Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

19.

Schlittenfahrt

Bereits nach wenigen Tagen hatte Nasewitz ganz Hasenbalg in Alarm gesetzt.

Der arme, lange Leutnant, der sonst ein so ruhiges Beobachtungsleben führte, der mit stillvergnügtem Spott die Torheiten der kleinen Welt belächelte, die ihn umgab, der fast niemals in Aufregung geriet, wußte jetzt, in des Wortes vollster Bedeutung, nicht mehr, wo ihm der Kopf stand.

Vom ersten Morgengrauen bis zum trauten Abenddämmerschein lief er mit seinen langen Beinen in der Stadt umher, und wenn die anderen Offiziere vergnüglich auf der Ressource saßen, dann war der arme Nasewitz still zu Hause und rechnete und rechnete, daß ihm die Augen ganz blind wurden.

So schwer hatte er es sich gar nicht gedacht, eine Schlittenpartie zu veranstalten.

Da die Fahrt nach dem Försterhause im Krähenbruch gehen sollte und dort keine Gastwirtschaft war, so mußte natürlich eine Erfrischung gegeben werden, deren Zusammenstellung die allergrößte Schwierigkeit bot.

Zuletzt überwand aber Nasewitz auch diese und das benötigte Festessen wurde von den Betreffenden zugesichert.

So weit war also der geplagte Nasewitz gekommen. Das war aber alles eigentlich nur der Rahmen zu seinem Bilde, die Grundlage, auf der sein Plan zur Ausführung kommen sollte. Das Hauptaugenmerk für ihn mußte nun darin liegen, daß er, um dem alten Schimmelmann Sand in die Augen zu streuen und seinen Bewerbern Gelegenheit zum Verlieben zu geben, dafür sorgte, daß diese irgendeine Tochter des Rittmeisters um die Erlaubnis baten, sie fahren zu dürfen.

Und dabei war keine Zeit zu verlieren, denn die Schimmelmannschen Damen waren, nächst der jungen Gräsin Plustra, die ersten im Städtchen, und da stürzten natürlich gleich die Rittmeister und Premierleutnants darüber her und schnappten sie weg, ehe noch die Toiletten fertig waren.

Nasewitz versuchte es noch einmal mit Padderow, um seinen Mitteilungen an Schimmelmann doch nicht die Wahrheit zu rauben.

Aber der dicke Offizier blieb, trotz aller Überredungskünste, hart wie ein Stein.

»Ich kann die Alphonsine nicht fahren«, sagte er; »es ist ganz unmöglich ... meine erneute Annäherung würde die vielleicht im Verharschen begriffenen Wunden wieder aufreißen und das arme Mädchen abermals in Elend und Verzweiflung stürzen ... es geht nicht, alter Freund ... ihr Herz wird weniger brechen, wenn ich mich fern halte. - Nun, und wenn ich Alphonsine nicht fahre, kann ich eine andere Junge doch erst recht nicht auffordern ... das wäre ja eine absichtlich tödliche Beleidigung.«

Dagegen konnte Nasewitz natürlich nichts einwenden, und er billigte es auch zuletzt, daß Padderow die alte Justizrätin Schölplin kutschieren wollte.

Nun galt es also die beiden Fähnriche zu gewinnen, und das war wieder keine Kleinigkeit; denn die armen Jungen waren ja viel zu blöde und bescheiden, als daß sie es gewagt hätten, ihre Augen zu den Töchtern des Rittmeister Schimmelmann zu erheben.

Unter solchen Umständen ist es am besten, den Wein zum Bundesgenossen zu nehmen, und das tat Nasewitz denn auch.

Er ließ die beiden Fähnriche, Klötersdorf und Strammin, zum Frühstück bitten, stellte ein halbes Dutzend Flaschen und verschiedenen kalten Aufschnitt auf den Tisch und erwartete in fieberhafter Ungeduld seine Gäste, die sich mit militärischer Pünktlichkeit bei ihm einfanden.

»Guten Tag, lieber, guter Klötersdorf ... guten Tag, lieber, guter Strammin«, nahm er den ganz erstaunten Jünglingen eigenhändig Mantel und Mütze ab; »freue mich ganz außerordentlich, Sie einmal bei mir zu sehen... wie geht's denn... gut?... na, das ist ja schön... nun setzt Euch, Kinder... rot oder weiß... na... das erste Glas auf die Damen unseres Herzens!«

Die beiden Fähnriche, die schon beim Eintreten rot geworden waren, wurden noch röter und folgten des Leutnants Beispiel, indem sie mit einem Zuge austranken.

Nasewitz schenkte sofort wieder ein, und dann unter oberflächlichem Geplauder noch einmal und noch einmal. Ob seine Gäste etwas aßen, darum kümmerte er sich gar nicht; das war ihm vollständig gleichgültig.

»Na, Kinder, habt Ihr denn schon Eure Damen zur Schlittenfahrt?« fiel der ungeduldige Wirt dann plötzlich mit der Tür ins Haus.

»Ach nein«, sagte Klötersdorf... »wir wollten eigentlich beide allein fahren ...«

»Wir hielten es nicht für passend ...« ergänzte Strammin.

»Aber, was muß ich hören«, eiferte Nasewitz; »die Fähnriche spielen ja die Hauptrolle bei solchen Festen ... i, das wäre ja noch schöner ... wollt Ihr mir einen Gefallen tun, Kinder?«

»Mit großem Vergnügen«, sagte der dankbare Klötersdorf.

»Fordert ein paar Töchter vom Rittmeister Schimmelmann auf.

Die Fähnriche wurden jetzt karmesinrot im Gesicht.

»Das dürfen wir wohl nicht wagen «, meinte Strammin kleinlaut.

»Weshalb nicht... wagen darf man alles... der junge Mensch muß sogar wagen«, erregte sich der Offizier ... »das gehört zum Schlittenrecht: wer zuerst kommt, mahlt zuerst ... ein Korb darf nicht gegeben werden ... na, Klötersdorf, welche wollen Sie fahren ... die Cölestine... wie?

Der junge Mann wurde sehr verlegen.

»Oder eine andere?« setzte Nasewitz hinzu.

»Wenn ich dann ... gehorsamst um Fräulein Euphrosine bitten dürfte ...« schlug Klötersdorf die hellblauen Augen nieder.

»Schön... mir ist's egal... und Sie, lieber Strammin... die Melusine... wie?« ,

»Ach nein ...« stammelte der Fähnrich verlegen; »wenn ich gehorsamst dann um Fräulein Cölestine bitten dürfte...«

»Schön ... mir ist's egal... na, also noch ein Glas und dann geht Ihr gleich hin zum Rittmeister Schimmelmann und engagiert Euch Eure Damen.«

»Ach, könnten wir nicht vielleicht morgen?...« zögerte der schüchterne Klötersdorf.

»Ach was, morgen!« wies Nasewitz ab; »damit Euch andere zuvorkommen ... nicht wahr?... Noch ein Glas, Kinder, und dann vorwärts... ich begleite Euch bis an die Ecke, und wenn Ihr wieder herunterkommt, sagt Ihr mir Bescheid... na... ausgetrunken... wupp ... bis auf die Nagelprobe!«

Den beiden Fähnrichen gingen schon die Augen über, und von dem schnellen Trinken tanzte alles um sie herum.

»Nun kommt!« drängte Nasewitz; »Ihr müßt Euch aber lieber melden lassen, weil Ihr noch Fähnriche seid und es keine dienstliche Angelegenheit ist.«

Die drei nahmen Mantel und Mütze, kletterten die steile Zugbrücke der Veste Knelling hinunter und traten auf die Straße.

Als sie vielleicht vierzig Schritte gegangen waren, kam der kleine Doktor Klaubert des Weges daher und machte so große freundliche Augen, als wenn er die ganze Welt lieb hätte.

»Ach, Herr Leutnant«, lächelte der kleine Klaubert...

»Was wollen Sie denn, lieber Doktor ... wir haben es sehr eilig...«

»Ach, Herr Leutnant«, lächelte der kleine Klaubert ... »Sie haben doch die Schlittenfahrt arrangiert... könnten Sie nicht die Freundlichkeit haben, mir eine Dame zu verschaffen ... in unserer untergeordneten Stellung hält das so schwer...«

»Eine Dame wollen Sie haben«, entgegnete der aufgeregte Nasewitz schnell; »damit kann ich Ihnen dienen ... kommen Sie mit!«

Damit faßte er ihn am Arm und zog ihn mit sich fort die Straße weiter hinunter.

