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VII.
Der Naturforscher.

Das alte Kloster in M. ist zu einer Beamtenwohnung eingerichtet und wenig ist mehr zu sehen von dem geheimnißvollen Düster, in dem einst die Nonnen ihre Jugend begruben. Statt der blinden runden Scheiben sind helle Glastafeln eingesetzt; die Wände der Zellen sind eingeschlagen, um große luftige Zimmer zu gewinnen; wo der Betschemel der Aebtissin stand, da steht jetzt der Arbeitstisch des jungen Töchterleins vom Hause, und im Garten, dessen hohe Mauern abgetragen sind, tobt eine lustige Knabenschaar, die nicht der leisen Seufzer denkt, die einst in diesen Gängen verhallt sind.

Nur auf einer Seite des großen Gebäudes steht der alte Klostersaal mit ein paar Kammern fast ganz unverändert mit runden Fensterscheiben, mit seltsamen Nischen und uralter, verblichener Malerei, wie in den alten Tagen; das ist heiliges Gebiet und die Mägde sind froh, daß sie in diesen Zimmern wenig zu thun haben; denn wenn's Geister gibt, so müssen sie da oben zu Dutzenden spuken. Da haust der alte Onkel und hat sich in diesen Räumen sein seltsames Reich aufgebaut.

Wenn seine Zimmer nicht so hoch gelegen wären und Luft und Sonne so freien Zutritt zu ihnen hätten, so könnte man die Gemächer für die Höhle eines Alchymisten halten; denn es stehen etliche eigenthümliche Tigel und Töpfchen und Instrumente tut Vorzimmer. Wen aber der alte Herr der Ehre würdigt, in die Hauptgemächer einzutreten, der sieht bald, daß sein Studium doch ein anderes und ein minder hoffnungsloses ist. Hier, in dem Gemach, das die Schwester Schaffnerin bewohnte, liegen Steine und Steinchen der mannigfachsten Farben und Gestaltungen, und wer gewöhnt ist, die Gegend, auf die der Onkel seine Wanderungen beschränkt, nur so leichten Fußes zu durchstreifen, würde gar nicht für möglich halten, daß er hier all dies viele und zum Theil wundersamliche Gestein aufgefunden.

Der große Saal ist angefüllt mit ausgestopften Vögeln und Thieren, zahmen und wilden, wie sie das Land bietet, denn mit ausländischem Gethier will er sich nicht einlassen; er selbst hat sie ausgestopft und in allerlei bedrohlichen oder närrischen Stellungen im Saal vertheilt, und die kleinen Großneffen laufen mit Schreien davon, wenn da ein Marder die Zähne bleckt, dort eine Eule ihre grausigen Flügel schlägt und unversehens ihr Fuß an eine Otter stößt. Sein innerstes Heiligthum aber, seines Herzens geheime Waide, wohin er nur wenig Erkorene führt, sind die anstoßenden Zimmer, in denen beim ersten Eintritt wenig zu sehen ist, als hohe Papierstöße und vor den Fenstern wunderschöne Gewächse. Da hütet er seine Pflanzen, die in ihrem stillen Leben, das so viel harmloser ist, als die Thierwelt, so viel frischer, als das Steinreich, seinem innersten Wesen am meisten zusagen. Da bewahrt er sie sorgsam getrocknet, schön geordnet; am sorgfältigsten aber die Moose, seine liebste Pflanze, der er Tage lang nachspürt.

Vor einem Fenster steht ein Brett voll stachlicher Kaktuspflanzen, am andern zartgefiederte Eriken; die bunten Nelken, die üppigen Levkoyen und Goldlak verschmäht er, aber in dem letzten kleinen Erkerstübchen, dessen Eines Fenster die erste Morgensonne begrüßt, da steht eine einzige Pflanze, rosa unica, ein weißer Rosenstock in schönster Blüthe; in einem der äußern Zimmer pflanzt und pflegt er fortwährend Ableger, um diese stille Königin durch eine Nachfolgerin ersetzen zu können, wenn sie zu Grunde gehen sollte; und so hat's der alte Herr seit vielen, vielen Jahren gehalten.

Der Großonkel führt ein gar stilles Leben, so still fast, wie seine Pflanzen, nur etwas beweglicher. Wenn er zu Hause ist, so ißt er mit der Familie seines Neffen, an dessen Tisch stets ein Stuhl für ihn bereit steht. Er geht und kommt ohne Geräusch und liebt es nicht, wenn irgend jemand Notiz von ihm nimmt; man würde den alten Mann mit dem runzelvollen Gesicht in dem steingrauen Rock selbst für eine Art von Versteinerung halten, wenn er nicht, hie und da einen trockenen Witz, eine kurze, aber allzeit treffende Bemerkung in die Unterhaltung einwerfen würde.

