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Bonn, im August.
Ueber Deine Antwort habe ich recht lachen müssen. Bist Du doch ein sonderbarer oder vielmehr, ordinärer Mensch! Ist es denn so gar schwer, herauszutreten aus seinem engen Kreise und zwei Schritte in die Welt zu thun? Wie kannst Du mir ein sündhaftes Leben vorwerfen, weil sich die Liebe mit heiligen Küssen in mein Herz drängt? Und auch Auguste wagst Du zu schmähen! Wisse, daß ein Liebender jede Gotteslästerung gering zu achten im Stande ist, den zweideutigen Tadel seines geliebten Gegenstandes aber nie vergibt. Ich bin ganz wie ein Anderer, nur etwas heftiger. Ich räche mich an Dir für Dein schlechtes Zutrauen, und zwar auf eine Art, von der ich weiß, daß sie Dich am tiefsten ärgern wird. Ich setze einen Brief her, den ich an Auguste schrieb. Dies sei Deine Strafe für Deine böse, bornirte und deshalb, trotz der sittsamen Verhüllung, sehr unsittliche Meinung. Wenn Du nicht so gar fromm wärst, so würde ich Dich dumm nennen. Zur Dummheit aber gehört auch eine Art Genialität, wenn's auch nur eine umgekehrte ist. Sei nicht bös, lieber Ferdinand, ich bin Dir doch gut blos der Solidität wegen, die Dich nie zum Schuldenmachen hat kommen lassen. Lies diesen Brief und nimm Dir ein Exempel daran, wenn Du so unsittlich sein solltest, Dich vor lauter Sittlichkeit zufällig einmal zu verlieben. Ein Schema ist gar nicht zu verachten, das hilft aus vielen Verlegenheiten.
»Meinen Kuß zuvor, holdselige Schwester in der Liebe! Du hast mich verdammt zu sechstägiger Buße für meinen begangenen Frevel, ich verdamme mich aber selbst zu einer zwölftägigen und hoffe Dir damit zu zeigen, daß ich nicht aller Geschicklichkeit ermangle, Deinem seidenen Pantoffel zu entgehen. Du bist zwar allerliebst anzusehen, wenn Du den Scepter Deines Hausrechtes auf dem Goldfinger der linken Hand balancirst, und ich verstehe mich lebensgern zum Pantoffelkuß, weil ich immer so klug bin, statt des Absatzes die warme Muskel Deines hübschen Ballen zu küssen. Dabei weiß ich auch noch andere Künste in aller Geschwindigkeit zu üben, denn ich habe früher Unterricht genommen bei einem Taschenspieler. Lachen magst Du, nur nicht weinen; denn dann flattern die Amouretten um Deinen schwarzbraunen Lockenkopf wie arme, verscheuchte Nachtvögel, wiewol Deine schlanke Schulter beim Schluchzen ein allerliebstes Grübchen bildet, um, wie ich mir einbilde, meine Liebesseufzer aufzufangen.
»Ich gehe auf Reisen, mein süßes Leben, aber ich vergesse nicht, Dich ganz und gar im Schrein meines Herzens mitzunehmen. Ach, bin ich ein arger Götzendiener! Da kniee ich nieder vor Dir, wie weiland vor dem silbernen Kruzifix in der Pfarrkirche, wo ich confirmirt und unter die guten Christen aufgenommen wurde von der segnenden Hand des Priesters!
»Wo ich hingehe, möchtest Du wissen? Fort in die Welt, um zu sehen, ob Du mir lieb bist. Und verlasse Dich darauf, ich kehre nicht heim, ohne mit zwanzig hübschen Mädchen gescherzt zu haben; denn ich weiß, daß Du mich deshalb nur noch lieber hast. Ein Mädchen, das von ihrem Geliebten verlangen kann, er solle mit keinem anderen tändeln und kosen, ist eine christliche Kokette, die widerlichste Creatur, die sich denken läßt. Die Geliebte muß den Schönheitssinn lieben an ihrem Geliebten. Küßt er sie nur am öftersten, inbrünstigsten und kehrt immer mit größerer Lust zum Spiel dieser Seelenmundharmonika zurück, so muß sie glücklich sein, weil sie öffentlich als eine Göttin der Schönheit von ihm hingestellt wird. Und die Liebe ist der Weihrauch, der aufdampft um die angebetete Schönheit. Küsse sind die läutenden Chorknaben, die den stillen Weltdienst der Liebe ansagen den betend hingebeugten Empfindungen. In Andacht zitternd liegen alle schönsten Gefühle auf dem pulsirenden Mosaik des Herzens, und die Seele spielt in leisen Zaubertönen die Orgel, und Hymnen und jauchzende Dithyramben springen herab aus dem Irisbogen der beschwingten Psyche in die aufflackernde Wolke des Weihrauchs. Und erst, wenn durchduftet von dem Aroma der Liebe auch die rosigen Chorknaben gebeugt niederstürzen vor dem Altar der Lippen, verstummt in heiligster Feier des Hochamtes Orgelton und Glockengeläut, und geweiht und versühnt im Opfer der Liebe erhebt sich die Schönheit zu neuer Anbetung.
