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Der Rittmeister Schimmelmann schwankte ordentlich ein bißchen, als er nach Hause ging, und er mußte sich große Mühe geben, daß er immer auf die großen Steine trat und nicht mit dem Fuß in ein Loch geriet, was einem sehr leicht passieren konnte auf dem Hasenbalger Pflaster.
Obgleich der plötzliche Übergang in die frische Luft ihn noch ein wenig mehr benebelte, als er es so schon war, so lächelte er doch freundlich und stillvergnügt vor sich hin, und nur wenn ihm ein Dragoner begegnete und steif wie ein Automat an die Kopfbedeckung faßte, dann machte er plötzlich ein wütendes Gesicht, schob mit der Oberlippe den buschigen Schnurrbart bis dicht unter die Nase und fuhr so energisch mit der Hand nach dem Tschako, als wenn er eine Wespe verscheuchen wollte, die ihm um den Kopf summte.
Die Biegung um die scharfe Ecke, der Hauptwache gegenüber, ward ihm nicht ganz leicht und er war froh, als er sein Haus erblickte.
Gleich darauf aber verfinsterten sich wieder seine Züge ein bißchen.
»Da steht, hol' mich der Teufel, der Ruppsack, der Pätel, vor der Tür«, indem er sich die größte Mühe gab, recht gerade zu gehen; »wo der Kerl sein soll, da ist er nicht, und wo er ist, da soll er nicht sein... es ist ein nichtswürdiger...«
Hier kam der alte Schimmelmann, trotz aller Vorsicht, doch mit dem Fuß in ein Loch, und hätte auf ein Haar einen Purzelbock geschossen.
»Oho!« brummte er, nachdem er die Gefahr glücklich überstanden... »das kommt bloß davon, daß der infame Faulpelz, der Pätel, vor der Haustür steht... der maulaffige Lümmel der...«
Dann blickte er sich um, ob auch noch jemand seine Torkelei gesehen, und stackerte weiter.
Als er in der gastlichen Öffnung seiner Haustür anlangte, nahm Pätel die Absätze zusammen, reckte seinen kurzen, dicken Körper so lang wie möglich, brachte die kleinen Finger hinter die Linie der Hosen, welche früher durch die Biese markiert worden war, und sah auf diese Weise einem antiken Aschenkrug nicht ganz unähnlich, der auch einen dicken Kopf hat, und die Arme ebenfalls so ungraziös absperrt.
»Knurr!« macht der Rittmeister, als er in gleicher Höhe mit ihm war.
Pätel stellte sich noch gerader und machte sich so steif, daß er ganz blau im Gesicht wurde.
Schimmelmann heftete den durchdringenden Blick auf dies starre, ausdruckslose Antlitz und schien mit seinen Beobachtungen zufrieden; denn er knurrte bloß noch einmal und tappste dann den holzgedielten Flur entlang.
»Das Rindvieh hat nichts gemerkt«, brummte er in Gedanken; »sonst hätte ihn auch der Teufel bei lebendigem Leibe schinden sollen!«
»Donnerwetter, unser Alter sieht ja heute so rot aus«, dachte der Bursche, noch immer in derselben steifen Nußknackerstellung: »der hat sich gewiß beim Grafen einen angesäuselt.« –
Als Schimmelmann glücklich die Treppe hinaufgestolpert war, begab er sich erst in sein Zimmer, um den unbequemen Leibrock mit dem bequemen Oberrock zu vertauschen, den Federbusch vom Hut zu ziehen und beides sorgfältig in den betreffenden Karton zu legen.
Dann schien er sich zu überlegen, was er tun sollte.
Nachdem er bald zu einem Ergebnis gekommen war, tappste er den langen Flur nach dem vorderen Teil der Wohnung entlang und trat in das gemeinschaftliche Wohnzimmer der Familie.
Es war niemand anwesend als seine kleine, dicke Frau, die auf dem Sofa saß und an einem langen blauen Strumpf strickte.
Als sie die Tür gehen hörte, wandte sie den immer freundlichen Kopf und lächelte ihren Gatten an.
Schimmelmann sah sie wieder an und lächelte ebenfalls.
»Na... gut amüsiert, Alter?« nickte die Frau Rittmeisterin.
»Hm... na ja!« schmunzelte der Gemahl.
»Rot genug siehst du wenigstens aus...«
»Unsinn... habe kaum drei Gläser getrunken...«
Damit setzte er sich auf das Sofa neben seine Frau, was er seit mindestens zehn Jahren nicht getan hatte, und blickte freundlich vor sich hin.
