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3.

Von Padderow und von Nasewitz

Ungefähr vierundzwanzig Stunden nach den im vorigen Kapitel erzählten Begebenheiten war es in Hasenbalg üblicherweise wieder Morgen geworden.

Es hatte eben neun Uhr geschlagen und war daher schon ein ganz Teil heller, als gestern, wo der Rittmeister Schimmelmann auf der dicken Käthe nach der verdeckten Bahn ritt.

Lassen wir einmal unsern Blick diese via triumphalis hinunterschweifen. Von dem großen, berühmten Marktplatz ausgehend, kommt also erst zur Linken die gelbe Hauptwache mit dem grünen Türmchen drauf, daneben das alte Gebäude, in dem der Rittmeister Schimmelmann wohnt, und demselben gegenüber eine etwas zurückgebaute Spelunke, an deren Seitenwand ein gebrechliches, verlassenes Nachtwächterhäuschen lehnt. Weshalb das Ding nicht längst fortgeschafft, sondern stehengeblieben ist, gehört zu den vielen Unbegreiflichkeiten dieser rätselvollen Welt.

Dann kommt, wieder in die Straßenlinie einspringend, das Haus des Magazinrendanten, vor welchem ein paar hübsche Bäume stehen, und dann die Hasenbalger Apotheke.

Der Apotheker war ein stiller Mann, der nur selten auf Ressource kam; aber sein Provisor hatte es für desto mehr hinter den Ohren; der hat manche Nacht durchgesungen beim Konditor Schlichter, bis er ausgeschwefelt wurde, oder bis sie ihn heimbringen mußten in seine Wohnung.

Wenn man nun über die Querstraße schreitet, die nach dem Plettiner Tor führt, erblickt man zwei einander gegenüberstehende Häuser, welche unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen.

Das eine, rechter Hand, wo der große knarrende Kessel vor der Tür hängt, ist ein zweistöckiges, langgestrecktes Haus, das in der Mitte höher ist als auf beiden Seiten und das deshalb aussieht, als wenn es traurig die Schultern sinken ließe. Wenn man vor dem geräumigen Torweg vorbeigeht, weht einem der kräftige Hauch vom Düngerhaufen an, und geht man nachher zur Haustür, so strömt ein prickelnder Biergeruch hervor; denn der Eigentümer Branz ist Brauer und hält unten rechts eine Bier- und Frühstücksstube für die niederen Klassen der Hasenbalger Bevölkerung.

Oben, rechts neben dem Kessel, wohnt schon seit einigen Jahren der Leutnant von Padderow, der seinen Wirt immer sehr freundlich grüßt, wenn er ihm im Flur oder auf dem Hof begegnet, namentlich in den letzten Tagen des Monats. Wenn aber der Erste vorbei ist, dann dankt Herr Branz gar nicht mehr so freundlich wie sonst, und es tritt zwischen beiden eine gewisse ängstliche Spannung ein.

Das Haus gegenüber ist mit dem Giebel nach der Straße herausgebaut und hat in der Beletage zwei Fenster Front und unten neben der Haustür nur eins. Der Flur, der hinten nach dem kleinen Hof ging, war dermaßen eng, daß in früheren Zeiten der Dungwagen nicht an der nach oben führenden Treppe vorbeigeschoben werden konnte, sondern immer vor der Haustür stehenbleiben mußte. Das war natürlich sehr unangenehm und erschwerte die Arbeit furchtbar. Denn anstatt den Wagen auf dem Hof vollzuladen, war man genötigt, jede Forke Dünger durch den Hausflur zu tragen, und das kostete gerade fünfmal so viel Zeit, die ungeheuere Schmutzerei gar nicht einmal gerechnet, die jener umständliche Transport auf dem Flur verursachte. Da kam der Besitzer des Hauses, ein Ackerbürger Knelling, auf die sinnreiche Idee, die Treppe so einrichten zu lassen, daß sie wie eine Zugbrücke in die Höhe gewunden werden konnte, wodurch der Dungwagen dann freie Durchfahrt erhielt. Wegen dieser auffallenden Konstruktion bekam das alte schmale Giebelhaus den Spitznamen der »Veste Knelling«, der ihm wahrscheinlich noch heutigentages anhaftet.

Die ersten Jahre, die Herr von Padderow beim Regiment war, wohnte er in der Oberetage eines kleinen Hauses, dieselbe Straße weiter hinauf nach der Post zu.

Da fingen aber gar bald seine Schuldenfatalitäten an und nahmen so lawinenartig zu, daß der arme, dicke Leutnant in seinen vier Pfählen aller Ruhe und Behaglichkeit verlustig ging. Namentlich in der Zeit vor dem Ersten war es immer recht schlimm.

Wenn da Herr von Padderow manchmal auf seinem alten harten Sofa saß und philosophischen Gedanken nachhing, hörte er einen ungespornten Tritt die Treppe heraufschleichen und dann einen leisen Knöchel an seine Tür klopfen. Das waren immer schlimme Besucher, die nicht kamen, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen.

Oder wenn der Herr von Padderow im Fenster lag und ahnungslos an seiner Zigarre lutschte, fuhr er plötzlich in jähem Schreck zurück und taumelte bis in die Mitte des Zimmers, und im nächsten Augenblick trottete ein schäbiger Jude oder irgendein Handwerker vorbei, mit dem unser Leutnant in Geschäftsverbindungen stand. Und dann die Angst, wenn er abends nach Hause kam und das Licht ansteckte, ob nicht ein Brief auf seinem Tische lag. -

Zuletzt, als er wirklich keine ruhige Stunde mehr in seinem Stübchen hatte, kam ihm die sinnreiche Einrichtung der Treppe beim Ackerbürger Knelling zu Ohren.

Fünf Minuten darauf war er bereits an Ort und Stelle, ließ sich die Maschinerie erklären und nach zehn Minuten weiter hatte er die Oberetage gemietet.

Nun bekam der Herr von Padderow wirklich etwas Erleichterung; denn er konnte sicher und wohlbehalten im Fenster liegen, an seiner ewig verstopften Zigarre lutschen und heiteren Sinnes die Straße rechts herauf und die Straße links hinuntersehen; wenn dann am fernen Horizont eine Physiognomie erschien, die ihm nicht ganz koscher vorkam, dann schloß er schleunigst das Fenster, zog die Treppe auf und war so sicher, wie in Abrahams Schoß.

Wenn er nicht aus dem Fenster sah, war die Treppe stets heraufgezogen, und wenn dann von Nasewitz oder ein anderer harmloser Freund zu ihm wollte, mußten sie von der Straße herauf irgendein bekanntes Signal geben.

So ging die Sache ein paar Jährchen ganz gut, und wenn Herr von Padderow auch viele Straßen gar nicht benutzen konnte, aus Furcht, sich einem darin wohnenden Gläubiger ins Gedächtnis zurückzurufen, so hatte er doch wenigstens in seinem eigenen Hause Ruhe und brauchte nicht bei jedem verdächtigen Geräusch ängstlich die Ohren zu spitzen.

Eines schlimmen Tages aber schrieb ihm der Ackerbürger Knelling einen krähenfüßigen Brief, in welchem er ihm die Wohnung kündigte, unter dem Verwände, daß die Treppenwalze durch zu vieles Herauf- und Herunterlassen dermaßen abgenutzt würde, daß bald eine neue erforderlich sein dürfte. Um diese kostspielige Reparatur wenigstens noch möglichst lange hinauszuschieben, sähe er sich daher genötigt, seinem Mieter die Wohnung zu kündigen.

Dem armen Herrn von Padderow blieb nichts übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen und sich mit philosophischer Ruhe ins Unvermeidliche zu fügen.

Am nächsten Ersten zog er zum Brauer Branz hinüber, der ihn immer so freundlich angesehen hatte, und von Nasewitz nahm die Wohnung in der Veste Knelling, um sich täglich an dem Anblick seines Busenfreundes weiden zu können.

So lebten sie nun schon mehrere Jahre einander gegenüber, oft im Frieden, oft im Unfrieden.

Es bestand überhaupt ein merkwürdiges Verhältnis zwischen von Nasewitz und von Padderow. Im Grunde genommen waren sie die besten Freunde von der Welt und hätten gar nicht einer ohne den anderen leben können; aber der lange Nasewitz hatte etwas von Mephistopheles in sich und konnte es durchaus nicht lassen, über alles und jedes spöttische Bemerkungen zu machen, oder seinen Mitmenschen einen kleinen Schabernack zu spielen. Am schlimmsten wurde hiervon aber sein bester Freund Padderow betroffen.Sowie er den sah, ging das Necken los und oft blieb er bis spät in die Nacht hinein auf, um sich etwas auszudenken, womit er seinen Freund ärgern konnte.

