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3. Savitri

Manu, der erste Mensch, sprach zum fischgestaltigen Vischnu: »Wer ist die edelste unter den gattentreuen Frauen? Wer hat den Tod besiegt? Welcher Frauenname, unter den Menschen preiswürdig für alle Zeiten, macht alle Sündenschuld zunichte, wenn er gepriesen wird?«

Der Fisch sagte: »Auch Yama, der König ewiger Ordnung, der Todesgott und Totenrichter, verfährt bei gattentreuen Frauen nicht gegen den Strich, er weiß um das ewige Recht. Sie sind immerdar verehrungswürdig – sogar für ihn. Hier will ich dir eine Geschichte ausmalen, die alle Sündenschuld zunichte macht: wie eine Frau ihren Gatten erlöste, der sich in der Schlinge des Todes befand. Vorzeiten herrschte über das Volk der Madra König Aschvapati; der hatte keinen Sohn und litt darunter. In seinem Sehnen nach einem Sohn verehrte er die Gottheit der heiligsten Strophe der Veden, Savitri, die alle Wünsche gewährt – treffliche Brahmanen lehrten ihn so. Hundert Brahmanen opferten Tag um Tag der Savitri mit weißen Senfkörnern, und als zehn Tage vergangen waren, in der vierten Nacht der Mondhälfte, ließ Savitri sich leibhaft sehen vor dem Menschenbeherrscher. Sie sprach: ›König, du bist mir unwandelbar ergeben, wahrlich, ich will dir eine Tochter schenken. Von meiner Gnade geschenkt erhältst du eine strahlende Tochter an Sohnes Statt.‹ – So sprach die Göttin zum König, der sich anbetend vor ihr neigte, und ging, unstät im Räume schwebend, ins Unsichtbare.

Malati hieß die gattentreue Gemahlin des Königs, sie gebar ihm im Laufe der Zeit eine Tochter. Von Savitri geschenkt, war sie ihr ähnlich an Gestalt, und der König sagte: ›Sie soll Savitri heißen.‹ Als sie herangewachsen war, bestimmte ihr Vater sie Satyavant zur Frau. Danach sagte der Heilige Narada zum kraftstrahlenden Könige: ›In einem Jahre ist die Lebenszeit des Königssohnes Satyavant abgelaufen.‹ Aber der König gedachte des Wortes ›Mädchen werden nur einmal in die Ehe vergeben‹ und blieb trotz Naradas Mahnung dabei, seine Tochter dem schönen Sohne Dyumatsenas zu vermählen.

Als Savitri im Hause König Dyumatsenas mit ihrem Gatten Satyavant vereint war, erwies sie ihrem Gatten und ihrem Schwiegervater vollkommenen Gehorsam; aber das Wort Naradas quälte ihren Sinn. König Dyumatsena erblindete und wurde wenig später mit den Seinen aus seinem Königreich vertrieben, er hatte keine Freude an dem Königskinde, das er zur Schwiegertochter bekommen hatte. Die Vertriebenen lebten beisammen in der Wildnis.

Es kam der Tag, nach dem Satyavant nur mehr vier Tage zu leben hatte; da legte sich die fromme Königstochter mit Einwilligung ihres Schwiegervaters ein dreitägiges Fasten auf. Als dann der letzte Tag gekommen war, ging Satyavant, der nichts von seinem nahen Ende ahnte, in den Wald, um Brennholz, Blumen und Früchte zu holen. Savitri begleitete beklommen den Gatten in den großen Wald; der blinde König gewährte ihr, daß sie ihn allein ließ; er scheute sich, ihr eine Bitte zu weigern. Mit zerquältem Denken verbarg sie ihre große Angst und fragte im Walde den Gatten nach Bäumen, die sie nicht kannte, und der heldenhafte Mann sprach zur Königstochter mit den großen Lotosaugen und wies ihr Bäume, Vögel und wilde Tiere im Dickicht.

