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Als der Rittmeister Schimmelmann seine steifgerittenen Knochen in der schmalen, knarrenden Bettstelle zurechtgelegt hatte, konnte er, seiner sonstigen Gewohnheit zuwider, nicht gleich einschlafen.
Der Floh, den ihm Nasewitz ins Ohr gesetzt hatte, war bis ins Gehirn vorgedrungen und wirtschaftete dort dermaßen zwischen den Gedanken herum, daß diese ganz wild und aufgeregt wurden.
Der Rittmeister Schimmelmann legte sich auf die andere Seite, ob es dort besser mit dem Einschlafen gehen werde, aber dort ging es noch schlechter.
Die Geschichte mit dem dicken Padderow wollte ihn durchaus nicht ruhen lassen. Mein Gott, weshalb sollte sich denn nicht jemand in seine Töchter verlieben? ... Daran war nichts Verwunderliches ... das waren ja alle vier lauter hübsche, vortreffliche, gebildete und wohlerzogene Kinder, mit recht weiblichem Gemüt und bescheiden häuslichem Sinn, die bei naher Bekanntschaft nur gewinnen konnten und die jeden Mann glücklich gemacht hätten ... darüber wunderte er sich auch gar nicht ... darüber freute er sich nur ... aber weshalb es gerade der dicke Padderow sein mußte und nicht irgendein anderer ... Padderow war zwar dafür bekannt, daß er allen Damen, ohne Ausnahme, Süßigkeiten und Schmeicheleien sagte; aber daß er jemals ans Heiraten denken würde, das war selbst dem leichtgläubigsten Menschen noch nicht in den Sinn gekommen ... vielleicht war es auch bloß eine fixe Idee von ihm ... bei Leuten mit lebhafter Phantasie, namentlich bei solchen, die gern ein Gläschen trinken, kommt das vor ... hm; das wäre doch eine unangenehme Geschichte, bei welcher die arme Alphonsine noch bloßgestellt werden konnte ... da mußte man sich doch jedenfalls in acht nehmen ... vielleicht war der dicke Padderow auch plötzlich verrückt geworden ... Donnerwetter, der Fall war gar nicht so ganz unmöglich ... ob man den Doktor Klaubert 'mal darauf aufmerksam machte ... der konnte das doch am Ende beurteilen ... dafür hatte er ja Pflasterkasten studiert ... und dem Wachtmeister Klinke konnte man es ebenfalls sagen ... der Mann hatte einen scharfen Blick und einen gesunden Menschenverstand ... aber nein, nein ... das ging ja doch nicht ... mit solchen Sachen kann man nicht vorsichtig genug umgehen ... und Nasewitz war doch auch ein vernünftiger Mann, der seinen Freund seit Jahren beobachtet hatte ... dem mußte eine solche Veränderung doch aufgefallen sein ... Unsinn, Unsinn ... solche Gedanken darf man sich gar nicht in den Kopf kommen lassen ... Ist das aber hier 'ne Hitze im Bett ... und die Augen werden mir immer munterer anstatt müder ... hm ... also die ganzen Nächte steht er unter ihrem Fenster ... närrischer Kerl ... was er nur davon hat ... aber die Verliebten sind manchmal so ... als ich meiner Alten die Cour machte, ritt ich alle Tage vier Meilen, um sie eine Viertelstunde zu sehen ... immer durch dick und dünn, daß mir der Dreck um die Ohren spritzte ... damals war sie aber auch nicht so dick ... und ich hatte noch nicht so steife Beine ... du lieber Gott, wo ist die Zeit geblieben, und was hat man in der langen Zeit erworben und geschafft? - Vierzehnhundert Taler Gehalt nur seit vier Jahren ... bis dahin war es nur die Hälfte ... und davon sieben Kinder großgezogen ... die Söhne sind versorgt, Gott sei Dank ... die brauchen nichts mehr ... aber die armen Frauenzimmer ... wie lange wird's dauern, dann geben sie einem den Abschied, mit siebenhundert Taler Pension ... und wenn man einmal die Augen zugemacht, dann sitzt die Alte da mit den vier Töchtern und saugt Hungerpfoten an dreihundert Talern Witwenkasse ... mein Gott, ist das 'ne Hitze in dem Bett ...
Hier unterbrach sich der Rittmeister Schimmelmann durch ein lautes mißbilligendes Knurren und legte sich wieder auf die rechte Seite.
»Pfui!« setzte er dann in ganz verändertem,Tone seine Betrachtungen fort; »da fange ich am Ende an zu klagen und zu jammern wie ein altes Weib ... das fehlte mir bloß noch, daß meine Umgebung so etwas an mir erlebte ... dann wäre ich verloren für immer ... ich schäme mich ordentlich vor mir selber ... äh ... das kommt davon, wenn ein Soldat heiratet ... der Ströllpitz hat ganz recht, das muß man nicht ... wenn es aber einmal geschehen ist, dann darf der königliche Dienst nicht durch den Familienjammer beeinträchtigt werden ... der königliche Dienst ist die Hauptsache, das andere wird nebenher besorgt ... Heiliges Donnerwetter nicht nochmal; ich war auf dem besten Wege ein alter Plöter zu werden ... Kreuzbombenelement nicht nochmal ... freuen kann man sich; das kann einem keiner verwehren ... aber jammern soll man nicht ... sonst ist man nicht wert, des Königs Rock zu tragen ... es ist aber wirklich eine ganz verdammte Hitze hier im Bett ... und von Schlafen scheint keine Rede zu sein ... das hat man alles dem dicken Padderow zu verdanken ... na, ich sage ... hätte man so etwas für möglich gehalten ... verliebt sich in die Alphonsine und steht die ganzen Nächte ... jetzt steht er natürlich wieder ... und die Alphonsine liegt mit ihrer dicken Trompete ganz ruhig im Bett und hat nicht die leiseste Ahnung davon ... und der dicke Padderow steht da unten in dem kalten Wind und friert, und sieht nach den Fenstern herauf, wie der Mops nach dem Mond ... wahrscheinlich seufzt er auch dabei und schneidet Gesichter, wie heute abend auf Ressource ... puh, ist das 'ne Hitze ... mit dem Schlafen wird es vorläufig noch nichts ... es ist ein ekliger Zustand ... ich möchte gerade auf eine halbe Stunde herauskriechen und das Bett ein bißchen auskühlen lassen ... wahrhaftig, das will ich tun ... und dann könnte ich mir ja auch gleichzeitig den dicken Padderow ansehen, wie er da unten im Winde steht ... hahaha ... er muß zu närrisch anzuschauen sein ...«
Nachdem der Rittmeister Schimmelmann bis zum Fassen dieses Entschlusses gekommen war, kletterte er steifbeinig und umständlich aus dem Bett, zog Rock und Hosen an und krabbelte darauf nach dem Stippfeuerzeug, um Licht anzuzünden.
»Nein ... das geht ja nicht«, unterbrach er sich selbst bei dieser Beschäftigung; »das würde ja furchtbar auffallen, wenn sich mitten in der Nacht meine Fenster erhellten ... und wenn mich Padderow erkennte, würde er einen Schreck bekommen, der schädliche Folgen haben könnte ... oder er möchte mich vielleicht gar für die Alphonsine halten ... die Liebe soll ja blind sein ... das wär' das Allerschlimmste ... wenn er dächte, meine Tochter schaute nach ihm, wie er nach ihr ... heiliger Ruppsack, das wäre eine schöne Geschichte!«
Damit tappte der Rittmeister Schimmelmann mit sorgsam vorgehaltenen Händen durch das stockfinstere Zimmer nach der Korridortüre.
Endlich hatte er den Drücker gefaßt, öffnete leise und vorsichtig und fühlte sich dann den engen Flur entlang nach vorn.
Er kam sich beinahe vor, als wenn er auf unrechten Wegen sei und als wenn er sich in acht nehmen müsse, daß ihn niemand bemerkte.
Nun war er im gemeinschaftlichen Wohnzimmer angelangt.
Wie ganz anders sah das aus als bei Tage ... die alten bekannten Räume kamen ihm fast fremdartig vor ... fast unheimlich ... als ob die Stube gestorben sei, oder als ob sie schliefe, und er wagte nicht den Fuß weiter zu setzen und hielt den Atem an, wie man es wohl tut bei einer Leiche oder einem Schlummernden.
Als er sich in einigen Minuten an die Lage gewöhnt, tappste er, mit einem Versuch, auf den Zehen zu gehen, weiter, als wenn er sich fürchtete, jemand zu stören, was doch gar nicht der Fall sein konnte; aber zu so seiltänzerischen Künsten waren die steifen Gelenke des Rittmeisters nicht mehr geeignet; denn kaum hatte er drei Schritte in dieser Weise gemacht, als er ins Torkeln kam und jedenfalls gefallen wäre, wenn er nicht noch rechtzeitig eine Stuhllehne in die Hand bekommen hätte, an der er sich halten konnte.
»Oho!« sagte Schimmelmann; »immer sachte... zum Seiltanzen scheinen wir kein Talent zu haben... je mehr man sich in acht nimmt, desto mehr Lärm wird gemacht...«
Während dieses kurzen Selbstgespräches war er bis auf einen Schritt am Fenster angelangt und reckte den Hals, um einen Blick auf die Straße zu werfen.