Dessenungeachtet mochte ihn von Padderow am liebsten von allen Kameraden; denn er hatte die feste Überzeugung, daß er es doch im Herzen gut mit ihm meine, und deshalb war auch Nasewitz der einzige, gegen den er sich, bis auf einen kitzlichen Punkt, ganz offen und ehrlich aussprach.

Oft kamen sie natürlich so hart aneinander, daß sie sich gegenseitig die Kehlen abschneiden wollten. Ehe diese entsetzliche Katastrophe aber eintrat, vertrugen sie sich immer wieder, denn jeder hatte doch den andern zu lieb, als daß er ihn hätte umbringen können.

Zur Entschuldigung von Nasewitz mußte freilich angeführt werden, daß Padderows ganze Persönlichkeit zur Neckerei und zum Aufziehen herausforderte.

Es war jedenfalls ein ganz komischer Kerl; denn wer ihn einmal gesehen hatte, vergaß ihn in seinem ganzen Leben nicht! -

Eine kleine, dicke Figur, die sich gewöhnlich mit einer spanischen Grandezza bewegte, ein runder, dicker Kopf, um das volle Gesicht herum einen starken, dunklen Backenbart, wahrend der Schnurrbart, unter der etwas nach einer Seite gebogenen Nase, kein rechtes Gedeihen hatte, ihm aber trotzdem beim Essen stets in den Mund kam. Die kleinen, eigentümlich blickenden Augen waren etwas verquollen. Von Nasewitz meinte, das käme vom vielen Trinken; von Padderow selbst aber erklärte es für einen Familienzug.

Wenn der dicke Leutnant die Mütze abnahm, sah er plötzlich um zehn Jahre älter aus, weil er einen fast ganz kahlen Kopf hatte, obgleich er kaum dreißig Frühlinge zählte. Deshalb behielt er auch, wo er irgend konnte, die Bedeckung auf, und wenn er sich genötigt sah, sie abzunehmen, war ihm dies beinahe so unangenehm, als wenn er auf der Badeanstalt das Hemd ausziehen mußte. Er tat dies jedesmal, wenn er dachte, daß ihn niemand ansah, und dann wickelte er sich schleunigst in einen weiten Bademantel und sprang mit diesem angetan in die friedlichen Fluten der Hase.

Ebenso originell wie der Körper war auch der Geist gebildet. Ohne wirkliche Kenntnisse zu besitzen, erging sich seine Phantasie fortwährend in den ritterlichen Zeiten des Mittelalters, wo man Lanzen brach und süße Minne übte. Deshalb nannte er sich auch immer den »Padderower« und seinen Freund den »Nasewitzer«; das klang seinem romantischen Ohr bedeutend besser.

Der kleine Leutnant war außerordentlich beliebt, bei Militär und Zivil, bei Männern und Frauen, obgleich die letzteren immer ganz eigentümlich lächelten, wenn er ihnen in pomphaften Phrasen den Hof machte. Für das schöne Geschlecht empfand Herr von Padderow nämlich eine ganz besonders lebhafte Sympathie. Ohne alle Ausnahme brachte er jedem weiblichen Wesen seine ritterlichen Huldigungen dar, sie mochte alt oder jung, hübsch oder häßlich sein. Wenn jedoch seine glühend bilderreiche Sprache Eindruck zu machen begann, wenn ein schönes Augenpaar sich senkte, und wenn das Herz Miene machte sich zu ergeben, dann nutzte der Padderower niemals den errungenen Vorteil aus, sondern zog sich als großmütiger Sieger zurück, um derselben Festung fortan nicht mehr zu nahen.

Nasewitz machte hierüber natürlich seine schnöden Bemerkungen, die auch hier und da Glauben fanden. Aber die Sache blieb doch immerhin ein Rätsel; nur das war eine nicht wegzuleugnende Tatsache, daß der Padderower niemals eine Geliebte gehabt hatte, denn so etwas wird doch bekannt in einer kleinen Stadt wie Hasenbalg.

Er liebte nur platonisch; er bewunderte und ließ sich bewundern; aber er wollte das Göttliche nicht mit dem Irdischen vermengen.

Andere körperliche Genüsse liebte er allerdings sehr, namentlich kalten Kalbsbraten, Grog, Rotwein und Zigarren. Obgleich kein Mensch behaupten konnte, daß er ihn schon jemals eine rauchen sah, die Luft gehabt hätte. Deshalb lutschte er auch nur daran und manchmal, wenn er dachte, daß sie ausgegangen wäre, pustete er auch wohl hinein, daß er einen ganz roten Kopf bekam vor Anstrengung.

Überall, wo von Padderow sich zeigte, sei es in Hasenbalg selbst oder anderswo, hatte er gleich einen Kreis von Leuten um sich, die Interesse für ihn zeigten und sich über ihn amüsierten, obgleich er eigentlich gar nicht einmal recht witzig war, aber er brachte alles so pudelnärrisch heraus, daß man unwillkürlich über ihn lachen mußte.

Was von Nasewitz anbetrifft, so ist er, nach dem Vorangegangenen, mit kürzeren Strichen zu zeichnen: eine lange, dürre Figur, eine gebogene Nase, graue lebhafte, fortwährend beobachtende Augen, einen ewig ironischen Zug um den seinen, von einem spärlichen Schnurrbart, wie von einem seidenen Lampenschleier überhangenen Mund, und blonde, scheitellose, stets zu Berge stehende Haare.

Diese beiden Persönlichkeiten wohnten also einander gegenüber, von Padderow rechts in dem Hause, wo der Kessel vor der Tür hängt, und von Nasewitz links in der schmalen Veste Knelling.

Wie wir wissen, hatte es eben neun Uhr geschlagen.

Sehen wir erst einmal zu, was Herr von Nasewitz da drüben macht.

Das Vorderzimmer ist noch leer; aber es sieht ganz niedlich drinnen aus.

Der Ofen ist bereits zugemacht und strömt eine behagliche Wärme durch den kleinen Raum. An den Wänden hängen in schmalen Goldleisten kolorierte Bilder, mit denen damals die Händler noch in den kleinen Städten umherreisten, weil Buchhandlungen in denselben nicht existierten. Auf einem über dem Sofa angebrachten Büchergestell stand eine kleine Bibliothek von vielleicht fünfzig sauber eingebundenen Büchern, und inmitten des runden Tisches summte eine Kaffeemaschine ihr leises Morgenlied. Eine so behagliche Einrichtung war in jenen Zeiten eine große Seltenheit bei den unbeweibten Söhnen des Mars; teils weil es an Geschmack dafür fehlte, teils weil auch kein Geld dafür vorhanden war. Der Leutnant von Nasewitz aber besaß beides, denn er war kein leidenschaftlicher Soldat, sondern hätte sich weit besser zum Juristen geeignet, und seine pekuniäre Lage war eine durchaus geordnete und auskömmliche. -

In demselben Moment, wo wir in das Halbdunkel des nach dem kleinen Hofe gelegenen Schlafzimmers treten, öffnet sich eine andere Tür, und der Bursche mit den Kleidungsstücken des Offiziers kommt vorsichtig herein, gefolgt von einem so häßlichen Hunde, wie ihn kaum die Phantasie zu malen versteht.

Der Köter ist der Bastard einer Bulldogge und eines Fuhrmannspitzers, sehr klein, aber unnatürlich lang, von gelbroter Farbe, krummen Beinen, und einem Gesicht, das namentlich durch die gespaltene Nase und die weit vorstehenden Unterkiefer einen bösartigen Ausdruck bekommt.

Auch der Bursche zeigt eine auffallende Abweichung von der grobkörnigen, starren, dummdämlichen Physiognomie der übrigen Offiziersbedienten, denn er ist klein und mager und in den blassen Zügen spricht sich eine gewisse Schläue und Pfiffigkeit aus.

Nachdem er den Rock über eine Stuhllehne gebreitet und die Beinkleider mit den bereits eingezogenen Stiefeln vor das Bett gestellt, blickt er auf den noch schlafenden von Nasewitz.

»Guten Morgen, Herr Leutnant!« sagt er dann mit leiser, schonender Stimme.

Der Offizier dehnte sich und öffnete langsam die Augen.

»Was ist die Uhr?« fragte er gähnend.

