Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

2.

Rittmeister Schimmelmann

Eine pechschwarze Novembernacht lag noch in träger Ruhe über Hasenbalg, obgleich das Städtchen schon seit geraumer Zeit begonnen hatte, Tag zu machen.

Um fünf Uhr fängt das erste leise Regen an.

Da verläßt der Trompeter nicht sein Grab, wie in der nächtlichen Heerschau, sondern die harte Pritsche auf der Hauptwache, blinzelt mit blöd verschlafenem Auge nach seinem Instrument, hüllt sich in den groben Reitermantel, tritt auf den Markt hinaus und bläst mit noch schlaffen Lippen nach allen Richtungen hin, die morgenheiseren, entsetzlichen Töne der Reveille.

Dann öffnet der Soldat die Stalltür. Da liegen die Pferde auf der weichen Streu und pusten und stöhnen noch im besten Schlaf, daß es dem Dragoner fast leid tut, sie zu wecken.

Jetzt hört er aber im Vorderhause eine Haustür gehen, dann sporenklirrende Tritte und das leise Räuspern des Beritt-Unteroffiziers, und schnell ruckt er die Pferde an den langen Ketten empor, ergreift Striegel und Kartätsche und beginnt mit fanatischem Eifer sein treues Tier zu putzen.

Gleich darauf wird die Stalltür von außen geöffnet, ein kalter Luftstrom dringt in den dünstegeschwängerten laulichen Raum, und der Korporal empfängt die Meldung des Dragoners, ob in der Nacht etwas vorgefallen sei. –

Wenn die Beritt-Unteroffiziere in dieser Weise ihre sieben bis acht Quartiere durchgegangen sind, begeben sie sich zum Morgenrapport beim Herrn Wachtmeister. Das ist ein wichtiger und gestrenger Mann, die rechte Hand des Rittmeisters, oft von größerem Einfluß als die Offiziere.

Er ist noch im Schlafrock, wenn die Korporale eintreten, und empfängt sie im Bewußtsein der ganzen hohen Würde seiner Stellung. Seine Rede ist kurz und gemessen, der Ausdruck in seiner Art gewählt, jede Bewegung zeigt, daß er zum Herrscher geboren.

Wenn der Rapport beendet ist, gehen die Unteroffiziere wieder nach Hause. Die verheirateten finden ein Töpfchen heißen Kaffee vor; die unverheirateten trinken wohl lieber einen handlichen Kümmel, der sie schneller erwärmt. – Es ist draußen noch so finster wie ein Sack. Der rauhe Westwind streicht über die Tabaksfelder und pustet deren narkotisches Aroma den alten wackligen Häusern ins Gesicht, daß sie sich schütteln, als wenn sie niesen wollten, und manchmal kommt auch wirklich ein ängstliches Kreischen und Pruschen zum Vorschein. Das sind aber die losen Dachrinnen und die rostigen Wetterfahnen, mit denen der Wind spielt in seiner tollen Laune.

Allmählich beginnt es auf den Straßen lebendiger zu werden. Die Bäcker und Materialwarenhändler öffnen ihre Türen, gähnende Dienstmädchen mit Federn in den Haaren, einem warmen Tuch über dem Kopf, und die frierenden Hände unter der Schürze, kaufen ihre Frühstückssemmeln ein, und die ersten Dragoner führen nach der bedeckten Reitbahn. Der müde Kerl hängt noch in den Knien, die ganze Figur ist gesackt, der schwere Tritt dröhnend und schurrend zugleich, während das klügere Pferd mit still gesenktem Kopf leicht und behende neben ihm hergeht und vorsichtig die tiefen Löcher in dem schlechten Straßenpflaster meidet. Mehr und mehr Dragoner ziehen nach der Bahn, und wo einmal ein Pferd laut wiehert oder schnauft, da schlagen auf dem Hof die Hunde an und in dem Hühnerstall fliegt's durcheinander.

Dann kommen die Unteroffiziere und Gefreiten, und zuletzt eilt mit emporgeschlagenem Mantelkragen der Leutnant säbelklappernd hinterher, noch ohne Kaffee, weil er die Zeit verschlafen.

Die Uhr schlägt sieben auf den Kirchentürmen.

Lassen wir jetzt die Dragoner immer rundum reiten in der Bahn, den Unteroffizier kommandieren, die Gefreiten korrigieren und den Leutnant im Stehen wieder einschlafen, und begeben wir uns nach einem alten, baufälligen Hause, nicht weit von dem gelben Rathause, mit dem grünen Türmchen drauf.