»Dürfte ich vielleicht fragen, wen Sie für mich bestimmt haben?« fragte der kleine Doktor, der sehr lange Schritte machen mußte, um dem Leutnant zu folgen.

»Eine Tochter vom Rittmeister Schimmelmann«, lief Nasewitz immer schneller ... »ich glaube Euphrosine...«

»Nein!« rief Klötersdorf.

»Oder... Cölestine...«

»Bitte!« opponierte Strammin.

»Ja, dann kann ich Ihnen nur noch die Melusine anbieten...«

Klaubert erglühte wie eine Rose.

»Ach, das wäre ja sehr schön«, lief er jetzt schon im kurzen Trab; »aber, darf ich denn das wagen ... der Herr Rittmeister ist immer so barsch und unfreundlich gegen mich ...«

»Unsinn!« sagte Nasewitz; »so, hier sind wir beim Rittmeister angekommen... also nun 'nauf!«

»Aber, Herr Leutnant...« stammelte Klötersdorf, während die beiden anderen auch ängstliche Gesichter machten.

»'nauf!« faßte sie Nasewitz alle drei und schob sie in den offenen Torweg; »ich erwarte Euch beim Tabakshändler Psalter an der Ecke.«

Nachdem die drei jungen Leute sich hatten melden lassen, machte Schimmelmann, der im gemeinschaftlichen Wohnzimmer allein war, ein verschmitztes Gesicht.

»Klötersdorf und Strammin beide zusammen«, überlegte er; »das hat mir gewiß der gute Nasewitz besorgt ... wahrscheinlich kommen sie, um Alphonsinens Hand zu begehren ... aber weshalb haben sie denn den Pflasterkasten mitgebracht? - Sie werden sich doch hier bei mir nicht die Hälse brechen wollen? Na... immer 'rein damit,« wandte er sich dann an die wartende Dörte... »wird mir sehr angenehm sein!«

Eine Minute später traten die beiden Fähnriche mit dem Doktor ein und rangierten sich, nach dem Dienstalter, in einem Gliede.

»Donnerwetter, haben die Kerls rote Köpfe«, dachte Schimmelmann; »denen sieht ja die Liebesleidenschaft aus allen Poren ... das wird 'ne nette Geschichte werden, wenn die hier das Kabbeln bekommen.«

»Na... was wollt Ihr denn?« brummte er endlich, weil keiner den Mund auftat.

Die ganze Linie bekam einen Schreck und fing an aus der Richtung zu kommen; dann ermannte sich aber Klötersdorf, der auf dem rechten Flügel stand, das Wort zu ergreifen.

»Herr Rittmeister«, sagte er mit ungeräusperter Stimme; »ich wollte mir die Ehre geben, Ihr Fräulein Tochter zur Schlittenfahrt aufzufordern.«

»Aha!« dachte Schimmelmann; »auf die Art fangen sie es also an... na... auch gut... es macht sich so auch noch natürlicher.«

»Also die Alphonsine!« fragte er dann in etwas milderem Ton.

»Nein ... Fräulein Euphrosine...« errötete Klötersdorf noch intensiver.

»Alphonsine!« schrie der Rittmeister ... »Sie verwechseln die Namen ... ich meine die älteste.«

»Und ich meine... ganz untertänigst... Fräulein Euphrosine... die zweite...« stotterte Klötersdorf.

Schimmelmann wollte erst aufbrausen; dann bezwang er sich und suchte den Fall mit seinem Verstande zu durchdringen.

»Daraus mag der Teufel klug werden«, dachte er; »die Alphonsine liebt er, und mit der Euphrosine will er fahren ... wenn das nicht eine verrückte Art und Weise ist, dann will ich ein Plundermaß werden... oder... halt... die Geschichte hat am Ende doch ihre Begründung ... der Kerl traut sich wieder nicht... er hat keine Courage, ihr gegenüberzutreten ... deshalb hat er ihren Namen auch nicht über die Lippen gebracht... er will sie vielleicht erst aus der Ferne beobachten ... oder sie eifersüchtig machen... oder, was weiß ich... na... lassen wir ihm also seinen Willen und greifen wir nicht eigenmächtig in die Räder des Schicksalswagens... nur keine Verantwortung auf sich laden, das ist die Hauptsache.«

»Euphrosine!« rief er dann in das anstoßende Zimmer.

»Ja, Papa!«

»Komm 'mal einen Augenblick herein!«

Das Mädchen erschien und wurde verlegen, als es die drei Herren gewahrte.

»Herr von Klötersdorf bittet um die Erlaubnis, dich nach dem Krähenbruch fahren zu dürfen«, redete Schimmelmann sie an.

Euphrosine errötete und schlug die Augen nieder.

»Na, willst du, oder willst du nicht?« ward der Alte ungeduldig.

»Ja doch, lieber Papa!« schrak das Mädchen zusammen.

»Gut; dann kannst Du wieder gehen!«

Euphrosine tat, wie ihr geheißen.

»Sie können auch abtreten, Klötersdorf«, wandte sich Schimmelmann an diesen.

Der Fähnrich machte militärisch kehrt und verließ das Zimmer.

»Was wollen Sie?« brummte der Alte dann den Herrn von Strammin an.

»Herr Rittmeister«, faßte sich dieser gewaltsam ein Herz, »ich wollte mir ebenfalls die Ehre geben, Ihr Fräulein Tochter zur Schlittenfahrt aufzufordern.«

»Na ja ... der auch«, dachte Schimmelmann ... »also die Alphonsine«, wandte er sich dann laut an den Fähnrich.

»Nein ... Fräulein Cölestine...« hauchte dieser.

»Alphonsine!« schrie der Rittmeister; »die älteste...«

»Cölestine...« erstarb der Fähnrich; »die dritte.. «

»Der Kerl macht's ebenso wie der erste«, dachte Schimmelmann; »es ist, als wenn sie sich verabredet hätten ... solche Blödigkeit ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen ... vielleicht ist es ja aber auch Politik... gefällt mir aber nicht...krumme Wege sind mir zuwider ... aber meinetwegen ... wie es kommen soll, wird es schon kommen.«

»Cölestine!« rief er dann in das anstoßende Zimmer.

Das Mädchen erschien und wurde verlegen, als es die beiden Herren gewahrte. »Herr von Strammin bittet um die Erlaubnis, dich nach dem Krähenbruch fahren zu dürfen.«

Cölestine errötete und schlug die Augen nieder.

»Na, willst du, oder willst du nicht?« brummte sie der Alte an.

»Ja doch, lieber Papa, sehr gern!«

»Gut, dann kannst du wieder gehen!«

Cölestine verschwand.

»Sie können auch abtreten, Strammin«, wandte sich Schimmelmann an diesen.

Der Fähnrich machte militärisch kehrt und trappste aus dem Zimmer.

Schimmelmann richtete nun seinen Blick auf den kleinen Doktor, als wenn er ihn verschlingen wollte.

»Na... und Sie?« grunzte er ihn endlich an.

»Ich wollte mir ebenfalls die Ehre geben, Ihr Fräulein Tochter Melusine zur Schlittenfahrt aufzufordern«, antwortete Klaubert mit einem seelenvergnügten Gesicht.

Der Alte wurde ganz struppig vor Staunen.

»Was!?« rief er endlich mit lauter, aufgebrachter Stimme; »Sie wollen Schlitten fahren... mit meiner Melusine?«

»Ja, Papa!« sprang die jüngste Schwester, die schon durch die Türritze auf ihren Namen gehorcht hatte, ins Zimmer.

»Was willst du denn?« wandte sich Schimmelmann brummig nach ihr um.

»Du hast mich ja gerufen, Papa.«

»Ist mir gar nicht eingefallen«, ereiferte sich der Alte; »der Doktor kommt hierher und will mit dir nach dem Krähenbruch fahren...«

»Ach, das ist ja reizend!« klopfte das Mädchen in die kleinen Hände.

