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Fünftes Kapitel

Die Mutter spinnt Garn. Die Wohnung im Fels. Der Heringszug kommt. Man findet Baumwolle, gründet neue Niederlassungen und baut ein Boot. Die Täubchenernte trifft ein. So zähmt man Tauben.

Ich kann nicht sagen, wie froh und glücklich uns zumute ward, als nach langen, trübseligen Wochen der Himmel begann, sich aufzuklären, die Sonne wieder schien und die Witterung anfing, milder und ruhiger zu werden. Mit lautem Jubel entschlüpften wir unsern dumpfigen Gemächern, ergingen uns an der frischen Luft und erlabten unsre Augen an dem heitern jungen Grün, das allenthalben kräftig aus der Erde keimte. Die ganze Natur war gleichsam neu erstanden. Jedes Geschöpf sog mit Wonne die neue Lebensluft in sich ein. Alle Plagen des sogenannten Winters waren vergessen, und voller Zuversicht sahen wir den Arbeiten und Beschwerden des Sommers entgegen, als seien sie ein Kinderspiel.

Unsere gesamte Baumpflanzung stand im lebendigsten Triebe; die Samen, die wir dem Erdreich anvertraut hatten, stiegen üppig empor, an den Bäumen prangte der Schmuck frisch ausschlagender Blätter und Zweiglein; der Boden überkleidete sich mit einer herrlichen Mannigfaltigkeit der vielfarbigsten Blumen und der saftigsten Kräuter, die man nur sehen konnte; balsamische Düfte von zahllosen Blüten durchzogen die Luft, und der Gesang der aufwachenden, überall aus ihrem Versteck in das gemeinsame Leben hervoreilenden, buntgefiederten Vögel vollendete das Bild eines lachenden Frühlings und einer aufgehenden Schöpfung.

Voll neuen Mutes begannen wir jetzt unsre Arbeiten durch das Aufräumen und Ausputzen unsres Baumschlosses, wo der Regen und abfallendes Laub es verderbt oder verunstaltet hatten; und nach wenigen Tagen schon waren wir imstande, es wieder förmlich zu beziehen, die Wendeltreppe frei zu machen, die Gemächer zwischen den Wurzeln mit der alten Bequemlichkeit einzurichten und uns nun ferner zweckmäßigen Unternehmungen eifrig zuzuwenden.

Der Mutter lag natürlich vor allem ihr geliebter Flachs am Herzen. So trug ich ihr also, indes die Jungen unser Vieh ins frische Gras hinaustrieben, die feuchtgewordenen Bündel der Flachspflanze ins Freie und half ihr, ein Gestell zum vorläufigen Dörrofen erbauen, damit alles recht schnell getrocknet werden könne. Dann ging das Brechen und Hecheln los. Die Jungen wurden angestellt, um allenthalben beizuspringen, besonders aber die Stengel vor dem Brechen mit tüchtigen Prügeln auf einem Tisch abzuklopfen, um so das Sprödeste von der Haut herauszuschlagen. Die Mutter hielt sich ans Brechen, ich selbst machte den Hechler und lieferte so vortreffliche Ware, daß wir alle ganz entzückt waren.

»Nun schnitze mir aber auch gleich eine Spindel, lieber Mann«, bat die Mutter, ganz rot vor Eifer, »damit ich sofort anfangen kann, die Büschel zu Garn zu verarbeiten.«

Durch Kunst und Fleiß brachte ich denn wohl eine Spindel und selbst einen Haspel glücklich zustande; und nun ergab sich die gewerbsame Frau dem Geschäft ihrer liebsten Bestimmung mit einer solchen Leidenschaft, daß sie nicht einmal Lust zeigte, den lang entbehrten Genuß eines Spazierganges oder eines Ausflugs in die Weite sich angedeihen zu lassen, sondern froh war, wenn nur wir uns davonmachten und sie höchstens mit einem der Knaben zu Hause ließen, damit sie desto ungestörter für die künftigen Bedürfnisse von Fäden, Schnüren, Strümpfen und Leinwand gehörige Vorkehrungen treffen könnte.

Wir aber unternahmen sofort einen Zug nach Zeltheim, um zu sehen, wie der Winter sich dort bemerkbar gemacht habe und ob auch da zu flicken und aufzuräumen sei, wie es in unserem Baumpalaste so nötig gewesen war.

Wir fanden leider, daß Zeltheim ohne Vergleich härter mitgenommen und mannigfaltiger beschädigt worden war als das luftige Falkenhorst. Sturm und Regen hatten vereint das Zelt niedergeworfen, einen Teil der Segeltücher hier völlig weggeführt und alle unsre Vorräte dermaßen angegriffen, daß vieles sich ganz unbrauchbar zeigte und anderes nur durch die schleunigsten Anstalten zum Trocknen vor dem Untergange bewahrt werden konnte.

Glücklicherweise war doch die wohlgebaute Pinasse so ziemlich von aller Zerstörung verschont geblieben. Dagegen schien unser Tonnenschiffchen entsetzlich heruntergebracht und so baufällig, daß ich gar nicht hoffen durfte, es zu einer Fahrt wieder gebrauchen zu können.

Bei genauerer Prüfung unsrer Vorräte zeigte sich besonders ein namhafter Schaden in unserm Pulver, von dem ich drei Fäßchen unter dem Schirme des Zeltes zurückgelassen und nicht in das größere Magazin unter die Wölbung der Fluß hinter den Vorsprung der Felsreihe gebracht hatte. Zwei von diesen Fäßchen fand ich durch hineingedrungenes Wasser so gänzlich zugrunde gerichtet, daß ihr Inhalt ohne allen Nutzen weggeschüttet werden mußte. Dieser wichtige und leider unersetzliche Verlust wurde mir jetzt ein Antrieb, desto schneller auf ein künftiges Winterquartier zu denken, wo dergleichen Unfälle nicht mehr möglich wären und wo wir sowohl uns selbst als unsre sämtlichen Gerätschaften mit Sicherheit durch die nassen Monate hindurchfristen könnten.

Indes wagte ich keineswegs zu hoffen, daß wir, nach Fritzens riesenmäßigem Vorschlag, uns in die Felswand würden eingraben können; denn zu diesem Unternehmen schien bei unsern äußerst beschränkten Kräften kaum die Verwendung von drei oder vier Sommern hinreichend zu sein. Gleichwohl ließ mir meine Sehnsucht nach einer geräumigen und wasserfesten Wohnung gar keine Ruhe, bis ich wenigstens einen Versuch gemacht haben würde, wie der Fels sich bearbeiten lasse, und vorläufig einen Keller für unser Pulver ausgehöhlt hätte, wo dieser kostbarste von unsern Schätzen gegen die Unbill der Witterung künftig auf eine zuverlässige Weise geborgen wäre.

Bevor also die Mutter noch fertig ward mit ihrer Spinnerei, zog ich an der Spitze meiner diesmaligen Gehilfen, Fritz und Jack, eines Morgens, nachdem wir schon ein paar Tage bei Zeltheim verweilt hatten, um nur das allgemeine Trocknen zu besorgen, ausdrücklich in der Absicht von Falkenhorst ab, mit Pickeln, Brecheisen und Meißeln an den Felsen unser Glück zu versuchen und zum mindesten eine Wölbung für ein paar Pulverfäßchen zustande zu bringen. Ich wählte mir an der Fluh eine geeignete Stelle, wo sie beinahe glatt, vollkommen abschüssig oder lotrecht in die Höhe ging und, etwas besser gelegen als unser Zelt, eine umfassende Übersicht der Rettungsbucht, samt dem Ufer zwischen dem Schakalbache rechts und dem Vorsprunge des Felsens links, ohne Schwierigkeit möglich machte. Hier zeichnete ich mit Kohle den Umriß der Öffnung, die wir aufs Ungefähr hineinhauen wollten, und begann alsbald mit den zwei Knaben im Schweiße unsres Angesichts das saure Geschäft eines Steinbrechers.

Der erste Tag brachte uns so wenig vom Flecke, daß wir trotz unsres anfänglichen Mutes ganz kleinlaut wurden und fast verzweifelten, auch nur einen erträglichen Keller bis zur nächsten Regenzeit zustande zu bringen. Doch, was mir in den folgenden Tagen sogleich wieder Vertrauen und Hoffnung gab, war der Umstand, daß die Härte des Gesteins, sowie wir etwas tiefer kamen, allmählich abnahm; ja, es wurde endlich so weich, daß man es mit nur noch geringer Anstrengung loshacken und herausschaufeln konnte.

Wir waren schon mehrere Fuß weit eingedrungen. Jack, als der Kleinste, hockte an der Hinterwand des Loches und arbeitete keuchend und schnaufend mit seinem Brecheisen drauflos. Plötzlich stieß er einen Schrei aus und rief dann atemlos: »Vater, ich bin durch! Ich bin durch!«

»Ja, wohin denn durch«, antwortete ich, »doch wohl schwerlich durch den ganzen Berg!«

»Freilich durch den Berg!« schrie das Bürschchen, »juchhe, juchhe!«

»Wahrhaftig«, rief Fritz, der sofort hingestürzt war, »komm doch mal her, Vater, das ist höchst merkwürdig. Sein Brecheisen scheint durch das Gestein hindurch in einen offnen Raum zu gehen. Sieh nur, man kann es drehen und wenden, wie man will.«

Verwundert trat ich hinzu und faßte den Stiel des Werkzeugs, das immer noch eingesteckt war. Eine freudige Ahnung durchzuckte mich. Schnell, hastig, aufgeregt arbeitete ich Stück um Stück von der Felsmasse los, und nach einer kleinen Viertelstunde hatte ich ein Loch aufgerissen, das groß genug war, um einen Menschen durchzulassen. Beide Jungen wollten auch sofort hinein. Aber ich hielt sie zurück; denn eine ganz entsetzliche Stickluft drang mir aus der gesprengten Öffnung entgegen und benahm mir schier den Atem.

»Weg, weg!« rief ich ihnen zu, indem ich selbst schnell wieder ins Freie zurücktrat. »Hütet euch, in diese gefährliche Höhle hineinzugehen. Die Luft darin ist tödlich.«

»Wieso? Warum?« riefen beide.

»Sie ist verdorben und taugt nicht mehr zum Atmen.«

»Wie kommt das?«

»Das kommt«, sagte ich, »wenn sie mit vielen schädlichen Ausdünstungen angefüllt ist oder wenn sie brennbare Gase enthält oder Kohlensäure, die zu schwer zum Atmen ist, so daß der Mensch darin ersticken muß.«

»Ja, was machen wir denn nun aber?« fragten die Jungen tief enttäuscht.

»Wir müssen versuchen, die Luft in der Höhle zu reinigen.«

»Na, das soll uns wohl schwer werden«, meinte Jack.

»Vielleicht sogar unmöglich; denn es ist ja noch die Frage, wodurch die Luft da drin verdorben ist. Jedenfalls müssen wir alles tun, was wir können. Das Ding ist wichtig genug. Zuerst die Feuerprobe. Schnell bringt ein tüchtiges Bündel dürres Gras zusammen.«

Dies war in wenigen Minuten geschehen. Ich zündete es an und warf den brennenden Klumpen in die Höhle. Aber im Nu war er erloschen. Da bedurfte es also wirksamerer Mittel. Wir saßen und guckten uns an. »Wenn man Pulver drin abbrennen könnte«, schlug Jack vor.

»Halt«, rief ich und sprang mit einem Satz in die Höhe. Ich besann mich plötzlich auf eine Kiste mit Raketen und Granaten, die wir mit gerettet hatten und die zu nächtlichen Signalen bestimmt gewesen waren. Schnell lief ich, von den neugierigen Jungen gefolgt, zu unserm Zelt; die Kiste war unbeschädigt. Ich nahm ein paar Stück heraus, gab ihnen welche zu tragen, und so verfügten wir uns wieder vor die Pforte der gähnenden Unterwelt. »Jetzt wollen wir den bösartigen Luftgeistern aber mal gehörig auf den Leib rücken«, sagte ich vergnügt und brannte meine erste Granate los.

Es knallte prachtvoll in die scheußliche Kluft hinein, und die Leuchtkörper fuhren wie strahlende Meteore über den Boden bis an die Hinterwand, wo sie zurückprallten, emporsprangen, mit dumpfem Getöse zerplatzten und einen Strom von mephitischer Luft durch den Ausgang davonjagten.

Nachdem wir eine Weile so geschossen und gefeuerwerkt hatten, ließ ich einen zweiten Versuch mit entzündetem Heu anstellen, und als die Bündel jetzt gemächlich auf dem Boden der Höhle herunterbrannten und zu Asche wurden, erkannten wir, daß wenigstens von seiten der Luft unser Eintritt nun gesichert und nichts mehr zu fürchten sei als die Gefahr, in dem Dunkel sich anzustoßen oder von zusammengelaufenem Wasser verschlungen zu werden.

Ich enthielt mich deswegen, ganz in die Grotte hineinzutreten, und beorderte dafür unsern Springinsfeld Jack, unverzüglich nach Falkenhorst zu reiten, dort die frohe Mär den Zurückgelassenen kundzutun, in ihrer Begleitung wieder umzukehren und soviel Kerzen herbeizuschaffen, als irgend vorhanden wären, damit wir uns gleich vereint in aller Bequemlichkeit zur Untersuchung des wunderbaren Gewölbes in seiner ganzen Ausdehnung auf den Weg machen könnten.

Inzwischen machte ich mich mit Fritz daran, den Eingang in das entdeckte Gewölbe breiter und höher zu machen, allen Schutt säuberlich wegzuführen und dergestalt bequeme Bahn zu brechen, daß unser Hausvolk sich unbesorgt in die Wundergrotte begeben könnte. Nach ein paar Stündchen langte die Mutter samt Ernst und Fränzchen auf unserm Erdäpfelkarren glücklich bei uns an.

