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Am Sonntag Palmarum des nächsten Jahres – zur selben Zeit, da Otto in eine Pension nach der Stadt gebracht wurde, um endlich »vernünftig« zu werden – reichte der Pastor Fritzen zum erstenmale am Altare Gottes das heilige Abendmahl. Fritz wurde mit zehn Dorfkindern zusammen eingesegnet. Er war sehr bewegt und seine Augen traten voll Wasser, als der Pastor und die Pastorin und ihre sechs Mädchen ihm nach Beendigung der feierlichen Handlung mit tiefstem Ernste und einen Segenswunsch auf den Lippen die Rechte reichten.
Zu Mittag gab es im Pfarrhause einen mächtigen Kalbsbraten und hinterher, was nur sehr selten vorkam, Eierkuchen mit Mussauce – dazu aber, und das geschah lediglich Fritz zu Ehren, zwei Flaschen Johannisbeerwein. Als der Pastor die Gläser mit ihrem mattroten Inhalt gefüllt hatte, erhob er das seine und winkte Fritz zu.
»Du trittst nun in eine neue Phase deines Lebens, mein Junge,« sagte er, während die übrigen Tischgenossen mit einer gewissen feierlichen Spannung an den Lippen des Sprechers hingen, »und da ziemt es sich und ist's alter guter Brauch, dir beim vollen Glase ein herzlich Glückauf zuzurufen . . .« Hartwig schwieg eine kleine 51 Weile und schaute nachdenklich in den merkwürdig gärenden Wein, hüstelte dann und fuhr etwas langsamer fort: »Das Stück Wegs, das du hinter dir hast, ist nicht frei von Dornen und Disteln gewesen, und auch beim Vorwärtsschreiten wirst du noch manche stachelige Hecke zu überwinden und manchen Stein fortzuräumen haben, ehe dein Pfad glatter und ebener wird. Aber Gottvertrauen, fester Sinn und weises Überlegen helfen über alle Schwierigkeiten hinfort, darum bewahr' dir den Glauben und lerne deinen oft recht ungefügen Trotzkopf neigen, wenn es sein muß . . .« Hier stockte der Pastor wieder und schaute noch nachdenklicher als vorhin in seinen Wein, und da ihm im Augenblick nichts weiter einfiel, was er noch zu sagen nötig hätte, so ließ er sein Glas mächtig an das Fritzens anklingen und leerte es mit einem Zuge bis auf den Grund. Dann nickte er und versuchte seinem behäbig freundlichen Gesicht ein besonders wohlwollendes Gepräge zu verleihen, was ihm jedoch nicht recht gelingen wollte, da der noch nicht ausgegorene Wein schauerlich schmeckte.
Auch Fritz trank aus, die andern aber nippten nur und reichten dem großen Jungen noch einmal die Hand über den Tisch. Fanny jedoch stand auf, ging mit dem Glase zu Fritz heran, stieß mit ihm an und wiederholte mit leiser Stimme den Wandergruß des Vaters:
»Glück auf!« –
Nach Tische zog der Pastor sich in die Amtsstube zurück, zündete sich seine Pfeife an und rief Fritz zu sich.
»Na, mein Sohn,« sagte er, sich behaglich in die eine Ecke des großen schwarzen Ledersofas drückend und dabei qualmend wie ein Fabrikschlot, »nun setz' dich 52 einmal zu mir, und dann wollen wir beraten, was wir mit dir weiter beginnen. Wie denkst du dir denn eigentlich deine Zukunft? Was möchtest du werden – he?«
Fritz wurde verlegen. Was er werden möchte? Darüber hatte er sich noch nie den Kopf zerbrochen, daran hatte er überhaupt noch nicht gedacht.
»Was ich werden möchte?« wiederholte er stotternd. »Ja, Herr Pastor – das – das weiß ich nicht . . .«
Der Pastor lachte lustig auf und stieß eine neue staubgraue Dampfwolke von sich.
»Du bist ein kostbarer Junge, Fritz!« rief er aus, ihm gutmütig auf die strammen Schultern klopfend, »ein origineller Bengel! Meinst du denn, du könntest zeitlebens in der Pfarrei von Klein-Busedow bleiben? – Mir sollte es recht sein, aber, Junge, sage einmal, steckt denn in dir nicht eine Spur des Bedürfnisses, vorwärts zu kommen in der Welt?«
Fritz spürte von einem solchen Bedürfnisse nichts, und deshalb antwortete er gar nicht erst.
