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Nur eine sehr geringe Menschenzahl war Jirmijah und Baruch auf ihrem Wege zum Tempel treu geblieben. Die prophetische Tat des Krug-Zerschmetterns und der furchtbare mit ihr verbundene Spruch hatte die Gelüstenden und die Neugierigen eingeschüchtert. Gefährlich war's, in der Stadt Jojakims und seiner Fürsten, die überall Kundschafter, Angeber, Eckensteher unterhielten, im Gefolge dieses Mannes gesehen zu werden, ohne selbst die Obrigkeit wider ihn aufzurufen. Hatte jemals ein Menschenmund solches über eine Stadt geweissagt, die sich seit Urzeiten ihres Lebens freute und in ihrer Mitte die einzige Wohnung des ewigen Schöpfergottes beherbergte? Wenn der Herr Jerusalem preisgab, so gab er sich selbst preis. Er war ja durch seinen einzigen Tempel in der Welt auf Tod und Leben verbunden mit seiner Stadt. Zerschmetterte er Jerusalem wie einen Töpferkrug, so wurde er selbst obdachlos und blieb ohne Opfer, ohne Gebet, ja ohne Namen, da dessen vier heilige Laute der erschauernde Hohepriester im Allerheiligsten nicht mehr zu flüstern vermochte. Der Fall Jerusalems wäre nichts andres gewesen als die Ermordung des Herrn durch sich selbst. Diese Gedanken von der unauflöslichen Gegenseitigkeit Gottes und Jerusalems kannte die stolze Hauptstadt zur Genüge. Nicht vergeblich wurden sie auf den Kanzeln des Vorhofs oft und oft verkündigt. Denn zu ihrem Glück glichen nicht alle Männer Adonais dem Urijah, diesem Schwarzseher und Bitterredner, der heute für seine blutigen Drohungen blutig gebüßt hatte. Die meisten von ihnen waren priesterlich wohlwollende Seelen, und der Honig der Heilsrede floß von ihren Lippen, eine hellere Zukunft verheißend. Wie soll, das mußte man wohl fragen, der Mensch leben, arbeiten, Gott dienen, wenn er zu hören bekommt, daß er und die Seinen morgen zerschmettert werden wie ein Töpfergefäß? Am besten war's demnach, den Krugzerschmetterer anzugeben oder ihn zu vergessen, um nicht selbst in Ungemach zu kommen. Als sie den äußeren Vorhof betraten, war das Häuflein der Nachfolgenden zu einem Dutzend armer und ältlicher Leute zusammengeschmolzen. Unter großen Ängsten ging Baruch neben Jirmijah und redete auf ihn leidenschaftlich ein, nicht ohne Not die Gewaltigen herauszufordern und damit das Schicksal Urijahs selbstmörderisch zu suchen. Wozu war der Ausgerottete in seinen blutigen Totenkleidern nun zu brauchen? Selbst Adonai, für den er gestritten, konnte nichts mehr mit ihm anfangen und wandte sich voll Ekel von dem unreinen Leichnam ab. Ein toter König, ein toter Prophet und ein toter Hund galten gleich.
Alles, was der verständige Baruch sagte, war grundrichtig. Wenn Jirmijah seinen sorgenden Rat überhaupt vernommen hätte, er hätte nichts zu entgegnen gewußt. Er suchte ja gar nicht die Herausforderung der Gewaltigen, Gefahr und Tod. Was aber sollte er tun? Randvoll war sein Sinn von aufsprudelnder Raunung und der Drang des Herrn in ihm so stark, daß seine Vernunft das Wort »Todesgefahr« wohl begriff, doch nicht seine Seele.
Der letzte Werktag der Woche. Nur wenig belebt war der äußere Vorhof. Die Priester hatten längst schon die morgendlichen Opfer und Gebete beendet. Schnell rückte die Zeit vor. Der Mittag nahte. Dienstvolk eilte mit Eimern und Besen über den Platz. Leviten überwachten die Säuberung, damit die weißen Steinplatten am Sabbath untadelig erglänzten. Durch die umfassenden Säulenhallen wandelten Altpriester und Schriftmeister mit ihren Schülern. Die Stimmen der Lehrenden und Lernenden stiegen empor, brachen ab und verwirrten sich im spitzfindigen Gottesstreit. Austräger brachten in Körben Schriftrollen in die Zellen der Forscher, die dem großen Schaffan nacheiferten. Andre Gelehrte schritten einsam versunken einher, mit feinem Lächeln dem erkennenden Selbstgespräch hingegeben. Alles wie immer. Kein Auge, das auf diesem weltabgekehrt geistlichen Treiben ruhte, hätte geahnt, daß der entschlossenste Abfall über Jerusalem herrschte, daß die Großen des Tempels und der Lehre den Mord an einem Geheiligten Gottes wortlos geduldet hatten. Hier unter diesen Säulen herrschte nicht die grobe Sünde der Gewalt, sondern die verfeinerte Sünde des Geistes, die geschmeidig im Worte forscht, ohne das Wort wahrzumachen, die spielerisch die Lehre zerspaltet, ohne die Lehre auf sich zu nehmen.
