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Welcher Welten Abglanz
Die Jugend schmückt.
Es reden Greise
Im Silberhaare,
Dem Grabe versprochen
Von der Jugend Wonne,
Und wissen zu sagen
Warum so selig
So sorglos die Stunden
Und Tag' ihr entfließen, –
Und treffens – nie.
G. Pfizer.
Wer kann singen und sagen, was die Jugend sei? Wie wir an einer Rosenhecke tagelang vergeblich suchen können nach einer Rose, die gerade in der rechten Vollendung erblüht ist, so können wir auch den ganzen Blumenflor jugendlicher Gestalten lange überblicken, bis uns Eine so recht und ganz das Bild der Jugend gibt.
Ich wollte, ihr hättet Malwina gesehen, dann wüßtet ihr, was Jugend ist.
Eine Hebe nach Canova's Vorbilde war sie eben nicht, dazu war ihre Gestalt etwas zu voll, die Röthe ihrer Wangen mahnte mehr an den frischen Anhauch eines hellen Wintermorgens als an die zarte Mandelblüthe, aber aus ihren klares, braunen Augen, aus allen Zügen des fröhlichen, offenen Angesichts blühte ein herzerfreuender Frühling voll Jugendlust und Seelengüte.
Sie war fröhlich den lieben langen Tag und noch länger; nicht mit der sprudelnden, lärmenden, kichernden Fröhlichkeit mancher jungen Mädchen, die dem unbefangenen Zuschauer angst und bange macht, und von der, wie vom Champagnerschaum, fast nichts im Glase bleibt, wenn er verflogen ist; nein, mit einer kerngesunden, klaren, ruhigen Heiterkeit, die den anmuthig kräuselnden Wellen eines tiefen See's gleicht, in dem sich der blaue Himmel spiegelt.
Schon früh Morgens, wenn sie den Frühstücktisch ordnete, mit dem ruhigen sichern Anstand, der so lieblich stand zu ihrer kindlichen Unbefangenheit, da schaute sie so frisch und hell darein, daß man meinte, sie müsse etwas ganz besonders Erfreuliches zu verkünden haben. O, sie wußte gar nichts Neues, nichts, als daß ihr's eben so gar wohl war auf der Welt! Sie hatte stets etwas, auf das sie sich freute, sie freute sich auf ihre Hühner und Tauben, wie sie so lustig ihr Morgenfutter pickten, auf die Blumen, die über Nacht im Garten aufgegangen, man hörte ihre helle Stimme in der Küche, wo sie sich freute, bis der Vater zu Mittag ihre guten Gerichte loben würde, und wenn er sie nicht lobte, so freute sie sich doch, daß es dem kleinen, dicken Vetter, der da speiste, so gut geschmeckt habe.
Nach Tisch freute sie sich ungemein, bis sie an ihrem Nähtischchen sitzen konnte, da waren Blumen am Fenster und ihre Vögelein, und so oft sie die Augen erhob, sah sie in das schöne, grüne Thal und an den Hügel mit der alten Burg, und wenn sie bei der Arbeit nicht sang oder mit der Mutter plauderte, so wiederholte sie sich laut oder leise die schönsten Lieder ihrer liebsten Dichter. Dann freute sie sich wieder auf das Dämmerstündchen, wo sie mit den Freundinnen einen kleinen Gang machte oder auf die Bank vor dem Hause saß, wo es kein Ende gab mit wichtigen Plaudereien.
Dauerte das etwas zu lang und die Mutter schalt, nun das war keine Freude, und Malwina schüttelte es gar nicht leicht ab, aber sie tummelte sich zur Sühne ein wenig flinker, und wenn sie mit der alten, heitern, treuherzigen Miene die Lampe brachte und den Abendtisch richtete, da hatte die Mutter den Unmuth längst vergessen, und sie konnte sich schon wieder freuen auf die stille Zeit nach dem Abendessen, wo sie zu ihrem Strickzeug lesen durfte.
So schön war's alle Tage, am schönsten aber der Sonntag, wo sie Morgens zur Kirche ging und wo Nachmittags die junge Welt manchmal einen fröhlichen Spaziergang machte, oder wo sie allein mit ihren Büchern in die stille Laube saß und sich umrauschen ließ von der Wunderfluth der Poesie, während draußen die Bienen summten, die Vögel sangen und das reiche geheimnißvolle Leben der Natur um sie webte und schwebte.
Das war im Sommer und Frühling, aber sie freute sich eben so herzlich auf den Herbst, auf die langen traulichen Winterabende. Denn neben diesen alltäglichen Freuden gab's noch gar viel besondere: farbige Blumen auf einem lieblich grünen Wiesengrund: Geburtstage, Weihnachten, wo sie eine heimliche Werkstätte für Ueberraschungen in ihrem Stüblein hatte und unerschöpflich war an sinnreichen Erfindungen; auch war Malwina nicht zu zart besaitet, um Freude an dem zu finden, was man so gewöhnlich Vergnügen nennt. Eine Mädchenvisite, eine Landpartie, eine Schlittenfahrt, ein Ball, auf alles das konnte sie sich tagelang freuen und nachher gar vergnüglich und angelegentlich darüber plaudern. Sie war überall dabei, wo's fröhlich herging und den trockensten Zuschauern ging eine Ahnung vergangener Jugendlust auf, wenn die schöne, jugendliche Gestalt sich so ruhig anmuthig im Tanz bewegte und ihre guten Augen so herzensfroh drein leuchteten. Ihre Rosen waren ohne Dornen, kein Neid, keine kleinliche Eitelkeit, keine gekränkte Eitelkeit verkümmerte ihr die Festeslust, sie freute sich, wenn sie viel Tänzer hatte, und war Mangel daran, wie das auf Landbällen oft der Fall zu sein pflegt, so blieb sie zufrieden sitzen, dachte sich hübsche Lieder aus zu der Tanzmusik und lächelte gemüthlich den tanzenden Freundinnen zu. Wie sie mit fröhlich erwartendem Herzen gekommen war, so ging sie mit befriedigtem heim, und legte sich nieder und schlummerte ein an den heiteren Ballweisen, die ihr im Ohr nachklangen. Am Morgen darauf sah sie wieder so hell und frisch d'rein, tote eine Mairose, und besorgte noch fröhlicher und williger ihre Geschäfte, zum Dank für die genossene Freude.
Sie war daheim das einzige Töchterlein, die ältere Schwester war an einen Pfarrer in der Nähe verheirathet und versorgte die Eltern mit Enkelchen. Tante Malwina war die fröhlichste Gespielin der jungen Schaar und wurde allzeit mit Jubel begrüßt. Ganz geschickt kam's ihr nun freilich nicht, wenn eine große Wäsche oder gar ein Wochenbett der Schwester eben auf die Zeit eines Balles fiel, aber sie schickte sich gutes Muths darein, und wenn sie auch hie und da gesund schlief neben einem schreienden Säugling, so versäumte sie doch keine Pflicht und freute sich nur ein Bischen, bis sie wieder heim durfte.