Der Pastor schüttelte den dicken runden Kopf und paffte immer erregter den Tabaksrauch in die Luft.
»Da hört doch alles auf,« meinte er, »– da hört doch alles auf! – Fritz, Junge – ist denn nie der Gedanke in dir aufgestiegen, daß du dir irgend einen Beruf wählen mußt, der dich ernährt, der dir so viel einbringt, daß du leben, wohnen und dich kleiden kannst, ohne auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein?!«
Fritz nickte. O ja – der Gedanke war ihm öfters gekommen. Pelzjäger wollte er werden im fernen Amerika – oder auch – da schwankte er noch – sich als Matrose 53 anwerben lassen, um sich dann bei günstiger Gelegenheit (ganz klar über das Wie dieser Sache war er sich noch nicht) zum Befehlshaber eines Piratenschiffes aufzuschwingen. Fritz schaute den Pastor von der Seite an; es dünkte ihm doch nicht ganz geheuer, seine wilden Phantasien in Worte zu kleiden.
Der Pastor wurde ernst.
»Es ist unglaublich,« sagte er kopfschüttelnd, »du bist doch sonst ein ganz gescheiter Junge, wenn du auch nie so recht ordentlich hast lernen wollen – und dein gesunder Menschenverstand muß dir doch sagen, daß du nicht ewig und drei Tage in Klein-Busedow bleiben kannst! Es muß doch einmal etwas aus dir werden – irgend etwas! Verstehst du, Fritz – irgend etwas!«
Die letzten Worte sprach der Pastor mit erhobener Stimme; er ärgerte sich über die Dummheit des dickschädligen Jungen. Als er aber sah, daß Fritz errötend und verschüchtert den Kopf sinken ließ, siegte wieder die Gutmütigkeit in ihm.
»Woll'n uns 'mal gemeinsam die Sache überlegen,« fuhr er fort. »So kann's natürlich nicht bleiben. Das beste wär's, es fände sich eine Beschäftigung für dich, die deiner Konstitution zusagte. Für das Bureau bist du nicht geschaffen. Wie wär's mit der Försterei? – Zu teuer und zu sehr überlaufen! Aber im Eisenbahn-Dienst fände sich vielleicht ein geeignetes Unterkommen! Ah – das ist ein vernünftiger Einfall! – Ich habe einen Vetter in Polnisch-Grottkau, der dort Stations-Inspektor ist – an den werd' ich 'mal schreiben! Höre, Fritz, das ist eine gute Carriere, wenn du dich zusammennimmst. Da kannst 54 du es auch einmal bis zum Inspektor bringen, wie mein Cousin in Polnisch-Grottkau. Ich werd' ihm 'mal schreiben – gleich morgen – das war eine sehr gute Idee von mir! . . .«
Der Pastor schrieb aber nicht – es kam nämlich anders.
Am Ostermontag war's – in den ersten Nachmittagsstunden. Auf dem Dorfanger spielte ein Schwarm von Buben und Mädchen Räuber und Soldat. Fritz stand am Gartenzaune und schaute der kleinen Schar wehmütig zu. Er war eingesegnet und durfte nicht mehr mit den übrigen spielen, weder Räuber und Soldat, noch Versteckens, noch Bäumchen verwechseln oder Huschekätzchen – er war schon zu groß dazu, und er hätte es doch für sein Leben gern noch gethan.
In dem lustigen kleinen Schwarm kreischten plötzlich einige Stimmen hell auf, und einen Augenblick später stob die ganze Gesellschaft in alle vier Winde auseinander.
Vom Dorfeingang her raste ein reiterloses, sehr elegant aufgeschirrtes Pferd in vollem Galopp und mit sprühenden 55 Nüstern quer über den Anger. Hinterher jagten zwei Reiter – eine junge Dame in wehendem dunklen Kleide und ein älterer Herr mit frischfarbenem Gesicht und kurzgehaltenem weißen Schnurrbart.
»Aufhalten – aufhalten!« tönte die Stimme des Herrn über den Platz und dabei fuchtelten seine Hände mit dem Reitstock in der Luft umher und deuteten auf den vierbeinigen Flüchtling, der vor der mit wildem Geschrei auseinander steubenden Kindergesellschaft stutzte, einen Moment schnaufend stehen blieb und dann mit nervösem Kopfspiele und peitschendem Schweife in kurzem Trabe den Anger durchmaß.