Manchen Tag aber bleibt sein Stuhl leer stehen, er ist dann in aller Früh schon hinausgezogen, niemand fragt wohin, man ist das schon so lange gewohnt. Er macht seine Wanderungen weit in die Runde, so weit er zu Fuß kommen kann, am liebsten aber in den Wald; er ist ein unermüdeter Forscher, aber kein besonders fleißiger, er kann tagelang still im Gras oder Moose liegen und als einziges Resultat ein paar winzige Insekten heimbringen, denn die Wunder des Kleinen in der Natur sind es vor allem, die Reiz für ihn haben. Er scheint sein Leben selbst wie eine Pflanze unmittelbar von Luft und Sonnenschein zu ziehen, denn im Winter, wo er nicht hinaus kann und täglich an dem gutbesetzten Tische seiner Frau Nichte speist, schnurrt er ganz ein, und sein Gesicht wird immer runzelvoller. Im Sommer aber, wo er sich kaum ein wenig kalte Küche zu seinen Botanisirzügen aufnöthigen läßt und selbst diese hie und da fast unberührt heimbringt, da lebt er sichtlich aus, sein Auge wird heller, sein Gang beweglich, und seine Züge geschmeidiger.

Wenn der Großonkel besonders gut aufgelegt ist, so führt er Gäste des Hauses in sein Heiligthum ein; wo er wirkliches Interesse und Freude für seine Sammlungen, vor allem für die Moose findet, da lebt dann auch sein ganzes Wesen auf und man staunt über die wahrhaft feurige Beredsamkeit, mit der er die verborgenen Schönheiten im Bau seiner Lieblinge erklärt und in's Licht setzt. Junge Damen führt er am wenigsten gern ein, und lächelt höchst geringschätzig, wenn sie oft aus Artigkeit bewundern wollen und dann gerade den falschen Fleck treffen, wie z. B. eine einmal bei einem Schleifstein, an dem er seine Instrumente schärft, voll Erstaunen ausrief: »ach wie merkwürdig! wachsen denn hier so große Steine?« Die Frau seines Neffen allein scheint er etwas mehr als das übrige Geschlecht zu beachten, obwohl er auch mit ihr wenig Worte macht. Kinder liebt er nur, so lang sie ganz klein sind. Er war stets der erste Besuch, und ein gar stiller, in der Wohnstube seiner Frau Nichte gewesen; so wie er sonst im Grase liegend das geheimnißvolle Weben der Natur beobachtete, so saß er in dem verdunkelten Zimmer stundenlang an der Wiege, mit dem Blick auf das schlafende Gesichtchen und lauschte den leisen Athemzügen; je größer und lebhafter aber das Kind wurde, je mehr es sich zum Bewußtsein entwickelte, desto gleichgültiger wurde es ihm, und die größern Kinder gewöhnten sich allmälich, den Onkel nur wie eine Sache anzusehen, an der sie achtlos vorüber gingen.


Es waren zwanzig Jahre, seit der Neffe als Beamter in dem Kloster eingezogen war, bald darauf hatte der Onkel, der sich sonst in der Schweiz aufgehalten, den alten Saal bezogen; er hatte damals nicht viel anders ausgesehen, er ist nur so ganz allmälich eingeschnurrt. Niemand in der Gegend kannte seine Vergangenheit, selbst der Neffe hatte Wenig von ihm gewußt, der Nichte aber hat ein alter Freund des Onkels, ein Kaufmann aus der Schweiz, der ihn einmal besucht hatte, von ihm erzählt, was überhaupt von ihm zu erzählen ist.


Der Onkel ist wirklich einmal jung gewesen, so wenig er jetzt darnach aussieht, und er ist einst mit Hellen Augen und fröhlichem Herzen aus der Heimath ausgezogen, in die er schon vor langen Jahren gar stille und unbemerkt zurückgekehrt ist.

Wer sein beschauliches Leben, seine unpraktischen Beschäftigungen von jetzt ansah, der hätte kaum gedacht, daß er dereinst zum Kaufmann bestimmt gewesen und nicht untauglich zu einem so materiellen und praktischen Beruf erfunden worden war. Etwas stillen Sinnes war er von jeher gewesen, obwohl sich seine Neigung zu Naturforschung erst in spätern Jahren entwickelt hatte. Als Knabe hatte er Eichhörnchen, Maikäfer und Hornschröter gehalten, als Jüngling Hyazinthen und Nelken gezogen wie so viel Andere, und erst als sein Herz sich gelöst fühlte von seinem Antheil an Freud und Leid der Menschheit, hatte er sich ganz und allein der Natur zugewandt.


Er war Lehrling gewesen in einer regsamen, wenn auch nicht sehr großen Handelsstadt. Es ist meist ein rascher Uebergang von der sorglosen Aristokratie des Schulknaben, der, wenn auch in's Joch geistiger Arbeit gespannt, doch sonst in glücklicher Ungebundenheit Herr seiner Zeit, seiner Hände und Füße ist, zu der rastlosen, oft ziemlich demüthigen Beschäftigung des Lehrlings; und nicht umsonst sagt ein altes schwäbisches Sprüchwort: »der Teufel hat alles sein wollen, nur kein Lehrjung;« wenn auch daneben das Wort der Schrift, zu vollem Recht besteht: »Es ist ein köstlich Ding, dem Manne, daß er lerne das Joch tragen in seiner Jugend.« Noch schwerer ist dieser Uebergang für ein geliebtes Kind des Vaterhauses, das für seine kleinsten Leiden offne Ohren findet, zu der letzten Null eines Handlungshauses, die wie eine Sache hin- und hergeschoben, wie-ein notwendiges Uebel ertragen wird. Gute Behandlung war als etwas von selbst verstehendes im Lehrbrief einbedungen, auch wurde Bernhard durchaus nicht schlecht, er wurde einfach gar nicht behandelt, er war eben da; man sah es für einen notwendigen Prozeß an, daß aus einem Lehrling nach vier Jahren ein Commis werde, wenn er die nöthigen Geschäfte verrichte, ohne daß sich jemand speziell seiner annehme; und so ließ man ihn seiner Wege gehen und vergaß fast, daß er da war.

