Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Das Schiff wird weiter ausgebeutet. Man bäckt Maniokbrot und baut eine Pinasse. Der Vater verfertigt Wurfkugeln. Eine Trapphenne wird gefangen. Ein Wachsbaum und ein Kautschukbaum werden entdeckt.
Ich hatte auf dem Heimwege am Strande unter vielen anderen Dingen auch verschiedene Bughölzer wahrgenommen, die mir ganz besonders tauglich schienen, um daraus eine Schleife zu verfertigen und mit dieser dann das Butterfass und andre notwendige Dinge von Zeltheim nach Falkenhorst zu schaffen. Sogleich hatte ich mir vorgenommen, am folgenden Tage, noch ehe mein Hausvolk erwacht sei, an den Strand zu gehen und das Nötige vorzukehren. Als Gehilfen hatte ich mir Ernst bestimmt, weil seine Trägheit als Gegengift eines frühen Morgenganges am meisten bedurfte, und weil Fritz zur allfälligen Verteidigung der Zurückgelassenen der Tüchtigste schien.
Kaum war ich also bei der ersten Dämmerung erwacht, so ermunterte ich auch den gähnenden Ernst; wir stiegen unbemerkt von dem Baumschlosse hinab und ließen die geliebten Schlummerer sämtlich zurück.
Unser Esel mußte mitwandern, und damit er nicht leer ginge, ließ ich ihn einen starken Baumast ziehen, den ich mitnehmen wollte und gut zu gebrauchen dachte.
Wir kamen bald zu den Bughölzern, die das Ziel unsrer Wanderung waren; ich beschloß, sie auf den Baumast zu legen, den der Esel mir hergeschleift hatte, und der mir einstweilen, da er noch voll kleiner Zweige war, zum Schlitten dienen konnte. Um die Ladung gleich voll zu machen, befreiten wir jetzt noch eine Kiste, die halbübersandet am Ufer lag, und wälzten sie ebenfalls auf den Baumast, worauf wir langsam den Heimweg antraten, und, wo es nötig war, mit ein paar aufgelesenen Stangen wie mit Hebebäumen dem Esel das Fortziehen seiner Last erleichterten.
Schon von ferne hörten wir bei Falkenhorst puffen und knallen, denn die Jagd auf die Tauben, die oben im Baume nisteten, war eben in ihrem besten Beginne. Als man uns aber ankommen sah, hallte Freudengeschrei, und man eilte uns grüßend entgegen. Die Kiste, die wir hergebracht hatten, mußte sogleich geöffnet werden, und ich tat es mit dem Soldatenschlüssel, das heißt mit einer tüchtigen Axt. Es fand sich jedoch nichts von einiger Wichtigkeit darin; denn es schien eine gemeine Matrosenkiste, und sie enthielt bloß Kleidungsstücke und Linnenzeug, das sämtlich von Seewasser ganz durchnäßt war.
Ich mußte mich nun bei der Mutter verantworten, daß ich sie und die drei Knaben ohne Warnung und Abschied des Morgens im Stich gelassen hatte; aber die Vorweisung meiner schönen Bughölzer und die nahe Aussicht auf eine bequeme Schleife und auf das baldige Herschaffen des Butterfasses beschwichtigten jeden Vorwurf schnell, und wir eilten friedlich zum Frühstück.
Nach dessen Vollendung übersah ich die Beute der Knaben an Drosseln und Tauben, wovon richtig zu vier Dutzend beisammenlagen. Indes hatte sowohl Fritz als Jack den ersten Schuß umsonst getan, weil beide vergessen hatten, ihre Flinten statt mit Kugeln mit Schrot zu laden. Dann aber hatten sie bald gefehlt und bald getroffen, aber schon so viel Pulver und Blei verbraucht, daß, als sie jetzt ihre Jägerei von neuem beginnen wollten, die Mutter eilig dazwischentrat und vorstellte, daß man einerseits das Schießzeug nicht so vergeuden sollte und daß andrerseits schon Vögel genug da seien, um heute gerupft und auf die Zukunft eingemacht zu werden.
Ich pflichtete der verständigen Frau vollkommen bei und ermahnte die Jugend, in der Tat mit Pulver und Blei nicht so verschwenderisch zu sein, weil auf diesem Schatze so ganz unsre Verteidigung und großenteils selbst unsre Nahrung beruhe. Wenigstens riet ich zur möglichsten Sparsamkeit, bis uns gelungen wäre, vom Wrack des Schiffes unsre Vorräte beträchtlich zu vermehren. Dafür hieß ich die Jungen sich Schlingen machen und diese droben in den Baumästen aufhängen, um die Drosseln und Tauben künftig mit List zu fangen. Zu den Schlingen aber mahnte ich, die Fäden unsrer neuentdeckten Karatten zu benutzen, die mir zu diesem Gebrauche sehr geeignet schienen, da sie fast steif waren wie Roßhaar.
Mein Rat war nicht in den Wind geredet. Ich mußte sogleich den Knaben Anweisung geben, wie die Schlingen zu machen seien, und als sie es begriffen hatten, erlaubte ich Fränzchen und Jack, sich mit dieser Arbeit zu beschäftigen, während Fritz und Ernst mir in der Verfertigung einer Schleife tüchtig an die Hand gehen sollten.
Indem wir sämtlich an unser Werk gingen, erhob sich unter unserm Hühnervolk ein ganz abscheulicher Lärm. Der Hahn krähte laut auf, und der übrige Troß gackerte und flatterte herum, als wäre der Fuchs darunter. Wir sahen alle hin, und die Mutter stand auf, um nachzusehen, ob etwa eine der Hennen ein Ei gelegt habe. Ernst, der zufällig den Affen im Auge hatte, bemerkte jetzt, daß dieser unverrückt auf die Hühner blickte und plötzlich, als diese vor der Mutter zerstoben, unter eine der Baumwurzeln fuhr. Er lief dem Aufpasser nach und war so glücklich, ihn eben zu erwischen, als er ein frischgelegtes Hühnerei hervorholte und es an den Boden schlug, um sich's auf der Stelle schmecken zu lassen. Der Affe war nach dieser Speise sehr lüstern und fuhr bald unter eine andere Wurzel und dann hinaus in das Gras; aber Ernst, der ihm wachsam auf dem Fuße folgte, brachte bald vier Eier daher, die von der Mutter mit herzlichster Freude betrachtet wurden.
Dem Affen trug die Freibeuterei nichts als den Überna[h]men Knips ein und die Beraubung seiner Freiheit, sooft es uns schien, daß unsere Hühner gelegt hätten oder doch zu legen geneigt seien. Hatte man dann Zeit, so band man den Gefangenen wieder los und ließ sich von ihm zeigen, wo die Eier verborgen lagen. Die Mutter legte sich denn bald eine Sammlung an und wartete mit Ungeduld, bis unsre Hühner brütig würden, um so schnell als möglich ein junges Völklein zu ziehen, von dessen Benutzung sie schon Herrliches träumte.
Mittlerweile war Jack auf unsern Baum gestiegen und hatte bereits ein paar Schlingen für die gefiederten Feigenfresser in den Ästen aufgehängt. Er kam wieder herab und brachte uns die willkommene Nachricht, daß auch droben unser Hausgeflügel, und zwar unsre Tauben, Anstalten zu Brut und Zucht getroffen habe. Ich verbot nun desto mehr alles Schießen auf dem Baume, damit unsre freundlichen Tiere nicht verwundet oder weggeschreckt würden, und ich ermahnte auch die Jungen, fleißig nach den aufgestellten Schlingen zu sehen, damit sich nicht unsre Tauben selbst darin fingen und sich durch Zappeln erdrosselten. Ja, ich hätte gern die Schlingen wieder aberkannt, wenn ich sie nicht selber zuvor empfohlen hätte und weil ich es für unrätlich hielt, mir so schnell zu widersprechen.
Unterdessen bearbeitete ich meine Bughölzer zu einem Schlitten oder einer Schleife, die ganz einfach war und also schnell zustande kam. Zwei Bughölzer, vorn, in der Mitte und hinten mit einem Querholz verbunden und so gestellt, daß die Krümmung vorn in die Höhe stand, waren das ganze Kunstwerk, und es brauchten nur noch die Zugstricke des Esels an die emporstehenden zwei Spitzen festgemacht zu werden, so war mein Gespann vollendet.
Ich hatte von meiner Arbeit nicht aufgeblickt, bis ich fertig war; und als ich mich jetzt umsah, gewahrte ich, daß die Mutter mit den Knaben inzwischen Vögel gerupft hatte und im Begriff stand, zwei volle Dutzend an die lange spanische Degenklinge eines Schiffsoffiziers wie an einen Bratspieß anzustecken. Der Degen schien mir gut angewendet, aber die Menge der Vögel kam mir vor wie Vergeudung, und ich machte darüber meine Glosse. Allein die Mutter wies mich zurecht, indem sie bemerkte, daß es nicht darum zu tun sei, ein verschwenderisches Gastmahl zu halten, sondern in Erwartung der abzuholenden Buttertonne die Vögel bereit zu machen, um sie dann halbgebraten und mit Butter übergossen nach meiner eigenen Angabe zum Aufbewahren zweckmäßig zuzurichten.
Es ließ sich dagegen nichts einwenden, und ich verabredete sofort den Marsch nach Zeltheim, der gleich nach dem beschleunigten Mittagessen begonnen werden sollte. Die Mutter beschloß, während meiner Abwesenheit mit den Jungen ein Reinigungsfest zu halten und sowohl Kleider als Leiber einer tüchtigen Wäsche zu unterwerfen; ein Gedanke, der mir so beifallswert schien, daß ich mir vornahm, ihn auch an mir und Ernst auszuführen; denn Ernst sollte wieder allein mich begleiten und Fritz zur Verteidigung abermals zu Hause bleiben.
Sobald wir denn gegessen hatten, machten wir uns zum Abmarsche fertig, und nach gehöriger Bewaffnung erhielt jeder an seinen Hirschfängergurt zum Geschenke von Fritz ein schönes vollendetes Besteck, das nebst Gabel, Messer und Löffel auch ein Handbeil zu tragen erfinderisch eingerichtet war und mir in der Tat nützlich schien. – Wir spannten hierauf sowohl den Esel als die Kuh mit ihren Zugstricken an unsre Schleife, nahmen jeder ein Stück Bambusrohr als Geißel zur Hand, kommandierten den Bill zum Mitgehen, den Türk zum Zurückbleiben, nahmen Abschied und trieben unser saumseliges Zugvieh ganz eifrig vor uns her.
Da wir leicht denken konnten, daß unsre Schleife sich besser über den festen Sand am Ufer als durch hohes und dichtes Gras ziehen lassen würde, so schlugen wir den gewöhnlichen Weg am Strande nach der Brücke des Schakalbachs ein und gelangten bald ohne Abenteuer nach Zeltheim, wo wir unser Vieh sogleich ausspannten und weiden ließen, während wir selbst mit Anstrengung nicht nur die Buttertonne, sondern auch ein Pulverfäßchen, die angestochene Kästonne, verschiedenes Werkzeug, Kugeln und Schrot auf unsere Schleife luden.
Dieses Geschäft fesselte uns dermaßen, daß wir spät erst bemerkten, unser Zugvieh habe sich, lüstern nach dem bessern Futter von jenseits, über die Brücke des Schakalbachs fortgeschlichen und sei ganz aus unserm Gesichtskreise verschwunden. Ich trug Ernst auf, es mit Bills Hilfe zu suchen, indes ich selbst auf der andern Seite von Zeltheim einen Ort zum Baden und zur Wäscherei erkundschaften wollte.
Bald hatte ich das Ende der Rettungsbucht erreicht und fand, daß sie sich mit einem Moraste voll der prächtigsten spanischen Rohre schloß und hinter diesem durch eine Reihe unersteiglicher Felsen, die selbst etwas in das Meer hinausliefen, ganz ummauert und zugemacht war. Hier zeigte sich eine Stelle, die mir zum Baden recht eingerichtet schien. Ich rief nun Ernst mit freudiger Stimme zu, und indes ich seiner Ankunft entgegensah, hieb ich mir zur Kurzweil einige Rohre, von deren nützlichem Gebrauch ich schon vorläufig mir einen lebhaften Begriff machte.
Da sich Ernst noch immer nicht blicken ließ, so ging ich endlich in Unruhe zurück, um ihn aufzusuchen, und siehe, da lag der Junge in Lebensgröße gemächlich auf der Schattenseite unseres Zeltes und schlief wie eine Haselmaus, indes sich unser Vieh unbewacht in der Nähe herumtrieb und nach Bequemlichkeit graste.