Fritz hatte interessiert aufgeschaut. Der Gaul stampfte dicht am Pfarrgarten vorüber, und da in diesem Augenblick abermals das »Aufhalten!« des alten Herrn ertönte, so besann sich unser jugendlicher Held nicht lange, riß die niedere Staketthür auf und fiel dem Pferde in die Zügel.
Das war ein Wagnis. Der Braune stieß ein kurzes Wiehern aus und stieg dann, mit den Vorderhufen die Luft durchschlagend, kerzengrade empor. Fritz wurde mit in die Höhe gerissen, aber er ließ den Kandarenzügel nicht locker. Ein toller Gedanke strich ihm durch den Kopf. Im selben Augenblick, da die vier Hufe des Gauls wieder den Boden berührten, sprang er auf, krampfte sich mit der Linken in die Mähne des Braunen ein und packte mit der Rechten fest den Sattelknopf. Dann schwang er sich, ohne den Steigbügel zu benutzen, mächtig empor und lag im nächsten Moment mit dem Bauch quer über den Sattel.
56 Nur eine Sekunde währte die staunende Starrheit des Tiers ob dieses unvermuteten Überfalls – dann zuckte der schön geschnittene Kopf in starkem Ruck hoch empor, die Nüstern weiteten sich und die Flanken erzitterten, die Hufe tänzelten einigemale über den Boden und nun ging es heidi! in langgestrecktem Linksgalopp die Dorfstraße hinab. Quer über dem Sattel aber, die Zügel über den linken Arm bis zum Ellenbogen gestreift, hing noch immer der Kantorsjunge . . .
»Halt, Katinka – halt, ich bitte dich!« keuchte der alte Herr, seiner Dame zurufend und den eigenen störrischen Gaul zu einem unruhigen Zackelschritt parierend; »– der Junge muß toll geworden sein – willst du ihm nachrasen!?«
»Ich möcht' am liebsten,« lachte die Dame zurück, »das ist ja ein prächtiger Bengel – so etwas hab' ich mein Lebtag nicht gesehn! Wie er im Umsehn im Sattel hing – der beste Voltigeur macht ihm das nicht so leicht nach! Wenn nur kein Unglück geschieht – der Zappelphilipp hat wieder einmal seinen Zappeltag! . . . Wo steckt nun aber Wendelin? . . .«
Die junge Dame, deren nicht schönes, aber sehr sympathisches und überaus vornehmes Gesicht vom Purpur der Erregung übergossen war, zügelte ihren Schimmel und kehrte an die Seite des Alten zurück.
»Wo steckt Wendelin?« wiederholte sie. »Hätte er sich nur den Sprung über den Schlagbaum erspart – er weiß doch, daß der Zappelphilipp vor jeder Hürde scheut! Aber Wendelin ist unverbesserlich – ich meine, das dreifach gebrochene Schlüsselbein könnte ihm endlich 57 einmal eine Warnung sein! . . . Ah – da kommt er – wetternd und fluchend und humpelnd – aber es scheint ihm Gott sei dank – nichts weiter passiert zu sein . . . Uh, und dies Gesicht!« – Die Dame lachte hell auf. »Sieh nur, Papa, mit welch bitterbösem Gesicht uns Wendelin begrüßt! . . .«
Der junge Herr, der in diesem Augenblick hinter den letzten Häusern der Dorfstraße erschien und mit leicht nachziehendem rechten Fuße über den Anger schritt, sah allerdings mürrisch genug aus. Seine Toilette war arg derangiert. Das dunkelblaue Jackett war mit Staub bedeckt und die Beinkleider, sowie die über die Unterschenkel geknöpften Reitgamaschen waren mit Schmutzflecken übersäet, der graue Cylinderhut war böse zerbeult.
»Hast du dir Schaden gethan, Wendelin?« rief der alte Herr – das war der Graf Kölpin, der Gutsherr von Deesenhoff – leisen Spott im Tone, seinem Sohne entgegen.
»Ach was – Schaden!« schnarrte der junge Graf zurück. »Den rechten Huf ein klein Bissel lädiert – sonst nichts! Aber wütend bin ich – mordsmäßig wütend – ich könnte gradswegs aus der Haut fahren! Habe den Zappelphilipp ganz verdammt an die Kandare genommen und die Schenkel wie Klammern an die Flanken gelegt – 's ist nicht die Möglichkeit, den Dickkopf der Bestie zu brechen! Ich möchte den sehen, der nicht aus dem Sattel fliegt, wenn der Racker zu bocken beginnt . . .« Graf Wendelin blieb plötzlich stehen, klemmte ein Monocle ins rechte Auge und sah sich verwundert um. »Ich denke, Ihr habt den Zappelphilipp eingefangen –?« 58 fügte er lachend hinzu, »– Ihr seid mir auch die Rechten! . . .«
»Aufgepaßt!« schrie in diesem Moment die Gräfin Katinka und deutete mit dem Onyxknopf ihrer Reitgerte nach der Richtung der Kirche.