»Ruhig!« rief der Alte; »und da wollte ich ihm bloß zu verstehen geben...«

»Daß ich einwillige... vielen Dank, lieber Papa!«

»Ruhig!«

»Auch meinen herzlichen Dank!« freute sich der kleine Klaubert über das ganze Gesicht; »also ich werde mir erlauben, Sie abzuholen.«

Damit machte er einen zivilistischen Diener und verließ das Zimmer.

»Der Kerl ist wohl verrückt geworden!« brauste Schimmelmann auf, als er mit seiner Tochter allein war.

»Wieso denn, Papachen?« fragte diese.

»Wie kann der Pflasterkasten sich unterstehen, dich Schlitten fahren zu wollen?«

»Du hast es ihm ja aber erlaubt, Papachen!«

»Der Teufel hat es ihm erlaubt; aber nicht ich!«

»Pfui, Papachen; wer wird so fluchen ... nun ist es doch nicht mehr zu ändern ...«

»Das weiß ich ... und das ärgert mich eben ...«

»Wieso denn? ... Euphrosine und Cölestine werden doch auch gefahren...«

»Das ist auch eine ganz andere Sache...«

»Weshalb ist es denn eine andere Sache, Papachen?«

»Ach, Unsinn ... das verstehst du nicht ... meinetwegen mag es nun so bleiben ... nun kannst du wieder gehen!«

Melusine machte ein schelmisches Gesichtchen und hüpfte aus der Tür.

»Die arme Alphonsine«, schüttelte der Rittmeister den Kopf; »was können ihr denn die drei Anbeter nutzen, wenn keiner mit ihr fährt... es kann noch kommen, daß sie ganz allein zu Hause bleiben muß ... na, wie Gott will... zuletzt wird sie doch die Glücklichste sein.« -

Der Leutnant von Nasewitz hatte mit verzehrender Ungeduld an der Ecke vom Tabakshändler Psalter gewartet.

Da kam Klötersdorf.

»Na ... haben Sie sie?«

»Ich habe sie, Herr Leutnant!«

»Bravo, mein Kind!«

Dann kam Strammin.

»Na haben Sie sie?«

»Zu Befehl, Herr Leutnant!«

»Bravissimo, mein Kind!«

Dann kam der kleine Doktor Klaubert.

»Na, wie steht's?«

»Gut, Herr Leutnant, ich fahre Fräulein Melusine.«

»Verstehen Sie denn auch das Fahren, Doktor?«

»Nun, ich werde mir schon ein Paar Pferde nehmen, Herr Leutnant.«

»Ihr habt alle drei Eure Sache vortrefflich gemacht ... nun kommt wieder mit zu mir ... damit wir den Wein austrinken...«

Die drei Verliebten nahmen die Einladung mit leichtem und freudigem Herzen an; denn der kritische Moment war ja glücklich vorübergegangen.

»Eine Stunde vor der Schlittenfahrt werde ich die Jungen wieder zum Frühstück einladen«, dachte Nasewitz; »das schlägt gut bei ihnen an.«

Fünf Minuten darauf saßen alle vier wieder in der großen Halle der Veste Knelling und zechten, daß es seine Art hatte, und als der letzte Tropfen Wein getrunken war, da gingen sie selig nach Hause und traten ordentlich ein bißchen mit einem Fuß über den andern, weil Wein und Freude zu stark auf sie gewirkt hatten. -

Den Tag vor der beabsichtigten Schlittenpartie war alles glücklich in Ordnung gebracht.

Der Oberst von Hollprägel fuhr, wie er beabsichtigt, die Gräfin Plustra; der kindliche Premierleutnant von Kreidefleck die kindliche Ursula Schölplin; der dicke Ströllpitz die Frau Assessor Glutstein: Padderow die Justizrätin Schölplin; Schwülenberg aus alter Anhänglichkeit Molly Möhrenstolz, oder eigentlich Molly Hitte; Plinker deren Schwester Charlotte; Klötersdorf die Euphrosine; Strammin die Cölestine; Klaubert die Melusine und Nasewitz selber, weil sie richtig keiner aufgefordert, die verlassene Alphonsine.

Rührbrägen hatte sich die Frau vom Buchdrucker Kajob und Drenkenberg die Gattin des Apotheker Schwalbach engagiert.

Was Sponeck betrifft, so dachte er erst so spät daran, als keine Dame mehr übrig war, und fuhr daher mit den anderen übriggebliebenen Herren.

Schimmelmann freute sich, daß Alphonsine nun doch noch einen Ritter gefunden, wenn derselbe auch nur von Gutmütigkeitsrücksichten geleitet wurde. -

Am nächsten Tage, als alle Beteiligten Mittag gegessen, entfaltete sich in Hasenbalg ein reges Leben.

Durch alle Gassen und Straßen klingelten die nun ganz nett ausstaffierten Schlitten, hinten auf der Pritsche ein Offizier im Sonntagsanzuge, mit der kurzstieligen Peitsche knallend, daß die Ackerbürgerfrauen hinter ihrem Spinnrad erschreckt zusammenfuhren, und die kleinen Kinder in der Wiege zu schreien anfingen.

Jeder Offizier fuhr nun zu der Wohnung seiner Dame, um sie abzuholen.

Da die Herren in den fünf Schlitten keine Diener bei sich hatten, weil für dieselben auf den kleinen Fahrzeugen kein Platz war und sie deshalb nach dem Krähenbruch vorausgeschickt wurden, um die Pferde auszuspannen, so mußten die Damen schon allein die Treppe herunterkommen und sich ihren Rittern zur Verfügung stellen.

Die kleine dicke Mama ging voran, kniete, vom Adjutanten respektvoll begrüßt, eine ganze Weile vor ihm herum und stieg endlich in den Schlitten, wo ihr eine warme Decke übergebreitet wurde.

Dann kam Alphonsine, auf deren hübschem Antlitz man keine Spur des Kummers mehr entdeckte. Sie lächelte Nasewitz freundlich an, stieg leicht und graziös in den Schlitten und beantwortete heiter die an sie gerichteten Fragen.

Als Euphrosine erschien, wurde Klötersdorf feuerrot im Gesicht, dann wollte er eine sorgsam vorbereitete Begrüßungsformel hersagen, verhedderte sich aber, wurde noch röter und vergaß seiner Dame beim Einsteigen behilflich zu sein. Diese lächelte und besorgte sich das Nötige selbst. Blödigkeit ist immer ein guter Empfehlungsbrief bei den Damen, denn sie halten dieselbe für die Wirkung ihres Liebreizes und ihrer Schönheit; erklärt sich jedoch späterhin die Schüchternheit als dauernd, dann ist sie nicht mehr gern gesehen. An den Courmacher stellt man eben andere Anforderungen als an den Herrn Gemahl. Mit den Zeiten verändern sich die Sitten.

Cölestine ging es mit ihrem Strammin nicht viel besser, aber es ging doch. Auf die Formen kommt es ja überhaupt nicht an, sondern nur auf den guten Willen.

Die kleine Melusine war am lustigsten. Um sich nicht zu beschmutzen, hob sie in ihrer freudigen Erregung die Röckchen ein klein wenig zu hoch, lief nach dem für sie bestimmten Schlitten, nickte dem Doktor Klaubert mit kindlicher Heiterkeit zu, sprang auf ihren Sitz und schlug sich dann lachend die warme Decke um die kleinen, zierlichen Füßchen.

Ganz zuletzt kam der alte Schimmelmann, der seine Herren, bis auf den Doktor Klaubert, freundlich grüßte und dann nach dem Gasthof zum »Deutschen Hause« ging, wo die Schlitten für die übrigbleibenden Herren warteten.

Nasewitz hatte die ganze Szene mit aufmerksamem Auge beobachtet.

»Na!« dachte er; »für die zwei Flaschen Wein, die mir die beiden Fähnriche vorhin ausgetrunken haben, sind sie noch wie die Eiszapfen ... und mit solchen Bundesgenossen soll man den Sieg erringen.«

Rappenstill knallt vorn, und der erste Schlitten klingelte dem Markt zu, wo allgemeines Stelldichein war; Klötersdorf und Strammin folgten auf dieselbe Weise.

Der kleine Doktor, der des Fahrens gänzlich unkundig war, ruckte und zottelte mit der Leine, um die Pferde zum Anziehen zu veranlassen.

