Johann Carl Wezel
Belphegor
Johann Carl Wezel

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Zehntes Buch

Das Feuer war bald gedämpft, und die beiden Unterredenden kehrten beruhigt zu ihrem Gespräche wieder zurück. Belphegor nannte kein Gebrechen in dieser Welt, wofür sein Gesellschafter nicht ein Recept wußte: er wußte eins für die Unordnung der Finanzen in Deutschland, Frankreich und andern Ländern; er konnte habsüchtige Minister kuriren, er wollte müßige Regenten von ihrer Liebe zum Vergnügen heilen, er wollte ihnen Kraft und Willen zur Ausübung ihrer Pflichten einpfropfen – ach, was weiß ich, was für trefliche medizinische Geheimnisse er weiter noch in seiner Gewalt hatte? Doch ließ sich seine Kur niemals unter einen Fürsten, einen Minister oder einen ganzen Staatskörper herab und war so ziemlich den Verfassern politischer Systeme gleich, die Fürsten und Königen vorschreiben, was sie thun sollen, um uns zu lehren, was sie nicht thun.Sagt, ich weiß nicht wer. Demungeachtet mußte sich ein Mann wie Belphegor ungemein über so künstliche Spinneweben freuen und brachte manche Nacht schlaflos hin, um ähnliche Gespinste aus seinem Gehirne zu erzeugen. Er erzählte sie seinem neuen Freunde und ließ sich die seinigen erzählen, wodurch ihre gegenseitige Zuneigung täglich fester wurde, wiewohl auch der Fremde noch eine andre Absicht hatte, warum er Belphegors Haus so oft besuchte und mit welcher er gleich anfangs hineingekommen war.

Auch dieses war nichts geringers als ein Projekt, das aber nicht die weitläufige Besserung eines Fürsten oder Staats, sondern die Kur eines Anverwandten betraf, der sich allen Ausschweifungen überließ, ihm, um sie desto freyer zu genießen, entlaufen war und den er darum Schritt vor Schritt betrachten wollte. –

»Wir hatten«, erzählte er eines Tags Belphegorn, »ansehnliche Besitzungen in New Wight: mein Verwandter und ich sollten eine Erbschaft heben, auf die wir längst gewartet hatten; allein der Befehlshaber des Gebiets, der ungerechte Fromal –«

»Fromal?« rief Belphegor erstaunt.

»Ja, er selbst, dieser gewissenlose Mann, verwickelte uns in feingewebte Schwierigkeiten, die uns den Besitz der Erbschaft lange Zeit aufhielten.«

»Fromal! Er that das?«

»Ja, und zwar aus einem Grolle wider den Erblasser und aus Habsucht, ein Stück Landes zu besitzen, welches an einem seiner Gärten stieß, den er dadurch zu erweitern wünschte. Der Verwandte, den wir beerbten, schlug ihm sein Ansuchen darum etliche Mal ab, aus welchen Ursachen, weiß ich nicht; und hätte der ruchlose Fromal ihn nicht gefürchtet, so würde er ohne Bedenken Gewalt gebraucht haben, zu seinem Zwecke zu gelangen; allein da ihm seine eigne Sicherheit dieses widerrieth, so versteckte er sich hinter tausend Kunstgriffe, die ihm aber unser Verwandter glücklich zu vereiteln wußte; doch ließ die Vereitelung einen Groll in ihm zurück, den nichts als unser Verlust versöhnen konnte –«

»Alles dieß that Fromal?«

»Ja, alles that er, der Ungerechte! Er legte uns mannichfaltige Fallstricke, als unser Verwandter starb, wovon jeder eine rechtmäßige Foderung zu seyn schien; die Schwierigkeiten waren unendlich, und wir würden unsre Erbschaft noch nicht gehoben haben, wenn wir uns nicht entschlossen hätten, ihm das Stück Landes zu überlassen, das die Ursache seiner Verfolgung war. Wir mußten unsern Bedrücker liebkosen, ihm ein Geschenk damit machen und noch oben drein allen Schein der Bestechung sorgfältig vermeiden, und in kurzer Zeit waren wir die ruhigen Besitzer unsrer Erbschaft.«