»Freue Dich, Auguste, auf diese Feier! Geschmückt mit den schönsten Gaben unbegrenzter Verehrung hebt sich der Tempel in meinem Innern empor. Seine Baumeister sind Schönheit und Liebe. Heiterkeit wird wohnen in seinen luftigen Bogenschwingungen, alle Düsterheit dieser oder jener Sectenvorschrift wird verdrängt von Scherz und Glanz eines freien menschlichen Lebens. – Du mußt aber nicht blöde sein, Auguste! Deine braunen Augen müssen überall hin als lächelnde Sonnen fliegen und einen Kranz munterer Sterne flechten um die dunkelglühende Kuppel unserer Liebeskapelle. Besinne Dich auf eine recht auserlesene Forderung, die schwer von mir zu leisten ist, und wenn ich nicht thue, was Dein fragender Liebesstern verlangt, so verwandle Dich in einen Basilisk und blicke mich zu Tode!
»Die phantastischen Morgenländer haben eine Sage, nach welcher die höchste Liebe im Stande sein soll, den Gegenstand ihrer Leidenschaft auseinander zu blicken. Ja, das ist lächerlich, mein süßes Leben, aber ich wollte doch, es wäre wahr, und ich könnte, wie ich nun hier sitze, durch die Mauer hindurch bis in Dein Zimmer hinein blicken, und Dich mit liebe-wüthendem Auge zerreißen und heranziehen an mein Herz! Es soll gar nicht schmerzhaft sein, Gustchen, die ganze morgenländische Operation soll auch morgenländisch wollüstig, mährchenhaft-süß und beglückend sich vollziehen lassen. Wahrhaftig, ich bedauere von ganzem Herzen, daß ich kein morgenländisch-magnetisches Auge besitze und kein so phantastischer Narr bin! Wir Abendländer sind viel zu kalt, nur braune Augen, von dem perlenden Blut der Rebe mit sonnigen, belebten Gardinen umhangen, wie die Deinigen, könnten vermögend sein, mich aus einander zu reißen, wenn ich nicht so gar leicht wäre. Das ist ein glückseliges Unglück und hat mich ganz in Dein Herz hinein gebracht. Sieh nun zu, wie Du noch Platz darin behältst, die Lebenselemente zu ordnen. Denn Ordnung, mein Auge, muß sein, sonst gibt's einmal eine schlechte Haushaltung.
»Wirst Du denn milder geworden sein bei meiner Rückkunft? Ich werde Deines Zuspruchs bedürfen; denn ich fürchte, diese improvisirte Reise wird mich viel am Stege reif gewordenes Unglück sehen lassen. Darauf bin ich gar nicht begierig, denn Gottlob, für Unglück darf ich kein neues Gebet ersinnen! Das ist mir von jeher ganz unvermuthet unter die Beine gesprungen. Neugierig bin ich aber dennoch, weil es mein fester Glaube ist, daß Deine Liebe mich retten wird aus aller Kreuzes- und Lebensnoth. Der Jammer soll zwar erst recht angehen, da ich vorläufig noch nicht einmal in Gethsemane bin. Heut Abend ist diese Mission angesagt worden. Nun nimm Vernunft an, Auguste, ich bitte Dich, und schicke mir keinen neuen Judas auf den Hals, denn ich wäre ohne Zweifel zu wenig christlich-sanftmüthig gesinnt, als daß ich dem Kußräuber nicht den Hals durch einen raschen Griff umdrehen sollte. Bitte für mich, kleine Heilige, mit dem klugen, bewegten Gazellenauge; zur nächsten Frühmesse bringe ich Dir ein in lebendigem Feuer brennendes Herz.