Die Fenster sind noch alle kohlschwarz, nur hinter den zerbrochenen schmutzigen Scheiben der Soldatenlammer neben dem Stall leuchtet ein trübes, schmutziges Licht, und ab und zu bewegen sich die schattenhaften Formen eines anscheinend menschlichen Wesens durch den kleinen matterhellten Raum.

Dann öffnet sich die Tür und ein Mann tritt auf den Hof heraus. Den oberen Teil seines gedrungenen Körpers bedeckt eine warme Unterjacke, die vorn mit weißen Bändern zugebunden ist, um die kurzen kräftigen Beine bläht sich eine steife, bei jeder Bewegung wie ein Schurzfell knatternde Lederhose, und die strumpflosen, merkwürdig großen Füße stecken in einem Paar noch größeren Holzpantoffeln. Soweit wir, bei der mangelhaften Beleuchtung der Öllaterne, den Kopf des besagten Individuums zu erkennen vermögen, besteht derselbe aus einem dicken, runden Schädel, auf dem die ungekämmten, aschblonden Haare wie auf einem Staubbesen emporstehen; die Stirn ist auffallend niedrig, die Augen auffallend klein, die Backen auffallend blau, Mund und Ohren auffallend groß.

Der Mann trägt in der linken Hand die bewußte fettige Öllaterne und über dem Arm ein Paar Beinkleider, in denen bereits die Stiefel stecken, und einen Uniform-Überrock, während die Rechte einen Korb voll Torf hält.

Nachdem er seine Kammertür sorgsam wieder zugemacht, watet er mit hochgezogenen Beinen über den elastischen Dung, wie ein Storch auf nasser Wiese, klinkt dann eine Tür des Quergebäudes auf, stolpert polternd eine schmale Hintertreppe empor und befindet sich auf einem engen Flur, einer dritten Tür gegenüber.

Das Individuum stellt den Korb auf die Erde, holt erst tief Atem, legt dann die rechte Hand ganz leise und vorsichtig auf den Drücker, tritt behutsam in ein dunkles Zimmer, das von kaltem Torfgeruch durchduftet ist, zieht seinen Korb nach sich, schließt die Tür, wirft einen ängstlichen Blick auf eine helle Stelle in dem jetzt dürftig erleuchteten kahlen Zimmer und holt abermals aus tiefster Seele Atem, als wenn ihm wider Erwarten etwas gelungen wäre.

Nachdem der Mensch noch eine Weile unbeweglich gestanden, trägt er Korb und Laterne nach einem alten, schiefen, schwarzen Ofen, legt dann Beinkleider und Rock auf einen Stuhl, kniet nieder, packt ein Stück Torf nach dem andern in die dunkle Öffnung, zündet die Kienspäne an seiner Öllaterne an und versetzt auch bald das Heizungsmaterial in Brand.

Der Torf glimmt auf, der Ofen beginnt zu bullern.

Das Individuum hockt noch immer vor dem Ofenloch, und scheint sich an der warmen Flamme zu ergötzen, die phantastisch auf seinem dicken Angesichte spielt, als ein plumper, knurrender Ton durch das unheimlich kalte Gemach dringt.

Der Mensch fährt zusammen, als wenn er einen Schmerz empfunden hätte, und sitzt dann mäuschenstill, als wenn er mit dem ganzen Korper horchte, was nun kommen würde.

»Knurr!?« machte jetzt die rauhgekratzte Morgenstimme schon etwas deutlicher.

»Zu Befähl, Herr Rittmeister, eben sieben Uhr geschlagen«, stößt der Bursche mit militärischer Genauigkeit heraus, obgleich ihm der Atem stockt vor Angst.

Dann erhob er sich aus seiner knienden Stellung und steckte ein halbes Talglicht an, das auf einer alten invaliden Kommode unter einem alten kurzsichtigen Spiegel stand.

»Knurr!« krächzte jetzt die Stimme wieder, während eine gebrechliche Bettstelle in ihren Grundfesten knackte.

»Zu Befähl, Herr Rittmeister; alles gesund!« stellte sich der Kerl gerade und versuchte die beiden kleinen Finger hinter die nicht mehr vorhandenen roten Biesen seiner steifen, gestickten Hose zu legen.

Dann knackte die Bettstelle noch einmal und aus den lichten Kissen richtete sich mühsam und gliedersteif eine Figur empor, deren pechschwarzer Kopf seltsam mit seiner weißen Umgebung im Widerstreit lag.

Der Bursche stand wie gebannt unter dem stechenden Basiliskenblick der kleinen Augen unter den struppigen Brauen.

»Hat Malwine noch ein dickes Knie?« gurgelte der Gestrenge, nun schon zu menschlichen Worten übergehend.