»Eben neun geschlagen, Herr Leutnant!«

»Dann werde ich aufstehen. - Wann habe ich heute Dienst?«

»Vormittag gar nicht, Herr Leutnant .... Ihre Abteilung reitet um halb drei.«

In diesem Moment sprang der Hund auf das Bett, wedelte mit dem kurzen Stummel und blickte seinem Herrn ins Gesicht, als wenn er ihm etwas erzählen wollte.

»Was machst du denn für ein dummes Gesicht, Joseph?« lächelte von Nasewitz; »du hast wohl Appetit zum Frühstück?«

»Ne«, kopfschüttelte der Bursche, »er freut sich bloß.«

Der Hund stieß einen eigentümlich gequetschten Bauchton aus und versetzte seinen gelben Stummel in noch heftigere Schwingungen.

Von Nasewitz richtete sich im Bett auf und blickte seinen Pagen an.

»Wirst du mir nun gefälligst erklären, was los ist?« fragte er mit neugierigem Zwinkern seiner kleinen grauen Augen.

Pittelko streckte mit pfiffigem Lächeln seinen linken Daumen nach dem Vorderzimmer hin und begleitete diese Bewegung mit einem Neigen des Kopfes nach derselben Richtung.

Von Nasewitz richtete seine Sehorgane ebenfalls dorthin, aber er schien nichts Absonderliches entdecken zu können.

Der Hund fletschte vor Vergnügen seine schiefen Zähne und zitterte in höchster Aufregung am ganzen Körper.

»Donnerwetter!« rief der Leutnant; »werde ich nun bald erfahren, was es gibt?«

»Er sitzt wieder am Fenster«, grieflachte Pittelko mit einer abermaligen Daumenbewegung.

»Wer ... der Leutnant von Padderow?«

»Ach ... ne ... der Polko.« –

Bei der Nennung dieses Namens stieß Joseph ein Geheul aus, das an den Kriegsschrei der Indianer erinnerte.

»Ich meinte nur ... wenn der Herr Leutnant vielleicht das Pustrohr probieren wollten ...« lächelte der Bursche, »das sich der Herr Leutnant haben machen lassen ....«

Auf dem Gesicht des Herrn von Nasewitz glänzte eine stille Freude und er streckte sein mageres Bein aus dem Bett um aufzustehen.

Nachdem er Morgentoilette gemacht und einen hübschen weichen Schlafrock angezogen hatte, holte er hinter einem Spind ein langes Pustrohr hervor, knetete sich eine Lehmkugel zurecht, ließ diese in die Mündung des Rohrs gleiten und ging dann, vorsichtig wie ein Jäger, in die vordere Stube.

Joseph folgte ihm mit so zornig gesträubten Haaren, daß er aussah, wie ein Igel, sprang dann mit einem Satz aufs Fensterbrett und starrte mit haßerfüllter Miene nach der Wohnung des Herrn von Padderow.

Pittolko, der Bursche, stellte sich in der Verbindungstür auf die Zehe und machte einen langen Hals.

Da saß in dem offenen Fensterflügel, welcher dem Kessel zunächst war, ein großer häßlicher Hund und blickte in tiefster Mißstimmung die Straße hinab.

Es war eine Buldogge reinster Rasse, ganz weiß, nur um die gespaltene Nase und den vorgestreckten Unterkiefer herum lag ein rosiger Schimmer, wie bei den echten Araberschimmeln.

Das Tier saß ganz unbeweglich, und der düstere verärgerte Ausdruck seiner Züge zeigte deutlich, daß eine schwere Melancholie in seiner Seele lag.

Das war Polko, der Hund und Freund des Herrn von Padderow und der Erzfeind vom kleinen Joseph, der seinem Herrn die Neckereien abgelernt hatte, doch ohne die Grundlage der Liebe, durch welche jene veredelt wurden. Wo Joseph dem armen Polko einen Streich spielen konnte, tat er es mit jener ausgesuchten Gehässigkeit, und deshalb zitterte er auch jetzt vor grausamem Vergnügen, weil er wußte, daß etwas gegen seinen Feind verübt werden sollte.

Was Polko betrifft, so vergalt er eigentlich nie gleiches mit gleichem; aber sein Sinn wurde immer mehr und mehr verdüstert, und das Lächeln schien auf ewig verbannt aus den kummervollen Zügen.

Herr von Nasewitz öffnete leicht und geräuschlos einen Fensterflügel, so daß ein kalter Luftzug in das warme Zimmer drang.

Drüben hatte das nichts zu sagen, denn Herr von Padderow heizte niemals, weil er an zu großer innerer Wärme litt, und des Morgens machte er sogar stundenlang ein Fenster auf, um Körper und Sinn gehörig auszudunsten in der schneidend frischen Luft.

Nachdem von Nasewitz sich eine freie Schußlinie geschaffen, trat er bis in die Mitte des Zimmers zurück, legte das lange Pustrohr an die Lippen und zielte mit äußerster Genauigkeit. Durch Josephs Körper fuhr ein nervöses Zucken, und Pittelko heftete seine neugierigen schadenfrohen Blicke fest und unverwandt auf das ahnungslose Ziel.

Jetzt pustete von Nasewitz, ein leiser, eigentümlicher Ton deutete an, daß die Lehmkugel das Rohr verlassen, Joseph stieß einen gurgelnden Laut aus; im nächsten Moment zog Polko eine krause Nase, als wenn ihn etwas gekitzelt habe; dann hörte man einen lauten, aber unverständlichen Fluch, die Bulldogge blickte um sich, und alles war wieder still.

»Ich glaube, ich habe ihn nur gestreift«, sagte der Leutnant, das Rohr senkend; »ich werde noch einmal...«

In diesem Augenblick sprang aber Polko vom Fensterbrett in das Zimmer und Joseph fuhr mit dem Kopf gegen die Scheiben, als wenn er ihn beißen wollte.

»Hm... es ist vorbei«, sagte von Nasewitz; »vielleicht glückt es morgen besser!«

Damit übergab er das Pustrohr seinem Burschen, der mit demselben hinausging, und schickte sich an, in Gemeinschaft mit Joseph seinen Morgenkaffee zu verzehren.

Aber Joseph hatte keinen Appetit; er kaute an dem Stückchen Milchbrot als wenn er es nicht hinunterbringen könnte; und schnitt dabei so gräßliche Gesichter, daß von Nasewitz unwillkürlich darüber lachen mußte.

»Ärgerst du dich, Joseph?« fragte er ihn, anblickend.

Der Köter stieß einen bejahend knurrenden Ton aus.

»Es ist auch schade«, fuhr der Leutnant fort; »ich hatte mich darauf gefreut, was Polko für einen Schreck bekommen würde... es wäre ein so hübsches Morgenvergnügen gewesen... die Nacht ist mir auch nichts eingefallen, womit ich meinen Freund Padderow ein bißchen erheitern könnte... es wird ein langweiliger Tag werden...«

Joseph würgte ein Stück Semmel hinunter, daß ihm die Augen aus dem Kopf traten, und blickte dann mißvergnügt vor sich hin.

Was seinen Herrn betrifft, so klärten sich dessen Züge aber während des Kaffeetrinkens auf, um die schmalen Lippen begann das alte spöttische Lächeln zu spielen, und in den kleinen, grauen Augen zwinkerte es, wie eine stille Freude.

»Gib acht, Joseph«, sagte er aufstehend; »einen kleinen Spaß wollen wir uns doch machen.« Der Hund war mit einem Satz wieder am Fenster. Nasewitz öffnete den Fensterflügel, den er vorhin wieder geschlossen, noch einmal, lehnte sich hinaus und rief mit lauter Stimme:

»Edler von Padderow!«

Keine Antwort.

»Würdiger Padderower!« schrie Nasewitz noch vernehmlicher.

Jetzt hörte man ein Geräusch im Zimmer drüben, und eine Minute darauf erschien das bärtige dicke Gesicht des Leutnants am Fenster und blickte in fast noch schlechterer Laune heraus, wie es vorhin Polko, der Hund, getan.

»Ich wünsche Euch einen guten Morgen, edler Ritter von der Tafelrunde!« redete Nasewitz in der bilderreichen Sprache seines Freundes.

Dieser öffnete den Mund, um einen Gegengruß zu entbieten, zog dann aber eine wunderbare Grimasse, wie jemand, der eine Gräte in den Hals bekommen hat, brachte es nur zu einem krächzenden Ton und ging dann wieder vom Fenster zurück.