Das ging aber nicht; soviel Mühe er sich auch gab, reichten seine Blicke doch höchstens bis zur Hälfte des Dammes; alles andere lag im toten Winkel.
»Hm!« sagte er; »bis jetzt sehe ich nichts... es ist aber auch ein schlechter Beobachtungsposten... ich glaube, ich kann näher herantreten... die Fenster sind schwarz wie ein Sack; da kann man von außen nicht das geringste hinter den Scheiben sehen...«
Er führte seinen Vorsatz aus und gewann nun ein größeres Gesichtsfeld.
Es war recht dunkel auf der Straße. Dicke, vom Westwind getriebene Wolkenmassen jagten gespenstisch über Hasenbalg dahin, und nur wenn ab und zu ein Loch in ihren weiten Mantel gerissen wurde, erschien die frostig-bleiche Mondsichel und warf ein flüchtig mattes Licht auf die schlummernde Erde.
Die Wetterhähne kreischten manchmal schmerzlich auf, wenn der Wind sie schnell um die rostige Stange drehte; losgerissene Ziegel polterten von den Dächern; die Blechgossen klapperten vor Frost, und durch die ganze Stadt tönte ein ängstliches Stöhnen und Wimmern, als wenn ruhelose Geister von den strafenden Erinnyen gehetzt würden.
Schimmelmann zog sich den Rock fester über der Brust zusammen und lehnte seine Stirne beinahe an die kalten grünen Fensterscheiben.
Das Haus vom Magazinrendanten drüben hatte die Augen geschlossen und schlief so fest und ruhig, als wenn es gar nicht wieder erwachen wollte; die beiden Bäume vor demselben waren bereits ganz kahl geworden, und nur hier und da hing noch ein vergessenes Blättchen an einem frostzitternden Zweig wie eine sterbende Erinnerung an bessere Zeiten.
Die Apotheke war in noch tieferes Dunkel gehüllt; aber wie ein pechschwarzer Schlund erschien die zurückgebaute Spelunke, an deren Seitenwand das schiefe, verlassene Nachtwächterhäuschen sich lehnt.
»Hm!« machte Schimmelmann; »ich sehe keinen Padderow ... es ist freilich sehr dunkel; aber wenn das Auge sich erst gewöhnt hat, müßte man ihn doch so gut unterscheiden können, wie die Bäume beim Magazinrendanten... da drüben freilich ist es rabenfinster... da könnte er vielleicht... aha, nun kommt der Mond vor... jetzt sehe ich deutlich den ganzen Raum... kein Padderow... oder sollte er in meinem eigenen Hause unter dem Torweg stehen, direkt unter der Schlafstube meiner Frauenzimmer... das wär' der Teufel... wenn die Mädchen eine Ahnung davon hätten... hurrje, wie würden sie aus ihren Betten springen... ich möchte mich doch wirklich überzeugen...«
Damit bastelte er mit den alten, klapprigen Haken herum, mit denen die Fenster zugekettet waren, und öffnete einen Flügel. Eben machte er aber Anstalt, sich weit hinauszubiegen, als plötzlich ein heftiger Windstoß denselben zurück- und so heftig dem Rittmeister an den Kopf warf, daß dieser einen Augenblick ganz betäubt von dem Schlag wurde.
»Daß dich die Pestilenz!« rieb er nach einer Weile den alten Schädel; »das war ein anständiger Knuff... nur gut, daß die Scheibe nicht entzweigegangen ist, das Geklirr hätte mich verraten können... es hat so schon 'nen Knall gegeben... wollen doch ein bißchen warten, ehe wir den zweiten Versuch machen.« -
Nach einer Weile öffnete er den Fensterflügel noch einmal, brauchte jedoch die Vorsicht, ihn mit starkem Arm festzuhalten, und erst dann lehnte er den ganzen Oberkörper so weit hinaus, daß es beinahe aussah, als wenn er einen Kopfsprung auf die Straße machen wollte.
Der Wind zerzauste dem alten Schimmelmann Haar und Bart, daß er zuletzt der leibhaftige Struwelpeter war.
»Da ist er auch nicht«, stöhnte der alte Mann, dem das Blut in den Kopf geschossen war und der sich den Unterleib gedrückt hatte; »er ist heute nicht da... wenigstens kann ich ihn nicht entdecken... man erkältet sich am Ende noch... der alte Dötz brummt mir auch noch von dem Knuff... wir wollen wieder zu Bett gehen... vielleicht schlafen wir jetzt besser ein.«
Und damit fühlte sich der Rittmeister Schimmelmann durch den dunklen Flur zurück nach der torfduftenden Schlafstube, entkleidete sich und legte die kaltgewordenen steifen Glieder in das kaltgewordene, stöhnende Bett.
Nach einer Viertelstunde war er wirklich sanft entschlummert.
Die beiden Fähnriche von Klötersdorf und von Strammin, die erst vor kurzem aus dem Kadettenkorps zum Regiment gekommen waren, hatten zusammen die Oberetage im Gasthof zum weißen Schwan gemietet und sich dieselbe geteilt, so daß jeder eine zweifenstrige Wohnstube und eine einfenstrige Schlafstufe hatte.
Klötersdorf und Strammin hatten beide recht wohlhabende Eltern, die ihnen eine gute Zulage gaben und sogar, für damalige Zeiten ein selten vorkommender Luxes, den Söhnen eigene Möbel gekauft hatten. Mahagoni war es freilich nicht; aber es war recht geädertes, glänzend poliertes Birkenholz, was auch recht hübsch aussah, und die Sofas waren gar nicht mehr so schmal und steiflehnig wie die meisten in Hasenbalg, sondern sie hatten ordentlich schon ein bißchen gefällige Form, und wenn man sich draufsetzte, fühlte man doch wenigstens, ohne daß man hinsah, den Unterschied mit einem Rohrstuhl.
Der lange, semmelblonde Klötersdorf, der immer ein feuerrotes Gesicht hatte, war zu den Hasenbalger Dragonern gegangen, weil ein Onkel von ihm in der Nachbarschaft ein Gut besaß, und Strammin, der eigentlich nach Sachsen gehörte, hatte sich nicht von seinem Kadettenfreunde trennen können und war mitgegangen. -
Am Morgen nach dem im vorigen Kapitel beschriebenen Ressourceabend finden wir die beiden Freunde, nachdem sie schon um sechs Uhr ihre Beritte revidiert und dem Wachtmeister gemeldet hatten, beim gemeinschaftlichen Frühstück in dem Wohnzimmer von Klötersdorf.
Sie hatten, als sie aus dem Dienst gekommen, einen weichen Schlafrock über die rauhe, gewichste Lederhose gezogen und saßen nun, jeder eine lange Pfeife rauchend, auf dem Sofa hinter dem Kaffeetisch und fühlten sich behaglich.
»Es war gestern wieder reizend auf Ressource«, dehnte sich der lange Klötersdorf; »diese interessante Unterhaltung... wenn wir nur erst Offiziere wären, daß wir besser daran teilnehmen könnten.«
»Du hast ganz recht«, stimmte Strammin bei; »so ein Fähnrich ist eigentlich ein unglücklicher Mensch... man weiß nie, was man für ein Gesicht machen, und wie man sich benehmen soll... der eine sagt so, der andere so...«
»Nun eben«, bemerkte Klotersdorf; »entweder wird man gerüffelt, oder sie machen sich über einen lustig...«
»Es ist aber doch schön!« sagte Strammin.
»Na; das will ich meinen!« setzte Klötersdorf aus vollster Überzeugung drauf. -
Dann entstand eine Pause, die von beiden Seiten durch bedeutend stärkeres Rauchen ausgefüllt wurde.
»Weißt du«, begann Klötersdorf dann wieder; »das war recht unangenehm, was uns der Oberst gestern bei Tische sagte.«
»Ach so... daß wir nicht zur Baronin Möhrenstolz gehen sollten?«
»Natürlich.«
»Und vor dem Konditor Schlichter schien er uns auch zu warnen...«
»Wo doch alle Offiziere hingehen... weshalb soll sich denn das für uns nicht passen, was nach drei Monaten, wo wir die Epauletten haben, erlaubt ist?...«
»An den Oberst muß man sich eigentlich gar nicht kehren«, sagte Strammin; »dessen Pflicht ist es natürlich, auf Ordnung zu halten und uns zum Guten zu ermahnen... aber wenn wir uns zu strenge danach richten, machen wir uns lächerlich vor den Offizieren und werden zum Stichblatt ihres Witzes... das klebt einem nachher lange an und kann sehr unangenehm werden...«
»Na, ja... wie zum Beispiel gestern abend, als uns der Leutnant von Drenkenberg aufzog; ich hätte in die Erde sinken können vor Scham... ein königlich preußischer Fähnrich und noch keine Geliebte, so etwas ist noch nicht dagewesen, so lange in Hasenbalg Garnison liegt...«
»Und nachher fragte er den Grafen Schwülenberg: unsereiner würde sich geschämt haben, wenn er ein solches Geständnis hätte machen müssen; nicht wahr?«
»Es ist auch eigentlich wirklich zu toll«, sagte er dann.