Satyavant sprach: ›Sieh hier im Wald, den frisches Gras bedeckt, den reizenden Mango, er ist den Augen lieb und dem Geruch und mehrt im Frühling die Liebeslust. Sieh auch den roten Aschoka im Walde, wie schön er blüht, er lacht mich an wie der Frühling, du Großäugige! Zur Rechten sieh hier den schönen Waldfleck, mit Kimschukas bestanden, sie leuchten wie flammendes Feuer! Aus den Waldstreifen steigt der Geruch der Duft-Mangoblüten, und der Wind umfängt uns mit Schmeichelgebärden, die uns die Müdigkeit nehmen. Hinter uns jener Waldstrich, du Weitäugige, schimmert golden mit blütenbesäten Karnikarabäumen. Und dieser schöne Fleck hier, wo Netze von Schlingpflanzen den Weg versperren, wie reizend ist er im Schmuck seiner Blütenfülle, du ringsum Feingliedrige! Unter dem Anschein des Summens honigtrunkener Bienen zieht der Liebesgott schwirrend die Sehne seines Bogens an, du Schönfarbene, und will treffen, wer des Weges kommt. Dieser Waldfleck hallt wider von den Stimmen der Kokilmännchen, ihre Schnäbel schimmern hell von den Früchten, die sie kosteten, er gleicht dir mit deinem fein gemalten Zeichen auf der Stirn. Der Kokil im Wipfel des Mangobaumes ist gelbrot von Blütenstaub, kaum zu gewahren, er verrät sich durch sein Rufen wie ein Edler durch sein Gebaren. Von Blume zu Blume fliegt der Brummer durch den Wald, liebevoll summend, hinter der Liebsten her, ihr Leib ist mit Blütenstaub besalbt. Das junge Kokilmännchen kostet zusammen mit der Geliebten vom Blütenschößling des jungen Mango, den es mit der Schnabelspitze abgebrochen hat, obschon doch noch viele andere Blüten im Walde stehen. Dort im Wipfel des Baums füttert ein Krähenmännchen sein Weib mit dem Schnabel, es hat gebrütet und deckt mit den Flügeln die Jungen. Ein junges Haselhuhn hat mit seinem Liebsten eine Falte im Boden aufgesucht und nimmt, von Liebesverlangen überwältigt, keine Nahrung zu sich. Aber der Sperling hängt in Liebeslust am Schoße der Geliebten, und immer von neuem erregt sein Spiel den Liebenden Sehnsucht, du Weitäugige! Dort hat ein Papagei mit seinem Weib sich auf einen Zweig geschwungen und drückt ihn mit der Kralle herab, und der Zweig sieht aus, als wäre er von Früchten schwer.

Dort im Dickicht ruht ein junger Löwe, satt vom Safte blutigen Fleisches ist er in Schlaf gefallen, und seine Liebste liegt zwischen seinen Pranken. Sieh dort das Tigerpaar in der Felshöhle, das Glitzern seiner funkelnden Augen scheint die Höhle zu zerspalten. Der Panther dort leckt seine Liebste wieder und immer wieder mit der Zungenspitze und fühlt Lust, wie seine Liebste ihn beleckt. Die Äffin bereitet ihrem Affen Behagen: sie hat seinen Kopf in ihren Schoß genommen, und während sein Sinn schlaf übermannt ist, sucht sie ihn ab. Der Wildkater dort krallt seine Schöne, die zur Erde herabgesprungen ist und den Bauch nach oben kehrt, und beißt sie mit den Zähnen und tut ihr dabei nicht weh. Häslein und Häsin sind eingeschlafen, beide eng aneinander gedrückt, ihr Leib und ihre Füße sind ganz verschmolzen, man kann sie nicht auseinander kennen, aber ihre Ohren heben sich deutlich ab. Aber der brunstfrohe Elefant, der im lotoserfüllten Teiche gebadet hat, bringt seiner Liebsten Bissen von Lotoswurzeln zu essen, du Schlanke! Die Wildsau, der die Ferkel nachlaufen, folgt der Spur ihres Liebsten und macht Bissen aus den Wurzeln, die sein Rüssel aufwühlt. Der Büffelstier mit stämmigen Gelenken, den Leib von Schlamm gesalbt, folgt voll mächtigem Verlangen der Liebsten, die im Walde davonläuft. Und sieh, Schlankgliedrige, die gefleckte Gazelle, wie sie mich voll Wißbegier mit prüfenden Blicken mustert, weil ich meine Frau bei mir habe. Sieh, ein Gazellenweibchen kratzt sich mit dem Hinterfuße das Gesicht und furcht voll Zärtlichkeit den Gatten mit der Spitze des Gehörns. Sieh dort geschwind die Yakkuh mit weißem Schweif, sie rührt sich nicht zum Gehen, der liebestolle Yakbüffel macht sich über sie und blickt mich voll Hoheit an. Sieh dort den Wildstier mit seinem Gemahl sich an der Sonnenglut freuen, wie er wiederkäut und die Krähe von seinem Nackenbuckel wehrt! Sieh den Ziegenbock mit seinem Gemahl, wie er seine Vorderfüße am breiten Stamm des Badaribaums aufstemmt und seine Früchte zu essen verlangt. Den Wildschwan sieh, der mit seinem Gemahl über das lauterklare Gewässer hinzieht – es ist, als mache er aus seiner Geliebten eine rings beblühte Lotospflanze, du Schöne!

