Fedor von Zobeltitz
Der Telamone
Fedor von Zobeltitz

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Fünfundzwanzigstes Kapitel

»Mann,« rief die Pastorin in die Studierstube ihres Gatten hinein und wischte sich die Augen bei dem ihr entgegenschlagenden Tabaksqualm, »– bist du denn noch nicht fertig? Der Wagen kann jeden Augenblick vorfahren! Du liebe Seele, noch nicht 'mal ein reines Chemisette hat er sich vorgebunden!« – Sie wandte sich nach der Küche zurück. »Mieze!« schrie sie, »Mieze, so höre doch! Gieb 'mal ein neues Chemisette aus Vaters Spinde! Was – du mußt bei dem Braten bleiben? Dann schicke die Bärbel her! Aber ein bischen flink!«

Bärbchen, die lang aufgeschossen war und immer ihre weißen Zähne zeigte, stürmte durch den Flur, daß ihre Zöpfe flogen und kehrte nach wenigen Minuten mit dem gewünschten Toilettenstück zurück. Die Pastorin nahm das steif gestärkte Chemisette in die Hand, blies mit geschlossenen Lippen über die Leinwand, prüfte die Bänder, ob sie auch fest saßen und trat dann völlig in das Zimmer ihres Mannes.

490 »Puh,« sagte sie und wedelte mit der Schürze, »nein, hör' 'mal, Alter, was zu viel ist, ist zu viel! Du hast wie eine Lokomotive gequalmt! Du meine Güte!« . . . Sie riß einen Fensterflügel auf . . . »Was soll denn der Fritz denken, wenn er hier hereinkommt! Nachbar Krause wird meinen, es brennt bei uns, wenn er den Rauch aus dem Fenster sieht! . . . Nun komm' 'mal her, Alter! Oder nein, bleibe sitzen – so geht es besser! Aber halte still!«

Und sie trat geschäftig hinter den schlohweiß gewordenen Pastor und band ihm das Chemisette um, zog ihm die Halsbinde zurecht und strich mit der flachen Hand glättend über sein Haar.

»So, – nun siehst du wenigstens menschlich aus,« meinte sie lachend. »Laß aber jetzt einmal die Arbeit ruhn, Männe – geh' lieber ein bißchen an die frische Luft und vertreibe den Qualm aus den Rocknähten! Was machst du denn für ein Gesicht, Alter? Freust du dich nicht auf den Jungen, den Fritz – auf unsern zukünftigen Herrn Schwiegersohn – he?«

»Was werd' ich mich nicht freuen,« brummte der Pastor und stand auf, »natürlich freu' ich mich, – aber da ist mir, wie ich über den Büchern sitze, so ganz unwillkürlich der Gedanke gekommen, daß die Freude doch noch ein Endchen größer gewesen wäre, wenn man auch – na ja, wenn man auch die Fanny 'mal wieder im Hause gehabt hätte! Weißt du, Mutter, der Gedanke ist mir so gekommen« –

»Meinst du etwa, mir nicht auch?« fiel die Frau Pastorin ein. »Aber wer hat denn das gesagt, daß das 491 nicht anging – wer hat denn gesagt: am dritten Orte woll'n wir mit der Fanny zusammensein – meinetwegen alle Tage – aber hier in der Pfarrei nicht, hier in Klein-Busedow überhaupt nicht –?! Da könnten die Bauern kommen und die Nase über die Schauspielerin rümpfen – – als ob uns die Bauern 'was angingen und als ob unser Schwiegersohn nicht auch so ein Stück von der Bühne wäre! Daß der herkam, dagegen hattest du aber nichts einzuwenden!«

»Weil's nicht unser leibliches Kind ist, Alte! Ich habe der Fanny verziehen, habe sie in Berlin besucht und habe, nachdem ich gesehen, wie die Sache steht, mit freudigem Herzen meinen Segen zu ihrem Verlöbnis mit Fritz gegeben. Basta. Im Hause aber will ich keine Komödiantin haben, die meine Tochter ist! Das ist meine Ansicht und dabei bleib' ich, wird's mir auch schmerzlich schwer! Nun ärg're mich nicht weiter und laß es gut sein, Mutter . . . Rumpelt's da nicht?« – Er reckte den alten Kopf nach dem Fenster hinüber.