»Auf, auf, du Faulpelz!« rief ich den Schläfer jetzt an. – »Warum hütest du nicht die Tiere, daß sie nicht über die Brücke schleichen?«
»Oh, sie lassen es wohl bleiben«, erwiderte er gelassen, »ich habe gleich ein paar Laden aufgehoben; da ist nun eine Lücke, und ich denke, die furchtsamen Burschen springen nicht darüber.«
»Nun, das laß ich mir gefallen!« sagte ich. »Deine Trägheit hat dich erfinderisch gemacht. Aber nun solltest du nicht den kostbaren Tag verschlafen, sondern hübsch etwas Nützliches begonnen und zum Beispiel Salz geholt haben. Untätigkeit, solange man Kraft hat und mitten in den Arbeitsstunden, gehört sich nicht. – Aber weil du da müßig gelegen hast, so magst du nun das Versäumte nachholen und in dieses Säckchen Salz auflesen; doch sauber und reinlich, daß man es wenigstens unsern Tieren unbesorgt vorlegen kann. Wird das Säckchen voll, so leere es in den großen Bastsack des Esels, bis auch dieser gefüllt ist. Inzwischen will ich dort hinter dem Felsvorsprung baden.«
Mit diesen Worten ging ich hin, mich auszuziehen, und um den Jungen nicht gar zu lange zu quälen, fuhr ich hurtig zu und kühlte und wusch mich, so schnell es nur möglich war. – Endlich zog ich mich wieder an und ging nach der Salzstelle, um zu sehen, wie weit es der Knabe wohl gebracht habe. Er hatte auch wirklich den Salzsack fast gefüllt; ich schickte ihn nun baden und fuhr selbst in seiner Arbeit fort. Als auch er sich erfrischt hatte, konnten wir endlich aufpacken, anspannen und den Rückweg antreten doch nicht, ehe wir die aufgehobenen Laden unsrer Brücke wieder zurechtgelegt hatten.
Glücklich, wiewohl etwas spät, kamen wir in Falkenhorst an und fanden den gewohnten frohlockenden Empfang. Mit großen Augen beschauten wir aber den seltsamen Aufzug, in welchem das hinterlassene Volk uns entgegenkam. – Der eine war in ein langes weißes Matrosenhemd gehüllt und schleppte gespenstermäßig den Saum auf dem Boden. Der andere steckte in einem Paar Hosen, die gleich unter der Achsel ihren Anfang nahmen und wie zwei Glocken über zwei Schwengeln weit um die magern Beinchen hingen. Dem dritten war eine Jacke umgeknüpft, die bis an die Knöchel reichte und in der er ordentlich wie ein spazierender Mantelsack aussah. Eine unglaublich komische Gesellschaft.
Nachdem ich sie genugsam belacht hatte, fragte ich die Mutter, was die Ursache von diesem Fastnachtspiel sei.
Da hörte ich denn, daß die kleine Mannschaft eben erst aus der Schwemme gekommen sei, und weil die Mutter während des Badens allen die Kleider gewaschen habe, die länger, als sie geglaubt, nicht trocknen wollten, so habe sich das ungeduldige Völkchen über eine Matrosenkiste gemacht und sich jeder nach seinem edlen Geschmacke ausstaffiert. Der lächerliche Anzug war allen so närrisch vorgekommen, daß sie beschlossen hatten, auch dem Vater und Ernst den Spaß ihrer Maskerade freundschaftlich zu gönnen.
Jetzt aber wurde auch von unsrer Seite Rechenschaft gegeben; und so wie wir in unserm Text vorschritten, wurden Fässer, Rohre und Salz, gleichsam als die Bilder dazu, der Reihe nach umständlich vorgewiesen und je nach Gebühr von den Knaben bestaunt, von uns aber gedeutet und erklärt.
Alle waren lustig und freudig, außer Fritz. Dem sah ich an, daß es ihn einigermaßen ärgerte, nicht mitgewesen zu sein. Er schloß sich schmeichelnd und freundlich an mich an und sagte: »Ja, ihr habt doch viel Neues gefunden; aber nicht wahr, das nächste Mal darf ich auch mit, Väterchen, wenn es wieder einen Auszug gibt? Es ist hier um Falkenhorst auch gar nichts zu holen. Wir haben nichts als ein paar Tauben und Drosseln in unsern Schlingen erwischt, und das macht mir Langeweile.«
»Ja, mein alter Junge«, sagte ich, »das Kurzweiligste ist nicht immer das Beste. Doch weil du deinen Übermut tapfer bekämpft hast, so verspreche ich dir, dich auf meiner nächsten Streiferei mitzunehmen, und sollte es schon morgen nach unserm Wracke sein. Du hast aber, indem du hier als Schildwache für Mutter und Brüder zurückgeblieben bist, auch deine Pflicht getan, und das muß dich mit Befriedigung erfüllen.«
Wir beschlossen diesen Tag einerseits mit den gewöhnlichen Verrichtungen, andrerseits mit einer Salzausteilung an unsre Tiere, denen das ein herrliches Fest war. Das Nachtessen wurde kurz abgemacht, weil alles sich nach Ruhe sehnte, der wir denn auch sämtlich uns bald in die Arme warfen.
Am folgenden Morgen gab ich Fritz den Auftrag, alles für die Reise nach dem Wrack in Bereitschaft zu setzen; Ernst und Jack sollten eine Strecke weit uns begleiten.
Ohne Sorge brach ich denn auf, ließ der Mutter zu einigem Schutze den Bill zurück und ermahnte sie, standhaft zu sein und zu vertrauen, daß wir auch diesmal von dem Wracke glücklich und mit mancherlei guten und nützlichen Dingen versehen ans Land zurückkehren würden.
Von Zeltheim aus aber sandte ich Ernst und Jack mit einer Botschaft zur Mutter zurück. Ich hatte nämlich bei dem Abschied von der Mutter doch nicht den Mut gehabt, ihr eine zweitägige Trennung vorauszusagen, weil sie mich oft gebeten hatte, daß ich dergleichen ja nicht ohne den äußersten Notfall tun solle. Indem ich jetzt die zwei Knaben beauftragte, der Mutter zu sagen, daß sie sich gedulden und uns gestatten möge, auf dem Schiffe zu übernachten, hatte ich einerseits nicht den Vorwurf der Heimtückerei zu fürchten, und andrerseits war ich den Einwendungen und Bitten der gar zu ängstlichen Frau doch glücklich entwischt.
Demnach unterrichtete ich die Knaben, was sie der Mutter zu melden hätten, ermahnte sie, derselben hilfreich und gehorsam zu sein, hieß sie, damit ihr Morgengang doch etwas nütze, Salz auflesen und wies sie an, ein Weilchen vor dem Mittagessen nach Hause zu gehen, damit die Mutter nicht in Angst und Sorgen gerate. Ja, ich veranlaßte Fritz zu diesem Zweck, Ernst seine silberne Taschenuhr zu leihen, damit die zwei Jungen sich nicht verspäteten. Die Hoffnung auf eine goldne, die sich vielleicht an Bord des Schiffs finden dürfte, machte ihn bereitwilliger zu dem Opfer, als es sonst vielleicht der Fall gewesen wäre.
Schnell kamen wir auf dem gewohnten Wege bei unserm Wrack an.
Sobald wir ausgestiegen waren und unser Schifflein festgemacht hatten, war mein erstes, mich nach tüchtigem Baustoff zu einem Floß umzusehen; denn ich wollte den Einfall Ernsts nun zur Ausführung bringen, weil unser »Katamarang« zum Fortbringen einer ansehnlichen Ladung viel zu wenig Raum und nicht die hinreichende Festigkeit hatte. Bald war eine Anzahl von Wassertonnen gefunden, die mir geeignet schienen. Wir leerten sie, schlugen sie wieder zu, stießen sie in das Wasser, reihten sie dort, etwa zwölf an der Zahl, in ein längliches Viereck und nagelten sie mit Klammern, Stricken und Planken recht tüchtig zusammen. Endlich befestigten wir einen haltbaren Boden von Brettern oben darauf und führten zugleich einen fußhohen Rand rings um die Diele herum, so daß wir ein Fahrzeug herausbrachten, das wenigstens imstande war, bequem dreimal soviel davonzuführen als das Kufenschiff.
Indes hatten wir auch mit dieser Arbeit den ganzen Tag zugebracht und uns kaum ein paar Augenblicke gegönnt, um etwas kalte Küche zu speisen, die wir in unsern Schnappsäcken mitführten; denn wir mochten uns nicht einmal Zeit nehmen, uns auf dem Schiffe nach anderweitigen Eßwaren umzusehen. Des Abends also, da wir uns ganz ermüdet fanden und mit erschöpfter Kraft unmöglich an das Land rudern konnten, faßten wir leicht den Entschluß, auf dem Schiffe zu bleiben, und nachdem wir auf den Fall eines Sturmes hin die notwendigen Maßregeln getroffen hatten, legten wir uns in der Kajüte zur Ruhe, wo wir von den elastischen Matratzen, im Gegensatz zu den unbequemen Hängematten, so süß in Schlaf gewiegt wurden, daß unsre Verabredung, wechselweise zu wachen, um auf Wind und Meer zu lauschen, völlig zuschanden ward.
Vergnügt erhoben wir uns am folgenden Morgen von unserm Lager, und mit rascher Tätigkeit gingen wir nun an die zweckmäßige Beladung unsres kunstreichen Floßes.
Erst plünderten wir unsre eigene Kammer, die wir vormals auf dem Schiffe bewohnt hatten, und von da besuchten wir wieder die Kajüte, wo wir selbst die Schlösser der Türen, die Riegel der Fenster samt ihren Beschlägen nicht verschonten. Ein paar reichhaltige Kisten, die Schiffsoffizieren gehört hatten, waren uns ein willkommener Fund. Aber fast noch angenehmer war uns die Kiste des Schiffszimmermanns und des Büchsenschmieds. Ein Koffer des Kapitäns war ganz mit kurzer Ware gefüllt und enthielt zum Teil auch Kostbarkeiten, die uns fast verblendeten. Da lagen goldne und silberne Uhren, Tabaksdosen, Schnallen, Hemdknöpfe, Halsketten, Ringe, und von solchen Herrlichkeiten ein Überfluß, wahrscheinlich zu Geschenken oder zu einem vorteilhaften Handel bestimmt, den der Kapitän etwa treiben wollte. Selbst eine wohlbeschlagene Geldkiste mit Dublonen und Piastern zeigte sich, und beinahe hätten wir uns einfallen lassen, mit ihrer Plünderung den Anfang zu machen. – Doch bald zogen uns wieder andre Gegenstände mit Übermacht an, als zum Beispiel einfache Bestecke, die uns statt der silbernen des Kapitäns künftig dienen konnten, und weiter ein paar Dutzend junge Bäumchen von allerlei europäischen Obstsorten, die man zum Verpflanzen sorgfältig eingepackt hatte. Ich erkannte Birnen, Äpfel, Pomeranzen, Mandeln, Pfirsiche, Aprikosen, Kastanien, Reben, und was uns nur in der lieben Heimat ehemals erquickt haben mochte. – Hierauf entdeckten wir eine Anzahl Eisenstangen und gewaltige Bleimassen; dann ein paar Schleifsteine, Wagen – und Karrenräder, ein ganzes Schmiedwerkzeug, Hacken und Schaufeln, Pflugscharen, Ketten, Eisen- und Kupferdraht, Säcke voll Mais, voll Erbsen, Hafer und Wicken, selbst eine kleine Handmühle und ähnliches mehr, mit einem Worte, einen fast unerschöpflichen Vorrat von Dingen, die zur Anlegung oder zur Erhaltung einer europäischen Ansiedlung in entfernten Weltgegenden vonnöten sind.
Was sollte ich nun von allen diesen Schätzen mitnehmen, und was zurücklassen? – Den ganzen ungeheuren Plunder vermochten wir unmöglich davonzubringen; und gleichwohl lag uns am Herzen, wegen der zunehmenden Baufälligkeit des Wrackes noch so viel als nur irgend anging zu retten.
»Ei«, sagte Fritz, »lassen wir vor allem das trostlose Geld hier, denn was hilft uns der Quark!«
»Ho, ho!« erwiderte ich, »du redest unhöflich von dem allgemeinen Weltgötzen! Es soll mir lieb sein, wenn du ihn nie mit dem Trosse der Menschen anbeten lernst! – Wir wollen auch den Kasten mit der kurzen Ware noch zurücklassen und für diesmal uns zum Gesetz machen, nur das Allernützlichste zu wählen, wozu ich Pulver, Eisen, Blei, Getreide, die Obstbäume und mancherlei Werkzeug rechne. Von diesen Dingen laß uns soviel als möglich mitnehmen, und wenn dann ein übriges Plätzchen ist, so mag auch etwas Unnötiges aus Gnaden mitgehen. Doch soll dir für deine Person erlaubt sein, aus dem Koffer voll Kostbarkeiten, nach meinem Versprechen, eine goldene Uhr zu nehmen.«
Infolge des aufgestellten Gesetzes befrachteten wir unser Floß aufs zweckmäßigste und ließen als nützlich auch ein neues Fischgarn samt der großen Magnetnadel unsres Schiffes mit ihrem Kästchen für diesmal in die Ladung gehen.
Es ging bis in den Nachmittag, ehe wir mit unsrer Ladung fertig waren, und wir hatten nicht nur das Floß, sondern selbst unser Schifflein mit Gerätschaften voll beladen.
Jetzt endlich, da wir abstoßen wollten, ward das Floß an einer von seinen vier Ecken durch einen festgenagelten Strick mit unserm Kufenschiff in Verbindung gesetzt, und so bugsierten wir es, nicht ohne Besorgnis eines Unfalls, im Schweiße unsres Angesichts langsam gegen die Küste.
Der Wind war so gütig, unsre Arbeit zu erleichtern, und blies lustig in unser Segel, das Meer war still, und wir rückten bald um ein Beträchtliches vorwärts, ohne daß uns das Mindeste begegnet wäre.
