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Achtzehntes Kapitel.
Oberflächliche Nachforschungen

Man sollte denken, es sei ein Ding der Unmöglichkeit, daß in einer Stadt von fünfzigtausend Einwohnern der Stadtvorstand und sein oder ihr Privatsekretär spurlos verschwinden könnten – und doch war dies in Roma der Fall. Da Gertrud wußte, daß Fitzgerald ein schwer zu behandelnder Mensch war, hatte sie Vorsorge getroffen, so unauffällig wie möglich mit ihm zusammenzukommen. Wäre ihre Cousine Jessie Craig zu Hause gewesen und nicht für einige Tage zu einem Besuch nach Philadelphia gefahren, hätte Gertrud ihr gesagt, wo sie hingehe; so befand sich nur die Dienerschaft in dem Van Deusenschen Hause, und dieser hatte Gertrud nur mitgeteilt, sie müsse noch einen nötigen Gang machen, werde aber gegen zehn Uhr zurück sein.

Mary Snow bewohnte in altjüngferlicher Unabhängigkeit in einem möblierten Gasthaus zwei Zimmer, trug ihren Hausschlüssel stets bei sich und hatte über ihr Kommen und Gehen keinem Menschen Rechenschaft zu geben. Während der Zeit ihrer journalistischen Tätigkeit hatten die Angestellten und Fahrstuhljungen sich so daran gewöhnt, sie auch zur spätesten Nachtzeit heimkommen zu sehen, daß sich kein Mensch darum kümmerte, daß sie auch um Mitternacht noch nicht von ihrem Besuch bei dem leidenden Fitzgerald zurückgekommen war.

Als aber Fräulein Van Deusen auch gegen Morgen noch nicht nach Hause gekommen war, wurde der alte Haushofmeister, der sie seit vielen Jahren kannte, besorgt und telephonierte an Bailey Armstrong, sobald es Tag wurde. Dieser erschrak furchtbar und eilte in die Wohnung von Mary Snow, weil er dachte, Gertrud habe vielleicht bei ihr übernachtet. Als er aber entdeckte, daß beide Damen fehlten, schlug er Lärm, ließ den Polizeipräsidenten und den Bezirksanwalt kommen und telegraphierte an Jessie Craig, sie solle sofort heimkommen.

Systematische Nachforschungen wurden eingeleitet, und die ganze majestätische Maschinerie der Polizei in Bewegung gesetzt. Durch einen merkwürdigen Zufall war der Besitzer der betreffenden Apotheke abwesend gewesen und seine zwei Provisoren kannten die beiden Damen nicht. Folglich waren sie während und nach ihrer Zusammenkunft bei dem Apotheker, von wo aus sie den Besuch bei Fitzgerald unternahmen, von keinem Menschen mehr gesehen worden. Auch hatte kein Mensch von ihrer Verabredung mit Fitzgerald etwas gewußt, und wäre dies auch der Fall gewesen, so hätte es nicht das mindeste genützt, da Fitzgerald selbst, sich des vollsten Wohlbefindens erfreuend, von der in seinem Namen getroffenen Abmachung gar nichts wußte, sondern über das, was er »diese Büberei« nannte, in allen Tonarten schimpfte.

»Menschenraub,« sagte einer um den andern, und die Detektive suchten wiederum nach dem geheimnisvollen Autotaxameter, der am Vorabend der Wahl eine so zweifelhafte Rolle gespielt hatte. Auf diesen besondern Zweig der Nachforschung warf sich Bailey Armstrong. Er ließ keine Garage in der Stadt ununtersucht, keinen Kraftwagenführer unverhört, aber alles war vergeblich. Im Laufe des Tages tauchten allerlei Gerüchte über fliehende Autos auf und vermehrten die hoffnungslose Verwirrung.

Im Rathaus ergriff Otis H. Mann als Stellvertreter des Bürgermeisters die Zügel. Obgleich er auch seinerseits die Nachforschungen nach dem Fräulein Bürgermeister und ihrer Sekretärin mit Geschick und Geduld zu leiten schien, schwelgte er doch in der Unabhängigkeit, die kleinen Geistern nur bei großen Veranlassungen gelegentlich zuteil wird.

Als der Tag sich zu Ende neigte und noch immer keine Kunde von den verschwundenen beiden Frauen eintraf, stieg die Erregung der Menge immer höher. Die Gruppen häuften sich auf den Straßen, und endlich kam jemand auf den guten Einfall, eine Massenversammlung zu veranstalten. Wenn Gertrud all die dort gehaltenen Reden, die Sympathie und den Stolz auf sie von seiten ihrer Bürgerschaft hätte hören können, so wären ihre Kräfte gewachsen wie die des Prometheus, wenn er seine Mutter Erde berührte.

