die gleich am ersten Tage abgebrochenen Beziehungen wieder aufzunehmen, sah das Spiel verloren; er stieß augenscheinlich auf den klaren Willen des Abbé, sich in seiner Wohnung einzuschließen. Dadurch aber wurde seine Neugierde nur noch gesteigert. Er klatschte in allen Winkeln mit der Köchin zum großen Ärger Marthas, die ihm wegen dieses unwürdigen Betragens Vorwürfe machte. Er wurde darüber böse und suchte alle möglichen Ausflüchte. Er fühlte jedoch sein Unrecht und sprach deshalb von dem Abbé mit Rosa nur im geheimen.
Eines Morgens gab ihm Rosa ein Zeichen, ihr in die Küche zu folgen.
Denken Sie sich, gnädiger Herr, sagte sie, nachdem sie die Türe zugemacht hatte, ich warte schon seit einer Stunde, daß Sie aus Ihrem Zimmer herunterkommen.
Hast du etwas erfahren?
Sie werden es gleich hören ... Gestern abend habe ich länger als eine Stunde mit Frau Faujas gesprochen.
Mouret zitterte vor Freude. Er setzte sich auf einen zerrissenen Strohsessel inmitten der Wischlappen und der Küchenabfälle nieder.
Also schnell! Heraus damit!
Ich stand gestern, begann Rosa, in der Türe und wünschte dem Dienstmädchen des Herrn Rastoil einen guten Abend, als Frau Faujas die Treppe mit einem Kübel schmutzigen Wassers herunterkam. Sonst geht sie gleich wieder hinauf, ohne sich umzusehen; diesmal blieb sie aber einen Augenblick stehen und sah mich an. Ich entnahm daraus, daß sie mit mir reden wollte, und sagte ihr, daß es schönes Wetter sei und daher ein guter Wein wachsen werde ... Sie antwortete mir »Ja, ja,« wie eine Frau, der dies ganz gleichgültig ist, weil sie keinen Weinberg besitzt. Aber sie setzte den Kübel auf die Erde, blieb stehen und lehnte sich neben mir an die Wand ...
Nun, was hat sie dir denn erzählt? fragte Mouret voll Ungeduld.
Ich war nicht so dumm, sie auszufragen ... Ich brachte das Gespräch auf das, was sie angeht. Der Pfarrer zu Saint-Saturnin, der liebe Herr Compan, ging eben vorüber. So erzählte ich ihr, wie er lebe, daß er sehr krank sei, daß er es nicht lange mehr aushalten werde, und wie schwer er zu ersetzen sei. Sie war jetzt ganz Ohr und fragte mich sogar, was dem Herrn Compan fehle. Dann kam ich von einem zum anderen, sprach von unserem Bischof Rousselot und erzählte ihr, was für ein trefflicher Mann er ist. Sie wußte nicht, wie alt er sei; ich sagte, daß er sechzig Jahre vorüber, ebenfalls weichen Gemütes sei und sich an der Nase führen lasse; man rede auch viel von Herrn Fenil, dem Großvikar, der in der bischöflichen Residenz tue was er wolle ... Das war Wasser auf ihre Mühle; die Alte wäre bis Sonnenaufgang vor der Türe stehen geblieben.
Mouret machte eine Gebärde der Verzweiflung.
Ganz recht! Jetzt hast du mir nur erzählt, was du gesprochen hast ... Was hat denn aber sie gesagt?
So warten Sie doch! erwiderte Rosa ruhig; lassen Sie mich weiter erzählen, ich komme schon zu Ende. Um sie auch zum Plaudern zu bringen, erzählte ich ihr schließlich von uns. Ich sagte, daß Sie François Mouret heißen und Kaufmann in Marseille gewesen seien, der in fünfzehn Jahren durch einen Handel in Wein, Öl und Mandeln sich ein Vermögen zu erwerben gewußt habe. Dann erzählte ich, daß Sie hier in Plassans Ihre Rente verzehren, weil die gnädige Frau hier Verwandte habe; dann fand ich sogar eine passende Gelegenheit, ihr mitzuteilen, daß die gnädige Frau Ihre leibliche Base sei, daß Sie vierzig Jahre und die gnädige Frau siebenunddreißig Jahre alt seien. Weiter, daß Sie eine sehr zufriedene Ehe führen, nie auf der Promenade Sauvaire gesehen werden, kurz, ich erzählte Ihr ganzes Leben ... was sie ungemein interessierte. Sie antwortete mir immer: »Ja, ja,« ohne Eile zu haben. Als ich nun innehielt, da nickte sie mit dem Kopfe, als wolle sie sagen: »Ich höre ja zu, erzählen Sie nur weiter!« So plauderten wir denn – immer an die Mauer gelehnt – bis tief in die Nacht hinein wie gute Freundinnen.
Mouret erhob sich zornig.