»Zu Befähl, Herr Rittmeister, nein; ich habe ihr bis Mitternacht Umschläge gemacht.«

»Knurr! – Auguste nicht wieder den Schwanz gescheuert?«

»Zu Befähl, Herr Rittmeister, nein!«

»Alle drei gut gefressen?«

»Zu Befähl, Herr Rittmeister, ja!«

»Knurr! - Wetter?«

»Zu Befähl, Herr Rittmeister, räucherig!«

»Gut!«

Der Bursche machte eine so steife, ungeschickte Rechtsumwendung, daß er aussah, als wenn ein hölzerner Soldat ins Schwanken kommt und umzufallen droht; dann stakste er mit seinen großen Holzpantoffeln und ballernden Lederhosen der Flurtür zu.

»Pätel!« knurrte der Machthaber, als jener bereits die Hand nach dem Drücker ausstreckte. Der dicke Bengel bekam einen Schreck und machte jetzt eine so total verunglückte Kehrtwendung, daß er entschieden umgefallen wäre, wenn sein Rücken nicht einen Stützpunkt an der Wand gefunden hätte.

»Um neun Uhr die Käthe satteln... knurr!«

»Zu Befähl, Herr Rittmeister!«

Dann machte er abermals kehrt, verließ das Zimmer und stürzte mit lautem Gepolter die schmale Hintertreppe hinunter.

Der Rittmeister Schimmelmann war der älteste Schwadronschef im Hasenbalger Dragonerregiment, dem man seine sechzig Jahre gut und gerne ansah, obgleich er das volle Haupthaar und den übermäßig starken Schnurr- und Backenbart kohlschwarz gefärbt hatte.

Das von Pockennarben zerfressene Gesicht mit den kleinen stechenden Augen verriet auch noch nicht den angehenden Greis, aber wenn er auf der Straße ging, dann sah er so krumm, so steif und so stackrig aus, als wenn ihm alle Gelenke verrostet wären, und man wunderte sich eigentlich darüber, daß es nicht kreischte und quietschte, wenn er die Beine voreinander setzte, wie es die alten Wetterhähne auf den Dächern taten.

Der Rittmeister Schimmelmann hatte über vierzig Jahre gedient und in dieser langen Frist, trotz der Kriegsjahre, es erst zum Rittmeister erster Klasse gebracht. Das lag damals in den Verhältnissen; es ging einmal nicht schneller; es kam vor, daß man zehn Jahre lang auf einer Stelle stehen blieb, und jetzt nach den Befreiungskämpfen war das Avancement erst recht ins Stocken geraten. Die Premierleutnants hatten alle das fünfundzwanzigjährige Dienstkreuz an dem traurig blauen Bande, das stets an eine verunglückte Hoffnung erinnert.

Der Rittmeister Schimmelmann hatte niemals einen Groschen Zulage gehabt und trotzdem schon als Leutnant eine kleine dicke Frau geheiratet, mit welcher er sechs Kinder zeugte, zwei Söhne, welche bereits Offiziere in der Armee waren, und vier Töchter, die er noch zu Hause auf Lager hatte: Alphonsine, Euphrosine, Melusine und Cölestine.

Wenn er auch wirklich noch zum Major befördert wurde, wie lange konnte es dauern, dann kam der blaue Brief mit dem Abschied hinterher, und dann saß er da mit »seinen fünf Frauenzimmern«, wie er sich ausdrückte, und allerhöchstens achthundert Talern Pension. Davor fürchtete sich der Rittmeister Schimmelmann; aber er ließ es sich nicht merken, im Gegenteil, er übertünchte dies Gefühl innerer Schwäche durch eine Grobheit und Bärbeißigkeit, sowohl im Dienst, als im Familien- und gesellschaftlichen Leben, daß er dadurch den meisten Leuten, manchmal sogar dem auch gerade nicht höflichen Obersten von Hollprägel, Sand in die Augen streute oder imponierte.

Seine Frauenzimmer machten ihm also große Sorge und Unruhe; denn obgleich man sie eher hübsch als häßlich nennen konnte, obgleich sie auch für ihre Zeit und Verhältnisse eine ganz leidliche Erziehung genossen hatten, fingen doch die ältesten bereits an, ein bißchen in die Saat zu schießen, und vor allen Dingen hatten sie nicht einen Groschen zu erwarten, kaum eine dürftige Aussteuer zur Hochzeit. - Wer sollte da wohl anbeißen? Nachdem Pätel, der Bursche, die Hintertreppe hinuntergefallen war, streckte der Rittmeister Schimmelmann erst das rechte Bein aus dem Bett und dann das linke.

