Gustav Weil
Tausend und eine Nacht, Vierter Band
Gustav Weil

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Der bekehrte König.

Man erzählt noch: Ein gewisser König reiste einst verkleidet in seinem Reich umher und kam durstig in einem großen Dorf an. Da blieb er vor der Tür eines Hauses stehen und forderte Wasser. Eine sehr schöne Frau kam aus dem Haus mit einem Becher voll Wasser und überreichte ihn ihm. Nachdem der König getrunken hatte, betrachtete er die Frau und fand sie so reizend, daß er ihr Liebeserklärungen machte. Die Frau, die ihn wohl kannte, nahm ihn mit ins Haus, hieß ihn sitzen, legte ihm ein Buch vor und sagte: »Unterhalte dich einstweilen damit, ich muß nur schnell etwas besorgen, dann komme ich wieder.« Der König setzte sich und fing an, in dem Buch zu lesen; es enthielt Warnungen gegen den Ehebruch und die Strafen, die Gott über den Ehebrecher verhängt. Da überfiel ihn ein Schaudern und er beschloß, sich zu bekehren. Er rief sogleich die Frau, gab ihr das Buch und ging fort. Als der Gatte dieser Frau nach Hause kam, erzählte sie ihm das Vorgefallene. Er war sehr verlegen und fürchtete sich, der König möchte doch noch nach ihr gelüsten, und wagte es nicht mehr, von jenem Augenblick an, sie zu berühren. Nach einiger Zeit erzählte die Frau ihren Verwandten, daß ihr Gatte nicht mehr seine Pflichten gegen sie erfülle. Da führten sie ihn hin zum König und sagten: »Gott verherrliche unseren König! Hier ist ein Mann, der ein Stück Land von uns gepachtet hat, um es anzubauen und zu besäen, das hat er auch einige Zeit getan, nun aber läßt er es brach liegen; er besäet es nicht mehr, und doch gibt er es uns nicht zurück, daß wir es durch einen anderen besäen lassen, und so fürchten wir, das Land möchte, wenn es nicht bebaut wird, zugrunde gehen.«

Da sagte der König zu dem Manne: »Warum besäest du dein Feld nicht?« Der Mann antwortete: »Gott erhebe den König! Ich habe gehört, es sei ein Löwe auf das Feld gekommen, den ich so sehr fürchte, daß ich mich meinem Felde nicht mehr zu nähern wage, denn ich weiß wohl, daß ich zu schwach bin, um ihm zu widerstehen.« Der König merkte nun, worum es sich handelte, und sagte zu dem Manne: »Geh' nur und besäe dein vortreffliches Feld wieder, der Löwe wird es nie mehr betreten und dir nie was zuleide tun; Gott segne dich!« Sodann ließ er noch für ihn und seine Gattin kostbare Geschenke herbeiholen und entließ sie damit.