»Bleibe treu und untersage dem alten Ephraim das Korbflechten! Ich mag's nicht leiden, daß in Deinem Hause, wo die Liebe ihre genialsten Gedanken gebiert, und in der schönsten Gestalt ihrer ewigen Poesie den Morgen einer schönern und menschlicheren Welt verkündigt, die Prosa des Lebens ein so fatales Geschäft betreibt.
»Lucie ist munter; in ihrer Ausgelassenheit gefällt sie mir momentan besser, als Du, meine Schönste! Dann küsse ich Sie und bin ihr gut. Mache Du's eben so mit Oskar, wenn Du Flecken finden solltest an mir. Diese poetisch gehandhabte Eifersucht wird uns zu sehr guten Menschen und unwandelbar treu Liebenden machen. Nur kein Erkalten des Herzblutes zu ekler Prosa! Laß' Deine Sonnen leuchten, Auguste, Du heilige Göttin der duftig umsponnenen Welt, und glühend herabsinken ihre Strahlen auf die Reben unserer sich umarmenden Herzen, damit in purpurner Pracht der schäumende Perlenthau sich in den Kelch unseres Lebens stürze! Hebe die Schale, Auguste, und genieße Himmelsfunken, Erdenglück, Lebensschaum! Genuß ist Alles, Genuß ist Himmel, Genuß ist Gott! Hätte Gott nicht genossen und sich berauscht im Aether seines heiligsten Gedankens, so gäbe es keine Welt, keine Sterne, keinen Tag und keine Nacht! Es gäbe keine Liebe, diesen ewigen entzückenden Rausch des Gottes in seinem geliebtesten Kinde, dem Menschengeschlecht!
Ohne Maß und Ziel, unaufhörlich schwelgend im Rosenduft Deines Mundes, umarmt Dich
Dein Sigismund.«
Solltest Du dies etwa blos für Tirade halten, wie meist alles poetisch Empfundene, so nimm den Fond meiner ganzen aufgeregten Bosheit zu unvergänglichem Erbe dahin, denn ich kann eben so unbegrenzt hassen als lieben. –
Bardeloh vergaß nicht, mich zur festgesetzten Zeit abzuholen. Felix begleitete uns mit einem Diener bis an den Hafen und bedauerte nur, daß er daheim bleiben müsse. »Komm hübsch wieder, Sigismund,« sprach er, »sonst gibt's bei uns lauter Elend.« Er schwenkte sein Hütchen so lange, bis das Dampfboot aus dem Gesichtskreise verschwand.
Der Morgen war heiter und warm. An den Ufern des breiten Stromes zogen die Landleute der Stadt zu. Die Landmädchen sind in diesen Gegenden meist von hoher Statur und vereinigen mit gesunder Grazie etwas Majestätisches in Gang und Haltung. Viel mag dazu die Gewohnheit thun, Alles in zierlich geflochtenen Körben auf dem Kopfe zu tragen. Ein voller schlanker Wuchs, gehoben durch eine gefällige Kleidung, gibt einer solchen Mädchen-Caravane einen phantastisch-heiteren Anstrich. Die Rheinländerinnen sind weder wortkarg noch blöde. Die Traube der Mosel lacht in jedem Mädchenauge, ihr leichter süßer Schaum perlt in der rosigen Wange, und freundlich geben sie den Gruß des Fremden zurück. Am liebsten scheinen diesen Hebegestalten die strohhuttragenden Fremden zu sein. Scherz und Gruß springt von Gruppe zu Gruppe, man vergißt die tieferen Aengste des Lebens und glaubt wieder an ein heiteres, freudenerlaubtes Dasein.
Ein Musikchor auf unserm Schiff spielte lustige Sangesweisen, die Reisegesellschaft, wieder bunt zusammengewürfelt aus allen Nationen, um nicht zu sagen Welttheilen, summte erst leis dann lauter die Melodie, als aber das Rheinweinlied mit vollem Jauchzen der Instrumente: »Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsr'e Reben etc.« angestimmt ward, fiel jeder deutsche Passagier lustig in den beglückenden Gesang, und eilte auf dem dämonischen Wasserroß den grünen Rebenhügeln zu, die nah und fern schon ihre lockenden Ranken uns entgegenstreckten. Ein paar Citronen- und Pomeranzenbäume, am Mast aufgestellt, grüßten mit dunkelglühender Frucht die laute Freude, der Süden schien sich vereinigen zu wollen mit dem Norden. Ein Lorbeerbaum stieg zwischen beiden ernst und sinnend in die Luft und darüber hisste die Industrie die schwarze Todtenflagge auf, als wolle sie die Vergangenheit sühnen mit ihren stilleren uneigennützigen Bestrebungen. Die Morgenlerchen warfen ihre gellenden Triller in den Gesang der Menschen herab, die Sonne steckte hellfarbige Rosenbänder halb lächelnd halb verdrüßlich um ihre goldenen Locken und zerbrach die rasche Fluth in funkelnd dahinrollende Erzstufen. Ein ungeheuerer Chrysopras schimmerte der Strom, eingefaßt in den Reif silbernen Nebels.