Ungesäumt wurden jetzt die Wachslichter angesteckt und ein feierlicher Zug in das düstere Gewölb unternommen. Jede Person trug eine brennende Kerze in ihrer Rechten, irgendein Gerät in der Linken, ein unangezündetes Licht in der Tasche zum Vorrat und etwas Feuerzeug in dem Gürtel, um sogleich wieder Hilfe zu haben, wenn ihm unerwartet seine Kerze ausgelöscht würde. Alles schritt festlich einher, ich selber voran, die Knaben halb furchtsam, halb neugierig hinterdrein, die Mutter am Schlusse, und auf beiden Seiten unsere Hunde, denen der sonderbare Anblick Scheu und Besorgnis zu erwecken schien.

Es war ein prächtiges, erhabenes Schauspiel, als wir jetzt in der Grotte standen. Rings um uns her glänzten die Wände wie der gestirnte Himmel; vom Bogen des natürlichen Gewölbes hingen zahllose schimmernde Kristalle herab, und viele kamen auch an den Seiten hervor. Überall funkelte vervielfacht die Flamme von unsern Kerzen, als ständen wir in einem reicherleuchteten Königssaal oder in einem gotischen Dom während der Frühmesse, wo überall Lampen gesteckt sind und in mannigfaltig gebrochenem Strahle sich alle Farben und alle Grade des Lichtes bald in die Runde verbreiten, bald zum blendenden Tag auf irgendeinem gemeinsamen Platze sich zusammendrängen.

Der Boden unserer Höhle war fest, meistens eben, mit feinem Sande wie geflissentlich überstreut und, was mir am angenehmsten war, so trocken, daß ich nirgends auch nur eine Spur von Feuchtigkeit entdecken und also mit Recht auf vollkommenste Gesundheit dieses Wohnplatzes schließen konnte.

Ich fand zu meiner unsäglichen Freude teils aus der Kristallform, teils aus der geringen Festigkeit und ganz besonders endlich aus dem Geschmack eines abgeschlagenen Stückes von der Wand, daß wir in einer Höhle voll kristallisierten Bergsalzes seien, dem ein gewöhnlicher Gipsspat zu Grunde liege.

Wir ließen uns diesen angenehmen Fund höchlichst gefallen, weil er uns eine ganz erstaunliche Menge von Salz für uns selber und für unser Vieh beinahe gebrauchsfertig in die Hände gab und nur noch die Mühe des Zerstoßens übrigließ, die gegen das beschwerliche Sammeln am Meeresufer eine Kleinigkeit schien.

Entzückt, glückselig schmiedeten wir nun Plan auf Plan, wie die herrliche Grotte zu benutzen sei, und die gesamte Macht unseres Fleißes und unserer Erfindungskunst warf sich von jedem andern Geschäfte hinweg auf diesen frisch eröffneten unvergleichlichen Schauplatz einer äußerst lohnenden Betriebsamkeit.

Falkenhorst blieb zwar für den begonnenen Sommer unser eigentlicher Wohnsitz und unser regelmäßiges Nachtquartier; aber den ganzen Tag hindurch waren wir in Zeltheim an dem neuen Felsenschloß aufs unablässigste bemüht, die notwendigen Einrichtungen zu treffen, um ein haltbares und zweckmäßiges Winterhaus zu gewinnen.

Zuerst war ich natürlich auf Licht und freie gesunde Luft für unsere Salzhöhle bedacht; und so fing ich das Geschäft ihrer Ausrüstung mit dem Durchbruch einer Reihe von Fenstern an. Natürlich mußte zu diesem Zweck die Felswand verdünnt werden; denn, wenn wir die Fensteröffnungen auf dieselbe Art hätten einhauen wollen wie die Pforte, so wären wohl mehrere fünf bis sechs Fuß tiefe Schießscharten entstanden, aber von Licht und Luft hätten wir nicht viel zu kosten bekommen. Wir fingen selbstverständlich die Verdünnung und Abglättung von innen an, wo nach Abtragung des Salzlagers das Gestein am weichsten war. Immerhin aber blieb es eine schwere, mühevolle Arbeit, und wir belohnten uns mit einem besonderen Ruhetag, als endlich die geretteten Fenster der Offizierskajüte, nach deren Maß wir die Löcher ausgehauen hatten, mit ihren blankgeputzten Scheiben in der Sonne funkelten. Der Eingang zu der Höhle wurde von der Höhe und Breite unserer Tür zu Falkenhorst gemacht und diese nach Zeltheim geschleppt, indem ich mir vorgenommen hatte, die bei dem Baumschloß durch eine neue von bloßer Rinde zu ersetzen, damit die Öffnung zur Wendeltreppe wenigstens für einen ersten Anlauf von Wilden täuschend maskiert sei und nicht so leicht eine Plünderung gestatte.

Da die Felsenhöhle äußerst geräumig war, so wurde sie vorerst in zwei Abteilungen geschieden, die durch einen geradewegs in die Tiefe führenden, teilweise durch Pfähle abgegrenzten breiten Gang getrennt waren, und die eine davon rechts neben dem Eingang für unsere Wohnung, die andere links für Küche und Arbeitsraum ausgewählt. In die Tiefe, wo kein Fenster mehr anzubringen war, sollten Keller, Magazin und Stallungen zu hegen kommen; alles sollte nach und nach durch Zwischenwände gesondert, durch Türen wieder verbunden und in jeder Art mit den Erfordernissen eines gemächlichen Wohnhauses meisterhaft ausgerüstet werden. Die große Vorarbeit der Natur, die uns der wichtigsten Schwierigkeiten eines ansehnlichen Baues überhob und nur das Geschäft der innern Vollendung erheischte, gab uns Mut und Lust, diesem letztern standhafter obzuliegen, und wir bewiesen eine Tätigkeit, eine Ausdauer, wie noch bei keinem der Werke, die wir an dieser einsamen Küste bis dahin ausgeführt hatten.

Die Seite, wo wir uns vorgenommen hatten, eigentlich zu wohnen, ward ferner in drei verschiedene Zimmer gesondert, von denen das erste neben der Tür zum Schlafgemach für die Mutter und mich, das zweite zum Eßsaal und das dritte zum Schlafzimmer der vier Knaben bestimmt sein sollte. Das erste und das letzte von diesen Zimmern erhielten Glasfenster; das mittlere hingegen mußte mit bloßem Gitterwerk vorliebnehmen. In die Küche ward zwischen den zwei Taglöchern ein Feuerherd an die Vorderwand gebaut, diese dann obenher durchbrochen und zum Teil mit einem Vordache versehen, das über die Feuerstelle hingebreitet den Rauch auffangen und ihn sogleich ins Freie leiten sollte. Dem Arbeitszimmer gaben wir einen ganz besonders großen Raum mit breiter Ausgangstür, damit wir im Winter etwas Tüchtiges darin verrichten und nach Bedürfnis auch unsern Wagen samt der Schleife darin unterbringen könnten. Hier und im Zimmer der Brüder brachten wir übrigens auch einige der im Heimatlande so beliebten großen Wandschränke an. Die Stallungen wurden vielfach abgeteilt und zogen sich an der Seiten- und Hinterwand der Höhle, neben Pulverkammer und Vorratsraum hin. Luft bekamen sie, wenn auch nicht aus erster Hand, durch die Fenster in der Felswand; denn natürlich nahmen die Zimmerwände nur einen geringen Bruchteil der Höhe dieser riesigen Höhlenwölbung ein. Übrigens hatten wir mit Rücksicht auf die in der Tiefe liegenden Räume in ansehnlicher Höhe über den Fenstern eine zweite Reihe solcher Öffnungen, die allerdings nur vergittert wurden, ausgehauen. Vor ihnen hin lief ein mehrere Fuß breiter, durch starke Pfähle gestützter Estrich. Von beiden Seiten führten Treppenstufen, roh in den Stein gesprengt, hinauf. Gut befestigte Seile ersetzten der Felswand entlang das Geländer. Dieser hohe Söller diente uns vortrefflich als Ausguck in die Ferne. Immerhin aber war die durch die Raumverhältnisse gebotene Lage der Stallungen ein Hinweis auf die gewissenhafteste und pünktlichste Sauberkeit bei der Pflege der Tiere und Instandhaltung ihres Aufenthaltes.

Eines Morgens, als wir von Falkenhorst nach dem Felsenhaus zogen, gewahrten wir unweit vom Strande mit großer Verwunderung ein Schauspiel, dessen wir zuvor noch niemals, obgleich wir diesen Weg hundertmal gemacht hatten, ansichtig geworden waren. Weit auf der Höhe des Meeres schien ein beträchtlicher Umfang des Wassers gleichsam in Aufruhr, als wenn es von unterirdischem Feuer emporgejagt, schäumend und sprudelnd in einem Kochkessel wallte. Drüberhin schwebten unzählige Wasservögel aus den Geschlechtern der Möwen, der Fregatten, der Tölpel, der Albatrosse und manche andere mit häßlichem, ohrzerreißendem Gekreisch und Gekrächz. Die gefiederte Schar blieb unablässig voll Unruhe und Bewegung. Bald stürzten ganze Haufen davon gegen die Oberfläche des Wassers; bald erhoben sie sich hoch in die Lüfte, wirbelten hastig im Kreise, verfolgten sich nach allen Seiten und ließen uns ungewiß, ob Spiel und Vergnügen oder ob Krieg und blutige Bekämpfung der Zweck ihres Treibens sei.

Von der wogenden Bank im Meere bot sich ebenfalls ein seltsamer Anblick dar. Hier und dort im Glanze der Morgenröte tauchten kleine Lichter wie Feuerflammen auf, erloschen in den kräuselnden Wellen alsbald wieder und erneuerten sich doch hundertfältig und lebendig fast mit jedem Augenblick. Die gesamte strudelnde Masse rückte vorwärts von der offenen See gegen das Ufer und nahm gerade ihren Strich nach der Rettungsbucht, so daß wir mit der möglichsten Beschleunigung voll Verwunderung und Neugier dorthin eilten.

Unterwegs suchte jeder die außerordentliche Erscheinung zu erklären; die Mutter vermutete eine Sandbank, die wir bis jetzt übersehen hätten; Fritz dagegen meinte, es sei ein unterirdischer Vulkan, der im Begriff sei, sich auszuleeren; Ernst endlich glaubte, es sei ein furchtbares Seeungeheuer, das sich auf den Wellen schaukle. Diese Erklärung gefiel den meisten am besten, eben weil sie der Sache einen wunderbaren Anstrich gab. Ich aber war nach einiger Überlegung auf den Gedanken gekommen, es möchte wohl eine Heringsbank, ein riesiger Zug von Heringen sein, der von beutelustigen Vögeln und Seehunden begleitet wurde. Da hieß es nun rasch handeln. Wir kamen selten so schnell nach Zeltheim, und kaum hatten wir den mitgenommenen Wagen recht ausgespannt, als schon die Heringsbank beinahe rauschend in die Rettungsbucht daherzog und in solcher Hastigkeit sich vorwärts drängte, daß mitunter ein Fisch über den andern hinwegsprang oder umschlug und zappelnd den Bauch sehen ließ, wobei wir denn deutlich gewahr wurden, daß in diesem Falle von den nassen Schuppen der Tierchen flimmernde Lichter zurückstrahlten und jenes seltsame Funkeln hervorbrachten, das wir schon in der fernen See bemerkt hatten.

Jetzt war indessen keine Zeit zu müßiger Betrachtung dieses anmutigen Schauspiels; es galt vielmehr zuzugreifen und Fische zu fangen, soviel als nur möglich wäre; denn schneller und leichter konnten wir nicht für unsere Wintervorräte sorgen, und wir wußten nur allzuwohl, wieviel Nahrungsmittel erforderlich seien, um in der langen Regenzeit für uns und unsere Tiere keinen Mangel zu haben.

Demnächst verteilte ich, je nach unserer Kraft und Geschicklichkeit, die verschiedenen Rollen, die wir bei dem bevorstehenden Geschäft übernehmen sollten. Fritz kam ins Wasser zu stehen, um die Fische in Körben aufzufangen und uns zuzureichen; Ernst und Jack wurden zum Ausweiden bestellt; die Mutter mörselte Salz; Fränzchen machte den Handlanger von uns allen; ich selbst hatte mir das Einpökeln und Aufschichten in den Tonnen gewählt, weil hier am meisten Sorgfalt erforderlich schien.

Ich bestreute den Boden meiner Tonnen zuerst mit Salz, legte dann eine Reihe von Heringen, die Köpfe gegen den Mittelpunkt, darauf hin, übersprengte diese von neuem mit Salz, ordnete wieder eine Lage von Fischen mit ihren Köpfen nach außen und fuhr in diesem raumsparenden Aufschichten fort, bis allemal eine Tonne gefüllt war und nur noch ein schmaler Rand blieb, der zum Einfügen einer passenden Bedeckung etwa zollbreit oben emporstand. Hier wurden dann große Baumblätter und ein rund geschnittenes Stück Segeltuch eingeschoben, auf dieses ferner zwei wohlschließende halbrunde Bretter gelegt, das Ganze mit Steinen gewaltig beschwert und so für ein Weilchen in die Kühlung unseres Felsgewölbes hingestellt, bis die Masse sich ein wenig gesetzt hätte und wir die Tonnen zu besserer Aufbewahrung gänzlich vermachen könnten.

Diese ganze Arbeit nahm uns gute vier Tage weg und band uns gänzlich an Zeltheim, weil wir von früh bis spät jedesmal nicht mehr als zwei Tonnen einpökeln konnten und doch nicht aufhören wollten, bis wir wenigstens sieben oder acht damit angefüllt hätten.