Die Pastorin schrie auf und huschte hinaus. Über den Dorfanger holperte die alte Kalesche Bernschulzes, der mit grinsendem Gesicht auf dem Bocke saß und einmal über das andere mit der Peitsche knallte. Vor der Thür des Pastorhauses stand die ganze Jugend Klein-Busedows und auch ein paar alte Weiber – die Männer waren draußen auf dem Felde bei der Ernte beschäftigt. Die Kinder sperrten die kleinen Mäuler auf, und die alten Weiber nickten sich gegenseitig zu, als der Wagen näher kam, und sagten: »Jo, jo, des is er! – Jesesmine, wat is aus dem schlaksigen Bengel geworden! – Weeßte 492 noch, Gillerts Mutter, wie er uff de Welt kam, hatten wir de ganze Nacht Sternschnuppen – det hat immer wat zu bedeuten!« . . .

Nun hielt der Wagen, und Fritz sprang herab, mitten in den vergnügt kreischenden Kinderhaufen hinein, und gab jedem der alten Weiber die Hand und machte seine Scherze mit ihnen – und die alten Weiber kicherten und wackelten mit den Köpfen und meinten: »I du mein Je' –, nee aberscht so wat ooch! – Nee, wat sind Sie scheen geworden, Herr Fritze . . . freilich, lang un groß sind Sie immer gewest . . . aber nich so stattlich nich . . . Nee, aberscht so wat ooch!« –

Nun eilte auch die Frau Pastorin herbei, und ihr dickes, gutmütiges Gesicht strahlte förmlich, und hinterher humpelte der Pastor, dem die Gicht in den letzten Jahren etwas in die Beine gefahren war, und dann kamen Toni, Bärbchen und Mieze – alle drei groß, schlank und blond, mit roten Backen und kräftigen Formen, und alle drei lachten dem Ankömmling entgegen und thaten gar nicht verschüchtert, als er sie nacheinander, in Anbetracht der kommenden Verwandtschaft, herzhaft abküßte. Dann ging's ans Fragen und Antworten – noch vor dem Thore – bis die Pastorin erklärte, die Suppe würde kalt, sie stände schon auf dem Tische, der Fritz sei sicher recht ausgehungert, man solle ihm doch Ruhe gönnen – so eine Reise sei auch ein Stück Arbeit, du liebe Güte . . .

Es ging also zu Tische, und es gab Nudelsuppe und Kalbsbraten mit grünem Salat und geschmorten Kirschen und dazu den selbst gekelterten Johannisbeerwein des Pastors, der Fritzen noch so fürchterlich schmeckte 493 wie vor zwölf Jahren an seinem Einsegnungstage, von dem er aber trotzdem mit wahrer Todesverachtung ein Glas nach dem andern trank. Währenddessen legte ihm einmal die Pastorin ein mächtiges Stück Kalbsbraten auf den Teller und dann wieder Toni ein andres und Bärbchen und Mieze ein drittes und viertes, und so immer abwechselnd – und als Fritz schließlich stöhnend erklärte, nun ginge es aber nicht mehr, da sagte die Pastorin ganz verwundert: »Aber Junge, du hast ja noch gar nichts gegessen!« –

Den Kaffee trank man in der Fliederlaube; Bärbchen hatte selbstverständlich Kuchen gebacken – und da Mieze den Kaffee gekocht und heimlich ein Lot mehr genommen, als die Mutter befohlen hatte, so wurden Fritzen die vier Tassen, die man ihm einfiltrierte, nicht gar zu schwer. Dann holte der alte Pastor eine bestaubte Kiste mit Cigarren herbei, die merkwürdig gelb aussahen und mit weißen Flecken geschmückt waren wie ein Leopardenfell. 494 Nun aber hielt es Fritz für an der Zeit, um weiteres Unheil abzuwenden, die kleinen Geschenke auszukramen, die er für jedes Mitglied des Pastorats mitgebracht hatte.

