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II.
Der Bonvivant.

»Das Leben des Hagestolzen ist ein brillantes Dejeuner, ein langweiliges Diner und ein miserables Souper.« So lautet ein altes, längst bekanntes französisches Witzwort, das schon in mancher Lebensgeschichte seine Bestätigung gefunden.

Herr Bauer – so heißt ja jedermann, also darf auch jemand so heißen – hatte sich all sein Lebenlang nur einen Lebenszweck gesteckt – das Guthaben. Ein recht einfaches Ziel, werden viele denken; gewiß aber nicht so leicht zu erreichen, wie es oft aussieht.

Herr Bauer war so glücklich, daß er eben keine schlimmen Mittel nöthig hatte, um diesen Zweck zu erreichen. In der Schule pflegen manche zu faullenzen, um es gut zu haben; Herr Bauer fand, daß das ein verkehrtes Mittel sei, da die bei unserem verdunkelten Lehrsystem noch gestatteten Prügel schlechterdings nichts Gutes sind; darum lernte er fleißig, was ihm auch nicht schwer wurde, und hatte es gut dabei. Als Student fand er, daß eine ganz genügende Anzahl von Kneipenbesuchen und Suiten sich mit den unerläßlichsten Collegien vereinigen ließen. Da er ein »guter Kopf« war, der es verstand, seinen geistigen Besitz, ob groß oder klein, in's gehörige Licht zu setzen, so war ihm vor dem Examen, diesem jüngsten Gericht des Universitätslebens, eben nicht bange. So war er der beste Bierschmecker und überall dabei, wo's hoch herging, ohne daß er sich's auch mit dem Vergnügen sauer werden ließ. Bei feierlichen Ausritten überließ er das Reiten mit seinen Wechselfällen jedem, der Lust dazu hatte, er selbst pflanzte seine breite Gestalt in den bequemsten Wagen und ließ sich von ehrfurchtsvollen Füchsen bedienen. Da der Beutel des Papa schon einen Aderlaß ertragen konnte, so kam er mit einem Hauptungewitter per Semester bei der jedesmaligen Ueberreichung der Conti davon, und da er mit einem recht leidlichen Examen seine behagliche Burschenlaufbahn beschloß, so bezahlte der Papa die letzten ansehnlichen Reste nur mit stillem Knurren.

Ein ganz brillantes Dejeuner war seine Jugend, als er eine hübsche Anstellung »bei der Regierung« fand; und wenn er sah, wie seine Collegen ihre kleinen Ersparnisse alsbald aufbrauchten, um Almanache, Necessaires, wo nicht gar Uhren für ihre Bräute zu kaufen, so war ihm seine goldene Freiheit noch viel zu lieb, als daß er sich mit Ehestandsgedanken hätte plagen mögen. Er wollte einmal heirathen, o ganz gewiß, wenn es ihm recht gelegen wäre, aber das hatte noch gute Zeit. War er doch als gute Parthie ein vielgeladener Gast zu Thées dansants und Familiensoireen, und der ganze Flor der Damenwelt stand ihm offen, wenn die armen Bräutigame an den Stuhl der Einen gefesselt waren. Nein, er wollte sich recht mit Muße besinnen.

Mit einem größern Einkommen und dem freien Besitz des väterlichen Vermögens wurde das Dejeuner immer brillanter. Im elegantesten Café nahm er seine Morgenchokolade, im zierlichsten Conditorskabinet später einen Kelch parfait d'amour mit erlesenem Backwerk, und beliebte es ihm, die trockenen Kanzleistunden mit einem Glas guten Wein aufzufrischen, da hatte er seine verborgenen Weinschenken, wo er sicher war, die feinste Blume des edlen Nasses zu finden.