In wenig Stunden lag Bonn vor uns, das Siebengebirge mit seinen romantischen Thälern in blauen Duft gehüllt am Horizont, der Drachenfels starrte hinein in die Gegend, wie das blöde Auge eines greisen Burgwarts. Was würde ein solcher Thurm erzählen können, dürfte er auch nur beim Frühroth ertönen auf wenige Sekunden! Die zahlreichen Ruinen am Rhein erscheinen mir immer wie verzauberte Seufzer, die vergeblich von Jahrhundert zu Jahrhundert auf den Erlöser warten. Einzelne Pulsschläge der Vergangenheit, die sich bei dem entfliehenden Leben verspätet haben und in Stein verwandelt worden sind. O, es ist nicht gut, wenn irgend ein Mensch oder eine Sache zu lange lebt! Je früher gestorben, desto süßer und traumloser ist die Ruhe! –
Als das Schiff bei Bonn anlegte, vermißte ich Bardeloh. Ich fand ihn, dem Ansehen nach eingeschlafen am Vordertheil auf dem Glockengestell sitzen, aber er grübelte nur über Gedanken der Zukunft, wofür die Gegenwart noch keine Furche zur Aussaat aufgerissen hat. Er hatte nicht den geringsten Antheil genommen an Freude und Lust der übrigen Reisenden. Mich beschäftigte die naive Laune eines hübschen Landmädchens mit frischem Gesicht und muntern lebenslustigen Augen. Sie erzählte mir, daß sie einen Schatz habe, der Winzer sei, aber gar jammervoll arm und so blieb's immer nur bei einem Kusse, den er ihr Sonnabends regelmäßig mit herzlicher Freude gebe. Das sei aber langweilig, meinte Nanette, und ich gab ihr recht. Zur Abwechselung bot ich ihr auch einen Kuß. Sie lachte hell auf, ich ließ nicht auf mich warten und sie schien über meine Freiheit nicht eben sehr böse zu sein. Bei der Einmündung der Sieg ließ sich Nanette ausschiffen, ich versprach sie zu besuchen und das liebe Kind lachte und grüßte mich noch aus der Ferne, bis sie an's Ufer gestiegen war. Es haust ein munterer, natürlicher Menschenschlag an dem glücklichen Strome.
Bardeloh fragte gleichgiltig, ob wir schon in Bonn seien, und verließ mit mir das Schiff. Wir bezogen einen freundlichen Gasthof und gingen dann aus, ich um die heitere Lage der Stadt mir einzuprägen, Bardeloh mehr aus Gewohnheit und um doch sprechen zu können, wenn die Stunde der Mittheilung für ihn kommen sollte. Oft scheint es mir, als sei Alles an diesem Menschen Instinct, aber ein höherer, intensiverer. Es hat selbst das Seltsame, Abschreckende in seinem Handeln etwas Göttliches. Es ist das Abnorme vermenschlichter Göttlichkeit, was bald laut und offen, bald geheimnißvoll verschwiegen, wie das dumpfe Donnern einer Lawine, losbricht in dem Eisgletscher der Brust dieses Menschen. Doch glaube ja Keiner, Bardeloh sei herzlos! Sein Herz ist nur so dicht mit Wunden bedeckt, daß Niemand die ursprüngliche Gestalt aus dieser zitternden Muskel des Schmerzes erkennen kann.
Durch Gleichmuth's Selbstbiographie war mir Bonn merkwürdiger geworden als durch seine Sehenswürdigkeiten. Daß Beethoven hier geboren, wußte ich, die Stadt selbst aber mit ihren Bewohnern schien wenig Notiz davon zu nehmen. Die uralte gothisch-byzantinische Münsterkirche mit der vortrefflichen Statue der Kaiserin Helena, die ihre Gründerin gewesen, mag für Liebhaber der Baukunst interessanter sein, als für einen Menschen, der dem Leben abzugewinnen sucht, was ihm bisher entzogen blieb – freie Bewegung. Freundlich stürzt uns die Natur in die Arme auf der prachtvollen Rheinterrasse, zum alten Zoll genannt. Hier wirft der verschwenderische Rheingau die letzten Blüthen aus seinem Füllhorn der Landschaft zu Füßen, und der Strom ergießt sich mit königlicher Pracht in die weite Ebene.