Unsere gewöhnliche Arbeit an der Einrichtung der Felshöhle ging indessen fortwährend ihren gemächlichen Schritt und wurde bald Hauptgeschäft, bald Nebensache, je nachdem wir sonst etwas Wichtiges zu tun fanden.

Seitdem ich den Gipsspat in unserer Grotte als die durchgängige Grundlage der Salzkristalle entdeckt hatte, machte ich förmlich Jagd darauf, weil ich ihn für unser Gebäude vielfach zu nutzen hoffte. Da jedoch unsere Höhle schon groß genug war, so wollte ich diese brauchbare Steinart lieber anderswo sprengen und forschte deswegen an der ganzen Felsenreihe, ob sie nicht irgendwo zutage bräche. Bald gelang es mir auch, in der Gegend unseres Pulvermagazins hinter dem Vorsprung des Felsens gegen das Röhricht zu eine Stelle zu finden, wo das Erdreich weich genug war, um sich mit Bequemlichkeit abstechen zu lassen. Hiervon ward ein tüchtiger Vorrat an unsern Feuerherd bei Zeltheim geschleppt, und jedesmal, wenn wir kochten, ließ ich einige Stücke davon ausglühen und, wenn sie wieder erkaltet waren, zu Staub zermalmen, an einen trockenen Ort zur Seite legen und aufbewahren, bis das Innere der Höhle weiter eingerichtet werden könnte, da ich denn beschloß, einen Versuch in Gipsarbeit zu machen und dadurch eine Menge von Laden zu ersparen, die ich sonst zur Vertäfelung unserer Gemächer nötig gehabt haben würde.

Ungefähr einen Monat nach dem großen Heringszug, der sich längst wieder aus unserer Bucht verloren hatte, fand sich in dieser sowohl als in den angrenzenden Gegenden des Meerufers eine Menge von Stören, Hausen und Lachsen ein, die den süßen Gewässern nachzogen und landeinwärts gegen die Quelle derselben emporstrebten, um dort ihre Rogen, wie sie gewohnt sind, zwischen den Steinen abzulegen und sich dann wieder in die hohe See zurückzuziehen.

Die Fische waren meistenteils von solcher Größe, daß Jack, der uns die angenehme Botschaft von diesen Fremdlingen überbrachte, sie für junge Walfische hielt.

Sie boten uns willkommene Nahrung und Vorrat für den Winter, aber wir wußten nicht, wie ihnen am besten zu Leibe zu gehen sei, und griffen daher nach eigenem Gutdünken zu den Waffen. Fritz ergriff die Harpunen mit ihrem Seil und dem Haspel. Ich, wie Neptun, nahm einen Dreizack, der zum Fischestechen eingerichtet war. Ernst versah sich mit großen Angelhaken, und Jack bereitete seinen Pfeil vor, indem er an einer langen Schnur Schwimmblasen befestigte, die den getroffenen Fisch am Tauchen hindern sollten. So gerüstet, waren wir bald von neuem an dem Strande. Ernst warf seinen Haken mit einer Lockspeise von dem Eingeweide des erst gefangenen Lachses in die Wellen und paßte, bis einer von den Fremdlingen anbeißen würde. Jack schoß ein paarmal fehl, bis endlich sein Pfeil steckenblieb und er mit vieler Not einen Gewaltsfisch gegen das Ufer zog. Ich selber stach glücklich zwei dieser Tiere; doch mußte ich tief in das Wasser gehen, um sie vollends in unsere Gewalt zu bringen. Auch Ernst zog endlich einen jungen Hausen an seinem Haken aufs Ufer, wobei ihm die Mutter und Fränzchen zu Hilfe kommen mußten. Die größten Schwierigkeiten verursachte Fritz, der einen greulichen Stör gleich hinter den Kopf harpuniert und vermittelst des Seils an dem Haspel nur kümmerlich festgehalten hatte. Ich selber lief zur Unterstützung hinzu, und nur durch zwei neue Harpunen, die dem Ungetüm in den Leib geschleudert wurden, vermochten wir, es so weit zu ermüden, daß wir es in eine Untiefe heranziehen, ihm eine zulaufende Schlinge hinter den Kiemen um den Hals werfen und zuletzt durch den Büffel es vollends an das Land schleppen konnten.

Alle diese prächtigen Fische wurden jetzt ausgeweidet. Ich zerschnitt alles Fleisch in mäßige Stücke, salzte diese zum Teil wie die Heringe schichtenweise ein und versuchte einen andern Teil, nachdem ihn die Mutter mit etwas Salz im Wasser abgekocht, in einem Fasse mit Öl übergossen, ungefähr so zu bereiten und aufzubewahren, wie man es mit dem vortrefflichen Thunfisch am Mittelländischen Meere zu machen pflegt.

Die Fischblasen aber wurden gereinigt und gekocht; aus dem Wasser wurde die Gallerte abgeschäumt und erkalten und trocknen gelassen.

So bekamen wir glücklich einen so schönen durchsichtigen Leim, daß ich mir Hoffnung machte, ihn nicht nur zum Kleistern, sondern mehr noch zu Fensterscheiben anstatt des Glases künftig verwenden zu können.

Der Küchengarten bei Zeltheim, den wir ganz in der Nähe hatten, stand im herrlichsten Flor und gab uns ohne viele Wartung zahlreiches Zugemüse von allerlei Gattungen und vortrefflichem Geschmacke. Besonders angenehm war es uns, daß die Pflanzen hier an keine bestimmte Jahresfrist ausschließlich gebunden schienen, und daß vielmehr während der ganzen Sommerszeit fast ununterbrochen zum Beispiel Bohnen und Zuckererbsen teils in der Blüte, teils ausgewachsen uns zu Befehl standen. Für unsere kleine Mühe damit wurden wir reichlich belohnt; denn außer mannigfaltigem Küchenkraut erhielten wir jetzt auch treffliche Gurken und Melonen, ferner eine Menge Türkenkorn oder Mais von ungewohnter Größe. Auch das eingelegte Zuckerrohr keimte kräftig empor, und endlich hatten auch die verpflanzten Ananas auf den Vorsprüngen der Felswand meistenteils Wurzel geschlagen und versprachen uns für die Zukunft einen herrlichen Vorrat ihrer unvergleichlichen Früchte.

Dieses allgemeine Gedeihen der Pflanzungen in unserer Nähe gab uns tröstliche Hoffnungen auch für die entlegenen, zu deren Besuch wir uns nun fertigmachten und eines Morgens von Zeltheim wohlgemut aufbrachen.

Unser Weg ging zuerst nach Falkenhorst, wo wir uns vollends nach Bedürfnis ausrüsten wollten. Ehe wir aber dahin gelangten, kamen wir bei dem größten Felde vorbei, das die Mutter an dem Platze der ausgegrabenen Kartoffeln aufs freigebigste besät und mit allerlei Körner vollgesteckt hatte. Hier fanden wir ganze Büschel von europäischen Getreidearten, die zum Teil in völliger Reife waren. Da gab es Gerste, Weizen, Roggen, Hafer, Erbsen, Wicken, Hirse, Ackerbohnen, Linsen und dergleichen, so daß ich mich hoch darüber verwunderte, wo die Mutter nur all den Samen dazu hergenommen habe.

Am beträchtlichsten fiel die Ernte von Türkenkorn aus, wovon im Garten nur ein paar Proben gepflanzt, hier aber ein kleines Feld angelegt worden war. Dafür hatte sich indessen auch eine Menge von ungebetenen Gästen und Schmarotzern am allermeisten hier zu Tische geladen und durch Räubereien unserer Ernte fühlbaren Eintrag getan. Selbst in dem Augenblicke, da wir uns dem Maisfelde näherten, ergriff wohl ein halbes Dutzend Trappgänse, die sich gerade auf Mästung befanden, plötzlich mit rauschendem Flügelschlag die Flucht; und als unsere Hunde jagdlustig vor uns hin in das Getreide stürmten, fuhr auch ein beträchtlicher Schwarm von kleinerem Geflügel mit heftigem Geschrei in die Lüfte, während andere Gattungen, nach Art der Wachteln nur über den Boden weglaufend, ebenfalls Reißaus nahmen.

Fritz war schnell gefaßt. Unverzüglich riß er seinem Adler, den er bei jeder Streiferei auf seiner Jagdtasche mit sich trug, die verhüllende Kappe von den Augen, zeigte ihm mit der Hand die flüchtigen Trappen, die jetzt eben sich in die Luft emporschwangen, warf ihn von der Faust ihnen nach, sprang dann plötzlich auf den Waldesel und flog wie ein Pfeil über Stock und Stauden hinter seinem Zöglinge drein. Wir sahen jetzt in der Luft ein Schauspiel, das unsere höchste Neugier und Teilnahme erregte. Der Adler hatte bald seine Beute im Auge, hob sich in kurzem weit über dieselbe hinweg und drohte mit Gewalt auf sie herunterzustoßen. Die Trappgänse, sobald sie ihn bemerkten, fingen an ängstlich zu werden, versuchten durch mannigfaltige Schwenkungen seinem Stoße zu entgehen, drängten sich einmal zusammen, zerstreuten sich wieder und ließen sich mitunter bis ganz auf die Erde, um in irgendeinem Schlupfwinkel dem Scharfblick und den fürchterlichen Klauen ihres Feindes entgehen zu können. Aber dieser verlor die Flüchtlinge keinen Augenblick aus dem Gesicht; er hatte seine Wahl getroffen, jagte dem größten und schönsten unausgesetzt nach und hatte ihn bald genötigt, sich erdwärts zu senken, um vielleicht durch Laufen vor dem wütenden Verfolger noch Frist zu gewinnen. Diesem jedoch gelang es, den Läufer nach einer Weile glücklich einzuholen, sich auf seinem Rücken anzuklammern, mit beständigem Schlagen der Flügel seine fernere Flucht zu hindern und ihn hin und wieder durch einen Streich mit dem Schnabel mutloser und immer schwächer zu machen.

Verhängten Zügels sprengte nun Fritz hinter den Gebüschen hervor, stieg von seinem Leichtfuß hinunter, warf sein Schnupftuch der Trappe über den Kopf, band ihr die Beine zusammen, legte seinem Adler die Kappe wieder auf, machte ihm die Klauen frei, setzte ihn an den alten Platz auf seinen Weidsack und erhob ein triumphierendes Freudengeschrei, das uns alle rasch zu ihm hinlockte.

Den Rest des Tages brachten wir mit dem Aushülsen und Aufbewahren unserer hergeführten Getreidearten zu und machten noch die nötigen Anstalten, um am folgenden Morgen mit Tagesanbruch wieder ausziehen zu können. Vorzüglich wählten wir eine Schar Hühner, samt ein paar Hähnen, die wir etwas entfernt von unserer Wohnung als Kolonisten in die Wildnis auszusetzen gedachten, damit sie sich dort vermehren, ihren Unterhalt selbst aufsuchen und uns künftig als Wildbret dienen sollten; diesen fügten wir noch vier von unsern jungen Schweinchen und zwei Paar Ziegen bei, da unsere Herde jetzt schon sehr beträchtlich war und wir uns dadurch die vielfältige Mühe des Fütterns bedeutend erleichtern konnten.

Am folgenden Morgen also, nachdem wir unsern Wagen bepackt, unsern Haustieren hinlänglich Trank und Speise vorgelegt und uns alle bewaffnet und gerüstet hatten, zogen wir insgesamt von Falkenhorst aus. Die Kuh, der Büffel und der alte Grauschimmel mußten ziehen; den gezähmten Wildling aber ritt wie gewöhnlich unser rascher Fritz, der lustig voraustrabte und überall auskundschaftete, wo sich am besten durchkommen lasse und ob nirgends etwas Gefährliches für unsern Zug zu befürchten sei.

Wir schlugen wieder einen neuen Strich ein, indem wir in der Mitte zwischen dem Strand und den Flühen dahinzogen, um endlich vollständig mit der Gegend bekannt zu werden, die sich von Falkenhorst bis an die große Bai jenseits der Warte und des Vorgebirgs der getäuschten Hoffnung ausdehnte.

Nach einem ziemlich beschwerlichen Marsche drangen wir bis an den jenseitigen Rand des Gehölzes durch und übersahen hier eine kleine Ebene, die, größtenteils mit niedrigem Buschwerk bewachsen, uns durch einen höchst auffallenden Anblick in Erstaunen setzte. Fränzchen fand zuerst Worte, die sein Gefühl und seine Vorstellung von dem seltsamen Schauspiel an den Tag legten. »Ach, lieber Himmel, Schnee!« rief er. »Seht doch nur, Schnee! Das ist aber mal schön! Richtiger Winter und nicht so scheußlicher, ewiger Regen!« Wir mußten über den Einfall des Knaben zwar lachen; aber es lag wirklich auf allen Sträuchern und am Boden eine weiße luftige Flockenhülle, die wie Schnee leuchtete. Mir ahnte jedoch auf der Stelle, was wir vor uns hätten, und Fritzens rascher Untersuchungsgeist bestätigte bald, was ich vermutete. Es befand sich nämlich eine Menge Baumwollstauden um uns her, deren Früchte oder Samenkapseln, durch ihre vollkommene Reife geborsten, ihren flaumartigen Inhalt lustig davontreiben ließen, so daß überall, vom Spiel der Winde herumgetragen, ganze Büschel der feinsten Baumwolle teils mit, teils ohne Samenkerne rings an den Sträuchern hingen oder auf der Erde lagen oder noch fest an ihren Hülsen wie die runden Schneeballen in unsern Gärten von den grünbelaubten Zweigen uns entgegennickten. Die Freude über diese Entdeckung wurde bald allgemein und laut, besonders aber bei der Mutter, die mir gleich mit Entzücken eine Menge von Dingen aufzählte, die wir jetzt verfertigen könnten und für die ich seinerzeit mit Werkzeugen und Maschinen Rat schaffen sollte.