Der Graf sprang dicht an den Zaun des Pfarrhauses heran, maßlose Verwunderung in dem blassen, vornehmen Gesicht und die Augen weit aufgerissen.
Hinter der Kirchecke preschte der Zappelphilipp hervor – mächtig ausgreifend, Schaumflocken um sich werfend, muskelübergossen und zitternd in jedem Nervenstrang – fest auf ihm aber saß, tief hintenüber, die Füße weit in die Bügel geschoben und die Zügel straff angezogen, Fritz Fiedler.
Sein Gesicht war dunkelgerötet vor Anstrengung und Erregung, doch der Mund lachte übermütig und die Augen blitzten in verwegenem Triumphe. Er saß kerzengerade im Sattel und eisenfest. Die neuen schwarzen Konfirmationshosen waren bis zu den Knien herauf gerutscht, aber das genierte den mutigen Reitersmann nicht. Mit gewaltiger Kraft preßte der riesenstarke Junge dem Gaul die Flanken zusammen und hielt ihn mit ehernen Fäusten im Gebiß. Der Schaum, der dem Zappelphilipp aus dem Maule tropfte, war an den Ganaschen blutig gefärbt – der ganze Körper des Tiers war in Schweiß gebadet . . .
Mitten auf dem Dorfplatz hatte Bernschulze, der mit Holz handelte, ein paar Fuhren Eichenkloben aufgeschichtet. In seiner blinden Wut raste der Zappelphilipp direkt auf das Hindernis los. »Aha,« dachte Fritz, »da soll's hinüber . . . mir kann es recht sein,« – und, unwillkürlich 59 die Zügel etwas freier lassend, setzte er sich noch fester im Sattel zurecht. Sechs Schritt vor dem Holzhaufen stutzte der Zappelphilipp und wollte ausbrechen. Aber sein Dickkopf gab dem Fritz Fiedlers nichts nach. Ein helles Jauchzen entrang sich der Brust des Knaben, und dann hämmerte er dem Tiere mit den Stiefelabsätzen in die Seiten und preßte die Oberschenkel gleichzeitig wie Eisenklammern an die Satteldecken an . . . Zappelphilipp wieherte auf und schoß lang gestreckt, wie ein Pfeil, der von der Sehne schwirrt, über das Hindernis.
»Bravo – bravo!« rief Graf Kölpin, und »bravo!« jubelte seine Schwiegertochter, die mit vor Interesse blitzenden Augen den Vorgang verfolgt hatte, ihm nach. Graf Wendelin aber war schier außer sich vor Aufregung. Mit einigen Sprüngen stand er dicht neben dem Holzhaufen. »Kehrt – kehrt!« schrie er, krebsrot im Gesicht und mit den Füßen stampfend, »reiß ihn herum, Junge – noch mal über die Hürde – noch mal über die Hürde!« . . .
Und Fritz riß den Zappelphilipp wirklich herum, daß er auf den Hinterhufen tanzte, und setzte zum zweitenmal über das Hindernis, und riß den Gaul wieder herum und flitzte zum drittenmal über das Holz . . . Und Zappelphilipp gehorchte, ohne zu mucken – spielend nahm er die Hürde, galoppierte dann in gemäßigterem Tempo quer über den Anger und fiel endlich, wenn auch noch immer gewaltig schnaufend und prustend, in langsamen Trab. Zappelphilipp war besiegt worden.
Graf Wendelin schlug die Hände zusammen.
»Habt Ihr je so etwas gesehen!« rief er seinen Begleitern zu. »Ist's denn die Möglichkeit?! – Das ist 60 ja ein Kerl von einem Jungen, ein wahrhaftes Prachtstück! Heilige Güte, ist so etwas von Kraft schon dagewesen? Der Junge ist der reine Athlet – ein Herkules – ein Centaur – ein kleiner Gigant! Junge – he – du! . . .«
Zappelphilipp ließ sich willig regieren. Die phänomenale Körperkraft Fritzens, dieser furchtbare Schenkeldruck, der dem armen Zappelphilipp fast den Atem benommen, hatte den Starrsinn des Pferdes vollkommen gebrochen. Es ließ sich ruhig lenken und trottete in langsamem Schritt der gräflichen Gruppe zu.
