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Von schöpferischer Eingebung und künstlerischer Arbeit

Rede, gehalten in der Akademie der Wissenschaften zu Wien, anläßlich des Tages des Buches am 22. März 1929.

 

Wer jemals an sich die feurige Stunde erlebt hat, aus der die Umrisse eines neuen dichterischen Gebildes plötzlich da sind wie die gewaffnete Pallas Athene aus dem Haupte des Zeus, dessen Gefühl ist Demut gegenüber dem Unbegreiflichen, das sich gerade ihn zu seinem Werkzeuge ausersehen hat. Man bedenke: die Menschen fühlen, trachten und reden aneinander vorüber, hören einander nur mit halbem Ohre zu, und die meisten wissen kaum, was in jenen vorgeht, mit denen sie oft ein Leben lang einen Raum, ein Bette und die nämlichen Sorgen geteilt haben. Geschweige denn, daß sie um jene wüßten, die ihrer unmittelbaren Wahrnehmung entrückt sind. Aber einer ist unter ihnen, der hört hinter ihre Worte, der sieht hinter ihre Mienen, der deutet ihr Verstummen im Gespräch und ihre flüchtigsten Blicke, und aus einem verkümmerten oder vergifteten Lächeln um die Lippen eines Weibes oder aus der verschütteten Stimme eines Mannes steht vor ihm eine Tragödie auf, gültig nicht nur für diese beiden einzelnen, sondern für viele, ja, für alle Menschen.

Und ein andres: ganze Geschlechter erleben eine und dieselbe Zeit. Zeichen und Wunder geschehen vor aller Augen, doch all diese Millionen sehen die Zeichen und Wunder nicht. Und wenn sie sähen, so ahnten sie nicht, von wannen sie kommen und wohin sie weisen. Aber einer ist unter ihnen, dem all dies zur Vision und Klarheit ungeheurer Zusammenhänge wird. Von Zusammenhängen, die er festhalten muß mit Mitteln einer Kunst, die ihm auf ebenso unbegreifliche Weise geläufig sind wie die Fähigkeit zu hören, zu sehen, zu fühlen, wo andre taub, blind und stumm sind. Und ein Weltuntergang, eine Zeitwende, eine große Epoche der Geschichte steht ihm plötzlich da, sinnvoll geordnet zu Gesängen oder Kapiteln einer epischen Dichtung.

Und noch ein drittes: ungezählte Menschen aus allen Zeitaltern der Erde haben den Aufgang geschaut am Morgen und den Untergang am Abend, haben die Liebe erlebt, den Stolz des Gelingens, das Leid des Versagens und alle Süßigkeit und Bitternis der Sehnsucht. Viele von ihnen fühlten und fühlen das Unfaßbare, Geheimnisvolle, Ewige, das jenseits dieser Wirklichkeiten und Vergänglichkeiten webt. Ihre Zungen sind schwer von der Fülle dessen, was sie empfinden und nicht aussagen können. Aber einer ist immer wieder unter ihnen, dem wie von weither und dennoch aus ureigensten Tiefen plötzlich Worte geschenkt sind, Worte, die sich ihm mühelos und gesetzmäßig, erstmalig und einmalig fügen zu neuen Rhythmen und Gleichklängen, zu einer Melodie von Worten, zu einem Gedicht!

Daß dem so ist, daß dergleichen sich in einem Menschen ereignen kann, während es Abertausenden versagt bleibt, dies ist ebenso wunderbar wie die unversehrte Keimkraft in einem Saatkorn Pyramidenweizens, wie die Vererbung individuellster Anlagen durch ein Protoplasma, wie das Dasein der Erde, wie der Wandel der Sterne. Dank und Antwort derer aber, die von solchem Wunder zum Werke erweckt worden, sei – Arbeit!