»Was ist denn dem Padderower?« kopfschüttelte Nasewitz, nachdem er noch ein Weilchen gewartet; »er sieht ja aus, als wenn er Zahnschmerzen hätte... so habe ich ihn ja in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen...«

»Padde...ro... o... w!« schrie er dann mit der vollen Kraft seiner Lunge; »laßt mich doch Euer edles Antlitz noch einmal schauen!«

Es dauerte nicht lange, so erschien der Gerufene in seinem roten Schlafrock, die schirmlose Feldmütze auf dem Haupt, lehnte seinen dicken Oberkörper in die Fensterbrüstung und blickte fragend nach der Veste Knelling herüber.

Nasewitz nickte ihm freundlich zu.

Der Padderow nickte wieder, aber mit einem Gesicht, als wenn er Tinte zum Frühstück getrunken hätte.

»Gut geschlafen?« fragte jener.

Der dicke Kopf öffnete abermals seinen Mund zum Antworten, machte aber dann wieder dieselbe Bewegung, als wenn er eine Gräte im Gaumen hätte, stieß einen krächzenden Ton aus und schloß die Lippen zum Schweigen.

»Das wird heute nichts mit der Unterhaltung«, murmelte Nasewitz... »der edle Kämpe scheint sich beim Kaffeetrinken verschluckt zu haben... ich will ihn 'mal auf andere Weise in Bewegung setzen.«

Damit bog er den Kopf und schaute unverwandt nach dem Markt hinauf. Der Padderower machte ihm natürlich die Bewegung nach.

Plötzlich schien von Nasewitz seiner Sache sicher geworden zu sein und deutete, seinen Freund bedeutungsvoll anblickend, mit einer schnellen Geste auf einen unbestimmten Punkt.

Der dicke Offizier erschrak so heftig darüber, daß er beim schleunigen Zurückfahren mit dem Kopf heftig gegen das Fensterkreuz stieß und mit einem dumpfen Fluch in den Hintergrund des Zimmers taumelte.

Als Joseph den Knall hörte, klappte er seine schiefen Zähne zusammen.

»Oh... oh!...« dachte von Nasewitz..., »so hatte ich es eigentlich nicht gemeint... wehtun wollte ich dir ja nicht... nun muß ich aber doch wohl hinüber und mich nach seinem Befinden erkundigen.«

Nach diesen Worten schloß er das Fenster, begab sich, von dem jetzt boshaft lächelnden Joseph gefolgt, in das Schlafzimmer, vertauschte das Morgenkostüm mit der Uniform, setzte die Mütze auf, brachte den Köter nach dem Stall, damit er sich nicht mit Polko beißen sollte, und schlenderte über die Straße nach dem Hause, wo der Kessel vor der Türe hing.

Oben auf dem Treppenabsatz angelangt, klopfte er beim Padderower, weil dieser immer hinter Schloß und Riegel saß, seitdem er die sichere Veste Knelling unfreiwillig verlassen hatte müssen.

Keine Antwort.

»Ich bin es, edler Burgherr«, klopfte Nasewitz weiter; »gebt mir Einlaß und hegt keinerlei Befürchtung!«

Jetzt konnte man einen schweren Tritt durch das Zimmer schlurren hören, dann wurde ein Riegel zurückgeschoben und die Tür geöffnet.

Nasewitz trat ein und der Padderower riegelte gleich wieder hinter ihm zu.

In der großen, kahlen, mangelhaft möblierten Stube war es unheimlich kalt. Auf dem Tisch vor dem altmodischen Sofa stand noch das Kaffeegeschirr, nämlich ein zerbrochener, einstmals lackiert gewesener Präsentierteller und auf demselben ein ganz kleines Kaffeekännchen, ein noch kleineres Sahnennäpfchen und eine altmodische Tasse, die Ähnlichkeit mit einer Blumenvase hatte und noch zur Hälfte mit einer blaßbraunen Flüssigkeit gefüllt war.

In der einen Ecke des Sofas lag Polko, der Hund, und schnitt beim Eintritt des befreundeten Nasewitz jenes merkwürdig verlegen-freundliche Gesicht, das diesen Tieren eigentümlich ist.

»Nun sagt mir doch... was ist Euch denn, edle Seele?« fragte der dünne Leutnant, das Fenster schließend und sich an den kalten Ofen setzend; »Ihr macht ja ein Gesicht, wie ein betrübter Lohgerber ... ist Euch ein Milchbrot in die unrechte Kehle gekommen, oder seid Ihr vom Ziegenpeter geplagt ... sprecht und gebt mir Rede, so Ihr mich nicht ernstlich beunruhigen wollt.«

Der Padderower, der in seinem roten Schlafrock, die Mütze auf dem Kopf, ohne Halstuch und Unterkleider und mit groben Holzpantoffeln an den Füßen, einem Tintenwischer nicht unähnlich sah, öffnete wiederum die bärtigen Lippen und sprach einige total unverständliche Worte, die wie ein heiseres Räuspern klangen.

»Ja, das habe ich nicht verstanden, würdiger Waffengenosse«, schüttelte Nasewitz den Kopf; »könnt Ihr Euch nicht ein bißchen deutlicher ausdrücken?«

Padderow sagte wieder etwas, indem er mit dem rechten Zeigefinger nach dem Mund deutete und ein klägliches Gesicht dazu machte.

»Wie? ... In den Hals ist Euch 'was geflogen?« klappte Nasewitz sein rechtes Ohr um, damit er besser hören könne.

Der Padderower nickte energisch.

»Wann ist denn das gewesen, tapferer Ritter?«

Der andere deutete nach dem Geschirr auf dem runden Tisch vor dem Sofa.

»Beim Kaffeetrinken?«

»Hm!«

»Was war es denn?«

»Karre!« machte von Padderow.

»Wie?«

»Karr... färr!«

»Ein Käfer?«

»Hm!«

»Was denn für einer... ein Maikäfer?«

»Nein... girr... birr... birr!«

»Die gibt's nicht mehr, wollt Ihr sagen?«

»Hm!«

»Also vielleicht ein Mistkäfer?«

»Hm! ... Glau... bau... schmeck... na... Le... le... kurr!«

»Nach Lehm hat er geschmeckt?« Hm!«

»Wo habt Ihr ihn denn gelassen?«

»Kurr!« krächzte der Padderower, indem er sich schüttelte.

»Runtergeschluckt?«

»Hm!«

Nasewitz lächelte still vor sich hin.

»Armer Freund«, reflektierte er in Gedanken; »das war meine Lehmkugel, die ihre Bestimmung verfehlt hat ... Du tust mir leid; aber es war nicht meine Absicht ...«

»Ich will Euch einen guten Rat geben«, fuhr er dann mit lauter Stimme fort; »Ihr habt ja wohl immer einen kleinen Kognak zu Hause, spült damit ein bißchen nach, dann wird Euch die Macht der Rede gleich wiederkommen.«

Der Vorschlag schien dem Padderower zu gefallen; denn er nickte freundlich, holte aus dem Aufsatz über seinem alten Schreibspind eine Flasche und ein Glas, schenkte das letztere ganz voll, setzte es an die Lippen und schmiß, wie man sagt, den kratzenden Inhalt mit einem graziösen Heben des kleinen Fingers in die dunkle Tiefe der Kehle hinunter.

»Ah!« sagte er, als er wieder absetzte.

»Na ... ist's nun besser?« fragte Nasewitz.

»Hol' mich der Teufel ... ja«, schüttelte sich Padderow; »wollt Ihr auch einen, Edler von Knelling?«

»Danke«, lehnte dieser ab; »Ihr wißt ja, daß ich keinen Schnaps trinke.«

»Bedauernswerter Schwächling«, verzog der andere mitleidig den breiten Mund, indem er sich noch einen Halben zulegte und dann Flasche und Glas wieder an ihre Stelle brachte.

»Aber eine Zigarre könnt Ihr mir geben«, sagte Nasewitz; »das wärmt doch ein bißchen, und hier ist es kalt wie im Hundestall.«

Der dicke Leutnant warf ihm einen zweiten mitleidigen Blick zu, reichte ihm dann eine Zigarre und Feuer und steckte sich ebenfalls etwas zu rauchen an.

»Die hat wieder keine Luft«, sog Nasewitz, daß ihm die Backen hohl wurden; »aber es ist vielleicht besser so; denn der Duft dieses Krautes erinnert unwillkürlich an Kohlblätter.

»Der edelste Kastilianer raucht keine bessere Zigarre«, richtete sich Padderow stolz empor, indem er an dem kaum glimmenden Stengel zu lutschen begann.