»Weißt du was, Alte?« wandte er sich dann plötzlich gegen sie.
»Nun?«
»Gib mir'n Kuß!«
»Aber, Heinrich!«
»Willst du mir einen Kuß geben oder nicht?«
»Ich begreift nur gar nicht, wie du darauf kommst, Heinrich.«
»Das wird dir auch noch klar werden«, schmunzelte Schimmelmann; dann umfaßte er mit dem linken Arm die dicke, weiche Taille seiner alten Frau, zog sie an sich und drückte einen langen, festen Kuß auf ihre Lippen.
»Mein Gott«, sagte Auguste, als es vorüber war; »du hast mir ja ordentlich den Atem benommen... was ficht dich denn an? – Lege dich lieber ein Stündchen auf's Ohr, bis die Weinlaune ausgeschlafen ist.«
»Du irrst dich, Alte, das ist keine Weinlaune«, rückte Schimmelmann noch ein bißchen näher.
»Nun... was ist es denn sonst?...«
»Die Stimme der Natur, Auguste«, nahm er ihr eine Hand vom Strickstrumpf weg und spielte mit dem blauen Zeigefinger, um den der wollene Faden geschlungen war.
»Was?« fragte Auguste, mit einem Gemisch von Staunen und einer gewissen Ängstlichkeit.
»Die Stimme der Natur... kannst du denn nicht hören?« wiederholte der Rittmeister; »ein Gefühl, das lange in mir geschwiegen hat, weil ich glaubte, daß es doch nichts mehr nützen würde...«
»Heinrich!« blickte ihn seine Frau ernst und verweisend an.
»Jetzt bin ich aber in die glückliche Lage gekommen, daß es wieder nützen wird«, fuhr Schimmelmann fort; »deshalb...«
Auguste wollte ihm die Hand fortnehmen.
»Was zuppst du denn, Alte?« hielt der Rittmeister desto fester; »du bist mir ja heute so wild...«
»Laß mich zufrieden!...«
»Nicht so laut doch... die Kinder sollen es ja nicht hören... also ehe sie wiederkommen...«
»Heinrich... du reißt mir den Finger ab!«
»Weshalb hältst du nicht still... weshalb hast du dich so absonderlich ... weshalb läßt du mich absolut nicht dazu kommen, dir eine Freude zu bereiten, die...«
»Du bist betrunken, Heinrich!«
»Fällt mir gar nicht ein... dir eine Freude zu bereiten... dir ein Glück zu verkünden...«
»Glück... verkünden?« betonte die kleine Frau jene beiden Worte, indem sich eine weitere Steigerung des Staunens auf ihrem runden Antlitz zeigte.
»Na ja!« nickte Schimmelmann.
»Du willst also... zu mir... sprechen?...«
»Nun natürlich... denkst du vielleicht, daß ich zu dir singen will?«
Die alten Züge der Frau Rittmeisterin wurden von einer ganz leichten und flüchtigen Röte überhaucht.
»Du machst heute lauter Scherze«, schmollte sie, ihm jetzt ohne Widerstreben den blauen Zeigefinger lassend; »nun, was hast du mir denn für ein großes Glück zu verkünden?«
Schimmelmann schmunzelte wieder in den dicken Schnurrbart, als wenn er noch nicht recht wüßte, wie er die Geschichte anfangen sollte.
»Weißt du was, Alte«, sagte er dann; »wir müssen eine Abendgesellschaft geben!«
»Eine Abendgesellschaft!?« erstaunte die kleine Frau von neuem; »Alter... du bist wirklich betrunken... ich ängstige mich vor dir!«
»Pscht... nicht so laut doch! Das geht nicht anders... und zwar eine recht große... und zwar noch in dieser Woche...«
»Wirst du nun bald vernünftig mit mir sprechen?«
»Pscht... nicht so laut... das ist ja eben die Geschichte...«
»Welche Geschichte?«
»Die glückliche...«
»Wirst du mir nun bald erklären?...«
»Ja doch... du mußt mir aber dein heiliges Versprechen geben, daß du den Mädchen kein Wort davon verraten willst...«
»Ich verspreche es dir, Heinrich!«
»So etwas muß man nach meiner Ansicht nicht vorbereiten... nicht beeinflussen... das muß sich von selbst machen...«
»Was denn, Alter?«
»Sieh mal, Auguste... die Gelegenheit darf man ihm bieten... das geht... für das Weitere muß er aber allein sorgen...«
»Wer... wer?«
»Und deshalb ist ja eben die Abendgesellschaft...«
»Heinrich«, sagte die kleine Frau, indem ihr der Atem kurz wurde vor Neugier und Ungeduld.