»Und wenn die Offiziere nun erst wüßten, daß wir noch ganz und gar unschuldig sind...«
»Herrje; würde das ein'Genecke geben!«
In unserer modernen Zeit würde man allerdings zwei ähnliche Beispiele, wie die beiden Freunde, vergeblich suchen; damals aber war es durchaus nichts so seltenes.
»Man müßte sich doch eigentlich an den Umgang mit Damen gewöhnen«, fuhr Klötersdorf fort; »wenn ich einem weiblichen Wesen gegenüberstehe, schießt mir alles Blut in den Kopf, und ich werde so verlegen, daß ich nicht ein Wort hervorbringen kann...«
»Mir geht es nicht viel besser«, meinte der andere; »aber ich habe doch wenigstens tanzen gelernt; das ersetzt auf Bällen etwas den Mangel an Unterhaltungsgabe...«
»Weißt du, das ist ein schreckliches Unglück, daß ich das nicht kann«, fiel Klötersdorf ein; ich »bekomme schon jetzt Gänsehaut, wenn ich daran denke, daß die Bälle nun bald anfangen werden... drücken kann man sich ja gar nicht davon...«
»Ich werde dir Unterricht geben«, sagte Strammin; »weshalb hast du im Kadettenkorps immer die Tanzstunden geschwänzt; nun rächt es sich.«
»Leider«, meinte der andere; »ehe ich tanzen lerne, muß ich aber erst die unüberwindliche Scheu vor dem weiblichen Geschlecht wenigstens etwas gemildert haben, und dazu wäre es eine ganz gute Vorschule, wenn wir zum Konditor Schlichter gingen; da sind doch immer mehrere, die einem die Lage erleichtern helfen.«
»Und dann machen wir auch bei der Baronin Möhrenstolz Besuch«, meinte Strammin.
»Weißt du, die Sache ist schon bedenklicher, alter Freund; ich habe Blut und Wasser geschwitzt, als ich bei den Offizierdamen meine pflichtschuldigen Besuche machte... da sitzt man ganz allein oder mehreren Frauen gegenüber und sagt immer eine Dummheit über die andere, wenn man überhaupt etwas sagt; bloß bei den Schimmelmannschen Damen ist es mir weniger schwer geworden... die sind so natürlich... die flößen einem Vertrauen ein...«
»Ach, wer wird sich denn fürchten?« ermannte sich der andere; »heute abend wird der Nachtklub beim Konditor Schlichter besucht... was?«
»Ja!« nickte Klötersdorf; »ich komme mit.«
»Und morgen machen wir Visite bei der Baronin.«
»Nein... dazu habe ich noch keinen Mut«, kopfschüttelte der andere.
»Feigling... ein junger Mensch muß Abenteuer suchen... wollen wir?«
Klötersdorf besann sich eine Weile.
»Ich werde erst einmal vorbeigehen«, sagte er; »und dann noch ein paarmal... dann gewöhnt man sich allmählich daran.«
»Na... wie du willst... anders muß es jetzt aber mit uns beiden werden; Hand darauf!«
Begeben wir uns jetzt nach der offenen Bahn oder dem sogenannten Reitplatz, auf dem in früheren Zeiten das Kloster stand. Jetzt ist es spurlos verschwunden; die dunklen Gänge, in denen dickbäuchige Mönche schlurrten, sind hinweggeweht vom frischen Hauch der neuen Zeit, und anstatt der plärrenden lateinischen Gesänge hört man jetzt die Kommandoworte der Ober- und Unteroffiziere.
Die Leute, die am Reitplatz wohnten, mußten sich wohl daran gewöhnt haben; ebenso wie an das sinnverwirrende Durcheinanderschreien von morgens früh bis abends spät, namentlich wenn die Rekruten in sechzehn kleinen Abteilungen ritten.
Der Reitplatz, der mit der einen Seite an die Stadtmauer stieß, war ein großes Quadrat, von einer niedrigen Barriere und von schönen schattigen Bäumen umgeben. Ringsherum lief ein breiter Gang, auf dem die nächstherankommenden Abteilungen warteten.
In der Mitte des Reitplatzes stand ein großer hölzerner Pfahl, der erstens den Zweck hatte, das mathematische Zentrum zu bezeichnen und zweitens dem träumerischen Rekrutenoffizier als Stützpunkt und Rücklehne zu dienen; denn es ist wahrhaftig keine Kleinigkeit, zwei Stunden das wüste Schreien mit anzuhören und die fortwährende zottelnde Kreisbewegung um sich herumgehen zu lassen. Davon kann der Mensch schon müde und schwindlig werden.
Wenn es eine Weile geregnet hat, verwandelt sich der Reitplatz in einen tiefen Sumpf, und jeder Hufschlag der Pferde wird dann von einem eigentümlichen Quatschen begleitet, ähnlich als wenn man mit dem Stempel in ein Butterfaß stößt.
Der arme Rekrutenoffizier kann dann den Pfahl mit keinem Schritt verlassen, und obgleich man derbes Schuhzeug in Hasenbalg trägt, so würde doch ein zweistündiges Stehen im tiefen Morast die Nässe unfehlbar durchkommen lassen.
Um diesem Übelstande abzuhelfen, verfiel vor einigen Jahrzehnten ein intelligenter und wohlwollender Regimentskommandeur auf die Idee, ein Paar starklederne, mit Eisen garnierte Überschuhe am Pfahl des Reitplatzes zu stationieren, in die dann der jedesmalige Rekrutenoffizier hineinkroch und in ihnen stehen blieb, bis sein Dienst zu Ende war. In der modernen Zeit soll diese segensreiche Einrichtung aber abgekommen sein.
Es ist gleich zehn Uhr morgens, und der lange Leutnant von Nasewitz wartet, tief in den Mantel gehüllt, daß es schlagen und die Abteilung ablösen möge. Seine eigenen Leute haben sich in dem umgebenden Gange aufgestellt und sehen dem Reiten ihrer Kameraden zu; die Pferde senken teils träumerisch die Köpfe, teils knabbern sie an den hölzernen Pfosten der Barriere.
Da kommt der Rittmeister Schimmelmann mit seinem Wachtmeister Klinke die Straße herunter, beide in Mäntel gehüllt, beide die struppigen Schnurrbärte bis dicht unter die Nase geschoben, beide aussehend wie ein paar Menschenfresser, die sich nach frischem Blut sehnen.
Als Nasewitz seines hohen Vorgesetzten ansichtig wird, geht er ihm einige Schritte entgegen und meldet, an die Kopfbedeckung fassend:
»Fünfundzwanzig Mann der ersten Reitklasse!«
»Danke!« brummt der Rittmeister, an den Mützenschirm tippend.
»Was ist denn das?« denkt Nasewitz; »der Alte ist ja heute morgen furchtbar schlechter Laune... und gestern abend war er doch..«
In diesem Augenblick schlug es zehn vom Rathausturm.
»Bitte aufzuhören, Leutnant von Ströllpitz!« schreit bei dem ersten Ton der Rittmeister Schimmelmann dem Offizier auf dem Reitplatz zu; »es schlägt zehn; da gehen mir mindestens wieder zehn Minuten verloren.«
Der Leutnant von Ströllpitz gibt in seinem heiligen Diensteifer nicht sofort das Kommando zum Aufmarschieren.
»Muß dringend ersuchen zu schließen, Leutnant von Ströllpitz«, schreit Schimmelmann, noch ehe es ausgeschlagen, wie ein Zahnbrecher; »der Platz gehört jetzt meiner Schwadron... Himmeldonner...«
»Wetter!« setzt der Wachtmeister Klinke drauf.
Dann sehen beide wütend einander an, als wenn sie sich mit Stumpf und Stiel vertilgen wollten.
Der Leutnant von Ströllpitz flucht ebenfalls in seinen ergrauten Bart, läßt aber aufmarschieren, absitzen und abführen.
»Knurr!« macht Schimmelmann, als er unwirsch grüßend an ihm vorbeigeht.
»Urr!« macht der Wachtmeister, wie ein grollendes Echo.
Der Leutnant von Nasewitz läßt seine Abteilung auf den Platz führen, sieht jede Schnalle und jeden Knopf nach, obgleich ihm das gar kein Vergnügen macht, und beginnt seinen Reitunterricht mit größerem Eifer als gewöhnlich, um den Alten womöglich besserer Laune zu machen; aber der Alte bleibt wie er ist und schimpft und brummt dazwischen, daß sich die Sperlinge auf den Bäumen fürchten.
Endlich schlägt es elf, Nasewitz fragt um Erlaubnis, ob er aufhören dürfe, und läßt absitzen und abführen.
Der Platz bleibt jetzt eine Viertelstunde leer, weil nachher der Adjutant die Trompeter reiten läßt.
Der Wachtmeister Klinke verabschiedet sich und der alte Schimmelmann bleibt mit seinem Offizier allein.
Nasewitz, der sich sonst auch empfohlen hätte, zögerte noch, weil er abwarten möchte, ob der Alte denn gar nicht mit ihm reden wird; dieser aber scheint seinerseits zu wünschen, daß jener mit Sprechen beginnen möge.