Nach einem geringen Vorwurfe der Mutter, daß wir sie abermals mit den Kleinen eine Nacht allein gelassen hatten, ward erzählt, welche Schätze wir noch vorgefunden hatten.
Ich bat die Mutter, mit ein paar von den Jungen unsre Schleife samt dem Zugvieh von Falkenhorst herbeizuschaffen, damit wir wenigstens einen Teil unsrer Ladung sogleich in Sicherheit brächten. Inzwischen, da die Ebbe noch zunahm und unsre Fahrzeuge bald ganz auf dem Grunde und beinahe schon trocken saßen, benutzte ich den Augenblick, um, in Ermanglung eines Ankers, sie sonst nach Möglichkeit festzumachen. Ich wälzte zu dem Zwecke zwei herbeigeführte mächtige Bleiklumpen vermittelst Hebeisen von dem Floße herunter und gegen die Küste; worauf ich denn durch Seile das Floß und das Schifflein mit diesen Massen in Verbindung setzte, daß sie uns nicht mehr leicht entführt werden konnten.
Als die Schleife während dieser Arbeit herbeikam, beluden wir sie tüchtig und nahmen vor allem Matratzen und Baumstämmchen darauf.
Um sie zu Hause wieder abladen zu können, waren wir genötigt, ihr sämtlich das Geleit zu geben; und so marschierten wir denn in fröhlichem Zuge nach Falkenhorst. Unterwegs fragten mich die Kleinen eifrigst, ob sich denn die Geldkiste und der Koffer mit der köstlichen kurzen Ware nicht an Bord unsres Floßes befinde – denn Fritz hatte schon ein Wörtchen davon geplaudert, und nun wollte jeder etwas Schönes daraus geschenkt bekommen.
»Übrigens, denke nur«, erzählte die Mutter unterwegs, »Fränzchen hat etwas Neues gefunden. Er hat mit einem Stöckchen einem Bienenschwarm in einem hohlen Baum nachgestöbert. Natürlich wurden die Bienen unruhig und haben den Jungen erbärmlich zerstochen, und so hat er eine Entdeckung, die uns vielleicht künftighin nützen kann, einstweilen mit Schmerzen bezahlt.«
»Wenn wir zu Hause angelangt sind«, nahm jetzt Ernst das Wort, »so will ich die Wurzeln zeigen, die ich heute gefunden habe; sie sind schon ziemlich welk geworden. Ich weiß nicht, ist es eine Art von Rüben oder von Rettich; die Pflanze sah mehr wie ein Strauch als wie Kraut aus, und ich durfte nicht wagen, von der Wurzel zu kosten, obschon ich sah, daß unser Schwein recht wacker davon fraß.«
»Das hast du gut gemacht, mein Junge«, bemerkte ich. »Denn manches schadet dem Schweine nicht, was dem Menschen mehr oder weniger Gift ist. – Laß aber deine Wurzeln einmal sehen. – Wie bist du dazu gekommen?«
»Ich strich ein bißchen herum«, antwortete er, »und traf unvermutet das Schwein an, das einen kleinen Busch eifrig unterwühlte und begierig etwas verschlang, das es aus dem Boden gescharrt hatte. Da trieb ich es weg und fand dies Bündel großer Wurzeln.«
»Wenn meine Vermutung richtig ist«, bemerkte ich, »so hast du einen herrlichen Fund getan, der uns samt den Kartoffeln, solange wir hier sind, vor Hungersnot auf immer beschützen wird; denn ich glaube, deine Wurzeln könnten wohl Maniok sein, aus dem man in Westindien eine Gattung Brot oder Kuchen macht, die man Kassave nennt. Wenn du dir die Stelle der Pflanze wohl gemerkt hast und wir noch mehrere finden, so wollen wir die Zubereitung zu Brot wenigstens versuchen; ich glaube, daß sie mir so ziemlich gelingen wird.«
Über diesem Gespräche hatten wir unsre Schleife von ihrer Ladung vollständig befreit, und gleich brach ich mit den Knaben auf, um noch vor Einbruch der Nacht eine zweite herbeizuholen. Die Mutter blieb indes mit Fränzchen zurück, um uns ein erquickendes Mahl zu bereiten.
Als wir bei dem Floße wieder angekommen waren, luden wir auf die Schleife, so viel sie nur tragen konnte, zuerst ein paar von unsern Kisten, die wir auf dem Schiffe gehabt hatten, dann vier Wagenräder und die Handmühle, die mir bei der wahrscheinlichen Entdeckung von Maniok jetzt von doppelter Wichtigkeit schien, und zuletzt noch allerlei Kleinigkeiten, was irgend nur Platz fand. All der Reichtum hatte eine ganz fröhliche, ja fast ausgelassene Stimmung erzeugt, und ich benutzte sie, um für diese Nacht noch ein paar Matratzen auf unser Baumschloß zu schaffen, und es gelang mir, vermittelst des Flaschenzugs alle nacheinander in unsre Wohnung hinaufzubringen, wo wir bald einem sanften und erquickenden Schlaf in die Arme sanken.
Fast noch vor Tagesanbruch erhob ich mich, um an den Strand zu eilen und nach unsern zwei Fahrzeugen zu sehen. Die Meinigen erwachten nicht, und gern gönnte ich ihnen den Schlaf, der sich bei Kindern billig länger als bei Erwachsenen ausdehnen darf.
Mit so wenig Geräusch als möglich schlich ich die Leiter hinab und fand drunten schon Leben und Munterkeit. Die beiden Doggen umhüpften mich mit Freudensprüngen und merkten, daß ich ausziehen wolle; der Hahn schlug krähend mit den Flügeln, und ein paar Ziegen meckerten mir freundlich entgegen. Aber der Esel, um den es mir am meisten zu tun war, nickte noch behaglich in Morgenträumen mit seinem gedankenreichen Haupt und schien keine große Lust zu dem Spaziergange zu haben, den ich ihm zugedacht hatte.
Ich rief ihn also wach, spannte ihn vor die Schleife, ließ die Kuh, weil sie noch nicht gemolken war, zurück, kommandierte die Hunde mitzugehen und trabte nun zwischen Furcht und Hoffnung nach dem Ufer zu. – Dort sah ich denn zu meinem Troste sowohl Floß als Tonnenschiff noch glücklich an ihrer Stelle, und obgleich ich bemerkte, daß die Flut sie beide während der Nacht gehoben hatte, so waren doch die Bleimassen und Eisenstangen, an die wir sie vor Anker gelegt hatten, imstande gewesen, sie festzuhalten. Ohne Säumen bestieg ich nun das Floß und suchte mir eine Ladung für den ehrlichen Grauschimmel zusammen, den ich für diesmal doch gnädig behandelte, um desto schneller wieder in Falkenhorst zu sein. Auch jagte ich mich und ihn in Schweiß, um noch vor dem Frühstück bei den Meinigen anzulangen, und war über die Maßen verwundert, als ich an das Baumschloß kam, daß sich noch keine Seele von dem ganzen Hausvolk weder sehen noch hören ließ, obgleich die Sonne schon seit mehr als einer Stunde am Himmel stand.
Da machte ich denn ein Gepolter und Gelärm, als wenn es Krieg geben sollte. Auch ward meine Frau schnell munter, sprang von ihrem Lager auf und verwunderte sich nicht wenig, daß es schon so hoch am Tage sei.
»Wahrhaftig«, sagte sie, »das ist die Zauberkraft der Matratzen, die mich heute so fest in den Schlaf gewiegt hat und gar nicht erwachen ließ. Wie es scheint, hält die gleiche Kraft auch unsre armen Jungen noch schwer gefangen.«
In der Tat konnten sich diese den Schlaf fast nicht aus den Augen reiben; sie gähnten, sie streckten sich aus und schliefen alsbald wieder ein.
»Auf, auf!« rief ich noch einmal mit lauter Stimme. »Ihr greulichen Faulpelze! Tüchtige Jungen müssen auf den ersten Ruf aus den Betten sausen.«
Fritz war der erste, der sich jetzt ermannte, und Ernst natürlich der letzte, der von seinem Lager kroch.
Nach verrichteter Andacht und genossenem Frühstück eilten wir an den Strand, um das Floß vollends abzuladen, damit es bei der Mittagsflut wieder in Bereitschaft sei, um vom Land zu stoßen.
Ziemlich bald führten wir nun zwei Ladungen nach Hause. Bei der letzten Heimfahrt begann schon die Flut unsre Fahrzeuge zu erreichen, und ich verabschiedete deswegen die andern, um mit Fritz in unserm Tonnenschiffchen vollends abzuwarten, bis wir flott geworden wären. Doch da ich bemerkte, daß Jack immer um unser Fahrzeug herumschlich, so erlaubte ich endlich auch ihm, zu uns zu steigen.
Bald hob uns die Flut empor, daß wir rudern konnten, und statt bloß nach der Rettungsbucht zu fahren, um dort unsre Fahrzeuge in Sicherheit zu bringen, ließ ich mich von der schönen Witterung verführen, wieder nach dem Wracke zu schiffen. Nur mit großer Arbeit jedoch gelang es uns, trotz der Flut und einem frischen Seewind, in die Strömung zu kommen, die zu unserm Ziel führen mußte. Als wir hier aber anlangten, war es zu spät, etwas Wichtiges anzufangen, und ich nahm mir vor, in der Eile bloß aufzupacken, was sich zunächst etwa darbieten möchte. Wir durchliefen demnach das Schiff, um allerlei Kleinigkeiten aufzutreiben, die sich mit leichter Mühe fortbringen ließen. Jack kam bald unter fürchterlichem Gerassel mit einem Schubkarren angezogen und hatte ganz besondere Freude, daß er etwas gefunden habe, um künftig die ausgegrabenen Kartoffeln in ansehnlicher Menge nach Falkenhorst schaffen zu können. Fritz aber brachte mir die frohe Botschaft, daß er in einem eigenen Verschlag des Schiffes eine auseinandergelegte Pinasse Ein kleines Schiff samt allem Zubehör, und selbst ein paar kleine Kanonen zu ihrer Bewaffnung vorgefunden habe.
Ich freute mich so darüber, daß ich alles fahren und liegen ließ, um nach dem Verschlage zu laufen, wo ich zwar fand, daß der Junge sich nicht geirrt habe, aber daß uns auch ein mächtiges Stück Arbeit bevorstehe, wenn wir das Ding zusammenfügen und in See bringen wollten.
Für diesmal also ließ ich die Sache dahingestellt und raffte dafür einigen Hausrat und sonst zusammen, was ich glaubte, nächstens benutzen zu können, wie zum Beispiel einen großen kupfernen Kessel, ein paar eiserne Platten, verschiedene neue Tabaksrappen, Raffeln, Reibeisen, mit denen Tabak zu Schnupftabak gerieben wurde. zwei Schleifsteine, ein Pulvertönnchen und endlich ein Fäßchen mit Flintensteinen, die mir äußerst willkommen waren. Es versteht sich, daß auch Jacks Schubkarren nicht vergessen wurde, indem ich sogar ein paar andre und zugleich einige Tragriemen mitgehen ließ, die sich vorfanden. Alles dieses wurde hurtig aufgepackt, und kaum ließen wir uns Zeit, auch etwas zu essen, als wir schon wieder absegelten, um nicht vom Landwind überrascht zu werden, der sich jeden Abend zu erheben pflegte.
Einmal am Ufer, begannen wir sofort, unsre mitgebrachten Waren ans Land zu schaffen; aber die sinkende Sonne ließ uns nicht hoffen, damit fertig zu werden; und so füllte sich jeder von uns nur einen Schubkarren, um wenigstens etwas von unsrem Raube nach Hause zu bringen, wobei weder die Tabaksrappen noch die Eisenplatten vergessen wurden.
Als wir Falkenhorst näher kamen, hatte ich große Freude zu hören, wie unsre wachsamen Leibtrabanten mit weithinschallendem Gebell uns angaben. Sobald sie aber entdeckten, wer die nahenden Fremdlinge seien, waren sie auch die ersten, die uns zu freundschaftlichem Empfang entgegeneilten. Der Ausdruck ihres Entzückens war so lebhaft, daß sie das kleine Männchen, das mit seinem Schubkarren ohnehin das Gleichgewicht kaum zu halten vermochte, vollends auf die Nase warfen. Da vergalt denn das Bürschchen die empfangene Höflichkeit mit Faustschlägen und gab sowohl uns als der Mutter, die mit Ernst und Fränzchen ebenfalls herbeikam, nicht wenig zu lachen. Mit unsern Schubkarren und ihrer Fracht war man übrigens, wie billig, von Herzen zufrieden, nur daß man über die Tabaksrappen und die Eisenplatten ein bißchen die Achseln zog, während ich über das Achselzucken wieder heimlich lachte.
Hierauf zeigte mir die Mutter einen schönen Vorrat von Kartoffeln, den sie während meiner Abwesenheit eingesammelt hatte, und auch eine Menge von den Wurzeln, die ich für Maniok hielt, so daß ich ihren Fleiß und ihre Vorsorge höchlich zu loben fand.