»Nun, was werden Sie heute Gutes speisen?« fragt er etwas höhnisch seinen verheiratheten Collegen Müller, als sie beide um Mittag aufbrechen. »Linsen,« antwortet dieser gutmüthig, »Linsen und Rindfleisch; 's ist heute Freitag, meine Frau hält ihre gewissen Tage. Gesegnete Mahlzeit, Herr Bauer!« – »Linsen und Rindfleisch!« wiederholt Herr Bauer voll innerlichen Triumphs, während er auf sein Hotel zuschreitet, wo der Duft von gebratenen Truthähnen und Rehziemer aus dem Souterrain aufsteigt und die Wagenreihe an der Einfahrt auf eine Gesellschaft interessanter Fremder schließen läßt.

»Sie trinken doch auch ein Täßchen Mokka im Café Rapp?« fragt er den arglosen Müller, an dessen Haus er nach Tisch vorübergeht. – »Bedaure,« lautet die Antwort, »ist mir unmöglich, ist heute meiner Frau Schwiegermutter Geburtstag; da wird diesmal selbst Kaffee bei uns getrunken.« – »Diesmal!« lächelt Herr Bauer im Weitergehen: »armer Müller! so kannst du doch deine Linsen verdauen!«

Ein schadenfroher Dämon scheint Herrn Bauer zu treiben, dem Müller beständig das verlorne Paradies seiner Freiheit vorzuhalten. »Nehmen Sie nicht Theil an einer kleinen Lustfahrt nach B.? Sie wissen, dort findet man die delikatesten Fische.« – »Ist mir nicht möglich,« antwortet der andere etwas verlegen; »ein kleiner Familienspaziergang, – hab's meiner Frau schon lang versprochen.« – Da seht denn am Sonntag Herrn Bauer in leichter Droschke, in der Gesellschaft einiger witzigen Freunde, behaglich zurückgelehnt, wie er mit gnädiger Herablassung die Familie Müller grüßt, die eilig zur Seite weicht, vier Kinder in verschiedenen Dimensionen, das kleinste im Wägelchen, das Herr Müller mit dem Stock schieben hilft, alle triefend von Schweiß und überzogen mit Staub. »Wohin geht's?« ruft Herr Bauer dem Collegen zu, der in diesem Augenblick nicht Humor genug hat zur heitern Auffassung seiner Situation. – »Zu unserer Milchfrau nach Blezingen,« ruft ein naseweises kleines Mädchen. Und dahin rollt die Droschke und der witzige Freund stimmt den alten schwäbischen Volksreim an:

Wia'n i bi ledig gwäh,
Ist mer's viel wöhler gwäh,
'S wurd mer mei Lebatag
Nimme so wohl!

Dann am Abend im Gasthof, wenn just nicht Theater ist, und mit dem Schlag acht die armen Ehemänner, die sich etwa in den Club gewagt haben, aufbrechen, wie behaglich dehnt sich Herr Bauer in seinem Stuhl und befiehlt: »Kellner, eine Flasche Rüdesheimer und die Speisekarte!« – »Geschwind, Herr Schnarrenberger!« ruft er einem Aufbrechenden zu, »die Kartoffeln werden kalt und die Frau Liebste wird ungnädig!«

»Ist aber doch auch was Schönes um das Familienleben,« bemerkt ein neben ihm sitzender Wittwer auf sein ironisches Lächeln, mit dem er dem Davoneilenden nachsieht. – »Bah, ich kann Familienleben haben, so viel mir beliebt, habe Einladung in ein Dutzend Häuser zu Familienthee oder Diner. Da treffe ich alles auf's schönste, Mama und wohlgezogene Töchterlein, vorlaute, kleine Mädchen und unartige Buben; o Familienleben genug! Ich kenne ein Haus, wo eine edle Tochter auftritt, in einem andern paradiren zärtliche Schwestern, sonstwo debütirt das Fräulein vom Haus als naives Kind schon seit drei Jahren – kein Mangel an Familienleben!« – »Ei, wie bösartig Sie sind!« sagt der gutmüthige Wittwer. Sie wollen also gar nicht heirathen?« – »Warum nicht? O gewiß! das heißt, je nachdem: ich muß da meiner Sache sicher sein; um Opfer zu bringen, heirathet niemand, natürlich! Das Heirathen bleibt mir so gewiß wie der Tod, die Damen sterben nicht aus. Vor der Hand habe ich keine Zeit, diesen Herbst muß ich nach Italien, nächsten Sommer will ich die Schweiz einsehen, einen Winter vielleicht nach Paris – habe also durchaus keine Eile. – Wird selbst ein Mädchen zu versorgen haben,« brummt er, mißtrauisch auf den abgehenden Wittwer blickend.