Wenn an der langen Tafel noch ein Stuhl leer war und die Dame vom Haus fragte: »fehlt jemand?« so antwortete die Tochter gleichgültig: »nein, nur der Bernhard.« Da war's denn natürlich, daß der Bernhard sich in sich selbst zurückzog und schlechtweg mit dem Prädikat eines »blöckischen Jungen« bezeichnet wurde. Sein Vergnügen war am Abend, wenn er die Läden geschlossen, im Sommer auf der Bank vor dem Hause, im Winter in der Ladenstube zu sitzen und alte Makulaturbogen zu studieren, aus denen Düten gepappt wurden. Er bekam dadurch höchst verschiedenartige Bruchstücke von Kenntnissen und Ideen in den Kopf; am Liebsten aber studierte er alte naturwissenschaftliche Werke mit allerlei kuriosen Abbildungen, die die Frau Prinzipalin aus einer wurmstichigen Truhe auf dem Boden verabreichte, und es trug ihm manches Scheltwort ein, wenn man zufällig bemerkte, wie er oft bis in die tiefe Dämmerung vor dem Haus sitzen blieb, oder daheim das Licht ungeputzt im Leuchter brennen ließ.

Dem stattlichen Hause seines Prinzipals gegenüber stand ein nicht viel minder ansehnliches, in dessen unterstem Geschoße ein Posamentier seine Werkstätte und ein bescheidnes Kauflädchen hatte. Sein einziges Töchterlein, ein blondes, blauäugiges Kind von acht Jahren, saß meist nach den Schulstunden auf der Hausbank und strickte Häubchen und Kinderjäckchen, und es war eine stille Unterhaltung für Bernhard, so oft er von seinem Buch aufblickte, die Kleine drüben zu sehen; da er aber, wie schon gesagt, »ein blöckischer Junge« war, so fiel ihm gar nicht ein, je mit ihr zu reden; es war noch soviel Schulknabenbewußtsein in ihm, daß er es für lächerlich gehalten hätte, mit Mädchen zu verkehren. Gar oft aber hüpfte das Mädchen in der Dämmerung vergnügt fort und kam meist mit einem Strauß schöner Blumen zurück, den sie auf dem Bänkchen in ein Blumenglas ordnete: ihr Vater hatte ein Gärtchen vor dem Thor.

Bernhard liebte die Blumen über alles, und einmal, als die kleine Emma einen Theil ihres Straußes hatte auf der Bank liegen lassen, da sprang er geschwind hinüber und faßte sie zusammen. Er wurde feuerroth, als die Kleine wieder herauskam, eh er seinen Raub in Sicherheit hatte, und wollte die Blumen wieder hinwerfen. »Magst du Blumen?« fragte Emma arglos, »du kannst haben so viel du willst,« und sie nöthigte ihm ihren ganzen Strauß von heute auf mit der Versicherung: »ich kann ja genug haben, sie verderben nur.« Bernhard schämte sich zwar entsetzlich, wenn man seine Unterhaltung mit dem kleinen Mädchen bemerken sollte; aber die Blumen freuten ihn doch gar zu sehr, sie prangten am nächsten Morgen zierlich geordnet in einem alten Senftopf am Fenster der trübseligen einäugigen Ladenstube.

Von da an versäumte Emma selten, dem Bernhard einen eignen Strauß mitzubringen, wohl auch rothe Johannisbeeren auf einem grünen Kohlblatt oder ein paar Birnen; es war ein großes Gefühl von Wichtigkeit, daß sie einem so großen Jungen einen Dienst erweisen konnte, während die lateinische Schuljugend der Stadt mit den kleinen Mädchen in beständigem Kriegszustand lebte. Er freute sich den ganzen Tag darauf, verging aber fast vor Angst und Verlegenheit, wenn die Kleine mit unbefangnem Vergnügen ihm ihre Schätze anbot. Als aber der harmlose Verkehr so ganz und gar unbeachtet blieb, obgleich er auf offener Straße vorging, ließ er sich's am Ende gefallen, ja er schnitt hübsche Bilder aus, wo er solche in seinen alten Papieren fand, um sie dem Mädchen als Gegengeschenk zu geben; auch verfertigte er zwischen das Dütenpapen hinein je und je allerlei zierliche Kistchen, Schifflein, Büchsen: alte Schulkünste, mit denen er sie zu erfreuen hoffte.