Früchte hab' ich gesammelt, du mit den schönen Brauen, und du hast Blumen gesammelt; Brennholz ist noch nicht gemacht, das will ich jetzt machen. Halte dich hier am Ufer des Teiches im Schatten der Bäume, verweile einen Augenblick und ruh' dich aus!'

Savitri sprach: ›Das will ich tun, Geliebter, aber entferne dich nicht vom Pfad meiner Blicke, ich fürchte mich hier im wilden Walde!‹ Da machte er Brennholz im Walde unter den Augen der Königstochter, nahe von ihr, noch voll vom Saft des Lebens, aber in ihren Gedanken war er schon tot.

Wie er so Holz spaltete, befiel ihn Kopfweh. Schmerzgequält ging er zu ihr und sprach: ›Ich habe von der Anstrengung Kopfschmerz bekommen, mir ist, als ginge ich in ein Dunkel ein, und ich erkenne nichts mehr. Laß mich mein Haupt in deinen Schoß legen, ich will jetzt schlafen!‹ So sprach der König zur Königstochter und legte, mit Augen trüb vor Schlaftrunkenheit, den Kopf in ihren Schoß und schlief ein.

Da sah die gattentreue reine Königstochter den Todesgott, Yama, den ›König ewigen Rechts‹, wie er leibhaftig herankam. Der Mächtige war dunkelfarben wie blaue Lotosblüte und war in gelbes Gewand gekleidet. Er glich einer regenschweren blau-schwarzen Wolke, deren Leib von Blitzen wie Schlingpflanzen umwunden ist: schimmernd mit sonnenfarbenem Diadem und Ohrgehängen, mit schwerem Perlenschmuck auf der Brust und mit Ringen an den Armen. Seinen Schritten folgten Zeit und Tod.

Er trat herzu: da zog er aus Satyavants Leibe das daumengroße Seelenmännchen, in seiner Schlinge gefangen, ihm verfallen, und schritt damit eilends nach Süden, wo die Todeskräfte zu Haus sind, von dannen.

Als Savitri mit den herrlichen Hüften ihren Gatten leblos sah, ging sie unermüdet dem entschreitenden Könige ewigen Rechtes nach, sie legte bittend die hohlen Hände zusammen und sprach mit zuckendem Herzen: ›Die Erdenwelt gewinnt der Mensch durch fromme Liebe zur Mutter, die mittlere Welt durch fromme Liebe zum Vater, und wer auf den Lehrer hört, gewinnt die Welt Brahmas. Alle ewige Ordnung ehrt, wer diese drei ehrt. Wer diese drei nicht ehrt, erntet von keinem Werke Frucht; solange diese drei am Leben sind, folge er niemand anderem. Immerdar höre auf sie, wer auf Liebes und Gutes bedacht ist. Wenn er ohne ihre Rechte zu schmälern bei jemand anderem in Dienst und Abhängigkeit ist, so bringe er ihnen diesen Dienst in Gedanken, Worten und Werken als ein insgeheim für sie gemeintes Opfer dar. Denn in diesen dreien ist alle Pflicht des Menschen beschlossen.‹

Yama sprach: ›Kehr schleunigst um und laß von deinem Wunsch. Wohl gibt es außer diesen keine Pflicht. Mich hältst du auf, und dich ermüdest du, drum spreche ich jetzt so zu dir. Eltern und Lehrer zu verehren war Lust für deinen Gatten, und du bist wie eine Frau sein soll, bist deinem Gatten ganz ergeben. Kehr heim, du Fromme, du bist jetzt müde.‹