So stehen sie wohl zehn Minuten, und die ersten Trompeter kommen schon mit ihren Pferden und ihren Instrumenten.
»Guten Morgen, Herr Rittmeister«, faßt Nasewitz, der die Sache nicht auffällig machen will, an die Kopfbedeckung.
Schimmelmann wirft einen unwirschen Blick auf ihn und knurrt bloß.
»Wie befehlen der Herr Rittmeister?« fragte der Leutnant, bleibend und sofort anknüpfend.
»Ich sagte gar nichts«, brummte jener, aber man sieht ihm an, daß er gern etwas sagen möchte.
»Herr von Padderow ist heute wieder ganz melancholisch«, wagt Nasewitz zu äußern, obgleich er seinen Freund noch nicht gesehen.
»Hm!« macht Schimmelmann; »wüßte nicht, daß er Ursache dazu hätte.«
»Wie meinen der Herr Rittmeister?« wird Nasewitz neugierig.-
Schimmelmann scheint einen kurzen, inneren Kampf zu kämpfen, dann wendet er sich mit schnellem Entschluß an seinen Offizier.
»War ja diese Nacht gar nicht da!« knurrt er ihn an.
Nasewitz bekommt einen Schreck.
» Wie?« sagt er: » Padderow war nicht...«
»Ich konnte zufällig nicht schlafen«, brummt der Rittmeister weiter; »der verdammte Grog hatte mir solche Hitze gemacht... ging ein bißchen in die Vorderstube und setzte mich ans Fenster... von Padderow war keine Spur zu sehen...«
Nasewitz bekam noch einen Schreck.
»Ach, du gerechter Gott, er paßt auf«, schoß es ihm durch den Kopf; »na, das ist eine schöne Geschichte... wenn er die Beschäftigung fortsetzt, sieht er natürlich meinen edlen Freund niemals... was ist da zu machen? - Dem Padderower kann ich es doch nicht sagen, sonst ist es mit meinem Plan vorbei... ich müßte mich also selbst hinstellen... aber das geht nicht... das merkt er... ich bin zu lang und zu dünn... das ist ja eine verfluchte...«
»Wie hängt denn das mit Ihrer Rede zusammen?« unterbrach Schimmelmann die eingetretene Pause.
»Oh...«, log Nasewitz, seine Fassung wiedergewinnend; »der Herr Rittmeister haben wohl nicht genau gesehen... Padderow hat mir ja heute selbst gesagt, daß er die ganze Nacht dort war und geseufzt habe...«
»Er hat es Ihnen selbst gesagt... hm... na, wo stand er denn aber?«
»In dem alten Nachtwächterhäuschen«, log Nasewitz weiter; »da sieht er immer durch das runde Loch...«
»Ach so... ja, da kann man ihn freilich nicht sehen.., also ist er doch dagewesen... knurr... haben Sie ihm das auch gesagt, daß er...«
»Was denn, Herr Rittmeister?«
»Sich an die dicke Trompete gewöhnen muß...«
»Alles besorgt, Herr Rittmeister!«
In diesem Augenblick kam der Adjutant heran, der die Trompeter reiten lassen wollte.
Er begrüßte die beiden Herren, wechselte einige Worte mit ihnen und ließ dann seine Tonkünstler auf den Platz führen, um nach den verschiedenen Gangarten Parademärsche blasen zu lassen. Das muß nämlich immer der Adjutant tun, ob er musikalisch ist oder nicht, darauf kommt es nicht an.
Schimmelmann und Nasewitz blieben noch ein bißchen stehen, weil sie nachher doch gleich beide zum Appell mußten.
Als die Trompeter, einer hinter dem andern, an den Wänden entlang im vollen Reiten waren, kam mit einemmal Padderow mit fliegendem Bart auf dem Babieca angesprengt, der den Schweif fortwährend herumdrehte, wie einen Windmühlenflügel.
Der Rittmeister machte große Augen, und Nasewitz wunderte sich darüber, daß sein Freund im Spätherbst sein Schlachtroß bestieg, was er sonst niemals tat.
Padderow sprengte an den beiden Herren vorbei, grüßte dieselben mit soldatischer Würde und trabte dann an der Trompeterlinie entlang.
Die beiden anderen sahen ihm neugierig zu, während der Adjutant es nicht beachtete.
Die Trompeter bliesen einen Marsch, daß es nur so schmetterte, und pusteten in ihre Instrumente, daß ihnen die Augen aus dem Kopfe traten und sie ganz rote Gesichter bekamen.
Padderow eilte anscheinend gleichgültig wieder an der Reihe entlang, besah sich aber mit verstohlenem Seitenblick jedes einzelne Instrument ganz genau.
Endlich schien er das richtige gefunden zu haben; denn er hielt sich von nun an dicht neben einem schwarzbärtigen Trompeter, der auf seinem Pferde zusammengesunken war und melancholisch in seine große Baß-Tuba pustete, daß sie lautdröhnende Töne von sich gab.
Schimmelmann machte ein etwas verwundertes Gesicht, und Nasewitz lächelte.
Padderow warf erst einen freundlichen Blick auf den Trompeter, als wenn er ihm Vertrauen einstoßen wollte, und dann schielte er nach dem Rittmeister, ob dieser acht auf ihn hätte.
Als er sah, daß dies der Fall, ritt er noch eine Weile neben dem zusammengesunkenen Trompeter her und neigte dann leicht den Kopf nach dem weiten Schalloch der Tuba hin.
Schimmelmanns Gesicht wurde immer erstaunter, und Nasewitz lächelte immer zufriedener.
Padderow, der nun den ersteren im Auge hatte, glaubte Mangel an Zufriedenheit in seinen Zügen zu lesen und neigte den Kopf etwas stärker nach dem dunklen Schlund der dröhnenden Tuba.
Des Rittmeisters Miene wurde deshalb um nichts wohlgefälliger.
»Da wollen wir's noch besser machen«, dachte der dicke Offizier und neigte den Kopf so stark rechtsabwärts, daß sein Ohr dicht über dem Schalloch schwebte.
In diesem Moment blies der zusammengesunkene Trompeter seinen tiefsten Ton mit einer so markigen Kraft, daß die Luftvibration dem dicken Leutnant durch das Ohr kitzelnd durch den ganzen Körper drang.
Mit einer schnellen Bewegung richtete er sich wieder im Sattel empor und schüttelte sich, als wenn er Fieberfrost hätte.
Schimmelmanns Miene wurde immer erstaunter, und Nasewitz hätte beinahe laut losgepruscht.
»Was ist denn dem Padderow eigentlich?« fragte der erstere.
»Ja; ich weiß es auch nicht«, verkniff der letztere sich das Lachen.
»Er scheint eine Mücke oder einen Käfer ins Ohr bekommen zu haben«, brummte der Rittmeister.
Padderow hatte unterdes bemerkt, daß er wieder kein günstiges Resultat erzielt.
»Na, was ist denn das?« dachte er; »ich gebe mir doch die größte Mühe, mich daran zu gewöhnen... aber das kann der Teufel aushalten ... man muß sich doch erst abhärten...«
Damit war er eben im Begriff, das Experiment zu wiederholen, als der Adjutant den Marsch aufhören ließ und überhaupt die Übung für heute beendete.
»Scheint wirklich nicht recht richtig mit ihm zu sein«, dachte Schimmelmann; »er hat Raupen im Kopf... hm, hm... wenn das nur ein gutes Ende nimmt.«
Dann sagte er Nasewitz Adieu und knieknickerte von bannen, um sich allmählich zum Appell zu begeben.
Als der Alte um die Ecke der Montierungskammer verschwunden war, kam Padderow auf dem Babieca zu seinem Freunde herangeritten.
»Na«, sagte er; »habe ich mir nicht genug Mühe gegeben?«
»Das habt Ihr, gestrenger Herr!«
»Es scheint ihm aber nicht gefallen zu haben.«
»Die Bemerkung habe ich ebenfalls gemacht...«
»Woran liegt das?«
»Kann ich Euch leider nicht sagen... Ihr dürft deshalb in Euren Bestrebungen nicht nachlassen.«
»Habt Ihr mir vielleicht wieder einen Schabernack gespielt?«
»Wie würde ich das wagen, Eurem Zorn gegenüber!«
»Er würde Euch vernichten, wenn dem so wäre.«
»Ich weiß es, huldvoller Freund; aber glaubt mir, ich bin Euch zugetan mit Leib und Seele.«
Nasewitz, den die Situation außerordentlich zu ergötzen schien, hatte während des letzten Gespräches unbemerkt einen noch ziemlich steifen Strohhalm von der Erde aufgenommen und steckte denselben, in diesem Moment, so schnell und mit solcher Geschicklichkeit Padderows Gaul in eine Öffnung dicht unter dem kreisenden Schwanz, daß der Reiter durchaus keine Notiz davon nehmen konnte.
Kaum fühlte Babieca aber den wahnsinnigen Kitzel, als er wie rasend dreimal hintereinander ausschlug und dann mit dem bügellos gewordenen und sich in der Mähne haltenden Padderower, den Strohhalm immer noch hintendrin, vom Reitplatz wegrannte, als wenn alle Schrecken der Hölle hinter ihm wären.