»Weil er zu schüchtern ist... er kommt ja nicht von selbst...«
»Wer... wer denn... ich vergehe!«
Schimmelmann streckte seinen rechten Arm aus und deutete nach dem Fenster.
Die kleine Frau folgte mit den Augen der angegebenen Richtung, und da sie nichts sah, blickte sie verwundert auf ihren Mann.
»Er hat ja acht Wochen unter ihrem Fenster gestanden«, nickte dieser.
»Ich ersticke, Heinrich... wer?«
»Nun, der sich für unsere Alphonsine interessiert...«
»Für unsere Alphonsine!«
»Pscht... nicht so laut... und der sie heiraten will!«
Kaum hatte die kleine Frau die letzten Worte gehört, als sie wie ein Federball ihrem Mann an den Hals flog, mit beiden Händen seinen schwarzen Kopf faßte und ihn mit einer Heftigkeit küßte, daß dem Alten die Adern auf der Stirn anschwollen.
»Don... Donner... Donnerwetter... laß los... ich... ich kann... ich kann's nicht länger aushalten«, stöhnte Schimmelmann in den kurzen Zwischenpausen der schonungslosen Küsse.
»Heiraten will, hast du gesagt?« setzte Auguste ab.
»Ich glaube, mir wackelt ein Zahn«, befühlte ihn der Rittmeister mit der Zunge; »nun natürlich ›heiraten will..‹ das ist ja keine Liebe mehr... das ist ja schon beinahe Wahnsinn...«
»Gott, wie himmlisch... und nun sprich, wer ist dieser Engel?«
Der Rittmeister winkte abweisend mit der Hand.
»Nun weißt du genug!« sagte er; »du sollst auch 'ne Überraschung haben, ebensogut wie die Alphonsine... wenn der Abend kommt, wirst du es schon merken... ich will das Vergnügen haben, dein beobachtendes Gesicht zu sehen... haha... haha...«
»Ach bitte, bitte, lieber, guter Alter, sage es mir doch!«
»Kein Wort mehr... du weißt genug... und keine Silbe zur Alphonsine... das hast du mir versprochen...«
»Ja, ja«, stand die kleine Frau auf und lief mit jugendlicher Lebendigkeit im Zimmer auf und nieder; »mein Gott, wer hätte so etwas denken sollen... wer kann es nur sein... acht Wochen unter dem Fenster gestanden... keine Liebe mehr, sondern Wahnsinn... wann soll die Abendgesellschaft stattfinden, Heinrich?... und gerade die Alphonsine... die älteste... wenn es noch lange dauert, halte ich es nicht aus... wollen wir denn eine Tafel decken... nein, das geht nicht, dazu haben wir keinen Raum... Pätel bekommt eine blaue Jacke und kann herumpräsentieren... acht Wochen... unter dem Fenster... und davon hat kein Mensch eine Ahnung gehabt ... erst geben wir natürlich Fleischbrühe aus Tassen... meinst du mit 'nem Ei drin? - Nein, das ist nicht vornehm... also ohne Ei... Heinrich, ich möchte rein aus der Haut fahren vor Vergnügen... und dann einen Fischsalat mit Krebsschwänzen... das besorgen wir uns alles allein... weißt du, ich könnte dem Menschen um den Hals fallen, Heinrich...; meinst du, daß wir die Nasen auch nehmen... es macht sich hübscher, so um die Schüssel herum... nehmen wir also die Nasen auf jeden Fall...«
»Sage mal, hörst du nun bald auf, Auguste?« fragte Schimmelmann ungeduldig; »dabei kann ja der Mensch nervös werden...«
»Gleich, Heinrich, gleich«, ereiferte sich die kleine Frau immer mehr, und je schneller sie lief, desto heftiger geriet ihre einst schön gewesene Büste ins Wackeln; »und dann gibt es natürlich Braten mit verschiedenen Kompotts... die Alphonsine kann sich ein bißchen ans Klavier setzen, das macht sich reizend... und wenn er dann so hinter ihr steht, nicht wahr... weißt du, Heinrich, ich konnte dich totküssen...«
Der alte Schimmelmann streckte unwillkürlich die Hände vor, die Gefahr ging aber diesmal noch an ihm vorüher.
Auguste war auch gleich wieder zu ihrem Lieblingsthema zurückgekehrt.
