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XI

Nahar erwachte erst nachts. Der Tiger war schon fort, aber noch war sie von seinem Duft umwittert: der Mann rief aus der Ferne nach ihr, mit dumpfem Ruf die Erde erschütternd. Sie kam ihm nach, in hellem Mondglimmer gingen sie zur Jagd, den Weg zur Furt hinab. Sie folgte ihm langsam, da die verkrüppelte Pranke sie hemmte, doch er schmeichelte schnurrend um sie, er atmete ihren Geruch ein, nahm das Blitzen ihres liebend zugewandten Auges auf.

Tiere ihresgleichen jagten ferne am Saume des blauschimmernden Waldes, aus der Tiefe am Flusse plätscherte es mild. Gebeugt die schlanken Rücken, glitzernd in den gesprenkelten Fellen, tranken die Rehe, eng aneinander geschart. Sie wichen vom Ufer, verraschelten in die hohen Gräser. Ein junges Nashorn stieg in die Flut mit trägem Schritt, watete bis in die Mitte des Wassers, ein Berg von Fleisch, gut zu erjagen, leicht zu zerreißen.

Schon schlich Nahar vor, sie wartete, hingestreckt mit zitternden Flanken, auf das Jagdtier, das schnaufend, wassersprühend, plump dem Bade entstieg. Von dem nackten Fell rannen in helleren Streifen Fluten herab auf die nickenden Gräser. Schon bohrte es sich neben Nahar vor, stapfte mit breiten Knien, rupfte sich von niedrigen Zweigen Blätter und Sprossen herab zum gemächlichen Fraß, zu lautem Schmatzen, da setzte der Tiger an, jetzt durchschwirrte er die Luft, sausend im Fluge, mit allen vier Pranken faßte er an, landete fest, ein wütend eingebissener Pfeil, mit den Zähnen knirschte er sich hinein in das feuchte, nackte Fell, hing an der ehernen Mauer. Aber das Nashorn schüttelte sich, in ungebrochener Kraftwut bäumte es sich auf, wie um durch das Dach der Bäume zu stoßen. Wie einen Felsen warf es sich nieder und türmte die Last eines Felsens über den Tiger, der, im Ersticken, sich tiefer einbiß in sein zuckendes Fleisch. Aber unbesiegt jagte dann das Nashorn auf, in rasendem Lauf stampfte es donnernd durch den Mondwald.

In lähmendem Entsetzen rann Kraft um Kraft aus dem Tiger. Sein schwaches Herz füllte sich mit Ohnmacht, als ihm die verstümmelte Pranke, die fünfzackige Tatze sich löste, er senkte sich nieder, vor den steinernen Knien des Nashorns schwankte er, hin und her geschwungen, wie eine faule Frucht abgeschüttelt, zur Vernichtung endlich hinabgeschleudert zum Boden, der aufdröhnte unter seinem Fall.

Zusammengekrümmt, feig eingerollt, gelähmt vom furchtbaren Sturmlauf, lag Nahar flach am Boden, das Nashorn gleißte schwarz über ihr, aus vielen kleinen Wunden der Brust rann sein Blut über Nahar herab, es träufelte ihr in die Augen, es dunstete ihr süß um die Nüstern, aber sie trank es nicht, sie labte sich nicht, denn das Nashorn riß mit dumpfem Brüllen sein eckiges, aus schweren Quadern getürmtes Haupt nieder, unbesiegt.

Wie mit eisernem Stachel zog es mit dem gebogenen Horn eine lange, blutige Furche über Nahars feige weggekrümmten Rücken, aufheulend wälzte sich Nahar fort, von fürchterlichen Schmerzen zerfleischt: sie floh, froh sich zu retten vor dem Zerstampftwerden, glücklich, schnell zu entkommen, so barg sie sich in dem hohen Gras der nachtgetränkten Wiese, während das Nashorn in ungebrochener Kraft noch lange die Erde rammte und siegreicher Trompetenton die Nacht durchdröhnte.

Sie kehrte ungesättigt, ungetränkt, hinkend, bohrenden Schmerz in dem vom Nashorn zerpflügten Rücken zur Heimathöhle, zum sicheren Felsenlager zurück.

Milde kühlte das Nachtgesträuch ihre Haut, lockend hörte sie von weitem des Mannes schmeichelnden Laut. Schon schlich sie heran, aber fürchterliches Entsetzen vereiste ihr Herz: ein anderes Tier, herrlich flammend im glänzenden Fell, ruhte zu Füßen des Mannes. Ein aufgerissener Büffel, noch zuckend im Sterben, die glückliche Beute lag vor den beiden. Krachend zertrümmerten die Zähne der Tiger, die wild zuhackenden Hauer, die runden Schenkelknochen der Beute. Neben das Weib, die fremde junge Tigerin, fielen Fleischstücke, noch rauchend von Leben. Eingeweide, rosige Schlangen ringelten sich um die Füße der Tiere, feucht dampfend, herrlich dufteten sie Nahar nach der ersehnten Sättigung, dem schmerzlich begehrten Mahl.

In lautlos gebeugtem Knie ruhte der Vater, der gewaltige Bau, der die Fremde hoch übertürmte. Fernhin blickte er, während er an seine Brust in unzerreißbarer Umarmung geklammert hielt den blutig nackten Rücken des Wildstieres.

Licht schimmerte das Haar um seine Wangen, die vom Fraß noch zitterten, ein Nebelhof, wallend um den weißen Mond des großen Gesichtes. An der Fremden beugte er sich tief hinab. Er warf sich wollüstig knurrend auf den Rücken, schmeichelte sie im Spiel zu sich, baute sie ein unentrinnbar in seine Umarmung, rief sie an mit dem unvergeßbar lockenden Ruf.

Atemlos, zusammengekrampft von wütender Verzweiflung, brach Nahar aus dem Gebüsch, sie warf sich nieder vor ihm, zeigte sich ihm ganz, schmeichelte so sanft an seinen niederen Pranken, den unerschütterlichen Säulen seiner Gewalt, mit ihrer langen, kalten Zunge leckte sie sein Gesicht, erschrak nicht vor dem heißen Knurren der Feindin, wich nicht vor ihren tückisch zuckenden Hauern.

Aber der Mann sah fernhin über sie, die gesträubten Felles, zerprügelt, am Rücken häßlich gestriemt, verkümmert und abgemagert, ungesättigt und ungetränkt zu seinen Füßen verdorrte – und ungeliebt: denn vor ihren Augen, noch im Gefunkel ihrer in düsterer Liebe sprühenden Augen, überbreitete sich der Mann der anderen. Über die andere strahlte nieder das herrliche Licht seiner runden Augen, der ruhig wandelnden Sterne.

Eine andere wurde geliebt in der Heimathöhle, nicht zu Nahar senkte er sich, sie zu erkennen, der große, rettende Gott.

Die anderen, heiß in rauschende Umarmung gestürzt, ein einziger Leib. Des fremden Weibes in höchster Lust zuckender Kopf, ihre brechenden Glieder, alles war vereinigt mit ihm, alles ihr entrissen, immer verloren. Ein hoher, gleichströmender Schrei, so wogten ihre Stimmen, so floß ihr Blut. Nahar begegnete sich selbst.

Verlorene Mutter, verkrüppeltes Tier, tief verzauberte Menschenseele im Mondglanz des tropischen Haines, ergraut und erzitternd, da ihr elender Leib, ihre jammernde Seele erzitterten unter den Stößen der ungeheuren Umarmung, mit der der Geliebte, der unverloren geliebte Mann, die andere umarmte.

Sie ging durch den Wald, verlor sich in den Nebeln des Flusses.


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