»Ja, Vater!« rief jetzt Fränzchen aus, »was wirst du erst sagen, wenn wir bald auch Mais und Melonen, Hafer und Kürbisse bekommen? Die Mutter hat jedesmal davon gesteckt oder gesät, wenn wir eine Kartoffelstaude ausgezogen haben.«
»O du Plappermaul!« rief die Mutter. »Warum hast du mich verraten? Du hast mir eine große Freude verdorben; denn ich wollte den Vater einst mit meiner Pflanzung überraschen, wenn alles schon aufkeimen würde.«
»Das tut mir leid für dich, mein liebes Mütterchen!« sagte ich. »Aber auch jetzt ist meine Freude über den Einfall groß. Sage mir nur, woher du das Gesäme und die Kerne nahmst, und was dir zu dem guten Gedanken verhalf?«
»Oh! Samen und Kerne hatte ich natürlich in meinem Zaubersack«, erwiderte sie, »und den Gedanken gab mir eure Plünderungssucht und das ewige Streichen nach dem Wracke. Denn ich dachte, bis ihr dort aufgeräumt hättet, würdet ihr euch kaum die Mühe geben, einen Garten oder Acker zu bestellen, und so verlören wir die gute Zeit dafür. Deswegen säte ich jedesmal, wenn wir zur Gewinnung von Erdäpfeln den Boden aufbrachen, etwas von unserm Gesäme und ließ auch die kleinen Erdäpfel zurück, damit wir zu seiner Zeit, wenn alles groß geworden sein würde, eine trostvolle Ernte bekämen.«
»Das ist vortrefflich ausgesonnen, meine liebe Frau! Aber doch hat unsre Plünderungssucht gewiß auch ihr Gutes, denn so hat sie uns heute eine Pinasse entdecken lassen, die sich noch unzusammengefügt auf dem Wracke befindet und uns vielleicht künftig wesentliche Dienste leisten kann.«
»Ach, das macht mir wenig Freude«, entgegnete die Mutter; »denn ich möchte lieber nie wieder auf das Meer. Aber, wenn es einmal sein muß, so ist es freilich dann besser, sich einem tüchtigen Fahrzeug anzuvertrauen als einem schlechten und gebrechlichen wie unserm Tonnenschiff. Aber sage mir, was sollen uns die Tabaksrappen nützen, die du da hergeschleppt hast? Ich hoffe doch, du denkst nicht daran, unsre Nasen zu füttern, bis wir mit dem Futter für den Mund in Sicherheit sind.«
»Sei unbesorgt, liebe Mutter!« sagte ich, »es kommt mir gar nicht in den Sinn, die unreinliche und lächerliche Gewohnheit des Tabakschnupfens hier einzuführen, aber die Tabaksrappen sind bestimmt, uns bald das erste frische Brot zu verschaffen, das wir an dieser Küste werden genießen können. Und so magst du die Dinger mit Ehrfurcht ins Auge fassen, denn sie werden uns unentbehrlich sein.«
»Nun«, versetzte sie, »was Tabaksrappen mit frischem Brot zu tun haben, das kann ich nicht einsehen. Und zudem, wo ist ein Backofen, der uns hier noch viel unentbehrlicher ist?«
»Diesen sollen mir die eisernen Platten ersetzen, die du so ziemlich scheel angesehen hast«, bemerkte ich. »Aber freilich werden wir nicht rundes, schön aufgelaufenes Brot bekommen, sondern flache Kuchen, die uns jedoch nicht weniger gut schmecken sollen. Wir können sogleich mit Ernsts Wurzeln einen Versuch machen. Die Sonne ist noch nicht untergegangen, und vielleicht werde ich euch noch vor dem Schlafengehen mit neuem Backwerk erfreuen können. – Aber vor allem mußt du mir noch ein starkes Säcklein von Segeltuch nähen.«
Die Mutter tat sogleich, was ich sie hieß; aber voll Zweifel über meine Bäckerkunst setzte sie zugleich ein tüchtiges Gericht Erdäpfel in dem mitgebrachten Kupferkessel ans Feuer, damit wir auf jeden Fall etwas Genießbares zu essen bekämen, wenn mein Versuch mißlingen sollte. Inzwischen breitete ich ein großes Segeltuch auf die Erde und sammelte die junge Mannschaft, um mit ihrer Hilfe das Brotmachen ohne Säumnis zu unternehmen. Jeder erhielt eine eigene Tabaksrappe und ein Häufchen Maniok, der von der Mutter reinlich gewaschen worden war. Auf mein Kommando fing nun jeder an, seine Wurzeln tüchtig zu reiben, und so sammelten sich auf dem untergelegten Tuche eine Art von feuchten Sägespänen, die freilich noch kein leckeres Ansehen hatten. Doch war die Arbeit den jungen Bürschchen angenehm, und sie hatten großen Spaß dabei.
Endlich rief Ernst mit Lachen: »Ja, das wird ein vortreffliches Kleieessen geben, wenn man aus einem solchen Geraspel Brot machen muß!« Und Jack setzte hinzu: »Das ist doch das erstemal, daß ich höre, man könne aus Rüben Brot machen! Jedenfalls riecht's nicht sehr einladend.«
»Was doch die Herren nicht alles an der edlen Pflanze auszusetzen wissen!« rief ich ihnen zu. »Der Maniok, den wir da vor uns haben, gibt ein ganz vortreffliches Brot, das in Amerika eine Hauptnahrung vieler Eingeborener ist und, wie man sagt, von den dortigen Europäern nicht selten selbst unserm Getreidebrot vorgezogen wird. Der Maniok ist übrigens eine Pflanze, von der es mehrere Arten gibt. Die eine wächst sehr schnell, und ihre Wurzeln sind in kurzem reif; eine andre ist etwas später und eine dritte soll erst im zweiten Jahre ausgewachsene Wurzeln haben. Die zwei ersten Gattungen sind giftig, wenn sie roh genossen werden; die dritte aber soll auch roh ganz unschädlich sein. Indes werden die zwei andern ihr vorgezogen, weil sie fruchtbarer sind und sehr viel schneller zur Reife gelangen.«
»Ei! wie dumm ist das doch, eben die giftigen auszulesen!« bemerkte Jack, »da bedank' ich mich für das giftige Brot! Denn, wie können wir wissen, daß unsre Wurzeln hier gerade von der unschädlichen Gattung sind?«
»Es ist mir zum mindesten wahrscheinlich«, sagte ich, »weil diese letzte Art, wenn ich mich recht erinnere, besonders strauchartig und also der unsrigen ähnlich ist, während die beiden andern mehr rankenartig sein sollen. Indes wollen wir, um ganz sicher zu gehen, unser Geraspel noch auspressen.«
»Warum denn auspressen, Vater?« fragte Ernst.
»Weil bei den giftigen Arten«, antwortete ich, »nur der Saft der Wurzel schädlich, das trockene Mark aber gesund und äußerst nahrhaft ist. – Doch wollen wir zu aller Vorsicht mit unsern Kuchen, ehe wir sie selbst kosten, einen Versuch an unsern Hühnern und an dem Affen anstellen. Schaden sie diesen nicht, so werden sie auch uns nicht schaden.«
Jedermann war mit diesem Vorschlage zufrieden und arbeitete wieder emsig fort; denn der Schrecken vor dem Gifte hatte zuvor einen Augenblick ihre Hände gleichsam gelähmt. Bald war unser ganzer Vorrat von Maniok geraspelt, und ein beträchtlicher Haufe sonderbaren Geschabes lag vor uns auf dem Segeltuch. Da die Mutter inzwischen den erbetenen Sack genäht hatte, so wurde dieser jetzt gleich mit den zerriebenen Wurzeln angefüllt, tüchtig gestopft und kräftig zugebunden, so daß allerorten der Saft zwischen den Fäden hervordrang. Aber freilich war es damit noch nicht genug, und es mußte für eine Art von Presse gesorgt werden, wozu ich sogleich die nötigen Anstalten traf.
Es wurde nämlich ein langer, gerader, tüchtiger Baumast abgeschnitten, gereinigt und zweckmäßig zugerüstet. Hernach wurde hart an einer niedrigen Wurzel unsres Wohnbaumes ein Lager von Brettern bereitet, auf dieses der Sack gelegt, auf den Sack wiederum Bretter und quer über diese der lange Baumast, der an seinem hintern Teil unter eine feste Wurzel griff und an dem vordem, weit herausstehenden Ende mit Gewicht beschwert werden konnte. Hier nun wurden verschiedene Bleimassen, Ambosse und Eisenstangen angehängt und aufgebunden, bis der Sack mit ungemeiner Kraft zusammengepreßt ward, daß der Manioksaft allenthalben hervorquoll und auf die Erde lief.
»Das ist wirklich riesig bequem und sehr einfach!« bemerkte Fritz.
»Aber sage mir jetzt«, fragte die Mutter weiter, »muß der ausgepreßte Maniok nicht mit einem Male verbacken werden? Wenn das ist, so werden wir morgen den ganzen Tag nichts tun können als backen.«
»Keineswegs!« antwortete ich. »Wenn das Mehl recht getrocknet ist, so kann man es in Tonnen schlagen, und dann hält es sich jahrelang gut. Allein es geht beim Backen so viel darauf, daß du ohnehin nicht wegen Überfluß zu sorgen brauchst. Es schmilzt von der Wärme gleichsam ineinander, so daß eine ziemliche Menge doch nur einen sehr dünnen Kuchen gibt.«
»Vater«, sagte Fritz, »meinst du nicht auch, daß wir jetzt geschwind einen ausbacken sollten? Es dringt kein Tröpfchen Saft mehr aus unserm Sacke, und was herausgeflossen ist, hat sich ganz verlaufen.«
»Ich will es wohl zugeben«, erwiderte ich, »aber doch wird es für uns Menschen klug sein, wenn wir unsere Naschlust bis morgen bezwingen und für heute nur einen Probekuchen für die Hühner und den Affen machen. Dann wollen wir sehen, wie ihnen unser Machwerk bekommt, und ob es ratsam sei, auch für uns die Bäckerei in Gang zu setzen.«
Der Sack wurde sofort geöffnet, ein paar Fäuste voll von dem trocknen Mehl herausgenommen und der Rest mit einem Stocke recht umgerührt und aufgelockert, um von neuem unter die Presse zu kommen. Hierauf ward eine von unsern runden, etwas gewölbten eisernen Platten über ein paar Steinen erhöht auf Glut gestellt und, sobald sie erwärmt war, ein Teil von dem Mehl mit einem hölzernen Spaten darauf hingebreitet, flachgeschlagen und stehengelassen, bis der Kuchen von unten gelb geworden war; dann wurde er gewendet und auf der andern Seite ebenfalls gar gebacken.
»Ach, das riecht vortrefflich«, bemerkte Ernst. »Wie schade, daß wir nicht auch sogleich von diesem frischen Brote essen dürfen!«
»Ei, ich wenigstens und Fränzchen, wir wollten es schon versuchen!« meinte Jack.
»Das glaube ich, ihr beide seid immer die unbesonnensten!« schalt ich ihn. »Ich vermute freilich, daß es euch gar nicht schaden würde, aber immerhin ist es rätlicher, noch bis morgen zu warten. Auch wollen wir nicht alle unsre Hühner zugleich daran wagen, sondern höchstens zwei, und dann den Meister Knips, den Eierdieb; der kann uns hier einen wesentlichen Dienst tun.«
Alsbald war der Kuchen, nachdem er ein wenig kühl geworden war, den bestimmten Kredenzern vorgebröckelt; und nicht ohne Mißgunst der eßlustigen Knaben verschlangen ihn diese aufs begierigste.
Am folgenden Morgen eilten wir sogleich zu unsern Hennen und dem Affen, um zu sehen, wie der Maniokkuchen ihnen bekommen sei; und da wir sie allerseits munter fanden, so schickten wir uns sämtlich zu der großen Bäckerei mit gewaltigem Eifer an.
Das Maniokmehl wurde aus der Presse genommen und ein mächtiges Feuer angezündet, um recht viel glühende Kohlen zu erhalten. Doch wurde zugleich wieder ein Kessel mit Kartoffeln aufgestellt, damit die Glut nicht umsonst verlodere. Sobald sich aber genug Kohlen zeigten, wurde jedem von den Jungen sein eigener Herd angelegt, jedem eine eiserne Platte darübergestellt und jedem endlich sein Teil Maniokmehl in einer Kokosschale zugemessen, damit sich ein jeder sein Brot hübsch selber bereite und wir schneller vorankämen.
Alle waren in einem Halbkreis um mich her aufgestellt, damit sie meinen Handgriffen zusehen und sie nachahmen könnten. Es gelang uns auch insgesamt die Verrichtung gar nicht übel, obwohl so hin und wieder ein Stückchen verbrannten oder halbverbrannten Kuchens mit unterlief. Aber das war unsre geringste Sorge, denn die Hühner und Tauben und Hunde um uns her nahmen allemal von Herzen gern damit vorlieb. Selbst von seiten der Knaben wurde noch während der Arbeit gar häufig gekostet und genascht und an den Fingern geleckt, so daß wir ein gutes Weilchen zu keinem nur irgend bedeutenden Vorrat gelangten. Außerdem verfuhren ein paar von den Jungen mit einer so beispiellosen Reinlichkeit, daß jedem seine Macherei zur selbsteigenen Verspeisung überlassen werden mußte. Eine große Schüssel voll Milch setzte dieses Geschäft sogleich in Gang, und wir frühstückten nach der Bemerkung des einen wie Drescher, nach der des andern wie Könige. Aber jetzt fuhr ein unwiderstehlicher Drang in mich, von neuem, und zwar mit Heeresmacht, nach dem Wracke zu fahren, um durch unsre Gesamtkraft womöglich die Pinasse zu erobern, die wir gestern entdeckt hatten. Indes war die gute Mutter auf keine Weise zu bereden, sich auf das ungetreue Meer zu wagen, und mit Mühe nur konnte ich ihr alle Knaben bis auf den jüngsten zu der beabsichtigten Fahrt abschwatzen. Auf jeden Fall mußte ich mein Wort geben, des Abends wieder ans Land zu kommen und überhaupt keine Nacht mehr auf dem Wracke zuzubringen. Ich ging zwar nur ungern darauf ein, aber endlich versprach ich es; und so wurden wir nicht unwillig, obschon mit Seufzen und schwerem Herzen von ihr entlassen.