»Hott... hott!« machte Melusine, und der Schlitten setzte sich in Bewegung.

Klaubert, der die Sache wieder gutmachen und sich überhaupt ein Ansehen geben wollte, gab sich verzweifelte Mühe, seine lange Peitschenschnur zum Knallen zu bringen, schlug aber nur dem alten Zieme um die Ohren, der wie ein freundliches Meerschweinchen vor der Tür stand und die Hände über den Bauch gefaltet hatte.

»Mein Gott, wir fahren ja falsch«, griff Melusine in die Zügel; »wir kommen ja aus der Reihe.«

Klaubert, der hinter ihr auf der Pritsche ritt, machte ein freundliches Gesicht und schämte sich durchaus nicht.

Der alte Zieme wunderte sich, wo der Schlag hergekommen wäre, ging dann einmal in die Stube und schmiß zur Schmerzstillung einen kleinen Kümmel hinunter.

Auf dem Markt waren nun alle Schlitten aufgefahren; das Trompeterkorps, in einem Leiterwagen, den man auf eine Schleife gesetzt hatte, auf dem rechten Flügel; dann, nach der Altersfolge, die Offiziere mit ihren Damen, und auf dem linken Flügel die Schlitten mit den übriggebliebenen Herren.

Der alte Oberst Hollprägel, der glau und kasch wie ein Fähnrich hinter der bleichen Gräfin Plustra saß, gab das Zeichen zum Abfahren, die Musik spielte einen lustigen Marsch, der Zug setzte sich in Bewegung, die Schlitten klingelten, die Peitschen knallten, die Sonne lachte, die Hunde bellten, und die Bürger und Bürgerinnen, die vor den Häusern standen oder in den Fenstern lagen, machten teils dumme, teils erstaunte Gesichter. So wand sich die lange Linie der Schlitten, wie eine bunte Schlange, durch die Straßen aus dem Plettiner Tor und kroch dann schnellen Laufes auf der glatten Chaussee fort.

Gesprochen wurde bis jetzt noch ziemlich wenig.

Die Situation war zu neu; manche Herren mit ihren Damen nicht recht bekannt; die Unterhaltung wollte sich noch nicht recht finden lassen.

Der alte Oberst Hollprägel machte der Gräfin Plustra noch am eifrigsten den Hof. Nasewitz hatte sich mit Alphonsine in ein fesselndes Gespräch eingelassen; die beiden Fähnriche redeten kein Wort; die kleine Melusine machte ab und zu eine heitere Bemerkung zum Doktor Klaubert, der sich jedesmal furchtbar darüber freute; der Premierleutnant von Kreidesieck dalberte mit der dalbrigen Ursula Schölplin; Padderow entzückte die alte Justizrätin von Zeit zu Zeit durch seinen mittelalterlichen Redeschwall, und der alte Graf vergnügte sich über die Faxen, die ihm Fräulein Molly vormachte.

Nach einer lustigen Fahrt von einer kleinen Stunde langte man vor dem Försterhause zu Krähenbruch an, das am Anfang eines kleinen Fichtenwaldes lag.

Nachdem die Trompeter draußen unter einer offenen Halle sich ebenfalls an warmem Trank gelabt, bliesen sie eine lustige Polka.

»Ach, du lieber Gott«, erbleichte der Fähnrich von Klötersdorf, der nicht tanzen konnte ;» wenn ich das geahnt hätte, wäre ich krank geworden und zu Hause geblieben, was soll ich Ärmster nun wohl anfangen?!«

Natürlich tanzten die Herren den ersten Tanz mit den Damen, die sie gefahren.

Der alte Hollprägel trat galant zur Gräfin Plustra und drehte sich dann mit ihr so niedlich herum, daß es ein Vergnügen war, dem Paar zuzuschauen.

Die anderen Herren schlossen sich dem ersten Paar an, nur Fräulein Euphrosine Schimmelmann sah sich vergebens nach ihrem Ritter um, der sich in eine Ecke am Ofen gedrückt hatte und vor Scham hätte in die Erde sinken mögen.

Da bemerkte der Justizrat Schölplin die übriggebliebene Dame, trat zu ihr, bat um den Tanz, der auch gewährt wurde, und entledigte sich dann seiner Aufgabe mit einer so steifen Würde, als hätte der Herzog von Alba mit der Königin von Spanien getanzt.

»Nanu!« dachte der alte Schimmelmann; »die Geschichte ist richtig, wie ich sie mir gedacht habe... der Klötersdorf ist zu blöde gewesen, die Alphonsine zur Schlittenpartie aufzufordern, und nun tut's ihm leid... nun mag er mit der Euphrosine nicht tanzen und überläßt sie lieber dem alten Affen von Justizrat... das kommt davon, wenn man zu schüchtern ist... und der Padderower tanzt aus reiner Verzweiflung mit der dicken Justizrätin ... da hat er eben die Alphonsine angesehen, die mit Nasewitz tanzt... wie sich das gute Kind bezwingt... sie ist ordentlich freundlich zu ihm ... da sieht sie Padderow schon wieder an ... ja ja, weshalb hast du deine Gelegenheit nicht wahrgenommen... besser konnte es dir gar nicht geboten werden ... freut mich wenigstens, daß seine Gefühle echt waren... er kann sie ja noch nicht verleugnen ... da hat er schon wieder die Augen hin ... hm hm, tut mir eigentlich leid, der arme Kerl... aber er ist zu blöde, und dann hat er auch 'nen Sparren zuviel... bringe mir noch ein Glas Punsch, du!«

»Das freut mich in der innersten Seele, daß der Nasewitz sich solche Mühe mit der Alphonsine gibt«, dachte Padderow, während er sich zierlich mit der dicken Justizrätin herumdrehte... »es schlägt aber auch an, wie es scheint... sie lächelt schon ... sie scherzt mit ihm ... ich will mich nur nachher ein bißchen fern von ihr halten, damit mein Anblick die alten Gefühle nicht von neuem in ihrem Busen wachruft... wie leicht die Weiber vergessen... diesmal ist's freilich, besser so ... werden Sie schon müde, meine Gnädige?«

»Ach nein... durchaus nicht!« stöhnte die dicke Justizrätin.

»Oh, dann wollen wir doch ja aufhören«, walzte Padderow mit ihr in einen entfernten Winkel, woselbst ihr Stühlchen stand.

Dann holte er sich ein Glas Punsch zur Selbstbelohnung und schlürfte es behaglich aus.

»Was mir das lieb ist, daß sich die Alphonsine über meinen Verlust getröstet hat«, freute er sich; »und der alte Schimmelmann macht auch ein solch niedliches Gesicht... der hat sich die Geschichte natürlich auch aus dem Kopf geschlagen... ah... wollen zur Feier dieses glücklichen Ereignisses noch ein Gläschen trinken.«

»Na, was ist denn das mit dem Klötersdorf«, wunderte sich Nasewitz; »der verkriecht sich hinter dem Ofen und läßt den Justizrat mit seiner Dame tanzen ... das ist aber denn doch zu arg...«

Der alte Graf raste mit seiner Molly wie ein Pfeil dahin und machte dabei ein so übereifriges Gesicht, als wenn er auf seinem mageren Fuchs in der Attacke ritt.

Das schöne Mädchen hing wie ein selig lächelndes Kind in seinem Arm, und ihre lange rosa Schärpe schlang sich um seinen Leib, als wenn sie ihn mit sanften Banden noch inniger an sich ziehen wollte.

»Ach«, blickte sie schüchtern und verschämt zu ihm empor; »das war so schön, was Sie mir eben gesagt haben.«

»So?« erwachte Schwülenberg aus seinem Traum; »habe ich denn etwas gesagt? - Na, das ist mir lieb, wenn ich was gesagt habe.«

»Herr Doktor, Sie sehen ja so lustig aus ...worüber freuen Sie sich denn so?« fragte die kleine Melusine ihren Tänzer.

»Ach!« hoppste dieser weiter; »ich freue mich ... ich weiß selbst nicht recht worüber.«

Der Walzer war zu Ende, die Herren führten die Damen zu ihren Stühlen zurück und labten sich dann an einem Glase heißen Punsches.