»Hoho... Herr von Padder.. ow!« rief der alte Oberst Hollprägel, der auf der Straße beinahe von ihm umgeritten wäre; »wo wollen Sie denn hin! - So halten Sie doch still, Herr von Padder...ow!«
Aber wer nicht hielt, das war der dicke Leutnant.
Obgleich der Strohhalm bald herausgefallen war, empfand Babieca doch noch immer den Nachkitzel und lief, mit dem Schweif gewaltige Reifen schlagend und als wenn ihm der Kopf brennte, dem Hause zu, wo der Kessel vor der Tür hing.
Unaufhaltsam ging es durch den offenen Torweg; als Babieca aber auf den Hof sprengte, erwachte Polko, der auf dem Mist eingeschlafen war, aus einem angenehmen Traum und sprang, das Pferd im Augenblick nicht kennend, demselben nach Bulldoggsart an die Nase. Babieca, aufs neue irritiert, scheute sich mit schneller Wendung, der dicke Padderow kollerte von seinem Schlachtroß auf den weichen Dung, und dieses rannte mit wilden Sätzen in den Stall.
»Ach, Herr Jesus, Herr Leutnant«, kam Gründling, der Bursche, ganz erschrocken heraus, »wie ist denn das zugegangen... was ist uns denn passiert?«
Aber der Padderower würdigte seinen Knappen keines Blickes, sondern schritt, die ganze Kehrseite voll Stroh und Schmutz, aber dennoch mit echt kastilianischer Würde der hinteren Haustür zu, in deren Dunkel er alsobald verschwand.
Eine gute Viertelstunde nachher versammelte sich die Schwadron auf dem Marktplatz zum Appell, wo der Dienst abgemacht und manches Wichtige besprochen wird.
Diese halbe Stunde war eigentlich dem Rittmeister Schimmelmann die liebste am ganzen Tage; denn da schimpfte er sich so weit aus, wie es seiner Gesundheit zuträglich war, und so lange, bis er Appetit zum Mittagsbrot bekam.
Wenn auch gar keine Veranlassung war, er fand schon eine, und namentlich mußten der Doktor und die Fähnriche herhalten, die er durchaus nicht leiden konnte.
Durch Grobheit machte sich eigentlich der Rittmeister Schimmelmann nur noch möglich, und selbst der ebenfalls nicht feine Oberst von Hollprägel hatte einen gewissen Respekt vor den überwiegenden Anlagen seines Untergebenen auf diesem Felde.
Er grüßte die Offiziere, die vor der Front standen, wobei er einen eigentümlichen Blick auf den wieder abgebürsteten Padderow warf, und ließ dann vom Wachtmeister den Dienst abmachen.
Das war heute schnell geschehen, und da der merkwürdig wortkarge Schimmelmann nichts mehr hinzuzusetzen hatte, ließ er die Schwadron auseinandergehen und knickerte selbst seiner torfduftenden Wohnung zu.
»Wenn der Padderow noch lange in diesem Liebesfieber bleibt, riskiert er, verrückt zu werden, und was soll ich denn mit einem verrückten Schwiegersohn anfangen? Hm, hm! - Wenn nur Alphonsinens Trompete erst dünner wäre, dann... hm, hm... das ist wirklich 'ne recht fatale Geschichte.«
»Weshalb rittet Ihr denn vorhin so schnell nach Hause, mannhafter Ritter?« fragte Nasewitz seinen Freund Padderow.
Dieser antwortete erst nicht.
»Es war wirklich ein brillantes Reiterstückchen«, schmeichelte der andere weiter; »Ihr saht gewiß und wahrhaftig aus, wie der stolze Cid, wenn er zum Kampf sprengte.«
Padderow warf einen beobachtenden Seitenblick auf Nasewitz, um zu ermitteln, ob dieser scherze oder im Ernst spreche.
»So etwas macht Euch keiner nach«, fuhr der lange Leutnant mit schöngespielter Bewunderung fort; »das war beinahe ebenso imposant, wie der Ritt durch die brausenden Windmühlenflügel.«
Padderow lächelte jetzt schon geschmeichelt.
»Habt Ihr nicht gehört, wie der Oberst Hollprägel Euch Bravo zurief?«
»Nein?« schüttelte der dicke Offizier den Kopf.
»Er stand ja nachher mindestens fünf Minuten ganz starr vor Bewunderung.«
»Ach... tat er das wirklich?«
»Wie ich Euch sage, erlauchter Herr.«
Die beiden Freunde waren unter diesem Gespräch eben um die Ecke des Rathauses gebogen, um vor dem Essen noch einmal in ihre Stuben zu gehen, als ein junges, hübsches, aber etwas keck aussehendes Mädchen, im einfachsten Kleidchen, die Straße heraufkam und ihnen gerade vor den Fenstern des Rittmeisters Schimmelmann begegnete.
»Das ist ja Johanna Strittmann«, sagte Nasewitz.
Padderow, dem durch das falsche Lob seines Freundes wieder gewaltig der Kamm geschwollen war, warf sich sofort in die Brust, kniff auf verliebte Art mit den kleinen verschwollenen Augen und machte mit der Rechten die ihm eigentümliche graziöse Begrüßungsgeste.
»Soll ich deine Farben tragen, holde Fee«, redete er die Stehenbleibende an; »soll ich zum Preise deiner Schönheit eine Lanze brechen?«
In diesem Moment trat ihm Nasewitz mit einer solchen Heftigkeit auf den Fuß, daß der arme Padderow es nicht unterlassen konnte, einen Schmerzensschrei auszustoßen.
»Adieu, mein Kind, auf Wiedersehen«, klopfte der lange Leutnant dem erstaunten Mädchen die Backen; »wir haben keinen Augenblick mehr Zeit.«
Er faßte seinen Freund unter dem Arm und zog den Hinkenden gewaltsam mit sich fort.
»Was ficht Euch denn an... weshalb habt Ihr mir denn auf den Fuß getreten?« fragte Padderow ungehalten.
»Weil Ihr nicht mit der Johanna schäkern solltet...«
»Na, weshalb sollte ich denn nicht...?«
»Weil der Alte oben am Fenster stand...«
»Was schadet denn das?« - Ihr habt doch nachher selbst...«
»Das ist etwas ganz anderes mit mir... Ihr dürft jetzt niemals einem Mädchen den Hof machen, wenn der Alte es sieht...«
»Ich begreife aber gar nicht...«
»Ihr sollt auch gar nicht begreifen... Geduld, Vertrauen und über nichts wundern... nun geht nach Hause und fahrt fort, Euch an die Tuba zu gewohnen...«
»Ja; aber eine andere Art gibt es doch nicht, werter Kampfgenosse...«
»Geht mich nichts an«, drückte ihm Nasewitz zum Abschied die Hand; »lebt wohl; wenn es Zeit zu Tisch ist, werde ich Euch das Signal geben.«
Damit wandte er sich der Veste Knelling zu, während Padderow dem Hause zuwatschelte, wo der Kessel vor der Tür hing. -
»Wenn ich bloß wüßte, wie das eigentlich gemeint ist mit der Tuba«, sinnierte der letztere; »wie ich es gemacht habe, hat es dem Alten entschieden nicht gefallen.«
»Wenn ich bloß wüßte, wie der Alte das gemeint hat mit der Tuba«, dachte auch der erstere; »wie es Padderow gemacht hat, ist es ihm nicht recht gewesen... na, die Zeit wird es vielleicht lehren und der Zufall, der oft geniale Helfer in der Not. Und wen stelle ich denn heute abend ins Nachtwächterhäuschen? Du lieber Himmel; ich habe schöne Verpflichtungen auf meine arme Seele geladen!«
Lassen wir nun die Offiziere speisen; lassen wir sie nachmittags ihren Dienst tun, abends, wie gewöhnlich, die Ressource besuchen, und nehmen wir den Faden der Begebenheiten wieder auf, wenn der Nachtklub beim Konditor Schlichter beginnt.
Das ist so zwischen zehn und elf, und die Besucher desselben sind größtenteils jüngere Mitglieder der Ressource, denen es noch zu früh ist, ins Bett zu steigen, und auch noch andere Jünglinge des Bürgerstandes, welche den Tag über beschäftigt sind und dann spät abends die Blume der Konditorei umflattern, nämlich die Konditoreimamsell.
Diese war also die Blume, welche von den verliebten Hasenbalger Jünglingen umflattert wurde und welche dieselben in die Konditorei zog; denn ohne diesen Mangel würde es keinem Menschen eingefallen sein, dort irgend etwas zu sich zu nehmen.
Die Kuchen, welche der biedere Schlichter alle vierzehn Tage eigenhändig buk, traten in der letzten Woche in das Stadium völliger Ungenießbarkeit; denn erstens wurden sie steinhart, und zweitens bekamen sie alle einen schwarzen Überguß, den die zahllosen Fliegen auf ihnen zurückließen, nachdem sie den weißen Zuckerüberguß verzehrt hatten.
