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»Freund, ich habe genug!« sagte Belphegor; »ich habe genug gesehn und gehört, um zu wissen, daß Fromal, daß der kaltherzige Richter Recht hatten: es ist immer so gewesen, daß Menschen Menschen quälten und der Stärkre den Schwächern zermalmte. – O könnte ich dem kalten Schneemanne die Zunge ausreißen und dadurch machen, daß er eine Lüge gesagt hätte! – Traurig, höchsttraurig! wenn unsre hohe, große Idee von dem Menschen mit jedem Tage mehr zusammenschmilzt! und vielleicht zulezt gar nur ein verächtlicher Haufen Unrath übrig bleibt! Wie wohl war mir, Freund, da in der Einsamkeit meine geschäftige Fantasie und mein Herz aus allen moralischen Vollkommenheiten einen Koloß zusammensezten und ihn den Menschen nannten: ich dünkte mir selbst groß und erhaben, weil ich mein Geschlecht dafür hielt. Meine ganze Aussicht war in mich selbst konzentrirt, und – laß michs offenherzig gestehn! – ich sah nichts als Gutes, nichts als Liebenswürdiges. – Ein fantastischer Traum, aber wahrhaftig süß! Wenn ich izt ausgeträumt habe, wenn dies wachen heißt, so habe ich unendlich verloren, daß ich nicht mein ganzes Leben in dem Schooße der Einbildung verschlummerte; denn izt scheine ich mir selbst aus einem Kaukasus in einen Ameisenhaufen zusammengeschrumpft, und der Stolz auf die Menschheit liegt darunter begraben. – O Akante! Akante! wehe dir, daß du mich aus diesem engen Gesichtskreise in die weite Aussicht der Welt hinausstießest! – Wenn du nicht wärest, Freund, – wo sollte alsdann meine Empfindung etwas finden, um sich anzuhängen; und wie öde ist ein Leben, wo unser Gefühl immer im Finstern herumtappt und nie einen Gegenstand erhascht, den es umarmen kann!« – Er sprach dies mit einer affektvollen Bewegung. »Siehst du, Brüderchen?« tröstete ihn Medardus mit gutherzigem Ton, »die Vorsicht lebt noch. Unglück ist immer zu etwas gut. Wenn du gleich in Millionen Stücken zerhauen und auf dem Roste geröstet wirst, das kann immer zu etwas gut seyn: du weißt es nur nicht. – Wenn ich nur einen Krug Apfelwein hier hätte, so wollte ich dir schon Muth zutrinken. – Komm, Brüderchen, ich möchte doch wissen, was es für ein Mann ist, der den armen Juden um achzig Thaler so schändlich betrogen hat.«
Sie kehrten in die Stube zurück, um darüber Erkundigung einzuziehn. Der Wirth bezeigte sich anfangs sehr zurückhaltend, als er sich aber sorgfältig umgesehn und keinen Belauscher bemerkt hatte, so schüttete er sein Herz gern aus und that ihnen zu wissen, daß dieser Mann der schändlichste Unterdrücker des Erdbodens sey. »Wir armen Leute«, sprach er, »die wir unter seiner Gerichtspflege stehen, wir sind seine Schafe, denen er die Wolle abnimmt, so bald sie nur ein wenig gewachsen ist; und mannichmal fährt uns seine Scheere gar ins Fleisch, daß wir uns verbluten möchten. Er weis jede Kleinigkeit zu einem Verbrechen zu machen; und dann straft er! und wer nicht gar bis auf die Haut ausgezogen seyn will, der legt herzlich gern alle zehn Finger auf den Mund: jedermann giebt gern, so viel er verlangt, und schweigt, damit er nur nicht mehr als andre geben muß. Alle Rechte und Freiheiten, die wir so nach und nach durch die Länge der Zeit erlangt haben, Kleinigkeiten, die den Armen viel und den Reichen wenig helfen, macht er uns streitig, legt uns neue Bürden auf und weis allemal ein altes Recht vorzuschützen. Wenn wir uns beschweren wollten, so hälfe das zu weiter nichts, als daß er uns nun die Wolle ausraufte, da er sie izt abschiert. Er hält ein halbes Dutzend Spione, vor denen man nicht ein Wörtchen entwischen lassen darf, die zuweilen gar durch verfängliche Fragen etwas herauslocken wollen: man muß sich hüten! sonst findet er gleich eine Gelegenheit, daß man unter sein Messer fallen muß. Seine Spione werden immer häufiger; denn jeder denkt, sich das Geben zu erleichtern, wenn er ihm andre zum Plündern schafft. So muß ein ehrlicher Mann den Kummer und Aerger in sich nagen lassen und darf ihn nicht einmal jemandem anvertrauen, aus Furcht, er möchte an einen Falschen kommen und sich ihn nur noch vermehren. Den armen Juden hat er um achzig baare Thaler betrogen, oben drein noch ausgeprügelt, als ihn dieser wieder angeführt hatte. Und mit Klagen richtet niemand etwas gegen ihn aus: er weis sich herauszuschwatzen – ich glaube, wenn er uns alle umbrächte. Wider den Stärkern ist keine Justiz.«
»Hol der Teufel den Schurken!« rief Belphegor und stampfte ergrimmt auf den Tisch. »Komm, Freund! wir wollen ihm das verdammte Schelmenherz aus dem Leibe reißen!«
»Ja, Brüderchen, ich möchte, daß ihm im Leben kein Tropfen Apfelwein mehr schmeckte! dem Bösewicht!« sprach Medardus und warf seinen Hut auf den Tisch.