Dann setzte er sich neben Polko auf das Sofa und blickte seinen Freund mit einer nervösen Ängstlichkeit an.

»Wer war denn vorhin da?« fragte er mit gedämpfter Stimme.

»Wo?« sog Nasewitz stillvergnügt an seiner Zigarre.

»Na ... auf der Straße draußen.«

»Auf welcher Straße, vortrefflicher Hidalgo?«

»Als Ihr mir den Wink gabt.«

»Ich hätte Euch einen Wink gegeben?«

»Euer Gedächtnis fängt an schwach zu werden, Erbherr von Nasewitz ... wißt Ihr denn nicht mehr ... als ich aus dem Fenster zurückfuhr und mir den Kopf stieß.«

»Oh ... den Kopf habt Ihr Euch gestoßen ?« bedauerte der andere.

»Furchtbar ... daß ich alle Engel im Himmel pfeifen hörte ... ich glaubte, Ihr wolltet mich auf einen Geschäftsfreund aufmerksam machen, der im Anzüge sei ...«

»Oh, das tut mir ja aufrichtig leid«, freute sich Nasewitz; »da habt Ihr Euch geirrt, ich wollte Euch nur zeigen, wo heute der Wind herkommt.«

Herr von Padderow warf ihm einen eigentümlichen Blick zu.

»Das ist wieder einer von Euren unpassenden Späßen«, sagte er, mit dräuenden Wolken auf der Stirn; »nehmt Euch in acht, Nasewitzer, und werdet nicht zu dreist. Wenn Ihr auch schon oft meinem strafenden Arm entgangen seid, so kommt das Maß doch 'mal zum Überlaufen, und meine gute Klinge sitzt Euch zwischen den Rippen, Ihr wißt nicht wie.«

»Oh, wie könnt Ihr glauben, daß ich Euch wehtun wollte«, entgegnete der andere; »laßt uns die kleine Unannehmlichkeit vergessen.«

Damit reichte er ihm die Hand, in welcher er die Zigarre hielt; der gutmütige Padderower schlug, ohne hinzusehen, ein und verbrannte sich drei Finger.

»Heiliges Donnerwetter!« fluchte er, indem er seine Hand aus der des Herrn von Nasewitz zu befreien suchte.

Dieser aber ließ nicht los, sondern drückte die Finger seines Freundes wie mit einem eisernen Schraubstock zusammen.

»Aber wer wird denn wieder so aufbrausen«, sagte er dabei mit milder Stimme; »Ihr seid beute wieder in Eurer trüben Laune; deshalb muß man Geduld mit Euch haben.«

»Bei allen Heiligen Kastiliens, laßt mich los, oder ich renne Euch mein Schwert durch Euren verräterischen Busen!« kämpfte der Padderower noch immer vergeblich um seine Befreiung.

Polko, der Hund, der seinem Herrn sehr zugetan war und die Sache anfänglich für Scherz gehalten hatte, fühlte sich jetzt zu einer Vermittlung veranlaßt, indem er sich plötzlich aus der Sofaecke erhob und dem Nasewitzer drohend beide Pfoten auf die Schultern legte.

Da dieser bereits den heißen Odem der Dogge in seinem Antlitz fühlte, ließ er natürlich die Hand seines Freundes los und brachte mit einer geschickten Bewegung das noch brennende Ende seiner Zigarre an eine sehr zarte und empfindliche Stelle unterhalb des Schwanzes seines Angreifers.

Kaum fühlte dieser den brennenden Schmerz, als er mit lautem Geheul wie wahnsinnig über den Tisch setzte, das Kaffeegeschirr umwarf, dann aufs Fensterbrett sprang und, mit tragikomischen Bewegungen und einem kläglichen Gesichtsausdruck, Versuche anstellte, die brennende Stelle an den kalten Scheiben zu kühlen.

Padderow war unterdes aufgestanden und besah sich seine verbrannte Hand, während von Nasewitz stillvergnügt über die Konfusion lächelte, die er angerichtet hatte.

Polko war es jetzt endlich gelungen, mit einer höchst gewagten Verdrehung seines dicken Körpers, den beabsichtigten Zweck zu erreichen, als er plötzlich die abgeschnittenen Ohren spitzte und aufmerksam zu horchen schien.

»Was ist denn eigentlich dem Hund?« fragte sein Herr, die eigenen Leiden vergessend und nach dem Fenster gehend, um sich zu überzeugen.

Er mochte vielleicht noch zwei bis drei Schritte von demselben entfernt sein, als Polko, der mit zunehmender Ängstlichkeit gehorcht, von einem zweiten Schreck gepackt, und als wenn er wiederum hinten gebrannt worden wäre, vom Fensterbrett herunter und dem Padderower mit einer solchen Kraft auf den Leib sprang, daß dieser ins Schwanken geriet und sich mitten in der Stube auf die Dielen setzte.

Der Hund war währenddessen unter das Sofa geflüchtet, und von Nasewitz mußte sich die größte Mühe geben, um nicht laut zu lachen.

Von draußen her ertönte ein gedämpftes, keifendes Geräusch, als wenn eine alte Frau zankt, oder als wenn ein Hund kläfft.

Im Zimmer selbst war augenblicklich ein Zustand der Ruhe eingetreten.

Nasewitz hatte ein Bein über das andere geschlagen und blickte, um sich das Lachen zu verhalten, mit zusammengebissenen Zähnen auf Padderow. Von Padderow war durch den letzten Vorfall dermaßen betäubt und verdutzt, daß er ruhig, wie ein im Sande spielender Knabe, auf der Erde saß und sich in stiller Ergebenheit die Hand besah, und Polko, der Hund, lag unter dem Sofa und wandte bei seinem brennenden Leiden die altbewährte Heilmethode des Speichelns an.

»Wie kam das eigentlich?« ermannte sich endlich von Nasewitz zu einer Frage, obgleich ihn inwendig noch immer der Bock der Heiterkeit stieß.

»Ja, wenn Ihrs nicht wißt, Edler von Knelling«, kopfschüttelte Padderow mit engelgleicher Ergebung; »mir ist es durchaus unerklärlich.« –

»Weshalb besehet Ihr Euch denn immer die Finger?« fragte von Nasewitz weiter.

»Weil ich sie mir verbrannt habe... an Eurer Zigarre«, entgegnete der andere, mit derselben himmlischen Milde... »aber es war meine Schuld ... denn so etwas tut doch kein Mensch mit Überlegung.«

Nasewitz schämte sich jetzt; er fühlte, daß seine unbesiegbare Liebe zum Necken ihn diesmal zu weit geführt habe.

»Wenn ich nur wüßte, was mit dem Racker, dem Polko, eigentlich war«, pustete von Padderow jetzt die verbrannte Hand; »er sprang ja wie wahnsinnig auf mich los ... da am Fenster konnte ihm doch niemand etwas getan haben.«

Jetzt begann von Nasewitz aufzuhorchen, stand auf und blickte hinaus. Da saß drüben an einem Fenster der Veste Knelling der gelbe Joseph, ganz kraus vor Ärger, Zorn und Wut, und kläffte und bellte, daß ihm die Augen aus dem Kopf traten.

Sein Herr klopfte an die Scheiben und drohte ihm, worauf der Hund schnell den Schwanz einzog und verschwand.

»Es war Joseph«, wandte sich von Nasewitz um; »wahrscheinlich hat sich Polko vor ihm gefürchtet ... ich hatte ihn in den Stall gebracht, ehe ich ging; aber er muß mit Pittelko wieder heraufgekommen sein. - Aber wollt Ihr nicht aufstehen, vortrefflicher Freund, ich dächte, das müßte ein ziemlich unbequemer Sitz sein.«

»Da habt Ihr nicht ganz unrecht, würdiger Recke«, ließ der andere sich auf die Beine helfen; »Ihr könnt überzeugt sein, daß ich ihn nicht freiwillig gewählt habe.«

Dann glimmten beide ihre Zigarren wieder an und nahmen die alten Plätze ein.

Padderow blickte düster vor sich hin, und Nasewitz schien von Gewissensbissen gequält.

Der Hund unter dem Sofa setzte die Heilversuche fort.

»Was fehlt Euch, alte Seele?« begann endlich Nasewitz die Unterhaltung; »Ihr schaut so trüb und bleich, daß es einem ordentlich zu Herzen geht.«

Der Padderower seufzte tief und schmerzlich auf.