Bardeloh führte mich nach Poppelsdorf hinaus, dem Kreuzberge zu. Das Schloß Clemensruhe liegt wie schlummernd unter dem Schirmdach hundertjähriger Kastanien, hinter ihm steigt der Weg an zum Theil niedergestürzten Stationenbildern den Berg hinan. Die Kapelle liegt friedlich in heiterer Luft.
»Das ist ein verhängnißvoller Weg,« sagte Bardeloh, »wenn Pastor Gleichmuth Wahres erzählt in seinem Manuscript. Sie haben es doch gelesen?«
»Noch nicht ganz; der Lebensabschnitt, welcher sich eng anschließt an diese Partie, ist mir bekannt.«
»Es ist Kraft in Gleichmuth, wenn auch keine gesunde. Was überhaupt kann jetzt noch gesund sein! Wir athmen ja lauter bösartige Dünste; ist's da ein Wunder, wenn die Seele Pestbeulen treibt und der Schweiß des Geistes krystallisirtem Arsenik gleicht?«
»Gleichmuth muß sehr unglücklich sein,« versetzte ich. »wenn er auch das Gegentheil versichert.«
»Wie Sie wollen! Oder meinen Sie, er würde glücklicher sein, wenn er weniger gesündigt hätte, wie die gewöhnliche Welt seine moralische Experimentalphysik nennen würde? Das kann Ihnen nicht einfallen. Sind Sie glücklich, der gegen jenen Mann Unschuldige? Bin ich es, weil ich nur sündige im Zorn und Fluch meines stillsten Gedankens? Es ist gleich, wie wir leben, thun wir es nur für einen Zweck!«
»Das sind jesuitische Grundsätze, die Sie selbst verwerflich finden müssen.«
»Nichts finde ich verwerflich, mein moralisirender Freund. Gott hassen ist bei mir eben so erhaben, als Gott lieben – es kommt dabei nur auf die Zustände an. Ich möchte ein Buch schreiben ›himmlische Zustände.‹ Das sollte sehr belehrend sein, aber bitter wie Galle und kitzelnd wie Nießwurz. Die Welt ist verschnupft, gebt ihr starke Priesen, das ›Prosit‹ wird sie sich selbst rufen.«
Die Kapelle lag vor uns, ein milder Wind spielte auf der schönen Höhe. Die Aussicht war bezaubernd. Ein heller Himmel breitete sich sanft und wärmend über das Land, Fernen und Nähen lagen in scharf gehobenen Tinten, glänzend bewegt, um und unter uns, ganz fern ragte Köln mit seinen vielen Thürmen und dem Bruch des schöpferischen Menschengedankens, dem Dom, aus violettem Duft und weißlich glimmernden Nebelstreifen. Die ganze Stadt ist ein zerbrochener Satz von Typen, der von der religiösen Begeisterung des Mittelalters auf das Gedenkbuch des Herrn, die Erde, gedrückt wurde. – Es liegt viel Beruhigendes, aber auch nicht minder Entnervendes in solcher Betrachtung. Unser eigener geistiger Tod tritt vor den Blick, grell, ohne Schminke, ein Fratzenbild des Geistes, der sich gern jugendlich maskirt. Meine Hoffnung fliegt allemal auf wie eine verschüchterte Taube, wenn die Vergangenheit mit ihrem Gelächter, das sich nur in der veränderten Miene kund gibt, mein Ohr zerreißt.
In der Kapelle war Alles still. Keine Hora, wie vor zehn Jahren, erklang in der Kirche. Die Heiligkeit schien ausgestorben zu sein mit den Mönchen, die sie herumtrugen und wiegten unter ihren Kutten. Was soll auch ein Klosterbruder anders thun? An Etwas muß die Liebe sich anhangen; hat das Vater stammelnde Herz kein Kind zu wiegen, so hegt und pflegt es irgend einen Gedanken als todten Balg verkümmerter Vaterschaft! Ach, es gibt viel, sehr viel Elend auf Erden!