Savitri sprach: ›Der Gatte ist Gott für die Frau, der Gatte allein ist ihr Ein und Alles. Dem Gatten folge die treue Frau: er ist der Herr über den Schatz ihres Lebens. Ermessenes gibt der Vater, Ermessenes der Bruder, Ermessenes der Sohn – welche Frau ehrte den Gatten nicht: den Geber des Unermessenen? Wohin mein Gatte geführt wird oder selbst geht, da muß ich auch hingehen, soweit ich vermag, höchster der Götter! Vermag ich dir, der meinen Gatten mitnimmt, auf deinem Gange nicht zu folgen, so will ich mein Leben hinfahren lassen. Möchte wohl eine hochgesinnte Frau, des Schmuckes wert, durch das Wort ›Wittum‹ verdunkelt, auch nur einen Augenblick ungeschmückt leben?‹

Yama sprach: ›Du Gattentreue, Reine, hochzufrieden bin ich mit dir, du Strahlende – wünsche dir unverweilt eine Gabe außer dem Lebenshauche Satyavants.‹

Savitri sprach: ›Gib meinem edlen Schwiegervater, der sein Augenlicht verlor und dessen Königsmacht zerfiel, Königsmacht und Augenlicht wieder.‹

Yama sprach: ›Auf fernem Pfade kehre um, du Gute, dies alles wird geschehen, wie du gesagt. Mich hältst du auf, und dich ermüdest du, drum spreche ich jetzt so zu dir.‹

Savitri sprach: ›Wo käme Ermüdung her, woher käme Leiden, wenn Gute mit Guten sich begegnen? Darum fühle ich keine Ermüdung in deiner Nähe, höchster der Götter! Gute allein sind immerdar Zuflucht für die Rechten wie für die Schlechten, die Bösen sind nicht Zuflucht für die Bösen, noch für die Guten, und nicht einmal für sich selbst. Nicht von Gift noch Feuer, nicht von Schlange noch Schwert kommt solche Gefahr wie von den Bösen, die ohne Grund allem, was lebt, feindlich gesonnen sind. Wie Gute ihr eigen Leben hingeben, um anderen zu helfen, so opfern es auch die Bösen auf, ganz versessen, andere zu quälen. Wer diese Welt für unwert hält wie einen Grashalm, opfert sein Leben, so opfert der Böse, der anderen zu schaden vermag, seine andere Welt. Daher erkannte Brahma, der Ältervater der Welt, selbst, um die Bösen zu schlagen, unter den Menschen Schar für Schar einen König. Der König soll über die Menschen wachen, die Rechten ehren und die Bösen zähmen. In dieser Welt ist der König Weltüberwinder, der die Bösen zähmt und die Guten beschirmt, das bildet die Pflicht des Königs, der nach seinem Tod in den Himmel der Götter einzugehen verlangt. Du aber bist der strafende Herr über die Bösen, die unter den Königen der Menschen straflos blieben, darum erscheinst du mir als der Gott über den Göttern. Die Guten aber tragen die Welt, und du stehst allen Guten voran. Darum werde ich nicht müde, o Gott, wenn ich deinen Schritten folge.‹

Yama sprach: ›Zufrieden bin ich, du Weitäugige, mit deinen Worten, die heiliger Ordnung voll sind. Wünsche dir unverweilt eine Gabe außer dem Lebenshauche Satyavants.‹

Savitri sprach: ›Einhundert leibliche Brüder wünsche ich mir, o Herr! Ohne männliche Nachkommen ist mein Vater, er soll Söhne haben und glücklich werden!‹