Was ist nun, wenn in solchem Zusammenhange von Arbeit gesprochen wird, mit diesem scheinbar so nüchternen und schulmeisterlichen Worte gemeint? Die Antwort, die auch wieder nur in Bildern und Gleichnissen gegeben werden kann, lautet: Ein Erlebnis ist da, gleichviel ob das eines Weltunterganges oder das eines Tautropfens an einer Grasrispe, und ein großes Gewoge hebt an in der Seele des Erlebenden, ein Gewoge von Klängen und Gestalten, von Menschenantlitzen und Menschenworten. Und dann – in einer Stunde, die nicht errufen, aber vielleicht erwacht und erbetet werden kann! – befreit sich ein Strom aus der Umfestigung vieler Hemmungen und Unzulänglichkeiten, und Seite um Seite bedeckt sich mit rauschartig hingewühlten oder mühsam gebändigten Schriftzügen, wie Eimer aus ewigen Brunnen steigen, wie nach einem Diktat von außen, von oben. Dies ist die Eingebung. Ihr Ergebnis: der Entwurf oder gar die erste Niederschrift einer Dichtung. Allein, ist diese auch schon das Werk? Es gibt Schriftsteller, die sich dessen berühmen, aber – an ihren Früchten werdet ihr sie erkennen! Die Wahrheit – wenn es sich nicht etwa bloß um ein kurzes lyrisches Gedicht oder um die Lieblingsszene in einem Drama oder Roman handelt – ist vielmehr die, daß jener erste Strom viel Gerölle der Unfertigkeit, vielen Schlamm des völligen Mißlingens, viele entwurzelte Baumstämme der Nebensächlichkeit und manche verdächtige Gewässer der Zufälligkeit in sich aufgenommen und auf seinem stürmischen Laufe mit sich fortgerissen hat. Er mag dabei an manchen Stellen so klar sein, daß man die Kiesel auf seinem Grunde zählen könnte; er mag an andern von solch gemeisterter Ruhe sein, daß er das innerlich Geschaute fast vollendet wiederspiegelt. Aber andere Strecken lang ist er dennoch trübe, oder er zerteilt sich in Seitenarme, tritt über die Ufer, droht zu versickern, und manchmal verschwindet er sogar für eine Zeit unter die Erde. Da ist es nun an jenem, aus dem der Strom sich entfesselt hat, ihn an dieser Stelle auszubaggern und an jener einzudämmen, ihm hier ein Stauwerk einzubauen und seinem Laufe dort das richtige Gefälle zu geben, vor allem aber dafür zu sorgen, daß er klar und frei dahin zurückmünde, von wannen er gekommen ist: in Gott!

Dies ist die künstlerische Arbeit. Ihr Ziel: das Wortgewordene des Werkes durch unerbittliche Selbstkritik, durch Kunstverstand und handwerkliches Können möglichst restlos jener Vision anzugleichen, die am Anfang stand und ein Geschenk der Gnade war. Diese Funktion des musischen Schaffensaktes läßt sich allenfalls kommandieren, die Eingebung nicht. Jene ist der menschliche Anteil an dem, was ansonsten rein göttlich wäre. Wir verdanken ihr aber die Versform der Iphigenie und, daß aus dem Urmeister die Lehrjahre und aus dem Urfaust der Tragödie erster und zweiter Teil geworden sind.

Kann dergestalt – die Frage wäre immerhin möglich – schöpferische Eingebung durch künstlerische Arbeit ersetzt werden? Grundsätzlich gesprochen: nie und nimmer! Nichts ist falscher als jener Satz, der besagt, daß Genie Fleiß sei. Denn der Fleiß des Unbegnadeten oder gar des Stümpers bringt doch immer nur lebloses Stückwerk zuwege. Wohl aber hat künstlerische Arbeit jenseits dessen, was sie durch Selbstkritik, Kunstverstand und handwerkliches Können zu leisten vermag, noch eine andere Wirkung:

Sie, die ein rastloses Bemühen und Dienen am Werke ist; sie, die immer wieder die schmerzlichsten Verzichte auf alles fordert, was menschliches Glück sein könnte; sie, in deren Zuge die Findung eines treffenden Epithetons das Hochgefühl eines Tages, das geringste Versagen aber die Höllenfahrten vieler Nächte bedeuten kann – sie, die künstlerische Arbeit, ist der schöpferischen Eingebung zwar niemals gleichzuhalten, immerhin aber vermag sie es, dieser den Weg zu bereiten; und sie allein versetzt letzten Endes in jenen Zustand der Heiligung, ohne den nur allzu leicht die Stunde versäumt wird, da der himmlische Bräutigam eintritt.


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