Jirmijah schüttelte Baruchs Arm ab, der ihn daran hindern wollte, sich selbst zu verderben. Er sprang mit einem Satz auf die Vorstufen der Wandelhalle, ohne erst eine der Kanzeln zu besteigen. Und schon hallte seine klare neue Stimme weit über den Vorhof:
»So spricht Zebaoth, der Herr Israels. Ich bringe über diese Stadt und alle Städte Jehudas das Verderben, das ich wider sie geredet habe. Darum, daß ihre Fürsten Mörder sind und ihre Priester Betrüger und mein Wort nicht hören ...«
Die gelehrt Wandelnden in den Säulenhallen und das Volk auf dem Vorhof blieben stehen, erschrocken der tönenden Stimme zugewandt. Dann begann ein stummes Zusammenlaufen. Das Häuflein vor Jirmijah vermehrte sich schnell um hundert Menschen und mehr. Sie hörten bestürzt die ungeheuerlichen Worte, die einer am hellichten Tage, mitten im heiligen Tempel zu nüchternster Stunde auszustoßen wagte. Und der solches wagte, schien noch dazu ein besonnener Mann zu sein, kein Gliederverrenker, kein Rasender und Verrückter. Man sah ihm an, daß er nicht schwärmte, sondern genau wußte, was er sagte, wenn es sich auch stoßweise wie in Geburtswehen seiner Stimme entrang: »Und diese Stadt mache ich zum Entsetzen ... und zum Gezisch ... Und alle, die an ihr vorübergehn ... sollen spotten über ihr Elend ...«
Weiter kam Jirmijah nicht. Eine Hand hatte sich ihm auf die Schulter gelegt, und eine Stimme murrte hinter seinem Rücken:
»Pasch'churs Ohr ist hart. Der Künder Zebaoths möge das Wort wiederholen ...«
Jirmijah fuhr herum und stand Pasch'chur gegenüber, dem ersten Hüter der Schwelle, dem höchsten Gewalthaber des Tempels, der eingesetzt war über die Ordnung im Heiligtum und eine eigene Gerichtsbarkeit übte. Mit grimmigem Wohlwollen betrachteten Pasch'churs Knopfaugen den Ertappten. Sein rechteckiger Kinnbart zitterte eigentümlich. Doch Jirmijahs Augen hielten stand. Zornblitzend erkannten sie den Verschwörer, der zweifellos von dem feigen Überfall Eljakims auf Jerusalem Vorkenntnis gehabt haben mußte. Und er wiederholte Wort für Wort die Drohung des Herrn sehr laut in Pasch'churs Gesicht, als rede er wirklich zu einem Schwerhörigen. Die an den Stufen Versammelten starrten mit offenem Munde, wie dieser Kampf zwischen dem Gefürchteten und dem Wehrlosen zu Ende gehn werde. Der Hüter der Schwelle nickte befriedigt:
»Jetzt habe ich das Wort, das du kündest, wohl verstanden.«
Er trat dicht neben Jirmijah, während der Tempelvogt und die Dienstwache, die ihn stets begleiteten, straff hinter ihm Aufstellung nahmen.
»Du weißt«, sagte Pasch'chur gedämpft, »daß jeder, der vorgibt, das Wort Adonais zu sprechen, für dieses Wort einstehn muß ... Möchtest du doch also kein Ärgernis erregen und dich nicht wehren, was keinen Nutzen brächte ... Sondern folge diesen Männern, die hinter dir sind, in Frieden ohne Aufsehen, damit du dein Los nicht verschlimmerst ...«
Nach diesen gelassenen Worten entfernte sich Pasch'chur ohne Gruß, gleichmütig in der Wandelhalle verschwindend. Der Vogt aber trat vor, und die Dienstwache umringte Jirmijah. Sie bestand aus levitischen Bütteln, die, weil sie mit Lederriemen ausgestattet waren, die »Riemenschwinger« vom Volke genannt wurden. Die gelehrten Zuschauer, vom Ausgang des ungleichen Treffens befriedigt, nahmen ihren grübelnden Wandel wieder auf. Das arme Volk verlief sich scheu, denn es herrschte die Gewalt in Jerusalem. Nur ganz wenige folgten dem Abgeführten, von denen zum Schluß als einziger Baruch übrigblieb.
Sie mußten um den ganzen äußeren Vorhof einen langen Weg zurücklegen, um zum Tempeltor Benjamin zu gelangen, das in der nördlichen Mauer des Tempelberges lag. In diese dicken Mauern waren Wachräume, Kanzleien, Kerkerkammern und Verließe eingeleibt, die allesamt zum Reich des Hüters der Schwelle gehörten. Hier hatten ihren Dienstort die Riemenschwinger, denen es oblag, bei Tag und Nacht den Tempel zu beaufsichtigen, die äußeren Wachen zu stellen, im Festgedränge Ausschreitungen zu verhindern, Tempelfrevler zu betreten und lästige Propheten zu verhaften. Über alle von den Riemenschwingern Aufgegriffenen stand dem Hüter der Schwelle ein schneller Richterspruch zu, der neben allerlei Bußen freilich nur zwei schwere Strafen verhängen durfte, die Züchtigung und den Block oder Stock.