In militärisch kurzer Zeit war die Toilette beendet und der Rittmeister in voller Uniform, das heißt, in glänzend blankgeputzten Stiefeln mit blinkenden Spornen, einem Paar etwas zu weiter und etwas zu heller Hosen, was eine besondere Eigentümlichkeit seines Anzugs war, und einem engbrüstigen, hochkragigen Oberrock mit zu kurzer Taille, wie die Schwarzwälder Bauern sie tragen. Die aufgeknöpften Epaulettes waren viel zu klein für die Schulterbreite und hingen ein wenig nach vorn, wie ein Paar versengte oder betrübte Amorflügel. Man sah es dem Kostüm des Rittmeisters Schimmelmann deutlich an, daß es nicht in Berlin, bei einem Schneider des Regiments, sondern bei einem billigeren, Halsenbalger Künstler gemacht war, weshalb auch die Farbe der Beinkleider nicht ganz stimmte. Alles war alt, sehr alt; aber durch Schonung erhalten und von einer unübertrefflichen Sauberkeit.

Das triefende Talglicht und der rote Feuerschein des bullernden Ofens warfen jetzt unsichere Lichtreflexe durch das kahle, öde Gemach. Ein wüstes ungemachtes Bett mit zwei alten Rohrstühlen davor, ein kiefernes Kleiderspind mit hängender Schulter, eine lahme Kommode unter einem erblindeten Spiegel, das war das ganze Mobiliar der Schlaf= und gleichzeitigen Wohnstube des Rittmeisters Schimmelmann. In der einen Ecke stand ein Säbel, in einer anderen drei schmucklose Pfeifen mit durchgebissenen Spitzen, und neben dem Talglicht ein Tabakkasten und ein Stippfeuerzeug, wie es in früheren Zeiten Mode war. Die Dinger taugten aber so wenig, daß man zwanzigmal stippen mußte, ehe man ein Holz zum Brennen bekam, und dann roch es im Zimmer dergestalt nach Schwefel, daß man vor Husten die Pfeife nicht anrauchen konnte; unterdes ging aber das Feuer wieder aus und die Geschichte sing von vorne an. - Das war die gute, alte Zeit.

Der alte Schimmelmann mochte seit ungefähr zehn Minuten seine Toilette beendet haben und saß nun krumm und zusammengesunken auf einem der beiden Stühle vor seinem Bett, als ein Säbel auf dem Hofe klirrte und bald darauf bespornte Tritte die Hintertreppe heraufpolterten.

Kaum hatte der Rittmeister diese wohlbekannten Töne vernommen, als es ihn durchzuckte wie ein elektrischer Strahl; dann stand er mit leisem Stöhnen auf, reckte seine Gestalt so hoch empor wie es eben gehen wollte, und stellte sich in die Mitte des Zimmers, die Hände auf dem Rücken, Oberkörper und Kopf vornübergebeugt, den buschigen schwarzen Schnurrbart zu beiden Seiten der Nase in die Höhe gezogen, und die kleinen stechenden Augen fest auf die Flurtüre gerichtet, wie ein Hühnerhund, der vor einem Rebhuhn steht.

Gleich darauf ward besagte Tür von außen mit einem militärischen Ruck aufgerissen und ein Soldat trat ein, der mit dem alten Schimmelmann eine gewisse Ähnlichkeit hatte. Er trug Unteroffiziersabzeichen und Portepee und vorn im Kollet eine mächtige rote Brieftasche.

Nachdem besagtes Individuum die Tür wieder hinter sich zugemacht hatte, nahm es mit der linken Hand den Säbel auf, streckte dann ebenfalls Kopf und Oberkörper vor und blickte seinen Chef ebenso grimmig an, wie sein Chef ihn anblickte.

»Knurr!« machte Schimmelmann.

»Urr!« wiederholte der andere, mit dienstlich bescheidener Weglassung des Anfangsbuchstabens.

»Morgen, Wachtmeister!«

»Guten Morgen, Herr Rittmeister!«

»Knurr!«

»Urr!«

Pause. –

»Neues, Wachtmeister? – Hoffentlich doch nichts passiert?«

»Nein, Herr Rittmeister ... alles gesund ... nur heftiger, kalter Wind draußen!«

»Donnerwetter!!«

»Donnerwe...« echote der andere, mit dienstlich bescheidener Weglassung der beiden Endsilben.

»Jedesmal hat meine Schwadron die Bahn, wenn es des Morgens windig ist ... da werden mir ja alle Pferde kropfig ... ich muß mich wieder beim Herrn Oberst beklagen. – Heiliges Bomben...«

»Element!« setzte der Wachtmeister mit dienstlicher Entrüstung drauf.

Der Chef sah seinen Wachtmeister an, als wenn er ihn beißen wollte, wegen der Freiheit, die er sich herausgenommen, und der Wachtmeister versuchte ungefähr dasselbe Gesicht zu machen, um seinen dienstlichen Eifer zu bezeugen.