»Hören Sie 'mal, Klötersdorf, was soll denn das heißen«, wandte sich Nasewitz zu dem Fähnrich hinter dem Ofen; »weshalb tanzen Sie denn nicht mit Ihrer Dame... das ist ja eine furchtbare Taktlosigkeit!«

Der junge Mann geriet in die größte Verlegenheit.

»Ach, Herr Leutnant, ich bitte tausendmal um Entschuldigung«, stammelte er ... »ich kann nicht tanzen ... ich habe es nicht gelernt...«

»Unsinn!« zürnte Nasewitz; »das glaubt Ihnen ja kein Mensch ... mit solchen Flausen kommen Sie bei uns nicht durch.«

Dann ging er einen Augenblick hinaus und sprach mit dem Stabstrompeter.

Gleich darauf erklang das Vorspiel einer Polka.

»Nullpolka!« rief Nasewitz als Festordner mit lauter Stimme.

Ein freudiges Gemurmel lief durch das Zimmer, als wenn die Idee großen Beifall gefunden hätte, und dann forderten die Damen ihre Kavaliere auf, die sie gefahren.

Euphrosine, die endlich ihren Fähnrich hinter dem Ofen entdeckt hatte, trat lächelnd zu ihm und machte ihm einen tiefen Knix.

»Darf ich Sie um diesen Tanz bitten, Herr von Klötersdorf?« fragte sie mit liebenswürdiger Zartheit.

Dem unglücklichen Menschen schoß das Blut siedendheiß in den Kopf, so daß es aussah, als wenn er plötzlich die Gesichtsrose bekommen hätte.

Die Musik begann nach einer Pause von neuem.

»Wenn Sie so gut sein wollen«, reichte ihm Euphrosine die Hand.

Was sollte Klötersdorf machen? - Abweisen konnte er seine Dame unmöglich, also auf gut Glück das kühne Wagnis bestanden.

Er wußte nicht einmal, wie er sie anfassen sollte. Anstatt den rechten Arm um ihre Taille zu schlingen, legte er die Hand auf ihre Schulter.

»Aber, bitte«, errötete das Mädchen und schob die Hand fort, die dann unwillkürlich an die richtige Stelle zu liegen kam.

»Reichen Sie mir die Linke!«

Klötersdorf tat es.

Dann machte er die Augen halb zu, horchte in seiner Todesangst nach einem neuen Takt, fing dessenungeachtet zwei Achtel zu spät an und trippelte nun, im grellen Widerspruch zu dem musikalischen Rhythmus, um seine Tänzerin herum, ohne mit ihr von der Stelle zu kommen.

»Mein Gott; was machen Sie?« flüsterte diese.

Dem jungen Menschen wurde es schwarz vor den Augen.

»Vorwärts, Fähnrich!« rief der alte Graf, mit seiner Molly an ihm vorüberrasend.

»Er kann wirklich nicht«, beobachtete Nasewitz, während er mit Alphonsine polkte; »ich möchte mich mit meinem Pech für Geld sehen lassen.«

»Der Klötersdorf zieht ja die Beine wie eine Fliege, die aus der Buttermilch will«, schmunzelte Schimmelmann; »ich hab's ja gleich gesagt... mit Euphrosinen kommt er nicht in Zug ... die Alphonsine steckt ihm in den Gliedern ... nein, und der Padderow, wie freundlich er wieder nach ihr hinsieht... armer Kerl... tut mir leid... wenn man ihm ein bißchen helfen könnte... lieber wie die beiden pappstofflichen Junker ist er mir noch immer ...«

»Vorwärts, Fähnrich!« raste der alte Graf zum zweitenmal an diesem vorbei; »Sie stehen ja im Wege... Sie stören ja die Tanzordnung...«

»Wie stark und soldatisch Sie sind!« lächelte Molly zu ihm empor.

»Na, ich danke«, entgegnete der alte Graf; »jetzt geht's wieder mit dem Rheumatischen ... wenn ich warm werde, sind meine Beine immer am besten.«

Die ganze Gesellschaft hatte nun schon die Blicke auf Klötersdorf und seine Tänzerin gerichtet.

»Um Gotteswillen«, hauchte diese; »lassen Sie uns wenigstens vorwärts kommen.«

Der unglückliche Fähnrich gab sich einen Schwung, wollte in seiner Verzweiflung losrasen, wie der alte Graf, verwickelte sich aber mit dem Sporn in Euphrosinens Kleid und lag im nächsten Augenblick der Länge lang zu ihren Füßen.

Sofort entstand eine Stockung unter den tanzenden Paaren; die Damen kreischten, die Herren lachten; aber Euphrosine, anstatt, wie es manche andere getan haben würde, ebenfalls zu kreischen und zu entfliehen, reichte dem armen Klötersdorf die Hand und half ihm empor.

»Verzeihen Sie mir«, sagte sie mit leiser Stimme; »ich hätte mir das denken können... ich bin schuld an der Unannehmlichkeit.«

Dem Fähnrich fielen die Worte wie lindernder Balsam in die geängstigte Seele und fast unwillkürlich zog er die Hand des Mädchens an seine fiebrisch glühenden Lippen, dann führte er seine Tänzerin zu ihrem Platz zurück.

Sie hatte Mitleid mit ihm gefühlt, und das Mitleid ist eine gefährliche Sache für das schöne Geschlecht. - Was Liebe, Gewalt, Gewinnsucht über das weibliche Herz nicht vermögen, das bewirkt das Mitleid oft auf eine wunderbare Art. »Da haben wir die Geschichte«, brummte Schimmelmann; »unrecht Gut gedeihet nicht ... nun wird er die Euphrosine wohl zufriedenlassen.«

»Bravo, bravo!« freute sich Nasewitz mit seinem feinen Menschenkennerblick; »der Zufall ist doch oft ein trefflicher Bundesgenosse.«

Es wurden noch fünf bis sechs Tänze getanzt, an denen weder Klötersdorf noch Euphrosine sich beteiligten, und dann wurden die Vorbereitungen zur festlichen Tafel getroffen.

Tische und Stühle wurden hereingetragen, weiße Tücher darüber gedeckt, Teller, Gläser, Flaschen hingesetzt, und in der Küche hatte die Frau Försterin mit ihrem Mädchen vollauf zu tun, um den Braten warm zu machen, die benötigten Kartoffeln zu kochen und alles Mitgebrachte sauber auf Schüsseln und Näpfe zurechtzulegen, damit es nicht bloß gut schmecke, sondern auch recht appetitlich aussehe.

Als nun die dampfenden Braten erschienen,führten die betreffenden Herren ihre Damen zu Tische, und die Übrigbleibenden plazierten sich an beiden Enden der langen Tafel.

Schimmelmann, der schon tüchtig Punsch getrunken hatte, aß nach Leibeskräften, wobei er auch das Trinken nicht vergaß, und Padderow, der, seiner Gewohnheit treu, wieder gehörig die Nase ins Glas gesteckt, gab sich die größte Mühe, mit dem kühlen Rotwein die durch den Punsch verursachten Gluten zu dämpfen.

Der Vorfall mit Klötersdorf und Euphrosine war beinahe vergessen, und alles aß, trank und schwatzte durcheinander, daß man kaum sein eigenes Wort verstehen konnte.

Nachdem man wohl eine gute Stunde getafelt und natürlich auch einige Gesundheiten ausgebracht hatte, erhob sich die Gräfin Plustra und gab dadurch das Signal zum allgemeinen Aufstand.

Ans Fortfahren ward deshalb aber noch nicht gedacht.

Die Gesellschaft zerstreute sich in kleinere Gruppen, je nachdem sie zueinander gezogen wurden.

Die verheirateten Damen saßen zusammen, einige Offiziere, unter ihnen der süße Kreidefleck, hielten es für ihre Pflicht, sie angenehm zu unterhalten; die jungen Damen aber hatten sich möglichst einzeln plaziert, um so ungestört wie möglich mit ihren Verehrern plaudern zu können und um so wenig wie möglich von Schwestern oder Freundinnen behorcht zu werden.

Der Rittmeister Schimmelmann, der weder zu den alten, noch zu den jungen Damen eine besondere Hinneigung fühlte, saß in einer halbdunklen Ecke und schaute in seligster Weinlaune auf das bunte Treiben im Zimmer.