Herr Bauer hat das brillante Dejeuner nach Kräften verlängert, Schweiz und Italien, London und Paris, Kaviar und Austern, Champagner und Tokayer in reichem Maße genossen. Er ist endlich doch etwas müde geworden, als er nach vierzehn Jahren mit dem oft verhöhnten Herrn Müller wieder in derselben Stadt zusammentrifft. Sie haben wirklich, eine Art Freundschaft für einander, ungefähr wie die, welche der selige Claudius Pferdefreundschaft nennt, weil sie sich in dieser Weise bei Pferden bildet, die lange in Einem Stalle stehn. – Nun, wie geht's, Herr Collega?« – »Gut, recht gut,« erwiedert Herr Müller fröhlich und reibt sich befriedigt die Hände. »Sie wissen, ich bin nun Rath geworden; bei einer zahlreichen Familie ist eine solche Verbesserung immer wünschenswerth, aber gottlob! es macht sich jetzt alles vortrefflich.« – »Wo gehen Sie hin?« – »Nur noch ein paar Schritte auf die Post, muß meine Marie dort abholen, sie kommt mit dem Eilwagen, war bei meiner Schwester zur Aushilfe. Sie glauben nicht, was man sich freut auf so ein Kind!« Bauer begleitet ihn und findet es nicht mehr so komisch wie vor Zeiten, als ein liebliches Mädchen den Vater mit herzlicher Freude, den Fremden mit Erröthen grüßt. Wie glückselig betrachtet der Müller sein Töchterlein, selbst überrascht von ihrer aufgeblühten Anmuth! wie viel hat das Mädchen zu fragen, nach der Mutter und den Geschwistern und den Blumen und ihren Freundinnen! Herr Bauer beginnt sich überflüssig zu finden, als aus der Seitenstraße wieder eine jubelnde Stimme »Vater!« ruft und ein kräftiger netter Junge mit glänzenden Augen und glühenden Wangen auf sie losstürzt. »Grüß Gott, Marie! Vater, sieh, ich habe den ersten Preis und bin doch erst seit acht Wochen hier im Gymnasium! »Und jubelnd zeigt er seine Siegestrophäe dem hocherfreuten Vater, der, unbekümmert um die Oeffentlichkeit der Scene, den Krauskopf lächelnd Herrn Bauer vorstellt: »Sehen Sie, das ist mein Kleinster, der damals im Wägelchen gefahren, die andern würden Sie gar nicht mehr kennen. Denken Sie, ich habe schon einen Studenten, der hält sich recht brav!«

Nun kommt die Reihe des Fragens an den geselligen Herrn Müller, der den neugefundenen Freund nicht so rasch losläßt, während der Krauskopf mit der Schwester vorauseilt, der er eine Menge wichtiger Schulerlebnisse mitzutheilen hat. »Und wie geht es denn Ihnen, Herr Collega?« – »O, ganz gut,« sagt Herr Bauer gähnend; »habe nur etwas Magenbeschwerden, werde deßhalb diesen Sommer in's Karlsbad gehen.« – »So, so, das bedaure ich. Und Sie speisen noch immer im Hotel d'Angleterre?« – »Längst nicht mehr; der Lärm von den vielen Fremden dort ist mir zuwider, ich habe die langkragigen Engländer herzlich satt.« – »Sie speisen also –?« – »Gegenwärtig im russischen Hof, werde aber nicht bleiben; keine feine Küche, die Austern waren schon zweimal nicht frisch, und erst gestern machte ich die Entdeckung, daß die Madame die Gänseleberpasteten selbst macht und sie für Straßburger ausgibt. Es ist möglich, daß ich bald eine eigene Haushaltung anfange.« – »Da darf man also wohl gratuliren?« – »Keineswegs,« sagt Herr Bauer trocken; »es eilt mir nicht; Sie wissen, ich möchte besonnen wählen.« Das Gespräch wird abgeschnitten durch die Ankunft am Müller'schen Quartier, wo der Wildfang frohlockend die Treppe herunter ruft: »Vater, die Bertha muß Pfannkuchen backen meinem Preis zu Ehren! Juheh!« und er macht noch einen Spazierritt auf dem Treppengeländer herunter.