Zu ihr sprach Yama: ›Geh, Untadlige, wie du gekommen! Mit Totenbräuchen mühe dich um deinen Gatten. Nachzufolgen vermagst du ihm nicht, der in die andere Welt gegangen ist. Gattentreu bist du, darum wirst du alsbald zu mir gelangen. Mit seinem Gehorsam gegen die Eltern und seinen geistlichen Lehrer hat Satyavant viel Heiligkeit erworben, darum führe ich selbst ihn hinweg. Es ist Pflicht für den Klugen, Vater, Mutter und Lehrer zu ehren, du Schönfarbene. Und diese drei hat Satyavant immerdar in der Waldwildnis zufriedengestellt und geehrt, mit dir vereint hat er sich auf lange Seligkeit im Himmel der Götter errungen. Durch Glut der Askese und Keuschheitswandel und Verehrung des heiligen Feuers gehen die Menschen zur Seligkeit im Götterhimmel, und durch gehorsame Verehrung von Älteren. Den Lehrer, den Vater, die Mutter und den älteren Bruder darf man nicht geringachten, zumal keinen Brahmanen. Der Lehrer ist die leibhaftige Erscheinung Brahmas, der Vater ist leibhaft der ›Herr der Ausgeburten‹, die Mutter ist leibhaftige Gestalt der Erde, der Bruder ist leibhafte Gestalt des eigenen Selbst. Durch die Zeugung tragen die Eltern Mühe bei der Entstehung der Menschen, auch nicht in Hunderten von Jahren kann sie vergolten werden. Ständig soll man ihnen Liebes erweisen und dem Lehrer immerdar. Wenn diese drei zufrieden sind, ist alle Askese erfüllt. Gehorsam diesen dreien heißt höchste Askese, nicht soll man ohne ihre Einwilligung in einer andern Lebensordnung wandeln. Sie sind die drei Welten, sie sind die drei Lebensstufen, eben sie sind die drei Veden und heißen auch die drei Opferfeuer: der Vater ist das hausväterliche Feuer, die Mutter gilt als das Feuer der Südseite, und der Lehrer ist das Feuer für die Götterspenden – hochheilig ist diese Dreizahl der Opferfeuer. Der Hausvater, der diese drei bedachtsam hegt, erringt sich alle drei Welten; leibhaft wie ein Gott strahlend freut er sich im Himmel der Götter. – Dein Wunsch getan, kehr um, du Gute, dies alles wird geschehen, wie du gesagt. Mich hältst du auf, und dich ermüdest du, drum spreche ich jetzt so zu dir.‹

Savitri sprach: ›Das Rechte zu üben, o bester der Götter, wie brächte es Müdigkeit und Erschöpfung? Und deinen Füßen sich zu weihen ist Urgrund alles rechten Wandels. Darum soll der Kluge das Rechte üben, sein Gewinn zeichnet sich vor allem anderen Gewinn aus. Das Rechte, die Habe und die Sinnenfreude, diese Dreizahl ist die Frucht eines Lebens; aber wer des Rechten ermangelt, o Herr, bei dem gleichen Sinnenfreude und Habe dem Sohne der Unfruchtbaren: es kann sie nicht geben. Aus dem Rechten wächst die Habe, so auch die Sinnenfreude, aus dem Rechten wächst diese und die andere Welt, das Rechte allein folgt dem Menschen nach, wohin immer er geht. Denn samt dem Leibe geht alles andere zugrunde; einsam ist alles was lebt in der Geburt, einsam im Tode. Allein das Rechte folgt ihm nach, nicht Freunde noch Verwandte. Tat, Glück und Schönheit: alles wird durch das Rechte erlangt. Die Welten Brahmas, Indras und Vischnus, Schivas und des Mondes und aller anderen Götter, die alle Wünsche gewähren, erreicht der Mensch durch das Rechte, die seligen Eilande und die beglückenden Weltteile. Dank des Rechten gehen die Menschen zu ›.Freude‹ und anderen Lustgärten der Götter ein und erlangen, auf dem Rücken des Himmelsgewölbes zu leben und in wunderbaren schwebenden Götterpalästen und bei reizenden Himmelsfrauen. Sonnengleich strahlende Leiber sind immerdar der Frommen Lohn, Königtum und erwünschte Erfüllung alles Verlangens.

Die großen heiligen Weihen sind Frucht frommen Werkes, die Herrscherstäbe aus Gold und Beryll, blendend wie die Sonne, und Yakschweifwedel als Zeichen königlicher Hoheit werden den Menschen reiner Werke zuteil, du Wächter über die Götter! Durch frommes Werk erlangt der Mensch, daß der Sonnenschirm der Königswürde, weiß schimmernd wie der volle Mond, von Seide und Juwelen strahlend, ihm zufällt, daß Siegrufe, Schall der Muschelhörner und Preisworte von Wagenlenker und Sänger ihm entgegenschallen. Der Königsthron und die Wasserkanne, aus der die Könige geweiht werden, herrliches Essen und Trinken, Gesang, Dienerschaft, Kränze und Salben, erlesene Juwelen und Kleider sind die Frucht frommen Werkes, dazu Frauen voll Schönheit, Größe und Tugenden, die den Sinn berücken. Wer Gutes tat, wohnt auf Palastterrassen, die mit Kränzen von Yakschweifen und goldenen Glöckchen gekrönt sind. Um reinen Werkes willen, das er einst vollbrachte, tragen den Menschen die Pferde; auf goldgegürteten Elefanten, die wankenden Burgen gleich einherschwanken, reiten Menschen dank frommer Werke.