Auf den Stufen der Kirche saß ein steinalter Greis. Weißes Haar umfluthete das freundliche Gesicht, wie zu Schaum geschlagene Gedanken von Sanftmuth und Liebe. Ein Krückenstab lag neben ihm, er spielte mit einem jungen Dachshunde, der sich kläffend gegen uns wandte, sogleich aber wedelnd zu seinem Herrn zurückkehrte.
Wir grüßten den Alten und fragten, ob wir das Innere der Kapelle sehen könnten.
»Gleich, gleich, meine Herrn,« versetzte der Greis und erhob sich mühsam mit Hilfe des Krückenstabes. »Es geht langsam bei mir,« fuhr er fort, »aber desto sicherer. Ich bin dreiundneunzig Jahre alt und hab's noch nicht satt, das lustige Leben. Zehn Jahr seh' ich mir's noch mit an. Ich möchte schon wissen auf meine alten Tage, was das junge Geschlecht noch anfangen wird mit dem Bischen Leben.«
»So alt und so neugierig!« sagte Bardeloh. »Grelle Gegensätze, die man nicht erwarten sollte unter dem silbernen Käppchen, das Euer Haupt bedeckt.«
»Ja, ja, mein Herr,« lächelte der Alte, dessen obwol etwas gekrümmte Gestalt doch noch Rüstigkeit und Lebenskraft beurkundete. »Alles, wie's Gott will und die Natur. Das Kind ist neugierig, der Greis ist's – ein allerliebstes Gespann. Kinder und Greise vertragen sich am besten bei allen Spielen. Ich hab' noch den Vortheil, daß ich glücklich genug bin, mit mir selber spielen zu können. O, meine Gedanken sind lustige, purzelbäumig gesinnte Bursche! Laufen herbei, wenn ich sie rufe und wir kollern eins zusammen, ich alter Narr und meine Kindeskinder, das luftige Volk des Gehirns –, daß es eine Lust ist! Mein Haar aber,« setzte er ernster hinzu mit einem zufriedenen Lächeln, »das ist ehrlich verdientes Silber und ich bin wahrhaftig stolzer darauf, als mancher junge Mann es sein kann auf seine Brille und geborgten Locken. – Bitte, liebe Herrn, treten Sie ein.«
Der Mann gefiel mir. Das Alter, blickt es zufrieden und ohne Schmerz zurück auf ein bewegtes, lang hingestrecktes Leben, ist ehrwürdig, rührend, beneidenswerth! Das eben ist der Fluch unserer Zeit, daß sie zu carikirt, zu spirituell-besoffen und materiell-dickwanstig geworden ist, um eine reine Freude aufkommen zu lassen in der Jugend. Wir müssen unglücklich werden schon frühzeitig, weil uns das Glück, zur Ruthe geflochten, gepeitscht hat. Es liebt keiner ein Instrument, das ihn züchtigte.
»Ob es nur wirklich noch Menschen geben kann, die von jetzt an gerechnet neunzig Jahre erreichen möchten, ohne wahnsinnig, dumm, niederträchtig oder Götter zu werden?« rief Bardeloh aus. »Gib mir Vernunft, Vater der Skepsis, damit der Docht nicht einst noch fortglimmt, wenn die Speise der Flamme längst schon verzehrt ist!«
Der Greis war auf einen Augenblick in sein Zimmer gegangen, um die Schlüssel zur Kapelle zu holen. Er kehrte zurück mit einem brennenden Lichte.
»Gab's hier nicht Mönche in früherer Zeit?« fragte ich den freundlichen Kastellan.
»O ja, genug! Aber seit ein paar Jahren ist's aus mit dem Mönchthum. Sie sind alle gestorben und ich hab' sie alle in den Sarg gelegt, ihnen Rosenkranz und Kruzifix in die Hände gegeben und sie begraben helfen drin in der Kapelle.«
»Seid Ihr denn Todtengräber?«
»So ein Stück davon; ich thu', was verlangt wird, d. h. wenn's manierlich geschieht und wie sich's gehört.«
Er schloß die Kirche auf, und führte uns in den stillen, friedlichen Raum. »Da ist was gebetet und gesungen worden,« fuhr der redselige Greis fort, »und manch Gelübde hat junges, frisches Blut gethan hier am Altar, daß mich's manchmal dauerte, wenn das Auge des Novizen halb brach in Verzückung, halb in Schmerz und Gram über die verlorene Welt!«
»Habt Ihr dies oft erlebt?«
»Oft genug, um eine Chronik davon zu schreiben. Es war aber nie meine Passion, über Dinge nachzudenken, die ich nicht ändern konnte; auch bin ich ein gut katholischer Christ.«
»Sind Alle bereits gestorben, die ihr Gelübde hier ablegten in die Hand des Priesters?«
»Die Meisten, lieber Herr, die Meisten; und nun ruhen sie da unten aus von der überstandenen Drangsal des Heiligseins – Gott hab' sie selig!« Er stampfte mit seinem Krückenstocke auf eine hölzerne Thür zu unsern Füßen. »Mancher freilich mag wol auch noch leben,« erzählte der Kastellan weiter, »wenn ich's auch nicht gerade behaupten will. Nur wissen möcht' ich gern, was aus dem Einen geworden ist, der vor zehn Jahren ungefähr, ja richtig! an Maria Reinigung waren's runde, glatte zehn Jahre – hier am Altar das Gelübde that. Liegt mir doch das Gesicht des jungen Mannes noch so deutlich vor Augen, als hätt' ich ihn gestern erst gesehen.«
»Warum nehmt Ihr so großen Antheil an dem gelobenden Mönche?« fragte ich.
