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»Ja, Freund«, unterbrach ihn Belphegor, »Du hast Recht. Aber welch ein trauriger Beweis von der Neigung des Menschen zum Unterdrücken! Fromal, wenn Du es hörtest, würdest Du nicht sagen: ›Wo der Mensch nicht mit ehernen Waffen, nicht in der That unterdrückt, da thut er es mit der Lunge, in der Einbildung, durch die Vorstellung, sich so lange andre unter sich zu denken, als er über sie lacht.‹ Mensch! Mensch!«
»Ach, Brüderchen, die Erniedrigung war mein Glück auf einige Zeit –«
Belph.: »Daran zweifle ich gar nicht. Weißt du noch, was du mir einst sagtest? – ›Gegen Kreaturen unter sich ist der Mensch gütig, gerecht, mitleidig, wenn sein Vortheil nicht in den Weg tritt, nur über und neben sich ist ihm alles verhaßt.‹«
Medardus übergieng diese Erinnerung mit einem erröthenden Stillschweigen und fuhr in seiner Erzählung mit dem Tone fort, wie ein Mensch, der sich bey einer Satyre getroffen fühlt. – »Ja, Brüderchen, sie war mein Glück«, sagte er. »Sie luden mich durch ihre Winke ein, ihnen zu folgen; weil ich für meinen Appetit dabey zu gewinnen hofte, nahm ich die Einladung ohne Bedenken an. Die ganze Gesellschaft ritt mit sittsamen Ernste auf ihren großen Meerkatzen fort, und ich hatte die Ehre, ihnen zu Fusse nachzuspatzieren.
Nach unsrer Ankunft in eine Hütte von Baumästen wurde die Tafel von Meerkatzen besetzt, die in dieser Gegend alle häusliche und galante Verrichtungen unter Händen haben und sehr frühzeitig dazu abgerichtet werden. Sie lernen ihre Wissenschaften so schnell, daß in einem Jahre eine Meerkatze den höchsten Grad ihrer Vollkommenheit erreicht. Siehst Du, Brüderchen? es wurde viel aufgetragen, von wenigem gegessen, und nichts füllte nur eine Viertelelle Hunger in meinem Magen aus. Man spielte nur mit dem Essen; und ich hatte Lust, im völligen Ernste damit zu verfahren. Man lachte abermals über mich; und da man sich überdrüßig gelacht hatte, sahe man mich mit keinem Blicke mehr an. Ich wurde aus der Hütte verwiesen, mußte eine ziemliche Strecke von dem Schlafgemache meiner Gönnerinnen in einer kleinen Kabane schlafen und mich mit Seilen von Bast fest anbinden lassen, – vermuthlich, damit sie ungestört und sicher für meinen nächtlichen Ueberfällen schlafen können, dachte ich. Aber es mußte wohl nur eine Cerimonie seyn; denn mit jeder Viertelstunde bekam ich von einer meiner überfirnißten Damen einen Besuch, der mich keine Minute ruhig schlummern ließ, so sehr meine ermüdeten Lebensgeister der Erhohlung bedurften. Ich ward ungeduldig, riß mich von meinen Banden los, ergriff die Muthwillige, die mich eben beunruhigte, um sie aus meinem Schlafgemache hinauszuwerfen: sie schrie Gewalt, und aus ihren ängstlichen Geberden konnte ich schließen, daß sie ihren herbeyeilenden Schwestern meine That als einen Anfall auf ihre Tugend abmalen mochte, ob sie gleich vorher mehrere auf die meinige gethan hatte. Sie schrieen, lärmten und tobten alle, steinigten mich, hezten ein ganzes Regiment Meerkatzen auf mich los, die mich mit ihren Tatzen elendiglich zerkratzten. Ich ertrug mein Schicksal mit Geduld; aber den Tag darauf wurde ich ausgelacht! Brüderchen, ausgelacht, bis zur ärgsten Beschämung! Ich forschte nach meiner Zaninny, ich lief allenthalben herum, sie aufzusuchen; ich fand sie nirgends: ich war untröstlich, doch wurde ich bald durch ein lächerliches Schauspiel wieder aufgemuntert. Die Meerkatzen haben das feinste Gefühl der Ehre: Neid und Vorzugssucht beherrschen sie ganz. Tages vorher hatte einer das Glück gehabt, daß über seine Kapriolen der Zirkel am lautesten und häufigsten gelacht hatte: alle übrigen wurden neidisch und versengten ihm mit einem Feuerbrande im Schlafe seinen Spiegel auf dem Rücken. Weil er aus einer harten, fühllosen Haut besteht, so wird er es nicht eher inne, bis der Brand die Hinterkeulen schon zu verwüsten anfängt. Das arme Geschöpf hinkte traurig herum und mußte mit seinen Schmerzen der Gesellschaft oben drein zur Kurzweile dienen, die sich in ein ausgeschüttetes Gelächter über seinen Zustand ergoß, das zunahm, je mehr seine Kameraden ihn neckten und quälten. Die ganze Erklärung des Vorfalles theilte mir