War Malwina fromm? – Ach, diese Frage ist bei jungen Mädchen eben so schwer zu bejahen als zu verneinen. So reiche Quellen aus dem Born des Heils und Segens fließen der Jugend von selbst zu, noch ehe ein sehnendes Auge darnach späht, ein dürstendes Herz darnach lechzt: Glaubensfähigkeit, Liebe, Vertrauen, Freiheit von weltlichen Interessen, – aber wir lassen so oft diese köstlichen Quellen im Sand verrinnen, die wir nachher mit Mühe und Schweiß wieder aus der Tiefe des verhärteten Bodens graben müssen.
Malwina war ein gutes Kind, sie ging gern zur Kirche und bemühte sich andächtig zu sein, sie legte sich nie zur Ruhe, und wär's nach einer Ballnacht gewesen, ohne aus Witschels Morgen- und Abendopfern ein Gebet zu lesen, und vor dem Einschlafen dankte sie aus eigenem Herzen dem guten Gott für alle Freuden des Tages. Sie faßte gute Vorsätze die Menge und war oft bekümmert, daß sie sie nicht besser halten könne, doch nicht allzusehr. Sie fürchtete auch den Tod nicht, o gar nicht! sie ging gern auf den Kirchhof und las die Inschriften auf Grabsteinen, und wenn sie an die Ruhestätte eines jungen Mädchens kam, so dachte sie, wie schön es doch sein müsse, so jung zu sterben, und weinte aus lauter Mitleid mit den vielen Herzen, die ihr früher Tod betrüben würde. Sie hatte dem Tod noch nie in's Auge gesehen. Wohl fühlte sie manchmal eine tiefe unaussprechliche Sehnsucht, Fragen stiegen in ihrer Seele auf, auf die Witschel und die Stunden der Andacht ihr keine Antwort gaben, aber das Leben war wieder so schön und so reich! ›im Himmel würde sie schon Alles erfahren,‹ dachte sie. Denn das schien ihr ganz natürlich, daß sie in den Himmel kommen und als selig verklärter Geist die Ihrigen umschweben werde.
Nicht die kleinste Quelle ihrer Freuden war ihr Stübchen, ihr eigen Stübchen. Sie sah es freilich nicht, vom Morgen, wo sie es in Ordnung gebracht, bis zur Nacht, wo sie zur Ruhe ging; das Haus war nicht so vornehm organisirt, daß man das Fräulein auf ihrem Zimmer gesucht hätte; den Tag über mußte sie an Ort und Stelle sein, dem Winke der Eltern gewärtig. Aber wie traulich war's in der stillen Nacht, wenn sie es in seinem zierlichen Schmucke wieder fand, die niedlich geordneten Tischchen mit allerlei kleinen Herrlichkeiten, das Blumenkörbchen, das sie in der Früh mit duftigen Blümchen gefüllt hatte, das Bücherbrett mit seinen Schätzen! Wie freundlich grüßten sie die alten Ahnenbilder, die sie aus der Rumpelkammer geholt, vom Staube gereinigt und hier wieder zu Ehren gebracht hatte! So ein stiller, friedlicher Geist durchwehte den Raum, da holte sie ihre liebsten, heimlichsten Gedanken hervor und sah hinaus in das klare Mondlicht, das die alte Burg umfloß, und wenn sie das Fenster geschlossen, und wenn sie ihr Licht gelöscht, da barg sie ihr Haupt in die Kissen und flüsterte leise, ganz leise in sich hinein: »es kommt immer noch schöner!«
Ach, daß es doch bliebe
Dieß Paradies!
Der Traum der Liebe
Ist gar so süß.
Th. Körner.
Und es kam noch schöner. In die alte Burg, die wieder wohnlich hergestellt worden, zogen mit dem Frühling zwei junge Grafen, die Erben der alten Herrschaft mit einem Hofmeister; sie sollten hier in der Landluft erstarken und fleißig studiren, um im nächsten Jahr eine große Reise mit Nutzen antreten zu können.
Unbeschadet der Studien durften sie jedoch an den geselligen Kreisen des Städtchens Antheil nehmen, was große Bewegung verursachte. Bis jetzt hatte man nur Kaffeevisiten von Damen gekannt, und nur im Wirthshaus bei Bällen und Kasinos Herren getroffen, jetzt sollten offene Abende, gemeinsame Kaffee's im Garten gegeben, ja auf den Winter sogar Versuche in musikalischen Soireen und Theedansants gemacht werden. Die Grafen waren ein paar hochaufgeschossene ziemlich unbeholfene Knaben von fünfzehn und sechzehn Jahren, aber es waren doch Grafen; und es klang gut, wenn ein Töchterlein auf eine Aufforderung zum Tanz erwiedern konnte: »Bedaure, ich bin mit Graf Lohenfels engagirt.«
Malwina berührte der Sturm dieser Begeisterung für die erlauchten Aufschößlinge nicht viel, sie war schon achtzehn vorüber, da kamen sie ihr wie Kinder vor, und sie verkehrte mit der ruhigen Würde einer älteren Schwester mit ihnen, obgleich ihr heiteres, ganz und gar unbefangenes Wesen den jungen Leuten ungemein zusagte, so daß die übrige Damenwelt über die eifrige wiewohl höchst bescheidene Huldigung, die sie Malwinen darbrachten, leicht hätte eifersüchtig werden können.
Eine anziehendere Persönlichkeit als die jungen Grafen war Werner, der Hofmeister, ein durchaus nicht gewöhnlicher junger Mann, aus dessen dunklen Augen und geistig belebter Unterhaltung Malwinen ein neues Leben aufging. Es machte sich allmälich wie von selbst, daß er bei Landpartien und Gesellschaften, an denen er mit seinen Zöglingen Theil nahm, ihr beständiger Begleiter wurde. Malwina war strebsamen Geistes und ihre Fragen hatten nie zuvor so willige und belehrende Antwort gefunden. Werner lehrte sie ein wenig Botanik, und Wald, Garten und Wiese wurden mit neuem Reiz für sie belebt, er erbot sich, ihr mangelhaftes, halb verlerntes Französisch wieder aufzufrischen, und wurde gar nicht ungeduldig, wenn der deutsche Mund seiner blühenden Schülerin sich etwas ungeschickt für die höchste Finesse des Accents zeigte, und wenn sie auf seine Rügen mit fröhlichem Lachen antwortete; er mußte im Interesse seiner Zöglinge die neueste Literatur kultiviren und hatte ihr stets etwas Schönes mitzutheilen, und bald blickte sie in den Büchern nur noch nach den Stellen, die er ihr bezeichnet hatte, er verstand so gut, was sie ansprechen mußte! Werner war sehr musikalisch und brachte neuen Umschwung in die bisher sehr mangelhaften Leistungen der tonliebenden Jugend. Statt der bisher beliebten neuesten Lieder: »Alles was wir lieben lebe« – »Streicht die Falten vom Gesichte« brachte er schöne alte Volksweisen auf, und Malwina dünkte es, jetzt erst wisse sie, was Gesang sei. Ihre ganze Seele sang mit, wenn sie mit Eichenzweigen geschmückt von einem fröhlichen Waldspaziergang heimkehrten und ein frisches Waldlied anstimmten, oder wenn sie singend den blauen Fluß hinunter schifften.