Im Winter war freilich der Verkehr unterbrochen, doch als Bernhard am Weihnachtsmorgen unter die Ladenthür trat, fand er auf der beschneiten Bank ein paar Lebkuchen und Springerlein, die unerläßlichen Begleiter des Christkindleins, er blickte hinüber und sah noch das blonde Köpfchen der Emma, das ihm zunickte, eh es unter der Hausthüre verschwand. Er wußte selbst nicht, daß ihn diese kleine Bescheerung mehr freute als das reichliche Weihnachtsgeschenk der Frau Prinzipalin, fast so sehr als die Schachtel, die von der Großmutter kam; – seine Mutter war gestorben wie auch die der kleinen Emma. Er ging lang mit dem großartigen Gedanken um, der Emma auch einmal ein rechtes Geschenk zu machen, es brauchte aber bis zur Messe, bis der Entschluß reifte und er eine hübsche kleine Schatulle von Pappe kaufte; daß er gewiß nichts Arges dabei dachte, zeigte schon die äußerst moralische solide Devise auf dem Deckelbild derselben: es war allda ein Götzenbild, vor dem ein junger Mann in Suwarrowstiefeln schnurstracks vorbeigeht, während von einer Gesetztafel auf der andern Seite ein Sonnenstrahl direkt in eins seiner Knopflöcher eindringt; diese schöne Schilderung war die Illustration des untenstehenden Verses

Wandle aufrecht vor den Götzen!
Kniet vor ihnen gleich die Welt,
Folge du den Urgesetzen,
Deren Strahl ins Herz dir fällt.

Ob die kleine Emma die tugendhafte Moral dieses Verses verstanden, weiß ich nicht, jedenfalls machte ihr das Geschenk unverhohlene Freude. Da sie aber kein Hehl daraus machte, so fiel der ganze Blumen- und Bilderaustausch jetzt erst der Base auf, die seit der Mutter Tode den Haushalt des Posamentiers führte; sie machte Emma eindringliche Vorstellungen, wie unschicklich es sei, wenn schon kleine Mädchen sich mit so was abgeben und welche Schande es wäre, wenn jemand davon etwas erführe, und riß damit das arme Kind glücklich aus seiner Unbefangenheit. Nun brachte sie freilich dem Bernhard keine Blumen mehr, setzte sich auch nimmer zu ihm auf die Bank, aber sie ließ wohl aus Versehen die schönsten Blumen vor dem Haus liegen und Bernhard legte dafür vor Tag je und je hübsche Bildchen hin, für die er sein spärliches Taschengeld ausgab.

Weiter kam dies stille Verhältniß nicht; Bernhard war achtzehn Jahre alt und Emma dreizehn, als er die Lehre verließ, der Blumentausch hatte in den letzten Jahren so ziemlich aufgehört, aus dem schmächtigen Knaben war unversehens ein junger Herr geworden, die Kleine aber war eben noch ein Schulmädchen, die mit ihrer Büchertasche am Arm und einem Stück Brod in der Hand zur Schule ging. Bernhard nahm auf der Straße flüchtigen Abschied von ihr, – Emma setzte sich nachher in den hintersten Winkel des Hauses, um die Thränen zu verbergen, die sie für ein großes Unrecht hielt, – erst als Bernhard wieder in der Welt draußen war und so ganz allein, denn die Großmutter war indeß gestorben, da fielen ihm gar manchmal die dunkelblauen Augen, die klare Stirn ein, und das liebliche Lächeln, mit dem ihm das Kind seine Blumen geboten hatte.


Drei Jahre waren verflossen, als Bernhard als commis voyageur wieder in die Handelsstadt einfuhr in bescheidenem Einspänner. Er stellte im Gasthof zur Krone ein, weil der zunächst bei seines ehemaligen Prinzipals Hause und dem Posamentierladen gegenüber lag; er freute sich auf die kleine Emma, die gewiß recht hübsch und groß geworden war. Aber vergebens schaute er nach dem Laden hinüber, der war verschwunden und hatte Fenstern mit Spiegelscheiben Platz gemacht, das ganze Haus war verschönert, à la Pompeji gemalt, man hatte Mühe, es nur wieder zu erkennen. Er besuchte den Prinzipal und ward sehr gnädig aufgenommen, gar zu gern hätte er nach dem Bortenwirker gefragt, aber das Wort wollte ihm nicht von der Zunge. »Apropos,« fiel endlich das Fräulein vom Hause ein, die ihm als Braut eines Handelsfreundes präsentirt worden war, »wollen Sie nicht Ihre alte Flamme besuchen?« Glühend roth unter dem allgemeinen Gelächter erfuhr Bernhard jetzt erst, daß seine stumme Liebe das jahrelange Gespött der Mägde und Commis des Hauses gewesen war. »Ja, ja, jetzt wär's erst der Mühe werth,« fiel der Prinzipal ein, »wissen Sie, daß der Posamentier in der österreichischen Lotterie gewonnen hat? Nun hat er das Haus gekauft und prachtvoll eingerichtet, hat natürlich das Geschäft aufgegeben, wohnt in der Beletage und spekulirt jetzt in Papieren; wie lang er's treiben wird, ist eine andre Frage; das Fräulein aber hat eine französische Gouvernante, und ein Fortepiano um fünfhundert Gulden.« Bernhard war ganz bestürzt über diese Neuigkeiten und froh, als er sich mit guter Manier empfehlen konnte. Er kehrte zur Krone zurück, stellte sich hinter den Vorhang und erhob nun seine Augen einen Stock höher, wo kostbare Glasgemälde zwischen prachtvoll befransten Vorhängen hervorsahen. Von den Bewohnern konnte er nichts erblicken, »das Zimmer des Fräuleins drüben geht nicht auf die Straße,« versicherte ihn schnippisch die Kellnerin, und abermals erröthete Bernhard vor Beschämung und Aerger, daß man seine innersten Gedanken errathen.