Fritz sprang hochaufatmend ab – und behielt nur die Zügel in der Hand. Er fühlte sich schachmatt und zerschlagen, lächelte aber zufrieden über den errungenen Sieg.
Graf Wendelin klemmte wieder das Monocle ein und reichte Fritz die Hand.
»Tüchtige Patsche,« lachte er, seine Rechte über die Armmuskeln Fritzens gleiten lassend, – und eine Muskulatur wie von Stahl und Erz! Wetter, ist das ein Junge! . . . Wie heißt du?«
»Fritz Fiedler.«
61 »Schon oft auf 'nem Gaule gesessen?«
»Zum erstenmale.«
Der Graf schüttelte den Kopf und sah seinen Vater und seine Gemahlin in unbemessenem Erstaunen fragend an.
»Und da sag' mir noch einer, daß die rohe Kraft nichts sei!« rief er aus. »Was ich bei all' meiner Reitkunst, bei all' meiner Übung nicht fertig bekommen habe – der Junge erreicht's, weil er ein angehender Herkules ist! Freilich – bei jedem Gaule dürften seine Schraubstöcke nicht so angebracht sein – aber der Zappelphilipp ist nur mit Gewalt zu bändigen – ich hab's immer gesagt . . . Katinka, was meinst du: aus dem Jungen kann einmal ein tüchtiger Reiter werden, wenn man sich seiner annimmt?« –
»Ganz gewiß,« gab die Gräfin zurück, »du hättest nur sehen sollen, wie er im Handumdrehen oben war!«
»Ein ganzer Kerl,« bestätigte der alte Graf kopfnickend.
Graf Wendelin ließ den Blick prüfend über die stämmige Gestalt Fritzens schweifen.
»Du bist ein Bauernsohn aus Klein-Busedow?« fragte er weiter.
»Der Kantorsjunge,« erwiderte Fritz.
»Ah so – na – schadet nichts! Überlege dir mal, ob du nicht in meinen Dienst treten willst. Es ist ja möglich, daß du Interesse für die Reiterei hast, und es würde mir Spaß machen, dich ausbilden zu lassen. Gradatim natürlich. Du müßtest als Reitknecht anfangen – ich brauch' grade einen – aber ich würde dich gut halten, verstehst du? Also denk' 'mal darüber nach und frage 62 den Vater, was er dazu sagt. Und dann gieb mir Nachricht nach Deesenhoff – ich bin der Graf Wendelin Kölpin und bleibe noch vierzehn Tage in Deesenhoff, dann muß ich nach Berlin zurück zum Regimente . . . So – nun warte 'mal . . .«
Und der junge Graf zog seine Geldbörse aus der Tasche und holte mit Daumen und Zeigefinger ein glänzendes Goldstück hervor.
»Da, mein Junge!«
Fritz nahm das Goldstück und bedankte sich. Er dachte nicht daran, daß dies Geschenk im Grunde nur ein gut gemeintes Almosen war – er freute sich über die Gabe. Ein Goldstück für einen wilden Ritt über den Dorfanger – das war schon ein Verdienst, den man mitnehmen konnte! –
Graf Wendelin schwang sich in den Sattel.
»Ich erwarte dich also!« rief er Fritz noch einmal zu.
»Komm nur!« fügte die Gräfin mit freundlichem Kopfnicken hinzu – dann trabte die Kavalkade davon. Zappelphilipp schien gänzlich in sich gegangen zu sein; er ließ den buschigen Schweif hängen, trippelte langsam den andern nach und wandte nur noch einmal den kleinen Kopf mit den klugen und glänzenden Augen zurück, als ob er seinem Besieger ein versöhnendes Lebewohl zurufen wollte.
Fritz Fiedler schaute den Reitern, in der rechten Hand noch immer das Goldstück haltend, das Graf Wendelin ihm geschenkt hatte, lange nach. Als er aber sah, daß die Kinder wieder inmitten des Dorfplatzes 63 zusammenströmten, um ihn fragend und neugierig wie ein Wundertier zu betrachten – ihn, den alten Spielkameraden – und als er weiter sah, daß quer über den Anger der alte Lennert mit wackelndem Kopfe auf ihn zuhumpelte, da schoß ihm plötzlich alles Blut ins Gesicht und seine Stirn verfinsterte sich. Er riß die Thüre zum Pfarrgarten auf und stürmte spornstreichs ins Haus. 64