Abu Bekr, der Sohn Muhameds, erzählt: Ich reiste einst von Anbar nach Amurijeh in Griechenland und stieg in der Nähe der Stadt vor einem Kloster, das am Wege lag, ab. Der Prior des Klosters, welcher Diener des Messias hieß, kam mir entgegen und führte mich ins Kloster, das vierzig Klosterbrüder bewohnten, und ich wurde von ihnen sehr gastfreundlich bewirtet; auch sah ich bei ihnen eine Frömmigkeit, die ich noch nie gefunden. Nachdem ich meine Geschäfte in Amurijeh versehen hatte, kehrte ich wieder nach Anbar zurück. Ein Jahr darauf pilgerte ich nach Mekka, und als ich am Festtag den Kreis um den Tempel machte, sah ich den Prior, Diener des Messias, auch um den Tempel ziehen mit fünf seiner Klosterbrüder. Nachdem ich mich überzeugt hatte, daß er es war, ging ich auf ihn zu und fragte ihn: »Bist du nicht der Prior, Diener des Messias?« Er antwortete: »Nein, ich heiße jetzt Diener Gottes, der Einsiedler.« Dann küßte ich seinen Bart und weinte. Dann ergriff ich seine Hand und bat ihn, mir zu sagen, warum er Muselmann geworden. Er antwortete: »Die Ursache meiner Bekehrung ist wunderbar. Einst reisten nämlich einige fromme Muselmänner durch den Flecken, neben welchem unser Kloster liegt, und schickten einen Jüngling, der bei ihnen war, aus, um Speisen einzukaufen. Da sah der Jüngling eine junge Christin auf dem Markt, welche Brot verkaufte, und fand sie so schön, daß er sich in sie verliebte und vor heftiger Leidenschaft ohnmächtig dahinsank. Als er wieder zur Besinnung kam, ging er zu seinen Reisegefährten und erzählte ihnen, was ihm begegnet, und sagte. »Reiset ihr nur weiter, ich werde nicht mit euch gehen.« Sie wiesen ihn zurecht und predigten ihm, aber er hörte sie nicht an und ließ sie fortreisen. Er kehrte dann in den Flecken zurück, setzte sich vor die Tür des Ladens jener Christin, und als sie ihn fragte, was er wolle, gestand er ihr seine Liebe. Sie wendete sich von ihm weg, er aber blieb drei Tage vor der Türe sitzen, ohne etwas zu essen, noch zu trinken, und sah immer der Christin ins Gesicht. Als sie sah, daß sie den Fremden nicht loswerden konnte, ging sie zu ihren Leuten und erzählte es ihnen. Diese hetzten die Jungen des Fleckens gegen ihn: Sie warfen mit Steinen nach ihm, die ihm fast die Rippen zerschlugen, aber dennoch wich der Fremde nicht von der Stelle. Schon hatten die Einwohner des Fleckens beschlossen, ihn zu töten, als mir Kunde davon wurde. Ich ging sogleich zu ihm und fand ihn auf der Erde hingestreckt; ich wischte das Blut von seinem Gesicht ab, trug ihn ins Kloster und pflegte seine Wunden vierzehn Tage lang. Sobald er dann wieder imstande war zu gehen, verließ er das Kloster und setzte sich wieder vor die Tür des Bäckerladens, um die schöne Christin anzusehen. Als sie ihn wieder bemerkte, ging sie zu ihm und sagte: »Bei Gott, du hast mich gerührt; willst du meinen Glauben annehmen, so heirate ich dich.« Der Jüngling antwortete: »Bewahre mich Gott, daß ich den Monotheismus mit dem Polytheismus vertausche!« Da sagte sie: »Komm mit mir in mein Haus, umarme mich und ziehe dann weiter mit deinem Glauben.« Aber der Jüngling antwortete: »Ich kann nicht zwölf Jahre der Tugend und Enthaltsamkeit für die Lust eines Augenblicks hingeben.« – »So verlasse mich denn«, versetzte die Christin. – »Das vermag mein Herz nicht.« – Die Christin wendete sich wieder von ihm weg, und die Jungen des Fleckens kamen und warfen ihn mit Steinen, daß er auf sein Gesicht fiel und rief: »Gott, der den Koran vom Himmel gesandt, ist mein Herr, er läßt den Frommen nicht ohne Lohn.« Als ich den Lärm hörte, lief ich wieder aus dem Kloster zu dem Jüngling, jagte die Buben fort und hob ihn von der Erde auf. Da hörte ich, wie er sagte: O Gott, vereinige mich mit ihr im Paradies!« Ich wollte ihn dann ins Kloster tragen, aber er starb, ehe er es erreichte. Da ließ ich vor dem Flecken ein Grab bauen und beerdigte ihn dort. Um Mitternacht hörte man auf einmal die Christin so laut schreien in ihrem Bett, daß alle Bewohner des Fleckens sich zu ihr drängten, um zu hören, was ihr zugekommen. Da erzählte sie: »Als ich schlief, kam der Muselmann zu mir, der heute gestorben ist, und faßte meine Hand und führte mich ins Paradies; als ich aber an die Pforte des Paradieses kam, ließ mich der Wächter nicht hinein, indem er sagte: Das Paradies bleibt den Abtrünnigen verschlossen. Da bekehrte ich mich vor ihm zum Islamismus und ging mit ihm hinein, hier sah ich Paläste und Gärten, so schön, daß ich sie euch nicht beschreiben kann. Endlich führte er mich in einen großen Palast und sagte: Dieser Palast von Edelsteinen ist für uns bestimmt, ich werde nicht eher hineingehen, bis du bei mir bist, und so Gott will, wird dies in fünf Tagen geschehen. Dann streckte er die Hand nach einem Baum aus, der vor der Tür des Palastes stand, pflückte zwei Äpfel von demselben und sagte: Iß den einen und bewahre den anderen für den Prior des Klosters auf. Ich aß den einen und fand ihn so schmackhaft, wie ich noch keinen gegessen. Sodann ergriff er wieder meine Hand und führte mich in meine Wohnung.« Ich nahm dann – so fuhr der Diener Gottes fort – den einen Apfel aus ihrer Tasche, und er leuchtete in der dunklen Nacht wie ein Stern, es war eine Frucht, wie man keine ähnliche auf dieser Welt sieht. Ich nahm ein Messer und zerschnitt ihn in so viele Teile, daß jeder meiner Gefährten im Kloster ein Stück davon bekam, und wir haben nie einen feineren Geschmack noch einen edleren Geruch gefunden, als dieser Apfel hatte; wir dachten: Das ist gewiß Satans Werk, der sie von ihrem Glauben abtrünnig machen will. Die Verwandten der Christin führten sie dann nach Hause, aber sie wollte weder Speise noch Trank zu sich nehmen, bis in der fünften Nacht, da stand sie auf, ging auf das Grab des Jünglings, warf sich dort hin und starb, ohne daß ihre Leute etwas davon wußten.