»Wer läßt heute die erste Abteilung reiten?« knurrte dann Schimmelmann weiter.

»Leutnant von Padderow, Herr Rittmeister!«

»Mir auch nicht angenehm, daß der zu meiner Schwadron versetzt ist.«

»von Padderow kommen jetzt immer sehr pünktlich in den Dienst, Herr Rittmeister.«

»Weiß ich... ist mir aber doch unangenehm... wegen...«

Der Wachtmeister erlaubte sich, seine Beistimmung durch ein fein angelegtes Lächeln auszudrücken.

Schimmelmann, der es bemerkte, wurde wütend.

»Herr, der Teufel soll Sie beim Kragen kriegen«, schrie er, »und seine dreitausendjährige...«

»Großmutter!« setzte der Wachtmeister gewohnheitsmäßig drauf, gleichviel ob auf ihn selbst geschimpft wurde, oder auf einen andern.

»Wenn Sie nicht im Augenblick den Mund halten, dann soll Ihnen das höllische...«

»Feuer in den Leib fahren!«

»Ruhig!«

»Rrru...«

»Möchte ich mir auch ausbitten... knurr!«

»Urr!«

Der Rittmeister, welcher, neben vielen anderen Eigentümlichkeiten, auch die hatte, gut zu werden, wenn er grob sein wollte, und grob zu werden, wenn er gut sein wollte, besänftigte infolgedessen auch bald seinen Zorn und blickte den Wachtmeister jetzt nur noch mit der gewöhnlich dienstlichen Grimmigkeit an.

»Es ist mir doch unangenehm, daß Herr von Padderow zu meiner Schwadron versetzt ist«, begann er dann den alten Ideengang noch einmal; »nicht wegen dessen... was Sie vielleicht gedacht haben, sondern wegen des Leutnants von Nase...«

»witz!« vervollständigte der Wachtmeister den Namen.

»Ja!!« schrie ihn Schimmelmann an, »das mag dem Teufel nicht unangenehm sein... dabei kann der königliche Dienst unmöglich seine Ordnung behalten... wenn die ewigen Neckereien des Herrn von Nasewitz sich wenigstens auf das Privatleben beschränken wollten, dann ginge es noch an... aber er kann es ja auch im Dienst nicht lassen, dem Herrn von Padderow Possen zu spielen... neulich, als in der Reitstunde der Herren Offiziere gesprungen werden sollte, hatte von Nasewitz seinem Freunde die Sattelgurte aufgeschnallt; das Pferd hob sich zum Sprung, Herr von Padderow rutschte mit seinem Sattel herunter und saß ganz verwundert auf der Erde, während der Gaul, ohne seinen Reiter, glücklich und wohlbehalten auf der anderen Seite der Barriere anlangte.«

»Hähähähä!« lachte der Wachtmeister Klinke.

»Ja... so lachten alle anderen auch«, zürnte der alte Schimmelmann; »und solche Streiche kommen öfter vor; das ist doch wirklich um...«

»Verrückt zu werden!« beendete Klinke den Satz.

Der Rittmeister machte ein wütendes Gesicht, und der Wachtmeister ein fast ebenso wütendes.

»Haben Sie sonst noch etwas zu melden?« schrie ersterer dann seinem Untergebenen zu.

»Nein, Herr Rittmeister!« rief dieser ebenso laut.

»Gut!«

»Gut!«

»Knurr!«

»Urr!«

Damit machte der Wachtmeister kehrt, daß die ganze alte Stube wackelte, ging zur Tür hinaus und klapperte mit seinem Säbel die Hintertreppe hinunter.

Schimmelmann blieb noch eine ganze Weile stehen und blickte, die Hände auf dem Rücken, Kopf und Oberkörper vornübergebeugt, den Schnurrbart emporgezogen, mit grimmigem Gesicht nach der Tür, durch welche sein Klinke verschwunden war; dann stieß er noch einen knurrenden Ton aus und verließ sein Schlafzimmer, um nun mit der Familie den Kaffee einzunehmen.

Nachdem er über einen engen finstern Flur an Küche und Mädchenkammer vorbeigetrampst war, öffnete er eine Tür und stand in einem auf die Straße blickenden Zimmer, in dem es ebenfalls nach Torf roch, das aber doch ein klein wenig behaglicher eingerichtet war, als das vorige.

Dies war das gemeinschaftliche Wohnzimmer. Links davon befand sich die sogenannte »gute Stube«, welche eigentlich keinen anderen Zweck hatte, als die besseren Möbel aufzubewahren; und schließlich waren noch zwei kleine Schlafzimmer vorhanden: eins für die Mama, und eins für die vier Töchterlein.