Gegen Abend trat er noch einen Geschäftsgang an zu einem Fabrikanten, der außerhalb der Stadt wohnte; der Weg führte ihn an einem offenstehenden Garten vorbei, dessen er sich von früher her, wenigstens nicht in dieser Pracht erinnern konnte. Mit seiner alten Lust an schönen Gewächsen lehnte er sich an das offne Portal und schwelgte im Anblick der herrlichen Flora, da kam eine junge Dame den Gang herab, Bernhard vergaß sich zu entfernen und starrte wie im Traum die liebliche Erscheinung an, in himmelblauem Mousselinkleid, einen leichten Strohhut mit flatternden Bändern, reiche blonde Locken um das taghelle fast noch kindliche Gesicht erschien sie ihm wie der Engel seiner ersten Liebe, denn Emma selbst, – nein, die konnte nicht so schön geworden sein. Und doch war sie's, und wie vor alten Zeiten pflückte sie einen Blumenstrauß, um ihn am Abend nach Hause zu nehmen; aber wie statt der ehemaligen Ringelblumen, Gelbveilchen und Heckenröschen, jetzt Camelien, Heliotrop und die edlen Rosensorten fremder Länder ihren Strauß bildeten, so hatte sie selbst aus dem frischen Wiesenblümchen sich jetzt zu der herrlichsten Gartenrose veredelt.

Emma blickte auf, bemerkte den erstarrten Bernhard und hatte ihn auf den ersten Blick wieder erkannt, mit ihm war just keine so wunderbare Veränderung vorgegangen, obwohl er ein ganz hübscher junger Mann war. Sie erröthete und zögerte, ob sie ihn anreden sollte, aber das Gefühl des Besitzes verleiht auch der feinsten Seele eine gewisse Sicherheit, und es ist für solche, die zu hohem Rang oder großem Reichthum gelangt sind, wirklich unendlich schwer, sich alten Freunden gegenüber einer gewissen Herablassung zu erwehren. Des Bortenwirkers Töchterlein hätte sich hinter einen Baum versteckt, wenn sie den Freund ihrer Jugend so unerwartet wieder gesehen, und ihm da im Stillen nachgeblickt, die reiche Banquierstochter begrüßte ihn herzlich als alten Bekannten, lud ihn ein, in den Garten zu treten, da sie seine Freude an Blumen kannte, und sie wußte mit ihrer freundlichen und doch so jungfräulichen Weise ihm endlich das drückende Gefühl der Beschämung zu nehmen, mit dem er, sein Musterpäckchen unter dem Arm, an der Seite der reichen Erbin, der Herrin dieses Paradieses, ging. Sie erinnerte ihn nicht an die alten Zeiten, sie fragte nach seinen Erlebnissen, seinen Reisen, sie machte ihn auf die seltnen Blumen aufmerksam, auch sein Herz und seine Zunge lösten sich, er sah, sie war die alte Emma geblieben, einfach, kindlich, herzlich, nur feiner, ausgebildeter, ach und so viel, viel schöner! Er sah mit beklemmtem Herzen die auserlesene Pracht des Gartens, die anmuthige Villa, deren offner Saal, Fortepiano, Bücher, Zeichnungen und zierliches Arbeitsgeräthe die Beschäftigungen des Fräuleins anzeigten, über einem wunderschönen Necessaire von Perlmutter mit Gold eingelegt fiel ihm die Schachtel mit den Urgesetzen ein; – diese neue Glorie, in der er die alte Liebe sah, war das Abendroth der leisen, leisen Hoffnungen, mit denen er fast unbewußt sich getragen. Was war er, der Commisvoyageur mit dem Musterpack im Einspänner, neben diesem Schooßkind des Glücks, das für all diesen Ueberfluß geboren schien und so völlig daheim war in seiner üppigen glänzenden Umgebung? Er empfahl sich, auf's Neue verlegen, doch wagte er, Emma beim Abschied die Hand zu bieten, er wagte einen einzigen Blick, der ihr Alles sagen sollte, seine alte und seine neue Liebe und seine Entsagung; ob sie diesen Blick verstanden, das wußte er nicht, sie sah ihn unbefangen an mit ihren alten, treuen blauen Augen und er ging träumerisch den alten Weg zurück statt vorwärts.