Die Jungen waren wie gewöhnlich, wenn etwas Neues losgehen sollte, lustig und guter Dinge. Ernst besonders lächelte ganz zufrieden, daß er wieder einmal mitgehen durfte. Wir waren insgesamt bewaffnet und teils mit Kassave, teils mit Kartoffeln zum Mundvorrat trefflich ausgestattet. Unser Weg ging nach der Rettungsbucht, wo wir ohne Abenteuer ankamen, vorsichtig unsre Korkwesten umschnallten, die dortigen Gänse und Enten ein wenig fütterten, in das Tonnenschiff sprangen und, indem wir das Floß ins Schlepptau nahmen, getrost unsre Fahrt antraten.
Sogleich nach der Ankunft bei dem Wracke wurden die Fahrzeuge etwas befrachtet, damit wir auf jeden Fall des Abends nicht ohne Beute heimkehrten. Danach wurde die Pinasse abermals in Augenschein genommen. Zwei Punkte schienen mir eine unüberwindliche Schwierigkeit zu bieten: einmal der Platz, wo sie lag, und dann ihre beträchtliche, sehr ins Gewicht fallende Größe. Der Verschlag war hinten im Bauche des Schiffes unter der Offizierskajüte, auf der äußern Seite gegen das Meer, und verschiedene Zwischenwände trennten ihn ganz von unserm gewohnten Ankerplatz in der Mitte des Wracks. Auch war nicht zur Hälfte genug Raum vorhanden, um das Fahrzeug gleich auf der Stelle zusammenzusetzen und dann, so wie unser Tonnenschiff, vom Stapel zu lassen. Endlich waren auf der andern Seite doch die einzelnen Stücke viel zu schwer, um sie mit unsern beschränkten Hilfsmitteln und Kräften an einen bequemen Platz zu schaffen.
Ich setzte mich hin, um ungestört nachzudenken, wie ich die Sache angreifen müsse; unterdessen durchstöberten die Knaben das Wrack von oben bis unten und schleppten alles auf das Floß, was sie nur davontragen konnten.
In den Verschlag mit der Pinasse fiel durch ein paar Spalten der Seitenwand Licht und erhellte denselben hinlänglich, daß ich mich darin umsehen konnte. Da bemerkte ich mit Vergnügen, wie alle Stücke dieses Fahrzeuges dermaßen verständig hingelegt und obendrein so genau mit Nummern bezeichnet waren, daß ich ohne besondere Kühnheit mich getrauen durfte, sie zusammenzusetzen, wenn ich nur die gehörige Zeit daran wagen wollte, mir in dem Schiffe mehr Raum zu brechen. Da ward mein Entschluß gefaßt, und die Arbeit nahm ohne Verzögerung ihren Anfang. Aber freilich ging sie mit einer Langsamkeit vonstatten, die uns den Mut vielleicht ganz genommen haben würde, wenn nicht der Wunsch nach einem tüchtigen, äußerst lenkbaren und sichern Fahrzeuge, das zu tausend Bequemlichkeiten und einst sogar zu unserer Rettung dienen könnte, jeden Augenblick uns zur Beharrlichkeit und zu erneuter Anstrengung aufgefordert hätte.
Der Abend brach herein, ohne daß wir irgend bedeutende Fortschritte gemacht hatten, und wir mußten ohne weiteres an unsere Heimkehr denken. Erst der nächste Morgen fand uns wieder bei unserer Arbeit.
So durchlebten wir mehr als eine Woche, bis die Pinasse ganz zusammengesetzt war. Früh am Morgen fuhren wir regelmäßig ab, und des Abends kehrten wir schwerbeladen wieder heim.
Endlich stand die Pinasse doch fertig und fahrgerecht, und es kam allein noch darauf an, sie in Freiheit zu setzen, weil sie zwischen den Schiffswänden uns blutwenig nützen konnte. Wunderhübsch sah sie aus, stattlich und anmutig zugleich. Sie hatte hinten ein kleines Verdeck und war für Mast und Segel eingerichtet wie eine Brigantine; auch versprach sie, ein guter Segler zu sein, weil sie eine leichte Bauart hatte und nicht tief im Wasser zu gehen schien. Übrigens hatten wir alle Fugen sorgfältig mit Werg verstopft und dann kalfatert, das heißt mit Pech oder Schiffsteer überzogen, damit auch von dieser Seite alles in Ordnung sei. Ja selbst das Überflüssige war getan, indem wir zwei kleine Kanonen von pfundigen Kugeln auf das Hinterdeck gestellt und dort mit den nötigen Ketten auf die gewöhnliche Weise festgemacht hatten.
Aber mit alledem saß das hübsche Ding noch unbeweglich in seinem Verschlag auf dem Trocknen und sehnte sich umsonst, in See zu stechen und vollends mit Segel und Mast seine Ausrüstung zu erhalten. Der gehörigen Durchbrechung der Seitenwand des Wrackes drohten die größten und langwierigsten Schwierigkeiten. Da ließ mich in Ermanglung eines vernünftigen Auswegs die Ungeduld einen gewagten und kühnen Entschluß fassen.
Ich fand nämlich einen starken eisernen Mörser, wie sie in den Küchen gebraucht werden und wie ich ihn zu meinem Vorhaben für dienlich hielt. Hierauf bereitete ich mir ein dickes eichenes Brett, an das ich eiserne Haken befestigte. Ferner machte ich vermittelst eines Hohlmeißels in dieses Brett eine Rinne, und so war meine erste Zurüstung fertig. Hierauf mußten mir die Knaben Lunte herbeischaffen, und ich schnitt ein langes Stück davon, daß ich vermuten konnte, es würde zwei Stunden lang zu brennen haben. Dieses Stück ward in die Rinne eingepaßt, der Mörser mit Pulver geladen, das Brett mit der Lunte auf seine Mündung gelegt, die Haken mit den Handhaben des Mörsers fest zusammengeknüpft und da, wo der Mörser auf dem Brette lag, alle Fugen aufs genaueste verpicht und verteert. Endlich wurde kreuz und quer mit übergespannten und geknebelten Ketten alles noch fester gemacht, und so erhielt ich eine Petarde oder einen Portensprenger, von dem ich mir die beste Wirkung versprechen durfte. Sogleich hängte ich das furchtbare Werkzeug in dem Verschlage, wo unsere Pinasse stand, an die Wand des Wracks, und zwar mit möglichster Sorgfalt so, daß der Rückschlag des Mörsers mein Fahrzeug vermutlich nicht treffen, sondern weit über dasselbe wegfliegen mußte, wenn wenigstens einigermaßen Glück dabei war.
Jetzt steckte ich die Lunte an, die vermittelst der Rinne bis mitten unter den Mörser lief, und bestieg dann kaltblütig das bereitliegende Tonnenschiff. Die Knaben hatte ich bei dem Anzünden der Lunte schon vorausgeschickt. Dann ruderten wir mit dem beladenen Floße nach Zeltheim, und während wir die Last ans Ufer schafften, warteten wir ruhig die Explosion ab. Von der See her ertönte auch bald ein heftiger Knall; wir sahen uns kaum an, sprangen mit Hast in unser Schiff, und schneller als je kamen wir aus der Bucht, denn die Neugier der Knaben beschleunigte den Ruderschlag; und als wir den freien Blick gegen das Wrack gewannen, bemerkte ich mit Vergnügen, daß es unverändert die alte Gestalt darbot und daß auch kein verdächtiger Rauch davon aufstieg, der mich hätte beängstigen können. Leichtern Herzens also fuhr ich weiter, und statt wie gewöhnlich von der Landseite gleich in den Bauch des Schiffes zu fahren, umsteuerte ich jetzt das Vorderteil desselben, um auf die entgegengesetzte Seite zu kommen, weil dort meine Petarde angebracht gewesen war. Ich erblickte denn auch bald eine greuliche Zerstörung, indem der größte Teil der Schiffswand zerschmettert war, die Trümmer unzählbar im Wasser schwammen, alles durcheinanderlag und der Verschlag, wo die Pinasse stand, vollkommen aufgerissen mir entgegengähnte. Da mir aber die Pinasse unverletzt und nur ein wenig auf die Seite gesenkt schien, so erhob ich ein tönendes Freudengeschrei, das die Knaben nicht wenig überraschte; denn die schauderhafte Verwüstung rings um uns her hatte sie ganz mit Wehmut erfüllt.
»Nun ist sie gewonnen«, rief ich aus, »nun ist sie unser, die herrliche Pinasse! Leicht ist es jetzt, sie in See zu bringen! Laßt uns hinauf und sehen, ob sie von dem Mauerbrecher nicht Schaden gelitten hat!«
Wir stiegen jetzt durch die Lücke hinein, und auf den ersten Blick sah ich, daß die Pinasse unversehrt war und daß nirgends eine Spur von Glut oder Flammen zu erblicken sei. Der zurückgeprallte Mörser aber und Stücke von der zersprengten Kette staken tief in der entgegengesetzten Wand und hatten zum Teil auch diese zerschmettert.
Hierauf besichtigte ich die Lage der Sachen etwas genauer und sah, daß ich die Pinasse leicht würde durch Winden und Hebeisen über Bord in das Wasser befördern können; zumal, da ich von Anfang an schon die Vorsicht gehabt hatte, ihren Kiel auf Walzen zu legen, so daß bei kräftigem Ansetzen das Fahrzeug sich wohl mußte fortschieben lassen. Bevor ich aber dieses unternahm, band ich hinten einen langen Strick an das Schiff und befestigte ihn mit dem andern Ende so, daß er es zurückhalten mußte, wenn es fortgestoßen allzuweit in die See hinauslaufen wollte. Hierauf stemmten wir uns wacker an und arbeiteten zum Teil mit Hebeisen, so daß die Pinasse bald in Bewegung kam und endlich nicht ohne Gewalt ins Wasser fuhr; doch so, daß sie von dem Stricke noch gehemmt werden konnte. Mit leichter Mühe zogen wir sie dann um das Wrack herum und bis zur Stelle, wo wir gewöhnlich unser Floß anlegten und wo zu seiner Befrachtung ein Flaschenzug an einem hervorragenden Balken angebracht war, auf dessen Beistand ich jetzt rechnete, um alsbald unser neu erobertes Besitztum auch mit Mast und Segel auszustatten. In der Tat war vermittelst dieser Hilfe beides in kurzem aufgerichtet und, so gut als ich mich auf Schiffbau und Betakelung Die Ausrüstung eines Schiffes mit dem nötigen Tauwerk verstand, recht brauchbar in Ordnung gebracht.
Aber jetzt erwachte mit einem Male der kriegerische Geist in meinen Jungen, und sie hatten gar keine Ruhe mehr. Ein Fahrzeug mit zwei Kanonen und obendrein voll Flinten und Pistolen schien ihnen ganz unüberwindlich, und sie prahlten gewaltig von Angriff und Verteidigung gegen ganze Flotten von Wilden und von deren gänzlicher Vernichtung. Ich versicherte ihnen aber, daß wir Ursache hätten, froh zu sein, wenn wir nicht in die Notwendigkeit versetzt würden, mit unsern Streitkräften und unserm nagelneuen Heldenmut einen blutigen Versuch zu machen.
Über der vollständigen Ausrüstung und Befrachtung der stattlichen Barke waren abermals ein Paar Tage verflossen; und da wir sie stets hinter dem Wracke versteckt hielten und insgesamt uns vorgenommen hatten, die Mutter und Fränzchen mit ihrer prachtvollen Erscheinung zu überraschen, so war es uns gelungen, die gehörige Verschwiegenheit zu halten und einer genauem Beobachtung unsres Treibens am Wracke durch irgendein Fernglas glücklich zu entgehen.
Als aber alles vollendet und fertig war, konnte ich den Jungen auch unmöglich abschlagen, zur Belohnung ihres Stillschweigens die Mutter bei unserer feierlichen Anfahrt aus den Kanonen salutieren zu dürfen. Sogleich wurden diese geladen, und zu jeder stellte sich einer der Knaben mit brennender Lunte, voll Begierde, nur loszufeuern. Der dritte hatte seinen Platz bei dem Mastbaum genommen, um das Kommando zu führen und nebenbei auf das Takelwerk zu sehen, wiewohl die Hauptsache schon gemacht und unsre Segel aufgespannt waren. Ich endlich stellte mich an das Steuer, um das ganze Fahrzeug zu leiten; und mit Jubelgeschrei fuhren wir jetzt ab gegen das heimische Land.
Der Wind war uns günstig und blies so munter, daß wir gleich einem Vogel über den Spiegel des Wassers streiften und daß mich ob der Schnelligkeit beinahe ein Grauen befiel. Unser »Katamarang« flog mit, weil wir ihn als Boot hinten angebunden hatten.
