Johann Karl Wezel
Lebensgeschichte Tobias Knauts
Johann Karl Wezel

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30.

»Ha, ha, ha, ha, ha, ha,« – so trat der Herr Hauptmann V++ mit lautem Gelächter zum Tore herein, nachdem er eine kleine Weile über die Erscheinung gestutzt hatte.

»Ha, ha, ha, ha«, rief er, »seid ihr auf dem Schlamme zu Schiffe gegangen? ha, ha, ha, einen Staubmantel über die Arcadienne gezogen! ha, ha, ha – « etc. etc. etc.

Mitten unter diesen Konvilsionen des Gehirns und der Lunge wurde er die Trümmern seiner Kutsche gewahr. »Was?« schrie er mit der wildesten Miene und fluchte in so originalen Ausdrücken, daß meine Kopie davon nicht die Hälfte der Wirkung tun würde – »Was? – Mein Wagen ist zerbrochen! Wo ist der Kutscher? – Die Pferde haben doch keinen Schaden genommen? – Wo ist der –? Ich will ihn zerschlagen, daß kein Gebein am ganzen Leibe davonkommen soll.«

Auf diesen Lärm kam Selmann mit zitternder Besorgnis für das Leben des Postillions herzugeeilt, um durch seine Vorbitte wenigstens etwas von dem armen Unschuldigen zu retten. Mittlerweile war auch der Delinquent herbeigekrochen, hatte von hinten zu den Rockzipfel mit der einen Hand und mit der andern die Hand seines wütenden Herrn erwischt und küßte beides in der demütigsten Stellung, ohne ein Wort zu sagen, welches, dem Herkommen gemäß, das einzige Mittel war, ungestraft jeden Fehler begangen zu haben. Zum Zeichen, daß seine Reue für gültig erkannt wurde oder vielmehr damit der strafenden Gerechtigkeit von der Güte und Nachsicht nicht alles vergeben würde, bekam er zween leichte Hiebe mit dem spanischen Rohre auf den alten Rücken und mit einem »Geh zum T..., du alte B..!« seine völlige Absolution.

Hierauf umarmte der Hauptmann den Wirt, so beruhigt, als wenn er niemals gezürnt hätte, bat um Vergebung wegen des Getöses, das zur Aufrechthaltung seines Ansehns unvermeidlich gewesen wäre, und tat verschiedene andre Sachen, die jedermann ohne mein Zutun sich selbst denken kann.

Sie gingen in ein Zimmer. Der Hauptmann perorierte, und Selmann war durch den Anblick der vorher erzählten Wut und der so geschwind erfolgten Beruhigung mit seinen Gedanken auf den Weg einer psychologischen Spekulation geraten, welchem er stillschweigend nachging und deswegen nur halbgegenwärtig auf Fragen antwortete und verneinende oder bejahende Sätze meistens ohne Beifall und Widerspruch vor dem Ohre vorübergehn ließ.

»Es ist heute warm wie in der Hölle«, sagte der Hauptmann, als er über die Schwelle ins Zimmer schritt, und keuchte dazu.

»Ja, sehr warm!« antwortete Selmann mit träumenden Tone. »Die Felder müssen verschmachten. Das wird eine schöne Ernte werden!«

»– – – – – – – Vor dem Jahre ersoff alles, und dies Jahr verbrennt's.«

»Leicht möglich!«

»Da kann unser Gesindel wieder betteln gehn.«

»– – – – – – – – – – – – – – – –«

»Wie geht's bei Ihnen? Sind Sie glücklich dies Jahr?«

»Sehr! Noch gestern bin ich so glücklich gewesen, einen jungen Menschen zu finden, der mir die größten Erwartungen gibt. Ein Mensch, der ganz original ist vom Kopfe bis auf die Füße.«

Der Hauptmann stutzte. Selmann klingelte. Ein Bedienter trat herein und erhielt Befehl, unsern Tobias zu rufen.

»Ach«, rief jener, als er ihn erblickte, »das ist ja der Vogel, den ich aus meinem Hause habe fliegen lassen. – Bist du hier Flügelmann unter der Leibgarde?«

»Essen und Trinken ist genug da«, sagte Tobias trocken und ging zur Türe hinaus.

Sein Patron sahe ihm mit einem gefälligen Lächeln nach, und der Hauptmann nahm eine Prise.

So ernsthaft kann keine spanische Friedensunterhandlung sein als ein Gespräch zwischen zween Leuten, worunter einer denkt und der andre nicht denken kann. Der Hauptmann, dessen lustige Laune sonst die einzige im Lande und vielleicht auch die einzige in Europa war, redte itzt mit einer so trocknen Ernsthaftigkeit als ein Chineser. Außerdem hatte ihn auch das Vorurteil zum Besten, das alle Söhne Adams von Morgen bis zum Abend zur Kurzweile gebraucht. Der Ton der Unterhaltung wird von dem Vorurteile nach der ersten Vorstellung gestimmt, die sich ein Mensch von dem andern gemacht hat. Wer zum ersten Male mit einer ernsthaften, denkenden Larve erschienen ist, über dessen Einfälle lacht schwerlich jemand, und wenn er sie in einem Polichinellskleide hersagte. Hingegen wer sich gleich zu Anfange der Bekanntschaft in einer Harlekinskrause gezeigt hat, über den lacht jedermann – ich glaube, wenn er gleich Basedows »Sittenlehre für alle Stände« hersagte. Das sonderbarste ist, daß in beiden Fällen die Sache ganz mechanisch ohne Vorsatz und Willen zugeht und daß selbst, wenn wir bei näherer Bekanntschaft den Ton umstimmen müssen, noch immer ein kleiner mechanischer Widerhall von dem ersten sich dazwischendrängt.

Der Hauptmann hatte Selmannen das erstemal in seiner größten spekulativen Laune gesehn; und nun, wenn dieser gleich die heftigste Anwandlung von Witz und muntrer Laune hatte, konnte der H. Hauptmann, sooft er ihn sahe, seinen Mund zu nichts weiter als höchstens zu einem ernsthaften Lächeln bringen, hätte er gleich mit einem lauten Gelächter alle seine Gläubiger bezahlen können: Es war umsonst; die Muskeln fielen von selbst in die Miene einer Nonne, die Profeß tut.

Ihr lieben Mitbrüder, das heißt, ihr lieben Musensöhne! – Die erste Vorstellung, die man andern von sich gibt –! Sapienti sat.

Bei der gegenwärtigen Unterredung, wo freilich Selmann so trocken war, daß sein Gesellschafter seine Laune nicht sehr an ihm schärfen konnte, suchte dieser seinen Witz am Fenster, an der Stubentüre und fand ihn nirgends; das Gespräch glimmte – und glimmte und – erlosch endlich gar.

Wie war es aber anders möglich? Selmann lief die psychologischen Systeme durch und der Hauptmann alle Pferdeställe und Scheunen der ganzen umliegenden Gegend. Zween Leute, die auf so verschiednen Wegen, einer zum Nordpole, der andre nach Süden reist, können unmöglich in einem Wirtshause unterwegs zusammenkommen.

Wie gesagt, die Unterredung erlosch, und zwar am Fenster.


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