eine von den rothen Nymphen durch ihre künstliche Geberdensprache mit; denn sie waren insgesamt geborne Pantomimenspielerinnen und sprachen deswegen selten anders als durch Minen und Gestikulationen. Durch eben diesen Weg erhielt ich auch die Eröffnung, daß in diesem Distrikte nichts als lauter Frauenzimmer mit ihren bedienenden und zeitverkürzenden Meerkatzen wohnten und daß sie bey andern Bedürfnissen der Natur ihre Männer aus einem nahegelegnen Gebirge zu sich beriefen, die dort das Land für ihren beyderseitigen Unterhalt bauen und Schminke für die Körper ihrer Damen sammeln mußten. Lange konnte ich in dem Lande nicht mehr ausdauern; unter lauter Meerkatzen bekömmt man leicht Langeweile; auch ich wurde den schönen Bewohnerinnen des Landes beschwerlich, weil ihnen alles so alltäglich an mir geworden war, daß sie nicht mehr über mich lachen konnten. Der ganze Himmelsstrich war mir verhaßt, weil er meine geliebte Zaninny ohne mich besaß: ich nahm meinen Abschied, und diejenige Dame, die ich in der ersten Nacht zu einem keuschen Geschrey genöthigt hatte und die mir seitdem gewogner als alle andre war, gab mir mit dem langen Nagel ihres Daumens, die sie dort zu der ansehnlichsten Größe anwachsen lassen, zum Andenken ihrer Gewogenheit einen Schnitt auf den rechten Backen, wovon du noch bis izt die Narbe siehst. Alle Mannspersonen mußten sich in dieser weiblichen Republik mit einem solchen Schnitte zeichnen lassen zum Beweise, daß sie diejenige Schöne, von welcher sie ihn empfiengen, als Sklaven unter sich gebracht hat; und wenn man der Meerkatzen überdrüßig ist, so ist es die einzige Zeitverkürzung unter ihnen, einander die Schnitte vorzuzählen, mit welchen eine jede ihre vermeinten Sklaven gebrandmahlt hat. Ich begab mich auf den Weg und wandelte langsam mit trauriger Beklemmung von dem Orte, wo ich meine beste Zaninny zurückließ. – ›Doch‹, dachte ich, ›wer weiß, wozu dies gut ist, daß du sie verlieren mußtest? Vielleicht – ach, wer kann sich alles Böse denken, dem ich dadurch entkommen bin, und alles Gute, das ich möglicher Weise dadurch erlangen kann? Wer weiß, wozu es gut ist?‹ – Mit diesem Gedanken beruhigte ich mich auf meinem Marsche und kam mit ihnen zu den Emunkis, einem elenden Volke, das unter dem abscheulichsten Regimente lebte. Ihr Herr war der geilste, geizigste, grausamste Tyrann der Erde.
Meine Ankunft fiel auf einen Tag, wo alles in der größten Feierlichkeit war. Der neue Despot hatte den Thron bestiegen und nach dem dasigen Staatsrechte seinen übrigen zwey und siebzig Brüdern goldne Stricke zugeschickt, an welchen sich ein jeder mit eigner Hand aufhängen mußte: das ganze Volk lief einer Gallerie zu, wo sie alle nach der Rangordnung des Alters an ihren goldnen Stricken schwebten, und der tumme Pöbel frolockte über diese ersten Opfer, die der Despot seiner Tyranney gebracht hatte. Ich habe mich lange Zeit an seinem Hofe aufgehalten, und ihm muß ich mein Königreich Niemeamaye verdanken.« – Medardus seufzte ein wenig bey dieser Stelle und fuhr sogleich wieder fort. – »Der dicke Götze saß unaufhörlich in einer dichten Wolke von Wohlgerüchen, die ihm alle Sinne so sehr benebelten, daß er nie zu sich selbst kam: unaufhörlich mußte ein Haufen Gold und eine von seinen Weibern zu seinen Füßen liegen. Seine Leibwache bestand bloß aus Weibern, die nie eine männliche Seele zu ihm ließen; die höchsten Stellen des Landes waren zwar mit Männern besetzt, allein die obersten Befehlshaberinnen der Leibwache hatten in allen Rathsversammlungen die ausschlagenden Stimmen, und jene mußten nur vortragen und vollstrecken, was diese geboten. Alle Mädchen von den ersten Augenblicken des Lebens waren im ganzen Reiche seine Leibeignen: die Vornehmern und Reichern hatten sich des Rechts bemächtigt, seine Leibwache auszumachen, und die Gemeinen oder Armen wurden in sein Serail nach dem Maaße ihrer Schönheit gewählt und die Häßlichen im Namen des Königs an die Liebhaber öffentlich verkauft. Der Despot hatte eine so unsinnige Liebe zum Golde, daß er nicht schlafen konnte, wenn nicht einige Haufen neben seinem Lager aufgeschüttet lagen.«
»Also war er dein Lehrmeister?« unterbrach ihn Belphegor etwas bitter.