So wurde es Herbst unter lauter stiller Seligkeit, frohen Erwartungen und schmerzlosem Sehnen. Die ganze junge Welt zog abermals singend mit Fackeln von einer Weinlese nach Haus, voran die jungen Grafen, etwas unbehülflich am Arm der Oberamtmannstöchter, die triumphirend umherschauten und ihr Möglichstes thaten, ihre Kavaliere nicht zu verlieren, in der Nachhut Malwina mit einer Freundin:
Muß i denn, muß i denn zum Städtele naus,
stimmten die Studio's der Gesellschaft an:
Wenn i komm, wenn i komm, wenn i wiedrum komm,
So g'hör i mein und dein,
klang eine schöne tiefe Stimme in Malwina's Ohren. Werner stand neben ihr und zog leise ihren Arm durch den seinen:
Bin i dann, bin i dann dei Schätzele no,
So soll die Hochzeit sein!
sang er ihr fröhlich zu, und Malwina sang mit und ging mit, wie in einem glückseligen Traum, sie dachte an keine Vergangenheit, an keine Zukunft mehr und meinte, so sollte es in alle Ewigkeit fortgehen.
Auch ein Quartett hatte der unermüdliche Werner zu Stande gebracht; die Gesänge wurden in einem öffentlichen Garten einstudirt, nahe dem Schloß, gerade Malwina's Garten gegenüber; sie saß, wie sonst, noch bis zum Spätherbst an schönen Sonntagen mit ihren Büchern in die Laube, warum sollte sie nicht? aber die Bücher ruhten. Drüben sangen sie Göthe's Lied:
Dem Schnee, dem Regen,
und wie wunderbar klang es herüber:
Alle das Neigen
Von Herzen zu Herzen,
Ach, wie so eigen
Schaffet das Schmerzen:
Krone des Lebens,
Glück ohne Ruh,
Liebe, bist du.
Ach, Malwina hatte nicht gewußt, daß das Leben so schön sei!
An den Bällen und Theedansants, die mit der Winterzeit begannen, nahm Werner, seines geistlichen Berufs wegen, nur passiven Antheil. Dem Tanz entsagen konnte Malwina darum nicht, das hätte sie nicht gewagt! aber sie legte keinen Werth mehr darauf. Mitten im wirbelnden Reigen sah sie immer die stille dunkle Gestalt, fühlte sie den Blick der tiefen Augen, die ihr mit leiser Bewunderung folgten. Er hatte nicht nöthig, auf ihre Tänzer eifersüchtig zu sein. Der strahlende Blick, mit dem sie nach dem stillen Kavalier aufblickte, den sie sicher war hinter ihrem Stuhl zu finden, wenn sie an ihren Platz zurückkehrte, der wog viele Walzer auf, und wie gar oft hatte sie in der eifrigen Unterhaltung mit Werner Tanz und Tänzer vergessen, bis sie gemahnt wurde!
In jeder Nacht, eh sie sich niederlegte, sah sie im Schloß auf dem Hügel drüben noch ein einsam Licht, das mußte das seine sein, und mit einem Nachtgebet für ihn schlief sie zu süßen Träumen ein.
Die gute Mutter nahm selten Antheil an den Gesellschaften der jungen Welt, der Vater war meist dabei, hatte aber ein unübertroffenes Talent nichts zu sehen und zu hören, was nicht unmittelbar in seinen Geschäftsbereich fiel, ja, er konnte sich eine Sache recht gründlich vortragen lassen, sogar eine neutrale Antwort darauf geben, und nachher doch alles Ernstes versichern, davon habe man ihm noch kein Sterbenswörtchen gesagt. Malwina war sehr offener Natur, aber der Mutter hatte sie doch nichts zu sagen; sollte sie ihr gestehen, was sie sich ja selbst nicht sagte? hatte doch Werner noch kein Wörtchen von Liebe mit ihr gesprochen! Doch war die Mutter nicht blind für den neuen Frühling, der in ihres Kindes Herz und Augen aufblühte, nicht taub gegen Neckereien der Freundinnen und Anspielungen der älteren Damen, und sie pflog ernstlichen Rath über die Sache mit der ältern Tochter. Da nun aber nichts dagegen einzuwenden war, als daß die Geschichte etwas weitaussehend sei, so beschloß man, der Sache den Lauf und dem Kind die Freude zu lassen.
Der Frühling kam und mit ihm die Zeit für die Abreise der jungen Grafen. In Gesellschaft wurden nur noch Abschieds- und Wanderlieder gesungen, die Damen stickten Etuis und häkelten Geldbeutel in die Wette zu Andenken für die gräflichen Brüder. Malwina wußte wohl, für wen sie gern gearbeitet hätte, aber wie hätte sie dazu Muth gehabt! Man gab Feste über Feste, überall fanden sich Malwina und Werner zusammen; Malwina dachte nicht über die nächste Stunde hinaus, in glückseliger Wehmuth lebte sie im Augenblick.
Es war der letzte Abend. Die Stadt gab einen glänzenden Ball, Malwina war ganz in Weiß gekleidet, einen Zweig von weißen Rosenknospen im braunen Haar, so jung, so frisch, so lebensvoll, so selig in ihren stillen Thränen. Das erlaubte sie sich doch, den Cotillon nicht zu tanzen, man vermißte auch die Beiden nicht, die im Erkerkabinet neben dem Saal am offenen Fenster saßen und in die mondhelle Nacht hinaus schauten. Malwina verbarg die Thränen nimmer, die in ihren Augen standen, es war ja die Abschiedsstunde.
»Wir werden lange fort sein, wohl zwei Jahre,« begann Werner, »finde ich Sie dann noch hier?« Malwina sah ihn an durch die hellen Thränen mit ihren treuen, guten Augen, ein so süßes Geständniß, eine so herzinnige Zusicherung lag darin, er spielte gedankenvoll mit dem Ring an seinem kleinen Finger, einem Andenken von seiner Mutter, und faßte leise Malwina's Hand.