»Ich mache ihr die Locken recht hübsch zurecht«, ließ sie ihre Zunge weiterlaufen; »so recht fest um den linken Daumen gewickelt... und zuletzt Butter und Käse... wie? - Obst ist wohl nicht nötig. - Und die Getränke... - Was gibst du für Getränke, Heinrich?«
»Na«, machte Schimmelmann; »roten und weißen... das ist genügend.«
»So... schön... wie du meinst... wenn es nur sein und nobel ist... es sieht auch vielleicht besser aus, als solche ungeheure Aufdonnerung ... die Leute müssen ja denken, daß man sich so furchtbar viel daraus macht... nicht wahr?... Na, so schlimm ist es doch auch nicht... mein Gott, Männer finden sich schon...«
Hier unterbrach sich die kleine Mama selbst, aber die Füße blieben in Gang, das Antlitz nahm einen Ausdruck höchster Seligkeit an, und die fetten kurzen Hände rieben sich vergnügt aneinander.
Dabei warf sie von Zeit zu Zeit förmlich kokette Blicke auf ihren Gemahl, der jetzt anfing, müde zu werden.
»Du... Heinrich ...« trat sie endlich zu ihm heran.
»Bist du denn noch nicht bald fertig, Alte?«
»Lieber Heinrich...« streichelte sie ihm die bärtige Wange.
»Na... was willst du denn?«
»Aber... das nächste Mal... da wird es besser... wie?«
»Welches nächste Mal?«
»Nun... du weißt doch... wenn wir wieder ein Fest geben...«
»Du denkst wohl, es wird sich gleich noch eine Tochter verloben?«
»Ach nein... stelle dich doch nicht so dumm... wenn das erste glückliche Ereignis eintritt...«
»Na... dies ist ja eben das erste glückliche Ereignis...«
»Heinrich, ich begreife dich nicht«, schmollte die dicke Mama; dann bog sie sich zu ihrem Gatten hinab und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
»I, Gott erbarm' sich!« brummte der Alte; »wer wird denn an solche Geschichten schon denken?«
»Ach... davon versteht Ihr Männer nichts«, schüttelte Auguste kokett das Köpfchen; »das muß alles vorher bedacht werden... nicht wahr; dann gibst du aber Champagner... wie?«
»Ich werd' mich hüten«, brummte Schimmelmann.
»Wenn es auch nur nachgemachter ist, Alterchen... na?«
»Meinetwegen!« nickte der Rittmeister; »aber unter einer Bedingung.«
»Nun?«
»Daß es ein Junge ist!«
»Pfui, du alter Unart; ist denn ein Mädchen schlechter?... du hast doch vier Mädchen und nur zwei Söhne.«
»Ich habe aber bei den einen ebensowenig Champagner gegeben wie bei den anderen«, stand der Rittmeister auf; »die Zeiten werden immer üppiger... weiß der Teufel, wo das noch hin soll... nun werde ich mich aber ein bißchen aufs Ohr legen... der Wein hat mich doch müde gemacht... na... denke nur noch über unser Fest nach... und wen wir einladen wollen... und vor allen Dingen kein Wort zur Alphonsine und den anderen Mädchen...«
»Verlaß dich d'rauf, Alter.«
»Na... gute Nacht... bist du nun zufrieden?«
»Überselig, Heinrich!«
»Kuß!«
»Da! da! da!«
»So... nun ist's aber gut... kannst heute nachmittag den Kaffee ein bißchen schärfer machen... es ist einem doch etwas ungewohnt im Magen.«
Als Schimmelmann hinaus war, lief seine Frau sofort ans Fenster.
»Da hat er also gestanden, der liebe, gute Mensch!« schlug sie die kleinen Hände immer einmal über das andere zusammen; »und wir haben hier oben geschlafen wie die Murmeltiere und nichts davon geahnt... mein Gott, wenn die Alphonsine das wüßte, die würde ... die würde...«
»Was soll ich denn, Mama? sagte die älteste Tochter, die eben eingetreten war und die letzten Worte unbestimmt gehört hatte.
Kaum hatte die kleine, furchtbar erregte Frau die Stimme ihres Kindes vernommen, als sie erst einen Schreck bekam und dann im Übermaß der Wonne und vollständig die Selbstbeherrschung verlierend, sich umwandte und dem Mädchen an die Brust sank.
»Mein Gott, Mama, was ist dir... bist du krank?« fragte Alphonsine besorgt.