Jirmijah wurde von der Wache in ein leeres Gelaß gestoßen, wo sich nichts befand als eine Matte, auf die er sich schweigend niederließ. Da er von den Beschwerden der Reise und den schrecklichen Ereignissen dieses Tages sehr erschöpft war, kam ein Schlummer über ihn, den auch der Lärm und das Lachen der Riemenschwinger nicht zu scheuchen vermochte. Plötzlich wurde er von der Matte emporgerissen. Er hatte den Eintritt Pasch'churs nicht bemerkt. Der Hüter der Schwelle funkelte ihn mit den winzig kugelrunden Augen eines Kranichs an, während seine Stimme um ätzende Freundlichkeit bemüht war:
»Hilkijahs Sohn aus Anathot ist wieder im Land ... Und hat sich doch davongemacht und war verschwunden, nachdem er seinen leichtgläubigen König so übel beraten hatte ...«
»Die Herrlichkeit meines Wohltäters hat mich zum Lehrer seines jüngsten Knaben eingesetzt ...«
»Nun hast du deinen Schüler verlassen ... Wer aber hat dich gerufen?«
»Der Herr hat mich gerufen.«
»Der Herr hat dich gerufen ...«
Der Hüter der Schwelle schaltete ein kleines spöttisches Schweigen ein, worauf er seine Stimme noch wohlwollender färbte:
»So preise den Herrn, daß er dich in die Arme Pasch'churs geführt hat ... Denn ein sehr Rückfälliger ist Jirmijah ... Wäre ich nicht der Vater aller Rasenden und Verrückten, ich müßte dich dem Gerichte deines Herrn Königs ausliefern ... Sei darum zufrieden und dankbar, daß der milde Hüter der Schwelle dich in Obhut nimmt ...«
Damit war schon das Urteil gesprochen. Zwei Riemenschwinger fesselten Jirmijah. Alles Blut wich aus seinem Angesicht. Er senkte seine langen Wimpern und murmelte mit schwerer Zunge:
»Pasch'chur aus dem Priesterhause Imer bedenke, ehe er Befehle gibt, was er an Elis und Ebijathars Sohn tut ...«
»Elis und Ebijathars Sohn sollte selbst bedenken, was er getan hat ... Jetzt aber freue er sich der Strafe und daß ihm nicht nach Gerechtigkeit geschieht wie Urijah ...«
Ein Aufschrei entrang sich dem Gequälten:
»Berühret mich nicht!«
Es half nichts mehr. Blitzschnell ging's. Schon hatte Pasch'chur den Raum verlassen. Jirmijah aber wurde von den Riemenschwingern in ein Nebengelaß geschleppt, wo schmutzige Fäuste ihm die Kleider herunterrissen und den weißen Leib des Priestersohnes mit scharfen Stricken an ein langes Brett schnallten. Er wehrte sich mit allen Kräften. Schnell aber versagte sein tobendes Herz, das allzuviel erduldet hatte. Aus dem Zwielicht trat der Prügler hervor, der keinen gewöhnlichen Lederriemen schwang, sondern die geschwänzte Geißel. Dieser Prügler war nach alter Vorschrift kein reiner Levite; er stammte immer aus der unerlaubten Ehe eines Leviten mit einem bastardischen Sklavenweibe. Sein Gewerbe, obgleich im Tempelbezirk geübt, stand noch unter den mißachteten Gewerben der Bartscherer, Badewärter, Wäscher und Gerber. Seine entblößte Brust glänzte von Öl. Der Tempelvogt winkte. Der erste, nicht allzu harte Streich klatschte auf Jirmijahs Rücken nieder.