»Gott! mir glüht meine Stirn bis zum Verbrennen, daß ich einen solchen Unterdrücker mit mir zu Einem Geschlechte rechnen soll. Komm, Freund, wir wollen ihn fühlen lassen.«
»Närrchen, wir sind ja in seiner Gerichtspflege; Unterdrückern muß man nicht die Spitze bieten, sondern aus dem Wege gehn. Komm, Brüderchen! nicht eine Minute länger wollen wir die Luft hier athmen, sie möchte in seiner Lunge gewesen seyn.«
Belphegor fiel der Gehorsam schwer; aber er erinnerte sich seines Entschlusses und der Verwünschungen, die er auf die Brechung desselben gesezt hatte. Er nahm also seinen Abschied und begnügte sich, seinem Zorne unterwegs durch Ergießungen gegen seinen Begleiter Luft zu machen.
Da die Tage heiß waren, so nüzten sie den kühlen Morgen, um sich mit ihrer Reise desto weniger zu ermüden. Eines Morgens langten sie bey einem Truppe nicht allzu hoher Erlensträuche an, die ein natürliches Kabinet bildeten, so einladend, daß man ohne Undankbarkeit nicht vorbeygehen zu können schien: sie sezten sich nieder. Kurz nach ihrer Niederlassung zeigte sich ihnen ein Frauenzimmer, das bey ihrer Annäherung einige Verlegenheit in der Mine verrieth, doch sich bald wieder faßte und unerschrocken auf sie zukam. Ohne die geringste Eingangsrede rief sie sogleich: »Belphegor, ich komme nur, dir zu zeigen, daß du gerochen bist, dann will ich wieder in mein Elend zurückwandern. Sieh mich ein einzigesmal an und sage: ›Ich bin gerochen!‹ dann habe ich genug.«
»Ach, um des Himmels willen!« schrie Belphegor, »Akante! Akante! O du Ungetreue! du Schamlose! du Verrätherinn!«
»Ich verdiene diese Namen nicht, wenn du gerecht seyn willst.«
»Verdienst sie nicht? – Du, die mich zur Thüre hinauswarf und meine Hüfte auf zween Tage lähmte? du, die mich dem Hohne preis gab und einem reichern Buhler in die Arme lief.«
»Alles that ich, aber nur auf deines Freundes Befehl. Unglücklich warst du in der Wahl deiner Freunde, aber nicht deiner Geliebten.«
»Welcher Freund, Ungeheuer? – denkst du mich durch eine schöne Fabel zu täuschen?«
»Nein, das brauche ich nicht: die Wahrheit ist meine beste Schuzrede. Dein Freund, Fromal, der Arglistige, hat unsre Liebe zerrissen und mich verleitet, die härteste Ungerechtigkeit an dir zu begehn. Er war der reichere Buhler, wie du ihn nennst, der mich aus deinen Armen empfieng.«
»Unsinnige! du lügst! – Er, der mich tröstete, der mir mit der thätigsten Liebe beysprang, der mich mit Rath und Belehrung erquickte, während daß du am Fenster in der Umarmung meines Verdrängers mit der unverzeihlichsten Frechheit meines Elendes spottetest!«
»Ich deiner spottete! Gewiß, dein Groll machte falsche Auslegungen. Mein Herz blutete mir, als ich dich so gewaltsam verabschieden mußte, und Schmerz und Reue nagten in mir, indessen daß mein Mund lächelte.«
»O du Sirene! Hätte sich dein Herz lieber ganz verblutet, daß du mich mit einer solchen Erdichtung nicht hintergehn könntest!«