»Alles dieß that Fromal?«

»Er that noch mehr als alles dieß; wir sind nicht die einzigen, zu deren Unterdrückung er seine Gewalt mißbrauchte.« –

»Komm! wir müssen ihn bessern oder strafen! – Er war mein Freund, sein Herz war gut, ich will ihn sprechen, er wird mich hören; schon einen meiner Freunde habe ich von dem Wege der Unterdrückung zurückgebracht, warum nicht auch diesen? – So bald Du in sein Gebiet wieder gehst, so nimm mich mit Dir! Er muß ein gerechter oder kein Befehlshaber seyn.«

»Wenn dieß möglich zu machen wäre, Freund! Ich habe schon über manchem Entwurfe gebrütet, wie man ihn bessern könnte, aber wer will sie ausführen?«

»Ich!« unterbrach ihn Belphegor hitzig.

»Einen schlafenden Löwen mag ich nicht wecken. Die Schuld einer Ungerechtigkeit, die er an uns begangen, liegt auf ihm. Ich werde, so bald ich meinen Anverwandten gewonnen habe, in sein Gebiet zurückkehren und dem Götzen opfern müssen, damit er mich nicht verschlingt: siehe! das ist das Grundgesez des Schwächern. Alles, was man thun kann, ist – Plane entwerfen; aber sie ausführen zu wollen, dafür bewahre der Himmel!«

»Ich will meinen ausführen«, sagte Belphegor, und seitdem war er unaufhörlich mit seiner Reise zu Fromaln und mit seiner Besserung beschäftigt, deren Anfang er so sehnlich wünschte und wovon er so gewiß einen glücklichen Erfolg hofte, daß er mit Ungeduld und oft mit Härte seinen Freund ermahnte, die Abreise zu beschleunigen.

Nachdem dieser seine Geschäfte abgethan, seinen Neffen, dem er ungekannt in alle lüderliche Häuser nachfolgte, wieder gewonnen und von seinen Ausschweifungen abgezogen hatte, so wurde die Fahrt angetreten, und Belphegor erhielt unter der Bedingung die Erlaubniß, der Reisegefährte seines Freundes und sein Hausgenosse zu werden, wenn er sein Projekt, den ungerechten Fromal zu bessern, aufgeben wollte, wenigstens sich es nicht befremden ließ, wenn er, so bald Ungelegenheit von seinem Verfahren zu besorgen stünde, sein Haus und seine Freundschaft meiden müßte. Belphegor versprach alles, vergaß Akanten, seinen Freund Medardus, sein Haus und folgte allein dem Triebe seines warmen, Gerechtigkeit liebenden Herzens.

Sie erreichten die Insel New Wight glücklich; und Belphegors erste Bemühung war, seinen alten Freund zu besuchen. Er glaubte, daß seine Person seinem Vortrage ein großes Gewicht geben werde, und suchte sich darum so gleich zu entdecken, als er sich um den Zutritt zu ihm bewarb. Fromal empfieng ihn mit der lauen Höflichkeit eines Vornehmen, begegnete ihm freundlich, aber nicht freundschaftlich. Belphegor vermißte die ehemalige Wärme der Vertraulichkeit bald und gab sich alle Mühe, ihn zu befeuern: Er lenkte das Gespräch auf die Vorfallenheiten seines Befehlshaberamtes, und sein Freund wurde noch zurückhaltender. Er kam auf die Begebenheit des Mannes, der ihn mit sich gebracht hatte, ließ etliche hingeworfne Worte verrathen, daß er von der Sache wohl unterrichtet war und sie als eine Ungerechtigkeit verabscheute. Er erzählte ihm die Geschichte davon unter veränderten Namen und mit starken, lebhaften Ausdrücken der Mißbilligung. Fromal schien dabey zu empfinden: er machte die gewöhnlichen Geberden eines Menschen, der sich getroffen fühlt, und eben als Belphegor die Moral zu seiner Erzählung hinzusetzen wollte, brach er ab und entschuldigte sich mit dringenden Geschäften, daß er sich von ihm beurlaubte. Sein Gesezprediger war zwar mit dieser Entwickelung des Gesprächs nicht sonderlich zufrieden, doch hoffte er einen glücklichen Ausgang seines Vorhabens, weil sein Freund noch Gefühl hatte.