Der gute Medardus erschrak; er wollte seine Erzählung fortsetzen und die Bitterkeit der Frage nicht zu fühlen scheinen; allein Belphegor faßte ihn stärker und ließ ihn nicht durchwischen. Er malte ihm mit den frischesten Pinselzügen, doch mit etwas Galle vermischt, den Neid und die Unterdrückung vor, die er, als der sonst treuherzige, wohldenkende Medardus, als Beherrscher von Niemeamaye gegen seine Nachbarn und Unterthanen ausgeübt hatte. Dem Monarchen wurde bange; er räusperte sich, er rückte sich auf seinem Sitze hin und wieder, er wußte nicht, ob und was er reden sollte, bald schien er sich entschuldigen, bald anklagen zu wollen, während dessen sein Moralist unaufhörlich fortfuhr, mit aller Stärke seiner Beredsamkeit sein eingeschläfertes gutes Herz aufzuwecken. – »Brüderchen«, sprach er endlich, »ich bitte Dich, schweig! Du machst mir so bänglich ums Herze, daß ich heute noch lieber zu einem Glase frischen Apfelwein mit Dir zurückgehn, als hier eine Minute länger befehlen möchte. Du übertreibst!«
»Nicht Einen Strich in dem Gemälde übertreibe ich«, antwortete Belphegor und ließ den Strom seiner Gesezpredigt von neuem hervorbrechen.
»Was bist Du denn besser?« schloß Belphegor; »worinne besser als der wilde Despot, an dessen Hofe du deinen Geiz lerntest? Weniger grausam, aber der nämliche Unterdrücker.«
Sein Freund fiel ihm um den Hals, erbot sich, alles gesammelte Gold unter seine Nachbarn auszutheilen, allen seinen Sklaven das Ihrige wieder zu erstatten, wie der geringste unter ihnen zu leben, seine ganze Macht niederzulegen, mit ihm zu einem Kruge Apfelwein zurückzuwandern und so viel Gutes zu thun, als er könnte. Belphegor war mit seiner Reue zufrieden und fragte ihn, um ihre Aufrichtigkeit zu versuchen, welchen Tag er alle diese Versprechungen erfüllen würde. Er stuzte ein wenig über die Frage, doch setzte er lebhaft hinzu: »Morgendes Tages!« Belphegor nahm seine Hand darauf an und brach die Materie ab, doch sein Freund kehrte oft zu ihr wieder zurück. – »Brüderchen«, sagte er, »es ist ein verzweifelt schweres Ding, allein Herr von seinem Willen zu seyn und lauter Gutes zu thun. Sonst, wenn ich einem armen, durstigen Manne einen Trunk Apfelwein reichte, wünschte ich immer: ›O wer dich doch auf einen Thron setzte, daß du die Leute glücklicher machen könntest! Jämmerlich ist doch die Armuth, daß man nicht mehr für den armen Nebenmenschen thun kann, als ihm höchstens auf ein Paar Minuten den Durst löschen oder den Hunger stillen! wenn ich reich, wenn ich mächtig wäre – kein Mensch auf Gottes Erdboden, so weit nur mein Auge reichte, sollte mir Zeitlebens hungern oder dursten.‹ – Brüderchen, ich hab es erfahren. Ich habe sonst mit meinem Kruge Apfelwein Mehrern Gutes gethan als itzt mit meinem Golde. Das böse Menschenherz! Fromal sagte mir wohl, ich sollte nicht schwören, ich würde einen Meineid begehn; ich habe ihn begangen. Aber, Brüderchen, nicht ein Tröpfchen Menschenblut klebt an meinem Gewissen. Siehst Du? ich fand an dem gelben Unrathe so vielen Gefallen, ich wollte gern viel und immer mehr haben, ich nahm es, wo es zu bekommen war: ich habe doch wenigstens niemanden Leides gethan. Wenn man so bloß sich selbst, seine Begierden und seine Macht zu Rathe zu ziehn braucht, da läßt man leicht die Zügel schießen. Doch Du, Belphegor, Du sollst in Zukunft mein einziger Rathgeber seyn.«