Inzwischen wurde von der willkommenen Bescherung gleich soviel abgestreift, ausgezupft und gereinigt, als unsere Säcke nur fassen konnten, und die Mutter sammelte sogar schon eine Tasche voll Kerne, um sie bei Zeltheim der Erde anzuvertrauen und diese nutzbare Pflanze, gleich so vielen andern, in unsere Nähe zu bringen.

Hierauf gelangten wir auf einen kleinen Hügel, von dem aus man eine herrliche Aussicht genoß. Bäume von allen Arten bedeckten die Seiten des Hügels, der sich auf der einen Seite in eine fruchtbare, von einem kleinen Bach bewässerte Ebene verlor. Jedermann stimmte mir bei, als ich den Entschluß mitteilte, gerade hier eine Niederlassung anzulegen.

Während nun die andern sich so gut es ging häuslich niederließen, untersuchte ich die nächste umliegende Gegend und fand denn auch bald eine Gruppe von Bäumen, die in so passenden Zwischenräumen voneinander abstanden, daß ich sie als Hauptpfeiler unserer Meierhütte ganz unverändert gebrauchen konnte, nachdem einige kleine Störenfriede beiseite geschafft sein würden.

Die Bäume, die ich zu meinem Hüttenbau erwählt hatte, standen fast regelmäßig in einem länglichen Viereck, dessen größere Seite gegen das Meer hinsah. In die vordern drei Stämme wurden wenigstens zehn Fuß hoch Fugen eingeschnitten, in die zwei Querstangen von ungefähr fünf Zoll im Durchschnitt zu liegen kamen. Hinten ward in der Höhe von acht Fuß ebenfalls an drei Bäumen das gleiche gemacht. Hierauf mußten zwei Stangen von den vordem Eckbäumen zu den hintern angebracht werden, und diese liefen schräg mit einer Senkung von zwei Fuß nach der ungleichen Höhe der eingehauenen Fugen. Wir legten dann von Baum zu Baum dünne Latten in gleicher Richtung wie die Seitenstangen als Sparren auf die vorderen und auf die hintern Querbalken auf, mit denen sie durch hölzerne Nägel haltbar verbunden wurden und so einen großen Rost bildeten, über den wir dann Stücke von Baumrinde wie ordentliche Ziegel aneinander hinschoben und festnagelten, nachdem wir sie an der Sonne getrocknet hatten.

Nach dem Essen ging es wieder an den Bau unserer Waldhütte, der mehrere Tage hintereinander mit großem Eifer fortgesetzt wurde. Wir flochten die Seitenwände unsres Gebäudes aus Lianen oder andern Schlingpflanzen und aus biegsamen Ruten so dicht als möglich und bis zu der Höhe von fünf Fuß. Der übrige Zwischenraum bis an das Dach ward dann mit einem luftigen Gitterwerk nur insoweit verschlossen, daß Wind und Licht noch ungehindert durchstreichen und wir nach Bedürfnis von innen bequem hinausblicken konnten. Eine Türe blieb natürlich offen und war an der Hauptseite des Häuschens gegen das Meer hin angebracht. Hierauf richteten wir das Inwendige so zweckmäßig ein, als wir ohne viel Aufwand von Holz in der Kürze nur vermochten. Eine Scheidewand bis auf halbe Höhe des Gebäudes schnitt es in zwei ungleiche Teile, von denen der größere mit der Haupttüre zum Schafstall, der kleinere dagegen für uns selber zur Lagerstätte bestimmt war, sooft es uns gefallen würde, hier ein paar Tage zuzubringen. Im Schafstalle legten wir einen Verschlag für die Hühner an, der mit Staketen insoweit zugemacht wurde, daß wohl die Hühner, aber nicht die Schafe durchschlüpfen konnten. In beiden Ställen endlich wurden gehörige Vorrichtungen zum Füttern unserer Tiere gemacht und vom Schafstall nach unserem Schlafzimmer eine geflochtene Türe eingesetzt, die jederzeit in unserer Abwesenheit verschlossen werden sollte.

Aber während dieser Arbeit unternahmen wir doch Streifzüge in die nächste Umgegend, sowohl in der Absicht, Kartoffeln oder Kokosnüsse aufzutreiben, als mit dem Wunsche, die Gegend umher noch etwas besser auszuforschen.

Wir gingen deshalb an einem kleinen Bache allmählich aufwärts gegen die Felswand zu, bis wir in den alten, uns schon bekannten Weg kommen würden. Aber bald gerieten wir an einen großen Morast und einen kleinen See in lieblicher Umgebung. Hier sah ich mit freudigem Erstaunen, daß der sumpfige Boden bis an das lautere Wasser hin mit wildem Reis überwachsen sei, das zum Teil in vollem Aufkeimen, zum Teil schon in halber Reife stand, ja hin und wieder auch völlig ausgewachsen eine Menge naschender Freibeuter aus dem Vogelgeschlecht herbeigelockt hatte, die bei unserer Annäherung mit Geräusch in die Höhe flogen. Es gelang uns, vier oder fünf Kragenhühner im Fluge herunterzuschießen; aber unsere Geschicklichkeit wäre ohne den jungen Schakal fruchtlos gewesen, der glücklicherweise mit uns gelaufen war und mit viel Behendigkeit, sobald er ein Stück Wild aus der Luft herunterpurzeln sah, flugs in die morastige Reispflanzung hineinsprang und es uns zur Hand schaffte.

Wir verfehlten auch nicht, gleich einen Tragkorb voll wilder Reisähren zu pflücken; Meister Knips mußte ihn zur freudig erstaunten Mutter heimschleppen, was ihm viel Grimassen entlockte, uns allen aber in jeder Hinsicht viel Freude bereitete.

Nachdem wir am folgenden Morgen die Schafe, Ziegen und Hühner, die zurückbleiben sollten, mit Futter versorgt hatten, brachen wir von der neuen Meierei, der wir den Namen Waldegg gegeben hatten, auf. In einem Gehölze, das wir bald erreichten, trafen wir auf eine ungeheure Menge von Affen, die uns mit abscheulichem Geschrei und einem Hagel von großen Fichtenzapfen empfingen, und nur mit ein paar wohlangebrachten Schüssen von kleinem Schrot konnten wir uns endlich Luft machen.

Fritz hob einige von den Zapfen auf, mit denen uns die Affen beschossen hatten, und ich erkannte bald, daß es die Frucht der sogenannten Piniolenkiefer sei, die mir sowohl ihres angenehmen Geschmackes wegen, als vorzüglich zu künftigem Ölpressen höchlich willkommen war, weshalb ich den Jungen befahl, davon soviel zu sammeln als nur möglich.

Wir setzten hierauf unsern Marsch fort und gelangten bald in das Affenwäldchen, das wir ohne Aufenthalt durchzogen und so schnell genug in die Nähe des Vorgebirges der getäuschten Hoffnung kamen. Beim Heraustreten aus dem Walde bemerkte ich einen kleinen Hügel, der eine vorteilhafte Aussicht zu versprechen schien, daher ich denn nicht zögerte, ihn mit meinem Gefolge zu besteigen. Als wir auf die Höhe gelangt waren, fanden wir unsere Erwartung noch übertroffen, so herrlich war das Land, das sich auf allen Seiten unsern Augen darbot. Ich beschloß daher, auch hier eine Niederlassung anzulegen. Sobald wir uns ein wenig erholt hatten, legten wir Hand ans Werk und begannen den Bau einer Hütte; die Arbeit ging nach den in Waldegg gemachten Erfahrungen so schnell und leicht vorwärts, daß wir in sechs Tagen damit fertig wurden. Wir gaben der neuen Ansiedlung auf Ernsts Vorschlag den klangvollen Namen Hohentwiel.

Diesen ganzen Zug hatte ich hauptsächlich unternommen, um einen Baum ausfindig zu machen, aus dessen Rinde sich ein leichtes und doch nicht zu kleines Boot verfertigen ließe. Bis dahin waren meine Nachforschungen vergeblich gewesen; ich hatte aber demungeachtet die Hoffnung noch nicht verloren, und als der Bau der neuen Hütte vollendet war, begann ich mit den Knaben in der Gegend herumzustreifen, die an seltenen Bäumen so reich war. Nach langer und vielfältiger Prüfung mit bloßer Hand und mit der Axt fand ich endlich an ein paar prächtigen, hochstämmigen Bäumen, die den Eichen ähnelten und fast auch gleiche, nur etwas kleinere Früchte trugen, eine Rinde, die beinahe wie Kork anzusehen war und sich bloß durch größere Zähigkeit davon unterscheiden mochte, so daß sie meinen Absichten vollkommen entsprechend schien.

Nachdem ich denjenigen ausgesucht hatte, der meinem Bedürfnis am besten zu entsprechen schien, zogen wir die kleine Strickleiter, die wir mitgenommen hatten, an einen der untersten Äste. Fritz mußte hinaufklettern und oben rings um den Stamm die Rinde bis auf den Splint mit seiner Handsäge durchschneiden, während ich von oben bis unten sorgfältig das nämliche tat. Hierauf machten, wir einen schmalen Streifen von der Rinde längs des Stammes vollständig los, dann wurde mit hölzernen Meißeln die übrige Hauptmasse der Rinde nach und nach abgetrennt, und da der Baum gerade in vollem Safte stand, so daß die Rinde ziemlich biegsam war, so gelang unsere Arbeit vollkommen.

Wir hatten jetzt zwar die Rinde abgeschält und unversehrt auf das Gras gebracht, aber damit war kaum noch die Hälfte der Arbeit getan. Es schien mir am vorteilhaftesten, die weitere Bearbeitung sogleich vorzunehmen, weil die Rinde bei der natürlichen Feuchtigkeit und Geschmeidigkeit, die sie noch hatte, jetzt noch am leichtesten die Form annehmen könnte, die ich ihr geben mußte, um sie als Fahrzeug gebrauchen zu können. Zu dem Ende sperrte ich mit einem tüchtigen Keil die zusammenschnellenden Längswände des Rindenstückes auseinander, schnitt vorn und hinten in der Mitte der ganzen Bauchung etwa fünf Fuß lang gänzlich durch, schob die beiden dergestalt voneinander getrennten Wände zusammen, daß sie von ihrem Anfang bei dem Einschnitt hinweg je mehr und mehr sich deckten und gegen das äußerste spitziger zuliefen, in welcher Lage sie mit ein paar Nägeln haltbar verbunden wurden, daß sie nicht wieder zurückweichen konnten und so zwei Schnäbel meines Bootes ausmachten, die von selbst in die Höhe standen und das Durchschneiden des Wassers erleichtern sollten. Hierdurch wäre nun aber mein Schiffchen in der Mitte zu flach geworden, so daß ich durch kräftiges Zusammenziehen vermittels einiger Stricke die Seitenwände mehr senkrecht aufzusteigen zwang; doch fehlte es mir an den nötigen Werkzeugen, um die letzte Hand an die Arbeit legen zu können; ich schickte Fritz und Jack nach Zeltheim; sie sollten die Schleife, die ich jetzt auf den kleinen Rädern der Schiffskanonen laufen ließ, herbeischaffen, damit wir mit ihrer Hilfe das angefangene Boot an eine zur Vollendung bequemere Stelle bringen könnten. Ich suchte inzwischen in allen Wäldchen und Büschen der nächsten Umgebung Bughölzer und Kniestücke, teils zur Befestigung, teils zum Emporhalten der Seitenwände meines Schiffchens. Ich war auch so glücklich, in Ernsts Begleitung viel sogenanntes Lichtholz zu entdecken, das, meistenteils krumm verwachsen, mir manche treffliche Rippenstücke zu meinem Fahrzeuge hergab. Bei diesem Anlasse machten wir auch an einem Baumstamme die Entdeckung von einem neuen Harze, das beim Eintrocknen ungemein fest und verbindend ward, und von dem wir durch die Mutter und Fränzchen sogleich einen Vorrat zusammenbrachten, der mir für die künftige Verpichung viel zu versprechen schien.

Es war schon spät am Abend, als unsere zwei Jungen mit dem abgeholten Karren wieder bei uns eintrafen, und da wir der vorgerückten Stunde wegen nichts Ferneres mehr unternehmen konnten, begaben wir uns sämtlich zur Ruhe. Am folgenden Morgen aber ging es schon in aller Frühe an die Arbeit. Wir luden das Boot nebst den Bughölzern und andern nötigen Dingen auf den Rollwagen und traten dann sogleich unsern Rückmarsch an.

Wir gelangten bald in den großen Rohrbruch, durch den wir uns vermittels der Handbeile langsam durcharbeiteten, um besonders für den mitgenommenen Esel, der unsern Mundvorrat trug, hinreichend Bahn zu machen. Dabei gerieten wir an beträchtliche Schäfte von Bambus, wie ich diesseits des Engpasses sonst noch keine gefunden hatte, und wir hieben ein Stück davon nieder, um es als Mast für unser neugebautes Boot gebrauchen zu können.

