Johann Karl Wezel
Lebensgeschichte Tobias Knauts
Johann Karl Wezel

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12.

Rund herausgesagt, es war Fräulein Kunigunde und Fräulein Adelheid, zwo Cousinen, die bei dem Vater der erstern, dem Herrn Hauptmann von V++, auf dem nächstgelegnen Rittersitze lebten, zu welchem auch der Teich gehörte, der itzo ihre und Tobias' Schamhaftigkeit in Sicherheit setzte.

Nur eben ein paar Pinselstriche will ich an ihrem Charakter tun, gerade so viele, als nötig sind, um sie meinen Lesern von andern weiblichen Geschöpfen unterscheiden zu helfen. Es waren ein Paar allerliebste, zuckersüße, ätherische Seelchen, so fein wie der Hauch eines Zephirs, so schmachtend sanft, so ganz Geist, daß wir übrige Sterbliche nur ein Klumpen unbeseelter Materie gegen sie scheinen müssen, und so empfindlich wie ein Espenblatt. Sie hatten aus dem Kerne aller ältern und neuern Romane und aus den zierlichen französischen und deutschen Kinderliederchen auf den Amor, auf alle Rosen in und außer Deutschland und andre dergleichen empfindungsreiche Gegenstände, zur Nahrung ihres Geistes die Essenz herausgezogen und diese Nahrung so sehr in ihre Substanz verwandelt, daß ihr ganzer Geist nichts als ein anakreontisches Liedchen und ihr ganzes Leben ein Roman war. Wäre ihr Körper von einem so überirdisch subtilisierten Stoffe gewesen wie ihre Seelen, so hätten sie auf einem Sonnenstrahle so gut wie Miltons Engel tanzen können; aber so hatte entweder die Natur in die unrechte Büchse gegriffen, als sie für diese zween Körper Seelen suchen wollte, oder es war wirklich eine weise Vorsicht, daß sie zwo so volatile Geister in die standhaftesten Leiber steckte – vermutlich, damit sie nicht ganz verdunsten sollten –, oder sie hatte endlich beide Seelen aus der nämlichen Masse zubereitet, aus welcher sie die übrigen alle gebildet hat, ohne bei ihrer Zubereitung weiter eine Absicht zu haben, als daß es gute ehrliche Menschenseelen werden sollten, und nachmals waren sie durch Romanenluft und die anakreontischen säuselnden Weste in einem so hohen Grade verfeinert worden, wie die Geister, die Virgil im Tartarus an der Sonne distillieren läßt; genug, was für eine Ursache es auch unter diesen und den übrigen möglichen sein mochte, ihre Körper waren so materiell, als ihre Seelen geistig waren; denn die eine hielt in der Länge siebzig völlige Zoll rheinländisches Maß, und die andre war nur um neun Linien unter ihr, und die größte Breite – die hat noch niemand aufgenommen.

An dem Tage, da sie zuerst durch ihr Geschrei in Tobias' und meiner Leser Bekanntschaft gerieten und der, wie hoffentlich jedermann noch wissen wird, ein Festtag war, hatten sie sich des Morgens vom Hause aufgemacht, um dem Herkommen gemäß sich zwei Stunden lang in die Kirche zu setzen. Allein die Begriffe des Herrn Seelsorgers waren für diese empfindsamen Seelen viel zu theologisch kraß und sein Vortrag viel zu kanzelmäßig trocken, als daß der Aufenthalt in der Kirche für sie unter den unvermeidlichen Übeln nicht den ersten Platz und jede Unterhaltung mit sich selbst nicht einen ungleich höhern Reiz hätte haben sollen. Auch waren sie nicht darum zu verdenken; denn der Mann hatte so wenig Empfindsamkeit des Herzens, daß er zu verschiedenen Malen, obgleich mit vieler Sanftmut und Anständigkeit, wider diejenigen deklamierte, die das kleine Maß vom Verstande, das ihnen der Himmel zugeteilt hätte, ganz aus dem Kopfe herauswürfen und dafür unnütze und imaginarische Ideen hineinfüllten, die weder zum wahren vernünftigen Vergnügen noch zu irgendeiner Art von Glückseligkeit etwas beitrügen, die lieber auf eine eigne Weise närrisch, als wie andre Menschenkinder klug sein wollten – und dergleichen wunderliche, höchst unempfindsame Sachen mehr. Um ihn für eine so unleidliche Aufführung zu bestrafen, blieben sie die meisten Sonntage des Jahres aus der Kirche, wenn nicht etwa fremde Gesellschaft sie des Anstands wegen nötigte, eine Partie mit dahin zu machen; und allzeit, wenn dieser letzte Fall sich nicht eräugnete oder nicht andre Hindernisse vorfielen, besuchten sie eine Lindenlaube auf dem Teichdamme, wo wir sie itzt gefunden haben, die völlig nach ihrem Geschmacke und nach ihrer Angabe gebaut war. Ihre Figur sollte einen Zephir mit ausgebreiteten Flügeln vorstellen, der sich mit dem Kopfe ein wenig bückt, um Tulpen, Lilien und andre Frühlings- und Sommerblumen zu küssen, die ausdrücklich zu seinen Diensten auf einem davorliegenden Beete die ganze schöne Jahrszeit hindurch unterhalten wurden. Zwischen den Beinen sollte er einen Buttervogel von Rasen haben, worauf er ritte, und an dessen Kopfe eine Treppe angebracht sein, um darauf zu dem Eingange an dem Unterleibe des Zephirs hinanzusteigen, wo das eigentliche Corps de logis war. Über der Wölbung des Einganges in den Unterleib und also an der Brust des verliebten Zephirs war diese Inschrift mit blauen Buchstaben auf chamoisfarbnen Grund eingeschnitten:

Könnt ich in Tau zerfließen,
Auf dich wollt ich mich gießen,
            O süße Lilie du!
Könnt ich mich niederbücken,
Dich wollt ich zärtlich drücken,
            O sanfte Rose du!

Die ganze Idee war sinnreich, ihrer Urheberin völlig würdig, neu und erforderte gewiß eine Meisterhand, um mit Lindenbäumen glücklich ins Werk gesetzt zu werden. Unglücklicherweise mußte in Ermangelung eines größern Meisters die ganze Ausführung dem herrschaftlichen Lustgärtner, dem lahmen Andreas, anvertrauet werden, der als ein blessierter Soldat, weil er ein Untertan und doch nicht ohne Schaden besser zu versorgen war, in dem hochadeligen Lust- und Ziergarten unter andern ähnlichen Gärtnerdiensten jahraus, jahrein Petersilie und Rosmarin unterhalten mußte, wovon der gnädige Herr ein übermäßiger Liebhaber war. Der ehrliche Mann konnte zur Not Bäume, aber keine Zephir pflanzen, hatte in seinem Leben keine gesehn und auch nicht Einbildungskraft genug, um sich nach den Vignetten in ∞'s und andren Gedichten eine so begeisterte, lebhafte Vorstellung davon zu machen wie seine gnädigen Fräulein. Indessen brachte ihm sein Gedächtnis die Titelleiste zum »Gehörnten Siegfried« zurück, der in den letzten Winterquartieren für ihn ein ungemeiner Zeitvertreib gewesen war; er pflanzte frisch seine Bäume und schnitt, als sie buschicht genug waren, getrost mit der großen Gartenschere den gehörnten Siegfried daraus: einen Kopf mit zwei langen, stattlichen Ohren, und zwischen die Beine gab er ihm sein Wunderpferd, aus Rasen gebildet. Obgleich ein unparteiischer, ununterrichteter Beurteiler weder den gehörnten Heiden noch den galanten Zephir würde erkannt haben, so waren doch beide, Erfinderinnen und Arbeiter, über dies wunderseltsame Werk entzückt, und keins stund einen Augenblick an, das darinne zu finden, was es nach seiner Absicht sein sollte, einige kleine Bedenklichkeiten ausgenommen, die den erstern wegen des gänzlichen Mangels der Arme und einiger kleinen Versehen wider die Regeln der Proportion aufstiegen.

In dieser Götterlaube, dem Monumente ihres Witzes – und ihres Geschmacks, saßen sie schon, ehe noch Tobias sich von einem Badeorte etwas träumen ließ, und saßen noch da, als er in den Teich stieg. Zwar waren sie wirklich aus zufälliger Entschließung, wie schon oben gesagt worden ist, vom Hause weggefahren, und zwar in dem festen Vorsatze, den Weg in die Kirche, der eine starke halbe Stunde betrug, einmal daran zu wagen; doch kaum hatten sie den dritten Teil davon zurückgelegt, als ihnen die Hitze beschwerlich wurde und einen sehr heftigen Brodem in der Kirche besorgen ließ, der für ihre empfindlichen Maschinen tödlich gewesen wäre. Sie kehrten also um, schickten die Kutsche nach Hause, gingen in ihre Laube etc. etc. Kaum waren sie hereingetreten, und siehe da! – ein toter Schmetterling lag auf dem Boden. Dieser bewegliche Anblick setzte alle Nerven ihres Körpers in eine so heftige Bebung, daß sie ihm entfliehen mußten, wenn nicht eine darunter durch die Erschütterung zersprengt werden sollte. Sie setzten sich also vor dem Eingange nieder und seufzten da ihre witzig-empfindsamen Gedanken einander zu.


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