Herr Bauer mußte noch versprechen, auf den Abend an einer Familienpartie nach der grünen Au theil zu nehmen. Die nahm sich denn wirklich etwas besser aus, als vor Jahren die Kinderwagenpartie. Zwar trank Müller nur ein Glas Bier und rauchte aus einer simpeln Pfeife, während Bauer den feinen Rauch einer ächten Havannahcigarre in die Luft blies, und die Familie labte sich bloß an Butterbrod, ohne Seitenblicke auf den westphälischen Schinken, mit dem sich Herr Bauer in Ermanglung von etwas Besserem behelfen mußte. Aber das Blatt hatte sich doch zu Gunsten der Familie gewendet. Ein paar anmuthige erwachsene Töchter, deren einfach bescheidener Weise selbst der argwöhnische Hagestolz keine Rolle unterschieben konnte, ein jüngeres Mädchen, etwas eckig und hoch aufgeschossen, die ihrer beginnenden jungfräulichen Würde vergessend, sich in maßloser Fröhlichkeit mit dem Wildfang auf dem Rasen tummelte: das ganze Bild von herzlicher Eintracht und fröhlichem Genügen machte Herrn Bauer doch etwas nachdenklich, als er Abends einsam seinem Hotel garni zuschritt.

»Muß am Ende doch an's Heirathen denken,« begann er sein lautloses Selbstgespräch. »Die Hermine gefiele mir noch am besten; wüßt' ich nur was der Alte herausgibt! Aber da ist am Ende viel Eleganz und nichts dahinter. Bei des Bankiers Töchtern ginge ich sicher, was das Geld betrifft; aber verwöhnte Dinger, wollen alle Reisen mitmachen, eine eigene Theaterloge. Danke schön, meine Frau soll einmal hübsch zu Hause bleiben und für ein gutes Souper sorgen, bis ich heim komme. Die Anna gegenüber, das wäre so eine Sorte, aber in einem Salon läßt sich die nicht präsentiren.«

Er kam zu keinem Abschluß mit seinen Beratungen, und langweilig ist sein Diner eben doch, er mochte sich's eingestehen oder nicht: langweilig am Morgen, wo er die Chokolade, die ihm längst entleidet ist, bald mit Kaffee, bald mit Thee vertauscht, die seinem Magen nicht zusagen, wo er den Haufen Zeitungen, die er durchgeblättert, jedesmal mit dem Stoßseufzer bei Seite legt: Geschieht auch gar nichts in der Welt! ist nicht der Mühe werth! Langweilig ist's am Mittag, wo er an der Table d'Hote sitzt und nicht weiß, was ihm mehr zuwider ist, die stehenden Gesichter der Stammgäste oder die neuen der Fremden, die ihn mit Fragen ennuyiren; langweilig bis zum Abend, wo er mit verhaltenem Gähnen im Theater sitzt und sich besinnt, was noch langweiliger sei, gleich heimzugehen oder in eine Restauration, die er längst auswendig weiß.