Obgleich er für gewöhnlich niemals Wein trank, so pflegte er bei solchen Gelegenheiten, wo es auf gemeinschaftliche Kosten ging, seinen Preis gut herauszuschlagen, und deshalb hatte er auch heute das Mögliche geleistet und befand sich in so weicher Gemütsstimmung, daß er die ganze Welt hätte umarmen können.

Da fiel sein Blick zufällig auf Padderow, der ebenfalls ganz gehörig angesäuselt war, und dessen Kopf so rot glühte, daß er förmliche Strahlen auswarf.

»Liebster Freund«, nickte ihm Schimmelmann zu.

Der dicke Offizier wandte das Haupt und lächelte.

Schimmelmann hielt den rechten Zeigefinger empor und krümmte ihn dann viermal hintereinander, als wenn er den andern mit einem Liebeshäkchen heranziehen wollte.

Padderow verstand den Wink und trat näher.

»Setzen Sie sich ein bißchen zu mir«, legte der Rittmeister die Hand auf einen neben ihm stehenden Stuhl.

Der dicke Leutnant tat nach seinem Wunsch.

Dann sahen sich beide eine ganze Weile sehr freundlich an, ohne miteinander zu sprechen.

»Sie sind doch ein netter Mensch«, klopfte endlich Schimmelmann seinen Nachbar freundlich auf die Lende.

»Herr Rittmeister sind zu gütig ...« lächelte Padderow mit seinem gedunsenen Kopf.

Schimmelmann rückte noch ein bißchen näher zu ihm heran.

»Die anderen haben sich gut einen hinter die Binde gegossen«, flüsterte der Alte ,.. »sehen Sie 'mal, wie der dicke Ströllpitz pustet.«

»Ja!« pustete auch Padderow; »mit dem ist's richtig.«

»Sehen Sie, das gefällt mir auch an Ihnen, daß Sie sich nie die Nase begießen«, fuhr der Rittmeister fort; »Sie bleiben immer derselbe, wenn Sie ein Glas getrunken haben... Sie reden keinen Unsinn ... Sie werden nicht zärtlich ... das kann ich in den Tod nicht leiden«, streichelte er seinem Nachbar den feisten Rücken.

»Nein, ich auch nicht!« stöhnte Padderow.

»Sehen Sie bloß, wie der dicke Ströllpitz übertritt«, neigte sich Schimmelmann so weit seitwärts, daß er sich an Padderows Schulter lehnte... »er kann's Gleichgewicht kaum halten... da lob' ich doch uns beide... wir stehen wie die Felsen im...«

»Hoho!« unterbrach er sich da plötzlich, weil Padderow dem Druck nachgegeben und beinahe vom Stuhl gefallen wäre; »was ist denn das ... was machen Sie denn?«

»Ich wollte nur mein Glas nehmen, das ich da hingestellt habe«, entschuldigte sich der Dicke, wieder Stellung nehmend.

Schimmelmann rückte sich ebenfalls wieder zurecht.

Dann sah er seinem Nachbar lange mit einer gewissen, wehmütigen Freundlichkeit ins Antlitz und drückte ihm schließlich warm und fest die Hand.

Padderow erwiderte den Druck ebenso herzlich.

»Armer Mensch!« nickte er ihm dann zu.

Der andere schien nicht recht zu wissen, was er darauf antworten sollte.

»Sie tun mir leid . .. Sie sind elend«, fuhr der Rittmeister, immer weicher werdend, fort.

»Weshalb soll ich denn elend sein?« dachte Padderow.

»Glauben Sie vielleicht, daß ich Ihre Verzweiflung nicht bemerkt habe?«

»Meine Verzweiflung!« überlegte der Dicke; »ich wüßte doch gar nicht, wo ich in Verzweiflung gewesen wäre.«

»Seien Sie fest überzeugt, lieber Freund, daß ich den aufrichtigsten Anteil an Ihrem traurigen Schicksal nehme«, bekam Schimmelmann schon feuchte Augen.

»Sollte sich mit meinen Gläubigern etwas ereignet haben?« schoß es Padderow durch den roten Kopf.

»Denn Sie haben es eigentlich nicht verdient... Ihre Absichten sind die besten ... darin setze ich nicht den geringsten Zweifel ... aber es wird nichts ...«

Der dicke Offizier sah ihn groß und beinahe ängstlich an.

»Es ist Ihnen einmal nicht gegeben«, fuhr der Rittmeister fort; »Sie bringen es nicht fertig ...«

Padderow wurde immer gekniffener.

»Ich habe mich davon überzeugt, liebster Freund... und deshalb bin ich heute abend zu dem reiflichen Entschluß gekommen, Ihnen noch einmal zu helfen ... Ihnen entgegenzukommen ...«

Der dicke Offizier dachte vergeblich darüber nach, was Schimmelmann eigentlich mit ihm anfangen wollte.

»Kommen Sie näher 'ran, Kind ... ich will Ihnen eine vertrauliche Mitteilung machen ...« näherte der Alte seinen bärtigen Mund dem roten Ohr seines Nachbars.

Padderow machte ein verlegen aufmerksames Gesicht.

»Die Alphonsine hat jetzt noch zwei andere Anbeter ...«

»Ah!« leuchtete der Feiste auf; »da wollte er hinaus ... Gott sei gelobt!«

»Die ich Ihnen natürlich nicht nennen kann«, tuschelte Schimmelmann weiter.

»Verlange ich auch gar nicht«, wisperte Padderow zurück.

»Sie würden Sie töten ...« wurde der Alte ernst.

Padderow schwieg, weil er nicht bejahen konnte.

»Aber es soll zu keinem Blutvergießen kommen ... eine Erklärung ist noch nicht erfolgt... und um einer solchen vorzubeugen, sage ich Ihnen hiermit offen und frei, daß ich Ihnen den Vorzug gebe.«

Der dicke Leutnant bekam einen furchtbaren Schreck.

»Sie haben die ältesten Rechte auf meine Alphonsine...« rollten Schimmelmann die dicken Tränen über die pockennarbigen Wangen; »Sie haben sie geliebt und lieben sie noch ...«

Padderow wollte unwillkürlich eine Einwendung machen.

»Sie sind bloß zu schüchtern gewesen, es ihr zu sagen ...« schluchzte der Rittmeister; »aber Sie sind dennoch verstanden worden ... Sie werden auf eine fabelhafte Weise von ihr geliebt ... Sie haben beinahe ihr Herz gebrochen ... das Kind beherrscht sich nur ... sie will ihren Eltern keinen Schmerz bereiten . ..«

»Aber, ich bitte Sie um Gotteswillen, Herr Rittmeister ...« brach» Padderow der Angstschweiß aus.

»Ängstigen Sie sich nicht, Kind ... es wird ja bald besser werden ... wenn Sie erst den Mut gefaßt haben, ihr zu sagen ...«

»Ich beschwöre Sie, Herr Rittmeister ...«

»Weiß ja, weiß ja... will Sie ja nicht übereilen, Kind. .. will Ihnen ja vollständige Zeit lassen, bis Sie Ihre Schüchternheit überwunden haben ... die anderen sind ja auch schüchtern ... ängstigen Sie sich doch nur nicht, und vor allen Dingen lassen Sie die Verzweiflung.«

»Aber ich bin ja gar nicht«, wollte Padderow ihm in die Rede fallen.

»Das freut mich, daß ich Sie getröstet habe«, streichelte ihm Schimmelmann die dicken Backen; »Sie sind übrigens ein edler Mensch, Sie wollen mir Ihre Gemütsstimmung verbergen, um mir keinen Schmerz zu bereiten ... aber ich weiß recht gut, daß Sie aus Verzweiflung die dicke Justizrätin gefahren haben ...«

»Herr des Himmels!« stöhnte Padderow.

»Sie sind auch ein frommer Mensch, weil sich Ihr erster Gedanke im Glück nach oben wendet«, weinte der Rittmeister. Der dicke Offizier faßte in seiner Seelenangst Schimmelmanns beide Hände und neigte sich zu ihm, als wenn er sprechen wollte.