Die Getränke, welche gefordert wurden, bestanden hauptsächlich in schmutzigem, dickgrundigem Kaffee und einem trüben, melancholischen Grog, in dem immer etwas Schwarzes schwamm. Die jungen Ackerbürgersöhne tranken manchmal, um den Feinen zu spielen, Rotwein, den der Konditor Schlichter aus Sprit, Blaubeeren und Wasser selber bereitete. Wenn der Wein jung war, hatte er eine Ähnlichkeit mit verdünntem Kirschschnaps, gar bald bekam er aber einen dunklen Bodensatz und oben eine weißliche pilzige Decke, und wenn man den Pfropfen löste, gab es einen Knall und nachher dampfte es eine ganze Weile aus dem Flaschenhals. Der Konditor Schlichter meinte dann, nun wäre es mousseur, und die jungen Ackerbürgersöhne glaubten es auch und ließen sich Spitzgläser dazu geben.
Das Erscheinen einer neuen Konditormamsell war ein Ereignis für Hasenbalg. Die Stammgäste des Nachtklubs strömten dann sofort herbei, um das holde Frauenbild zu schauen, und die Fähnriche schlichen schüchtern an dem Hause vorbei und schielten nach den Fenstern, und wenn sie eine bleiche Wange oder eine schwarze Locke erschauten, stieg ihnen das Blut ins Antlitz und dann klopfte ihnen das Herz, als wollte es die junge Brust zersprengen.
Die jetzige Mamsell, Fräulein Hulda, war auch erst ganz kurze Zeit in Hasenbalg und deshalb der Besuch der Schlichterschen Lebensversüßungsanstalt noch ein sehr reger.
Treten wir jetzt in das Lokal selbst, das die eine Hälfte eines großen sauberen Eckhauses am Markt einnimmt. Oben wohnt der Assessor Glutstein, der sich immer erst die Hand abwischt, ehe er sie einem geben will, und dessen Frau manchmal nächtliche Serenaden gebracht werden, ohne daß es weiter irgendwelchen Zweck hat.
Wenn man vom Flur aus die erste Tür öffnet, tritt man in den großen Laden, welcher zwei Fenster nach dem Markt und ein Fenster nach der Straße hat. An der längsten Wand befindet sich ein großes Gestell, auf dessen Brettern große Gläser mit gebrannten Mandeln, Schokoladenplätzchen, Zuckersachen und Pomeranzenschalen stehen. Viele dieser Gefäße sind aber bereits leer, um nie wieder gefüllt zu werden, weil durchaus keine Frage nach diesen Dingen ist, und in den anderen Gläsern befindet sich auch nur noch ein kleiner, verstaubter Bodensatz von Süßigkeiten.
Vor dem hohen und breiten Gestell steht der lange Ladentisch, auf welchem die bereits vorhin charakterisierten Kuchen sich immer mehr und mehr in Mumien verwandeln.
Schreiten wir durch den dunkeln und unheimlich kalten Laden und öffnen wir die zweite Tür, welche in das Allerheiligste führt.
Licht und behagliche Wärme strömen uns entgegen und machen einen angenehmen Eindruck.
Auf einem Stuhl neben dem großen braunen Ofen ist der Konditor Schlichter ein bißchen eingenickt. Er trägt eine graue kurze Jacke, graue kurze Hosen und Pantoffeln, und der auf die Brust gesunkene Kopf erinnert mit seiner eigentümlichen Frisur, der übermäßig langen und schlaffen Nase und dem breiten Mund mit den wulstigen Lippen, lebhaft an das Aussehen eines Ameisenbären.
An einem Nebentisch trinken zwei junge Ackerbürgersöhne eine Flasche Rotwein, die noch nicht in das Stadium des Mousseur getreten ist, rauchen Zigarren, die noch schlechter brennen als sie riechen, und werfen sehnsüchtig verliebte Blicke nach der Nymphe des Lokals, welche hinter der Lampe auf dem alten fleckigen Sofa sitzt.
Es ist eine ganz hübsche Erscheinung, schlank emporgewachsen, schöne, wenn auch etwas karge Büste, feine, blasse Züge, dunkles Haar und ausdrucksvolle Augen, die sie wohl zu brauchen weiß. Sie hat sich auf ihrem harten Sitz zurückgelehnt und hüllt den Oberkörper in ein dünnes, weiches Tuch, als wenn sie Frost empfände.
Neben ihr auf dem Sofa sitzt der Eskadronchirurgus Mosse, mit der großen Warze auf seiner kleinen Nase, und blickt durch die schimmernden Brillengläser bald unmutig auf die beiden rotweintrinkenden Störenfriede, bald auf das bleiche Blumengesicht seiner schönen Nachbarin. Die Bürgersöhne wagen nicht zu sprechen, und der Doktor will nicht sprechen, weil er nicht allein ist. –
Da tönt plötzlich die Klingel an der Ladentür, klirrende Tritte kommen durch das Vorzimmer, die zweite Tür wird geöffnet und die beiden Freunde, Padderow und Nasewitz, betreten das Allerheiligste.
Der Konditor schreckt aus seinem Schlaf empor, stoßt mit dem Kopf gegen den Ofen und blickt die Eintretenden mit blöden, wäßrigfreundlichen Augen an; die Bürgersöhne fühlen sich unangenehm berührt, der Doktor steht respektvoll auf, und die Offiziere legen Mütze und Mantel ab.
»Ich lege dir irgendeinen Weltteil zu Füßen, holde Hebe«, setzt sich Padderow auf des Doktors Platz, indem er die Hand des Mädchens aus dem Tuch wickelt und einen Kuß auf dieselbe drückt; »ein Gläschen Grog, Herr Schlichter; aber ein bißchen steif... Sie wissen ja, wie ich ihn liebe.«
»Mir auch eins!« sagt Nasewitz, sich an den Tisch setzend und der Mamsell freundlich zunickend.
Diese bekommt augenblicklich mehr Leben und richtet sich empor; der Konditor geht, um den Grog zu bereiten, und der Doktor nimmt sich mißmutig einen Stuhl.
Padderow fährt fort, in der blumenreichen Sprache des Orients der Mamsell Schmeicheleien zu sagen; der Konditor bringt den dampfenden Grog, in dem einige Kohlenfragmente schwimmen, und setzt sich dann wieder auf seinen Ruheposten am Ofen. Nasewitz wirft ab und zu einen feindseligen Blick auf die Ackerbürger-Jünglinge und senkt dann wieder das Haupt, als wenn wichtige Gedanken sein Hirn beschwerten. Der Doktor macht von Zeit zu Zeit eine Bemerkung, die nicht ganz frei von Bosheit ist.
Auf diese Weise mögen vielleicht zwanzig Minuten vergangen sein, als die Ladentür noch einmal klingt.
Die Anwesenden horchen auf und warten eine Weile; aber es kommt niemand herein.
»Was ist denn das!« sagt Padderow.
»Mein Gott, es werden doch nicht Diebe sein«, fürchtet sich die Mamsell.
»Was sollten sie denn da vorne stehlen?« verzieht der Doktor die kleine Nase mit der großen Warze.
»Vielleicht einige Raubritter, die dich entführen wollen, süßer Abendstern«, macht der dicke Offizier ein grimmiges Gesicht; »aber sei unbesorgt, des Padderowers fürchterliches Schwert wird dich zu schützen wissen.«
»Ich will doch einmal nachsehen«, steht Nasewitz auf und öffnet die Tür; »wer ist denn da?«
Keine Antwort.
»Herein... in drei Teufels Namen!« erhebt nun auch Padderow seine Stimme.
Statt des Bescheides hört man leise Tritte, als wenn jemand auf den Zehen schliche; dann klingt die Tür noch einmal und wird behutsam wieder zugemacht.
Nasewitz eilt schnell nach und kommt gerade noch zu rechter Zeit, um zwei dunkle Gestalten auf dem dunklen Flur zu treffen, die bei seinem Erscheinen sich ängstlich an die Wand drücken.
»Wer ist da?« fragte er noch einmal.
»Ich!«
»Wir!« antworteten zwei schüchterne Stimmen.
»Unsinn! - Namen angeben.«
»Klötersdorf!«
»Strammin!«
»Na, weshalb kommt Ihr denn nicht herein? - Weshalb geht Ihr denn wieder weg?«
Die beiden Fähnriche schämen sich und schweigen.
»Ihr fürchtet Euch wohl?« lachte der lange Offizier; »das sieht Euch ähnlich... nun wieder kehrtgemacht und eingetreten!«
Die schüchternen Josefs gehorchen und folgen dem Herrn von Nasewitz durch den dunklen Laden in das Allerheiligste.
»Liebe Hulda, ich stelle Ihnen hier unsere beiden Fähnriche vor«, wandte sich der letztere dann an die Ladennymphe; »sie haben sich vor Ihnen gefürchtet und wollten wieder auskneifen... sie sind noch zu blöde... ganz das Gegenteil von Herrn von Padderow, der die Festungen immer gleich mit Sturm nimmt.«
Das Mädchen lächelte, der dicke Offizier warf Nasewitz einen unwilligen Blick zu; der Doktor machte ein maliziöses Gesicht, die beiden Fähnriche erglühten wie die Rosen, und Klötersdorf trat schließlich, als er ablegen wollte, dem Konditor Schlichter auf die Beine, der aus dem Schlaf emporschreckte und mit dem Kopf gegen den Ofen stieß.