In Familien geht er auch nicht mehr gern; er ist immer besorgt, daß man auf so eine gute Partie, wie er eine ist, Jagd mache, und er ist sehr wählig, der Herr Bauer. Es wäre doch einfältig, wenn er jetzt weniger Ansprüche machen wollte als in seinen unerfahrenen jungen Tagen! Und so ist es gekommen, daß Herr Bauer sein Diner allein beschlossen hat, so langweilig es ihm auch geworden.«


Sei es uns nun noch vergönnt, ihn auch beim Souper zu belauschen. Er speist längst nicht mehr im Hotel, die Küche dort sagt seinem Magen nicht mehr zu, und seine Uebelhörigkeit macht ihm die Unterhaltung unzugänglich. Das Magenübel hat sich, allen europäischen Bädern zum Trotz, hartnäckig festgesetzt, auch stellt sich das Podagra mit großer Zudringlichkeit ein. So war's am besten, eine eigene Wirthschaft zu gründen und eine Haushälterin zu nehmen, obgleich Herr Bauer die letztere für das größte aller Uebel erklärt, die ihm in seiner prüfungsreichen Laufbahn zugestoßen.

Herr Bauer bewohnt ein sehr hübsches Quartier; der Boden seines Wohnzimmers ist mit Teppichen belegt, Sopha und Sessel von rothem Plüsch, goldgerahmte Spiegel und gestickte Vorhänge; aber bei dem allem fehlt doch eine freundliche Hand; es sieht immer aus wie entlehnt. Ihm selbst scheint es so vorzukommen, als er im elegantesten Schlafrock mit türkischem Muster und gestickten Pantoffeln sich auf dem Sopha ausstreckt, während die Haushälterin, eine stattliche wohlgenährte Frau mit etwas rother Nase, den Kaffee servirt. – »Warum den Kaffee schon gemacht?« fragt Herr Bauer ärgerlich, »da verliert er vom Arom.« – »Bitte um Verzeihung, er ist diesen Augenblick angegossen worden; der Herr Obersteuerrath haben gestern gesagt, der Alkoholdunst werde Ihnen unerträglich,« schreit mit gellender Stimme die Haushälterin, die allerdings das erste Täßchen für sich abgegossen hat. – »Der Kaffee schmeckt nicht mehr ganz fein,« brummt er, »muß nicht von der rechten Sorte sein!« – »Nur zu gut für dich, du alter Brummer,« sagt Frau Braun für sich und gellt dann wieder: »Bitt' um Verzeihung, feinster Mokka, das Pfund zu einem Gulden; er hat aufgeschlagen. Aber wissen der Herr Obersteuerrath, wenn man eben alt wird, da nimmt der Geschmack ab …« – »Halten Sie's Maul!« schnauzt sehr unceremoniös der Gebieter, der Anspielungen auf sein Alter nicht liebt. Die beleidigte Frau Braun zieht sich zurück und rächt sich durch lange Monologe für ihre schreiende Höflichkeit, während Herr Bauer seinen leidenden Fuß, nach dem heut noch niemand gefragt hat, ächzend hin und her wendet. »Der Divan ist nicht recht bequem, muß es mit einer Chaise longue versuchen! – Was ist draußen wieder los?«