Da aber geschah etwas, was die Riemenschwinger und den Prügler in heftige Verwirrung versetzte, da die Strafe nicht unterbrochen und kein mißlingender Hieb zweimal geführt werden durfte. Baruch hatte sich, durch Bestechung des Torpostens, in die Strafkammer eingeschlichen. Der Vogt schenkte ihm keine Beachtung, da er ihn vermutlich für einen bestellten Zeugen des Hüters der Schwelle hielt. Als aber der erste Streich den zarten Leib des Meisters traf, da brüllte er mit Löwenstimme auf:
»Wißt ihr, was ihr tut?! Ihr schlagt euern Gott in diesem Manne!«
Und mit einer Gewalt, die seiner beginnenden Behäbigkeit widersprach, sprang er dem Prügler an die Kehle, daß diesem die Geißel entfiel und er zu Boden stürzte. Und nun entspann sich eine wüste Balgerei, die dem gerichtsämtlichen Ernst des Ortes schweren Abbruch tat. Wehe dem Befehlshaber der Dienstwache, erfuhr der Hüter der Schwelle von diesem Vorkommnis. Das erste Gebot, selbst hier am Rande des Tempelberges und bei Züchtigung eines Frevlers, war die Wahrung der heiligen Ordnung. Mit Gottes Hilfe aber reichten die Kräfte Baruchs hin, die Strafe entscheidend zu stören. Die Riemenschwinger, die sich auf ihn geworfen hatten, schüttelte er ab wie ein Eber die Jagdhunde. Seine Stimme durchdröhnte erschreckend das Gewölbe: »Ihr schlagt Adonai, euren Gott!« Immer wenn der Prügler zu einem neuen Hieb ausholte, warf sich Baruch mit der ganzen Meute, die ihn festhielt, zwischen den Züchtiger und den Gezüchtigten, so daß er und auch die Riemenschwinger einen Teil der Streiche abfingen. Auf seinem schweißüberströmten Gesicht bildeten sich blutrote Striemen. Er gab nicht nach, bis ihn endlich ein Knüppelhieb in den Winkel schmiß. Der atemlose Vogt wußte nicht, ob die zugelassene Vollzahl der Streiche, »vierzig weniger eins«, schon erteilt war. Um sich gegen das durch diesen Vorfall beschämte Gesetz nicht zu vergehen, machte er dem erregt grinsenden Prügler ein Zeichen, die Züchtigung zu beenden.
Jirmijah hatte das Bewußtsein verloren, nicht wegen des körperlichen Schmerzes, den er kaum verspürte, sondern durch Erkenntnis der unauslöschlichen Schmach, die man ihm angetan. Keine Hand, seitdem er lebte, hatte sich je erhoben, ihn zu schlagen, auch nicht die Hand des strengen Vaters. Das wunde Brennen des Rückens war ihm gleichgültig. Doch diese Entehrung, diese wölfische Schändung durch Pasch'chur konnte er nicht erdulden. Zwei Schwertstreiche hatten Urijah den Schädel gespalten, dann wußte er nichts mehr. Jirmijah aber wußte und wußte, die Zunge zerbeißend, um nicht zu schreien, er wußte die greuliche Schmach, bis ihm endlich die verfinsterte Seele verging. Kalte Wassergüsse aus geschwenkten Eimern brachten ihn rasch wieder zu sich. Nun war er stumpf und gleichgültig. Mochte geschehn, was Pasch'chur verhängte. Nicht mehr gutzumachen war die Entweihung seines Leibes und die Erniedrigung seiner Seele. Als ihn die Riemenschwinger hinaustrugen, da war's ihm, als trügen sie einen andern. Auch seine brennenden Schmerzen lebten nicht in ihm, sondern neben ihm. Dumpf sah Jirmijah den Zwinger und den eisenbeschlagenen Holzblock in seiner Mitte, vor den man ihn nun hinsetzte. Unaufmerksam verspürte er den scharfen Schmerz, als die Büttel seine Füße stark nach außen drehten und der Block über den Knöcheln sich schloß. Die Sonne brannte gellend auf die weißen Steinplatten herab. Vor Jirmijahs Augen, die fast gar nichts sahen, bewegten sich schleichende Flecken, die in den Zwinger lugten. Schatten der Amenti. Ein Mensch kroch näher auf ihn zu. Der Vogt hatte den Jünger zur Strafe zu seinem Meister gesperrt. Jirmijah sank plötzlich hintenüber. Doch sein Kopf fiel weich. Er lag in Baruchs Schoß. Über ihm ging ein großes zerschrammtes Männergesicht auf, ein Gestirn der Treue. Baruchs Lippen bewegten sich, fanden nicht den rechten Laut. Hie und da fiel ein schwerer Tropfen auf Jirmijah herab. Blutschweiß und Tränen.
Der Block am Benjamintor war zugleich der Pranger des Tempels. Hier wurde der Frevler nicht nur der öffentlichen Verachtung ausgesetzt, sondern dem allgemeinen Spottgezisch, das noch schwerer wiegt als Verachtung. Diese nämlich ist widerrufbar, wenn es kundgetan wird, daß sie auf einem rechtlichen Irrtum oder auf verleumderischer Nachrede beruhe. Der Geifer der Verhöhnung aber läßt sich nicht fortwaschen. Er ist wie Skorpionsgift, das die betroffene Stelle für alle Zeiten verätzt. Der Hohn schmilzt nicht in der Erinnerung, er ist eine verharrende Schädigung, gleichviel ob er von Wahrheit oder Lüge lebt. Zu keiner Stunde aber gedieh die Verhöhnung besser als gegen Abend im Tempel, wenn sich der äußere Vorhof mit Müßigen füllte und das Gerücht von einem Angeprangerten sich schnell verbreitete. Dann eilte alles zum Tore Benjamin, der Erbauung und der Pflicht wegen, um durch Mitleistung von Hohn und Spott der Strafe Nachdruck zu verleihen.