Nach einer ziemlichen Zeit waren wir endlich aus dem Röhricht wieder frei und bekamen auf unserer Linken statt des Meeres den großen Fluß an die Seite, während rechts die lange Felsenreihe sich etwas umbog und nur einen schmalen Durchweg ließ, den wir von jetzt an mit dem Namen Klus oder Klause bezeichneten. Hier an der allerengsten Stelle, nur wenige Schritte von dem Bache, der seitwärts aus einer Kluft hervorrauschend quer über den Engpaß in den großen Strom sich ergießt, warfen wir einen tüchtigen Erdwall auf, der uns zugleich einen Graben gewährte und nur durch eine schmale Pforte von Staketen den freien Durchzug nach dem Bache und den grasbewachsenen Flächen des innern Landes gestattete. Der Zwischenraum ward mit stacheligen Zwergpalmen, indianischen Feigen und dornigen Gewächsen reichlich übersetzt, so daß nur ein hin und her schlängelnder Fahrweg hindurchging, der über eine verdeckte Wolfsgrube führen sollte und in Zukunft mit einer Fallbrücke sowohl am Bache als über den Graben der Verschanzung verschlossen werden konnte, wenn einmal die verschiedenen Stachelpflanzen kräftig emporgeschossen sein würden. Auf diese Weise war der Paß vor jedem Einfall von reißenden Tieren gesichert.

Wir hatten auch die mitgenommenen Ferkel jenseits des Klusbaches hingetrieben, die Stelle, wo es geschehen war, mit dem Namen Eberfurt belegt und konnten nach ein paar mühsam verlebten Tagen unsern Weg wieder fortsetzen.

Wir hielten uns bloß in Falkenhorst ein paar Stündchen auf, um das Mittagsmahl zu nehmen und einige Anstalten, besonders wegen Fütterung des Geflügels, zu treffen. Alsdann zogen wir ferner nach Zeltheim, wo wir glücklich und nicht allzuspät, aber sämtlich müde und abgearbeitet anlangten.

Hier nun, nach einigen häuslichen Vorkehrungen und genossener Ruhe, ging es mit Macht wieder an das Boot, das in einem Zuge vollends zustandegebracht ward. Es erhielt tüchtige Rippen von Bughölzern, vorn und hinten ein Kniestück zu mehrerer Befestigung der emporgehenden Spitze, von unten der ganzen Länge des Fahrzeugs nach einen Kiel, und endlich oberhalb an dem ganzen Rande hin ein Bord von biegsamen Stangen und Latten, an denen wieder eiserne Ringe befestigt wurden, um das Tauwerk des Mastes nach Bedürfnis durchzuziehen. Auf den Boden legte ich, als beständigen Ballast, gleichsam ein Pflaster von schweren Steinen, die mit Lehm oder Ton wasserdicht verbunden waren. Über diese dann ward eine Diele von Brettern gemacht, auf der man trocken und bequem entweder stehen oder liegen konnte. Quer über das Schiffchen wurden bewegliche Bänke geschlagen, in die Mitte kam der Mast aus Bambus mit einem dreieckigen Segel, und hinten befestigte ich mit ein Paar Türangeln das Steuerruder, so daß es vermittels einer in das Schiff hineingehenden langen Handhabe ziemlich bequem regiert werden konnte.

Ich will hier etwas nachholen, das ich seinerzeit zu erzählen unterlassen habe. Es war von unserer Kuh bald nach der Regenzeit ein Stierkalb geworfen worden, und ich hatte ihm zur einstigen Zähmung seiner Wildheit, gleich wie dem Büffel, die Scheidewand der Nasenlöcher durchbohrt, um in der Folge einen eisernen Ring oder ein hölzernes Stäbchen zur Befestigung eines Zaumes hindurchzustecken und es also regieren zu können.

Jetzt war das Tier schon etwas stärker und von der Muttermilch entwöhnt worden, so daß ich für ratsam hielt, es allmählich an seine künftige Bestimmung zu gewöhnen, und eines Abends die Frage aufwarf, wozu wir es wohl eigentlich erziehen sollten. Da war denn Fritz der Meinung, wir könnten es mit großem Nutzen zu einem hottentottischen Reitochsen ausbilden. Damit waren alle einverstanden, und wir trugen das neue Reittier Fränzchen an, der sich zu unser aller Erstaunen ohne weiteres einverstanden erklärte, das Kälbchen aufzuziehen und für seine Zwecke zu zähmen.

Darauf fragte ich, wie das Tier denn heißen solle, und machte einen Vorschlag von allerlei Namen aus unserm schweizerischen Kuhreigen, damit der Knabe sich einen davon auswählen möchte. Aber diesem gefielen alle nicht, und er sprach: »Ich will das Kälbchen Brummer nennen oder auch nur Brumm; denn bis ich das Tier gebändigt haben werde, mag noch geknurrt und gebrummt werden, denk' ich.« – Wir fanden alle die Benennung passend, und gleich gerieten die Knaben in Eifer, auch dem Büffel und den zwei jungen Doggen gehörige Namen beizulegen.

Jack ließ sich es nicht verwehren, für seinen geüebtesten Büffel selbst einen Vorschlag zu machen, und meinte, wir sollten ihn Sturm nennen; denn es würde gar prächtig klingen, wenn man sagte, er sei auf dem Sturm dahergekommen. Diese unschuldige Eitelkeit brachte mich zum Lachen. »Ja, ja«, rief ich, »das wird aber majestätisch aussehen, wenn unser winziges Großsprecherlein so auf den Flügeln des Sturms daherfliegen wird.«

Den zwei jungen Hunden wurden kurzweg nach ihrer vorstechenden Hauptfarbe die Namen Braun und Falb erteilt; und hiermit hatte unser lustiges Taufgeschäft für diesmal wieder ein Ende.

Die Entdeckung der Baumwolle führte nicht so schnell, wie die Knaben glaubten, zu ihrer Verwertung in unserm Haushalt. Denn die gesammelte Fasermasse war noch ganz durchsetzt von den Samenkörnern, die in den weichen Flocken eingebettet gelegen hatten. Diese Körner mit den Fingern zu beseitigen, erwies sich als so mühsam, daß ich daran denken mußte, uns ein mechanisches Hilfsmittel dazu herzustellen. Wußte ich doch, daß auch die einfachen Naturvölker Asiens und Nordafrikas sich ein solches in der sogenannten »Tschurka«, wie die Inder, Perser und Bucharen es nennen, bereitet haben. Ich schritt denn dazu, es ihnen nachzutun, um so zuversichtlicher, als ich in London im Museum der ostindischen Compagnie ein solches Gerät gesehen hatte. Zwei dünne Wälzchen, nur stark fingerdick, etwas über einen Fuß lang, wurden in zwei aufrechte Pfosten, die ich auf ein schweres Brett befestigt hatte, übereinander gelagert, und zwar so, daß sie außen noch etwa handbreit vorstanden. Die obere Walze wurde an dem einen der äußeren Enden vierkantig gelassen, um einen Dreharm aufzunehmen; an den beiden auf der andern Seite des Gestelles vorstehenden Enden schnitzte ich die Walzen schraubenartig aus, derart, daß sie einander ihre Drehbewegung mitteilen mußten. So hatte ich es in London in der erwähnten Sammlung gesehen.

Weder die Mutter noch die Jungen begriffen, was mein sonderbares Maschinchen bedeute. Als ich aber nach zweitägiger Arbeit im Schweiße meines Angesichts die Keile zum Nachstellen der Lagerung eingetrieben und mein Machwerk auf den Platz vor dem Felsenhause gebracht hatte, rief ich: »Nun bringt einmal Baumwolle her!« Jack flog nach unserm Vorrat und schleppte ein dickes Bündel heran. »Jetzt losgewalzt!« rief ich, drehte mit der Rechten die Kurbel und führte mit der Linken die weiße, flockige Masse in kleinen Gaben den Wälzchen zu. Und siehe da, die Faserflocken wurden von den Walzen erfaßt und mitgenommen, die runden Kerne aber nicht; sie lösten sich los und fielen auf das Fußbrett nieder. Ein Hurra der Jungen belohnte meinen Fleiß. Die Mutter machte sich entzückt sofort auch ans Walzen, drehte aber anfangs im Feuereifer mal vor, mal zurück, so daß Jack, der mit den Händen auf den Knien daneben Wache stand, mehr als einmal rief: »Aber Mütterchen, anders herum! Es kriecht ja zurück!« Mein Maschinchen sah zwar recht roh und nach dem Zimmermann aus; aber so gut, dachte ich, wie die Indier und Bucharen in ihren Hütten es fertigbringen, ist es immerhin noch. Die Freude der Mutter war förmlich herzerhebend. Sie sah für ihren Spinnfleiß nun völlige Befriedigung voraus und ließ bald vor unsern Augen, nachdem sie einen oben gespaltenen Rohrstab zum Rocken gemacht, nämlich mit einem dicken Bausch der entkernten Baumwolle besteckt hatte, die Spindel munter ihren Tanz beginnen, daß es eine Lust war, zuzusehen.

Fast zwei Monate hindurch arbeiteten wir von jetzt an in unserer großen Salzhöhle, um durch bretterne oder geflochtene Wände mit den nötigen Dielen vorläufig die Haupteinteilungen der Gemächer und der Ställe zu beendigen, damit wir während der langen Regenzeit den Rest der nötigsten innern Bequemlichkeiten und Verzierungen zum Zeitvertreib vollends ausführen könnten. Unsere Arbeit war freilich schwer; aber da wir von dem Wracke noch schöne Vorräte von Balken, Laden und Brettern hatten und es auch an Rohren und Schlingpflanzen zu Flechtwerk nicht eben fehlte, so brachten wir gleichwohl durch fleißiges Aufrichten und Einfügen dieser Baustoffe den größten Teil der Haupteinrichtungen, die uns für den Winter am wesentlichsten schienen, mit gutem Erfolg zustande. Insbesondere machten wir hübsche Stukkaturarbeit oder vielmehr leidliche Pfuschereien in der edlen Gipserkunst, da wir nämlich, zur Ersparung von weitläufigem Täfelwerk, die meist nur geflochtenen Zwischenwände unserer Zimmer mit angemachtem Gips bewarfen, damit sie teils reiner und freundlicher aussehen, teils die kühle Luft und die allfälligen bösen Dünste aus den benachbarten Viehställen etwas mehr von uns abhalten möchten.

Der Boden unserer Wohnung wurde mit festgestampftem Lehm, wie man mitunter in Dreschtennen zu tun pflegt, in einer ziemlich dicken Lage gleichmäßig überzogen und samt den nassen Gipswänden der Hitze der restlichen Sommermonate zum vollkommenen Austrocknen anheimgestellt; doch machten wir, teils der größern Wärme, teils der Reinlichkeit wegen, einen vorläufigen Versuch, aus der Wolle von unsern Schafen und aus Ziegenhaaren ein großes Stück Filz zu verfertigen, das in unserm gewöhnlichen Speisezimmer und Gesellschaftssaale auf die Erde gebreitet werden sollte. Die Sache gelang ganz erträglich; wir legten die Wolle samt den Haaren, nachdem sie wohl ausgewaschen, getrocknet und gezupft worden waren, vollkommen gleichmäßig in ziemlich dünner Lage auf ein Stück Segeltuch von der Größe des Teppichs, den wir verfertigen wollten; dann begossen wir die gesamte Masse mit kochendem Wasser, in dem wir eine Menge Fischleim aufgelöst hatten, rollten das Segeltuch dann zusammen, schlugen auf das Bündel mit hölzernen Keulen aus allen Leibeskräften los, begossen die Lage von Haaren zum zweitenmal, stampften sie mit den Füßen und bearbeiteten kurz das ganze Gemisch so kräftig und so lange, daß es sich als eine brauchbare Filzdecke von dem Segeltuche wieder abtrennen, an der Sonne getrocknet zu unsern Zwecken fürder gebrauchen ließ.

Kurze Zeit danach traf für uns die Täubchenernte ein, wie wir sie seither nannten, wo wir vor einem Jahre bei Falkenhorst so zahlreiche Strichtauben abgeschossen hatten, die von der Mutter halb gebraten und so zweckmäßig in Butter aufbewahrt worden waren. Dieser Vorrat hatte uns das ganze Jahr hindurch von Zeit zu Zeit ein schmackhaftes Gericht verschafft; ich wollte daher die Gelegenheit nicht versäumen, denselben bestmöglichst zu erneuern. Wir fanden auch wirklich, daß bereits auf den Bäumen bei Falkenhorst sich gleichsam ein Vortrab dieser Vögel einzufinden beginne. Sogleich erwachte die Jagdlust mit aller Lebhaftigkeit in uns, und der Baugeist trat matter in den Hintergrund. Wir zogen daher insgesamt nach Falkenhorst gegen die Tauben zu Felde.

Indem ich überlegte, wie wir wohl diesmal unser Schießpulver sparen könnten, besann ich mich, von einer westindischen Völkerschaft oder den Bewohnern der Pelewinseln gelesen zu haben, daß sie aus dem noch flüssigen Kautschuk oder Federharz, mit Öl gemengt, einen so starken Vogelleim zurichten, daß man selbst Pfauen und Truthühner damit fangen könne. Ich hieß daher Fritz und Jack ausziehen, um von dem Stoff so viel einzusammeln, als in Tagesfrist möglich wäre, um gleich einen tüchtigen Vorrat davon anlegen zu können. Am Abend, als wir alle schon zu Bett gegangen waren, kamen sie zurück mit einer für uns genügenden Menge Federharz.