Vorsichtshalber überreichte er zuerst dem Pfarrer eine Doppelkiste Havanna-Cigarren, um dessen Interesse von dem eignen, magenverderbenden Kraut abzuwenden. Der Alte war sehr gerührt, steckte sich sofort eine Havanna an und machte ein ganz seliges Gesicht, als die ersten duftenden Wolken vor ihm in die Luft tänzelten. Die Frau Pastorin aber meinte, er solle sich nicht verwöhnen, sonst schmecke ihm sein Kanaster nachher nicht mehr, doch der gute Alte schien die wohlmeinende Warnung seiner Lebensgefährtin gar nicht zu beachten, sondern saugte in seliger Verzückung an seiner Havanna weiter.

Als Fritz mit seinen Geschenken für die Damen kam, gab es der staunenden und jubelnden Ausrufe kein Ende. Es war aber auch alles gar zu prächtig und alles so praktisch! Man merkte wirklich, daß der Fritz eine Braut hatte, die ihn mit weiblicher Fürsorge bedachte . . . Die Pastorin erhielt einen seidenen Regenschirm, von dem sie meinte, er sei viel zu schade für Klein-Busedow. Für die drei Mädchen hatte Fritz Armbänder mitgebracht, über die sich die armen Dinger, die seit ihrer Konfirmation kein Schmuckstück geschenkt bekommen hatten, wie die Kinder freuten.

Gegen Abend, als die Leute vom Felde heimgekehrt waren, machte Fritz einen Rundgang durch das Dorf, um seine alten Bekannten aufzusuchen. In Klein-Busedow hatte sich wenig verändert. Nur ein neues Spritzenhaus war gebaut worden, und der Kirchturm hatte einen 495 Blitzableiter erhalten, der im Glanze der Abendsonne weithin leuchtete. Matzenthien war immer noch Schulze, aber man wollte nicht mehr viel von ihm wissen. Je älter der wurde, desto grober wurde er auch; bei der nächsten Schulzenwahl hoffte die Opposition, an deren Spitze der demokratische Schneider stand, den dicken Krause durchzubringen.

Fritz wurde überall freudig willkommen geheißen. Von Deesenhoff her waren durch Hempel und Genossen schon längst allerlei Gerüchte über die Carriere des Kantorsjungen nach Klein-Busedow gedrungen – man wußte, daß er ein »großes Tier« geworden war, wie der alte Matzenthien sich ausdrückte. Matzenthiens Karle hatte geheiratet, die Miene des Krämers Fleher, und die Krugwirtschaft übernommen. Das paßte für den faulen Kerl. Da brauchte er nicht aufs Feld, sondern stand den ganzen Tag hinter dem Schenktische und probierte die Schnapssorten.

Am meisten amüsierte sich Fritz über den gebildeten Schneider, der immer noch auf den »Landboten für Tiesewalk und Umgegend« abonniert war, und der ihn mit einer längeren Ansprache empfing.

»Sehen Sie wohl, Herr Fritz,« sagte Thomas Fleck, »wie recht ich gehabt habe, als ich Ihnen damals davor warnte, nicht nach Amerika zu gehen, denn was hätten Sie dann gehabt? Die wahre Bildung ist nur bei uns zu finden, denn die fremden Völkerschaften verstehen davon nichts und wissen sich auch nicht zu benehmen. Ich habe immer gesagt, aus Fiedlers Fritz wird einmal 'was, weil der Pli und Erziehung hat, und das haben die 496 meisten von unsern Bauern nicht. Darum wählen wir den Matzenthien auch nicht wieder zum Schulzen, sondern den dicken Krause, weil wir keinen andern haben. Es ist eine Sünde, Herr Fritze, wie es hier zugeht und wie wenig für die Aufklärung gethan wird« . . .