Von der Schmach gebrochen, lag Jirmijah stumpf in Baruchs Schoß und gab seine Seele der Strafe preis, die ihn zum »Entsetzen und Gezisch« machte, wie er im Namen des Herrn von Jerusalem geredet. Er konnte nun selbst fühlen, wie das ist. Ja, das Gezisch und Gesumme, das Geräusper und Gelächter, die Neugier und auch das Mitleid derer, die sich um den Zwinger drängten, deckte ihn mit immer neuen Schichten zu wie Staub der Wüste. Er schloß die Augen und versank in die Amenti seines Elends, in der ihm keine Tröstung entgegentrat, auch Zenua nicht, denn ihre Zeit war noch nicht gekommen. Da geschah es, daß aus dem Stimmenring der Gaffer und Spötter sich eine zahnlose Greisenstimme löste, die er zu kennen meinte. Und sie gewann Macht über das Gezische und Gesumme, daß es zusammensank. Dies aber mußte Jirmijah hören:
»Siehe doch, wer ist dieser hier? ... Der jüngste Sohn aus dem priesterlichen Vaterhause Hilkijahs zu Anathot ... So alt er ist, ein Nichtstuer, ein Tagedieb und nun gar ein Verderber ... Ich, Schamarjah, der Ärmste der Armen von Anathot, ich kenne sein Vaterhaus, denn es ist so gut wie mein eigenes Haus und ich sitze dort als geringster Gottesgast am Tisch ... Gepriesen sei der Herr, unser Gott, daß Hilkijah seinen Jüngsten nicht mehr im Block erleben mußte ... Der Ungeratene hat ihm das Herz gebrochen auch ohne diese Schmach ... Und ins Grab bringt er seine Mutter, die er in ihrer Sorge verschmachten läßt ... Wie wenig doch gleicht er seinen achtbaren Brüdern, die des Lebens Mühen tragen und die Armenschüssel mit reichlicher Gabe bedenken ... Diesem dort aber war Schamarjah, der Besitzlose Gottes, nicht gut genug ... Immer oben hinaus ging sein Wille ... Siehe doch, ein Künder des Herrn ... Dahin hat er's nun gebracht, der sich vor das Antlitz der Könige drängt und auffällig macht ... Im Block, im Stock, gleich den Bezechten und Dieben, die der Tempelvogt festnimmt ... Eine köstliche Ehre, eine süße Erhöhung für einen Spruchsprecher Adonais und einen Tischgast des Königs, wahrhaftig ... Da wird selbst der Ärmste der Armen neidisch ... Käme nicht Sabbath bald, der einem Frommen das Wandern verbietet, auf seinen achtzigjährigen Beinen liefe Schamarjah nach Anathot, als erster die Botschaft zu bringen, diese köstliche Ehre für Hilkijahs Haus, diese süße Erhöhung ...«
Also lautete die genußreiche Spottrede Schamarjahs, des Erzbettlers, der nach Jerusalem gekommen war, um im Namen und auf Kosten einiger seiner Wohltäter ein Brandopfer darbringen zu lassen. Die Beredsamkeit des schmutzigen Alten schien die Gaffer mit vergnügtem Behagen zu erfüllen. Der »Arme in seiner Stadt« machte ihnen den Vorbeter des Hohns, den sie mit Beifall und Gelächter unterbrachen. Ein einzigesmal schlug Jirmijah die Augen auf und wandte sie seinem Peiniger zu. Das zausige Gesicht des Bettlers schwitzte vor freudiger Genugtuung. Haß ohne Grund, dies war die Formel für alles Mißwollen, das die Menschen ihm gegenüber beherrschte, seitdem Gottes Hand ihn berührt hatte.
Auch die Stunde des Spottes ging vorüber. Die Posaunen der Priester bliesen zum Abendopfer. Der Vorhof leerte sich. Die Dienstwache empfand Mitleid mit dem Gestraften. Man lockerte den Block ein wenig, daß sich die Knöchel Jirmijahs in den Löchern bewegen konnten. Eine Matte wurde ihm unter den Körper geschoben. Baruch erhielt eine Decke. Man labte beide mit etwas Speise und Trank. Die Nacht war mild. Vergessen und dumpfer Halbschlummer nahm Jirmijah in die Arme. An der Wende der ersten zur zweiten Nachtwache weckte ihn etwas. Er hob den Kopf und sah, daß ein Mensch herangetreten war und sich über ihn beugte. Nicht sogleich erkannte er in der Dunkelheit Chananjah. Schwere Jahre des Weltlaufs waren dahingegangen, seitdem sie sich zu König Josijahs Zeit zum letztenmal gesehn hatten. Dem Chananjah schien seine Ausgesondertheit nicht übel angeschlagen zu haben. Sein angenehmes Antlitz war noch immer voll und jung, während Jirmijah sich hohle Wangen und früh ergraute Schläfen erworben hatte. Das weiche Bärtchen Chananjahs glänzte von wohlriechendem Salböl, sein Leibrock war von feinstem purpurfarbenem Gewebe und der rauhe Prophetenmantel hing ihm gefaltet überm Arm. Denn er trug den härenen nicht so sehr als Kleidungsstück wie als Panier. Mit milchfeinen, gepflegten Händen stellte er eine Henkellampe auf den Boden. Dann ließ er sich vorsichtig nieder, so daß das matte Licht zwischen ihm und Jirmijah schimmerte und absonderliche Schattenspiele verursachte.