»Ich schwöre dir, keine Erdichtung! Du warst arm; ich brauchte Geld. Fromal und ein Andrer boten sich mir zu gleicher Zeit an: beide gaben vor, reich zu seyn, oder waren es wirklich. Das schwache, eigennützige Weiberherz! – willst du von dem Heldenthaten fodern? – Meine Liebe war leider! auf den Eigennuz gepfropft: sollte die Frucht besser seyn als die Säfte, die ihr der Stamm zuführte? – Ich mußte mich von Dir trennen oder voll Treue mit Dir verhungern. Fromal verlangte schlechterdings, dir einen so empfindlichen Abschied zu geben; was konnte ich thun? – Ich mußte mich zwingen, ihm zu gehorchen, oder ihn verlieren. Der Wechsel war schrecklich: der Eigennuz drängte auf mich los, ich ließ mich überreden, ich verübte die Gewaltthätigkeit an dir und wünschte, sie durch Reue ungeschehen machen zu können. Belphegor, in Thränen habe ich geschwommen, in den heißesten Thränen, wenn der Gedanke an meine Ungerechtigkeit in mich zurückkam.«
»O wenn ich dir nur glauben dürfte!«
»Du mußt, wenn du nicht die Wahrheit verwerfen willst. – Ich wandte mich von dir zu dem Unglücklichen, der mit Fromaln dich verdrängte und den dieser Barbar seiner Misgunst und Eifersucht aufopferte –«
»Unverschämte! wagst du auch die Ehre meines Freundes zu beschmeißen, Insekt? – Erdichtung! Geh! mein Freund –«
»– Hat ihn in meinem Schooße ermordet! Er, der gewissenlose Fromal, hat ihn ermordet! – Lange wußte er nicht, daß ein Andrer meine Liebe mit ihm theilte: ich wäre auf der Stelle das Opfer seiner blutgierigen Eifersucht geworden, so bald ich ihm den mindesten Verdacht gegeben hätte. Doch endlich überraschte er meine Vorsichtigkeit: er traf ihn in meinen Armen an, und gleich glühte ihm die Stirn, seine Augen wälzten sich wie drohende Kometen; er ergriff ein Messer und durchstach den Unglücklichen, daß er in meinen Schooß sank. Schon holte er aus, um mich gleichfalls seiner Wuth aufzuopfern, als auf mein Rufen zween Leute herbeysprangen, den unbändigen Löwen zu zähmen. Die Furcht gab mir in der Geschwindigkeit den Einfall zu entfliehen, um den Untersuchungen der Justiz zu entgehen. Liebhaber, Geld, Kleider, Möbeln – alles verließ ich und rettete mich glücklich über die Gränzen.«
»Und was wurde aus Fromaln? – Doch was glaube ich denn solche Erdichtungen, die die Leute im Stehen einschläfern können? – Schweig, Betriegerinn! ich will nichts weiter hören.«
»Belphegor, du mußt es hören – um zu sehen, wie du gerochen bist.«
»Lügen! so müßte ich mich selbst nicht kennen, wenn ich glauben könnte, daß Fromal mich mit Falschheit getäuscht hätte. Ich schäme mich, das zu denken. – Geh! du möchtest mich zum zweitenmale überreden, daß du keine hinterlistige Betriegerinn bist! – Ist dies nicht genug, selbst untreu zu seyn, mußt du auch der Treue andrer den giftigen, verrätherischen Anstrich der deinigen leihen? Freundschaften trennen wollen, die Natur und Erziehung unauflöslich geknüpft haben? – Ich höre nicht Ein Wort mehr.«
Sie bat, sie flehte, sie beschwor ihn, bis endlich Medardus sich ins Mittel schlug und ihn gleichfalls um geneigtes Gehör für sie ersuchte. »Siehst du, Brüderchen?« sprach er, »du kannst ja glauben, was du willst, aber sie doch wenigstens hören. Ich möchte doch gern wissen, wie wir hier zusammenkommen – hier, gerade hier und nicht anderswo! das ist doch wahrhaftig sonderbar. Warum nur gerade hier? – Ich weis wohl, warum Alexander der Große und Scipio gerade auf dem Flecke zusammenkamen, wo sie mit einander redten. Aber Akanten hätte ich mir hier nicht vermuthet, so wenig als meine gute, verstorbene Frau. – Nu, Kind, erzähle du nun!«