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Aufruf

an die Bürgerschaft Mödlings zur Errichtung eines gemeinsamen Grabdenkmales für eigene und fremde Tote des Weltkrieges.

 

Allerseelen 1922.

Mitbürger!

Es war der Wunsch des Oberhaupts und Rates unserer Stadt, daß es die Stimme des Dichters sei, die zur Erfüllung einer Ehrenpflicht rufe. So erinnere ich denn in diesen Gedächtnistagen der Toten euch Lebendige an die Männer unserer engeren Heimat, die für uns starben.

Ein Heiliges und Gewaltiges ist es um das Lebensopfer von Menschen. Es schlage jeder an seine Brust und frage sich, wie viele der Güter es sind, für die er bereit wäre zur Hingabe seines Lebens. Und es werden immer nur jene sein, um deren willen Männer zu sterben wissen seit Jahrtausenden: Vaterland, Ehre, Frauen und Kinder.

Das Vaterland, das ist die traute Erde, der wir entstammen und durch Denkens- und Händearbeit das Zeichen unseres besonderen Wesens aufprägen. Die Ehre, das ist das reine Kleid der Seele, in dem wir einhergehen vor Gott und den Menschen. Die Frauen, die sind der Frieden des Herdes, in den unser schweifendes Trachten immer wieder einkehrt zu stärkender Ruhe. Und die Kinder, die sind uns die Wahrzeichen erfüllter Stunden, die künftigen Väter und Mütter, das Vaterland von morgen.

Diese vier ewigen Dinge waren es, um deren willen auch die Männer unserer engeren Heimat sich bereitfanden, ihr Leben zu wagen; und so manche von ihnen sind geblieben in dem Kampfe mit anderen Gatten und Söhnen, in dem Ringen mit den Streitern anderer Vaterlande und mit anderen Blutzeugen der Ehre. Nun aber deckt sie alle dieselbe Erde, und draußen vor der Stadt, im Zypressengarten unserer Toten, soll ein und derselbe Mauerkranz ihren brüderlichen Schlaf umfrieden und ein und derselbe Gedenkstein die Gräber von Freund und Feind überragen.

Liegt es der menschlichen Art auch nahe, mehr als Tat und Opfer den Erfolg zu verherrlichen, Tat und Opfer sind darum nicht geringer, weil sie uns in der Not der Tage Befangenen vergeblich scheinen. Wir kennen den Ratschluß nicht, nach dem sich unsere Geschicke vollziehen, und das Wort Vergeblichkeit ist nur ein Maß des Augenblicks. Und auch dies ist nicht entscheidend, daß jene kämpften unter Befehlen, die uns nicht mehr gebieten, unter Fahnen, die uns nicht mehr wehen. Es ist was Großes darum, zu gehorchen und dienend zu sterben für eine Sache. Und ihnen war sie heilig. So sei auch uns ihre Tat und ihr Opfer darum nicht geringer. Und keiner von uns nehme sich aus von der Zollpflicht der Liebe; denn auch jene, die für uns sterben gingen, haben keinen von uns ausgenommen von der Ernte ihres Vollbringens.

In diesem Sinne leihe ich die Kraft meiner Bitte dem Wunsche getreuer Lebendiger und dem Andenken der Toten.

A. W.


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