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»Mich beschäftigte die Begebenheit nicht länger, als ich darüber lachte: ich bin dergleichen Wettstreite um die Ehre gewohnt. Das ist der Krieg der Hofhaltungen, der aber nirgends so hitzig geführt wird als an der Hofstatt des Apolls. Jedermann buhlt da um die Gunst des eigensinnigsten Geschöpfes – des öffentlichen Beifalls. – Belphegor! dein gutes, menschenliebendes Herz würde Kapriolen machen, wenn du die Künste, die Kabalen sähest und hörtest, die sich die Leute, jenem wankelmüthigen, leeren Dinge zu Gefallen, spielen, wie sie sich hassen, mit Satire, Pasquillen, Verläumdungen verfolgen, unterdrücken, ihr und andrer Leben verbittern, fast unglücklich machen, um einander ein Bröckchen Beifall abzujagen, dessen Genuß ihnen doch wahrhaftig die Hälfte der erlittnen Unannehmlichkeiten nicht wieder vergütet. Aber keiner unter diesem kriegerischen Dichtervolk hat doch gewiß seit der Schöpfung so weitaussehende Absichten gehabt als Nikanor: der Mann war ein geborner Eroberer; er strebte nach der Universalmonarchie in dem Reiche des Beifalls so stark als Alexander in der politischen. Alle Mädchen, mit welchem ein Dichter nur zu thun hatte, wäre er gleich von der untersten Klasse gewesen, mußte er zu seinen Freundinnen machen; und jeden Poeten, jeden, von dem er nur erfuhr, daß er in seinem Leben zwo Zeilen zusammen gereimt hatte, betrachtete und behandelte er als seinen Nebenbuhler. Ihre Mädchen, Freundinnen und Gönnerinnen waren seine Spione: sie mußten ihm von jedem verfertigten Verse ihrer Liebhaber Nachricht geben, das neue Produkt in Abschrift ausliefern und ihre skandalöse Geschichte zu wissen thun. Aus diesen drey Materialien machte er sein Pulver, und sein Wiz diente ihm zur Kanone. Wenn er die Ueberlegenheit eines Mannes fühlte, so ließ er ihm sein Manuskript wegstehlen und verbrennen oder Stellen heimlich einschieben, die es zum Beifalle schlechterdings unfähig machten; die Buchdrucker führte er deswegen insgesamt an seinem Seile. So bald er die Geringfügigkeit, das Mittelmäßige eines neuen Werkes merkte, so arbeitete er, durch versteckte Wege die Bekanntmachung desselben zu beschleunigen, und gleich darauf erfolgte ein ganzes Packet Schmähschriften, Parodieen, die es so lächerlich machten, daß es niemanden nicht einmal mittelmäßig schien. Alle waren seine Arbeit, und seine Kreaturen mußten sie ausstreuen oder drucken lassen: oft ließ er im Manuskripte Satiren auf Werke herumlaufen, die noch unter der Presse brüteten. Wenn ein neues, gutes Werk ohne sein Vorwissen oder ohne daß seine List es hindern konnte, an das Licht gelangte, so war er der erste, der es unter dem Namen eines schlechten Mannes von übelm Kredite so ausgelassen lobte, daß es einem großen Theile schon dadurch verdächtig und allemal der Eindruck desselben geschwächt wurde. Einmal widerfuhr ihm das Unglück, daß ein muthiger Mann seiner List und seiner Unverschämtheit trozte: er ließ sich mit Fleis sein Manuskript stehlen, indessen daß er an einem entfernten Orte eine andre Abschrift davon drucken ließ, die schon in den Händen des Publikums war und allgemein gelobt wurde, als der betrogne Nikanor noch ruhig über seinen Raub triumphirte. Plözlich erfuhr er, wie man ihn hintergangen hatte; er wütete wie ein Löwe, besonders da er darinne die lächerlichste Hauptrolle spielte und jedermann sich schon auf seine Unkosten belustigte, ehe er es nur vermuthen konnte. Sein Gegner hatte sich zwar versteckt, aber es gelang Nikanorn doch, ihn auszuforschen: nun fieng der drollichste Krieg an. Man focht von beiden Seiten mit den schärfsten Waffen des komischen Witzes; und am Ende hatten sie den Nutzen, daß beide lächerlich gemacht waren. Doch eignete sich Nikanor den Sieg zu, weil er das lezte Pasquill drucken ließ. Durch diesen Krieg sank er in den Augen des Publikums; doch blieb er noch immer der gefürchtete Tirann in dem Reiche des Witzes, dem jeder huldigte und den ersten Rang zugestehn mußte, wenn er den zweiten nach ihm haben wollte. Er unterhielt eine Menge Lobredner, die für ein kleines Lob, das er ihnen aus Gnaden zuweilen zuwarf, sich für seine Verdienste zur Posaune der Fama gebrauchen ließen: wenn sie weiter nichts thun konnten, so mußten sie wenigstens seinen Namen in dem Andenken des Publikums durch die öftre Wiederholung desselben erhalten; und man hat mich versichert, daß er selbst einen Haufen Broschüren unter fremden Namen schrieb, worinne sein eigner werther Name, nebst Citaten aus seinen Schriften, auf allen Seiten zu finden war; auch bestach er die Setzer, daß sie in andrer Werken, wo seiner gedacht wurde, seinen Namen jederzeit mit großen, hervorleuchtenden Lettern drucken mußten. Nach einem sechzigjährigen Leben voll immerwährender Scharmützel und Kämpfe hatte er endlich das Glück errungen, daß er sich einige dreißig Jahre für den Diktator perpetuus in der Republik der schönen Wissenschaften gehalten hatte und nun, da seine komischen Waffen stumpf, sein Arm zur Lanze des Wizes zu matt war, da er nicht mehr morden und würgen konnte, jeder Esel, jeder Hase dem alten, kraftlosen Löwen einen derben Stoß gab, bis endlich nicht einmal auf diese Weise mehr sein Andenken erneuert wurde und den großen Universalmonarchen der Tod im Stillen vor den Kopf schlug.«