»Nein... nein doch...« richtete sich die Mutter wieder auf und schaute ihrem Kinde mit glänzenden Augen ins Antlitz; »ich bin nicht krank... es ist ja nur die Freude... die Freude... über dein Glück!«
»Über mein Glück, Mama?« fragte Alphonsine erstaunt.
Die kleine Frau sah aus, als wenn das Geheimnis so mächtig in ihr anschwölle, daß sie es nicht mehr beherbergen könnte.
»Ich kann's nicht länger aushalten«, sagte sie mit gepreßter Stimme; »etwas muß heraus, sonst drückt es mir das Herz ab... und wenn es auch nur ein ganz klein bißchen ist...«
»Aber, Mama, du ängstigst mich...«
»Dann will ich meinen Fehler wieder gut machen... so höre denn, Kind, du bist geliebt...«
Das Mädchen machte große Augen und die Röte schoß ihr blitzschnell in die Wangen.
»Angebetet!« bog sich die Mama in den Knien, als wenn sie in einer Quadrille stände.
»Mutter!«
»Er will dich heiraten!« zog die Alte jetzt, mit einem abermaligen Knix, ihr enges Röckchen auseinander.
Alphonsine wurde totenbleich und legte die rechte Hand aufs Herz.
»Zwei Monate hat er dort jede Nacht unter deinem Fenster gestanden, weil er zu schüchtern ist und nicht zu sprechen wagt... nun hat er sich aber dem Papa entdeckt, und deshalb geben wir eine Abendgesellschaft, damit es ihm bequemer gemacht wird...«
»Mein Gott«, dachte Alphonsine... »ist es denn möglich... er... für den ich mich längst...«
»Wer es ist, kann ich dir aber noch nicht sagen... weil ich es selber nicht weiß... Papa wünscht, daß uns eine Überraschung bereitet werden soll...«
Das Mädchen lächelte, als wenn sie bereits wüßte.
»Um Gotteswillen laß dir aber nichts merken«, machte die Mutter ein ängstliches Gesicht; »ich habe es Papa fest versprechen müssen, dir nichts zu sagen...«
»Sei unbesorgt, Mama.«
»Nun!« glühte diese plötzlich wieder in heller Lohe auf; »ist das nicht eine Freude... ist das nicht ein Glück?«
»Jawohl... ein sehr großes!« lächelte das Mädchen, im Gefühl seiner inneren Seligkeit.
In dem Höhepunkt ihres Freudentaumels hatten die beiden Damen aber nicht bemerkt, daß während der letzten Worte die drei anderen Mädchen in das Zimmer getreten waren.
»Was ist eine Freude?« fragte Euphrosine neugierig.
»Was ist ein Glück?« trat Colestine näher.
»Darf man nicht auch Teil daran nehmen?« blinzelte die kleine Melusine.
»Ach, du lieber Gott!« erschrak die kleine Mama und sank erbleichend auf einen Stuhl.
»O weh!« klagte Alphon sine kaum hörbar und mußte sich ebenfalls setzen. –
Die drei Mädchen betrachteten Mutter und Schwester mit erstaunten Blicken.
»Aber was ist denn los?« fragte Euphrosine wieder; »so sprecht doch!«
»Erst jauchzt Ihr vor Freude und Glück, und dann fallt Ihr beinahe in Ohnmacht?« meinte Colestine.
»Oder sollen wir es vielleicht nicht wissen?« verzog Melusine ihr kleines Näschen.
Die Mama atmete ein bißchen auf, weil sie jetzt sah, daß die Hauptsache nicht verraten worden war.
»Wir geben eine große Abendgesellschaft«, sagte sie mit noch matter Stimme.
»Ja... wir geben eine Abendgesellschaft«, lächelte Alphonsine, unter denselben Eindrücken wie die Mutter.
Die drei Mädchen standen starr und stumm vor Staunen.
» Eine Abendgesellschaft...« knickte Euphrosine auf einem Stuhl zusammen.
»Eine große...« tat Colestine dasselbe.
»Mir wird schwach... das haben wir ja sonst nie getan«, lief Melusine nach der Sofaecke, ließ sich hineinsinken, schloß die Augen und streckte ihre kleinen zierlichen Beine weit von sich.
Da lagen sie alle Fünf, wie die geknickten Lilien; als sie sich jedoch ein wenig erholt hatten, da ging das Schnattern los, und es wurde beraten über Einladungen, Gerichte, Toiletten, bis der alte Schimmelmann mit verschlafenen Augen hereinkam und seinen Kaffee verlangte.