Er wiederholte seinen Besuch zum zweyten, zum dritten und mehrmalen; allemal wurde es mit der größten Höflichkeit beklagt, daß unaussezbare Geschäfte die Annehmung seines Zuspruchs nicht verstatteten, und wenn der gute Mann von der Vortreflichkeit seines Unternehmens nicht zu sehr geblendet gewesen wäre, so hätte er leicht darauf verfallen können, daß man jemanden oft abweist, um ihn nicht wieder zu sehn. Allein eine so ruhige Bemerkung verstattete ihm die Hitze, womit er seinen Zweck verfolgte, nicht zu machen; er ließ sich getrost abweisen und setzte getrost seine Anfragen fort. Endlich merkte er wohl, daß er mehr Schwierigkeiten bey Fromals Bekehrung fand als bey dem ehrlichen, treuherzigen Medardus und begriff den Bewegungsgrund, der den Befehlshaber gegen eine Unterredung mit ihm abgeneigt machte. Seinen Plan aufzugeben, war für ihn der Tod; er entschloß sich kurz und nahm seine Zuflucht zur Feder. Er schrieb ihm die lebhafteste, angreifendste Vorhaltung seiner Ungerechtigkeiten, bat, beschwor, drohte in schauernden Ausdrücken und verlangte nichts als eine Wiedererstattung aller begangnen Bedrückungen. »Gieb«, schloß er, »gieb den Bedrückten, die Du vor Räubereyen schützen solltest und selbst beraubt hast, gieb ihnen alles wieder, sey künftig gerecht, billig, menschenfreundlich! – und Du bist wieder mein Freund; wo nicht, so soll Dich meine Nachkommenschaft bis in Ewigkeit verfluchen und jeder Tropfen meines Blutes, so lange er noch in einer Ader fließt, um Rache wider Dich schreyen.«

Der Brief that seine Wirkung. Belphegor hatte sehr sorgfältig verhelt, daß er der Urheber von ihm war, und Fromal, der dieß nicht vermuthete, hatte bereits zu viel gelesen, um wieder aufhören zu können, als er den Verfasser desselben errieth. Er las ihn unruhig und zitternd durch, mußte es noch einmal thun und wurde in ein tiefes Nachdenken versenkt, las ihn wieder und sann, konnte nicht essen und nicht schlafen. Die schauerhaften Beschwörungen seines Freundes schlichen unaufhörlich, wie Gespenster, vor seiner Seele vorüber: er wünschte, sich bey dem Manne rechtfertigen zu können, der einen solchen Aufruhr in ihm gemacht hatte, und doch schämte er sich, ihm in die Augen zu sehn. In dieser unruhigen Unentschlossenheit ließ er zween Tage verstreichen, und Belphegor seufzte und trauerte schon, daß ihm sein Zweck so ganz fehl gegangen und sein Freund so verhärtet sey. Mitten in seiner Unzufriedenheit darüber bekam er die Nachricht, daß der Befehlshaber ihn zu sprechen verlange: er gieng nicht, er flog. Ob sich gleich eben so leicht vermuthen ließ, daß seine Vorstellung beleidigt habe und daß man ihn nur rufen laße, um ihn den Unwillen über seine Besserungssucht zu empfinden zu geben, so war doch bey allen schmähenden Deklamationen, die ihm eine gegenwärtige Mishandlung wider den Menschen auspreßte, noch zu viel Rest guter Meynung von der menschlichen Natur aus den ersten Jahren der Einbildungskraft bey ihm übrig, als daß er insbesondre seinen ehmaligen Freund einer gänzlichen Verhärtung fähig halten sollte.


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