»Jirmijah habe keinen Argwohn«, flüsterte er. »Ein Bruder kommt zu seinem Bruder ... Unrecht und Niedertracht hat man an dir verübt ...«
Er band von seinem Gürtel einen Leinwandbeutel los, in dem er einen essiggetränkten Schwamm und mehrere Fläschchen und Büchsen mitgebracht hatte. Den Schwamm zerriß er und gab ein Stück davon Jirmijah, das andre Baruch. In den Büchsen waren scharfe Gerüche, in den Fläschchen Tränke gegen Schmerzen und ein schlafbringender Trank. Davon flößte er Jirmijah ein wenig ein. Nach diesem Liebeswerk blieb er ruhig hocken und wehrte jedes Dankeswort ab:
»Mein Gefährte aus Anathot soll mir nicht danken ... Denn gemeinsam sind wir ausgezogen in die Welt ...«
Dann schwieg er lange und rückte sich zurecht, als sei er bereit, diese Nacht in Gemeinschaft mit dem Gezüchtigten zu verbringen. Er sah aufmerksam in das Blaken der kleinen Ölflamme. Nicht die leiseste Spur einer Schadenfreude über das Elend des Nebenbuhlers lag auf seinen gefälligen Zügen, eher ein geheimer Kummer, den er sich in dieser erniedrigten Stunde Jirmijahs vom Herzen zu reden hoffte.
»Ich weiß«, begann er, »daß mein Gefährte nicht an mich glaubt ...«
Und als sei es notwendig, noch deutlicher zu werden:
»Er meint, es sei Täuschung und Lüge, was aus Chananjahs Mund kommt ...«
Als der Gefesselte entgegnen wollte, hob Chananjah wehleidig abwehrend die Hand, als sei jedes abschwächende Wort noch weit verletzender als ein bejahendes Schweigen.
»Und doch«, fuhr er mit leichtem Nachdruck fort, »war Chananjah der einzige, der über Pharao die Wahrheit weissagte, da Urijah und Jirmijah schwiegen und niemand mein Wort verstand ...«
Diese stolze Behauptung war nicht anzweifelbar. In dunklem Gottesspruch hatte Chananjah den Untergang von Nechos Heer geweissagt. Am Tage des großen Landtages war er in zweideutiger Weise der Mund Adonais gewesen, er und kein andrer. Jirmijah aber dachte an eine Rede Urijahs: »Wer wahr kündet, muß noch kein echter Künder des Herrn sein, wer falsch kündet, noch kein Betrüger!« Als hätte Chananjah diese Gedanken erraten, hob er ein wenig seine Stimme:
»Jirmijah ist sehr hochmütig, das ist es ... Jirmijah glaubt, eine Seele, die nicht der seinen gleicht, könne nicht ausgesondert sein ... Doch Jirmijah scheint nicht zu wissen, daß Zebaoth in viele Spiegel blickt ... Und in jedem Spiegel sieht er sich anders ...«
Der Geschlagene stützte sich auf, den mitternächtlichen Besuch anstarrend. Hatte dieser angenehme Weltmensch tiefere Erkenntnisse im göttlichen Umgang erworben als er? War das Entsetzliche wirklich und wahr? Gab es so viele Wahrheiten Gottes als es Seelenspiegel gab, in die er zu blicken geruhte? War die würgende Wahrheit, mit der er seine Seele quälte, nicht einmal die einzige Wahrheit? Lag er, Jirmijah, jetzt verprügelt und krummgeschlossen im Block für etwas, das nur für seine Seele Gültigkeit hatte, und nicht die allgemeine und eiserne Notwendigkeit des göttlichen Vorhabens war? Hatte der Herr sich Jirmijah zu tödlichen Raunungen ausgesucht, während er andre Ohren mit gefälligem Heil beglückte? Und eins war so wahr und so falsch wie das andre!? Ein pfeifender Seufzer entrang sich seiner Brust. Chananjah aber lächelte gütig:
»Nicht kam ich hierher, um mich zu überheben, ich kam, um meinen Bruder zu warnen ... Wenn du zum Herrn Bittworte sprichst, erfüllt er sie alle? ... Warum erfüllst du alle Worte, die er zu dir spricht? ... Warum gehst du immer hin und sprichst in seinem Namen, wenn er fordert: Gehe hin und sprich in meinem Namen!? ... Je mehr du den Herrn verwöhnst, um so weniger verwöhnt er dich ... Möchte doch Jirmijah klug werden, denn er spielt Gottes Spiel mit seinem eigenen Leben ... Wenn er's aber verliert, dann leidet der Herr weniger um ihn als der König um einen geringen Krieger in der Schlacht ... Könige sind so ...«