Es gab viel feurige Reden, aber nur wenige praktische Ratschläge, und als Bailey Armstrong und John Allingham den Saal zusammen verließen, lag ihnen beiden das Herz schwer in der Brust.

»Alles, was ich in der Welt besitze, all mein Hab' und Gut,« sagte Bailey, »würde ich gerne hingeben, um diese beiden wieder aufzufinden, aber, unter uns gesagt, scheint die Sache sehr im Dunkeln zu liegen. Jedenfalls wird faules Spiel gespielt. Warum sollte Gertrud des Nachts allein ausgehen? Warum ließ sie mich nicht rufen, um sie zu begleiten, wie sie es schon tausendmal getan hat, wenn gerade niemand von ihren Dienstboten dazu geeignet war?«

»Hast du irgendwie von einer Verabredung reden hören – von ihr oder Fräulein Snow?« fragte Allingham. »Offenbar mußten sie eine solche haben.«

»Kein Wort! Ich war gestern in ihrem Amtszimmer, wo wir allerlei besprachen. Ich bat sie –« Bailey unterbrach sich. »Ja, ich forderte sie auf, an Newton Fitzgerald zu telephonieren, er solle bei ihr vorsprechen. Hältst du es für möglich, daß er etwas mit der Sache zu tun hat?«

»Wir wollen in seine Wirtschaft gehen,« sagte Allingham. »Da kommt gerade ein Straßenbahnwagen.«

Als sie aber dort ankamen, deklamierte Fitzgerald laut gegen die durch und durch verdorbene Politik in Roma.

»Ich hab' sie gekannt, seit sie ein kleiner Knirps war,« verkündigte er einer Bande nach Bier duftender Zuhörer vor seiner Tür, »und sie war für mich ein wahrer Engel des Lichts. Ich hab' auch für sie gestimmt – jawohl, das hab' ich, obgleich es gegen den Parteibeschluß war. Und ich werd's wieder tun, wenn sie lebendig zurückkehrt. Heute früh, als ich hereinkam, fand ich einen Zettel auf meinem Pult, von meinem Oberkellner, worin er mir mitteilt, sie habe telephoniert, ich solle als wie gestern nachmittag zu ihr aufs Rathaus kommen. Natürlich hätt' ich's auch getan, wenn ich nicht erst spät in der Nacht zurückgekommen wäre. Wer weiß, vielleicht hätte ich ihr irgendwie von Nutzen sein können. Jedenfalls werde ich mich von morgen an ganz allein auf die Suche machen.«

»Na, aufrichtig ist der wenigstens,« sagte Bailey. »Newton ist ein gutmütiger Kerl und hat Gertrud immer gern gehabt.«

Sie gingen wieder zurück und verabschiedeten sich bald für die Nacht, aber keiner von beiden konnte Schlaf finden, denn sie mußten unaufhörlich an die zwei auf so unerklärliche Weise verschwundenen Frauen denken.

Während des Heimweges durchlebte John Allingham noch einmal in Gedanken den aufregenden Abend vor der Wahl. Er erinnerte sich der Mondnacht, die er im Automobil durchsaust hatte, des Unfalles und Gertrud Van Deusens teilnahmsvoll über ihn gebeugten Gesichtes. Noch einmal genoß er die Heimfahrt, glaubte er ihre silberne Stimme zu hören und den Zauber ihrer Gegenwart zu empfinden. Er vergaß völlig, daß sie jetzt die Arbeit eines Mannes verrichtete, und erinnerte sich nur ihrer echt weiblichen Anmut und Liebenswürdigkeit. Als er dann wieder des Mißgeschicks gedachte, das die Stadt durch ihr Verschwinden betroffen hatte, stöhnte er laut auf in bitterem Weh.

»Herrgott,« stammelte er, »wenn sie uns für immer entrissen wäre – –«

Und dann wurde es ihm plötzlich klar, mit schneidendem Schmerz im Herzen, daß er eine Frau liebte – daß diese Frau Gertrud Van Deusen war – und daß sie verschwunden, vielleicht schon tot war – oder sich doch jedenfalls in großer Not, in Jammer und Elend befand.

»Guter Gott,« rief er laut aus, »was kann ich tun, um ihr zu Hilfe zu kommen?«


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