Zum ewigen Rechten, das alle Wünsche gewährt, alle Schuld und bösen Wandel zunichte macht, tragen die Menschen ihre gläubige Hingabe samt frommem Werke, o Gott! Seine Tore sind Opfer, Askese, Freigebigkeit, Selbstbezwingung, Geduld, Keuschheit, Wahrhaftigkeit, glückbringende Wallfahrten, Lernen heiliger Lehre, ihr Bewahren und weitergeben, das Zusammenleben mit Guten und Verehrung der Götter, Gehorsam gegen Ältere und Lehrer, Brahmanen ehren, die Sinne besiegen, keusch und frei von Ichsucht leben.

Darum soll der Kluge immer das Rechte üben, denn der Tod wartet nicht ab, ob er's getan hat oder nicht getan. Schon das Kind soll im Rechten wandeln, unbeständig ist das Leben, o Gott – wer weiß, wann der Tod ihm jählings naht? Aber die Menschenwelt sieht zwar den Tod vor Augen, aber sie geht dahin, als wäre sie unsterblich – höchst seltsam ist das, höchster der Götter! Das Kind sieht die Jugend vor sich, Jugend das Alter, aber der Alte, der schon im Schöße des Todes sitzt – was sieht er vor sich? Findet er dort selbst Schutz, wohin führt ihn sein Gang mit dem Tode? Nichts ist furchtbar, gemessen am Tode, und nirgends ist er den Lebendigen nicht zu fürchten – aber die Wahren, die immerdar Gutes getan haben, sind auch im Tode ohne Furcht.‹

Yama sprach: ›Zufrieden bin ich, Weitäugige, mit deinen Worten, die voll heiliger Ordnung sind. Wünsche dir unverweilt eine Gabe außer dem Lebenshauche Satyavants.‹ – Savitri sprach: ›Ich wünsche mir, von dir geschenkt, einhundert leibliche Söhne; für den Kinderlosen findet sich kein Pfad in den Welten.‹ Yama sprach: ›Dein Wunsch getan, kehr um, du Gute; Frucht tragen wird, was du gesprochen hast. Mich hältst du auf, und dich ermüdest du, drum spreche ich jetzt so zu dir.‹

Savitri sprach: ›Du kennst die Regeln des Rechten und Unrechten, alle Ordnung des Rechten setzest du in Lauf, du bist der Schirmherr alles Lebendigen, du heißest Yama, der ›Bändiger‹, und bändigst alle Geschöpfe. Weil du mit der Ordnung des Rechten alle Geschöpfe erfreust, geben dir die Guten den Namen ›König der Rechtsordnung‹. Gutes und Böses stellen die Menschen, wie sie es tun, vor sich, damit treten sie im Tode vor dich hin, darum heißt du ›Tod‹. Zeit und Halbzeit für alle zählend stehst du da, darum gibt, wer dein wahres Wesen erschaut, dir den Namen ›Zeit‹. Weil du der große Endebringer für alle Wesen bist, darum nennen dich, du Großstrahlender, alle Götter den ›Ender‹. Du wirst als erster Sohn des allhinleuchtenden Sonnengotts gefeiert, darum spricht man in allen Welten von dir als dem ›Kind des Allhinleuchtenden‹.