Diese wohlgemeinten und wohlgezielten Worte trafen Jirmijah wie neue Streiche. Er sank wie ein Toter zurück und merkte es kaum, daß der Tröster seine Lampe nahm und ging. Noch waren keine zweimal zwölf Stunden seit seiner Heimkehr vergangen und schon hatte der Herr ein Maß von Plagen über ihn gesandt, das hingereicht hätte, einen andern für sein ganzes Leben niederzuwerfen. Gönnte ihm der Verfolger nicht die Rast eines einzigen Tages? In Jirmijahs Seele bildeten sich singende Worte, über die er keine Macht hatte. Es waren nicht Worte Adonais, sondern Worte des übermenschlichen Widerstandes gegen ihn:
»Du hast mich wiederum betört ... Und ich habe mich auch diesmal betören lassen ... Freue dich, Herr, stärker bist du als ich und hast gewonnen ... Nun bin ich zum Spott geworden und alle lachen ... Einst dachte ich: Wohlan, ich will seiner nicht mehr gedenken und in seinem Namen nicht weiterkünden ... Da bin ich vor dir geflohen und hab mich versteckt ... Aber du hast mich nicht losgelassen, du warst in meinem Herzen verschlossen und in meinen Gebeinen, du brennendes Feuer ... Du bist in mir, du brennendes Feuer, ich ertrage es nicht und muß vergehn ...«
Er ertrug es nicht und mußte vergehn. So leicht aber wurde es ihm nicht gemacht. Er ertrug es nicht und durfte nicht vergehn. Zwischen den beiden Felsen Adonai und Welt wurde er zermalmt und starb nicht daran. Es kam ein sehr schlimmer Augenblick über Jirmijah, daß er glaubte, aus der Gefangenschaft seiner selbst fahren zu müssen oder ein Rasender zu werden. Er bäumte sich im Block hoch, daß seine Glieder krachten. Niemand half ihm. Baruch schlief einen totenähnlichen Schlaf. Da brach aus seinem Mund in abgerissenen Lauten der große Fluch:
»Verflucht der Tag, an dem ich geboren wurde! ... Verflucht der Mensch, der meinem Vater frohe Botschaft brachte: Du hast einen kleinen Sohn ... Warum starb ich nicht im Mutterleibe ... O Mutter, du mein Grab ...«
»Hast du gerufen«, lallte Baruch aus dem Schlaf. Jirmijah aber streckte sich wieder so gut er konnte und starrte in den Nachthimmel, der gelassen über dem Tempel Gottes dahinwandelte, mit Mardukh, Ischtar, Nergal und Ninurtu, den Planeten und tausend Sternbildern. Als aber Ischtar, der Morgenstern, schon heller leuchtete als alle andern und kurze Schatten warf, geschah es, daß eine neue Warnung an Jirmijah erging. Der ihm diese Warnung brachte, war kein Geringerer als Ahikam, König Josijahs Geheimschreiber. Das Väterverdienst, die Reinheit und Gottvernunft der Schaffansöhne stand so hoch, daß Jojakim nichts gegen sie vermochte. Nach dem Wandel der Dinge hatten sie nichts behalten als ihre Ehrenämter und Schaffans Lehrgemach im Tempel. Hier waren sie unantastbar. Und doch hätte es Ahikam kaum gewagt, einen wegen seiner Reden Gemaßregelten zu einer andern Stunde aufzusuchen als zu dieser, die an der Grenze der Nacht und des Morgengrauens lag. Der Geheimschreiber war seit dem Tode seines Königs ein alter Mann geworden. Sein Kinnbart schimmerte weiß. Die feingeschwungene Oberlippe war zurückgetreten und von zwei schwermütigen Falten umgraben. Ahikam nahm seinem Begleiter die Fackel aus der Hand, leuchtete Jirmijah ins Gesicht. Dann ließ er sich seufzend zu ihm auf die Erde nieder.
