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VI

Die junge Wärterin war Nahar eine holde Erscheinung. Wenn sie morgens beim Kämmen die Haare durch den Mund zog, umschmeichelten ihre himbeerfarbenen gekräuselten Lippen das schwarz leuchtende Gelock und machten es schmiegsam. Ihre großen, dunkel glühenden Augen sahen nach dem ruhig säugenden Tier, während sie das Haar zu einem großen Knoten verflocht und eifrig mit goldenen Sternchen und Nadeln besteckte.

Nahar war friedlich, ein heiterer Himmel.

In vielen Windungen schlug das Mädchen ihr rotes Tuch um die nackten Hüften, es bedeckte die Knie, umspannte eng die volle Brust. Jetzt beugte es sich nieder, wusch ihr dunkelgoldenes Gesicht im Wasser des Beckens, aus dem sie sonst Nahar zu trinken gab. Tropfen sprühten um sie und lichter Schaum.

Der Boden des Käfigs, das silbrige Blech, glitzerte nicht mehr, da es mit Milchtropfen, Blut und dem schuppigen Abfall der Fische bedeckt war. Da lag eine faulende Schicht, ein verwesendes Begräbnis, von Fliegen milliardenfach umsummt.

Das Mädchen kam mit zwei Kübeln voll warmen Wassers, um mit einem Gusse von oben herab die Kiste zu säubern. Da es fürchtete, den Jungen zu schaden, hob es sie mit Vorsicht zu sich, nun ruhte in jeder dunklen Hand ein kleiner Tiger und hielt mit dem dünnen Schweif das Handgelenk des Mädchens umringelt. Ohne Furcht spielte das Mädchen mit ihnen.

Groß erhob sich die Mutter: in die höheren Gewölbe des Kerkers reckte sie sich, sie stieg auf mit der breiten Brust, sie senkte beide Arme, mit weitgeöffnetem Blick, weit eröffneter Seele suchte sie die Ihren.

Sie blieb allein, schmachtete im finsteren Käfig. Fern, am Rande der Tenne, tollte das Mädchen im Tanze. Als goldene Kugeln rollte es die jungen Tiger in den rotseidenen Falten ihres Gewandes. Die Mutter stand allein. Breit aufgerissen ihr Mund. Kein Laut wich aus ihr.

»Nahar!« rief die Wärterin.

Sie öffnete ihr die Kiste, hob den Deckel vom Grabe.

Das gealterte, grau gezackte Tier entstieg ihm mit unsicherer Pranke.

Noch zitterte das Herz in Ohnmacht nach der Geburt, nach dem Leben und dem Tode.

Auf ihrem spröden, stachligen Fell waren graue Läuse und bröckliger Grind. Von dem toten Hunde war dies zu ihr gewandert.

Von Erbarmen erfüllt, gab ihr das Mädchen die Jungen zurück. Von Mitleid geschwellt, wusch die Wärterin das verzauberte Tier mit warmem Wasser und scheuerte es mit weich reibender Bürste, aber es schützte dabei die Jungen vor der Feuchtigkeit. Der Wärter reinigte das Käfiggelaß, bohrte Löcher in den Blechboden, um dem Schmutze immer Abzug zu schaffen. Jetzt bettete das Mädchen die Jungen vor den Augen der Mutter in den Winkeln ihrer Ellbogen, so daß sie sich ihr, eines schwankend auf dem anderen, an den nackten Mädchenhals und ihr weiches, kleines Ohr anlegten. Sie blickten schelmisch umher und schnurrten vergnügt, während sich beide mit ihren Zungen die plumpen Pranken zu lecken begannen. Mit der freien Hand ergriff die Wärterin die Mutter an der schlaffen Haut des Nackens. So wurde Nahar hingeführt in die Sonne. Dort ließ sie sich nieder, auf dem knisternden Sande ließ man sie ruhen.

Zusammengerollt schlummerte sie, ohne Ketten und Fesseln. Ihr ausgemergelter Leib wurde getroffen von dem stabförmigen Licht, das aus dem Palmendach in feurigem Gusse herabdrang. Sie schlief friedlich umsonnt. Sie floh nicht, als sie erwachte. Herden von Rindern und Büffeln zogen im Zinnoberstaub der Straße, jenseits der Schwelle der Tenne. Sie schlich ihnen nicht nach, zerriß kein lebendes Fleisch. Sie kehrte in den ausgetrockneten Käfig zurück.

Zuerst kletterte sie mit dem ungefügen Leib, der nach der Waschung noch feucht dunstete, über den scharfen Rand der Kiste in die Tiefe, mit dem aufgesperrten Munde empfing sie dann die Jungen, legte sie eines nach dem anderen auf ihre hingebreiteten Glieder.

Die Jungen ruhten auf dem reinen Teppich ihres Felles, gruben sich weiche Nester in ihren mütterlichen Leib. In silbernem Jauchzen spielten sie die Spiele der bewußtlosen Kindheit, bis durch ihre mondweiß verglasten Augen der erste Schein des sehenden Lichtes brach. Gesegnet kam es über sie aus den Fugen des hölzernen Daches, goldiggrün verfunkelte es in der Dämmerung des gefangenen Tages.

Ein holder Zauber, ein guter Trost.


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