Als der Rittmeister Schimmelmann eintrat, saßen seine fünf Damen bereits um den großen runden Sofatisch, auf welchem, inmitten der sechs Tassen, eine mächtige braune Kaffeekanne stand, welche mit dem Glockenschlage acht vom Mädchen hereingebracht werden mußte.

Die Mutter, eine kleine, dicke, freundlich blickende Frau, hatte sich auf dem schmalen Sofa breit gemacht, und die vier Töchter saßen in einfachen Morgenkleidern auf Stühlen. Es waren lauter hochgewachsene, schlanke Mädchen mit schwarzem Haar und dunklen feurigen Augen, die schon das Interesse eines Mannes in Anspruch nehmen konnten! Die älteste, welche ein weißes Tuch um den Kopf gebunden hatte, befand sich der Mama am nächsten, die drei anderen folgten dem Alter nach, so daß die jüngste neben dem noch leeren Stuhl des Herrn Papa zu sitzen kam.

»Guten Morgen!« knurrte dieser, etwas griesgrämlich, indem er sich langsam auf seinem Platz niederließ.

»Guten Morgen!« wiederholte der weibliche Chor, als wenn eine Abteilung Dragoner den Gruß ihres Vorgesetzten erwidert.

Der Rittmeister Schimmelmann machte ein zufriedeneres Gesicht, dann heftete er die stechenden Blicke auf seine älteste Tochter, die das Tuch um den Kopf gebunden hatte.

»Du hast ja 'ne dicke Trompete, Alphonsine!« brummte er, während die Mutter den Kaffee einschenkte.

»Ich muß mich erkältet haben, Papa«, lächelte das Mädchen, ein wenig verlegen; »die linke Backe ist mir angeschwollen, und die Nase auch ein bißchen.«

»Ein bißchen?« rührte der Rittmeister in seiner Tasse; »die sieht ja aus wie 'ne Gurke oder ein Kürbis.«

»Die arme Alphonsine, nun kann sie heut' nicht singen«, sagte die zweite Schwester, Euphrosine, mit einem bedauernden Blick.

»Na, das ist ein wahres Glück«, brummte der Papa; »wenn die ihre hohen Töne losläßt, bekomme ich immer Magenschmerzen; hast du nicht auch einen schlimmen Finger, daß du nicht klimpern kannst?«

»Aber, Alter«, schüttelte die kleine, freundliche Mama den runden Kopf, »heute bist du ja wieder ganz besonders schlechter Laune; wenn man nicht wüßte, daß du spaßtest...«

»Hat sich 'was zu spaßen... ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht gespaßt«, gurgelte der Rittmeister; »ich kann nun einmal diese brotlosen Künste nicht leiden, namentlich die Musik nicht, die der leibhafte Satan erfunden hat... die einzigen nützlichen Musikanten sind die Signaltrompeter; aber wenn sie anfangen, ihre verdammten Stücke zu blasen, dann wird mir so schwindlig, daß ich vom Pferde fallen könnte. - Wie lange wirst du denn nun nicht singen können, Alphonsine?«

»Ja... vier bis fünf Wochen kann es wohl dauern, bis die Geschwulst sich vollständig gelegt hat«, sagte das Mädchen.

Der Papa schmunzelte in seinen pechschwarzen, ein klein wenig ins Violette spielenden Schnurrbart.

»Wie kann dir das nur Vergnügen machen, den ganzen Tag zu schreien, als wenn du am Speer stecktest, und dabei mit allen zehn Fingern auf dem verdammten Klimperkasten 'rumzutrommeln?« brummte er dann weiter. »Ein Frauenzimmer muß sich auf solche Künste gar nicht einlassen... die gehört in die Wirtschaft und in die Küche... nach dem Gröhlen fragt der Mann nichts, aber ein gutes Essen will er auf dem Tisch haben...«

»Es sind aber nicht alle Männer wie du, Alter«, kopfschüttelte die kleine, freundliche Mama; »manche sehen gerade auf gesellige Talente...«

»Na, hier in Hasenbalg ist mir der Fall noch nicht vorgekommen, daß einer auf Alphonsinens Talente gesehen hätte«, grollte der Rittmeister; »wir haben doch das Offizierkorps vom ganzen Regiment und außerdem doch eine ganze Masse unverheiratete Zivilisten; aber hat schon einer angebissen? Prost Mahlzeit!«

Obgleich die älteste Tochter die rauhe Art und Weise des Vaters kannte, so errötete sie doch ein wenig und schlug die Augen nieder.

