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Belphegor war von Schrecken und Erstaunen einige Zeit überwältigt, doch bald kehrte sein Muth und seine Fassung zurück, und er sprang auf, den Tod seines Gefehrten zu rächen; allein er war ohne Waffen, und sein Gegner verwundete ihn mit der nämlichen Wuth, womit er jenen durchbohrt hatte, doch nicht tödtlich. Als Belphegor von dem Stoße niedergestürzt war und in der Ohnmacht von dem Sonniten für todt gehalten wurde, so begab sich dieser hinweg, nachdem er vorher in einem lauten Gebete dem großen Propheten und seinem Nachfolger Abubecker zu Gemüthe führte, was für eine wichtige Verbindlichkeit er ihnen durch die Ermordung dieser beiden Ungläubigen auferlegt und was für einen vorzüglichen Anspruch er sich auf die schönste Huri des Paradieses erworben habe. Sein Religionseifer war gesättigt, und nach einer so verdienstlichen Handlung gieng er an seine Berufsarbeit zurück und plünderte mit seinen Gesellen die Karavane, zu welcher Belphegor gehörte; denn er war ein Räuber vom Handwerke.
Belphegor lag ohne Besonnenheit in seinem Blute und erwachte nur, um seine Entkräftung zu fühlen; er sah sich um, er rief so stark er vermochte; alle menschliche Hülfe war von ihm fern. In einem so trostlosen Zustande war Geduld das einzige Uebrige, ihm die Erschöpfung seiner Lebensgeister zu erleichtern. Er war vor Mattigkeit in einen Schlummer verfallen, aus welchem ihn der Ruf einer Stimme erweckte. Er schlug die Augen auf und wurde einen Mann gewahr, der ihn arabisch anredete. So wenig er auch von der Sprache wußte, so konnte er doch seine Begebenheit und sein Verlangen nach Hülfe darinne ausdrücken. Der Araber machte sogleich die großmüthige Anstalt, ihn fortzuschaffen, und ließ ihn auf ein Kameel laden, das er kurz vorher nebst etlichen andern einer reisenden Karavane abgenommen hatte, wobey er seinen Leuten den Befehl gab, den Verwundeten in sein Schloß zu bringen und bis zu seiner Ankunft gehörig zu pflegen. Der Mitleidige war, wie man leicht merkt, gleichfalls ein Räuber von Profession, kam in einigen Wochen auf sein Schloß zurück und fand Belphegorn von seinen Wunden geheilt. Er war so edelmüthig, jeden Dank von sich abzulehnen, und bot ihm Wohnung und Tafel auf so lange Zeit an, als ihm beliebte. Belphegor wurde von Dankbarkeit über eine solche Begegnung um so viel lebhafter gerührt, weil die üble Behandlung, die er bisher von den Menschen in verschiedenen Welttheilen erdulden mußte, das menschliche Geschlecht in seinen Augen so erniedrigt hatte, daß er eine solche Denkungsart von einem Mitgliede desselben gar nicht mehr erwartete. Der Räuber schenkte ihm eins von den schönen Kleidern, die er mit seiner lezten Beute erobert hatte, gab ihm verschiedene andre Kostbarkeiten und ließ ihm nicht die mindeste Bequemlichkeit mangeln.