»Ja... ja...« küßte ihn der alte Rittmeister; »ich weiß es ja ... Sie sind auch ein guter Mensch... Sie haben mich aufrichtig lieb ... mit welcher Hingebung und Gefälligkeit haben Sie die Baßtuba gelernt, weil Sie glaubten, mir eine Freude damit zu machen ... und nachher war es ein bloßes Mißverständnis ... da haben Sie sich noch lächerlich gemacht, um meinetwillen. .. das ... das ... war ein zu schöner Charakterzug von Ihnen ... das vergesse ich Ihnen in meinem ganzen Leben nicht.«

»Gott sei mir gnädig!« ächzte Padderow in den Tiefen seiner Seele.

»Wollen wir noch ein Glas Punsch zusammen trinken, Kind?«

Was konnte der arme Padderow dagegen haben?« - Seine Kraft war ermattet, sein Wille gelähmt, seine Energie gebrochen.

»Nun, lebe wohl, du guter Junge!« fiel ihm Schimmelmann heulend um den Hals, nachdem die Gläser geleert waren; »sie dürfen uns nicht so lange beieinander sehen ... das könnte auffallen ... gib mir noch 'n Kuß, Junge... du hast sie verdient... du ... sollst sie haben ... aber keine Übereilung ... gerade, wenn dir so zumute ist... adieu ... auf Wiedersehen, alte, ehrliche Seele.«

Darauf stackerte der Rittmeister, mit naßgeweinten Wangen, und sich mit großer Mühe im Gleichgewicht erhaltend, zu dem dicken Ströllpitz, dem er in seiner Seligkeit ebenfalls einen Kuß gab.

Padderow setzte sich wie ein flügellahmer Vogel traurig in eine Ecke.

»Es ist gräßlich!« keuchte er; »ich werde die Geschichte nicht los... das wird noch mein Unglück... und das habe ich alles dem Nasewitz zu verdanken ... freilich hat er es gut gemeint ... er wollte mich retten . .. über das falsche Mittel, das er ergriff, ist bereits unser edles Blut geflossen... und hat den Fehler gesühnt... deshalb konnte ich ihn heute nimmer verraten . .. wenn ich dem alten Schimmelmann den wahren Sachverhalt mitgeteilt hätte, war ich heraus, und er saß d'rin ... aber das sei ferne von mir... lieber nimmt sich der Padderower das Leben, ehe er einen Freund verrät, der sich jetzt beinahe zerreißt, um den begangenen Fehler gut zu machen. Ich sehe keinen Ausweg mehr... und meine Tage sind vielleicht gezählt.«

»Kommen Sie her... geben Sie mir 'n Kuß... Sie sind auch ein guter Mensch«, umarmte Schimmelmann den langen Nasewitz, der ihm gerade in die Quere kam; es gibt doch recht viele gute Menschen in der Welt!«

»Na, der Alte hat's aber heute doch ein bißchen zu gut gemeint«, blickte ihm Nasewitz lächelnd nach, als er auf den Obersten lossteuerte.

Nachdem man noch ein halbes Stündchen geplaudert, ward es Zeit, an den Aufbruch zu denken.

Während die Schlitten angespannt wurden, trat der alte Hollprägel mit artiger Höflichkeit zu seiner Dame, der Gräfin Plustra, und bat um das Schlittenrecht.

Die junge Frau errötete und blickte fragend ihren Gatten an, der ihr zur Seite stand.

»Das kannst du immer tun, Georgina«, lächelte der Graf; »das ist altes Recht und honny soit qui mal y pense

Die Gräfin wollte dem Obersten die Wange reichen, dieser streifte aber mit geschickter Bewegung einen Kuß von ihren zarten Lippen.

»Einen Kuß in Ehren, kann niemand wehren, und wenn man sich nichts dabei denkt, dann hat man sich auch keine Skrupel darüber zu machen.«

Die Gräfin Plustra dachte und empfand nichts dabei; war dasselbe bei den anderen Damen auch der Fall?

Als die Offiziere sahen, daß der Oberst das Recht geltend gemacht hatte, beeilten sie sich, seinem Beispiel Folge zu leisten.

Der alte Ströllpitz ging auf die Frau Assessor Glutstein zu und machte eine stumme Verbeugung, durch die er seine Bitte ausdrücken wollte.

Die welke Frau suchte zu erröten und neigte leis die bleiche Stirn nach vorn.

Ströllpitz spitzte schon vorher die dicken Lippen, suchte sich mit seinen roten, hervorquellenden Augen einen geeigneten Punkt aus, bog sich dann zu dem süßen Ziel hinab, verlor das Gleichgewicht und fiel im nächsten Moment der guten Dame um den Hals.

»Ach Gott!« kreischte diese auf.

»Bitte tausendmal um Entschuldigung«, suchte Ströllpitz sich von ihr aufzurichten, wobei er noch näher mit ihr in Berührung geriet.

Da kam der freundliche Assessor Glutstein hinzugelaufen, faßte von hinten den dicken Leutnant um die Taille und wuchtete ihn so wieder in die Höhe. »Meinen besten Dank!« reichte ihm Ströllpitz die Hand.

»Sie sind sehr gütig«, schlug der Assessor ein, nachdem er die seine abgewischt. -

»Mein gnädig Fräuleinchen, darf ich Sie um ein Küßchen bitten«, lächelte der alte Kreidefleck wie ein kleiner Junge, der um einen Apfel bettelt.

»Ach, bitte, nein«, drehte die kindliche Ursula den Kopf nach rückwärts.

»Die Mama sieht's ja nicht.«

Das Fräulein wandte den Kopf zurück, um sich davon zu überzeugen, und wupp... hatte sie ihr Küßchen weg.

»Ach Gott...« paute sie, mit niedergeschlagenen Augen.

Er hatte ihr gar nicht geschmeckt, aber sie zierte sich doch damit. Verständnis für die Sache war jedenfalls vorhanden.

Padderow, der trotz seines Kummers und seiner gelähmten Seele dennoch die Ritterlichkeit gegen das schöne Geschlecht nicht aus den Augen setzen wollte, trat matt und schlotternd zu seiner Dame, aber seine Zunge war nicht imstande, die keusche Bitte zu lallen.

»Ach Gott, Herr von Padderow«, drehte die alte Justizrätin auf ihrem Stuhl.

Der dicke Leutnant stand unbeweglich vor ihr, betäubt und niedergedrückt von seines Hauses Mißgeschick.

»Aber... meine Tochter sieht ja her, Herr von Padderow«, kam ihm die Dame immer etwas näher.

Der Dicke rührte kein Glied, sondern starrte dumpf vor sich hin auf den Boden.

»Was soll das Kind wohl von mir denken, Herr von Padderow?«

Mit diesen Worten war sie ihm ganz nahe gerutscht, und da er durchaus keine Anstalten machte, hauchte sie einen schnellen Kuß auf seine roten, wulstigen Lippen.

»Ach, pfui doch ... wie kann man so ungezogen sein!« hielt sie sich nachher schamhaft das Taschentuch vor die Augen. -

»Na; was steht Ihr denn wieder wie die Stöcke«, tuschelte Nasewitz den beiden Fähnrichen zu; »wollt Ihr wohl gleich Euer Schlittenrecht fordern!«

Die jungen Leute wurden rot und traten zu ihren Damen.

Euphrosine reichte Klötersdorf die Hand, und dieser drückte einen schüchternen Kuß darauf.

Das zartfühlende Mädchen wollte die Sache so schnell wie möglich abmachen, um nicht den unglücklichen Auftritt beim Tanz wieder ins Gedächtnis zu rufen.

Strammin war schon kühner und küßte Cölestinens Stirn.

Der kleine Doktor Klaubert, der Melusinen den ganzen Abend nicht von der Seite gegangen war, sah sie mit seinen großen Augen so freundlich an, als wenn er sich unbeschreiblich glücklich fühlte.

»Na!« nickte das kleine Fräulein, ebenso lustig; »was wollen Sie denn?«

Der Doktor trat einen halben Schritt näher und sah jetzt beinahe aus wie ein treues Hündchen, das mit dem Schwänzchen wedelt.

»Na, sagen Sie es doch ... immer offen ... einen Kuß?«

Klaubert nickte.

»Da!«

Im nächsten Moment preßten sich die Lippen aufeinander.

»Geschmeckt?«

Der Doktor antwortete nicht, aber er machte ein Gesicht, als wenn er gen Himmel fahren wollte.

Das war vielleicht zu viel Natur; jedenfalls aber besser als zu wenig.