»Je nun, 's ist so 'ne Art Liebhaberei bei mir aus dem Blick beim Schwur die Zukunft zu lesen. Lacht immer, lieber Herr, lacht, ich habe so meine Art zu prophezeien, die nicht ohne Vernunft ist. Und gerade jener Novize hatte Blicke, ach Blicke, lieber Herr, zum Erbarmen! Ich glaube, 's ist nicht ganz richtig geblieben unter der Stirn.«
»Wie!« rief Bardeloh dazwischen, der unterdeß die wenigen, unbedeutenden Gemälde theilnamlos betrachtet hatte, »was toll – wer soll toll sein!«
»Behüte der Himmel!« erwiederte der Kastellan, »'s war pure Schwärmerei, was man so Ideenaction nennt, weiter nichts. Toll! Wo denken Sie hin! Hunde sind toll, nicht Menschen. – Und nun vollends ein christkatholischer Klosterbruder!« Der Greis bekreuzte sich und sah mit klug lächelndem Auge in Bardeloh's bleich gegrämtes, lebenverglühtes Gesicht.
»Und doch ist die Welt immer toll,« seufzte Bardeloh.
»Wenn ich nur wissen sollte, wie ihr jungen Männer es anfangt, um so jung schon, so welk, so lebendig, und doch so matt zu werden? Das war zu meiner Zeit ganz anders, und wir lebten doch auch nicht wie die Heiligen im Himmel.«
»Wißt Ihr Euch nicht mehr auf den Namen jenes Mönchs zu besinnen?« warf ich ein, um das Gespräch nicht lästig werden zu lassen für beide Theile.
»Doch, doch! Jener junge Mönch hieß Eduard und ward Bruder Bonifacius genannt in der Umfirmelung.«
»Eduard! Bonifacius!« riefen ich und Bardeloh beide in einem Moment.
»Sie scheinen den Mann zu kennen,« sagte der Greis und hob die Fallthür zur Gruft, um uns in das Todtengewölbe zu führen. Wir stiegen zitternden Herzens hinab; denn es blieb kein Zweifel, der Ort war gefunden, wo der unglückliche Eduard sein Lebenselend besiegelt hatte.
»Haben Sie etwa irgend eine Nachricht erhalten vom Bruder Bonifacius?« fragte mit freundlicher Gutmüthigkeit der greise Todtenwächter. »Freilich ist's Neugier, aber gewiß sehr verzeihliche, und es liegt mir was dran, meine Reputation zu behalten, namentlich solchen Herren gegenüber.«
»Das ist sehr kurz zu erklären,« versetzte Bardeloh, der nie Anstand nahm, das Entsetzlichste mit den bezeichnendsten Worten zu nennen, wenn er sich selbst retten wollte aus dem Druck eines zu großen Jammers. »Bruder Bonifacius oder Eduard ist toll geworden aus Heiligkeit. Er war mein Bruder.«
Dem Greise entfiel der Krückenstock, die Gebrechlichkeit des Alters rüttelte an seinem morschen Körper, er sank auf die Leiche des Mönches, dessen geöffneter Sarg ihm zunächst stand. Der Staub des Todes bedeckte mit fahlem Schleier den silbernen Scheitel, die freie Stirn des Alten schlug tief in die vermoderte Brust des schlafenden Klosterbruders. Ich sprang ihm zu Hilfe und richtete ihn auf.