Belphegor wurde durch diesen freygebigen Räuber mit dem Menschen um vieles wieder ausgesöhnt; nur blieb es ihm ein unauflösliches Räzel, das oft sein Nachsinnen beschäftigte, wie man so vortreflich und so schlecht zu gleicher Zeit handeln, zu gleicher Zeit so gutdenkend und ein Räuber seyn könne. Da er keine befriedigende Erklärung dieses Phänomens zu finden im Stande war, so wandte er sich an seinen Wohlthäter selbst und legte ihm die große Frage vor, deren Beantwortung ihm so schwer fiel. Der Araber war ungemein erstaunt, daß er so fragen konnte, und versicherte, daß er nicht begreife, warum jene beiden Dinge nicht beysammen seyn sollten, da das eine sowohl wie das andre eine gute, wohlanständige Sache wäre. – »Gastfrey«, sagte er, »sind meine Voreltern vom Anfange her gewesen: der Mensch war in ihren Mauren ihr geheiligter, unverletzlicher Freund und außer denselben jederzeit ihr Feind. Der weise Allah theilte seine Güter unter seine Kinder aus; wer keine Portion davon bekam, muß sie sich verschaffen oder darben. Ich wage mein Leben, um eine zu erhalten: mein Gegner wage das seinige, um seine zu behalten. Wohlan! der Tapferste ist der Besitzer. Der Elende, der Arme, der Kranke, der sich nicht in den Streit mengen und Wohlseyn und Bequemlichkeit erkämpfen kann, muß der Sklave des Mächtigern seyn oder von seinen Wohlthaten leben. Jeder rechtschaffne Araber hätte Dich in sein Haus wie in eine Freystätte aufgenommen, weil Du ihrer bedurftest; Du warst zu elend, mein Sklave zu seyn: ich mußte also dein Wohlthäter werden; und so lange Du in meinem Bezirke wohnst, höre ich nie auf, dies zu seyn: Du bist der Sohn meiner Familie.«
»Aber außer demselben dein Gegner«, unterbrach ihn Belphegor, »den Du plünderst oder zum Sklaven erniedrigst?«
»Nicht anders! Ich und meine Familie sind zu Einem Körper vereinigt: was nicht mit diesem Bande an mich geknüpft wird, ist Feind. Denkt ihr unter euerm Himmel anders?«
»Allerdings! Ungestört genießt jeder den Antheil von Glück, den ihm der Zufall zuwarf: Gesetze und Henker sind seine Wächter.«
»Und Niemand raubt dem andern einen Pfennig? Einer darbt, wenn der andre sich füttert, ohne sich mit seinen Fäusten etwas zu erkämpfen?«
»Nein, wir kämpfen nicht mit Fäusten, sondern leider! mit unserm Verstande – wir betriegen.«
»Betriegen? Elende, feige Kreaturen! der listigste Haufe hat bey Euch also das Obergewicht? – Fi!«
»Der Mächtige, der Große genießt seinen Ueberfluß sorgenlos; denn er ist auf allen Seiten verschanzt: der Arme genießt das Brod seines Schweißes eben so ruhig; Mangel schützt ihn wieder Bevortheilung. Der ganze übrige Haufe ist im Krieg verwickelt, und der Hinterlistigste ist der glücklichste Sieger.«
»Was für jämmerliche Kreaturen ihr seyd! die niederträchtigsten Räuber des Erdbodens! Jede Beute ist bey uns der Preis der Tapferkeit, jede bey euch ein Denkmal einer niedrigen Seele. Trenne mein Haupt sogleich von meinen Schultern, wenn Ein Betrug darinne gebrütet worden ist! Was ich bin, wurde ich durch mich selbst, durch meinen Muth.«
Belphegor war wahrhaftig am Ende seiner Disputirkunst, und der zurückgebliebene Grad von Abneigung gegen den Menschen ließ ihn auch keine sonderliche Mühe nehmen, etwas für die polizierten Räubereyen zu sagen: er schwieg mit einem Seufzer und gab den Grundsätzen des Arabers Recht.