»Nehmt Euch Stühle und setzt Euch an den Tisch«, nahm Nasewitz auch wieder seinen Platz ein: »Herr Schlichter, noch zwei Gläser Grog!«
Der Konditor lächelte mit blöd-wässerigen Augen, ging hinaus, kam bald mit dem Verlangten zurück und setzte sich wieder an den Ofen.
Die Fähnriche saßen mit mädchenhafter Schüchternheit am Tisch und wagten nicht aufzusehen, weil sie die Blicke der Nymphe auf sich ruhen fühlten.
»Nun, wie gefallen dir unsere jüngsten Waffenbrüder, Fee des Nachtklubs?« fragte Padderow.
»Ausgezeichnet«, entgegnete diese; »das sind zwei Herzen, die noch wahrhaft lieben können... Ihr anderen seid ja schon viel zu verderbt.«
Den Fähnrichen wurde es brühheiß und um ihre Verlegenheit zu verbergen, tranken sie fast gleichzeitig von ihrem Grog, verschlückerten sich, bekamen Tränen in die Augen und fingen an zu husten.
Die beiden Ackerbürgersöhne am Nebentisch kicherten, und Nasewitz warf ihnen einen unwilligen Blick zu.
Konditor Schlichter am Ofen begann ängstlich klingende Schnarchtöne auszustoßen.
»Weshalb schlagt Ihr denn fortwährend die Augen nieder«, fuhr Padderow, zu den jungen Menschen gewandt, fort: »Was sagt der Jäger in Wallensteins Lager:
Einer Dirne schön Gesicht
Muß allgemein sein wie's Sonnenlicht.«
Wallensteins Lager war nämlich das einzige, was Padderow von der gesamten Literatur kannte; dafür hatte er es aber auch auswendig gelernt und brachte mit großer Vorliebe Zitate daraus an.
»Nun aufgeschaut, Junkers... blickt dem Mädchen doch einmal ins Auge; das ist ja eine Beleidigung, wenn Ihr sie gar nicht anseht ... da muß sie ja denken, daß Ihr sie häßlich findet.«
Die beiden Fähnriche gehorchten und ihre Blicke begegneten denen der dunkeläugigen Nymphe; das war aber zu viel für dir unschuldigen Gemüter; das Blut schoß ihnen siedendheiß zu Kopf und Herzen, und Strammin seufzte tief auf, während Klötersdorf die vorhin angezündete Zigarre verkehrt in den Mund steckte und so sich die Zunge verbrannte.
Die Ackerbürgersöhne am Nebentisch kicherten, und Nasewitz warf ihnen einen unwilligen Blick zu.
»Wenn es eine Blase gibt, kommen Sie morgen zu mir«, flüsterte der Doktor dem Fähnrich von Klötersdorf zu; »ich werde sie Ihnen aufstechen.«
Der junge Mann wollte antworten, aber er hatte noch den Mund voll Asche, was ihn an seinem Vorhaben hinderte.
»Gott... solches Kurmachen finde ich zu schön«, wiegte Hulda ihren dunklen Kopf; »das ist so schmachtend und so sanft... die beiden Herren könnten gewiß eine ganze Nacht unter den Fenstern ihrer Geliebten stehen und schwärmen.«
Nasewitz, der bisher sehr schweigsam und gedankenvoll gewesen war, hob plötzlich das bleiche Haupt und maß erst Klötersdorf und Strammin mit den Blicken; bei letzterem hielt er sich aber bedeutend länger auf, und dann sah er auf Padderow, dann wieder auf Strammin, und dann noch einmal auf Padderow und dann abermals auf Strammin.
»Was schaut Ihr mich denn so an, Burgherr von Knelling?« fragte der dicke Offizier, als er es bemerkte.
»Ihr gefallt mir«, nickte Nasewitz ihm freundlich zu; »ich bin Euch gut.«
»Wer sollte dem wohl nicht gut sein?« lächelte die Ladennymphe; »dem sind ja alle Menschen gut... aber die beiden Fähnriche finde ich romantischer... ich habe ein Echo für sie in meiner Brust.«
Der Konditor Schlichter am Ofen gab erst einen ganz tiefen und dann einen ganz hohen Schnarchton zum besten.
Die Ackerbürgersöhne am Nebentisch kicherten.
Nasewitz wandte wiederum den Kopf nach ihnen und um seine schmalen Lippen spielte etwas Mephistophelisches.
»Die beiden Kerls sind mir hier unbequem«, zog es durch seine Gedanken; »ich werde sie ausräuchern.«
Dann holte er langsam und umständlich eine Zigarre aus seinem Etui, kniff die Spitze ab und sah sich auf dem großen runden Tisch vor dem Sofa nach einem Streichholz um.
Klötersdorf, der es bemerkte, wollte diensteifrig aufspringen, um das Gesuchte zu holen; aber Nasewitz hielt ihn mit kräftigem Druck auf seinem Stuhl zurück, stand dann selber langsam auf und trat mit seinen langen Beinen an den Tisch, wo die beiden Ackerbürgersöhne saßen und auf welchem eine große Schachtel mit Streichhölzern stand.
»Die Herren erlauben wohl«, sagte der Offizier mit spöttelnder Höflichkeit; dann zog er ein Hölzchen heraus, rieb an der Wand der Schachtel und kam absichtlich mit dem blaubrodelnden Ende der Zündmasse eines andern zu nahe.
Gleichzeitig sprühte eine breite Feuersäule empor; dann füllte sich die ganze Stube mit einem dicken, weißlichen Rauch, der einen ekelhaften Schwefel« und Phosphorgeruch mit sich führte. –
Die Ackerbürgersöhne waren erschreckt aufgesprungen; die Nymphe kreischte und hielt sich das Tuch vors Gesicht; Padderow und der Doktor lachten, die Fähnriche schielten durch den verdeckenden Rauch nach ihrem holden vis-à-vis, und der Konditor, der gerade den Mund offen gehabt hatte, fing fürchterlich an zu husten.
»Nehmen es die Herren nicht übel«, verbeugte sich Nasewitz gegen die jungen Ackerbürger; »ich werde es gleich wieder gutmachen.«
»Feuer! Feuer!« schrie der noch schlaftrunkene Schlichter.
»Seien Sie ruhig!« drückte ihm Nasewitz die Kinnbacken zusammen; »es sind bloß ein paar Streichhölzer in Brand geraten.«
Dann öffnete er zwei Fensterflügel und stieß die Läden auf, so daß ein eisigkalter Luftstrom ins Zimmer kam.
Die beiden jungen Zivilisten, die weniger abgehärtet waren, legten den Betrag für ihren Wein auf den Tisch und machten sich schleunigst aus dem Staube; der Konditor Schlichter hielt sich die Brust und hustete, als wenn er einen Igel heruntergeschluckt hätte, und das Mädchen hüllte sich fröstelnd in das weiche Tuch.
»Sie sind weg... ich konnte die Bengels nicht mehr ertragen«, sagte Nasewitz; »noch eine Minute Geduld, dann ist der Rauch heraus, und ich schließe das Fenster.«
So geschah es denn auch, aber es war doch kalt geworden; die Unterhaltung wollte ohnehin nicht recht in Zug kommen; die Nymphe wurde blaß vor Müdigkeit und selbst Padderow bekam schon kleine Augen.
Nasewitz hatte ja überhaupt die jungen Ackerbürger nicht ausgeräuchert, um nachher noch lange zu sitzen, sondern er wollte sie aus einem anderen Grunde forthaben.
»Geben Sie mir mal ein Licht, Schlichter!« sagte Nasewitz, als die Fenster wieder geschlossen waren.
Der noch immer hustende Konditor ging mit tränenden Augen und wackelnder Nase hinaus und kam dann mit einem brennenden Licht und einem großen Schlüssel wieder, welche beide Gegenstände er verlegen lächelnd dem Leutnant von Nasewitz überreichte.
Dieser warf erst einen verwunderten Blick auf den Schlüssel; dann aber, als ihm des Konditors Mißverstehen klar wurde, machte er eine zufrieden schmunzelnde Miene und dachte bei sich: »Gut... das fällt noch weniger auf.«
Dann wandte er sich zum Gehen.
Die Nymphe rümpfte ein wenig das Näschen, der Konditor Schlichter rieb sich verlegen die Hände an den Hosen, die Fähnriche schämten sich, und der Doktor lächelte boshaft.
»Das hätte ich Euch nicht zugetraut, Burgherr von Knelling«, blickte ihn Padderow mit tiefster Mißbilligung an.
Nasewitz kehrte sich an nichts, sondern näherte sich langsam der Tür.
»Sind Sie schon dagewesen?« tuschelte der Konditor verlegen, hinter ihm hertrippelnd; »oder soll ich mitkommen und es Ihnen ..«
Der lange Offizier streckte verbietend seinen Arm gegen ihn aus und verließ dann das Zimmer.