»Liebe Kinder, heute müssen wir mit der Sonne aufstehen«, rief ich den Meinigen zu, als es hell zu werden begann; »denn heute haben wir vollauf zu tun!« Bald war alles auf den Beinen, und nachdem die gewöhnlichen Verrichtungen der Frühstunde abgetan waren, ging es ernstlich an die Arbeit. Zuerst wurden die Knaben ausgesandt, um taugliche Gerten zur Verfertigung von Leimruten herbeizuschaffen. Ich selbst beschäftigte mich unterdessen mit Bereitung des Vogelleimes, indem ich auf gelinder Glut eine genügende Menge Öl zu dem noch flüssigen Federharz mengte. Diesem Gemische fügte ich dann, nach eigenmächtigem Gutdünken, etwas flüssigen Terpentin bei und verband die ganze Masse durch Rühren und Schlagen so genau miteinander, daß ich in der Tat einen sehr zähen und stark packenden Vogelleim herausbrachte. Hierauf wies ich die zurückgekommenen Knaben an, den klebrigen Stoff auf die gesammelten Ruten zu streichen, und ging dann hin, um ausfindig zu machen, wo diese am vorteilhaftesten eingesteckt werden könnten. Ich merkte bald, daß wir vor einem Jahre jedenfalls bloß zum Ende und gleichsam zu den Nachzüglern des großen Taubenstrichs gekommen sein müßten; denn jetzt fiel eine so ganz unaussprechliche Menge dieser Vögel über alle benachbarten Bäume her, daß auch ein Blinder kaum fehlgeschossen haben würde. Ganz besonders waren sie hinter den süßen Eicheln im nahen Eichenwald her, und die Menge des Unrates am Boden ließ mutmaßen, daß sie hier schon ein Nachtlager gehalten hatten und auch wohl ein zweites belieben würde. Froh dieser Entdeckung, nahm ich mir vor, wenn unsere Ruten nicht Wildes genug liefern sollten, auch noch eine Nachtjagd zu veranstalten, und, nach Art der amerikanischen Ansiedler in Virginien, die Täubchen bei Fackellicht einzufangen, zu welchem Zweck ich schnell noch etwas Lichtholz und dürres Reisig sammelte.

Als ich wieder heimkam, fand ich schon einen hinreichenden Vorrat von Leimruten. Nun mußte Jack auf unsern großen Baum steigen und sie an den Ästen befestigen.

Kaum hatte der Junge vielleicht ein Dutzend solcher Ruten gesteckt und war heruntergekommen, um sich mit neuen zu versehen, als die Tauben schon einfielen und ohne die mindeste Scheu sich an den gefährlichen Stellen niederließen. Da blieb schon die eine und die andere an einer Leimrute kleben, zappelte oder flatterte, bis die Rute losging, stürzte damit herunter und ward zur leichtesten Beute, worauf die Ruten, eiligst wieder gesäubert, noch ein zweites und drittes Mal ihren Dienst leisteten. Bald leuchtete den Jungen die Sache so vollkommen ein, daß ich ihnen den Betrieb anheimstellen konnte und die Mutter samt Fränzchen drauflos zu rupfen begannen, soviel beider Kräfte nur vermochten. Ich rüstete inzwischen Fackeln für die folgende Nacht zu, um den Fang nach schon erwähnter Weise mehr im großen und ohne den Aufwand von Vogelleim zu treiben, wobei mir denn das eingesammelte Lichtholz und der frische Terpentin, in Ermangelung des Peches, sehr behilflich waren.

Während ich so bei meiner Arbeit saß, brachte Jack mir eine besonders hübsche Taube, die ihn vor manchen andern dauerte.

»Ach, Vater!« rief er, »da habe ich eine gar zu große und schöne. Sie heimelt mich fast an wie eine Bekannte.«

Ernst, der auch herbeigesprungen war, bemerkte jetzt: »Ei, das glaube ich wohl! Es ist ja eine unserer eigenen freigelassenen Tauben, und die sollten wir nicht töten, bis die Art sich ansehnlich vermehrt habe.«

Ich pflichtete dieser Bemerkung bei, nahm den Gefangenen zur Hand, erkannte ihn wirklich als der Meinung Ernsts entsprechend, rieb ihm die beschmierten Schwungfedern an den Flügeln mit Asche säuberlich ab, rupfte die kleinern verklebten Federchen aus und brachte das Tierchen lebendig unter Jacks bereitstehenden Hühnerkorb, worauf ich ermahnte, womöglich einige hübsche Gespane zu diesem Erstling einzuhaschen.

Dies geschah darauf mit gutem Erfolg, und am Abend hatten wir schon zwei Paare von unserer europäischen Zucht beieinander. Allein von den wilden Zugtäubchen, auf die wir eigentlich Jagd machten, war noch bei weitem nicht unser Tönnchen voll geworden. Das öftere Besteigen des Baumes hatte sie doch ein wenig verschüchtert.

Als der Abend einbrach, zogen wir, meinem gefaßten Vorsatze nach, zu einer neuen Taubenjagd nach dem Süßeichelwald aus, wo ich vermutete, daß wir den größten Taubenzug im Nachtquartier finden würden. Seltsam war unsre Bewaffnung, denn sie bestand aus langen Bambusrohren, Fackeln und Säcken, so daß die Jungen sich gewaltig verwunderten, wie man doch mit diesen Werkzeugen einen Taubenfang bewerkstelligen könne. Da wir bald in der Nähe des von mir ersehenen Platzes eingetroffen waren und die Dunkelheit nach Art der südlichen Klimate schon rasch auf den Sonnenuntergang folgte, so zündeten wir jetzt ungesäumt die Fackeln an und ersahen gleich, daß wir es sehr gut getroffen hatten. Rings auf den Baumästen war ein ungeheurer Schwarm von Tauben gelagert. Durch den Fackelschein alsbald erweckt und geblendet, wurden die Vögel unruhig und fingen an, in verwirrtem Hüpfen oder Flattern zwischen Laubwerk und Gezweige herumzustürmen, wo nicht wenige sich die Köpfe zerstießen oder sonst sich verletzten und zur Erde fielen. Diese wurden flugs ergriffen und sogleich in unsere Säcke gesteckt. Sehr aber förderten wir den Fang, indem wir obendrein mit unsern Stangen in dem Astwerke herumschlugen, wodurch nicht nur der Tumult, sondern auch die Niederlage des Geflügels namhaft vermehrt wurde. Kaum vermochte die Mutter samt Fränzchen eilfertig genug zusammenzulesen und einzusacken, was auf der Erde herumflatterte.

Nachdem ich endlich für unser Bedürfnis Wildbret genug beieinander sah, steuerte ich dem Verderben, und ehe noch unsere Fackeln insgesamt verbrannt waren, ließ ich aufbrechen zum Heimweg. Die herrliche Beute lag in den Säcken auf zwei Stangen, die in geringem Abstande gleichlaufend aneinandergebunden waren; je zwei und zwei von uns wechselten im Tragen miteinander ab, während die andern mit den Fackeln uns voranleuchteten, so daß wir fast einem nächtlichen Leichenzug des alten Femgerichtes glichen.

Glücklich kamen wir so bei Falkenhorst an, enthoben durch raschen Tod die Täubchen alles fernern Leidens, versorgten sie an einem wohlgesicherten Ort und begaben uns dann ermüdet zur Ruhe.

Fast den ganzen folgenden Tag hatten wir genug zu tun mit Rupfen, Sieden, Braten und Schmoren, wie in einem vielbesuchten Gasthofe bei der festlichsten Mahlzeit.

Indem wir aber hiermit beschäftigt waren, geschah hintereinander dreimal ein plumpender Fall von den nächsten Bäumen ins Gras; es waren drei der prächtigsten Vögel, die in den Baumkronen an einigen der dort noch übrigen Ruten kleben geblieben waren; nach näherer Untersuchung fand ich, daß wir einen herrlichen Fang gemacht hatten. Sie gehörten sämtlich zu dem Taubengeschlechte; ich glaubte mit ziemlicher Sicherheit eine Riesentaube aus den molukkischen Inseln, eine eigentliche molukkische Taube, in deren Kropf wir auch eine Muskatnuß vorfanden, und eine nikobarische Taube zu erkennen. Wir freuten uns über die prächtige Beute, und ich entschloß mich leicht, sie mitzunehmen und sie womöglich an uns zu gewöhnen, wozu denn ein hübscher Taubenschlag gebaut werden sollte. Da Fritz hierauf äußerte, es würde wohl schwerfallen, die Tauben zu bannen, erwiderte ich mit feierlicher Stimme, ohne mich jedoch auf weitere Erklärungen einzulassen: »Mit ein wenig Zauberei kann man viel ausrichten!«

Sobald wir alles so gut als möglich wieder in Ordnung gebracht hatten, brachen wir auf, und ohne weiteres Abenteuer langten wir in Falkenhorst an. Auch die Mutter hatte die lebhafteste Freude an dem herrlichen Geflügel, das wir mitbrachten; sie pflichtete mir eifrigst bei, alsbald hinüber nach Zeltheim zu ziehen und die Errichtung eines Taubenschlages nebst ein paar andern Arbeiten vorzunehmen. Zu dem Zweck wurde der nötige Mundvorrat samt einigen andern notwendigen Geräten auf unsern Wagen gepackt, und wir brachen in der Absicht auf, für eine geraume Zeit unsern Aufenthalt in Zeltheim zu nehmen.

Noch am nämlichen Tag wählte ich die passende Stelle zu dem neuen Taubenschlage, den ich in der Höhe über unserm äußersten Zimmer, rechts nach dem Schakalbache zu, in dem Felsen aushauen wollte.

Die Arbeit wurde sogleich begonnen und während mehrerer Wochen mit geringer Unterbrechung fortgeführt, so daß sie bei der großen Weichheit des Gesteines bald genug vollendet war. Nur ein kleinerer Teil dieses Taubenhauses nämlich war in Felsen auszuhauen und erhielt dort einen zweckmäßigen Eingang mit drei Fluglöchern, worauf noch etwas darüber ein Fensterchen zum Einlassen des Lichtes angebracht wurde. Einige Flugstangen endlich samt einem Fallbrett wurden außerhalb beigefügt, wobei die Strickleiter, aus jenem Fensterchen hinabgelassen, uns bestens zustatten kam. Innerhalb nach dem leeren Raum und zur großen Höhle hinein mußte nicht ohne Mühe teils eine Seitenwand samt Tür, teils eine Hinterwand und ein Stück Oberdiele noch verfertigt werden, was denn freilich nicht ohne alle Pfuscherei ablief. Desto niedlicher und vollkommener ward das Innere des Taubenschlages mit Ruhsedeln, Stangen und Brettfächern eingerichtet, in welche letztern die Nester der Tauben, voneinander abgesondert, vorläufig mit einigem Flechtwerk hineingebaut wurden.

Als mir das Ganze nun wenigstens leidlich zur Aufnahme des ältern und neuern Taubenvolkes geeignet schien, sagte ich eines Morgens zu Fritz, während ich die übrigen Leutchen zu einer andern Arbeit geschickt hatte: »Jetzt, mein wackerer Meistergeselle, wollen wir zu den verkündeten Zaubermitteln schreiten, um die neuen Ansiedler an ihre Wohnung zu bannen und ihnen vielleicht auch Gattinnen zu verschaffen.« Da er mich darob gar verwundert ansah und nicht recht wußte, was er von meinem seltsamen Reden denken sollte, fuhr ich lächelnd fort:

»Es soll ein Taubenhändlerkunststück sein, was ich hier versuchen will, und man soll damit nicht nur die eigenen Tauben ihrem Schlage treu erhalten, sondern obendrein auch fremde Tauben anziehen, daß sie mit den eigenen zufliegen. Wir brauchen dazu bloß Anis, Lehm oder Ton und Salz, um eine Masse zu kneten, die den Tauben sehr angenehm sein soll, so daß sie auch nur mit dem Geruche davon wiederum andere Tauben herbeilocken.«

»Oh, das wäre doch ein leichtes Mittel für uns«, rief Fritz aus, »da wir jetzt den Anis entdeckt haben! Gleich will ich alles herbeischaffen, was nötig ist.«

»Eben diese Entdeckung hat mich an jene List gemahnt«, versetzte ich; »doch sollten wir noch ein wenig Anisöl haben, um die Fluglöcher des Taubenschlages damit zu bestreichen. Denn da die Tauben beim Aus- und Einschlüpfen sie fast immer ein wenig streifen, so nehmen sie von dem Öl jenen Geruch an, der für fremde Tauben so lockend ist, daß sie den also wohlriechenden bis in ihre Schläge folgen sollen.«

Um nun das nötige Anisöl zu gewinnen, zerstießen wir im Küchenmörser etwas Anis, schütteten Öl darüber, rührten alles durcheinander und seihten das Öl durch feine Leinwand, auf die der zerstoßene Anis geschüttet und zuletzt durch Umdrehen gepreßt wurde. Das neue Erzeugnis hatte freilich noch keinen starken Anisgehalt, konnte aber doch für einige Tage schon den Geruch bewahren.

Jetzt wurde auch die Lehmmasse mit Anis und Salz geknetet und, als sie hinreichend durchgearbeitet war, am Feuer ein wenig gehärtet und zum Überfluß mit dem neuen Anisöl beträufelt, worauf wir sie im Taubenschlage frei hinlegten und endlich die Tauben selbst in ihr neues Quartier einführten, den Rest des Öles aber auf frische Aniskörner gossen und in einem versteckten kühlen Winkel für ungefähr zwei Tage noch zu stärkerem Einziehen des Anisgeruches hinstellten.

Als unser Hausgesinde zurückkam, rühmten wir uns bloß der Vollendung des Taubenschlages und des Einzugs der Tauben in diese Residenz. Alsbald kletterte jedermann mit uns hinauf, und eins ums andere guckte mit neugierigem Wohlgefallen durch eine handbreite Öffnung der Tür, wo ich einen Schieber angebracht hatte. Da zeigte sich denn, daß die Tauben ganz munter herumflatterten und herumhüpften, unser hingestreutes Futter gemütlich schnabulierten und zwischendurch eifrig an dem Lehmkuchen pickten. Selbst wenn jemand von uns in den Verschlag eintrat, so zeigten die Tierchen sich zahm und zutraulich, als seien sie schon ganz an uns gewöhnt.