Er begegnete dem Papa Bortenwirker, der von seinem leichten Tagewerk sich in seinem Garten und bei seinem Töchterlein erholen wollte. Die übermäßig feine Kleidung, die mehr als massive Uhrkette, die funkelnde Rubinnadel und der Brillantring, dem zu lieb ein Löchlein in den Glaçehandschuh gebohrt war, verläugnete den Emporkömmling nicht. Er dachte wohl eben an sein schönes Töchterlein und rezitirte vielleicht im Geist Wallensteins Worte: »Meinen Eidam will ich mir auf Europa's Thronen suchen,« so dankte er kaum dem ehrerbietigen Gruß des jungen Kaufmanns, den er nicht wieder erkannte; Väter und Töchter haben hie und da ein verschiedenartiges Gedächtniß.

Bernhard machte keinen Versuch mehr, seine schöne Rose zu sehen, aber als er wieder draußen war und die weite Welt offen vor seinen Blicken, da wuchs ihm der Muth. Warum sollte es so ganz unmöglich für ihn sein, den lieblichen Preis zu erringen? War sie selbst doch ein Kind des Glückes, konnte das nicht auch ihm günstig werden? er wollte wirken und schaffen, erlisten, erraffen, und wetten und wagen, sein Glück zu erjagen. Aber ach, die Fortuna wendet sich nicht oft zweimal nach derselben Seite, und sie liebt nur, unverhofft, ungeahnt zu kommen.


Nun fuhr Bernhard zwar nach drei Jahren, aus dem Ausland zurückgekehrt, zweispännig mit einem Kutscher in die alte Heimath seiner Jugendträume, aber leider eben immer noch als bescheidener Commis, wenn auch jetzt im Dienst eines angesehenem Hauses, und dazu hatte er den größten Theil seines Vatererbes in Lotterieeinsätzen und unglücklichen Spekulationen verloren. Wenn sein Kutscher nicht selbst in der Krone angehalten hätte, er wäre diesmal lieber in ein Winkelgäßchen gefahren.

Natürlich galt aber eben doch sein erster Blick dem Hause gegenüber; die Beletage schien ihm verändert, er wußte nicht recht worin, andre Gardinen, andre Verzierungen, ein paar dickköpfige Buben bliesen Seifenblasen aus dem Fenster; – er sah zufällig höher hinauf, da im zweiten Stock, täuschte er sich nicht? da saß unter dem halboffenen Fenster eine alte Dame, die sich frisiren ließ, hinter ihr mit dieser Arbeit beschäftigt, stand ein junges Mädchen mit blonden Haaren, – jetzt kam sie näher, um das Fenster zu schließen, – das war ja Emma! Er mußte seine Scheu überwinden und nach ihr fragen, – was er erfuhr, war eine alte Geschichte, – der Posamentier, der nicht zum Banquier geboren war, hatte durch tolle Spekulationen und übermäßigen Luxus in wenigen Jahren mehr verloren, als er je gewonnen hatte. Er war plötzlich gestorben, ehe der Konkurs ausbrach, der ihm nicht nur gänzlichen Ruin, sondern auch entehrendes Gefängniß gebracht hätte, – am Schlagfluß, wie man seiner Tochter sagte. »Und die Tochter?« fragte der erschütterte Bernhard. »Ach, das arme Kind,« sagte die Wirthin, »sie hat sich wie ein Engel darein geschickt und nur um den Vater geweint; als sie hörte, wie es stand, wollte sie gar nichts für sich behalten, auch gar nichts. Die Frau Kommerzienräthin oben, die kinderlos ist, hat sie zu sich genommen, als Gesellschafterin oder so, sie wolle sie halten wie das Kind; aber wissen Sie, es gibt Leute, deren Kinder es bitterbös haben! Wäre nur das Mädchen früher nicht so wählig gewesen, jetzt könnte sie gut versorgt sein, wenn's auch nachher mit dem Papa geschnappt hätte; da hieß es immer, sie sei zu jung; – jetzt kann sie alt genug werden.«

Bernhard wußte nicht, ob Emma ihn bemerkt habe, er sah sie nicht mehr am Fenster. Ziemlich zerstreut besorgte er seine Geschäfte, für die ihm hier nur Ein Tag Aufenthalt gestattet war; er konnte zu keinem Resultat seiner streitenden Gedanken kommen. Sollte er Emma aufsuchen? aber unter welchem Vorwand? sollte er ihr seine Hand anbieten? mit welchen Aussichten? seine Zukunft war ungewisser als je, sein Vermögen verloren, wie sollte er sie, wenn er auch jetzt Hoffnung hätte, sie zu gewinnen, in ein zielloses ermattendes Verhältniß ziehen? und könnte es sie nicht kränken, wenn er annahm, daß ihm jetzt, da sie arm sei, der Preis von selbst zufallen müsse, der ihm zuvor unerreichbar geschienen?

Kurz, Bernhard kam zu keinem Entschluß und ließ geschehen, daß der Kutscher am andern Morgen einspannte. Noch einmal sah er hinauf, Emma begoß Blumen vor dem Fenster, eine tiefe Glut überflog das liebliche Gesicht, das sich auf die Rosen herabbeugte, hatte sie ihn gesehen? Er grüßte ehrerbietig, eh' er abfuhr, mehr als je im Zwiespalt mit sich selbst.