Am folgenden Morgen kamen zwei alte Muselmänner In den Flecken mit härenen Kleidern, auch zwei alte Frauen waren bei ihnen, ebenso gekleidet, und sagten: »O ihr Bewohner des Fleckens! Gott der Erhabene hat eine seiner Heiligen unter euch als Muselmännin sterben lassen, wir kommen, um sie als solche zu beerdigen.« Aber die Bewohner des Fleckens, welche nach langem Suchen endlich die Christin tot auf dem Grab des Muselmannes fanden, sagten: »Die gehört uns, sie ist in unserem Glauben gestorben und wir wollen sie beerdigen.« Die Alten behaupteten hingegen, sie sei als Muselmännin gestorben. Nach langem Streit sagte endlich einer der Alten: »Wollt ihr euch überzeugen, daß sie als Muselmännin gestorben, so lasset alle vierzig Priester aus dem Kloster kommen, um sie vom Grab wegzubringen; vermögen sie es nun, so gebe ich zu, daß sie als Christin beerdigt werde. Bringen sie sie aber nicht von der Stelle, dann möge einer von uns es versuchen, sie wegzuziehen, und gelingt es ihm, so dient es als Beweis, daß sie als Muselmännin gestorben.« Die Bewohner des Fleckens waren mit dieser Probe zufrieden und ließen sogleich die vierzig Klosterbrüder kommen, um sie wegzutragen, aber sie konnten es nicht. Zwar nahmen sie ein sehr starkes Seil und banden es um ihren Körper und zogen mit aller Kraft daran, aber das Seil zerriß; zuletzt versuchten sogar noch alle Bewohner des Fleckens, sie wegzutragen, aber dennoch brachten sie sie nicht von der Stelle. Endlich sagten sie einem der Alten: »Nun versuche du es, sie wegzutragen.« Er näherte sich ihr, faßte ihren Oberrock und sagte: »Im Namen Gottes des Barmherzigen, des Allmilden!« nahm sie auf den Arm und trug sie in eine Höhle dort in der Nähe; die zwei alten Frauen wuschen sie und hüllten sie in ein Totengewand, und beerdigten sie neben dem Grab des Jünglings. Wir alle – fuhr der Diener Gottes fort – sahen dies mit unseren Augen. Als wir daher allein untereinander waren, sagte einer zum andern: »Es ist unsere Pflicht, die Wahrheit anzuerkennen, die sich uns so klar geoffenbart hat. Wie können wir einen sichereren Beweis für die Echtheit des islamitischen Glaubens fordern, als den, den wir mit eigenen Augen gesehen?« Ich bekehrte mich daher zum Islamismus mit allen Priestern des Klosters und allen Einwohnern des Fleckens. Wir schickten dann nach Djeziereh und ließen um einen frommen Lehrer bitten, der uns mit den Grundsätzen des Islams und der Art und Weise des Gottesdienstes bekannt machte, und so leben wir nun im schönsten Segen. Gott sei gelobt und gepriesen!


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