»Ahikam«, sagte er leise, »hat den Freund nicht vergessen, an dem das Antlitz des wahren Königs hing ...«
Jirmijah berührte, seine Augen abwendend, Ahikams Knie. Dieser ließ eine Weile vergehn, ehe er sehr leise bekannte:
»Ich halte meine Hand über Jirmijah ... Doch du mußt einsichtig sein ...«
»Ist der Herr einsichtig?« lehnte sich der Gebundene auf, » Er heißt mich vom bösen Ende reden ...«
»Was hilft das Wort? ... Es sind keine Ohren da, zu hören ... Aber viel Hände sind da, zu würgen ...«
Und mit der hochgerühmten Schaffanskunst des reinen Folgerns begann Ahikam Jirmijah das Sinnlose jeden Kampfes darzulegen. Die Gewalt, die heute über Jerusalem herrsche, sei gleich jeder rechtsverhöhnenden Gewalt immer und überall unsicher und reizbar, wie es eines Abgotts Wesen nun einmal ist. Eljakim habe sie auf Vaterverrat, Überfall, Fälschung errichtet, daher zittere er insgeheim vor Entlarvung und Strafe. Die leere Gewalt aber liebe nichts als sich selbst, sie wolle nichts andres bewahren als sich selbst, darum fürchte sie nur ihre eigene Niederlage, nicht aber den allgemeinen Untergang des Volkes. Nichts aber hasse sie tödlicher als das ungelogene Wort, den Geist des Herrn, der sich nicht in den Block sperren läßt. Hingegen könne sie den Sprecher des Wortes, wie es sich hier zeige, ohne Mühe in den Block sperren und dem Umgänger des Geistes eigenhändig den Schädel spalten. Die Folge davon aber sei nur, daß der Geist und das Wort des Herrn die Ehrfurcht des Volkes verlieren, da sie sich so schwach und ohnmächtig im Kampfe erweisen. Wenn ein Prophet sein Leben opfere, so schade er dem Ansehn des Herrn damit. Nicht gedacht wird Urijahs werden, der starb, weil er nicht lügen konnte. Scharfsinnigere Wege müsse das Wahrwort wählen, feinere Listen der Geist als den plumpen Angriff, der nur ihn selbst zerstört. Jirmijah hörte diese Folgerungen. Sie waren gar überzeugend, stimmten so trefflich wie alles, was kluge Männer reden. Der Herr aber war nicht klug, nicht überzeugend und nichts stimmte bei ihm trefflich. Wenn Urijahs nicht mehr gedacht werden sollte, vielleicht würde Er dennoch seiner gedenken. Wenn der Tod des Propheten sein Ansehn schmälerte, vielleicht würde Er gerade auf dem Tod des Propheten Sein Ansehn begründen. Nichts ließ sich von Adonai nicht erwarten. Jirmijah aber sagte nur:
»Wenn Er raunt, wie kann ich da schweigen?«
»Ich halte meinen Arm über Jirmijah«, drängte Ahikam, »doch er schwöre mir nun beim Herrn, daß er in diesen Tagen nicht künden werde, weder im Tempel noch in der Stadt ...«
»Wie soll ich beim Herrn wider den Herrn schwören!?«
Jirmijah regte sich nicht. Ahikams Wort aber wurde schärfer:
»Ist es dein Wille, den König und seine Fürsten herauszufordern?«
»Mein Wille ...« lachte Jirmijah matt, »mein Wille ist nichts als Frieden ... Denn nach Ruhe sehne ich mich, nach Nichts-Wissen und freundlichem Wohnen ...«
Der Schaffanide fiel sogleich ein:
»Dieses dein Wort ist mir genug ... Ich nehm's als beschworenen Bund zwischen uns ... In Frieden warte auf deinen Tag, wie ich es tue ...«
Jirmijah drückte verzweifelt die Fäuste gegen seine Schläfen. Ahikam aber erhob sich und ging, damit keine neue Gegenrede das Versprechen, das er mitnahm, vermindere. Ischtar, die Himmelskönigin, zerfloß. Die Umrisse des Heiligtums wuchsen grau aus der weichenden Nacht. In diesem Augenblick des Nüchternwerdens der Welt schwor sich's Jirmijah zu, Ahikam zu gehorchen, den Mund nicht mehr zu öffnen und nach Anathot heimzukehren, sobald es nur anging. Trotz des Spottgezisches seiner Brüder, das er fürchtete, faßte er diesen Entschluß. Dann dachte er nur mehr an seine Mutter, bis die Sonne aufging.
Nach den ersten Posaunenrufen der Priester wurde Jirmijah aus dem Block erlöst. Pasch'chur war erschienen, um nach der Regel bei der Entlassung seines Strafgefangenen anwesend zu sein. Als er wieder auf seinen Beinen stand, taumelte der Mißhandelte und wäre zusammengebrochen, hätte ihn Baruch nicht gestützt. Pasch'chur trat dicht an ihn heran:
»Bist du dankbar, Hilkijahs Sohn, für die milde Strafe, die dich rettet?«
Jirmijah sah schweigend in diese knopfigen Storch- oder Kranichaugen. Da entließ ihn der Hüter der Schwelle mit dem Wort:
»Mögest du dich nie wieder blicken lassen ...«
Er wandte sich ab und ging. Jirmijah rief ihn leise an: »Pasch'chur!« Der Mächtige konnte nicht anders und kehrte sich um. Jirmijah aber machte einen Schritt auf ihn zu und murmelte:
»Pasch'chur, Paschah'chur, in deinem Namen war Passah, Freude und Freiheit ringsum ... Nun aber hast du schon einen neuen Namen, und in dem ist Verbannung und Grauen ringsum ...«
Der Hüter der Schwelle hob abwehrend beide Hände, wurde totenblaß. Dunkle Worte, gegen welche Prügler und Block nichts vermochten. Sie schlossen sich um seine Kehle mit der Schreckensmacht einer gültigen Weissagung.