»Das kommt daher, weil unter den Herren Offizieren gar kein musikalischer Sinn herrscht... überhaupt kein rechtes Verständnis für schöne Künste«, plapperte die jüngste Tochter Melusine dazwischen; »die Herren sind viel zu bequem dazu... sie mögen ja nicht einmal tanzen... wenn Ball ist, lassen sie sich Stellvertreter von der Infanterie aus Plettin kommen...«

»Die springen auch weit besser, Jungfer Naseweis«, knurrte der Papa.

»Ja, da hast du recht«, bemerkte Cölestine, die dritte Tochter; »ehe man mit dem dicken Padderow einmal herumkommt, wird einem Zeit und Weile lang; er trippelt immer um einen herum, tritt bald aufs Kleid und bald auf die Füße und dabei geht es nicht von der Stelle... so ein Infanterist aber, das fliegt wie der Wind.«

Bei der Nennung des Namens Padderow hatte der Rittmeister ein Gesicht gemacht, als wenn er seine ganze Familie beißen wollte.

»Und dennoch ist mir der kleine Dicke lieber, als der lange dünne Nasewitz, der gar nicht tanzen kann«, sagte Melusine, die jüngste.

Jetzt sprang der alte Schimmelmann auf, als wenn sein Stuhl plötzlich glühend geworden wäre, und machte einige knackschälige Gänge durchs Zimmer, wie ein alter mürrischer Kater, der die Gicht in den Knochen hat.

»Mein Gott, was ist dir denn, Alter?« fragte die freundliche Mama; »der Wachtmeister hat dir gewiß wieder etwas Unangenehmes hinterbracht.«

»Das Unangenehme braucht er mir gar nicht erst zu hinterbringen... das weiß ich selber«, polterte Schimmelmann; »seitdem der Padderow zu meiner Schwadron versetzt ist, habe ich keine ruhige Stunde mehr... früher hatte ich schon mit dem Nasewitz allein genug zu schaffen; aber seit die beiden zusammengekommen sind, ist es gerade als wenn einen der Teufel holen wollte!«

»Herr von Nasewitz ist mir der angenehmste Offizier im ganzen Regiment«, nickte die freundliche Mama mit ihrem runden Kopf.

»Jedenfalls ist er der klügste«, sagte Alphonsine ernst.

»Maliziös ist er«, fuhr der Rittmeister auf; »was nützt mir alle Klugheit, wenn er sie nicht richtig anwendet... für den Schwadronsdienst hat er gar keine bedeutenden Fähigkeiten... er sieht immer aus, als wenn er sich über alles lustig machte... man weiß nie, wie man mit ihm dran ist, und ob er im Spaß spricht oder im Ernst... für mich ein unangenehmer Mensch!«

»Und dennoch glaube ich, daß er ein gutes Herz und einen vortrefflichen Charakter hat«, sagte Alphonsine bestimmt.

»Hauptsächlich neckt er doch nur den Herrn von Padderow« warf die zweite Tochter ein; »und weshalb ist der so komisch?«

»Mag der Teufel komisch sein«, brummte der Rittmeister; »mir kommt er eher tragisch vor. - Die Geschichte mit seinen Schulden wird sich nicht mehr lange halten können.«

»Sind es denn wirklich so viel, Papa?« fragte Euphrosine, die zweite.

Der alte Schimmelmann machte eine bezeichnende Geste mit der rechten Hand.

»Die Leute laufen mir das Haus ein«, sagte er; »ich habe nichts zu tun, wie zu beschwichtigen und zu beschwichtigen ... aber schließlich werde ich es doch dem Kommandeur sagen müssen, und dann ist es mit Freund Padderow zu Ende... dann kann er leicht zum Abschied eingegeben werden.« -

»Gott, der arme, kleine Dicke!« bedauerte Melusine, die jüngste.

»Er hat ja doch aber eine reiche Tante, die er beerbt«, sagte die Mutter.

»Die lebt aber den Leuten zu lange«, knurrte der Rittmeister; »viel Geld hat hier in Hasenbalg keiner übrig... ja, wenn man ihnen einen bestimmten Termin nennen könnte... aber so... mancher glaubt auch gar nicht mehr an die alte Tante...«

»Herr von Padderow müßte eine reiche Partie machen«, bemerkte Alphonsine.

»Hab!« fuhr der alte Schimmelmann auf; »ein reiches Mädchen kann sich einen Hübscheren aussuchen ... außerdem hat Padderow eine Abneigung gegen die Ehe... ich glaube, daß er die Hand einer Millionärin ausschlagen würde, selbst wenn er sich dadurch vom Untergang befreien könnte...«

»Aber, das ist ja unbegreiflich, Papa; weshalb ist er denn so?« fragte neugierig die kleine Melusine.