»Heute scheid' ich, morgen wand'r ich,« erscholl es draußen nach vollendetem Tanz und »he, Sänger auf den Platz!« schrie der festordnende Aktuar zur Thüre herein. Hocherröthend mischte sich Malwina unter die Mädchen im Saal und die Zwei sprachen sich den Abend nicht mehr.
Am andern Morgen früh fuhr der elegante Reisewagen vom Schloß weg. Malwina stand droben in ihrer Laube und sah ihm nach, so weit sie konnte, dann weinte sie sich so recht von Herzen satt und ging langsam heim. Da stand aus ihrem Nähtisch ein wunderschöner Rosenstock, »vom Schloß,« sagte die Mutter, »die Grafen haben ihre Orangerie vertheilt, Oberamtmanns Mädchen haben die Pomeranzenbäumchen, Kameralverwalters Marie die Kamelia, das Rosenbäumchen schickt Herr Werner.« Ein Papierstreif steckte zwischen der Blume und dem Stäbchen, zufällig? absichtlich? es war ein Streifen von einem Notenblatt, der Schluß des bekannten Schifferliedchens:
Ein Jahr ist bald vorbei,
Meine Lieder
Bring' ich wieder,
Und mit ihnen meine Treu'.
Die Mutter streichelte sanft Malwina's Wangen, und zum ersten Male seit der frühen Kinderzeit weinte sich das Kind am Mutterherzen aus.
Haben wir auch schön geträumet
Von des Glückes Zauberlanden,
Wo sich ew'ge Freudenkränze
Um die trunknen Schläfe wanden.
Und wir wachen auf am Morgen,
Kehren zu des Tages Mühen
Ohne Klagen wir zurücke,
Träume müssen ja verblühen.
Lenau.
Zwei Jahre dauerte die Reise der jungen Grafen. Zwei Jahre lang hörte Malwina kein Sterbenswörtchen von Werner. Das beunruhigte sie gar nicht, war er ja doch noch nicht frei und hatte sich zuvor mit keiner Sylbe erklärt; zur rechten Zeit wird er schon kommen und reden! Sie verzehrte sich nicht in Thränen und Sehnen, ihre Wangen blieben roth, ihre Augen hell, sie sang, sie lachte, sie plauderte wie zuvor, aber ein stilles Kämmerlein in ihrem Herzen blieb ganz eigen zubereitet für den Entfernten, und nur, wenn sie allein war, ganz allein, oder wohl auch allein mit der allerbesten Herzensfreundin, ließ sie ihren lieben Traum heraus an's Sonnenlicht, und wenn sie schüchtern fragte: »meinst du, er vergesse mich nicht?« so tönte eine jubelnde Stimme in ihrem Herzen: »nein, o nein!« und wenn sie Maßliebchen auszupfte und das Orakel auf die Frage: »er liebt mich?« antwortete: »gar nicht!« und wenn sie Kränze von Grashalmen knüpfte und es wollte kein Kranz werden, da widersprach den bösen Omen immer wieder ihre freudige Herzenszuversicht. Wenn sie in der Laube saß, sang sie so herzinnig in die Welt hinaus:
Du bist mir ja nicht ferne,
Du stehst in meinem Sinn,
Gleich einem schönen Sterne,
Geh' du nur immer hin.
Und wie schön war's jetzt erst in ihrem Stübchen, in der stillen Nacht, die die Fernen so zusammenrückt, unter den Sternen, die auch seinen Pfad beschienen!
In besonders festlichen Stunden, da öffnete sie die Schatzkammer, in der sie die Andenken aus ihrer schönen Zeit verwahrte, – o, sie wußte gar nicht, warum man die Trennung als so herbe schilderte, es war ja auch jetzt so schön! Und wenn sie an ein Wiedersehen dachte und an Alles, was darüber hinaus lag: an ein trauliches Pfarrhaus, an ein paar schöne dunkle Augen, in die sie in Liebe blicken durfte, all' ihr Leben lang … ach nein! so vermessen wollte sie gar nicht sein, sie rief die vorlauten Gedanken wieder heim und schloß die Augen und flüsterte wieder leise: »Es kommt immer noch schöner.«
Nun gehörte freilich zur Sache, daß Malwina in dieser Zeit Schaaren von Freiern abgewiesen hätte. Damit aber war es gerade nicht so gefährlich, – Mädchen, die auf jedem Schritte von Schaaren von Anbetern und Werbern umdrängt sind, sind selten in unseren Tagen und ihre Liebenswürdigkeit muß einen goldenen Hintergrund haben; – aber auch, wo Malwina's anmuthige Erscheinung ein Herz und ein Auge fesselte, sagte ihre gelassene, ruhige Weise, mit der sie Aufmerksamkeiten aufnahm, daß hier kein Feld für Eroberungen sei.
Die Mutter ließ das Kind gewähren und rüstete im Stillen die Aussteuer. Malwina ließ sie weben und bleichen, nur zugeschnitten und genäht durfte ja nichts werden, beileibe nicht. Doch trug sie selbst mit heimlicher Freude die Linnenschätze ein und lächelte in ihrem tiefen Erröthen, wenn alte Frauen das feine Tischzeug mit lauter Bewunderung musterten und sich dazu mit bedeutsamem Nicken ansahen.
Die zwei Jahre waren verflossen und manche Woche darüber, da kamen gräfliche Bediente, um das Schloß wieder in Stand zu setzen, wo die jungen Grafen nach ihrer Rückkehr einen flüchtigen Besuch machen wollten, ehe der Aeltere die Güter im Auslande bezog und der Jüngere eine militärische Laufbahn antrat.
Abermals große Bewegung im Städtchen, große Spannung, wie wohl die jungen Herren sich gemacht, große Zubereitungen zum Empfang, Ehrenpforten, Transparente – man wollte sich in dem öffentlichen Garten, nahe der Burg, versammeln, den sie passiren mußten, und sie dort begrüßen.
Malwina nahm wenig Theil an den Vorbereitungen, sie wäre auch am Tage des Empfangs am liebsten allein in ihrer Laube geblieben und hätte ihn von dort aus zuerst gesehen, wie konnte sie ihn denn begrüßen in all der Menge? Dann hätte er sie vielleicht vermißt und gesucht und … o, das war schon wieder vermessen, und da der Vater an der Bewillkommnungsgesellschaft Theil nahm, so ging sie denn doch mit.