»Die Wolken ziehen sich immer dichter über meinem Haupte zusammen«, entgegnete er; »der Wind erhebt sich und treibt mein leckes Schiff mit zunehmender Geschwindigkeit dem Abgrund zu ... es geht mit mir zu Ende, Bruderherz.«

»Hm!« machte der andere; »also wieder das schnöde Metall ... nicht wahr?«

»So ist es!« nickte von Padderow; »Ihr habt's gesagt ... ich kann den zusammenbrechenden Bau nicht länger stützen. Meine alte Finanzoperation zieht nicht mehr. Ihr wißt doch, wenn früher der Tag kam, an welchem ich eine bare Anleihe zurückerstatten mußte, erhob ich gewöhnlich vierundzwanzig Stunden vorher dieselbe Summe an einer anderen Stelle und trug sie dann während dieser Zeit zu allen meinen Geschäftsfreunden umher, um denselben, mit der mir eigentümlichen Sicherheit und Großzügigkeit, meine Reichtümer zu zeigen. So erhielt ich mich lange bei Kredit, weil ich immer pünktlich zahlte; jetzt haben sie mir aber meine Kniffe abgelernt und glauben mir nicht mehr. Ich kann oft die Termine nicht mehr halten... es summt sich furchtbar auf, und die Wellen werden nächstens über mir zusammenschlagen.«

Nasewitz senkte nachdenklich den Kopf.

»Hundert Taler.könnte ich Euch schon noch geben ...« sagte er, nachdem er einen Überschlag gemacht.

»Ich danke Euch, alte treue Seele«, blickte ihn der dicke Leutnant mit Rührung an; »ich schulde Euch schon beinahe tausend Taler, und die kleine Summe stopft das Loch nicht zu. Für den Padderower gibt es keine Rettung mehr.«

»Weshalb seid Ihr denn aber gerade heute so verzagt?« fragte Nasewitz nach einer langen Pause; »habt Ihr denn irgend etwas Beunruhigendes erfahren?«

Der andere nickte.

»Es haben mich einige meiner Geschäftsfreunde beim alten Schimmelmann angestänkert«, sagte er; »der hat mich so schon lange auf dem Strich und kann mich in den Tod nicht leiden... die Sache steht schlimm... wenn ich mich binnen vier Wochen nicht mit den Kerls abfinde, will er mich dem Obersten melden. Dann ist die Geschichte an der großen Glocke, und ich bin verloren. Schimmelmann könnte meine Gläubiger mit ein paar Worten beruhigen, wenn er wollte... das wäre nicht die leiseste Pflichtverletzung, sondern nur ein Dienst, den er beiden Parteien leistete ... aber er hat einmal eine Pike auf mich und will mir seinen Einfluß nicht zuwenden.«

»Hm, hm!« machte Nasewitz, nachdenklich den Kopf hin- und herbewegend.

»Was meint Ihr, wenn ich meine Dienste den Türken anböte?« belebte sich von Padderow mit etwas Hoffnung.

Der andere blickte auf, und in den kleinen grauen Augen zwinkerte es wieder wie Schalkheit.

»Das läßt sich schon hören«, sagte er; »bei Eurem unerschütterlichen Mut und Eurer erprobten Tapferkeit konntet Ihr dem sinkenden Staate erheblich unter die Arme greifen.«

Padderow drehte sich an dem dünnen, spärlichen Schnurrbart und machte ein wild verwegenes Gesicht.

»Wenn Ihr aber wirklichen Nutzen aus diesem Schritt ziehen wolltet«, blickte ihn Nasewitz mit stiller Freude an, »dann müßtet Ihr zur mohammedanischen Religion übergehen.«

»Weshalb denn nicht?« zuckte Padderow die dicken Achseln; »der Glaube ist gar nicht so übel ... dieses Leben nach dem Tode ... die langen Pfeifen ... die hübschen Mädchen ... und alles umsonst..«

»Ja«, zog Nasewitz ebenfalls die Schultern empor; »wenn Ihr Euch an der unerläßlichen Zeremonie nicht stoßt...«

»An welcher Zeremonie, edle Seele?«

»Na«, machte der andere; »es ist dieselbe Geschichte, wie bei den ...«

»Nun?« drängte der dicke Leutnant.

»Welcher Religion gehören die meisten Eurer Geschäftsfreunde an?« fragte von Nasewitz.

Dem Padderower schien ein unangenehmer Gedanke durch den Kopf zu ziehen; dann errötete er ein klein wenig, stand auf und trat ans Fenster.

Sein langer Freund sah ihn mit eigentümlichem Lächeln an und um die schmalen Lippen spielte schon wieder etwas vom Mephistopheles.

»Ihr könntet aber die Rettung aus Euren Nöten weit bequemer haben«, schmunzelte er dann nach einem Weilchen.

»Wieso?« wandte sich der andere um.

»Das habe ich Euch schon oft geraten ... nehmt eine reiche Frau ... Ihr braucht nur die Hand auszustrecken, dann habt Ihr an jedem Finger eine hangen.«

»Ich weiß es«, sagte der dicke Offizier mit einem Gemisch von Stolz und Verlegenheit; »aber Ihr kennt meine Ansichten über die Frauen ... ich pflücke keine Blumen, weil ich ihnen den schönen Duft nicht rauben will.«

»Aha!« machte Nasewitz.

»Was meint Ihr, edle Seele?«

»Oh... nichts... es war nur ein harmloser Ausruf.«

Padderow betrachtete ihn mit einem eigentümlich beobachtenden Blick und begann dann im Zimmer auf- und abzugehen.

Sein Antlitz verdüsterte sich wieder auf bedenkliche Weise, während in des Nasewitzers Zügen aufrichtiges Mitleid die Oberhand gewann über jene unabweisbare Schadenfreude, die er in vielen Fällen nicht zu unterdrücken vermochte.

»Nein, nein«, schüttelte Padderow endlich mit wirklicher Wehmut den dicken Kopf; »es gibt keine Rettung mehr für mich, und über kurz oder lang werde ich zu meinen ritterlichen Ahnen versammelt.«–

»Macht keinen Unsinn«, sagte Nasewitz in verweisendem Ton; »die alte Tante kann doch nicht ewig leben...«

»Aber noch lange«, unterbrach ihn der andere; »übrigens laßt sie leben und sich ihres Lebens freuen ... ich wünsche ihr nicht den Tod, wenn auch meine Rettung davon abhängt, wenn sie auch hartherzig mir jede Hilfe verweigert.«

Der lange Leutnant antwortete nicht.

»Ich sehe mein Schicksal klar vor Augen«, sprach Padderow nach einer Weile weiter; »der günstigste Fall für mich ist der, daß ich schuldenhalber zu des Königs blauem Fußvolk versetzt werde ... das ist aber für mich gleichbedeutend mit dem Abschied ....«

»Wieso?« fragte Nasewitz.

»Könntet Ihr Euch meine ritterliche Figur anders vorstellen als auf einem feurigen Streitroß?« blieb der dicke Offizier mitten im Zimmer stehen; »könnt Ihr Euch diese mannhafte Hüfte anders denken, als umgürtet mit einem klirrenden Schwert? Haltet Ihr es für möglich, daß mein stolzer Fuß unbespornt durchs Leben schritte?«

Nasewitz schüttelte den mageren Kopf.

»Nun seht Ihr wohl!« fuhr der andere fort; »reißt mich von meinem Schlachtengaul Babieca, brecht mir die Sporen von der ritterlichen Ferse, gebt mir anstatt des leicht gekrümmten Säbels einen Bratspießdegen in die Faust, laßt mich im Staube watscheln vor einem Fähnlein Infanterie, und der stolze Padderower welkt dahin und stirbt wie eine schöne Blume, die in fremder Erde nicht gedeihen konnte.«

»Zu versuchen wäre es aber immerhin noch«, wandte Nasewitz ein; »man wirft doch nicht gleich die Flinte in das Korn, wenn ...«

»Spart Euch den weiteren Trost«, unterbrach ihn der kleine Dicke mit seiner unnachahmlichen Handbewegung; »man wird mich nicht dem blauen Fußvolk einverleiben... ja, wenn ich etwas weniger Schulden hätte... aber so... mit dieser stolzen Zahl, die ich nicht einmal auszusprechen wage... da denkt man nicht mehr an Versetzung... da schickt man einem ganz einfach den Abschied auf die Stube... und man sinkt aus der schimmernden Uniform ins schale Bürgertum herab... man ist verarmt... vernichtet... ehe ich das erlebe... eher führe ich es zu einem andern Ende.«

Nasewitz blickte seinen Freund mit sichtlicher Besorgnis an.