Als wir uns der Einfahrt der Rettungsbucht näherten, zogen wir das größte Segel ein, damit ich das Fahrzeug besser zu bemeistern vermöchte, und allmählich ließen wir auch die übrigen Segel fallen, damit wir nicht durch die Gewalt des Windes an die Felsen oder auf den Strand getrieben würden. So ward unser Lauf denn langsamer, und wir konnten unbesorgt das große Geschäft der Begrüßung und des Ankerns beginnen.
»Nummer eins, Feuer! – Nummer zwei, Feuer!« kommandierte Fritz mit Begeisterung. Jack und Ernst an den Kanonen tupften unerschrocken zu, die Schüsse dröhnten, das Felsenufer gab einen majestätischen, langnachtönenden Widerhall; Fritz jagte zwei Pistolenschüsse nach, und zum Beschluß brachen wir noch in ein gellendes Hurrageschrei aus.
Mit allen Zeichen des Staunens und der Verwunderung winkte jetzt die Mutter ein freundliches Willkommen, und Fränzchen stand mit großen Augen und weit aufgerissenem Munde an ihrer Seite, in gänzlicher Unwissenheit, ob da sich zu freuen oder ob zu fürchten und zu jammern Ursache sei.
Als wir endlich so geschickt waren, an einer kleinen Erhöhung des Felsens, die uns als Kai dienen konnte, und wo unser Schiff noch genug Wasser hatte, ans Ufer zu stoßen, sprang die Mutter herbei und rief in einem Atemzug: »O ihr lieben, abscheulichen Leute, wieviel Freude und Schrecken habt ihr mir gemacht! Ich wußte in aller Welt nicht, wo das prächtige Schiff herkomme und wen es bergen möchte. Ich schlüpfte hinter die Felsen, und als ich vollends eure Kanonen vernahm, fuhr ich vor Angst und Schrecken zusammen. Hätte ich nicht zum Trost endlich eure Stimme erkannt, so wäre ich davongelaufen, der Himmel weiß, wie weit! – Aber ja, das ist nun ein niedliches, allerliebstes Schiffchen! Mit einem solchen in See zu stechen, das läßt sich allenfalls noch hören, da wäre ich auch dabei; das soll uns Nutzen und Freude bringen!«
Voll Eifer betrat sie das Fahrzeug und verwunderte sich jetzt immer mehr, daß wir es so glücklich zustande gebracht hatten, und lobte von Herzen unsre Geschicklichkeit, unsern Fleiß und unsre Ausdauer. »Aber bildet euch ja nicht ein«, fügte sie hinzu, »daß wir, Fränzchen und ich, während eurer Abwesenheit müßig geblieben sind. O nein! Wir haben indessen auch tüchtig gearbeitet, und können wir's heute nicht mit Schüssen beweisen, so tun wir's künftig mit Schüsseln. Komm du nur mal mit.«
Neugierig und eilig sprangen wir ans Ufer. Die Mutter führte uns aufwärts gegen die Felsenwand, da wo der Schakalbach sich herunterstürzt, und wies unsern erstaunten Blicken hier die wohlgetroffenen Anlagen zu einem Küchengarten, der bereits ansehnlich vorgerückt war.
»Sieh«, sagte sie, »die Arbeit meines Schweißes! Das Erdreich war locker genug, daß ich es bezwingen konnte. Dort sind gute und schöne Kartoffeln der Mutter Erde anvertraut; hier sind frische Maniokreiser eingesteckt; drüben ist Lattich und Salat gesät. Daneben ist Platz für Zuckerrohr gelassen. Wenn du mir künftig mit Bambus ein wenig Wasser von dem benachbarten Falle herbeileiten willst, so habe ich für jede der Pflanzstätten auch Nahrung und Erquickung, daß alles mir prächtig gedeihen wird. Aber noch sind wir nicht zu Ende! Da, auf die untersten Absätze des Felsens, habe ich dir einige Ananas samt ihren Wurzeln und der anklebenden Erde versetzt, und zwischenhinein habe ich Melonenkerne gesteckt, die sich einst mit ihren Ranken schön über das Gestein hin verbreiten werden. Hier ist ein Raum für Bohnen ausgemessen und dort ein andrer für allerlei Kohl. Um jede Pflanzung herum sind etliche Maiskörner in die Erde gebracht, damit die aufschießenden Stengel je nach Bedarf einigen Schatten verleihen und nicht von der Sonnenglut alles verbrannt werde, was in den Beeten hervorkommen soll.«
»Mutterchen«, rief ich, »du bist wirklich eine vortreffliche Frau! Ich hätte es deiner und Fränzchens geringer Kraft und eurer Verschwiegenheit doch niemals zugetraut, daß ihr so schnell und so ganz ohne mein Vorwissen ein so beschwerliches und erfreuliches Werk vollbringen würdet.«
Seelenvergnügt über die gegenseitig erteilten und empfangenen Lobsprüche gingen wir jetzt zu unserm Ruheplatz vor dem Zelt zurück.
Die Mutter erinnerte mich, daß ich über den Reisen nach dem Wracke die Bündel von Obstbäumchen in Falkenhorst durchaus und vielleicht schon zu lang vernachlässigt habe. An der freien Luft seien sie ganz ausgetrocknet; und wären sie nicht hin und wieder doch mit Wasser besprengt und zur Vorsicht mit Zweigen bedeckt worden, so dürfte gar kein Stück mehr tauglich sein. »Einige«, sprach die gute Frau, »habe ich ganz der Länge nach in kühles Erdreich vergraben; und gern hätte ich es mit allen getan, wenn die Zeit und die Anlegung meines Küchengartens es mir zugelassen hätten!«
»Da hast du das Beste gemacht, was in einem solchen Falle geschehen kann«, bemerkte ich; »aber ich werde schon noch selbst nach Falkenhorst gehen müssen; denn an den Bäumchen ist mir viel gelegen.«
»Das ist eben, was ich meine«, sagte sie; »wir sollten insgesamt wieder hin zu unserm Baumkastell, denn es gibt nun dort viel zu veranstalten. Der größte und unentbehrlichste Teil des Wrackes ist jetzt in unsrer Gewalt, aber manches liegt bei unsrer Wohnung ganz ohne Obdach und leidet jetzt von der Sonne, künftig von dem Regen, wenn es nicht einen Schirm bekommt. Endlich bin ich nun bis zum Überdruß in dieser Bratpfanne von Zeltheim gewesen, wo man von früh bis spät nicht aus dem Schweiße kommt.«
»Mütterchen!« erwiderte ich, »du hast in allen diesen Stücken recht, und wenn du mir nur die See nicht durchaus verbietest, so finde ich es nur billig, mich jetzt in dein Gesuch zu fügen und nach Falkenhorst zu ziehen. Nur laß mich zuvor noch unser Fahrzeug ausladen, damit wir alles auf gewohnte Weise in Sicherheit bringen!«
So wurde unsere letzte Beute zu den übrigen Vorräten geordnet und sorgfältig mit Segeltuch überspannt, das wir so gut als möglich mit Pflöcken befestigten; die Pinasse wurde vor Anker gelegt und mit dem Vorderteil an einen Pfahl gebunden. Hierauf traten wir die Rückreise nach Falkenhorst an, wohin wir alles mitnahmen, was wir nur irgend glaubten dort gebrauchen zu können, und sowohl wir selbst als unsere Tiere waren bis zum Übermaß beladen.
Der Tag nach unsrer Heimkehr traf gerade auf einen Sonntag, den wir in nun schon gewohnter Weise feierten.
Während sich die Jungen am Nachmittag im Klettern und Bogenschießen übten, hatte ich zwei Bleikugeln an die beiden Enden einer klafterlangen Schnur befestigt.
»Was soll jetzt das geben?« riefen die Kinder, sobald sie es gewahr wurden; »und wie kann das nützlich sein, und wie gebraucht man es denn?«
»Ihr sollt wissen«, sprach ich, »daß wir im Kleinen hier die Waffe und das Jagdgeschoß einer ganzen tapfern und jagdfertigen Völkerschaft erhalten, und zwar der berühmten weiland riesenhaften Patagonier auf der südlichsten Spitze von Amerika. Statt der Kugeln aber verknüpfen diese nur zwei gewichtige Steine mit Lederriemen, die freilich fester und auch um ein merkliches länger sind als meine gegenwärtigen Schnürchen da. – Nach ihrem Bedürfnis so wunderlich ausgerüstet ziehen sie ins Freie und sollen sich des einfachen Werkzeugs, das sie Bolas nennen, mit unglaublicher Geschicklichkeit bedienen. Ist es ihnen darum zu tun, zu verwunden oder zu töten, so werfen sie mit aller Kraft nur den einen der Steine nach dem, was sie treffen wollen, und ziehen ihn sogleich vermittelst des Riemens und des zweiten Steins, den sie zuvor in die andre Hand gefaßt, wieder zurück, um den Wurf, wenn es nötig ist, alsbald zu wiederholen. Ist ihnen aber daran gelegen, ein Wildbret lebendig zu fangen, so schwingen sie den einen der Steine rundum über ihrem Kopfe, bis er einen gewaltigen Trieb erhält, und werfen ihn dann plötzlich mit dem andern, den sie noch in der Hand behalten, zugleich nach ihrem Gegenstande hin, und zwar mit einer Sicherheit, daß sie ein flüchtiges Tier selbst im Galopp auf diese Art umstricken; denn die Steine fahren fort, an dem Riemen sich zu drehen, und sowie der Riemen an die Füße oder an den Hals des Wildes gelangt, umwinden die Steine mit ihrer Schwungkraft das, was den Riemen aufhält, so stark und so plötzlich, daß meistenteils die Tiere nicht weiter können oder doch sehr gehindert werden und so dem nacheilenden Jäger in die Hände fallen.«
Diese Schilderung der patagonischen Jägerei war den Knaben über die Maßen ergötzlich, und ich mußte sogleich mit dem neugearbeiteten Werkzeug eine Probe gegen ein Baumstämmchen machen, das in einiger Entfernung mir vorgewiesen wurde. Mein Wurf gelang mir, und die Schnur mit den Kugeln wickelte sich so geschickt um das Bäumchen herum, daß die Möglichkeit der patagonischen Kunststücke vollkommen einleuchtend war. Jeder von den Knaben verlangte sogleich seine Wurfkugeln, und Fritz setzte sich ohne Verzug in Atem, um der neuen Übung recht Herr zu werden. Er war auch der erste von den vieren, der es nach unermüdlichen Wiederholungen zu einigem Erfolg brachte; denn einerseits war er wirklich der Gewandteste, und andrerseits hatte er am meisten Körperkraft und den reifsten Verstand.
Am Morgen nach dem wohlverbrachten Sonntag bemerkte ich früh schon von dem Baumschlosse herab, daß die See in einer starken Bewegung sei und daß der Wind mit ungemeiner Lebhaftigkeit zu blasen angefangen habe. Ich freute mich also nicht wenig, wieder in Falkenhorst zu sein und den Tag zu Verrichtungen auf dem Lande bestimmt zu haben; denn obwohl für eigentliche Seeleute und Schiffer höchstens ein gesunder und frischer Luftzug über das Wasser ging, wäre doch für uns Anfänger die Fahrt nach dem Wrack eine Tollkühnheit und das bißchen Wind nicht viel weniger gewesen als was tüchtigen Matrosen ein ausgemachter Sturm.
Am meisten Sorge machten mir die vertrockneten Baumstämmchen, da sie zu gänzlichem Verdorren nicht zweideutig Miene machten. Es wurde beschlossen, diesem drohendsten Übel vor jedem andern zu begegnen und dann nach dem Wäldchen der Flaschenkürbisse zu wandern, um uns dort mit Gefäßen zu allerlei Vorräten und Verrichtungen, denen wir entgegensahen, in gehöriger Anzahl und Größe zu versehen.
Alsdann machten wir uns mit Heereskraft an das Eingraben der Bäumchen, und die Sehnsucht nach einer lange unterlassenen Wanderung trieb uns so lebhaft an, daß wir mit der ganzen Arbeit fertig wurden, ehe wir es erwarteten.
Mit Sonnenaufgang des nächsten Tages war denn auch alles in gespannter Erwartung auf den Füßen, und die letzten Vorkehrungen zum Abmarsche wurden mit außerordentlicher Schnelligkeit getroffen. Der Esel an der Schleife hatte diesmal eine Hauptrolle, weil er bestimmt war, unser Kürbisgeschirr nach Haus zu schleppen und je nach Bedürfnis auch zum Fortkommen der schwächern Knaben seine Dienste zu leisten. Einstweilen indes ward ihm unser Mundvorrat samt etwas Pulver und Blei aufgeladen. Türk eröffnete wie gewöhnlich den Zug. Hinter ihm her gingen die Knaben in vollkommener Jagdausrüstung. Auf sie folgte die Mutter mit mir; und endlich, etwas niedergeschlagen, den Meister Knips auf seinem Rücken, machte Bill mit schleichendem Gange die Hinterhut. Ich führte diesmal ein doppeltes Jagdgewehr, dessen einer Lauf mit dem gröbsten Eisenhagel zur Pirsche für Wildbret, der andre mit einer bleiernen Kugel zur Verteidigung kräftig geladen war. So zogen wir fröhlich und guter Dinge von Falkenhorst ab, umgingen den Flamantsumpf und gelangten bald in die herrliche Gegend, die jenseits liegt, und an der sich die Mutter samt denjenigen Knaben, die noch niemals dort gewesen waren, gar nicht satt sehen konnten.