Es dauerte lange, bis die Erwarteten kamen; das Bier war fast getrunken, die festliche Stimmung erlahmt, Malwina war recht froh an einer gesprächigen Freundin, die ihr heute das Reden ersparte, recht froh, daß man doch ihr Herz nicht klopfen hörte, als endlich zwei Wagen heranrasselten und am Fuße des Schloßbergs hielten; es schwamm ihr vor den Augen, sie sah nimmer, wer den Berg herauf stieg und in den weit geöffneten Garten eintrat.
Es kam etwas anders, als die Honoratiorenschaft geglaubt. Die Gräfin Mutter, die sich eben in der Residenz aufhielt, begleitete diesmal die Söhne selbst, nebst einigen Herren und Damen der Residenz, denen man einen ländlichen Tag bereiten wollte.
Ziemlich erstaunt betrat sie den bevölkerten Garten, den sie mit vornehm höflichem Gruße durchschritt, die Söhne folgten ihr und die verblüffte Versammlung hätte das Nachsehen gehabt, wenn nicht die Grafen sich alsbald besonnen hätten und nach kurzer Entschuldigung bei der Frau Mama zurückgekehrt wären.
Ganz charmant hatten sich die jungen Leute gemacht, außerordentlich vornehm und gewandt, die jungen Damen und die Herren von ehemals fanden sich gar nicht mehr zurecht mit ihnen. Malwina saß seitwärts an einem Tischchen bei dem Vater und der Freundin und blickte nicht auf. Da tönte die alte, wohlbekannte Stimme an ihr Ohr: »Ah, meine Damen es freut mich, Sie so blühend wieder zu finden.« Malwina drängte sich alles Blut zum Herzen, in diesem Augenblick war sie bleich, der Vater begrüßte Wernern laut und der ging sehr eifrig auf ein Gespräch über die Reise ein; – kein Wort, keinen Blick mehr für Malwina, ihr war, als erstarrte ihr Herz zu Stein; also das war das Wiedersehen!
Willenlos ließ sie sich von der neugierigen Freundin in die Nähe der Grafen leiten – Graf Heinrich, in dem Niemand mehr den aufgeschossenen, bleichen Knaben erkannt hätte, erzählte eben der Frau Notarin: »ja, Sie sollten sehen, welch schöne Braut Herr Werner sich gewählt hat, ein Fräulein von Adenheim, von guter Familie; sie hielt sich als Gesellschaftsdame bei meiner Tante in Schlesien auf, wo wir einige Monate zubrachten; arm freilich, aber er bekommt nun die herrliche Pfarrei dort und Tante stattet sie reichlich aus, und süperbe ist sie, auf Ehre süperbe, eine Schönheit in der That.« Malwina hörte das wie im Traum, es klang ihr in den Ohren, es wurde ihr dunkel vor den Augen, aber sie fiel nicht in Ohnmacht, sie hielt sich aufrecht und gab mechanisch Antwort, wenn sie gefragt wurde; Werner näherte sich ihr nicht wieder an dem Abend.
Daheim erklärte sie sich für sehr müde; die Mutter ging ihr ins Stübchen nach. Da saß sie, stumm und unbeweglich die Hände vor dem Gesicht – so war's vorüber. Die Mutter nahte leise: »Kind, was ist's?« Malwina sah sie bittend an: »Mutter, nicht wahr, Du fragst nicht? es hat nicht sein sollen!« Die Mutter streichelt mitleidig das bleiche Gesicht; »Kind, gib Dich drein in Gottes Namen, komm, ich helf Dich auskleiden, gut Nacht!«
Und endlich kommen die Thränen und Malwina birgt ihr Haupt in's Kissen und weint und weint, als wollte sie die Seele ausweinen.
Ein so sonnenheller, blauer goldner Morgen nach einer so verweinten Nacht! Da sitzt Malwina vor ihrer kleinen Kommode und hat die Herrlichkeiten ihrer Schatzkammer vor sich ausgebreitet: eine Welt in Bildern!
Da ist die wilde Rose, die er ihr beim ersten Waldspaziergang von einem Felsen gebrochen, da ein Notenblättchen, das er ihr geschrieben, die Wasserlilie, die er selbst von einem entfernten Teich gebracht zu den botanischen Studien, ein Strauß von Waldblumen, aus dem er sich eine gezogen, Gedichte, die er ihr mitgetheilt, Skizzen, die er gezeichnet, ach, eine Reihe wunderbarer Erinnerungen that sich in den schlichten Zeichen auf. Sie faßte alles zusammen, sie erlaubte sich nicht, auch nur ein Blättchen zu behalten: »er gehört einer Andern.« Und still sah sie zu, wie die Flamme eins ums andere verzehrte. Der schöne Rosenstock war noch übrig, er stand in herrlichen Knospen und Blüthen, den konnte sie nicht zerstören – zur Sühne begoß sie ihn mit Thränen und streute die Asche ihrer Schätze darauf, sie lehnte ihr thränenmüdes Haupt ans Fenster, nur einen einzigen Blick sandte sie noch zum Schloß hinüber, aber nicht Ein anklagender Gedanke stieg in ihrer Seele aus.
Und ob die Brust in Sehnsucht krankte,
Mehr hatt' ich noch als ich verlor,
Am stolzen Baum der Tugend rankte
Des Geistes Rebe sich empor.
G. Pfizer.
Vier Jahre waren seit jenem Wiedersehen verflossen und Malwina war nicht am gebrochenen Herzen gestorben. Ihre Wangen waren nicht erblaßt, ihre Augen nicht in Thränen erloschen, und vielleicht die Mutter allein sah, daß ihr Schritt weniger leicht war, ihr Lachen weniger helle klang als zuvor.
Einmal hatte sie Werner mit seiner Braut gesehen und wäre noch Ein bitterer Gedanke in ihrer Seele gewesen, bei dem Anblick des zarten, anmuthigen, feengleichen Wesens hätte sie ihn überwunden.
Sie hatte lang vergeben, ja sie dachte, sie habe gar nichts zu vergeben.
Sie hatte sich viel bei der Schwester aufgehalten und war so über die erste peinliche Zeit verwunderten Flüsterns, neugieriger und bedauernder Blicke glücklich hinübergekommen, bis andere Neuigkeiten ihre Herzensangelegenheit aus dem Gerede der Leute verdrängt hatten.
Sie hatte die Zerstörung ihres schönen Traums in Demuth als eine Schickung Gottes hingenommen und dachte nun, ihr Herz ganz dem Herrn und der Pflicht hinzugeben. Sie meinte es recht aufrichtig, aber es wollte nicht so recht gehen, die unendliche Lücke in ihrem Herzen wollte sich nicht füllen, ein tiefes Ungenügen begann seine Schatten im Grund ihrer Seele auszubreiten, wenn auch ihr Angesicht noch hell und freundlich geblieben. Auch ihre sonst so blühende Gesundheit schien hie und da zu leiden, sie fühlte sich oft unwohl, doch mochte sie die Mutter damit nicht beunruhigen, zumal jetzt, wo eine große Sorge alle anderen Angelegenheiten aus ihrem Herzen verdrängte: ihre Mutter lag schwer erkrankt an dem peinlichen Leiden der Wassersucht und Malwina vergaß Klagen und Fragen in der Bemühung um die theure Kranke.