»Wißt Ihr... solche Redensarten mag ich nicht von Euch hören«, sagte er dann; »mit dergleichen Dingen treibt man keinen Scherz...«

Der andere richtete sich hoch empor in seinem roten Schlafrock, und Miene und Stimme nahmen etwas Feierliches an.

»Hört auf das, was ich Euch jetzt sage, Nasewitzer«, sprach er mit erhobener Stimme; »die Welt ist bisher gewohnt gewesen, von der Lippe des Padderowers nur heitere Reden zu vernehmen, sie hat gesehen, wie er sich vergnügt als Lebenskünstler durchs Dasein schlug... sie hat gelächelt über seine Torheit... aber nie soll sie Mitleid empfinden über seinen Fall... über seine Erniedrigung, sondern sie soll sagen: der Padderower hat sich doch einen genialen und würdigen Abgang gemacht!«

Dem andern schien diese Wendung in der Unterhaltung peinliche Gefühle hervorzurufen.

»Tut mir den einzigen Gefallen und hört nun auf«, sagte er mit erzwungenem Humor; »wenn Ihr die Idee ausführt, gehe ich nicht mehr mit Euch um.«

»Das verlange ich auch gar nicht von Euch«, legte der dicke Offizier ihm eine Hand auf die Schulter; »aber bewahrt mir ein freundliches Andenken und sorgt dafür, daß meine Tante alle Schulden zahlt; denn ich würde keine Ruhe im Grabe haben, wenn ich wüßte, daß jemand einen Groschen an mir verloren hätte.«

Nasewitz fühlte, daß ihm eine Träne ins Auge steigen wollte aus dem Brunnen seiner Seele, und sprang daher vom Stuhl empor, um die Rührung vor seinem Freunde zu verbergen.

»Was ist Euch denn?« blickte dieser ihn an; »Ihr blinkert ja so mit den Wimpern, Ihr werdet doch nicht etwa um mich weinen wollen?«

»Na... das fehlte mir noch«, lief der andere im Zimmer auf und ab; »es war mir Rauch ins Auge gekommen... und dann ist es hier so kalt... mich friert... das Weinen würde auch nicht viel helfen; sondern man muß im Gegenteil seinen klaren, ruhigen Verstand anstrengen, wie Ihr aus der Patsche zu befreien seid...«

»Das dürfte Euch schwer... unmöglich werden!« schüttelte Padderow den Kopf.

»Laßt mich zufrieden und stört mich nicht«, lief Nasewitz auf und nieder; »Unmöglichkeit ist für mich gar kein Begriff... ich trotze der Unmöglichkeit... ich habe es mir nun einmal in den Kopf gesetzt, Euch zu retten, und ich werde Euch retten, trotz allem Ungemach, das über Eurem Haupte schwebt!«

Padderow, der seinen Freund noch niemals in solcher Aufregung gesehen, blickte ihn verwundert an und sagte kein Wort.

Dieser setzte mit gedankenvoller Miene seine Promenade fort, und manchmal drückte er sich die hohe Stirn, als wenn er eine Idee herauspressen wollte.

Er hatte sich früher die Lage seines Busenfreundes nie so recht klar gemacht, hatte sich daran gewöhnt, sie über die leichte Achsel anzusehen und darüber zu scherzen wie die anderen. Jetzt aber trat ihm das ganze Vollgewicht der Lage deutlicher vor Augen; er gewann die Überzeugung, daß der Padderower, wie man sagt, auf dem letzten Loch pfiff, und daß, wenn er auch nicht an einen Selbstmord glaubte, die Geschichte äußerst unangenehm werden konnte. – Doch wie ihn retten, wie den heranbrausenden Sturm beschwichtigen? – Seine Großspurigkeit von vorhin hatte ihn ordentlich ein bißchen aufgerüttelt; und die Kraft arbeitete bereits, aber sie war dem Rettungsmittel noch nicht auf der Spur. – Mit den türkischen Diensten, das war ja Unsinn... und gegen das Heiraten hatte Padderow eine unüberwindliche Abneigung... einen Lotteriegewinnst konnte er auch in der Geschwindigkeit nicht machen, namentlich da er kein Los hatte... die alten Tanten sterben selten zur rechten Zeit... trotzdem war Gefahr im Verzüge... also vorläufig nur hinhalten, sei es durch welches Mittel es wolle... wenn man eine kleine Kriegslist anwenden könnte... allerdings etwas Unschuldiges, wodurch niemand geschädigt würde... was nachher wieder richtigzustellen wäre... wo lag denn überhaupt der Schwerpunkt? – Wenn man ein Übel heben will, muß man die Ursachen desselben zu entfernen suchen. – Welches waren denn aber die Ursachen... hm, hm... und wer konnte am besten... hm, hm... und auf welche Weise war derjenige zu bestimmen, daß er... und wo lag denn wieder dessen schwacher Punkt?... Mit einem Male blieb von Nasewitz stehen und blickte seinen Freund mit glänzenden Augen an.

»Habt Ihr etwas gefunden?« fragte dieser.

»Ich glaube beinahe, verehrter Padderower.«

»Ein Rettungsmittel?«

»Das weiß ich selbst noch nicht genau... aber ein Aufschub kann es... wird es werden, wenn jeder seine Rolle richtig spielt und wir nicht polizeiwidriges Pech haben. Zeit gewonnen, alles gewonnen, sagt das Sprichwort; erst nur den Anfang gemacht, dann wird der liebe Gott schon weiter helfen.«

»Und darf man wissen, was Ihr tun wollt?« fragte Padderow, schon ordentlich ein bißchen schmunzelnd.

»Nein!« entgegnete Nasewitz mit großer Bestimmtheit; »das darf niemand wissen; aber am allerwenigsten Ihr, sonst sänke der ganze schöne Plan sofort in nichts zusammen.«

»Es ist also etwas, worauf ich nicht eingehen würde, wenn ich es wüßte?«

»Tut mir den einzigen Gefallen und fragt mich jetzt nicht mehr, sondern haltet still und laßt Euch von mir retten«, loderte Nasewitz auf; »habt Ihr Vertrauen zu mir? Ja oder nein!«

»Das allerunbedingteste!«

»Schön... dann seid überzeugt, daß ich kein Mittel anwenden werde, welches Euch Schaden bringen könnte!«

»Ich glaube es Euch, Burgherr von Knelling... doch was habe ich bei der Geschichte zu tun?«

»Vorläufig gar nichts, bis ich Euch Instruktion gebe, die aber vielleicht gar nicht zur Anwendung kommen wird. – Nur um eines bitte ich Euch: zweifelt nicht an mir... und wundert Euch über nichts, was auch geschehen möge.«

»Ich will mich nicht wundern«, lächelte Padderow, wie ein gläubig vertrauendes Kind.

»Hand drauf!«

Der dicke Leutnant sah erst nach, ob sein Freund auch nicht wieder die Zigarre zwischen den Fingern hätte; dann schlug er ein.

»Hand d'rauf!«

In diesem Augenblick kam Padderows Bursche mit einem kleinen Buch herein, das einen fettigen blauen Deckel hatte.

»Was willst du, Gründling?« fragte sein Gebieter.

»Herr Leutnant, es ist heute Sonnabend«, leckte sich der Kerl an den aufgesprungenen Lippen; »wollen wir vielleicht unsere Rechnung beim Kaufmann bezahlen?« Padderow schien unangenehm berührt, weil er augenblicklich keinen Groschen Geld besaß; dann nahm er sein barsches Wesen an.

»Was fällt denn dem Kerl ein!« zürnte er; »sollen wir etwa jeden Sonnabend bezahlen? – Das wird ja langweilig mit der Zeit!«

»Der Herr Leutnant werdens nicht übel nehmen«, leckte Grundling verlegen lächelnd weiter; »wir bezahlen aber keinen Sonnabend... Seitdem wir bei diesem Kaufmann sind, weil uns der andere nicht mehr... gefiel, steht noch keine einzige Quittung im Buch.«

»Weißt du, Gründling, dann wechseln wir wieder unsern Lieferanten ...« sagte Padderow... »es ist mir lieb, daß es so gekommen ist... der Kaffee schmeckt mir ganz und gar nicht mehr... hole von heute ab alles bei einem andern.«

»Ja, Herr Leutnant, das ist recht gut«, rieb der Bursche das fettige Buch an seinen Lederhosen; »ein anderer würde uns schon mit knapper Not noch borgen... aber, wenn ich zu dem alten Kaufmann nicht wiederkomme, rennt er uns das Haus ein, namentlich da er in der Nähe wohnt... da würde ich es doch für besser halten, wenn wir erst bezahlten.«

Padderow schien darüber nachzudenken, wie er sich aus der brenzlichen Lage befreien könnte, während Nasewitz ganz heimlich einen Zehntalerschein aus seiner Börse nahm und ihn unbemerkt auf den Tisch legte.