Und so sprach er noch eine Viertelstunde weiter, bis es Fritzen zuviel wurde und er sich verabschiedete, um noch einmal auf den Kirchhof zu gehen und die Gräber seiner Eltern zu besuchen. Pastors hatten den Doppelhügel mit frischem Epheu überziehen lassen und einen Rosenstock zu Häupten des Grabes gepflanzt, an dem volle, dunkelrote Blüten prangten. Über das Grab und die Rosen hinüber schweifte Fritzens Blick wehmütig nach dem hochgiebligen Kantorshause, in dem er seine Kindheit verlebt und seine ersten phantastischen Zukunftsträume gesponnen hatte. Und mit herber Deutlichkeit, als wäre es gestern gewesen, trat jene Nacht in sein Gedächtnis zurück, in der er gemeinsam mit dem alten Lennert am Totenbette seiner Eltern gewacht hatte – bis der Morgen dämmerte, der auch der Morgen einer neuen Zeit für ihn war. –

Am folgenden Vormittag fuhr Fritz nach Deesenhoff herüber, um Hempel zu besuchen. Auch da war die Freude groß. Hempel war noch krummer geworden als vordem, und mächtig ragte zwischen den eingefallenen Wangen die kolossale Hakennase hervor. Sein altes Lungenleiden hatte dem Jockey im letzten Jahre viel zu schaffen gemacht; er hustete böse, und auf seinen Backen zeichneten sich zirkelrunde rote Flecken ab. Trotzdem fuhr er mit Fritz von Koppel zu Koppel, zeigte ihm die neuen 497 Einrichtungen, die Graf Wendelin hatte anlegen lassen, begleitete ihn durch die Ställe und schilderte ihm mit altem Feuereifer die Vorzüge der neu erworbenen Renner, der Jährlinge, der Mutterstuten und Deckhengste.

»Das ist jetzt ein Leben in Deesenhoff!« meinte er schmunzelnd. »Verdammt noch 'mal – ich habe wahrhaftig nicht erwartet, daß der Graf sich so ins Zeug legen würde! Es hat ein höllisches Geld gekostet, Fritz, aber die Erfolge bleiben nicht aus. Zweimal haben wir schon den großen Zuchtpreis nach Hause gebracht – du, das will etwas sagen! . . . Na, und oben im Schlosse herrscht nun schon seit Jahren das beste Einvernehmen! Die leben da wie die Turteltauben, als wär' es niemals anders gewesen! . . . Vom Baron Leopold Krey – du weißt doch, Fritze« – und er blinzelte ihm mit den Augen zu – »hat man nichts mehr gehört. Der muß verschollen sein – vielleicht lebt er gar nicht mehr. Ach du liebe Zeit, wie sich doch alles verändert hat!« . . .

Nickel, Tom und Basedow waren auch noch in gräflichen Diensten, ebenso Herr Spirius, der Koch, aber der alte Aalkrug hatte sich im letzten Winter hingelegt, um nicht wieder aufzustehen.

Selbstverständlich versäumte Fritz nicht, auch im Schlosse seinen Besuch zu machen, und er wurde dort von den beiden Grafen und der Gräfin Katinka mit herzlicher Liebenswürdigkeit empfangen. Da die Herrschaften gerade auf der Veranda beim Frühstück saßen, so wurde Fritz aufgefordert, ein Glas Wein mitzutrinken, und Graf Wendelin stieß bei dieser Gelegenheit mit seinem ehemaligen Horse-Groom auf fröhliche Zukunft an. Hempel 498 hatte schon recht: es war merkwürdig, wie sich die Zeiten geändert hatten . . .

Nach beendetem Frühstück stürmten zwei kleine Buben, ein schwarzlockiger und ein Blondkopf, auf die Veranda und schmiegten sich an die Gräfin Katinka, um sich von dieser ihr Deputat vom Dessert zu erbitten. Die Gräfin deutete zunächst auf das schwarzhaarige Bürschchen, einen Jungen von idealer Schönheit, und sagte, zu Fritz gewendet:

»Das ist der Leopold oder Leu, wie ihn mein Schwiegervater getauft hat, weil er so wild ist und sich gern wie ein kleiner Löwe im Sande herumwälzt – – und das hier« – und die Gräfin zog den Blondkopf zärtlich an sich heran – »ist mein Sohn Klaus« . . .

* * *

499 Fritz blieb drei Tage in Klein-Busedow und fuhr dann wieder nach Berlin zurück. Sein Engagement bei der Königlichen Oper war perfekt geworden, doch hatte er sich vor Beginn der neuen Saison noch zu sechs Gastspielen bei Kroll verpflichten lassen.

Im Herbst sollte Hochzeit gefeiert werden.

 

Ende

 


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