In einem kräftigen Vorsatz fand er allein einige Ruhe: jetzt wollte er arbeiten, arbeiten wie noch Keiner; keine Liebhaberei, weder Steine, Pflanzen noch Thiere sollte ihn von dem Pfad der strengsten pünktlichsten Geschäftsführung ablocken, vom Glück hoffte er nichts mehr; aber auf dem Wege treuer Pflichterfüllung, gewissenhafter Sparsamkeit wollte er ein Loos erringen, das er Emma anbieten konnte. Ach guter Bernhard,

Der Tugend Pfad ist anfangs steil,
Läßt nichts als Mühe blicken! …


Er hatte sich redlich Wort gehalten und hatte das Lob eines vortrefflichen brauchbaren Arbeiters, als er nach drei Jahren abermals in der Handelsstadt einzog; aber das ganze Resultat seiner Bemühungen war eine einträgliche Buchhalterstelle in einer Fabrik der Schweiz, die noch nicht hinreichte, um einen eigenen Herd zu gründen.

Er mußte seine Liebe abermals um einen Stock höher suchen. Das Loos eines Kindes der Frau Kommerzienräthin war ihr, scheint's, zu schwer geworden, sie hatte die alte Base, die Pflegerin ihrer Kindheit zu sich genommen und war in ein Mansardenstübchen gezogen, wo sie sich mit feinen Arbeiten und Unterrichtgeben ernährte.

Diesmal besann sich Bernhard nicht, ob er sie besuchen wollte. Die bescheidene Mansarde duftete von den schönsten seltensten Blumen, der einzigen Reliquie aus der kurzen Zeit ihres Glanzes, ein Geschenk des jetzigen Garteneigenthümers.

Die blonden Locken waren jetzt glatt gescheitelt, die blauen Augen glänzten in stillerem Licht, als damals, wo sie ihn im vollsten Frühling des Lebens und des Glückes angestrahlt, aber diese milde sanfte Erscheinung dünkte ihm noch unendlich schöner, als jenes glänzende Bild. Die Beiden, die sich noch nie so recht gesprochen, hatten so viel in Gedanken miteinander gelebt, daß ein inniges Verstehen gar bald die Schranken der Konvenienz aufhob, sie redeten herzlich und vertraulich wie Schwester und Bruder, sie fühlten, daß sie allein auf der weiten Welt sich angehörten, und als die Base von einem langen Ausgang heimkehrte, da fand sie zu höchstem Erstaunen ein glückseliges Brautpaar.

Die Vergangenheit war unerschöpflich reich für die Beiden; Bernhard brachte aus seiner Brieftasche sorgsam getrocknet das Sträußchen, das sie ihm vor neun Jahren zum Abschied gegeben, eine Camelia, die ihr später bei jenem Gang durch den Garten entfallen war, und sie brachte mit herzlichem Lachen die Schachtel mit den Urgesetzen und darin all die Bildchen, die er ihr je verehrt. Auch die Zukunft schien nimmer so dunkel, Bernhard kämpfte nicht mehr auf's Ungewisse, ganz genau konnte er seiner Emma nachweisen, bis wann seine bescheidnen Ersparnisse zu einem anständigen Kapital gewachsen sein würden, bis dorthin war ihm auch eine bedeutende Zulage auf seiner jetzigen Stelle zugesichert, so konnte es höchstens noch vier Jahre anstehen, bis er sein Bräutchen heimführen konnte in's schöne Schweizerland; »und wir sind ja noch so jung!« schloß er triumphirend; Emma lächelte wehmüthig, sie hatte so viel erlebt, daß sie sich oft ganz alt vorkam, jetzt aber wollte sie auch wieder jung werden! Sie schwelgten im Gefühle ihres neuen Glücks, in Planen der Zukunft, sie bauten sich schon ein reizendes Schweizerhäuschen, während die Base das äußerste ihrer Kochkunst erschöpfte, um ein würdiges Verlobungsmahl herzustellen.

Nun hätte freilich der Bräutigam gern seine weiße Blume gleich in ein mildes Land verpflanzt, sie aller Mühen des Lebens enthoben, aber davon wollte Emma nichts hören. Hier wollte sie bleiben, wo sie neben allem Leid auch viel Liebe und Theilnahme erfahren hatte, wo sie Arbeit und liebe Schülerinnen hatte. »Jetzt ist's ja erst eine Lust zu arbeiten,« versicherte sie Bernhard, »und während du unser Haus baust, soll meine Nadel schaffen, das innere zu schmücken; wirst mir doch erlauben, für meine Aussteuer selbst zu sorgen!« Bernhard willigte ein, sie wollten überhaupt ganz ungeheuer sparen, um die vier Jahre vielleicht noch abzukürzen, nur wollte jedes das schwere Theil auf seine Schulter nehmen. Sogar auf die Korrespondenz sollte sich diese Sparsamkeit erstrecken, nur alle Monate wollte man sich diesen wohlberechtigten Genuß eines Brautpaares erlauben, da ohnehin Bernhards Stelle ihn zu vielen Reisen veranlaßte.