»Der Narr!« unterbrach ihn Medardus; »so bin ich doch wahrhaftig bey meinem Kruge Apfelweine neben meinem Weibchen tausendmal glücklicher gewesen als er mit seinem großthuenden Ruhm und will es gewiß auch wieder werden, wenn ich nur erst aus dem barbarischen Lande wieder weg wäre. – Sage mir nur, Brüderchen, wie du in so ein Land hast gehen können?«
»Der Zufall schleuderte mich hin. Ich gieng von Paris nach London auf ein ungewisses Glück aus. Was für einen Lärm, was für Unruhen traf ich dort an! Nicht blos heimlicher, schleichender Haß, nicht Faktionen, die blos in Gesellschaften über den Werth eines Schauspiels sich theilen! oder Dichter, die sich ihren guten Namen mit unblutigen Waffen zerreißen! Nein, öffentlicher, lauter Tumult! Tumult der Großen und des Pöbels! – Ein unbekannter Mann, der seine Niedrigkeit nicht ertragen mochte, schreiben und lesen konnte und unverschämt dreist war, hatte sichs einkommen lassen, eine Schrift auszustreuen, worinne er von Gefahren für die Freiheit, von der Usurpation der Regierung, von Unterdrückung schwazte: ohne Zusammenhang, ohne Gründe machte er alles verdächtig und ermunterte zur Vertheidigung der Freiheit. Sogleich rotteten sich seine Leser zusammen; wer sie oder ihren Autor aufs Gewissen gefragt hätte, worinne ihre Freiheit gekränkt worden wäre, würde keine Antwort darauf erhalten haben; dennoch sezte das einzige Wörtchen 'Freiheit' das ganze Volk in Feuer. Man schlug Pasquille an, man warf Fenster ein, man verfolgte diejenigen, die der Autor verhaßt gemacht hatte, auf allen Gassen, hielt ihre Kutschen an, sie konnten sich beinahe nicht ohne Lebensgefahr sehen lassen, man erdrückte, man zerquetschte sich, rief dem Autor ein Vivat, bis alle Kehlen durstig wurden, und dann zerstreute man sich in die Bierhäuser, um für die Freiheit zu saufen. Dem Manne, der sie losgehezt hatte, kam es wenig auf die Freiheit an, von der er vielleicht selbst keinen Begriff hatte: er wollte sich aus der Dunkelheit reißen, und war ihm der entgegengesezte Weg dienlicher dazu, so schrieb er wider die Freiheit so gut als izt dafür. Doch in England bringt nun einmal der Eifer für die Freiheit empor wie in verschiednen andern Reichen der Eifer für die Unterdrückung: ein jeder, der empor will, wählt sich den Weg, der ihn unter seinem Himmel am nächsten dahin führt; schlachtet, wenn er kann, dort die Großen und hier die Kleinen. Wenn er nur durch ein Wörtchen Leute anlocken kann, sich zu seinem Endzwecke Arme und Beine entzweyzuschlagen und für sein Interesse zu arbeiten, indem er ihnen weis macht, daß sie es für das ihrige thun: wohl ihm alsdann! sein Verlangen ist befriedigt. Die Kunst der Illusion! – das ist die einzige probate Kunst des Erdbodens. In England ist sie leicht und gelang meinem Autor sehr wohl. Der Aufstand vergrößerte sich täglich; Glaser und Glasfabriken wurden mit jedem Tage mehr mit Arbeit versorgt; man illuminirte der Freiheit zu Ehren, man baute ihr Ehrenpforten, man verbrannte, hieng, köpfte die vermeinten Unterdrücker im Bildnisse, man höhnte und schimpfte sie in Schriften, der wilde Haufe gerieth selbst in Uneinigkeit, sie trennten sich in Faktionen, steinigten, prügelten sich wund und lahm, und da ihr Aufhetzer seine Absichten so ziemlich befriedigt, sich bekannt, angesehen und erhoben sah, so zerstreute er ihren Unwillen, besänftigte die Verfechter der Freiheit und bezahlte niemanden seine Versäumniß, seine Wunden und sein verschwärmtes Geld: es blieb wie sonst, und die Freiheit war nichts besser und nichts gekränkter.«
»Wohl einem Volke«, sagte Belphegor, »das für die Freiheit fechten kann! Keine Illusion ist glücklicher als die Illusion der Freiheit, wenn man ihr gleich jährlich etliche hundert Hirnschädel opfern müßte. Mein Blut schwillt in allen Adern empor und zersprengt fast mein Herz vor übereilter, zuströmender Bewegung, wenn ich nur den begeisternden Klang 'Freiheit' tönen höre. Komm! wir kehren zurück nach England: das einzige Land der Erde, wo ich von nun an wohnen will! Die Sonne muß dort erfreulicher wärmen, der Schatten viel erfrischender laben, weil er ein freyes Haupt erquickt. Freunde! wenn mein Leben nur noch in Einem Tropfen Blutes bestünde, gern wollte ich mir selbst die Ader zerschneiden und ihn herauströpfeln lassen, könnte ich durch diesen Tod eine Menge Menschen in die Illusion versetzen, sich für freyer als den Rest der Menschheit zu halten und dadurch glücklicher zu werden. – Meinst du nicht, Freund?« redte er den Medardus an.