Nasewitz trat mit respektvoller Bescheidenheit zu Alphonsine, gab ihr die Hand und küßte ihr die Stirn.

Das Mädchen errötete tief und schlug die Augen nieder, weil eine Träne darin glänzte.

Die Musik blies draußen eine schmetternde Fanfare und gab das Zeichen zum allgemeinen Aufbruch.

Die Damen gingen nocheinmal in das Schlafzimmer des alten Försterpaares, um ihre Mäntel und Kapotten anzulegen; die Herren traten hinter das Haus, um nach dem Wetter zu sehen, und dann vereinigte man sich wieder in der großen Stube.

»Sie sind auch ein guter Mensch, Herr Oberst«, klopfte Schimmelmann dem alten Hollprägel auf die dicken Epauletten; »Sie haben neulich so nett mit mir gesprochen; aber der Padderow ...«

»Was ist mit dem Padderow?« fragte Hollprägel.

»Der Padderow, Herr Oberst, das ist doch ... der ist doch ...«

»Nun was ist er denn, lieber Schimmelmann?«

»Pst! - Puscht!« machte der Rittmeister, sich plötzlich besinnend mit einem ernsten Gesicht; »es ist ja noch nicht so weit ... ein Geheimnis ... pst!! ... puscht!!!«

Der Oberst schüttelte lächelnd den Kopf und reichte der Gräfin Plustra den Arm, um sie zu ihrem Schlitten zu führen.

Die übrigen Herren folgten seinem Beispiel, und die Ledigen schlossen sich hinten an.

Nach wenigen Minuten setzte sich der Zug wieder in Bewegung, die Trompeter bliesen einen lustigen Marsch, die Schellen klingelten, die Peitschen knallten.

Es war schon dunkel geworden bei dem kurzen Wintertage; die alten Kiefern sahen aus, als hätten sie sich die Schlafröcke zur nächtlichen Ruhe angezogen, und anstatt der hellglitzernden Sonnenstrahlen goß jetzt der Mond sein bläuliches Silberlicht auf den mattglänzenden Schnee.

Der alte Nachtwächter am Himmel schien keinen Punsch getrunken zu haben, denn er sah blaß und ein bißchen verschwollen aus, als wenn ihn fröre in seiner luftigen Höhe.

Das nächtliche Schlittengebimmel schien ihm aber doch Spaß zu machen, denn es sah beinahe aus, als wenn er das schiefe Gesicht zum Lachen verzöge und das eine Auge zudrückte, wie man zu tun pflegt, wenn man verschmitzte Gedanken hat.

»Sie haben vergessen, mir ein Küßchen zu geben, böser Mann!« lehnte die schöne Molly sich in ihrem Schlitten hintenüber.

»So? - Ach richtig ...« besann sich der alte Graf... »na das können wir ja nachholen... nehmen Sie es nicht übel.«

Und dann bekam er drei statt einen. -

Die Herren waren munter, und die Damen aufgetaut, deshalb gestaltete sich die Unterhaltung lebhafter als auf der Hinfahrt.

Der Oberst sprach fortwährend mit seiner Gräfin; Molly plauderte unausgesetzt ihrem Grafen etwas vor; Kreidefleck kälberte mit der kindlichen Ursula und zupfte sie hinten an den Bändern ihrer Kapuze; Klötersdorf wagte ab und zu ein schüchternes Wort, Strammin war ein klein wenig mehr beredt; Padderow saß regungslos und steif, wie eine ägyptische Sphinx auf seiner Pritsche; Nasewitz unterhielt sich fein und angelegentlich mit Alphonsine; der Rittmeister Schimmelmann war selig eingeschlafen und der kleine Doktor Klaubert war dermaßen aufgeregt vor Freude und Seligkeit, daß er fortwährend verzweifelte Anstrengungen machte, zu knallen, anstatt dessen aber nur mit der langen Peitsche seinen Pferden an die Köpfe schlug.

»Aber, was machen Sie denn? Sitzen Sie doch ein bißchen still!« sagte Melusine; »der ganze Schlitten wackelt ja.«

Doch dem kleinen Doktor fiel es gar nicht ein, stillzusitzen; er wollte nun einmal seiner Dame zeigen, daß er ein ordentlicher regelrechter Kavalier war, und deshalb ließ er die Peitschenschnur den Gäulen um die Ohren sausen, daß diese schon ganz wild und aufgeregt wurden.

»Ich ängstige mich, die Pferde werden scheu«, zitterte Melusine. Der Doktor Klaubert ängstigte sich aber durchaus nicht; denn die Liebe hatte seinen Mut unerschütterlich gemacht.

Noch einmal schwang er den Peitschenstock, noch einmal sauste die Schnur den Pferden um die Ohren, und im nächsten Moment gingen die geplagten Tiere durch, was das Zeug nur immer halten wollte.

»Doktor, ich beschwöre Sie!« flehte Melusine; »wir kommen ja zu Schaden... fahren sie doch sachte.«

Aber,wer nicht sachte fahren konnte, das war der Doktor, und wer nicht sachte fahren wollte, das war wiederum der Doktor, denn sein aufgeregtes Innere harmonierte wohltuend mit der Wildheit der Situation.

»Hoho!« schrie der alte Graf, als er an ihm vorüberraste, »Doktor ... wo wollen Sie denn hin? - Sind Sie denn ganz des Teufels, Herr?«

Wer aber allerdings des Teufels war, das war wiederum der Doktor; je toller es ging, desto toller schlug er den Pferden um die Ohren, die zuletzt ausgriffen, als wenn der wilde Jäger auf ihnen ritte.

»Heda! - Doktor! - Wo wollen Sie denn hin?« - schrie der alte Hollprägel, als der vorüberjagende Schlitten beinahe an den seinen angefahren wäre; »Holla he... Doktor!«

Auf wen das aber alles keinen Eindruck machte, das war der Doktor, und so kam es denn, daß er eine volle Viertelstunde früher in das Hasenbalger Tor fuhr, als alle anderen.

Die klugen Pferde, denen das »Wilde Jagen spielen« wahrscheinlich auch schon über war, liefen direkt vor Schimmelmanns Haus und standen dort wie eingerammt still.

»I, sehen Sie 'mal, Herr Doktor«, wunderte sich Pätel, der vor der Tür stand; »Sie kommen ja so früh an.«

»Jawohl... ich komme früh an«, sprang der kleine Klaubert von der Pritsche, um Melusine aus dem Schlitten zu helfen, während Pätel die Leine nahm.

»Wilder Mann, was haben Sie mich geängstigt«, reichte ihm das Mädchen beim Aussteigen die Hand.

Der Doktor drückte einen heißen Kuß darauf.

»Gute Nacht, verwegener Ritter, schlafen Sie wohl und nehmen Sie meinen besten Dank«, eilte Melusine dem Hause zu.

»Gute Nacht, gnädiges Fräulein; gute Nacht!«

Dann fuhr Pätel mit dem Schlitten zu dessen Eigentümer, und Klaubert ging steifbeinig vom langen Reiten auf der Pritsche seiner stillen kleinen Wohnung zu.

Nachher kamen auch bald die anderen an; und die Herren fuhren ihre Damen zu ihren Behausungen.

»Du bist auch 'ne gute Frau ... gib mir'n Kuß, Alte«, umarmte Schimmelmann seine dicke Auguste, als sie eben im Wohnzimmer angekommen waren... »aber der Padde... aber der Pa...«

Hier bekam er einen Schreck, weil sein Blick auf Alphonsine fiel, und stockte.

»Was fiel denn dem verfluchten Pillenkneter ein?« wandte er sich dann, um seine Verlegenheit zu bemänteln, an Melusine; »der Kerl fuhr ja, als wenn er Hummeln im...« hier unterbrach er sich jedoch abermals, weil er sich noch rechtzeitig besann, daß er nicht auf dem Reitplatz war, und da er sich heute abend überhaupt nicht mehr viel zutraute, so sagte er Gute Nacht und ging zu Bett.

Und das taten die anderen auch.

Die vier Schwestern sprachen weniger als sonst beim Schlafengehen; aber sie dachten desto mehr, und als sie so im Eindruseln waren, da gab jede ihrem weißen Kopfkissen einen Kuß.


 << zurück weiter >>