Wenn der Schatz der Werke früheren Lebens, der dieses Lebens Dauer bestimmt, dahingeschwunden ist, ergreifst du jählings den Menschen, davon heißt du in der Menschenwelt ›der allem den Lebenshauch raubt‹. Dank deiner Gnade geht die ewige Ordnung der drei Veden nicht unter, verharren die Geschöpfe in ewiger Ordnung, dank deiner Gnade fließen die Kasten nicht ineinander. Du wirst als ewiger Pfad der Wahren gepriesen, Welthüter alles Lebendigen, Hüter der Grenzen! Edelster der Götter, hilf mir Unglücklichen, die bei dir Hilfe sucht, hilf auch den beiden unglücklichen Eltern des Königssohns!‹

Yama sprach: ›Ich habe Gefallen an deinem Preisen und deinem Glauben, du Fromme, und gebe dir deinen Gatten Satyavant frei. Empfange was du verlangst, und geh, du Zarte! Fünfmal achtzig Jahre lang wird er König sein mit dir vereint, dann wird er zum Rücken der Himmelsschale aufsteigen und bei den Göttern in Seligkeit leben. Hundert Söhne wird Satyavant in dir zeugen, und alle werden Könige sein, den Göttern vergleichbar. Die ersten unter ihren Söhnen werden immer von dir ihren Namen haben. Und dein Vater wird mit deiner Mutter hundert Söhne haben. Wer mich mit deinem Preislied lobt, du Fromme, morgens wenn er aufgestanden ist, der soll auch ein langes Leben haben.‹ So sprach Yama und gab den Königssohn frei und schritt samt Zeit und Tod ins Unsichtbare.

Da ging die reine, schönfarbene Savitri den Pfad, den sie gekommen war, zurück zum toten Satyavant. Sie trat zu ihm und nahm sein Haupt in ihren Schoß. Die Schlanke saß nieder, indes die Sonne untergehend niederwärts hing. Und Satyavant, freigegeben vom ›Könige ewigen Rechtes‹, tat langsam, ganz langsam beide Augen auf und regte sich. Dann sprach er mit wiedergekehrtem Lebenshauche zu der Geliebten: ›Wohin ist jener Mann gegangen, der mich mit sich fortzog? Nicht weiß ich, Schönhüftige, wer dieser Mann ist. Und der Tag ist vergangen, derweil ich hier im Walde schlief, du Feine! Von Fasten bist du matt, und ich war dir zur Last und habe harten Herzens Besorgnis um mich über die Eltern gebracht. Schnell will ich sie wiedersehen, komm eilends!‹

Savitri sprach: ›Da die Sonne gesunken ist, wollen wir, wenn es meinem Gebieter gefällt, zur Einsiedelei gehen, zum blinden Schwiegervater und der Mutter, dort will ich dir sagen, was sich begeben hat.‹ Sie kamen beide zur Einsiedelei: da hatte König Dyumatsena das Augenlicht schon wiedererlangt und quälte sich mit seiner Gattin, daß er seinen geliebten Sohn und die von Fasten abgezehrte Schwiegertochter nicht sah. Die Asketen in der Einsiedelei trösteten ihn; da sah er seinen Sohn mit der Schwiegertochter vom Walde daherkommen. Savitri mit den schönen Hüften und Satyavant neigten sich ehrfürchtig vor dem Könige, der Vater umarmte Satyavant, der Königssohn begrüßte alle Asketen und verbrachte, heiliger Ordnung kundig, die Nacht in Gesellschaft der Heiligen. Und die untadlige Savitri erzählte, was sich begeben hatte. In dieser Nacht endete sie ihr Fastengelübde.

Als die Nacht sich neigte, kam unter Musik das Volk und Heer des Königs, ihm die Königsherrschaft anzutragen, und teilte ihm den Auftrag der Minister mit: ›Der ehedem die Königsherrschaft an sich riß, o König, als du blind warst, der König ist von den Ministern erschlagen, und du bist König in unserer Stadt.‹ Als der König das vernahm, zog er fort mit dem Heer von Elefanten, Wagen, Reitern und Fußvolk und nahm vom großwesenden Könige ewigen Rechtes das ganze Königreich zu eigen. Und Savitri, die schöne Frau, bekam einhundert Brüder: so rettete die gattentreue gute Königstochter das Haus des Vaters und das Haus des Gatten, die Schönhüftige befreite den Gatten, als er der Schlinge des Todes verfallen war. Darum sollen fromme Frauen von den Männern immerdar wie Gottheiten verehrt werden: ihre Reinheit trägt alle drei Welten. Nie bleibt ihr Wort fruchtlos in allen Welten und bei allen Wesen. Darum sollen alle, die nach Erfüllung ihrer Wünsche verlangen, sie immerdar verehren.«

 

