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Vom Huhn, das etwas gelernt hatte

Ein schönes, fremdes Huhn hatte sich auf einen Hühnerhof verirrt und suchte nach Nahrung.

Es hatte glänzende Federn und silberne Ringe an den Beinen. Es lebte mit seiner Familie bei einer Künstlertruppe und verstand zu apportieren, sich auf Kommando tot zu stellen und über sein eigenes Ei zu hüpfen, rückwärts und vorwärts, und Purzelbäume zu machen. Und das war sein Hauptkunststück. Jetzt stand es in einer Ecke und pickte Körner auf.

»Was ist das für ein auffallendes Geschöpf?« fragte die dicke, graue Henne den Hahn.

»Sie hat ja silberne Ringe an den Füßen. Woher hat sie die?« forschte die braun und weiße, die lange Federn an den Beinen hatte.

»Ich weiß es nicht,« sagte der Hahn, »aber sie gefällt mir.«

»Natürlich!« gluckste geringschätzig die graue. »Dir gefällt alles Neue.«

»Das Alte auch,« sagte höflich der Hahn und verbeugte sich.

Inzwischen saßen die anderen Hühner um die Fremde herum und forschten sie aus über Heimat und Familie.

»Ich trete in einem Zirkus auf. Ich habe allerlei gelernt,« erzählte harmlos das Huhn, und beschrieb, was es für Kunststücke machen könne. Da erhob sich ein ungeheures Gegacker. Ein paar der Hennen flohen, einige gingen vorsichtig um die Fremde herum, um sie nicht zu berühren, einige rannten nach ihren Kücken, um sie von ihr fern zu halten und ein paar sahen sich um, was der Hahn dazu sage.

»Purzelbäume macht sie! Wie gräßlich!« gackerte ein mageres Huhn, das als Eierlegerin berühmt war. »Das schickt sich ja aber gar nicht.«

»Warum nicht?« fragte das Huhn.

»Darum nicht. Es ist gegen die Natur.«

»Was haben meine Purzelbäume mit der Natur zu tun?«

»Es ist einfach gegen die Natur! Wo kämen die Kücken und die Hähne hin, wenn alle Hühner etwas lernen wollten?«

»O, behüte, da ist keine Gefahr,« sagte das fremde, schwarze Huhn etwas pikiert.

Da fing eine Rouen-Ente zu schnattern an und mit den Flügeln zu schlagen. Sie war ein Muster von Tüchtigkeit, eine große Eierlegerin und Führerin der Jugend, und genoß viel Ansehen.

»Darf man fragen: Gehören Sie zu einem Hahn?«

»Natürlich!« sagte die Fremde. »Und zu einem schönen, ausländischen.«

»Haben Sie Kücken?«

»Das will ich meinen. Und sie haben alle schon ihre Flügelchen und Schwanzfedern.«

»Und dabei treten Sie auf? Und machen den Zuschauern Kunststücke vor und daheim piepsen ihre Jungen, haben nichts zu fressen, frieren und haben keinen, der auf sie achtet. Eine ganz liederliche Mutter sind Sie, vor Ihnen kann man ja gar keine Achtung haben und muß unsere jungen Hähne und Entlein vor Ihnen warnen.« Das wurde aber dem fremden Huhn zu bunt.

»So! Und woher wissen Sie denn, daß ich meine Jungen vernachlässige? Sehen Sie sich die Kücken einmal an. Aufgeweckt und lustig und klug sehen sie in die Welt. Und fragen Sie meinen Hahn, mit wem er am liebsten auf der Wiese spaziert, mit mir oder den anderen Hühnern?«

Die Rouen-Ente wollte dazwischen schnattern, aber die Schwarze kam ihr zuvor.

»Und fragen Sie den Ihren, warum er immer neue Hühner haben muß. Die seinen sind schön genug, man kann kaum schönere finden. Weil ihr Enten und Hühner alle tötlich langweilig seid, und man es auf die Dauer mit euch gar nicht aushalten kann, darum!«

Da drangen sämtliche Hühner und Enten auf das schwarze Huhn ein, und zwickten es und rissen ihm die Federn aus und gackelten und kreischten.

»Laßt sie in Ruh,« krähte der Hahn. »Das, was sie sagt, ist wahr.«

»Wahr!« kreischten die Hühner. »Ist das nun unser Dank!«

»Und wie haben wir dich geliebt!« gackelte jammernd die Graue.

»Sie liebt ihren Hahn auch,« sagte der Hahn.

»Und wie eifrig haben wir dir Eier gelegt,« beklagten sich ein paar andere.

»Das hat sie auch getan.«

»Und wie viele Kücken haben wir dir geschenkt,« prahlte eine große, gelbe Henne mit sieben Jungen.

»Sie hat deren neun.«

»Ja,« lärmten die Hühner durcheinander, »aber wie werden sie aussehen! Mager und verrupft und mit nackten Hälsen. Und zum Schluß frißt sie Katze und Habicht, denn wer paßt auf sie auf?«

Da piepste es draußen vor dem Hühnerhof aus vielen kleinen Kehlen und neun kugelrunde, glänzende, zierliche Kücken liefen vor dem Holzgitter herum.

Als das schwarze Huhn sie sah, flog es mit lautem Freudengegacker auf sie zu. Die Kücken rannten um das Huhn herum, flogen ihm auf Kopf und Hals, krochen unter seine Flügel und wieder hervor und piepsten seelenvergnügt und freuten sich.

Oben auf dem Zaun aber standen sämtliche Hühner des Hofes und unten guckten die Enten durch das Gitter.

»Und wie gefallen euch meine Kücken?« rief das schwarze Huhn. Es bekam keine Antwort, aber an dem Tag mußte der Hahn sämtliche Regenwürmer selber essen. Er machte sich aber nichts daraus.

 


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