Eine so angenehme Ruhe störte nichts als der Einfall eines benachbarten Räubers in das Schloß, wo sie Belphegor genoß. Dieser Held hatte in Erfahrung gebracht, daß Belphegors Gönner bey dem letzten Meisterstreiche, den er spielte, zwo der herrlichsten cirkaßischen Schönheiten in seine Gewalt bekommen hatte. Ein solcher Preis war es wohl werth, daß man sein Leben einmal daran wagte: die Liebe setzte seiner Tapferkeit den Sporn in die Seite, und er zog mit seiner ganzen Mannschaft aus, jene zwo Nymphen entweder in seine Hände zu bekommen oder sie wenigstens ihrem gegenwärtigen, überglücklichen Besitzer zu entreissen, sollte es auch durch den Tod geschehen müssen. Er rückte an, überraschte seinen Gegner, der sich nicht in der mindesten Bereitschaft befand und sich schon ergeben mußte, ehe er sich zur Wehre stellen konnte. Der Feind begnügte sich, alle Oerter zu durchsuchen, wo er die verlangten Schätze vermuthete, und ward nicht wenig ungehalten, da ihm allenthalben sein Wunsch fehlschlug. Er erhielt zwar die Nachricht, daß der überwundne Herr des Schlosses, den sein Alter über die Begierden der Liebe schon ziemlich hinwegsetzte, die schönen Cirkaßierinnen nach ihrer Erbeutung sogleich in Geld verwandelt habe. Allein da er dies bey seiner jugendlichen Lebhaftigkeit nicht begreifen konnte, so erklärte er es schlechtweg für eine Erdichtung, stellte seine Nachforschung noch etliche Mal an und fand jedesmal nichts. Um aber doch seinen Gang und seine hintergangne Hoffnung bezahlt zu machen, nahm er dem Ueberwundnen seine Sklaven und eine Auswahl von seinen besten Habseligkeiten mit sich hinweg, das Uebrige nebst dem Schlosse steckte er in Brand und war so großmüthig und gab Belphegorn und seinem Wohlthäter, weil er sie beyde zu nichts anzuwenden wußte, die Freyheit und völlige Erlaubniß, alles Glück in der ganzen weiten Welt aufzusuchen.
Sie giengen beyde mit einander fort, und es war schwer zu unterscheiden, welcher von ihnen eigentlich den Verlust erlitten hatte. Sie nahmen ihren Weg nach der Landschaft Diarbek und fanden sie bey ihrem ersten Eintritte mit Empörung und Blute überschwemmt. Kaum hatten sie ein Dorf erreicht, als sie schon mit dem Schwerdte in der Hand auf ihr Gewissen befragt wurden, ob sie sich zu Dubors oder Misnars oder Abimals oder Ahubals oder des Sultans Amurat Parthey hielten. – »Zu derjenigen, die das meiste Recht für sich hat, oder lieber zu keiner«, antwortete Belphegor. »Ich kenne weder Amuraten noch Duborn noch die du mir nennst; es herrsche über Diarbek, wer kann oder will!« – Da ein Türke keine andre als lakonische, positive Antwort annimmt, so wurde die Frage noch einmal und zwar peremtorisch gethan, und um ihn zu einer bestimmten Antwort desto schneller anzutreiben, schwangen die Examinanten ihre Säbel über ihren Köpfen und hielten sich zum Hiebe bereit. Jede entscheidende Antwort konnte ihnen den Tod bringen, und jede Verzögerung brachte ihn gewiß: sie wählten blindlings ihre Parthey und trafen glücklicher Weise diejenige, zu welcher die Fragenden sich bekannten. Diese vortheilhafte Wahl errettete sie vom Untergange: man ließ ihnen die Freyheit, in Diarbek zu existiren, und bekümmerte sich weiter nicht um sie. Bey dem Fortgange ihrer Reise geschah ihnen von Zeit zu Zeit die nämliche Anfrage, und der Zufall, auch zuweilen List, half ihnen jedesmal aus der Gefahr! Um sich ihr aber nicht länger auszusetzen, beschlossen sie, ein Land mit dem ehesten zu verlassen, wo die Neutralität schlechterdings unerlaubt war. An den Gränzen erfuhren sie, daß Misnar alle seine Nebenbuhler besieget, ermordet und sich auf drey Wochen die Herrschaft über Diarbek errungen hatte, nach deren Verlaufe der Sultan Amurat für gut befand, ihn vom Throne heruntertreiben und stranguliren zu lassen, nebst allen denjenigen, die die kurze Gnade seiner Regierung erhoben hatte.