Ein kurzer Liebesfrühling war dem seligen Paar beschieden, nach drei Tagen schon mußte Bernhard weiter ziehen, aber sie schieden so reich und stark in Glück und Hoffnung, daß sie auch das Weh des Abschieds leicht überwanden.

Sie hielten das Gelübde, sich selten zu schreiben, sie gestatteten sich keine Geschenke, nicht einmal ein Bild, als emsige Schwalben bauten sie unermüdet an ihrem Nestchen; aber Emma's seltene Briefe waren so reich an herzinniger Liebe, an Geduld und Seelenfrieden, daß sie lauter helle Lichter auf Bernhards einförmige Bahn warfen, und er war so stark und lebensmuthig, so kindlich glücklich in seinem endlich errungenen Kleinod, daß sie immer neue Kraft und Freudigkeit aus seinen Worten saugte.

Vier Jahre lang hatten sie so gelebt und sich nicht Einmal gesehen, da nahte die Prüfungszeit ihrem Ende, die gehoffte Zulage wurde bälder bewilligt, das Kapital hatte sich rascher vermehrt; Emma wußte viel zu berichten von schönen Gaben, mit denen ihr künftiger Haushalt bereichert wurde, und Bernhard hatte von den schönen, lichten Stoffen, wie sie die Schweiz in alle Lande sendet, den duftigsten, zartesten mit feenhaft schöner Stickerei zum Hochzeitkleid für sie auserlesen, und bereitete sich zur Reise, um sein Kleinod heimzuführen. Er war zusehends heiterer, geselliger, umgänglicher, und seine Gefährten waren ganz überrascht, daß der kalte, deutsche Michel so viel Leben und Lebenswürdigkeit entfalte.


Wenige Wochen vor der Abreise lag er in einer Nacht in tiefem Schlummer in glückseligen Träumen von seiner neuen Heimath, da war ihm, als erwache er an der Berührung einer leichten Hand, die sich auf seine Decke legte; er blickte auf, da sah er zu den Füßen seines Bettes seine Emma sitzen, sie blickte ihn unverwandt an, mit ihren stillen, tiefen Augen, es lag so viel darin, all ihre Liebe und Treue und mehr, unendlich mehr, er fühlte sich lange wie gebannt von diesem wehmüthigen innigen Blick. »Wie kommst du hieher?« fragte er endlich, da verschwand sie. Da wandte er sein Angesicht gegen die Wand; er wußte, daß sie gestorben war.

Zwei Tage nach dieser Nacht saß er Abends in der gewöhnlichen Abendgesellschaft, zu der ihn sein Prinzipal, dem sein gar stilles Wesen auffiel, abgeholt hatte. Da er nicht gern sprach, so ließ er sich bewegen, an einer Spielgesellschaft Theil zu nehmen; noch war er mitten im Spiel, als ihm ein Brief gebracht wurde; er kam aus Emma's Heimath, war aber schwarz gesiegelt und von einer ungeschickten Frauenhand überschrieben; Bernhard legte ihn ruhig unerbrochen zur Seite, »bitte, geniren Sie sich nicht,« bat sein Partner. – »Ich kenne den Inhalt,« erwiederte er und spielte mit fester Hand zu Ende. Am andern Tag sagte er seinem Prinzipal die Stelle auf, da seine Braut gestorben sei.


Noch ein einzigesmal kehrte er in die alte Stadt zurück, zu Fuß, ein stiller unbemerkter Wandrer. Er hat da nur ein Grab besucht, das im herrlichsten Blumenschmuck prangte. Die alte Base, die ihm Emma's Tod gemeldet, erzählte ihm weinend von ihr, wie sie sich gefreut habe, auf seine Ankunft, wie still sie immer gelebt und wie emsig gearbeitet, »den ganzen Brautstaat hatte sie schon fertig gehabt, das schöne Kleid, das Sie ihr geschickt, den Schleier wie Spinnweb und den Myrthenkranz mit weißen Blümlein; wir haben ihr alles in den Sarg angezogen, sie hat wie ein Engel ausgesehen.« Sie war an einem Nervenfieber gestorben und nur wenige Tage krank gewesen, »zum Bewußtsein ist sie nimmer gekommen, aber Ihren Namen hat sie gar oft gerufen, sie hat nur heitere Phantasien gehabt, fast immer war sie in Gärten unter schönen Blumen.«

Die Alte war die Erbin von Emma's bescheidnem Besitzthum, Bernhard fügte ein reiches Geschenk bei und bestellte sie zur Hüterin und Pflegerin des Grabes. Er selbst kehrte nimmer hieher zurück.


Lange Jahre streifte er einsam oder mit dem einzigen Freund, den er je gehabt, dem Schweizer Kaufmann, zwischen den Thälern und Bergen jenes wunderbaren Landes umher. Da hat ihm die Natur ihre reiche Trostquelle geöffnet und er lernte ihre unermeßlichen Schätze kennen und lieben.

Er war schon ein alter Mann, reise- und lebensmüde, als ihn sein Neffe aufsuchte und ihn bewog, zu ihm in das Kloster zu ziehen, und es hat ihm dort wohl gefallen. So kam es, daß der Onkel ein Hagestolz geworden ist.



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