»Adieu!« sagte er dann; »ich habe noch zu tun... auf Wiedersehen bei Tische.«

»Auf Wiedersehen, Nasewitzer!« nickte der dicke Leutnant dem Scheidenden nach; dann blieb er mit seinem Burschen in der bewußten peinlichen Lage allein.

Dieser stand noch an der Tür und zuckte bald aus Verlegenheit die Achseln, bald leckte er die Lippen, bald rieb er den Deckel des blauen Buches an seiner blankgewichsten Stallhose.

»Was willst du noch?« herrschte ihn Padderow an; »was stehst du da wie ein Ölgötze?«

»Ich habe auch nichts mehr auszulegen, Herr Leutnant«, fing Gründling das alte Thema wieder an; »sonst würde ich natürlich...«

»Sei still... die Sache ist abgemacht... nun das Kaffeegeschirr hinaus!«

Der Bursche steckte mit einem leisen Seufzer das fettige Buch vorn in seine Jacke und ging dann, behutsam wie auf Eiern, nach dem Tisch vor dem Sofa, um dem Befehl seines Herrn nachzukommen. »Wer hat denn unsere Kanne und unsere Tasse umgeschmissen?« fragte er verwundert; »das schwimmt ja alles...«

»Polko ist auf den Tisch gesprungen«, entgegnete Padderow kurz; »mache, daß du fertig wirst.«

Gründling begann mit seiner großen Hand die ausgelaufenen Kaffee- und Milchflüssigkeiten von dem Tisch zu wischen, als er plötzlich ein erstauntes und dann ein pfiffiges Gesicht machte.

»Worüber freust du dich denn, Kerl?« fragte Padderow, der es bemerkte.

Gründling blickte ihn so verschmitzt an, als wenn er damit sagen wollte: »I, du kleiner Schäker du!«

»Was soll das heißen?« fuhr der Gebieter fort; »was schneidest du für einfältige Gesichter? - Werde ich Antwort bekommen, oder soll ich dir 'ne Tracht Prügel geben?«

»Der Herr Leutnant haben doch wieder einen kleinen Witz gemacht?« zog Gründling sein breites Gesicht so breit, daß es aussah, als wenn er sich mit beiden Mundwinkeln in beide Ohren beißen wollte.

»Ich habe einen Witz 'gemacht?« fragte Padderow, etwas erstaunt, »Der Herr Leutnant sind bloß immer so spaßig«, grieflachte der Bursche weiter; »der Herr Leutnant tun bloß immer so, als wenn der Herr Leutnant kein Geld hätten.«

Gründling deutete mit seinem dicken, nassen Finger auf den Zehntalerschein, den Nasewitz soeben dorthin gelegt hatte.

Padderow trat an den Tisch, erblickte ebenfalls den Schein und machte ein ganz verdutztes Gesicht.

»Ach... tun doch der Herr Leutnant nicht so«, setzte Gründling seine Schäkerei fort; »der Herr Leutnant haben ihn ja dahingelegt, ... der Herr Leutnant sind bloß immer so spaßig...«

Padderow hatte jetzt seine Selbstbeherrschung vollständig wiedergewonnen.

»Fällt mir gar nicht ein, ihn hingelegt zu haben«, sagte er mit stolzer Vornehmheit; »an solche Kleinigkeiten denke ich nicht vorher... aber ich habe ihn vielleicht aus Versehen auf dem Tisch liegen lassen... das kann ja vorkommen... bezahle also den Kerl von Kaufmann und bringe mir den Rest zurück.«

»Schön, Herr Leutnant!«

»Und nimm den Hund mit hinunter; ich muß in den Dienst.« »Pst... Polko... hier... komm mit!« lockte Gründling, das Kaffeegeschirr auf dem Arm und den Zehntalerschein in der Hand.

Die Dogge kroch unter dem Sofa vor und begann dann sogleich, mit merkwürdig dummem Gesicht, jene eigentümliche Schlittenfahrt auf dem Hinterteil, die man bei Hundehämorrhoidariern öfter gewahrt.

»Was ist dem Köter eigentlich... weshalb tut er das?« fragte Padderow, dem Manöver zusehend.

»Ja, sehen Sie, es juckt ihm ja, Herr Leutnant«, erklärte Gründling mit einer ganz ernsten Professormiene; »das tut er nämlich bloß deshalb, weil es ihm juckt.«

»Ich danke dir für deine Belehrung«, sagte Padderow; »nun mach, daß du wegkommst... ich will mich anziehen, um junges Volk in den Waffen zu üben.«

Der Bursche bewegte sich, über den neuen Witz pflichtgemäß lächelnd, nach der Tür.

»Du, Gründling!« rief ihm Padderow nach.

»Herr Leutnant befehlen?«

»Und wenn du mit dem Zehntalerschein zum Kaufmann gehst... stecke ihn nicht in die Tasche... weil er dir da gestohlen werden könnte... sondern halte ihn so hoch in der Hand, damit ihn die Leute... damit er trocken wird, denn er ist ein bißchen naß geworden auf dem Tisch.«

Der Bursche lächelte wieder auf seine verschmitzte Art.

»Verstehe ja schon...« nickte er seinem Herrn zu... »wir sind doch auch nicht so dumm, Herr Leutnant... komm, Polko... unten kannst du dich ins Wasser setzen... willst du wohl gleich!« -

Damit verließ er mit dem Hunde das Zimmer seines Gebieters.

»Wie komme ich zu dem Zehntalerschein?« sprach dieser gedankenvoll vor sich hin, als er allein war; »ich entsinne mich doch wahrlich nicht, in der ganzen letzten Zeit ein solches Exemplar besessen zu haben... und doch war es keine Täuschung... sollte der Kerl der Gründling?... Bei aller seiner Dummheit ist das die ehrlichste und treueste Seele unter der Sonne... er würde einen Menschen totschlagen, um mir zu helfen... und dabei behandelt er diese Verhältnisse mit einer Zartheit...«

In diesem Moment hörte er unten Polko ein ängstliches Gebell ausstoßen.

Padderow öffnete das Fenster und schaute hinaus.

Da sah er, wie Gründling mit dem Hunde vor der Haustür stand und, auf den Zehntalerschein deutend, freundlich dankbare Blicke nach der Veste Knelling hinüberwarf, hinter deren Scheiben die beiden Köpfe von Nasewitz und Joseph sichtbar waren.

Als der lange Leutnant die Absicht des Burschen erriet, warf er den wütenden Joseph vom Fensterbrett und trat selbst zurück in den dunklen Hintergrund des Zimmers. Gründling aber trottete, von Polko gefolgt und den Zehntalerschein wie eine Siegesfahne hoch in der rechten Hand schwenkend, dem augenblicklichen Hoflieferanten seines Gebieters zu.

»Der Nasewitzer hat den Schein hingelegt«, murmelte Padderow, das Fenster schließend, vor sich hin; »und der biedere Gründling hat es gewußt und hat wiederum das Zartgefühl besessen, mich glauben zu machen, daß ich mit ihm scherze... sei getrost, Edler von Padderow, wenn man noch ein paar solcher Freunde sein eigen nennt, dann kann man die Stürme des Schicksals mit ruhigem Blut erwarten.«

Dann vertauschte er den Schlafrock mit der Uniform, gürtete mit wieder erwachendem Selbstgefühl den langen Säbel um die Hüften, trank noch einen halben Kognak und klirrte die Treppe hinunter.

»Guten Morgen, Branzchen!« grüßte er, unten auf dem Hausflur seinen Wirt mit einer freundlichen Handbewegung; »wie geht's Geschäft? – Gut? – Freut mich!«

»Danke, danke, lieber Herr Leutnant«, zog der Brauer untertänig sein Käppsel; »es macht sich ja, es macht sich ja!«

»Der alte Branz ist guter Laune«, dachte Padderow, die Straße hinunterklappernd; »es wird am Ersten nichts zu sagen haben mit der Miete.«

»Der Herr Leutnant scheinen ja außerordentlich lustig«, schmunzelte ihm Branzchen nach; »da zahlt er mir vielleicht am Ersten meine Miete.«


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