Die Schwester kam eines Tages zum Besuch und fand die Mutter zu ihrer Freude viel besser und heiterer. Malwina aber war gar still und nachdenklich und suchte bald mit ihr allein zu sein. »Nun, was hast denn Du heut' auf dem Herzen?« fragte die Schwester neugierig – »Sophie, der Doktor war gestern da« – »Nun ja, er kommt ja alle Tage« – »Er hat mit mir gesprochen« – »Wird schon mehr geschehen sein.« – »Aber er will mich ja heirathen!« stieß endlich Malwina heraus. – »Der? Dich?« rief die Schwester mit hellem Lachen, »der ist gar nicht dumm; was hast Du gesagt?« – »Noch nichts, ich wollte Dich vorher sprechen und die Eltern« – »Hast ihn denn nicht gleich abschweben lassen?« – »Nein,« sagte Malwina leise, aber fest, »ich habe im Sinn, ja zu sagen.« – »Du? – hör, Kind, was denkst Du? Weißt Du, daß der Doktor fünfzig ist; grad noch einmal so alt wie Du, wenn Du dann einmal vierzig bist, so ist er achtzig!« – »So gefährlich ist's nicht,« meinte Malwina lachend, »er ist mir gar nicht zu alt, und dann denke, wie viel er an der Mutter gethan hat.« – »Ist seine Schuldigkeit.« – »Und die armen verwaisten Kinder!« – »Da gerade sitzt's, Kind, da besinn' Dich wohl, sechs Kinder anzutreten ist kein Spaß, man sagt da wohl vom schönen Wirkungskreis, und die jungen Stiefmütter bringen einen rechten Ueberschuß von Mutterliebe und Pflichttreue mit, aber das verfliegt, und frage an nach zehn Jahren, ob unter hundert Stiefkindern nicht sechzig ihre neuacquirirte Mutter wohlfeilen Kaufs ziehen ließen und ob die Mutter nicht eben so wohlfeil den schönen Wirkungskreis gäbe. Und dann ist der Doktor selbst ein wunderlicher Patron und ein trockener Dings, für eine poetische Natur wie Du's bist.« – »Ich mache keine poetischen Ansprüche mehr und habe Alles wohl erwogen,« sagte Malwina ruhig; »den Doktor kann ich von Herzen achten, das ist genug; die Kinder sind mir eben ein Grund, ihn zu nehmen, und ich weiß, was ich damit übernehme. Siehst Du, wenn man nicht mehr glücklich werden kann, weißt Du so recht glücklich, da ist's wohl am besten, eine recht große, schwere Pflicht auf sich zu nehmen, das bringt dann wohl Frieden,« und sie brach in ein recht herzliches Weinen aus, das letzte Grablied für ihren geschiedenen Herzenstraum.
Nun, die Sache kam den Eltern zum Vortrag, die Mutter wiederholte so ziemlich die Vorstellungen der Schwester, der Vater faßte sich kurz: » Du mußt ihn haben, Mädchen, nicht wir, also mußt Du Dich besinnen; willst Du, so thu's in Gottes Namen.« Malwina hatte sich besonnen und so gab sie in Gottes Namen dem Doktor ihr Jawort, nur die Hochzeit sollte verschoben werden, bis die Mutter ganz genesen sei. Ihren schönen Rosenstock schenkte sie nun ihrer ältesten Nichte. Eine Weile war sie etwas bleich und still, aber bald wachte ihre alte gemüthliche Heiterkeit wieder auf.
Schweigt ihr Wogen und Wellen,
Vorüber ist alles,
Glück und Hoffnung.
Streben und Lieben!
Ich liege am Boden,
Ein ödes schiffbrüchiges Herz
Am öden kahlen Strand.
Heine.
Der Doktor sah allerdings nicht aus, als ob er eine romantische Leidenschaft erwecken könnte, prätendirte es auch ganz und gar nicht. Man konnte ihn nicht sehen, ohne an das Motto auf der menschlichen Stufenleiter zu denken: ›fünfzig Jahre stille stahn.‹ Er war ein stattlicher sauberer Mann, der mit seinem bräunlichen Gesicht und etwas ergrauenden Haaren unwillkürlich an einen Ulmer Pfeifenkopf erinnerte.
Er besuchte seine Braut regelmäßig alle Abende um sieben Uhr, und führte recht verständige Unterhaltungen mit ihr und dem Schwiegerpapa; wenn er hie und da einschlief, so war ihm das nicht übel zu nehmen, er war ein vielbeschäftigter Arzt. Er schenkte ihr einen schönen Shawl und einen seidenen Regenschirm, und als er von der Mutter erfuhr, daß ihr Bücher Freude machen, brachte er ihr auch ein Buch zum Geburtstag, es war zwar der Siegfried von Lindenberg, der ihn in seiner Jugend ergötzt, aber eben darum nahm es Malwina freundlich auf. Bei den Kindern fand sie ein reiches Feld für ihre Thätigkeit, von den verwirrten Haarzöpfen bis zu den zerbissenen Schuhen. Sie gewöhnte sie bald an sich, jetzt schon brachten sie ihre Freistunden bei ihr zu und faßten alle eine herzliche Liebe zu ihr, besonders die Knaben, denen die Malwina-Mutter, wie sie sie nannten, das Höchste war.
Mehr und mehr blühte sie in stillem Frieden und in emsiger Geschäftigkeit auf. Sie war zwar fast vergnügter in Abwesenheit des Bräutigams, wo sie der Mutter täglich einen neuen Vorzug von ihm zu rühmen wußte, als in seiner Gegenwart; die bräutigamliche Zärtlichkeit, zu der er hie und da einen Ansatz faßte, duldete sie mehr als sie sie erwiederte, aber wenn sie ihr schönes Linnenzeug fertigte und zusammentrug, wenn sie Geschenke für die Kinder bereitete und immer wieder etwas Neues wußte, was dem Hermann und was der Bertha am meisten Freude machen würde – da hörte man ihr fröhliches Lachen, ihre alten Lieder wieder, und die Mutter, die statt der Genesung ihr Ende nahen fühlte, dachte mit voller Beruhigung an ihres Lieblings Zukunft.