Fritz, voll Begierde nach irgendeinem Jagdabenteuer, verließ den Strand und lockte den Türk auf die Seite, wo sie dann beide durch das hohe Gras hinschritten und mitunter gänzlich vor unsern Augen verschwanden. Bald trieb Türk mit Gebell einen mächtigen Vogel auf, und im Augenblick schoß ihn Fritz glücklich aus der Luft. Allein der Getroffene war nichts weniger als tot, er machte sich vielmehr mit unglaublicher Behendigkeit durch die Kraft seiner Beine alsbald aus dem Staube. Türk jagte wie rasend hinterdrein; Fritz schrie wie ein Zahnbrecher und lief keuchend nach, und als der aufmerksame Bill das alles erblickte, warf er den Affenritter durch einen Seitensprung in den Sand, folgte wie ein Habicht dem Jagdzuge nach und eilte auf kürzerem Wege dem Flüchtling in die Flanke, wo er ihn dann glücklich zu packen bekam und ihn kräftig festhielt, bis Fritz endlich herbeigelaufen war. Aber hier gab es einen ganz andern Kampf als mit dem weichgeschnabelten und schwachbeinigen Flamingo. Der verwundete Vogel war groß und stark und hatte kraftvolle Schenkel, die er zu empfindlichen Stößen weidlich zu rühren wußte. Auch trippelte mein Fritz in vollem Verzagen um den Kampfplatz herum und wußte dem Ungetüm auf keinerlei Art beizukommen; denn selbst Türk, der sich tapfer herangemacht hatte, war durch ein paar tüchtige Tritte an den Kopf entweder schwindlig oder schüchtern geworden, so daß er gar nicht mehr anbeißen wollte.
So mußten sie hübsch alle warten, bis auch ich hinzugekommen war; und wegen des hohen Grases und meiner schweren Belastung war das eben nicht hurtig geschehen. Aber wie freute mich jetzt, als ich endlich zur Stelle war, der Anblick einer prächtigen Trapphenne, die halb wenigstens von meinem Raubgesindel schon überwältigt lag! – Um sie ganz in unsre Gewalt zu bringen, ohne sie zu töten, ergriff ich mein Schnupftuch, erlauschte mir einen günstigen Augenblick und warf es dem rüstigen Kämpfer so glücklich über den Kopf hin, daß er sich nicht wieder davon losmachen und auch nicht mehr sehen konnte. Alsbald verfertigte ich eine Schlinge von starkem Packfaden und schnürte damit seine gefährlich ausschlagenden Beine, machte den Bill, der sich festgebissen hatte, von dem verwundeten Flügel los und band die beiden Fittiche knapp an den Leib mit einem Stricke, der rings um denselben herumging. So ward endlich das widerspenstige Tier, trotz manchem Schlage, den es mir beibringen konnte, vollkommen gebändigt und selbst zum Fortbringen gleichsam eingepackt. Die stattliche Beute machte mir ungemeines Vergnügen, und ich bestimmte sie zur Vermehrung unsrer kleinen Hühnerzucht, auf die ich beständig mein Augenmerk richtete.
Ohne Verzug trugen wir den Gefangenen zu der neugierig harrenden Reisegesellschaft, die sich inzwischen ein wenig auf dem Strand gelagert hatte. Ernst und Jack erhoben sich aber sogleich und riefen schon aus der Ferne: »Der ist aber prächtig!«
Ich fand das selbst auch, ließ daher die Henne auf die Schleife binden, und wohlgemut zogen wir weiter nach dem Affenwäldchen, wo Fritz die tragikomische Begebenheit, die diesem zu seinem Namen verholfen, der Mutter und den hochbegierigen Brüdern wiederholen mußte. Ernst jedoch machte sich bald auf die Seite, und ganz ergriffen von der Pracht der umstehenden Bäume, pflanzte er sich vor eine der Kokospalmen, die seitwärts ein wenig vereinzelt stand, und erhob, voll Verwunderung über die gewaltige Höhe, sein Auge bedächtig an dem unendlichen Stamme empor bis hinan zu den schönen Kokostrauben, die er unter der Krone von Blättern herabhängen sah und die sein ganzes Herz in die zärtlichste Bewegung brachten. Ich hatte mich unvermerkt hinter ihn gestellt und freute mich des Ausdrucks seiner Gefühle, bis endlich der Knabe laut ward und mit einem Stoßseufzer ausrief: »Das ist doch greulich, greulich hoch!« –
»Ja gelt«, sagte ich da, »und die Kokosnüsse lachen einen so lieblich an, daß es wahrhaftig eine Lust ist. Wenn sie dir nur auch von selbst in den Mund fliegen wollten!« – »Potztausend, nein!« war seine Antwort, »das würde Zahnlücken setzen, die mir übel behagten, wenn es nicht gar etwas Schlimmeres gäbe.«
Kaum hatte er das gesagt, so plumpste eine mächtige Nuß von dem bewunderten Baum schwer vor uns hin in das Gras, und während Ernst ein wenig verblüfft zur Seite sprang und aufwärts schaute, kam bald eine andre nach, so daß auch ich mich verwundern mußte.
»Ei«, sagte der Knabe, »da geht es ja fast wie in den Feenmärchen! Kaum daß man von einem Wunsche spricht, so ist er auch schon erfüllt.«
»Freilich!« versetzte ich. – »Doch möchte der Zauberer, der uns so bereitwillig aufwartet, leicht in der Gestalt eines Affen im Baumwipfel sitzen und eher ein zärtliches Verlangen haben, uns mit den Nüssen wegzusteinigen, als unsre Tafel mit Leckerbissen zu versehen.«
Ernst wagte jetzt die beiden Früchte herbeizuholen, und wir fanden sie nicht einmal gänzlich reif, und noch viel weniger welk oder sonst verdorben, so daß ich gar keine Ursache finden konnte, warum sie doch heruntergefallen sein möchten. Ich ging deswegen mit Ernst immer um den Baum herum und sah empor, um zu entdecken, was in aller Welt diesen Fall veranlaßt haben könne. Inzwischen eilte auch Fritz mit der Mutter und den übrigen Knaben herbei. Wir verteilten uns nun auf alle Seiten und starrten um so eifriger in die Höhe, da sich bald, zur Verwunderung aller, zwei neue und kerngesunde Früchte von ihrem Stiele rissen und ehrerbietig vor unsre Füße fielen.
»Das ist zum wenigsten ein höflicher und sehr verständiger Hexenmeister, der da droben seinen Hokuspokus macht!« sagte Ernst. »Vorher, als wir hier nur unser zwei standen, warf er uns hier nur zwei von den Nüssen heran; jetzt aber, da sich die Gäste vermehren, trifft er Anstalt, den Tisch nach Gebühr auch etwas reichlicher zu decken, und da wollen wir recht erkenntlich sein, wollen eine von den Nüssen gleich aufmachen und auf des Wundermanns Gesundheit mit aller gebührenden Dankbarkeit trinken.«
»Ja, ja!« sagte Jack und guckte lustig zu den Nüssen empor; »der Meister Hämmerli Wahrscheinlich von dem berühmten und gelehrten Felix Hemmerlein, einem Chorherrn zu Zürich noch vor der Reformation, nennt man in der Schweiz mitunter einen geschickten Mann, und zumal einen Tausendkünstler oder vermeinten Zauberer, kurzweg Meister Hämmerli. Selbst der böse Feind erhält bisweilen, drollig genug, diesen Namen. macht seine Sachen ganz prächtig; und wenn er jetzt nur noch für Fränzchen und für mich ein paar von seinen Zwergnüssen beschert, so wollen wir ihm alle ein kräftiges Lebehoch bringen.«
»Ach, ach!« rief Fritz in diesem Augenblick, »ich habe ihn entdeckt, Vater! Ein ganz abscheuliches Tier, flach, rund, so groß wie das Innere meines Hutes und mit zwei fürchterlichen Krebsscheren; es kommt den Stamm herunter.«
Auf diesen Bericht schlüpfte Fränzchen in Eile hinter die Mutter; Ernst sah sich um, wo man allenfalls sicher wäre; Jack hob drohend den Gewehrkolben, und alles blickte voll Neugier auf den Baum, der einen so seltsamen Gast beherbergt hatte.
Das zweifelhafte Wundertier rutschte langsam und gemächlich gegen uns herab, und als es in erreichbare Nähe gekommen war, schlug Jack mit seinem Gewehr darauf los, fehlte aber, und die Bestie kam plötzlich, wie mit einem Sprunge, zur Erde herab. Behend und mit weitklaffenden Scheren marschierte sie jetzt auf ihren Angreifer los.
Mein Männchen verteidigte sich zwar tapfer, aber mit einer Hitze, daß ihm auch kein Streich gelang, um so mehr, da sein Gegner ziemlich gewandt jedem Schlag auszuweichen verstand; endlich, des fruchtlosen Zuschlages satt, und vermutlich in lebhafter Erinnerung, wie Krebsscheren die Waden zerklemmen, machte Jack rechtsumkehrt und lief eine Strecke davon. Seine Brüder schlugen ein helles Gelächter auf. Im Nu stand er wieder still, legte Schnappsack und Gewehr auf den Boden, zog seine Jacke aus, hielt sie ausgespreizt mit beiden Händen und rannte von neuem gegen seinen Widersacher an. Urplötzlich warf er das Gewand über das ganze Tier, stürzte mit dem Gewicht seines Körpers darauf, wickelte die Jacke rund herum und fing nun an, mit Faustschlägen auf den wunderlichen Pack aus allen Leibeskräften loszuhämmern. – »Ich will dich schon, heilloser Drache!« rief er aus; »du sollst mir andre Manieren lernen! So mit Kneipzangen zu begrüßen ist keine Sitte!«
Vor Lachen konnte ich lange dem Jungen nicht einmal Hilfe leisten; aber zuletzt sprang ich hin, ergriff mein Handbeil und schlug so tüchtig auf das Bällchen zu, daß mir vorkam, es möchte genug sein, worauf ich es denn auseinanderwickelte und nach Erwarten das Ungetüm tot fand, wiewohl in so drohender Gestalt, als es nur je zuvor gehabt hatte.
»Nein! das ist doch ein garstiges, häßliches Tier«, meinte Jack; »wenn es nicht so widerlich ausgesehen hätte, ich wäre auch nicht so hitzig geworden; aber Furcht habe ich nicht gehabt. Was ist es nur für ein Geschöpf?«
»Es ist eine Krabbe«, versetzte ich, »oder, wenn du lieber willst, ein Taschenkrebs; und wofern es dir weiter so geht, so werde ich dich ordentlich zum Krebsritter schlagen, denn diesmal hast du dich schon anders gehalten als dort an dem Seeufer, als deine Beinchen so jämmerlich in der Klemme waren. Aber sieh doch: Dieser Waghals hier scheint mir eine sogenannte Kokoskrabbe, und da sie auf Kokosnüsse erpicht ist, so muß sie wohl Stärke oder List genug haben, die Schale derselben zu öffnen, und folglich mag sie für einen Knaben schon ein bedeutender Gegner sein.«
Unter diesen Worten lud ich die Krabbe samt den Kokosnüssen auf unsre Schleife.
Noch eine Weile mußten wir uns mühevoll durch das Dickicht fortarbeiten, bis wir endlich wieder ins Freie kamen und zugleich etwas rechts vor uns, ein wenig seitwärts vom Ufer, das Kürbiswäldchen erblickten, in dem wir bald den angenehmen Platz erreichten, wo ich mich schon früher gelagert hatte.
Jedermann verwunderte sich hier über die schönen Bäume und die seltsame Frucht, die so wunderlich angewachsen war; ich spähte nun sogleich nach verschiedenen Formen und Größen der Kürbisse, die wir teils hier verarbeiten, teils zu unserm vielfachen Bedarfe mitnehmen könnten; bald lag denn auch eine große Anzahl davon aufgehäuft, und wir fingen an zu schneiden, zu sägen und zu schnitzen, daß es eine Lust war. Ich verfertigte zuerst einen hübschen Eierkorb, indem ich von der obern Hälfte eines Kürbisses einen geschweiften Bogen über der ausgehöhlten untern feststehen ließ. Hierauf sorgte ich für eine Anzahl Milch- und Rahmgefäße mit Deckeln, wozu die obere gleichfalls gereinigte Hälfte nun wieder auf die zubereitete untere gelegt ward. Alsdann bereitete ich Wassergefäße, die von oben eine runde Öffnung, etwa fingerbreit im Durchschnitt, erhielten, bei denen wir dann das Eingeweide mit Schrot und Sand herausfegen mußten. Endlich wurden flachere Teller und tiefere Näpfe, ja sogar Bienenkörbe und Tauben- oder Hühnernester zugerüstet, die aus den größten Kürbissen mit Öffnung zum Einschlüpfen so niedlich gerieten, daß Fränzchen nur noch ein wenig kleiner zu sein wünschte, um sich ein ähnliches Wohnhaus beizulegen. Die Taubennester waren bestimmt, hin und wieder auf die Zweige unsres Baumschlosses aufgenagelt zu werden; und von den Hühnernestern, die zum Teil auch für die Enten und Gänse berechnet waren, wollte ich teils an dem Bächlein, teils unter den stattlichen Baumwurzeln zu Falkenhorst gleichsam Dörfchen und Meiereien anlegen.