Eine Gestalt, die alle Zeiten und Räume überwächst: die Frau, die um des Mannes willen den Tod nicht fürchtet und ihn besteht. Wie Savitri, bringt Isis den toten Gemahl wieder ins Leben zurück, wie sie folgte die »wahre« Hindufrau, die »Sati«, dem Gatten auf dem Pfade des Todes nach, wenn sie sich mit seinem Leichnam verbrennen ließ. Savitri ist das Urbild der »wahren« Frau, die ganz der Erfüllung göttlicher Lebensordnung lebt und so von ihr zu zeugen weiß, daß auch ihr göttlicher Hüter darüber ohne Widerrede bleibt. Ein großes Bild: die Frau, dem Todesgotte unermüdet nachschreitend, mit Reden ohne Ende ihn zum Hören und immer neuen Gewähren zwingend; Weib und Tod miteinander im Gespräch über die Weisheit, die alles Leben trägt, und die unterwürfig Fromme, selbstlos Gläubige hat das letzte Wort. Die Frau, die mütterlich das Leben in sich trägt und aus sich bringt, wie die Mutter Erde, steht dem Tode unbefangener, stärker gegenüber als der Mann, der, wie er ein Kind seiner Mutter ist, viel mehr ein Kind des Todes scheint als die Frau.

Wie die Göttermutter Aditi einen Zauber übt, wenn sie Vischnu beschwört, ehe er als Knirps in ihren Leib eingeht: »So wahr ich dieses wahr gesprochen habe« – nämlich alles, was sie preisend erkennend über Vischnus Wesen gesagt hat –, »so wahr sollen alle meine Wünsche in Erfüllung gehen!« – ein Zauber des »Ergreifens der Wahrheit« (satyagraha), uralt und zuletzt von Gandhi als Beschwörung sittlicher Kräfte und politischen Schicksals erneuert: reine Opferbereitschaft zwingt die Mächte, zu helfen – so übt Savitri mit all ihren Worten an den Tod Beschwörung und Zauber. Dem Unwissenden entzieht sich die Gottheit, der wissenden Seele muß sie sich stellen. Savitri spricht das Wesen des Gottes an, den sie gewinnen will, sie spricht von allen Formen des Rechten, dessen richtender Hüter er ist. Weil sie selbst von fleckenlos rechtem Wandel ist und für einen Reinen bittet, sind ihre Worte mächtig: ihr Wissen quillt aus ihrem Wesen, wenn es auch die Weisheit aller Ahnen ist, und trifft ins Wesen der Gottheit. Sie weiß um das Wesen des Gottes: ihr eigenes hat innig teil an seinem; das hält ihn fest, der ihr enteilen möchte. Beim Naheliegenden, das ihr geläufig sein soll, hebt sie an: bei den Formen des rechten Lebens in der Familie, und zeigt dem Gott: sie weiß was ihm als wesenhaft gilt, soweit es sie selbst betrifft. Noch kann er ihr entfliehen, denn sein Wesen ist viel umfassender, es umgreift alles in der Welt, was göttliche Ordnung des Rechten ist. Aber sie dringt ihm nach in sein weites Geheimnis und stellt ihn; nichts was zu seinem Wesen gehört, scheint ihr fremd, sie weiß um alles Rechte in der Welt und in allen Welten, sie umgreift die ganze Sphäre des Gottes: Beziehungen, Vergeltungen und ihren Sinn. So kreist sie ihn ein, schließlich deutet sie seine Namen: die offenbaren Geheimzeichen seines Wesens im Reiche beschwörenden Stimmklangs, und sagt ihm damit: Ich weiß um dich, und du entkommst mir nicht! Dann erst – zuletzt – betet sie zu ihm, sie ist gewiß, ihn in aller Vielfalt seiner Ordnung rings gefaßt zu haben – jetzt kann er ihr sogar, was gegen seine Ordnung geht, nicht verweigern.

Die göttliche Ordnung »trägt die Welt«, sie selbst aber wird samt der Welt von den »wahren«, den »rechten« Menschen getragen; von Savitri und ihresgleichen gilt der Spruch:

»Die Wahren führen durch Wahrhaftigkeit die Sonne ihre Runde,
Die Wahren tragen durch Kasteiungsglut die Erde,
Die Wahren hüten, was je ward, je werde,
Inmitten Wahrer gehen Wahre nicht zu grunde.«


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