Und mit innerer Pein hört er draußen mehrere Stimmen, dazwischen die der Haushälterin, auf- und abgehende Schritte; sein übles Gehör spannt ihn bei einem quälenden Mißtrauen beständig auf die Folter, die Klingel hat er nicht zur Hand und aufstehen kann er nicht. Endlich gelingt es ihm, sich hörbar zu machen, die Frau Braun erscheint unter der Thüre ganz unbefangen, und er hatte das schwärzeste Complott vermuthet. »Wer Gukuks war denn alles draußen? warum sagt man mir nichts, als wär' ich ein todter Hund?« – »So? das ist mein Dank,« schreit Frau Braun, »daß ich alle Unruhe von Ihnen abhalte? Und wie haben Sie mich gestern angefahren, daß ich so viel Bettelvolk hereinlasse!« – »Ja, wer war's denn?« – »Ein Zettel von der Frau von Mauer um Beiträge zu Brod für arme Filialschulkinder.« – »Ewiges Gebettel!« knurrt er, seinen Beitrag unterschreibend. – »Der junge Maler von drüben mit einem Porträt,« referirt Frau Braun weiter. – »Habe genug solch Zeug!« – »Die Frau Base Münter.« – »Warum haben Sie die nicht hereingeführt?« – »Je nun,« meint die Haushälterin, »der Herr Obersteuerrath sind doch gerade kein Freund vom Ausleihen, und was anders wird die Frau Base doch nicht wollen.« – »Das können Sie nicht wissen,« sagt Bauer, der die sanfte verständige Frau nicht übel leiden konnte. – »Nun, um etwas anderes kommt man zu keinem ledigen Vetter!« schreit Frau Braun wieder; »oder wollte sie sehen, ob der Herr Vetter noch bei Kräften sei; sie soll neulich des Notars Schwägerin gefragt haben, ob denn der Herr Vetter noch an kein Testament denke.« Frau Braun wußte wohl, daß sie mit diesem Bericht der Cousine einen lebenslänglichen Stoß beim Herrn Vetter versetzt hatte.

Die alte, oft vertagte Frage: sollt' ich nicht noch heirathen? tauchte abermals in Herrn Bauer auf, als er wieder allein in seinem Zimmer die Zeitungen ungeduldig zurückstieß, und abermals ließ er seine weiblichen Bekannten die Revue passiren. Die glänzende Hermine war noch frei; er schüttelte den Kopf: »Bah, eine alte Kokette!« Die Bankierstöchter waren längst vermählt, von seinen neuen Bekannten schien ihm keine aufopferungsfähig genug zu dem hohen Posten seiner Frau; die Anna, sein stilles Vis a Vis von ehemals, die wäre vielleicht noch zu haben; aber wo? Es blieb ihm nichts übrig, als den Wiedereintritt der Frau Braun abzuwarten und diese zu befragen. »Wissen Sie nicht,« begann er gleichgültig, »wo die verwittwete Dokterin Winter hingekommen ist? Sie wohnte in der breiten Straße.« – »Doktor Winterin?« sagte sich besinnend die überall bekannte Haushälterin mit einem scharfen Seitenblick auf ihren Herrn. – »Sie hatte eine einzige Tochter,« sagte er noch gleichgültiger. So! da sitzt's! dachte Frau Braun und begann geläufig: »Ja die Doktorin ist gestorben; weiß wohl, war ein hochmüthiges Ding, die Alte, und erst nichts da; die Fräulein Tochter ist jetzt Hausjungfer,« – das letzte Wort scharf betonend; – »wenn der Herr Obersteuerrath wünschen, kann ich schon erfahren wo?« – »Ist nicht nöthig,« meinte dieser mürrisch. – »Hausjungfer!« überlegte er bei sich; »da wär's freilich ein gutes Werk, aber das wäre ein Triumph für Geheimeraths; nein, nein, unmöglich!«

Eine frische muntere Stimme fragte draußen: »Der Herr Obersteuerrath daheim?« – »Ja, ja,« rief dieser etwas erheitert; er hatte für seinen alten Collegen Müller stets eine gewisse Zuneigung bewahrt. – »Guten Morgen, lieber Herr Collega, guten Morgen, wie gehts?« rief der heitere alte Mann. »Man sieht Sie ja gar nicht mehr, seit Sie pensionirt sind. Wie kommt's, daß Sie sich so ganz zurückziehen? ein Mann in den besten Jahren!« – »Ja, sehen Sie, das Ausgehen wird mir schwer und in den Gasthof gehe ich nicht gern.« – »Weiß schon,« schrie Müller, auf sein Ohr beutend, »bin im selben Spital krank. Nun, ich habe Lärmtrompeten genug, wenn ich zu meinen Enkeln komme. Da geht's Ihnen her, daß es eine Lust ist! Ist, glaub' ich, oft gut, wenn man ein bischen taub ist und nicht all den Lärm hört; da geh ich gern wieder in mein Stübchen, wo's fein still ist. Meine Frau versteht mein Ohr so; ich höre sie, wenn sie gar nicht laut spricht.« Herr Bauer seufzte; seine Haushälterin schrie wie eine Posaune, wenn sie ihn ärgern wollte, und sprach leise nur ihm zur Qual.