Es gelang uns zwar mit allen diesen verschiedenen Stücken nur ungleich und mittelmäßig, aber doch noch erträglich, so daß wir immerhin eine Menge selbstverfertigten Kürbisgeschirrs mit uns schleppen konnten. Indessen hatten die Mutter und Fränzchen einige Kartoffeln gebraten, die sie unterwegs gegraben hatten; sie wiesen mir auch eine seltsame Sorte Äpfel, die einen köstlichen Geruch verbreiteten, die wir aber nicht zu verzehren wagten, weil sie mir unbekannt waren. Aber ihr Anblick hatte in aller Stille den Meister Knips herbeigelockt, und da er diebisch ein paar ergriffen und mit sichtbarem Wohlbehagen verzehrt hatte, fing die Eßlust der Knaben an, sich unwiderstehlich zu regen; auch das Trapphuhn, das wir mit einem Spannstrick an den Füßen mit einer längern Schnur an ein Baumstämmchen gebunden, verschlang einige vorgeworfene Äpfel ohne Bedenken; so mußte ich schon gestatten, daß auch wir sie nun kosten dürften, worauf sie denn ganz wohlschmeckend befunden wurden und ich mit ziemlicher Sicherheit auf die Mutmaßung fiel, daß es sogenannte Goyaven, eine Art von eßbaren westindischen Früchten, sein könnten.
Indes war durch diese Näscherei unser Hunger mehr angefacht und gleichsam zum Bewußtsein gerufen als befriedigt worden; und da die Zeit unmöglich erlaubte, den Taschenkrebs auf der Stelle noch zuzurichten, so waren wir gezwungen, mit der kalten Küche vorliebzunehmen, die wir von Falkenhorst mitgebracht hatten. Zum Nachtisch erhielten wir ein paar von den halbgebratenen frischen Kartoffeln zu kosten.
Kaum aber waren wir durch dieses Mahl ein wenig gestärkt und belebt, so drang die Mutter mit Hast auf den Antritt unsrer Heimreise, weil der Abend schon im Anrücken sei; der Tag schien auch mir so vorgeschritten, daß ich es für unratsam hielt, die Schleife sogleich nach Haus zu nehmen; ich beschloß daher, sie bis morgen da zu lassen und dem Grauschimmel nur seine gewöhnlichen Tragsäcke mit dem allertrockensten Kürbisgeschirr und den jüngsten der Knaben aufzuladen, unsre Trappgans mit Stricken so bequem als möglich auszurüsten, ohne ihr Gelegenheit zum Entrinnen zu lassen.
Alle diese Anstalten waren in kurzem getroffen; durch einen majestätischen Hain von Eichen, die hin und wieder mit Feigenbäumen angenehm unterbrochen waren und den Boden mit unzähligen Eicheln fast überdeckt hatten, woran auch das Trapphuhn mit der heißesten Begier sich erlabte, gelangten wir endlich noch vor Einbruch der Nacht nach Falkenhorst zurück, so daß uns Zeit genug blieb, unsre Beute abzupacken, die Tiere zu füttern und für unser Nachtessen zu sorgen, wobei wir uns den Krebs, auf dem Roste gebraten, trefflich schmecken ließen; als Zutat wurden Kartoffeln und Eicheln in die Glut gelegt; denn Fränzchen hatte sich selbst die Bestallung zum Küchenjungen verliehen und für ein schönes, hellauflachendes Feuer gesorgt, das uns, beim Eintritt einer empfindlichen Abendkühle, bald auch zur Erwärmung höchlich willkommen war.
Es versteht sich, daß wir es nicht anstehen ließen, schon am folgenden Tag die Schleife in dem Kürbiswäldchen abzuholen. Ich machte mich zu dem Ende mit Fritz und dem Esel ungesäumt auf den Weg, indes ich den übrigen Jungen gebot, bei der Mutter zu bleiben; denn da ich mir vorgenommen hatte, einen Streifzug an der Felsenreihe weiter hinaus zu wagen, wollte ich mich nicht durch die schwächeren und furchtsameren unter den Knaben in der Ausführung dieses Vorsatzes verhindern lassen.
Als wir bei den immergrünen Eichen ankamen, fanden wir unser Schwein unter denselben auf Mästung. Es war uns lieb, zu bemerken, daß es uns viel zutraulicher nahen ließ und seine Wildlingsmanieren ein wenig abgelegt zu haben schien.
Im Fortschreiten durch den Eichenwald sammelten wir einen Vorrat von den abgefallenen Früchten, und da wir geräuschlos einhergingen, so wurden die Vögel des Haines, die sich gerade mit ihrem Frühstücke beschäftigten, frech und sorgenlos genug, daß Fritz einen Häher und zwei Papageien von den niedrigsten Zweigen glücklich herabpirschen konnte. Den Häher hielt ich für den größern virginischen blauen, der eine Haube hat; von den Papageien war der schönere ein prächtiger roter Arra, der andre aber ein gemeiner von grünem Gefieder mit etwas Gelb. Wir packten die Tiere auf unsern Esel und setzten unsre Reise weiter fort, bis wir endlich bei unsrer Schleife im Kürbiswäldchen eintrafen, wo wir zur großer Zufriedenheit alles im besten Zustande fanden. Weil aber der Morgen noch gar nicht so weit vorgerückt war, so begann ich gleich die beschlossene Streiferei an der Felsenwand hinaus, um, wenn es möglich wäre, bis an deren Ende zu gelangen und zu sehen, ob sie nicht irgendwo sich umgehen lasse und eine Gelegenheit biete, in das Innere des Landes zu kommen, oder ob sie das Stück der Küste, auf dem wir uns befanden, vollkommen umzingle.
Zuweilen trafen wir auf ähnliche Bächlein wie das bei Falkenhorst, die uns willkommene Labung gewährten. Als wir das Wäldchen, in dem die Mutter die Goyaven gefunden hatte, zurückgelegt hatten, mußten wir uns durch eine Menge von Maniokranken und Erdäpfelstauden mühsam hindurcharbeiten und fanden uns nicht wenig aufgehalten, aber doch auch entschädigt durch die freie Aussicht über sie hin, die, vermöge des niedrigen Wachstums dieser Pflanzen, unserm Blicke gestattet ward. Bald gerieten wir in ein neues und dichtes Gebüsch, das uns fremd war und dessen Zweige von zahlreichen Beeren einer seltsamen Beschaffenheit fast niederhingen. Diese Beeren waren nämlich ganz wie mit Wachs überzogen und klebten uns, da wir, noch unbekannt mit dieser Eigenschaft, einige zu pflücken geeilt, recht bemerkbar an den Fingern. Nun wußte ich, daß es in Amerika eine Art von wachstragenden Stauden gibt, welche bei den Kräuterkennern Mrica cerifera heißt, und so mußte mir unsre Entdeckung äußerst erfreulich sein.
Fritz, der meine Freude bemerkte, fragte mich, was man mit diesen Beeren wohl anfangen könne. – »Sie sollen uns«, sagte ich, »die besten Dienste tun; sie werden nämlich in vielem Wasser gesotten und mit Schaumlöffeln wieder herausgenommen. Das Wasser wird alsdann durch ein Tuch geseiht und bis zum Erkalten stehengelassen. Es gerinnt auf seiner Oberfläche eine mehr oder minder beträchtliche Scheibe von grünem Wachs, das freilich etwas spröder ist als das von unsern Bienen, aber doch zum Brennen vollkommen taugt und selbst einen angenehmen Geruch dabei verbreiten soll.«
Nun sammelte Fritz von den Wachsbeeren, soviel er in einen der Bastsäcke des Esels nur hineinpfropfen konnte, und ich half ihm so getreulich, daß wir den Sack schnell angefüllt hatten und es rätlich fanden, unsre Straße nun weiterzuziehen.
Wir waren bald ziemlich vorwärts gerückt und gelangten jetzt wieder an ein Wäldchen von einer ganz besondern Art wilder Feigenbäume, die eine runde Frucht voll kleiner Samenkörner in einem saftigen Fleische von etwas herbem Geschmacke trugen. Als wir aber die Bäume genauer zu betrachten anfingen, bemerkten wir an einigen eine Art von Harz oder Gummi, das die Stämme bei zufälliger Verletzung ausgeschwitzt zu haben schienen und das von der Sonne und dem Zutritt der freien Luft etwas geronnen und gehärtet war. Diese neue Entdeckung zog Fritz sogleich an; denn die Ähnlichkeit dieses Gummis mit dem Harze der Kirschbäume, das er in unsrer Heimat oft gesammelt und gleich dem Arabischen Gummi zum Kleistern und Leimen gebraucht hatte, war ihm viel zu lockend, als daß er nicht gleich hätte beginnen sollen, zu dem nämlichen Gebrauch einen Vorrat abzukratzen. Im Weitergehen wollte Fritz ein Stück von der neugewonnenen Beute zwischen den Fingern vermittelst etwas Speichels aufweichen. Der Gummi ließ sich aber nicht auflösen, so sehr er sich auch Mühe gab, und vermutlich hätte er seinen Schatz wieder weggeworfen, wenn sich das Zeug nicht durch die Wärme der Finger allmählich erweicht, bei einem zufälligen Versuch mit beiden Händen merklich hätte ausdehnen lassen und dann von selbst elastisch zusammengeschnellt wäre.
Diese unerwartete Erscheinung fiel dem Knaben auf. »Sieh! sieh doch Vater!« rief er aus, »ich glaube bald, das Feigenharz ist wahrer Kautschuk oder elastischer Gummi; denn ich kann es vollkommen wie diesen auseinanderziehen, und es schlüpft allemal wieder plötzlich zusammen!«
»Wie?« rief ich voll Freuden. »Das wäre eine herrliche, unvergleichliche Entdeckung, die uns noch treffliche Dienste leisten kann. Der Kautschuk«, erklärte ich ihm, »ist nämlich eine Art von milchigem Safte, der aus gewissen Bäumen und besonders aus dem eigentlich sogenannten Kautschukbaum durch gemachte Einschnitte in die Rinde von selbst herausfließt. Zu Hause erhielten wir dieses Harz meistenteils über Portugal oder Frankreich, weil es besonders in den südamerikanischen Ländern Brasilien, Guyana und Cayenne gezogen wird. Am häufigsten kommt es in der Gestalt von schwärzlichen Fläschchen vor, indem die Wilden, die es zuerst gewinnen, solange es noch frisch und flüssig ist, kleine irdene Flaschen bis zu gehöriger Dicke damit bestreichen; diese werden dann in den Rauch gehängt, wo das Harz vollkommen trocknet und seine dunkle Farbe bekommt; jetzt, oder auch noch vorher, schneidet und drückt man ihm die verschiedenen Figuren oder Linien ein, mit denen es gewöhnlich verziert ist; endlich wird das irdene Fläschchen inwendig in seinem harzigen Überrocke zerschlagen und zerstoßen, die Bruchstücke müssen zum Halse heraus, und es bleibt ein vollständiges, biegsames, bequemes Gefäß von Kautschuk, das leicht zu tragen, nicht brüchig und zu allerlei Gebrauche tauglich ist. Übrigens kann man ihm, wie du leicht begreifen wirst, alle möglichen Formen geben, und so hoffe ich, wenn wir die Sache recht angreifen, auch Schuhe und Stiefel daraus machen zu können.«
Inzwischen waren wir an den Rand des Kokoswäldchens gelangt und erkannten vor uns ausgebreitet die große Bucht und zur Linken das Vorgebirge der getäuschten Hoffnung, das früher schon der Endpunkt unsrer Streifereien gewesen war. Wir machten uns aber ohne Aufenthalt an die Fortsetzung unsres glücklichen Streifzugs, dem ein dickes Röhricht von Bambus, in das wir uns nicht hineingetrauten, bald ein natürliches Ziel zu stecken schien. Wir lenkten also links gegen die Warte der betrogenen Hoffnung, wo das lockende Zuckerrohr, das bis an ihre Mitte hinaufwuchs, eine gar zu erfreuliche Beute versprach, als daß wir mit leerer Hand hätten umkehren mögen. Ein mächtiges Bündel von dem süßen Naschwerk also ward dem Esel auf den Wachsbeerensack gebunden, und wir versäumten nicht, uns erquickende Spazierstöcke zu schneiden. Bald jedoch gelangten wir in das Kürbiswäldchen und zu der Schleife zurück, die in Geduld unser wartete. Der Rücken des Esels wurde hier entladen; die Zuckerrohre kamen auf die Schleife, und Meister Graurock mußte sich bequemen, geduldig zu ziehen, was er sanftmütig bis jetzt getragen hatte. Ohne weitere Abenteuer trafen wir noch so ziemlich zu guter Zeit bei den Unsrigen wieder ein, denen wir mit den erbeuteten Schätzen und einer weitläufigen Schilderung unsrer Reise große Freude bereiteten; ganz besondres Glück aber machte bei den Knaben der grüne Papagei. Nach einer köstlichen Mahlzeit bestiegen wir endlich mit Einbruch der Nacht unsre stolze Feigenburg, zogen die Strickleiter empor und begaben uns sämtlich zu der wohlbenötigten Ruhe.