»Ja... bürgen kann ich nicht für die Wahrheit«, schmunzelte der Rittmeister; »Nasewitz hat die Geschichte herumgebracht, und ganz aus der Luft gegriffen wird sie nicht sein... er will es von einigen Damen gehört haben, die...«

»Ach, sei doch ruhig, Alter!« rief die kleine Mama mit krauser Stirn.

»Na... mir ist's ja egal«, brummte Schimmelmann; »mit einem Wort, er will nicht.«

»Aber Papa, ich begreife gar nicht, weshalb er nicht will«, wurde die kleine Mesuline ganz ärgerlich; »ich kann mir gar keinen vernünftigen Grund denken, der...«

»Wirst du gleich still sein, dummes Ding!« drohte ihr die Mama mit dem Teelöffel. Das Mädchen machte ein schmollendes Gesichtchen und ärgerte sich.

»Das wäre auch schlimm, wenn du dir den Grund denken könntest«, brummte der Rittmeister in Gedanken weiter; »über so etwas müssen junge Mädchen gar nicht...«

Während dieses Satzes hatte die kleine Mama einen ganz roten Kopf bekommen; dann sprang sie von ihrem Sofa auf und zupfte ihren Gemahl am Rockschoß, daß die Nähte knackten.

»Was fällt dir denn ein? Wie kannst du denn so etwas reden?« flüsterte sie ihm zu; »nimm doch deine Gedanken zusammen!«

Der Rittmeister sah sie erst eine ganze Weile an, als wenn er nicht recht wüßte, was sie wollte; dann befühlte er sorgsam die Naht seines langen Rockschoßes, ob sie nicht an irgendeiner Stelle aufgetrennt wäre.

In diesem Moment polterte der schwerfällige Tritt von Pferdehufen über die hölzernen Dielen des Hausflurs und dann klapperten die Eisen auf den Pflastersteinen vor der Tür.

»Väterchen... Pätel ist da mit der Käthe«, sagte die Mutter aus dem Fenster blickend.

Eine Minute später schlug von den beiden Kirchtürmen die neunte Morgenstunde.

»Adieu!« knurrte der Rittmeister seine Familie an; dann stackerte er in sein Zimmer zurück, umgürtete seine starken Hüften mit dem Säbel, setzte sich die Mütze auf und stieg die Treppe hinunter.

Als er vor die Haustüre trat, standen seine fünf Frauenzimmer gewohnheitsmäßig an den Fenstern.

Pätel, der Bursche, hatte eine alte, dicke, braune Stute am Zaum, die aber wieder eingeschlafen zu sein schien; denn sie senkte den Hals mit der naßausgekämmten Mähne so tief, daß der ungeschickte Kopf beinahe auf die Pflastersteine reichte.

Als er den Rittmeister kommen sah, trat Pätel auf die andere Seite, um ihm beim Aufsteigen den Bügel zu halten, dann steckte jener mit der größten Anstrengung den steifen Fuß hinein, wickelte sich die Mähne um den linken Daumen, schwang sich stöhnend empor, hob das rechte Bein über die Kruppe und ließ endlich das Gesäß in den Sattel fallen.

In diesem Moment erwachte die dicke Käthe aus ihrem Morgentraum, zuckte zusammen und richtete den Kopf empor.

»Donnerwetter, sie überschlägt sich!« rief Schimmelmann, mit beiden Händen in die Mähne fassend, während der rechte Fuß ängstlich nach dem andern Bügel suchte, »halte sie vorne fest, Pätel!«

Der Bursche stellte sich in gewohntem Gehorsam vor das Pferd und faßte beide Kandarenzügel.

»Sie ist wieder zu mutig... muß sie heute ordentlich abtraben«, grunzte der Rittmeister, nachdem er sich zurechtgesetzt... »so, nun laß sie los... es ist immer noch solche aufgeregte Kanaille!«

Dann klopfte er dem alten Gaul mit beiden Waden in die Flanken; aber der alte Gaul stieß bloß einen krächzenden Ton aus und rührte sich nicht.

Schimmelmann kitzelte ihn jetzt mit beiden Sporen, ohne ein besseres Resultat zu erreichen, bis endlich Pätel zurücktrat und dem alten Tier einen kräftigen Klaps auf die linke Hinterbacke verabfolgte.

Die Käthe brachte einen quietschenden Ton zu Gehör, legte die Ohren an und setzte dann steif ein Bein vor das andere, indem sie mit dem dicken Hinterteil schwerfällig hin- und herwackelte.

Der Rittmeister Schimmelmann aber blickte triumphierend um sich, als wenn er eben einen wilden Hengst gebändigt.


 << zurück weiter >>