Zwei Tage ließ ich die Sache so hingehen, war aber selbst zu neugierig, die Wirkung meiner Zauberkünste zu erfahren, als daß ich noch länger hätte warten mögen. Ich stand daher früh am dritten Tage auf, weckte bloß Fritz und ließ ihn auf der noch hängenden Strickleiter emporsteigen, um mit dem stärker durchgezogenen Anisöl die Fluglöcher und Sitzstangen außen am Taubenschlag von neuem tüchtig zu tränken, auch zugleich die Schnur in Ordnung zu bringen, mit der von unten her künftig der Taubenschlag sich auf- und zumachen ließe. Dann aber schlichen wir wieder hinein und weckten die vier Schlummernden, als hätten wir uns gar nicht entfernt gehabt. Sie sprangen auf, zogen sich an und eilten um so schneller zum Frühstück, als ich ankündigte, sogleich nachher unsern Tauben die Freiheit des Ausfliegens gestatten zu wollen.

Bald standen wir nun alle im Freien, dem Taubenschlage gegenüber, und jetzt gab ich mir das Ansehen, meine versprochene Zauberei in Ausübung zu bringen: Ich tat geheimnisvoll, murmelte vor mich hin und machte mit einer Rute hin und wieder ein paar feierliche Luftstreiche, worauf ich zuletzt mit halblauter Stimme sprach: »Jetzt wird es die Burschen lehren, mir nicht auszureißen!« – Und alsbald hieß ich Jack vermittelst der vorbereiteten Schnur unsern Taubenschlag aufmachen.

Nicht lange, so wagten sich die Gefangenen hervor. Erst ließen sie nur die Köpflein sehen und spähten in die neugeöffnete Welt; hierauf tummelten sie sich ein wenig auf dem Flugbrett und auf den Ruhestangen; jetzt spazierten sie wieder hinein, jetzt kamen sie wieder heraus und lüfteten emsig die Flügel, indem sie dieselben auseinanderschlugen und gleichsam wiegend emporhoben. – Endlich, mit einem Male rauschte es, und der ganze Schwarm brach auf wie mit Sturmesbrausen, und zwar zu solch erstaunlicher Höhe, daß die Knaben ein wahres Angstgeschrei ausstießen und auch die Mutter den Flug schon verloren gab. Aber kaum hatten die Vögel ein paarmal in der obern Luft herumgekreist, als wollten sie die sogenannte Vogelschau von Land und Meer aufnehmen, so schwirrten sie wieder daher zu ihrem Häuschen und schienen sich des ersten wohlgelungenen Ausfluges zu freuen, indem sie sich zur Rast niedersetzten.

Jetzt aber konnte ich erst auf meine Zauberei pochen, und so rief ich denn aus: »Das wußt' ich wohl, daß sie nicht fort könnten, und wenn sie auch noch so hoch geflogen wären!«

»Ja was«, versetzte Ernst, »wie hättest du das wohl wissen können, Vater?«

»Weil ich sie fest an ihren Schlag gebannt habe«, war meine Antwort.

»Also wirkliche Zauberkünste, Vater?« fragte Jack mit zögerndem Lächeln.

»Oh, so geh doch mit deinen Zauberkünsten!« fiel Ernst wiederum ein. »Gerade als ob ein Mensch wirklich zaubern könnte.«

»Ja, ja!« ergriff nun Fritz das Wort, »du wirst noch dein blaues Wunder erleben, ungläubiger Ernestus!«

Bald regten sich die Tauben wieder mit einer ganz eigenen Rührigkeit, und, wie davongetragen auf stürmender Windsbraut, schossen die drei Fremdlinge hinweg von den vier Europäern, hoch in die Lüfte nach der Gegend von Falkenhorst hin; aber dann rastlos auch noch weit darüber hinaus, so daß endlich selbst ich, mit einem guten Fernrohre bewaffnet, sie gänzlich aus dem Gesichte verlor.

»Adieu, ihr Herren!« rief Jack den Entschwundenen nach, indem er eine höhnische Verbeugung machte, seinen Hut abzog und einen gewaltigen Kratzfuß hinten auswarf.

»Ha, ha, ha!« lachte zugleich Ernst, »der Zauber hat gewirkt, Vater, ich hab es doch immer und immer gedacht, daß es nur ein Scherz sein solle.«

Ich ließ mich indessen scheinbar nichts anfechten, sondern stellte mich gleichsam trotzig hin, blies ganz geheimnisvoll den Tauben über meine Hand hinaus nach und redete wie zu einem unsichtbaren Geiste: »Geh und eile, und bringe die Ausreißer zurück, bis morgen spätestens! Hörst du, Kleiner, und spute dich!«

Hiermit wandte ich mich aufs neue zu den Knaben und sagte: »Für die Fremdlinge ist gesorgt, ihr lieben Leutchen! Laßt uns aber zusehen, was unsere vier Landsleute machen!«

Wir faßten nun diese, die wir ein paar Augenblicke ganz aus den Augen gelassen hatten, wieder sorgfältig aufs Korn; sie blieben aber hübsch in unserm Gesichtskreise, machten lediglich ihre abwechselnden Schwenkungen, als hielten sie Lustjagd miteinander, setzten sich auf die Erde, pickten Körner auf und flogen wieder nach dem Schlage zurück, als wären sie schon gänzlich eingewöhnt.

»Das ist schon gut mit diesen Furchthasen«, meinte Jack; »die sind froh, in so unbekannten Gegenden eine sichere Heimat zu haben, aber den drei Fremdlingen haben wir wohl allzufrüh aufgemacht.«

»Ei!« bemerkte Fritz mit vertraulichem Tone, »hast du denn nicht gesehen, wie der Vater ihnen jemand nachgeschickt hat, der sie gebührend herumholen wird? Das ist ein Spiritus familiaris, ein unsichtbarer Hausgeist, der ihm Untertan ist – also nur Geduld!«

»Pah!« machte Jack mit einem höchst ungläubigen und ablehnenden Gesicht und zuckte die Achseln. Ernst schüttelte schweigend den Kopf.

Unsre Tagesangelegenheit war von jetzt an, auf die Rückkehr der Flüchtlinge zu achten. Sie nahmen fast unser ganzes Sinnen und Erwarten in Anspruch. Demzufolge begannen wir keine andere Arbeit als solche, die sich im Anblick des Taubenschlages ausführen ließ, wobei wir denn jeden Augenblick nach den Ruhestangen aufsahen oder in der Luft umschauten, ob die Fremdlinge sich nicht irgendwo erblicken ließen. Allein der Abend brach an, und noch keiner der drei Flüchtlinge hatte sich wieder eingefunden. Ich fing doch im geheimen an zu zweifeln, wollte mir aber nichts merken lassen. In etwas gedrückter Stimmung verlief der Abend.

Am folgenden Morgen wurden aus uneingestandener Verdrießlichkeit die Ausreißer gar nicht mehr erwähnt, und wir verharrten emsig bei unserer Arbeit innerhalb der Felsenhöhle bis gegen Mittag.

Jack indessen, der einen Augenblick beiseite geschlichen war, kam plötzlich zurückgesprungen, klatschte freudig in die Hände, nahm lustige Sätze und rief: »Er ist da, er ist da, er ist wahrhaftig da!«

»Wer ist da?« fragten alle, »wer, wer?«

»Der blaue Tauber!« rief Jack noch lauter; »der blaue Tauber! heißa, juhei!«

»Possen, Possen«, versetzte Ernst, »man lockt uns nicht so leicht zu dem leeren Taubenschlag.«

»Was Possen?« entgegnete ich ihm, »ich wußte wohl, daß der Kamerad zurückkommen würde. Und auch die anderen zwei sind jetzt sicher auf den Heimweg bedacht.«

Jetzt stürzte alles in Hast aus der Höhle, und froh erstaunt sahen wir nicht nur unsern blauen Flüchtling, sondern auch eine Gespielin desselben auf einer Ruhestange des Taubenschlages sitzen und beide sich freundlich aneinander schnäbeln. Bald aber flog das Männchen auf das Flugbrett, gurrte laut, nickte gleichsam mit dem Kopfe, schlüpfte zum Flugloch hinein, kam wieder herausgetrippelt und machte zuletzt seine Einladungen so dringend, daß das schüchterne Weibchen sich endlich, wenn auch zögernd, in unsern Taubenpalast hineinwagte.

Sofort wollten die Jungen hin, das Häuschen vermittelst des Fallbretts zu schließen, um uns den neu angekommenen Gast vollends zu sichern. »Nicht doch!« rief ich ihnen zu; »ihr könntet mir das gute Geschöpfchen nur scheu machen. Außerdem erwarte ich ja heute die zwei andern Flüchtlinge noch, und denen wollen wir nicht das Tor vor der Nase verschließen.«

Die Mutter betrachtete mich mit erstauntem Lächeln. »Beinahe fange ich nun selbst an zu glauben, mein lieber Mann«, sagte sie, »daß du etwas mehr kannst als Brot essen. Die Geschichte hier sieht wirklich ein bißchen nach Hexerei aus.«

»Oh, das ist von ungefähr geschehen!« bemerkte Ernst. »Des Vaters Hauch über die Hand bleibt doch nur ein leerer Wind und hat da gar nichts geholfen.«

»Du wirst aber doch zugeben«, versetzte ich, »daß mehr als ein bloßes Ungefähr im Spiele sein muß, wenn nun bald auch die andern zwei Flüchtlinge heimkehren ins Taubenhaus.«

»Ja freilich, das muß ich fast«, sagte er, »denn es ist doch gar nicht glaublich, daß am nämlichen Tag sich dreimal der nämliche regellose Zufall ereignen sollte.«

Indes wir noch so miteinander redeten und scherzten, schrie Fritz, der mit seinen scharfblickenden Augen immer in die Ferne gespäht hatte, plötzlich laut auf: »Sie kommen! sie kommen!«

Und wirklich, nach wenigen Augenblicken erkannten wir alle einen zweiten von unsern Ausreißern mit einer Gefährtin. Doch erhob meine Bande nun ein solches Gejubel, daß die armen Tiere sichtbar stutzig wurden und vielleicht wieder davongeflogen wären, hätte nicht ihre Müdigkeit sie abgehalten; denn diese war aus den mattern Flügelschlägen leicht zu erkennen. Und so gebot ich denn allgemeines Stillschweigen, worauf die beiden Luftpilger sich auf einer Ruhestange des Taubenschlages niederließen und das Männchen in kurzem, das Weibchen aber nach langem Zögern erst durch ein Flugloch hineinspazierten.

»Wie nun«, fragte ich Ernst, »was sagst du zu dem seltsamen Handel? Auch das zweite Paar ist angelangt.«

»Seltsam scheint mir's«, sprach Ernst, »sehr seltsam! Aber für zauberisch und übernatürlich halt' ich es dennoch nicht. Es ist nur ein unbegreifliches Glück dabei.«

»Gut, mein Sohn!« sagte ich zu ihm, »du bist wenigstens standhaft, und da du für deine Meinung recht gute Gründe hast, so kann ich deine Beharrlichkeit nicht als Eigensinn verwerfen. Wenn aber noch vor Abend auch das dritte verkündigte Paar eintrifft, so wirst du dich wohl auf etwas mehr als auf Zufall oder Glück einlassen müssen und mir meinen Ruhm nicht länger vorenthalten.«

Da wir doch einmal unsere Arbeit unterbrochen hatten, so ging die Mutter mit Fränzchen daran, etwas für das Abendessen vorzubereiten. Aber bald kam der Kleine gravitätisch wieder zurück, warf sich ordentlich in die Brust und schmetterte im Ton eines ausrufenden Herolds: »Nach Standesgebühr hochzuverehrende Herren und Nichtherren! Euch sei kund und zu wissen abseiten der geliebtesten Mutter, daß wir soeben die Ehre gehabt haben, den schönen molukkischen Goldflügler mit liebwertester Frau Gemahlin wohlbehalten in allhiesiger Residenz eintreffen und ihr Absteigequartier im neuen Gasthof zum Taubenhaus nehmen zu sehen.«

Lachend rannten wir alle hinaus an Ort und Stelle, wo die Mutter, dem Taubenschlage gegenüber, durch einen Fingerzeig alles bestätigte; denn die zwei Prachtsvögel saßen auf den Ruhestangen, und es war merkwürdig zu sehen, wie die zwei andern Taubenpaare ihnen einladend zunickten und gurrten, bis endlich alle drei Paare hintereinander, wie einheimisch, in das Häuschen schlüpften.

»Wahrhaftig, Vater«, rief Ernst, »ich muß mich ergeben! Mein bißchen Verstand und Wissen ist zu Rande. Aber, wenn du doch gezaubert hast, was hast du denn dazu gebraucht?«

»Das ist eine Frage!« versetzte ich, »hast du denn nicht gehört, wie ich magische Sprüchlein murmelte? Und hast du nicht gesehen, wie ich meinen Hauch den Flüchtlingen nachgeschickt habe?«

»Hoho! gehorsamer Diener!« sagte er, »und ganz gehorsamer Diener! Aber doch nicht so leichtgläubiger Diener.«

Ich freute mich, daß der Junge seinem gesunden Verstande mehr vertraute als dem Schein und daß er sich nicht blenden ließe. Ich lobte ihn deshalb und erklärte nun, was ich für ganz natürliche Mittel gebraucht hatte, um die fremden Tauben an ihre neue Wohnung zu fesseln.

Während des Abends und der folgenden Tage beobachteten wir die Taubenkolonie in ihrem neuen Quartiere sehr aufmerksam und sahen, daß sie täglich da heimischer und zutraulicher wurde.