Deßhalb bestand sie auch auf baldiger Hochzeit, obgleich sich der glückliche Bräutigam etwas kühl dabei verhielt; die Aussteuer war fertig, das Hochzeitkleid in Arbeit, und Malwina sollte nur zuvor noch eine Woche zur Schwester, dießmal um sich zu erholen, da sie in letzter Zeit so gar viel leidend gewesen, was man der großen Anstrengung bei Besorgung der Aussteuer zuschrieb.
Sie schrieb dem Bräutigam einen gar lieben herzlichen Brief; beim Schreiben fand sie sich noch leichter in bräutliche Gefühle, als beim Beisammensein. Sie war recht erstaunt, bald Antwort zu erhalten, sie wußte, der Doktor schrieb nicht gern Briefe, und rechnete ihm dieß hoch an. »Werther Freund!« stand oben, ah, der hat am Ende die Adresse verwechselt! sagte sie lächelnd, das sieht seiner Zerstreuung gleich, las aber ohne Bedenken weiter. Das Lächeln verschwand bald von ihren Lippen und die Schwester erschrak, als sie sich nach einer Viertelstunde todtbleich mit starrem Blick, den Brief in der Hand, antraf. »Da lies,« sagte Malwina gepreßt, verdeckte ihr Gesicht mit der Hand und brach in krampfhaftes Schluchzen aus. Die Schwester las:
»Werther Freund!
»Habe zwar selten Zeit und Lust zur Korrespondenz, halte es aber im obigen Falle für Pflicht, ungesäumt zu antworten. Du schreibst mir, daß Du wegen Ablebens Deiner Frau zur Wiederverehelichung entschlossen bist und bittest mich um Vorsprache, da die Erkorene meine Verwandte. Ich rathe Dir, die Sache nochmals zu erwägen, und führe zu diesem Zweck mein eigenes Exempel an, was ich sonst jedenfalls bei mir behalten hätte. Ich habe nach leiblichen und geistigen Beziehungen eine zweckmäßige Wahl getroffen und habe demungeachtet alle Gründe, selbige ungeschehen zu wünschen. Eine so viel jüngere Person taugt für einen gesetzten Mann in Jahren nicht mehr, ich werde mich viel mehr belästigt finden durch die Zeit und Aufmerksamkeit, die sie in Anspruch nimmt, als zuvor bei meiner Haushälterin oder auch bei meiner Frau selig der Fall war. Ich sehe allbereits, daß Visiten, Gäste, jeweilige Reisen und dergleichen Beschwerden unvermeidlich sein werden. Das ist nun ein Uebel, in das man sich schicken muß. Aber es ist noch ein bedenklicherer Umstand: meine Braut ist in letzter Zeit häufig unwohl und ich habe triftigen Grund anzunehmen, daß der Sitz des Uebels im Rückenmark ist: tabes dorsalis. Wie wenig da zu machen, sagt die medizinische Erfahrung aller Zeiten. Somit sehe ich allem Drangsal einer kranken Frau entgegen, während ich gerade auf eine gesunde und rüstige Person reflektirte.
Meine Kinder wären zwar vor der Hand vortrefflich versehen, aber unter besagten Umständen dauert das nicht lang, auch wäre diesem Uebelstand und der Beschwerde der Haushälterinnen jetzt ohnedieß abgeholfen, da meine Schwester seit etlichen Monaten Wittwe ist und zu mir ziehen könnte, was beiderseits auch bedeutende Kostenersparniß mit sich brächte.
Zu geschehenen Dingen muß man das Beste reden, führe auch dieß alles nicht an, um zu klagen, sondern um Dir zu umsichtiger Erwägung Deines Vorhabens zu rathen etc. etc.
Weiter hatte Malwina nicht gelesen. Das waren die Gedanken des Mannes, dem sie sich mit ganzer voller Seele hingeben wollte, dazu hatte sie täglich zu Gott um Kraft gebetet, ihn recht glücklich machen zu können! Nach zwei Tagen kam der für sie bestimmte Brief des Doktors, es war in der That eine Verwechslung der Adresse gewesen. Nun verstand sie seine kühle Sprache, heucheln war des Doktors Sache nicht. Sie hätte vielleicht um seiner Kinder, um ihrer Eltern willen ihren weiblichen Stolz überwunden und doch ihr Wort gehalten, aber seine Sorge wegen ihrer Kränklichkeit entschied. »Wenn ich leiden und sterben soll, so solls allein seyn,« und sie löste den Bund auf. Sie blieb still und geduldig bei allen Stürmen, die dieser Schritt nach sich zog, bei dem Schelten des Vaters, dem Kummer der Mutter und dem wirklichen aufrichtigen Bedauern des Doktors, der noch lange nachher versicherte: er hätte selbst nicht geglaubt, daß man sich so an ein Frauenzimmer attachiren könne. Unter tausend Thränen brachte sie den Kindern die ihnen zugedachten Geschenke und bat sie, sie oft zu besuchen; sie blieb aufrecht an dem Lager der Mutter, bis sie ihr nach langem Kampf die Augen zugedrückt; – dann brach ihre Kraft zusammen, gebrochen an Seele und Leib, eine tiefe Bitterkeit im Herzen, mit der sie vergebens kämpfte, zog sie sich aus den Kreisen der Jungen und Frohen zurück.
Du bist's, der, was wir bauen
Mild über uns zerbricht,
Daß wir den Himmel schauen,
Darum so klag' ich nicht.
Eichendorf.
Seit jener Zeit waren acht Jahre dahin. Malwina's Jugendheimath hatte sich ihr geschlossen für immer; ein Schlaganfall hatte den so kräftigen Vater unerwartet weggerafft und Malwina hatte im Haus der Schwester ein Asyl gefunden.
Wir müssen in ein stilles Hinterkämmerlein treten, um sie zu finden, und auch dann haben wir Mühe in dem Jammerbild auf dem Lager sie wieder zu erkennen. Ist dies bleiche schmerzverzogene Antlitz, diese abgemagerte Gestalt, diese von Leiden gedämpfte Stimme noch die blühende, jugendkräftige Malwina? Kein Zug mehr von dem frischen, frohen Mädchenantlitz!
Aber in der Klarheit dieser Augen ist das Licht eines ewigen Frühlings angebrochen, ein Frieden, süßer und seliger als das Glück ihrer Jugendtage, ist über diese Leidenszüge gekommen, und auf jede bange Frage, die aus der Tiefe ihres schmerzgedrückten Herzens aufsteigt, liegt auf ihren blassen Lippen die Antwort: meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft.