Anstatt aber anderswohin zu geben, schlich er leise in die Küche, setzte das Licht auf den Herd, riß ein Blatt Papier aus seinem Taschenbuch, dachte eine Weile nach, schrieb einige Zeilen, faltete es künstlich zusammen, steckte es ein, und trat den Rückweg an.
Im Zimmer herrschte das tiefste Schweigen und eine gekniffene Stimmung. Nasewitz lieferte Licht und Schlüssel wieder ab und mahnte nach einem Weilchen zum Aufbruch, ein Vorschlag, der Anklang zu finden schien.
Die Fähnriche standen sofort gehorsam auf, Padderow rezitierte der Nymphe den Schillerschen Vers, daß »ein Kuß frei sei«, der Doktor sah der Szene sauer lächelnd zu, und Nasewitz überblickte das Ganze mit der Miene eines Feldherrn.
»Kommt, Padderow, wir gehen zusammen!« rief er, sich den Mantel um die Schultern werfend.
Jener hatte eben einen flüchtigen Streifkuß erhascht und suchte nun ebenfalls nach Mantel und Mütze.
Während die Aufmerksamkeit der anderen abgelenkt war, näherte sich Nasewitz dem Mädchen und flüsterte ihr ins Ohr:
»Willst du mir einen Gefallen tun, Hulda?«
»Ach, gehen Sie doch!« sagte das Mädchen noch immer beleidigt.
»Ich habe nicht viel Worte zu machen«, tuschelte Nasewitz weiter; »ich war draußen, um dies Billet zu schreiben... sei so gut und drücke es unbemerkt dem Fähnrich von Strammin in die Hand.«
»Was steht denn darin?«
»Wer wird so neugierig sein! - Willst du mir den Gefallen tun oder nicht?«
»Welches ist denn der Fähnrich von Strammin?«
»Der kleine untersetzte, mit dem dummen Gesicht...«
»Ach so... na, dann geben Sie her.«
Nasewitz drückte ihr schnell den Zettel in die Hand und trat dann von ihr fort.
»Gute Nacht, süßes Bild meiner Träume«, spitzte Padderow die dicken bartüberhangenen Lippen und warf dem Mädchen eine Kußhand zu; »mögen Seraphsfittiche dich in sanften Schlummer fächeln!«
»Ach, machen Sie doch keinen Unsinn!« sagte das Mädchen, mit einem Versuch, sich dem bezeichneten Fähnrich zu nähern.
Nasewitz schob Klötersdorf und den Doktor aus der Stube in den Laden, nahm dann Padderow unter den Arm, um ihnen zu folgen, und ließ Strammin als Letzten zurück.
Kaum hatte die Konditormamsell das Manöver bemerkt, als sie schnell zu dem untersetzten Fähnrich herantrat und ihm Nasewitzens Zettel in die Hand drückte.
Strammin blickte sich erstaunt um, und auf seinen Lippen schien eine Frage zu schweben, als das Mädchen mit einem vielsagenden Blick den Finger auf den Mund legte und ihm Schweigen gebot.
Der Fähnrich folgte den anderen nach, der Konditor Schlichter blies das Licht aus und schraubte die Lampe niedriger; das Fräulein gähnte, und draußen klang die Tür, zum Zeichen, daß die kleine Gesellschaft das Lokal verließ.
Die Haustür war noch offen und man trat in die kalte Nachtluft hinaus.
Der Doktor und die Fähnriche verabschiedeten sich und gingen nach verschiedenen Richtungen über den Markt; Nasewitz blieb mit seinem Freunde noch einige Minuten stehen und blickte den jungen Leuten nach, bis sie um eine Ecke verschwanden.
Begleiten wir sie für kurze Dauer in ihre Wohnung.
Gesprochen hatten sie unterwegs keine Silbe; als Strammin aber oben in seiner Stube ankam, machte er hastig Licht, faltete den Zettel auseinander und las mit brennender Wange und klopfendem Herzen:
»Mein schöner Herr! O, weshalb mußten Sie es gerade sein? - Ich habe Ihre glühenden Blicke verstanden, und wenn mein Verstand sich auch dagegen sträubt, mein Herz muß widerstandslos Ihren Wunsch erfüllen. - Aber Sie müssen sich die Mühe nicht verdrießen lassen; ich bin streng bewacht und selten Herrin meiner Zeit; erwarten Sie mich daher acht Tage hintereinander im kleinen Nachtwächterhäuschen gegenüber dem Rittmeister Schimmelmann, von zwölf bis zwei Uhr nachts; in dieser Zeit werde ich eine halbe Stunde finden, um zu Ihnen zu kommen. - Böser Mann; weshalb haben Sie es mir angetan?«
Als Strammin den Zettel zu Ende gelesen hatte, befand er sich in einem förmlich fieberhaften Zustand.
»Ist es denn möglich!« drückte er sich die heiße Stirn; »sie hat meine Blicke verstanden... ich habe sie doch aber kaum angesehen.. sie will meinen Wunsch erfüllen... ich hatte ja aber eigentlich gar keinen... aber, es ist egal... ich hatte wohl einen... er war mir nur noch nicht klar... dies himmlische Mädchen hat ihn aber dennoch auf dem Grund meiner Seele gelesen... sie liebt mich... ich liebe sie wieder... ich bin der glücklichste Mensch unter der Sonne!«
Nach diesen Gedankenworten stürzte er hinüber zu Klötersdorf und gab dem ganz Erstaunten einen siedendheißen Kuß.
»Mein Gott!« rief der andere; »was ist dir? – Bist du betrunken?«
»Ja!« jubelte Strammin, trunken vor Wonne; ... »ich liebe ... ich bin geliebt ... ich habe ein Stelldichein ...«
»Ist es möglich ... mit wem denn?«
»Mit der reizenden Hulda!« tuschelte ihm der Glückliche ins Ohr.
»Mit Hulda ... aber wie hast du denn dies angefangen ... ich habe ja gar nichts bemerkt.«
»Ja ... das ist eben die Sache!« prahlte Strammin; »Adieu, nun muß ich gehen ... wenn sie vor mir da wäre ... o Gott!«
Klötersdorf hätte gern noch mehr gefragt, aber der andere stürmte fort, als wenn er sein Glück gar nicht mehr erwarten könnte.
»Der Mensch hat ein Stelldichein!« staunte Klötersdorf, als er allein war, »der hat ein wunderbares Geschick in solchen Dingen ... wer hätte ihm das zugetraut ... nun komme ich mir neben ihm vor wie ein blöder Schulknabe ... aber ich darf mich nicht in den Schatten stellen lassen ... morgen mache ich Besuch bei der Baronin Möhrenstolz!«
Als Nasewitz den beiden Fähnrichen eine Weile nachgesehen hatte, zog ihn Padderow am Arm. »Es ist ja verdammt kalt hier«, sagte er; »komm nach Hause.«
Und damit wollte er ihn nach links fortziehen, auf dem nächsten Wege bei der Hauptwache und dem Rittmeister Schimmelmann vorbei.
»Nein, laßt uns heute einmal rechts gehen«, widersprach Nasewitz, die entgegengesetzte Richtung anstrebend.
»Fällt mir gar nicht ein; das ist ja furchtbar um.«
»Deshalb eben ... die frische Luft wird uns wohltun nach dem Grog und dem Schwefelqualm.«
»Meint Ihr, edle Seele?«
»Ihr wißt doch, daß ich Euch immer gute Ratschläge gebe.«
Padderow war davon überzeugt und ließ sich nun, die gefahrvolle Passage beim Rittmeister Schimmelmann vermeidend, wie ein gehorsames Kind von seinem Freund nach Hause führen.
Dort angekommen sagten sie sich herzlich »gute Nacht« und darauf verschwand der eine in dem Hause mit dem Kessel, und der andere in der Veste Knelling.
Kaum aber war die Haustür hinter Padderow zugefallen, als Nasewitz wieder zum Vorschein kam und, im tiefsten Schatten dicht an den Häusern heranschleichend, den Weg nach dem Marktplatz einschlug.
Mit unendlicher Vorsicht gelangte er in einen Torweg, von dem aus er einen freien Blick auf das Nachtwächterhäuschen hatte.
»Richtig... Da steht er!« murmelte er nach einem Weilchen zufrieden vor sich hin. –
Dann trat er behutsam seinen Rückweg an, überschritt bei der Apotheke die Straße, verkroch sich hinter der Außentreppe des Magazinrendanten und schielte nach den Fenstern des Rittmeisters Schimmelmann.
»Er ist da... er hat ihn gesehen!« schmunzelte er vergnügt.
Dann erreichte er unbemerkt die Veste Knelling und begab sich alsobald zu Bett.
»Dem Übelstande wäre abgeholfen, acht Tage und noch länger steht mein Strammin wie ein Pfahl... so lange hält der alte Schimmelmann gar nicht auf seinem Beobachtungsposten aus... nach vier Nächten ist er vollständig von der Tatsache überzeugt... das Verhältnis zwischen Hulda und dem Fähnrich wird dann leicht zu lösen sein... darüber wollen wir uns heute abend den Kopf noch nicht zerbrechen.«
Und das tat er auch nicht, sondern er zog sich das Deckbett über die Ohren und schlief gleich darauf ein.