»Ich habe Sie lange nicht gesehen, Herr Collega,« fuhr Bauer fort. – »Weiß wohl, ich konnte in letzter Zeit gar nicht fertig werden vor Festivitäten: Kindtaufe bei meiner Mathilde, meiner Sophie Aeltester confirmirt, und am Sonntag wurde mein Otto als Pfarrer investirt, der Krauskopf, wissen Sie, der damals den Preis gewonnen. Hätte kein Mensch geglaubt, daß der Wildfang einen solchen Pfarrer gäbe; den sollten Sie predigen hören!« Des alten Mannes Augen glänzten in Freudenthränen. – »Sind alle Ihre Töchter verheirathet!« – »Alle just nicht,« sagte entschuldigend Herr Müller. »Sie wissen, wir sind eben nicht reich, aber recht glücklich sind sie, die Marie und die Bertha; Nanette, unsere Wilde, ist schon lang zahm worden und pflegt mich und meine Frau; wir könnten sie nicht entbehren. Der Georg, der in Amerika ist, möchte sie schon lange gern drüben haben; dem geht's gut, Herr Collega, der schiert sein Schäflein! Ist freilich hart, ein Kind über's Meer zu lassen; aber den Jubel sollten Sie sehen, wenn ein Brief kommt! Meine Frau thuts nicht anders, da müssen Kinder und Enkel auf den Platz, so viel Füße haben, und der kleine Georg, der Marie Aeltester, muß ihn vorlesen; der kann's, und einen Kaffee macht meine Wilde aus dem ff.«

Herr Bauer hörte schweigsam zu, wie der alte Mann sich in sein Familienglück vertiefte; was sollte er ihm dagegen erzählen? von seinem Podagra und seinem Magen, seiner Haushälterin und seinen Aergernissen? Seine Schweigsamkeit fiel endlich dem redseligen alten Mann auf, er empfahl sich und ging heim in sein warmes Stübchen, wo freundliche Augen und treue Herzen auf ihn warteten.

Sollen wir Herrn Bauer noch länger Gesellschaft leisten, bei seinem Mittagsmahl, dessen Anordnung er eben so ungern selbst übernimmt, als er sie der Haushälterin überläßt, auf seiner Nachmittagsspazierfahrt, die er zu seiner eigenen Desperation verlängert, weil er nicht weiß, wohin er nachher gehen soll und von der er doch noch dermaßen zu früh heimkommt, daß er Frau Braun in einer improvisirten Kaffeevisite stört? Sollen wir ihn begleiten in Gesellschaft, wo er sich noch einigermaßen bemüht, den Galanten zu spielen, wo er sein Alter und seinen kranken Fuß sorgsam zu verbergen sucht und beständig fürchtet, von jungen Damen verhöhnt, von ältern erobert, oder von andern für wohlthätige Zwecke angebettelt zu werden; in den Club, wo er froh sein muß, wenn ihm ein gefälliger Nachbar ein paar Tageslügen in die Ohren schreit; in's Theater, wo er aus Langeweile schläft, zurück in seine freudlose Heimath, wo keine Seele auf seinen Tritt lauscht, außer Frau Braun, um schnell die Spuren ihrer Privatmahlzeit wegzuräumen, wo die goldgerahmten Spiegel und Plüschmeubles ein frostiges, unerquickliches Ansehen haben, bis zu seinem Abendessen, bei dem der Fisch zu kalt, die Sauce zu dünn, die Crême zu warm ist, bis er im Verdruß den Teller von sich stößt? – Ich glaube, wir würden uns an den Details nicht sehr ergötzen und am Ende mit Herrn Bauer ausrufen: »Ein miserables Souper!«



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