Die äußere Geschichte ihres Lebens läßt sich kurz zusammenfassen. Nicht lange nach des Vaters Tode begann das lang gefürchtete Uebel trotz aller Hilfe mehr und mehr zuzunehmen; was zuvor Folge der Trauer und inneren Ueberdrusses gewesen, ein Zurückziehen aus geselligen Kreisen, das wurde allmählich zur Notwendigkeit. Die Pflege eines Mädchens genügte nimmer, das ernstlich gemeinte Anerbieten des Doktors, in sein Haus zu ziehen und die Pflege seiner Schwester zu genießen, lehnte sie dankend ab und nahm die bescheidene Zuflucht an, die ihr die Schwester anbot. Bald sah sie sich gänzlich an's Bett gefesselt und hier lag sie nun seit Jahren in namenlosen Leiden, die zunahmen mit der wachsenden Schwäche, unfähig zu der geringsten Leistung, viel und oft einsam, trotz des redlichen Willens der Ihrigen, – allein mit sich und ihrem Gott.
Wie aber war ihr inmitten zunehmender Qualen der Seelenfrieden, die innere Freudigkeit, die ungebrochene Geduld gekommen, die nun ihre Gefährten auf dem Schmerzenslager waren? Welcher Mund war beredt genug gewesen, um Schmerz und Bitterkeit aus ihrer Seele wegzunehmen, um das Licht einer unvergänglichen seligen Hoffnung in ihr anzuzünden, das keine Leidensnacht mehr löschte?
Geh umher an Kranken- und Sterbelagern, wo aus der todtmüden, zusammenbrechenden Hülle eine Kraft sich erhebt, die nicht von dieser Welt ist; geh an Gräber, wo Mütter ihr einziges Kind, Gattinnen ihr einziges Glück, den Halt und das Licht ihres Lebens einsenken sahen und doch in getrostem Muthe sprechen: ziehet hin! ich habe euch ziehen lassen mit Trauern und Weinen, aber der Herr wird mir euch wiedergeben mit Freude und Wonne ewiglich. Da gehe hin und lausche den Fußtritten des Engels, der auch in Malwina's Seele Licht gebracht, da frage, woher die Stimme tönt, die da spricht durch das Dunkel der Nacht und über das Tosen der Wellen: »ich bin es, fürchtet nichts.« Eine andere Antwort vermag ich nicht zu geben.
Und was ist aus Malwina's Thatendrang geworden, wo sind die Pflichten, deren Ausübung die Lücke in ihrem Herzen füllt? O, sie ist nicht unthätig, obwohl sie die Hände kaum mehr zum Gebet falten kann. Wenn man den Schwager rühmt mit verstecktem Bedauern wegen des Edelmuths, mit dem er die unglückliche Schwägerin aufgenommen, wenn man die Pfarrerin mitleidig fragt, wie sie denn fertig werden könne mit all der Haushaltungslast neben der elenden Schwester, da antworten sie mit voller Ueberzeugung: es ist ein Engel unter unserem Dach! und sie reden wahr. Der Segen, der von diesem Engel ausgeht, zeigt sich nicht in äußerem Gedeihen, aber in dem sanften und stillen Geist des Friedens und Genügens der durch das Haus weht.
Die wilden Neffen, die leichtsinnigen Nichten, auf die die gesunde Tante Malwina, so lieb sie ihnen war, gar wenig Einfluß gehabt, wie sind sie so ernsten sanften Sinnes geworden im Umgang mit der Kranken! Sie quält Niemand mit Predigen, ihr Ohr und Herz ist offen für jede kleine Alltagssorge, jede Freude und jedes Leiden des Lebens, sie hat einen verständigen Rath für jedes bedeutende Anliegen, aber eine gewaltige Predigt tönt lautlos von diesen bleichen Lippen, spricht aus diesen frommen klaren Augen.
Eine treue Gehilfin hat der Pfarrer an ihr auch bei seiner Gemeinde; so manch unzufriedenes Weib, manch verhärtetes Kind ist still und mit nassen Augen aus dem Krankenstübchen gekommen und allmählich ist »die Jungfer Malwina« die geheime Räthin des halben Dorfs geworden.
Im Dorf ist ein eigener Arzt, der längst seine Kunst in vergeblichen Versuchen erschöpfte, ihr Linderung zu verschaffen, aber auch der Doktor aus der Stadt, ihr ehemaliger Bräutigam, besucht sie noch öfters und bringt manchmal seine Kinder mit. Sie haben einmal eine lange Unterredung zusammen gehabt, die Schwester, die vor seinem Abschied ins Zimmer trat, sah, wie Malwina ihm herzlich die magere Hand bot, der sonst so harte Mann konnte vor Thränen nimmer sprechen.
Kein irdisches Leiden dauert ewig, endlich hatte die Macht der Schmerzen die starke Lebenskraft gebrochen, immer leiser wurde ihre Stimme, zuletzt sprach nur noch ihr leuchtendes Auge, aber es sprach bis zum Tode Worte voll Liebe, voll Freude und Frieden.
Es war am Charfreitag, so recht in den Tagen des beginnenden Frühlings, als sie morgens die Schwester bat: »bleibe Du heut bei mir!« Die Schwester schickte Alle zur Kirche, der Schwager nahm, wie gewöhnlich, noch Abschied eh er ging, Malwina gab ihm die Hand und sagte ihm noch inniger als sonst: »Lebe wohl!«
Die Schwestern waren allein. Malwina bat: »öffne das Fenster und richte mich auf!« Sie hatte lange das Haupt nimmer heben können, nun aber saß sie aufrecht, an die Schwester gelehnt und lauschte dem Glockenklang und dem Singen der Lerchen, das zum offenen Fenster hereintönte, sie faltete die Hände und flüsterte leise: »heute wär's schön zu sterben!«
Sophie umschlang sie mit den Armen, ach, sie wollte sie doch noch nicht ziehen lassen! Aber die leichte Gestalt wurde schwerer und schwerer an ihr.
Malwina war still, aber ihre Züge drückten viel mehr als in der letzten Zeit ein reges, inneres Leben aus. Ihre ganze Vergangenheit schien noch einmal an ihrer Seele vorüberzuziehen, – dies süße Lächeln galt wohl ihrer Jugend, sie wiegle wehmüthig den Kopf hin und her, – ihr Blick wurde ernster, aber die Lippen lächelten noch, sie faltete die Hände fester zusammen und sagte sanft: »es war alles, alles gut.«
Die Glocken waren verhallt, das Lied der Gemeinde klang herüber:
Wenn ich einmal soll scheiden,
So scheide nicht von mir.
Malwina's Haupt sank zurück, sie hatte vollendet und das selige Lächeln auf ihrer Lippe galt keiner irdischen Erinnerung mehr.
Am Ostermorgen wurde sie begraben; – der ganze Frühling ihrer Jugend schien wieder aufgeblüht, so reich war der Sarg mit Blumen geschmückt; den Myrthenkranz hatten sie ihr um die Stirne gewunden. Die Palme des Sieges ist ihr droben aufbehalten.