»Ja, Brüderchen«, war seine Antwort, »ich dächte selber, daß in einem freyen Lande ein Krug Apfelwein tausendmal schöner schmecken müßte, weil er über eine freye Zunge geht. Aber wenn nicht solche Weiberchen zu haben sind wie meine verstorbne – ey! Schade für die Freiheit!«
Fromal lächelte und fuhr in seiner Erzählung fort. »In London machte ich die Bekanntschaft einer ziemlich reichen Kaufmannswittwe, die wegen einer empfindlichen Beschimpfung, die sie erlitten hatte, den festen Entschluß faßte, ihr Vaterland zu verlassen. Ich bot ihr meine Begleitung und meine Person an; wir heiratheten einander und zogen zusammen in die Türkey, wo sie einen Vetter beerbte. Ich theilte den Genuß ihres Vermögens und dünkte mir glücklich. Das Schicksal kollerte mich aufwärts, izt wieder unterwärts; wer kann sich dem Schicksale widersetzen? das wäre der tollste Krieg. Es mag mich weiter fortschleudern. Seine Hand hat die Elemente sich zu dem Dinge, das ihr Fromal nennt, zusammenballen und aufwachsen lassen, sie wird es schon durch die Welt transportiren, und weis sie es nicht mehr fortzubringen, so wirft sie es wider die Erde, daß es aus einander fällt; und aus den Fragmenten wird der Zufall wieder etwas anders brüten: es geht nichts verloren. – Frisch! munter! meine Freunde! Getrost wollen wir uns von dem Stoße des Schicksales fortrollen lassen, wohin uns auch seine Richtung treibt: wir bleiben immer auf der Erde, finden allenthalben Menschen, allenthalben Krieg in verschiedener Gestalt, allenthalben Kampf, wenn wir uns unter ihr Spiel mischen, und werden vermuthlich ganz wohl davon kommen, wenn wir stillschweigend neben ihnen wegschleichen.«
»O Fromal, hätte ich diese Regel früher befolgt!« sprach Belphegor; »vielleicht wäre ich izt weniger Krüpel. Die unbändige Hitze, die mich dahinreißt!«
»Brüderchen«, sprach Medardus, »sey du gutes Muthes! die Vorsicht lebt noch. Wer weis, wozu es gut ist, daß du ein Krüpel bist? der Apfelwein würde dir immer noch wohl schmecken, wenn du einen Krug voll hier hättest. Laß das Grämen und Härmen! wer weis, wozu dirs gut ist?«
»Wozu?« unterbrach ihn Fromal lächelnd; »zu nichts! In der langen Kette von Ursachen und Wirkungen in dieser Welt war es schon längst vorbereitet, daß er ein Krüpel seyn sollte: wer kann der Nothwendigkeit widerstreben, die die sterblichen Begebenheiten aus einander hervorwachsen läßt? Wer kann den Bliz aufhalten, daß er nicht mein Haus trift? Wäre die Lage und Wirkung der Theilchen der Atmosphäre von Anbeginn durch den Zufall anders geordnet worden, so träfe er vielleicht meinen Nachbar. Aber nein! er soll, er muß mich treffen. Gut ist mirs wahrhaftig nicht, wenn er mich bettelarm macht, aber meine Armuth kann mir in der Folge vielleicht durch den Zufall irgend wozu nüzlich werden: ich bilde es mir ein, ich suche den Nutzen; wohl mir, wenn ichs zu einer solchen glücklichen Illusion bringe! – Wohlan! wie leichte Späne schwimmen wir auf dem Strome der Nothwendigkeit und des Zufalls fort: sinken wir unter – gute Nacht! wir haben geschwommen!«