Eine ergreifende Wehmuth schlug ihre Wimper auf in dem Lächeln, das über des Greises runzelvolles Antlitz bebte. »Mein Gott,« sprach der wankende Mann, »wer hätte mir vor siebzig Jahren vorausgesagt, daß ich meine alte müde Stirn heut baden solle in dem Staub gewordenen Herzen dieses Mönches, des ersten, welchen ich mit eigener Hand in den Sarg gelegt habe! Grade das Herz habe ich ihm zerbrochen, und noch dazu aus Kummer über das Unglück des Letzten, dem ich die Ordenskleidung anlegen half und die Haare aufhob beim Scheeren der Tonsur! Närrisch, sehr närrisch; aber wir wollen munter bleiben, da wir ja doch nur einmal leben!«
»Das ist der erste wahrhafte Philosoph, der mir in dem philosophischen Deutschland begegnet,« sagte Bardeloh. »Und stellt ihr den Greis aufs Katheder, so lacht der ganze Schwarm der Zuhörer, und nennt ihn einen verrückten Faseler. Klare Faselei gilt nicht mehr, sie muß recht compact sein in der Verrücktheit. Da bringe Beelzebub Methode hinein.«
Wir gingen durch die Reihen der Mönche, die alle in offenen Särgen wol erhalten, nur morsch gebeizt von der Gewalt des Moders, in langen Reihen hier den ewigen Tod schlafen oder dem Aufblicken des neuen Lebensmorgens entgegenharren. Der Castellan hatte bei fast Jedem eine Bemerkung zu machen, etwas aus dem stillen Leben des Verstorbenen zu erzählen und einzelne Curiositäten einzuflechten. Die Meisten hatte er selbst begraben helfen. »Lieb wär' mir's gewesen,« schloß er seinen Bericht, »wenn Bruder Bonifacius auch noch von mir bestattet worden wäre. Da hätte ich sie doch Alle beisammen, die ich gekannt, mit denen ich gebetet, gescherzt und gelacht, die ich so oft begleitet habe in die Stadt hinunter und mit denen ich mich nicht selten neckte, wenn sie ein paar Minuten zu spät von einem Spaziergange zurückkamen. Es fehlt mir nur der Bruder Bonifacius, der gerade, weil er wirblich geworden ist – verzeih' mir's Gott! – besonders gut mit die Lücke füllen hülfe, die noch offen steht. Denn einen Verrückten suchen Sie vergeblich unter diesen Todten. Andere Absonderlichkeiten gibt's zwar! Da z. B. ist einer, der an der Maulsperre starb, weil der wunderliche Narr sich vorgenommen hatte, eine ganze Nacht mit offenem Maule ein Madonnenbild anzustaunen. Der Narr meinte, das sei die ächte, heilige und gläubige Anbetung und Verehrung eines christlich-katholischen Menschen! Nun zwei Tage darauf war er verhungert, weil's Maul nicht mehr zuschnappen wollte. Der schnurrige Esel, Gott hab' ihn selig! – Und so könnt' ich Ihnen noch andere wundersame Geschichten erzählen von diesen Todten. Allein die Kirche hat's nicht gern, daß man von ihr schwatzt. Auch stört man die Ruhe der Seligen, und da mein Licht abgebrannt ist, meine lieben Herrn, so rathe ich zum Rückzuge. Wollen Sie mir die Stufen hinauf ein wenig helfen, soll's Ihnen Gott lohnen. Bei drei und neunzig Jahren sind Treppen überflüssige Erfindungen für den, der auf ihnen wandeln soll. Wenn aber Bruder Bonifacius stürbe, ging ich doch ganz allein und ohne Krückenstock mit ihm hinab in das Gewölbe.«
Von den besten Wünschen des Greises begleitet, verließen wir Kapelle und Kreuzberg. Bardeloh hoffte bei dem hartnäckigen Schweigen des sinnverwirrten Bruders später noch Näheres über ihn von dem Castellan zu erfahren. Nach Bonn zurückgekehrt fragte mich Richard, ob ich schon in einem Irrenhause gewesen sei?
Ich deutete rund um mich. »Sehr wahr,« sagte Bardeloh, »es fehlt hier nur an Intensität. Morgen wollen wir eins besuchen. Sie werden einen Bekannten daselbst kennen lernen, der Ihnen von Neuem beweisen soll, daß die Tüchtigen müde sein müssen dieses Erdtheils.« Mein Gott, wär's anders wo nur besser! Aber ich bin neugierig auf die unbekannte Bekanntschaft. –