Wie? rief er aus, das ist alles? ... Sie hat Sie eine Stunde reden lassen und Ihnen nichts gesagt?
Sie sagte mir, als es ganz finster war: »Es wird kühl.« Damit hob sie den Wasserkübel auf und ging wieder in ihre Wohnung hinauf.
Wie Sie dumm sind! Die Alte versteht es, sie würde zehn solche verkaufen, wie Sie sind. Nein! Wie müssen die jetzt lachen! Sie wissen nun alles von uns, was sie wissen wollten ... Rosa, Sie sind sehr dumm!
Die alte Köchin geriet darüber in Aufregung und ließ ihren Zorn an den Töpfen und Schüsseln aus, die sie hin und her stieß.
Wissen Sie, gnädiger Herr, erklärte sie, wenn Sie nur in die Küche gekommen sind, um mir Grobheiten zu sagen, hätten Sie draußen bleiben können. Sie können gehen ... Ich habe dies alles nur getan, um Ihnen eine Freude zu machen. Wenn uns die gnädige Frau hier beisammen fände, würde sie mit mir zanken und das mit Recht, denn es schickt sich nicht ... Übrigens konnte ich doch dieser Frau nicht die Worte aus dem Munde reißen. Ich habe mich dabei benommen wie sich jede andere benehmen würde. Ich habe geplaudert und Ihr Leben beschrieben. Um so schlimmer für Sie, wenn sie nicht auch das ihrige beschrieb. Fragen Sie sie selbst, wenn Ihnen soviel daran liegt. Vielleicht sind Sie nicht so dumm wie ich ...
Da die Alte immer lauter wurde, hielt es Mouret für geraten, die Küche zu verlassen, damit nicht noch seine Frau dazu komme. Aber Rosa trat hinaus und rief ihm nach:
Sie sollen wissen, daß ich mich um nichts mehr kümmere. Geben Sie einem anderen Ihre häßlichen Aufträge.
Mouret war geschlagen. Seine Niederlage ließ einigen Unmut in ihm zurück. Aus Rache gefiel er sich in der Behauptung, daß seine Mieter sehr unbedeutende Leute seien.
Allmählich verbreitete er unter seinen Bekannten seine Ansicht, die zuletzt die ganze Stadt glaubte. Der Abbé Faujas wurde als mittelloser Priester angesehen, der ohne jeden Ehrgeiz sei und ganz außerhalb der Ränke des Kirchspiels stehe; man dachte, er schäme sich seiner Armut, gebe sich mit den unbedeutendsten Verrichtungen in der Pfarrkirche zufrieden und halte sich so weit wie möglich im Dunkel, wo es ihm besonders gefalle. Nur wollte man gern wissen, warum er von Besançon nach Plassans gekommen sei. Es waren die verschiedensten Geschichten im Umlaufe, doch waren es nur Mutmaßungen. Selbst Mouret, der seine Partei ebenso zur Unterhaltung beobachtete, wie er zum Vergnügen Karten oder Billard spielte, begann schließlich zu vergessen, daß ein Priester bei ihm wohne, bis doch ein neues Ereignis seine Aufmerksamkeit auf ihn lenkte.
Als Mouret eines Nachmittags nach Hause ging, sah er den Abbé Faujas vor sich in der Balande-Straße. Er mäßigte daher seine Schritte, um ihn genau zu beobachten; denn es war das erstemal, daß er ihn am hellen Tage sah. Der Abbé hatte noch immer seinen alten Talar an; langsam ging er die steile, leere Straße mit ihren kahlen Häusern und geschlossenen Fenstervorhängen hinan; trotz des heftigen Windes trug er seinen Dreispitz in der Hand. Mouret ging jetzt auf den Fußspitzen, damit er von dem Priester nicht gehört werde. Als sie sich aber dem Hause des Herrn Rastoil näherten, kamen eben einige Personen vom Präfekturplatze, traten dort ein, und der Abbe machte einen kleinen Umweg, um mit ihnen nicht zusammenzutreffen. Als sich die Türe hinter ihnen geschlossen hatte, blieb der Abbé plötzlich stehen und drehte sich nach seinem Hausherrn um.
Es freut mich, mit Ihnen zusammenzutreffen, sagte er mit ausgesuchter Höflichkeit. Ich hätte mir sonst erlaubt, Sie heute abend zu belästigen ... Der letzte Regen hat in dem Plafond meines Zimmers einen Fleck hervorgebracht, den ich Ihnen gern zeigen möchte.
Mouret erwiderte verlegen, daß er ganz zu seinen Diensten stehe. Da sie zusammen ins Haus traten, fragte er den Priester, welche Stunde ihm angenehm sei, um die Decke besichtigen zu können.
Wenn es Ihnen nicht lästig ist, bitte ich gleich mit mir hinaufzukommen.
Mouret stieg erregt die Treppe hinauf, während Rosa ihm von der Küchentüre aus mit großen Augen nachsah.