Noch ein paar Wochen lang hielten die Tauben unsere Aufmerksamkeit selbst bei jeder andern Beschäftigung gespannt. Die drei Fremdlinge mit ihren herbeigeholten Weibchen gewöhnten sich immer mehr an ihren neuen Wohnsitz, und gleich wie jene uns drei Weibchen ihrer Art verschafft hatten, ebenso zogen die zwei europäischen Paare jetzt allmählich ihre alten Kameraden und deren ganze Brut an, wodurch unsere schönen Lieblinge aus dem Quartiere verdrängt zu werden Gefahr liefen und wir obendrein so viele Schmarotzer zu füttern bekamen, daß wir wegen ihrer Ernährung in Verlegenheit gerieten. Demnach mußten wir die neuen Ankömmlinge wegzufangen suchen, und dies bewerkstelligten wir zum Teil durch Leimruten am Morgen früh, wenn wir den Taubenschlag noch nicht geöffnet hatten, zum Teil gerade durch diesen selbst, wenn unser Flug im Felde war und hin und wieder ein Wildfang hineinschlüpfte, den wir dann schnell durch Herunterlassen des Fallbrettes in unsere Gewalt bekamen. Dies verschaffte uns mehr Taubenbraten, als uns genehm war, und bei diesem Überdrusse ging es Fritzens Adler eine Zeitlang ganz unvergleichlich; zuletzt indessen nahm die Zudringlichkeit ein Ende, und es blieb vorderhand bei den fünf Paaren, auf die wir uns einstweilen einschränken wollten.

Inzwischen hatte mich aber eine andere Arbeit ernsthaft in Anspruch genommen. Ich ließ mir von Jack im Flamantsumpf ein Bündel Rohre schneiden; daraus suchte ich zwei schöne Stücke aus, etwa fingersdick, von ungefähr gleichem, geradem Wuchse aus, die ich nur einmal genau in der Mitte voneinander spaltete und dann wieder fest aufeinander band, damit sie sich im Trocknen nicht etwa schief werfen möchten.

Ich beabsichtigte, mit diesen Stücken einen ziemlich weit voraussehenden Versuch zu machen, indem ich sie zur Einfassung eines sogenannten Weberblattes bestimmte, da ich beständig auf einen Webstuhl für die Mutter bedacht war, um ihr gesponnenes Garn einmal zu Ehren zu bringen. Demnach schnitt ich auch gleich ein Hölzchen als Modell zu den Zähnen oder Gitterstäbchen des Weberblattes zurecht und ließ mir von den Knaben eine Anzahl von solcherlei Zähnen verfertigen. Neugierig verlangte das Völkchen zu erfahren, wozu ich diese »Zahnstocher« denn endlich zu brauchen gedächte. Und da ich nun nicht mit der Rede heraus wollte, weil ich der Mutter eine angenehme Überraschung zugedacht hatte, so antwortete ich zuletzt aus Verlegenheit in einer Art komischer Verzweiflung: »Es soll ein hottentottisches Musikinstrument geben, das Gom-Gom heißt, und nach dem, wenn es einst richtig gespielt wird, die Mutter selbst noch im Takt ihre Füße lüpfen und sich lustig gebärden soll.«

Bald war die Menge der sogenannten Zahnstocher hinlänglich; ich nahm sie mit geheimnisvollem Lächeln und barg dann die Teile zu dem Webstuhle bis auf gelegene Zeit, wo ich von der Mutter unbemerkt mein Weberblatt vollends zusammensetzen könnte.

In diesen Tagen warf Gräuel, der Esel, ein Junges von herrlicher Art, so daß wir die schönste Hoffnung hatten, nicht nur ein nützliches Haustier, sondern auch ein stattliches Reitpferd daraus bilden zu können. Sogleich ward es einhellig mir selbst zugesprochen, damit auch ich einen tüchtigen Gaul bekomme, und ich gab ihm zu guter Vorbedeutung den Namen Rasch, dem es in kurzer Zeit durch ein wildes, beinahe stürmisches Verhalten, aber auch durch hurtigen Trab und leichte, zierliche Bewegungen zu entsprechen schien.

Allmählich sammelten wir auch Heu und anderes Futter in unsre Höhle, um während der Regenzeit einige von unsern Tieren, besonders einiges Vieh, bei uns behalten zu können. Übrigens waren alle unsre Vierfüßer gewohnt, auf den Ruf unserer Stimmen oder auf das Tuten mit einer großen Schneckenmuschel, ja sogar auf den Knall eines Schießgewehrs, sich schnell bei uns einzufinden, weil sie dann jedesmal mit Salz oder einem andern ihnen angenehmen Futter beglückt werden. Nur die Schweine bekümmerten sich wenig um unsern Zuruf, da sie fast überall bessere Leckereien fanden, als wir imstande waren oder Lust hatten ihnen anzubieten; wir konnten sie übrigens durch unsere Hunde jederzeit leicht einfangen lassen.

Allmählich fing die Witterung an, sehr unbeständig zu werden. Es sammelten sich oft schwere Gewitterwolken am Horizont, die, von heftigen Stürmen dahergejagt, uns mit gewaltigem Platzregen überströmten. Manchmal brachen plötzliche Ungewitter unter den wütendsten Windstößen von der Bergseite her, wo wir ihre Annäherung nicht bemerken konnten, gewaltig über uns los, erschreckten uns mit Donner und Blitz, drohten mit ihrem Gusse alles wegzuschwemmen und jagten uns tief in das Versteck unserer Höhle. Auch das Meer nahm teil an diesen Zuckungen der Natur; die Gewalt der Orkane warf es gleichsam aus seinen untersten Tiefen gegen den Himmel oder gegen das Land, und haushohe Grundwogen, unter zischendem Schäumen und furchtbarem Gebrause, zerschellten an den sich entgegenstemmenden Klippen oder Felswänden. Kurz, alles verkündigte den Eintritt der Regenmonate und stürmte und brauste gleichsam das dröhnende Vorspiel zu dem ernsthaftesten Stücke des Jahreslaufes.

Ich hatte diesen Wechsel auf den ersten Tag des Brachmonats berechnet; aber er trat schon einige Tage vorher mit solcher Gewalt ein, daß wir voraussahen, wohl zwölf Wochen die Winterquartiere beziehen zu müssen. Die Fluten des Himmels ergossen sich zwar nicht alle Tage mit gleichem Überfluß, aber die Witterung blieb doch immer schlecht und veränderlich.

Von unserm Vieh behielten wir einstweilen nur die Kuh und den Esel samt dem Leichtfuß und Sturm in der Salzhöhle, die Kuh wegen der Milch, den Esel wegen des jüngst geworfenen Fohlens und den Sturm mit dem Wildling, um so oft als möglich, in günstigen Augenblicken, einen der Jungen nach Falkenhorst senden zu können. Dort war nämlich all unser übriges Vieh und ein Teil des Geflügels sowie auch unser Heu- und Laubvorrat zur Fütterung des Viehs untergebracht, so daß zur Pflege des erstern und zur Abholung einiges Bedarfes von dem letztern fast alle Tage jemand hinübereilen und durch ein paar Hände voll Salz oder Mais oder einen andern Leckerbissen die Tiere uns zugeneigt erhalten mußte. Die Hunde, der Schakal, der Affe und der Adler hingegen blieben an unserm Aufenthaltsorte, wo sie bei mancher Beschwerde doch auch mitunter einen Spaß zur Verkürzung der winterlichen Regenabende gewährten.

Die Anordnung der Gemächer in der Höhle beschäftigte uns noch mehrere Tage. Ernst und Fränzchen hatten die Bücherei zu besorgen, die vom einen Ende des sehr langen und großen Bubenzimmers abgespalten war. Sie schlugen dort ein leichtes Fachwerk von Laden auf und stellten die Bücher darauf in Reih und Glied; die Mutter und Jack machten das Wohnzimmer samt der Küche zurecht, wo es tüchtig zu tun gab; ich und Fritz endlich besorgten die Werkstätte, weil hier ein größerer Kraftaufwand nötig war.

Vor allem wurde die eiserne Drehbank des Kapitäns, von vorzüglicher Arbeit und mit einer Kiste voll der nötigsten Geräte versehen, ins günstigste Licht gestellt und die Werkzeuge an der Wand befestigt. In einem kleinen Nebengewölbe, das ich zu einer Schmiede bestimmt hatte, errichteten wir aus Güldenstein den nötigen Feuerherd. Endlich wurden noch eine Hobelbank und alle Gerätschaften, sowohl des Schiffszimmermanns als des Böttchers, in den Arbeitssaal hineingeschafft.

Kaum war das alles im großen und groben ausgeführt, so gab es nun erst im kleinen eine Menge Einrichtungen und Anordnungen zu treffen; hier fehlten Gestelle und Brettergerüste, dort Bänke und Tische; da wieder kleine Leitern, bewegliche Treppchen und verschiedene Schubkasten; über unsere zur rechten Zeit angelegten schönen Wandschränke gerieten wir immer wieder aufs neue in Entzücken.

Außen vor der Höhle, in der ganzen Länge unserer Gemächer und Eingänge, ward allmählich auch von dem Ausbruch des Gesteines und allerlei Schutt oder Abfall, den wir aus dem Innern herausgeschafft hatten, eine Art Terrasse geebnet, die durch ein vorragendes Dach von Bambusrohren zu einer Art Vorhalle bestimmt wurde und uns vor Sonnenschein und Regen schützen sollte.

Ernst und Fränzchen hatten inzwischen auch eine ganz löbliche Aufstellung unserer gelehrten Hilfsmittel vorgenommen. Wir besaßen eine hübsche Menge von Büchern, die teils uns selbst, teils dem Schiffskapitän und den Offizieren gehört hatten, besonders viele Reisebeschreibungen und naturgeschichtliche Werke, zum Teil mit ausgemalten Bildern, die uns als ein wahrer Schatz erschienen und aus denen wir manche Belehrung zu erhoffen hatten; ferner fanden sich viele Seekarten, mehrere mathematische und astronomische Instrumente und ein vortrefflicher Globus vor. Endlich versprach ich mir nützliche Beschäftigung von den vielen Wörterbüchern und Grammatiken der Schiffsbücherei, die mitgenommen worden waren, um bei allfälligem Zusammentreffen mit Schiffen oder Menschen der verschiedensten Nationen einige Hilfe zu finden.

Nun trieben wir fleißig unsere lange unterbrochenen Sprachstudien. Deutsch und Französisch sollten wir alle treiben; das Englische und Holländische ward der Mutter samt den zwei ältern Knaben angewiesen; nur sollte sich Ernst, der zu Haus in der Schule die Grundlage zum Lateinischen tüchtig gelegt hatte, fortwährend auch mit diesem beschäftigen, da es sich zum Verständnis naturgeschichtlicher Werke und auch einiger medizinischer Schriften aus dem Nachlaß unsres Schiffsarztes ganz besonders eignete; mir selbst hatte ich das Malayische zu erlernen aufgegeben, da ich es für sehr wohl möglich hielt, daß ostindische Eingeborne zumal von den Inseln, uns einmal auffinden würden, in welchem Falle das in jenen Gegenden so verbreitete Malayische mir Trost und Hilfe versprach.

So bildeten wir denn ein kleines Babel in unserm beschränkten Familienkreise, und die Brocken der verschiedenen Sprachen umsummten uns die Ohren mitunter zum köstlichsten Spaße.

Erst jetzt fanden wir endlich Muße, den ganzen Rest unserer Schätze von dem gestrandeten Schiffe auszupacken und jedem Gegenstande einen passenden Platz anzuweisen. Es fanden sich da Spiegel, Kommoden, ein paar Konsolen mit polierten Marmorplatten, eine Anzahl Sessel, bequeme und unbequeme, und sogar zwei sehr hübsche Schreibtische; sodann zeigten sich Stock- und Schlaguhren von seltenem Geschmack, deren eine mit einem Glockenspiel versehen war; eine Seeuhr, zur Bestimmung der geographischen Länge auf der See, womit ich freilich nicht allzugut umzugehen wußte – kurz, wir fanden uns reicher, als wir es je gedacht hatten. Aber freilich gab es jetzt auch vieles zu putzen, zu flicken und auszubessern, was denn die zehn oder zwölf Wochen der Regenzeit so gut ausfüllen half, daß ich nur ein Joch für die Ochsen und ein paar Karden zum Kämmen der Baumwolle, samt einem Baumwollrad zum Spinnen für die stets daran mahnende Mutter noch zustande brachte. Dafür waren wir aber auch nun eingehaust wie die Prinzen und bildeten uns nicht wenig ein auf unsere herrliche Wohnung.

Am Ende der ganzen Einrichtung wünschte mein Hausgesinde den alten Namen Zeltheim gegen einen großartigem umzutauschen; und obschon mir der alte Name durch die Erinnerung an unsere ersten Rettungstage teuer war, so gab ich doch den dringenden Wünschen aller nach, und es wurde endlich nach langem Hinundherraten Felsenheim dafür gewählt.

Gegen Ende August und also auch der Regenzeit, wie ich wenigstens hoffte, schien das Wetter eher noch stürmischer werden zu wollen; das Meer schlug in ungeheuren Wellen gegen den Strand und brauste, von wütenden Orkanen gepeitscht, ganz fürchterlich; Regen, Donner und Blitz begleiteten fast ohne Unterlaß den gräßlichen Aufruhr des Ozeans und schienen der ganzen Natur mit Zerstörung zu drohen. Um so glücklicher schätzten wir uns nun in unserer festen Wohnung, da wir in Falkenhorst dieses Unwetter unmöglich hätten aushalten können.

Endlich indessen klärte sich allmählich der Himmel auf, die Stürme legten sich, und wir durften es wagen, aus unserer wohlgeborgenen Freistätte wieder hinauszutreten in die freie Natur.


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